Kröne dein Leben mit Thaten, die zur Ewigkeit reifen!
Deiner Sterblichkeit Tage laß thatenlos keinen entfliehen.
Sende sie alle hinauf vom Staube zum Throne der Gottheit,
Jeder begegnet dir dann im Triumph - am Tage des Todes.
Vom Christenleben will ich reden, das sich in Thaten zeigt, - den guten Wandel empfehlen. Fürchtet nicht, daß die Jugend dem reiferen Alter zu viel zumuthe und im Gefühl ihrer Kraft kräftiges Handeln verlange, auch da vielleicht, wo schweigen, ruhen und leiden Christenpflicht wäre. Fürchtet nicht, daß ich leichten Sinnes jener eitlen Vielthuerey das Wort rede, dem geschäftigen Müssiggange. der das Große verspricht und, wenns viel ist, nur das Kleine erreicht. Nein, ich ehre den stillen Ernst des Weisen, den langsamen aber festen Gang des bedächtigen Mannes; - ich ehre und lobe die thatenlosen Stunden, in welchen die Hände und das Werk ruhn, und nur der Geist sich bewegt, seys, daß er Thaten wägt, daß er nachdenkt über Menschenleben und Menschenschicksale, daß er die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht und sich die Zukunft schmückt zur Ergötzung in gegenwärtiger Trübsal; - ich ehre, lobe und preise die heiligen Augenblicke, wo der Geist nicht vergleichet, nicht denkt, sondern in der Fülle der Andacht mit geistlichem Auge das allein ewige Wesen erblickt und sich erfreuet des Anblicks, staunend verweilt bey den Wundern der Allmacht, betroffen stille steht bey den Spuren der höchsten Weisheit, und die zahlreichen Beweise der unendlichen Liebe erkennt da, wo sie zahllos sind, auf dem Gnadengebiet, und, von Rührung und Liebe durchdrungen, ausruft: „Also hat Gott die Welt geliebet!“ - An Worten arm ist die Liebe, aber es drängt sich die Thräne hervor, in der sich der Dank spiegelt und die Freude und die völlige Ergebung, und diese Thräne, die gottgeweinte, bringt unser Engel vor den Thron Gottes, bis wir selbst knieen und weinen werden an den Stufen seines Throns und den Allliebenden sehen von Angesicht zu Angesicht.
Wie wohl wird dann, o dann mir seyn,
Wenn ich, mich ganz des Herrn zu freun,
Ihn dort anbeten werde!
Von keiner Sünde mehr entweiht,
Ein Mitgenoß der Ewigkeit,
Nicht mehr der Mensch von Erde!
Heilig, Heilig,
Heilig singen wir dir, bringen Preis und Ehre,
Dir, der war und seyn wird, Ehre.
Vom Christenleben wollte ich reden, das sich in Thaten zeigt - den guten Wandel empfehlen. Ware die Rede zu hoch hinaus gegangen? Voran sollte bloß die Erklärung gehen, daß ich den Schein für Schein halte und das innere Leben dem äußern weit, weit vorziehe. Wie Seele und Leib, so ist das innere und äußere Christenleben. Dürfen wir nun aber den Leib verachten, weil die Seele besser ist? Also dürfen wir auch das äußre Leben nicht vernachlässigen, obwohl dem innern unsre größte Sorge gewidmet seyn muß. Das Aeußere ist des Innern Werk: soll jenes schlechter aussehen als dieses ist? - Ehemals dachten die Menschen mehr darauf, wie sie ihr Aeußeres zierten, suchten es zu umkränzen mit einem Heiligenschein, schmückten sich mit guten Thaten, und ob sie waren Sünder und Gottlose, wollten sie doch sich den Tugendhaften und Frommen gleichstellen. Damals hatte die Tugend noch Heuchler, - daß ichs sagen muß: Leider, auch der Heuchler Zahl nimmt ab! Ein schlimmer Beweis ist der, daß die Tugend nicht überall mehr gelitten ist. Euch frage ich, ihr Aelteren in dieser Versammlung: ob in eurer Jugend die Laster so frech hervortraten wie heutiges Tages? ob der Wollüstige sich seiner Thaten rühmen durfte und der Ehebruch so in der Ordnung war? - ob der Betrug so offenbar gespielt wurde und der Diebstahl damals nicht strafbarer und schändlicher war? - ob das gegebene Wort nicht mehr galt und der Eid nicht heiliger gehalten wurde? - Das ist ja eure Klage, die ihr die Vorzeit kanntet. Und unterläßt man das Böse nicht, scheu't, hasset und flicht man das Böse nicht, wie wird man das Gute thun! Thaten thun, die Mühe kosten und unbezahlt bleiben! Vom Christenleben will ich reden, das sich in Thaten zeigt, - den guten Wandel empfehlen.
Text, 1. Pet. 2, 12.
Lieben Brüder. Führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf daß die, so von euch afterreden, als von Uebelthätern, eure guten Werke sehen und Gott preisen, wenns nun an den Tag kommen wird.
Die jetzt - Ehre sey Gott! - herrschende christliche Kirche war ein kleines, unterdrücktes Häuflein, als der Apostel Petrus schrieb. Die Bekenner einer Lehre, die den Juden ein Aergerniß war und den Heiden eine Thorheit, waren dem Muthwillen des Volks, dem Spott der Vornehmen und den Verfolgungen der Herrscher ausgesetzt. Sie konnten sich noch auf keine andere Weise Sicherheit verschaffen, die Mißhandlungen verhüten und den Spott zunichte machen, als wenn sie, wozu auch der Apostel ermahnt, duldenden Sinn bewiesen, strengen Gehorsam gegen die Befehlenden übten, ihre Pflichten treulich erfüllten und durch Unsträflichkeit in den Sitten sich auszeichneten, kurz, einen guten Wandel unter den Heiden führten. Auf diese Weise könnten sie ein gutes Gewissen bewahren, am besten sich gegen Verläumder vertheidigen und die Nichtchristen gewinnen, wie sie, Gott zu ehren durch hie Annahme der Religion seines Sohnes. Das sind die Seiten, von welchen wir den Wandel zu betrachten haben. Höret also in dieser Stunde:
Die Lehre vom guten Wandel des Christen,
und betrachtet denselben
So wie der Mund übergeht, wenn das Herz voll ist, und Worte hinströmen, wenn das Gemüth bewegt wird, so kommen Thaten ans Licht, wenn in der Seele die Gedanken arbeiten. Aber nicht jedes Wort kommt von Herzen, es giebt leere Worte; aber nicht jede That ist in der Seele geboren, es giebt eitle Thaten. Was eitle Thaten sind? Solche, die einer thut, ohne zu wissen, warum? ohne nachzudenken, wozu? die keinen Grund haben und keinen Zweck, das sind eitle Thaten. Solche, die einer thut, weil er Andre sie thun sieht, die mitgemacht werden der Gewohnheit, des Herkommens, der Sitte wegen, das sind eitle Thaten. Solche, die einer thut, als ob er selbst nicht dabey wäre, wo keine Kraft sich zeigt, wo der Geist nicht durchblickt, wo der Gedanke nicht herrscht, das sind eitle Thaten. Was kann sich in ihnen abspiegeln? Nichts, denn es fehlt ihnen das Menschliche, wodurch sie hervortreten, - es fehlt ihnen das Vernünftige, wodurch sie sich von thierischen Verrichtungen unterscheiden - es fehlt ihnen Gemüth und Seele, wodurch sie größere Theilnahme erregen und tiefere Bedeutung erhalten sollten. Ueberblickt euer Thun, meine Freunde, und fragt: Was ist eitel darin?
Wenn ich des Morgens von meinem Lager aufstehe, geschieht es mit dem Gefühl der verneueten Kraft, mit Preis und Dank dem hohen Beschützer? oder geschieht es ohne zu denken, geschweige zu danken? Wenn ich Speise und Trank genieße, geschieht es zuweilen mit einem frommen Blick zum milden Geber hinauf? oder bekümmre ich mich bey der Gabe nicht um den Geber? Wenn ich schlafen gehe, begleitet mich dann wohl ein guter Gedanke, eine Reue, ein Vorsatz des Bessern, eine Danksagung? Und mein Tagewerk, verrichte ich es mit Ueberlegung und Liebe? die Pflichten meines Berufs, erfülle ich sie mit Nachdenken und Willigkeit? die Geschäfte meines Amtes, treibe ich sie mit Neigung und Freude? Wenn das nicht wäre, wenn wir alles ohne Neigung und Ueberlegung thäten, gezwungen oder gedankenlos - so thäten wir bey aller Vielthuerey doch nichts, unsere Vorkehrungen zeichneten sich nicht vor dem aus, was die Thiere des Feldes und das ackernde Gespann thun, wahrnehmen könnte man an uns nichts Vortreffliches, aber schließen müßte man etwas sehr Entehrendes bey uns.
Doch die wenigsten Menschen verleugnen in ihren Handlungen das Menschliche; der Verstand ordnet, die Seele regieret. Möchte er weise ordnen! möchte sie wohl regieren! Aber der Mensch kann sündigen; er allein unter allen Creaturen auf Erden kann sündigen. Das ist von einer Seite betrachtet eine hohe Auszeichnung, daß ers kann, wiederum, wenn ers thut, das ist tiefe Erniedrigung. Dem Könige fluchet das ganze Land, wenn er, da ers kann, heillose Dinge thut; und der Mensch ist König in der sichtbaren Schöpfung. Wir sehen Thaten, welche nur die ausdaurendste Kraft, der unerschütterlichste Muth hat ausführen können, aber es sind böse Thaten, und in ihnen spiegelt sich eine Seele ab, die abscheulich ist. Wir sehen Thaten, die von dem feinsten Verstande, von der gewandtesten Klugheit zeugen, aber es sind böse Thaten, und in ihnen spiegelt sich eine Seele ab, die wir verachten müssen. Es spiegele sich der Betrüger in seinem Betrug und sehe zu, ob er sich achten könne! Es spiegele sich der Wollüstige in seinen Schandthaten, und sehe zu, ob er sich selber gefalle! Es spiegele sich der Lieblose in dem, was er aus Selbstsucht, Schadenfreude und Menschenfeindseligkeit an den Brüdern gethan hat, und sehe zu, ob seine Seele ihm in freundlicher Gestalt erscheine! Es spiegele sich der Geizige in seinen Schätzen, in dem blanken Metall, welches er unverdrossen und mühselig aufgehäuft hat, und sehe, ob seine Seele rein sey wie Silber und lauter wie Gold, oder kalt und gefühllos wie Silber und Gold. Das mag aber der Sünder nicht, er mag sich nicht sehen im Spiegel der Werke, und siehet er sich zufällig einmal, so geht er von Stund an davon und vergisset, wie er gestaltet war.
Der gute Christ dagegen mag es wohl, mag gern sich sehen im Spiegel der Werke. Er kennt die Vorzüge, mit welchen der Schöpfer die Menschen auszeichnete und hat sich frühe bemüht, mittelst ihrer, selber vorzüglich zu seyn. Er knüpfet alles ans Höchste, bringt es höher und strebt mit allem zum Höchsten. Den Rath Gottes findet er gegeben in seinem Verstande, und bemüht sich, denselben immer weiter zu entwickeln, am Rath Gottes, den die Bibel angiebt, - immer verständiger zu werden. Das Gesetz Gottes findet er geschrieben in seinem Gewissen, und übet sich, dasselbe immer mehr zu schärfen, am Gesetze Gottes, wie es in der Bibel verzeichnet steht, - immer gewissenhafter zu werden. Die Liebe Gottes findet er angedeutet in der Theilnahme seines Herzens an allem, was Menschenwohl und Weh betrifft, und sucht dieselbe stets inniger, reiner und umfassender zu machen, nach den hohen Beispielen, die uns die Bibel vorhält, - immer theilnehmender zu werden. Seine Seele hängt an dem Unsichtbaren, sein Geist sucht den Unendlichen. Gott ist ihm Alles, und Gott nachahmen ist seine hohe Laufbahn, Ihm ähnlich werden - sein glänzendes Ziel. Und ob er bescheiden seine Endlichkeit fühlt und bekennet, und ob er fast zweifelt, es möchte zu kühn seyn, Gott nachahmen wollen, so steht er doch nicht von seinem Entschlüsse ab. Es geht ihm voran Jesus Christus, es rufet ihm zu Jesus Christus: Mir nach! mir nach! Ihm nach ringet der Christ. Die Bahn ist steil und das Ziel ferne, aber sein Muth ist groß und seine Hoffnung lebendig. Er findet Feinde, die ihm in den Weg treten, aber durch Sanftmuth und Liebe weiß er sie zu gewinnen; sie ergreifen seine Hand und wandeln Einen Weg mit ihm. Es stellen sich Unglückliche an den Weg und rufen: Hilf uns! An ihnen wollte er gerade vorbey; er hilft so viel möglich und recht ist: die Thräne des Mangels, der Trauer, des Unrechts, der Kränkung sucht er abzutrocknen. Es laufen Kinder umher, deren Eltern gestorben sind, Kinder, die keinen Vater haben, obwohl ihr Vater nicht todt ist, Kinder solcher Leute, die wohl zeugen und gebahren aber nicht nähren und lehren: er möchte, wenn er könnte, ihrer aller Vater seyn, und thut so viel für sie, als in seinen Kräften steht. - So weiter, so weiter beschreibet euch selbst das Leben und die Thaten des Christen! zeichnet euch seinen Wandel! Vergesset nicht die Entbehrungen, die Aufopferungen, die Sorgen und Mühen des Christen. Rechnet alles hinzu: das Kleine wie das Große, das Leichte wie das Schwere, das vergebliche Streben wie die gelungenen Thaten, die ehrwürdigen Trümmer des einen, die erfreulichen Grundlagen des andern Werks. Und dann betrachtet den Christen, von seinen Thaten umgeben! Rings um ihn stehen sie als Denkmäler seines Fleißes, seiner Rechtschaffenheit und seiner Liebe. Unter ihnen wandelt er und mehret täglich ihre Zahl. Wollt ihr strenge seyn, und nicht erlauben, daß er sich ihrer freue, daß er mit Wohlgefallen sich erkenne in dem, was er gethan, daß er sich spiegele in seinen Werken? Wohl weiß er, wie Menschenwerk unvollkommen sey, wohl weiß er, wer sein Beystand gewesen, spricht mit David: Nicht uns, Herr, nicht uns! spricht mit Paulo: Nicht daß wir tüchtig sind von uns selber, - aber er weiß auch, was Gott nur forderte, aber er weiß auch, daß es Gott genug ist, wenn der Mensch sich helfen läßt: - warum wollt ihr nicht alle euch helfen lassen? - Mag der gute Christ sich spiegeln in seinen Thaten! und der schlechte sollte sich spiegeln.
Die Miene hat Bedeutung, das Wort gilt viel, die That noch mehr. Die Miene ist veränderlich, das Wort flüchtig, die That ausdrücklich und fest. Darum eignet sich auch die That zum Zeugen vor der Welt. In seinem Wandel stellt der Christ einen glaubwürdigen Zeugen vor der Welt auf.
Darf die Welt einen Zeugen von uns fordern? Ja, die Welt darf einen Zeugen fordern! Der du menschliches Antlitz trägst, die Menschheit darf einen Zeugen fordern, daß du das Menschliche in dir zugerichtet hast, daß du deinen Verstand geübt, dein Gewissen geschärft und die natürliche Theilnahme deines Herzens geleitet und erhöhet hast. So lange du es nicht bewiesen, beschwere dich nicht, daß man in Höflichkeit mißtrauisch gegen dich ist. Zeuget aber dein Wandel, daß du deinen Verstand ungeschickt anwendest, so lacht man über dich, - daß dein Gewissen stumpf ist, so verachtet man dich - daß in deinem Herzen keine Theilnahme wohnt, so wirst du verabscheut. Der du den Christennamen führst, die Christenheit darf einen Zeugen fordern, daß du den Christenglauben im Herzen und die christlichen Lebensregeln vor Augen hast. Wie könnte ein bloßes Wort und Bekenntniß den Seelenbund der Liebe und Einigkeit aufrecht erhalten! Zeuget dein Wandel von Unwissenheit, so stehet die Christenheit 1)ich als ein Kind an, welches noch lernen sollte, - zeuget dein Wandel von Unglauben und unchristlichem Sinn, so fliehet sie dich und mag nicht Gemeinschaft mit dir haben. Du hast Bürgerrecht in einem Lande, das Land macht gerade deinen Wandel zum Zeugen, und dein ganzes Bürgerglück beruht auf deines Wandels Zeugniß. Die thatenlosen Gedanken und Gesinnungen kommen nicht in Betracht; du giltst nach dem du thust. Zeuget dein Wandel von Schwachheit, so wirst du übersehen, - von Eigennutz, so wird dir nichts anvertraut, - von Widerspenstigkeit, so ist der Zwang da, - von Ungehorsam, so mußt du die Strafe des Gesetzes leiden. Der du ein Amt bekleidest, mit heiligen Versprechungen und Gelübden dasselbe übernommen hast, die Gesellschaft, in welcher du das Amt bekleidest, darf einen Zeugen fordern, daß du deines Versprechens eingedenk und deinen Gelübden treu bist. Hier hilft das Wort nicht, das oft und feyerlich wiederholte Wort nicht, die Thaten sollen reden, der Wandel soll für dich zeugen.
Und möchtest du nicht lieber, still und unbekümmert, den Wandel zeugen lassen, als in prahlender Rede dich hervorzuthun oder zu rechtfertigen suchen? Einen glaubwürdigen Zeugen brauchst du vor der Menschheit, denn es kann dir, bey deiner Menschenwürde, nicht gleichgültig sehn, ob man dich anerkennt oder nicht, darum handle menschlich, und du hast deine Gestalt vertheidigt, deine Würde festgesetzt. Einen glaubwürdigen Zeugen brauchst du vor der Christenheit, denn du kannst es, bey dem Glücke ein Christ zu seyn, nicht gering achten, ob man dich für einen Bruder ansieht oder nicht, darum handle christlich und stelle den Glauben in die unwiderlegliche That, dann wird Jeder dir Herz und Liebe geben. Einen glaubwürdigen Zeugen brauchst du vor dem Vaterlande, denn du kannst es, bey deiner Ehre, nicht zugeben, daß öffentliches Mißtrauen und öffentliche Zwangsmittel dich treffen, darum handle rechtlich, handle rechtlich mit Schaden, wenns seyn soll, dann wird Jeder dir Hand und Vertrauen anbieten. Einen glaubwürdigen Zeugen brauchst du vor denen, unter welchen du ein Amt bekleidest, oder man wird dich einen Lohnknecht schelten. Daß du deine Obliegenheiten erfüllest, dazu kann man dich allenfalls anhalten, aber daß du sie nach Möglichster Einsicht, auf die angemessenste Weise, aus allen Kräften erfüllest, - möchtest du davon nicht deinen Untergebenen und Aufseher gewiß machen und vor den Augen der Welt selber als ein Mann erscheinen, der im Amt und strengen Dienst sich seine Freyheit zu erhalten weiß? Laß dein Verhalten für dich reden! laß deinen Wandel Zeuge seyn!
Jede That stehet als Beyspiel da, der Wandel ist ein deutliches Exempel für den Nächsten. Damit soll euch kein neues Gebot gegeben, sondern nur das alte Gebot eingeschärft werden: „Es thue jeder seine Pflicht allzeit.“ Da wird nichts Besonderes, nichts Ueberpfllchtiges gemeint, welches übel wäre. Doch giebt es gewisse Leute von Ansehen, welche sichs beykommen lassen, gewisse Handlungen, die sie sonst nicht thäten, des Beyspiels wegen zu thun oder um keinen Anstoß zu geben, und als Beyspiele Andern vor Augen zu bringen. Das sind Vorschriften der Mode, nicht der Sittenlehre. Damit ich Eine solche Handlung nenne: Wer es nicht für seine Pflicht hält, die Kirche zu besuchen, darum, weil ihm daselbst der vollkommene Mann beschrieben wird, weil er daselbst auf die Mängel und Flecken seines Herzens aufmerksam gemacht wird, weil er daselbst wieder Kraft schöpfen kann in den Kämpfen der Pflicht, und Trost in den Leiden des Lebens; wer nicht herkommt, damit seine Seele sich einmal wieder losmache von Erdesorgen und Erdegedanken, damit sein Geist an der Friedensstätte der Gläubigen sich leichter aufschwinge, über die Alltagswelt und ihre Unruhe, in die Gefilde des Glaubens und Friedens: wer nicht in dieser Absicht kommt, sondern, damit er dem, wie er glaubt, schwächern Bruder, dem, wie er glaubt, bedürftigern Christen ein Beyspiel gebe - der bleibe lieber weg, denn daß er als Heuchler da steht. Zwar ist Raum da für ihn, aber der Schaffner muß ihn hinausweisen, weil er klein hochzeitliches Kleid an hat. Er bleibe an den Straßen! er gehe hin, seinen neuen Acker zu besehen! Besser, als daß er im Gotteshause Aefferey treibet; - Wahrlich, ein schrecklicher Gedanke, wenn sein Beyspiel auf andere wirkte, und Jeder um des Andern willen die Kirche besuchte: was wäre die Kirche dann für ein Haus! Und so vornehm-menschenfreundlich wird der Mensch leicht, wenn er Exempel vor Augen hat.
Es thue jeder seine Pflicht allezeit, so hat er zugleich das beste Beyspiel gegeben, so laßt uns die Sache ansehen. Fühlt sich jemand schwach, eine gewisse Obliegenheit zu erfüllen; fürchtet jemand, er möchte seine sündhafte Neigung nicht unterdrücken, seine böse Gewohnheit nicht ablegen können: er bedenke alles und bedenke auch das, daß seine Handlung ein Beyspiel ist, und erzittre vor dem Gedanken, wie unabsehbar, wie unabwendbar die That, einmal gethan, sich fortwälzt und alles Unverwahrte, alles Schwankende mitnimmt. Mehr als die Lehre, mehr als Ermahnung, mehr als die eigene Ueberzeugung wirket das lebendige Exempel auf Alte und Junge. Auf Junge: Ihr Eltern in der Versammlung, laßt euch noch ein wohlgemeintes Wort insbesondere sagen. Bedenket, bedenket, daß euer Wandel ein Beyspiel ist für eure Kinder. Ihr seyd die Vorbilder derselben, auf euch sehen sie, euch folgen sie: Vor ihnen, vor ihnen lasset euer Licht leuchten. Von euch sollen sie lernen, das Laster fliehn, rechtschaffen seyn, Gott und Menschen lieben. Die Liebe steht nicht in Worten, sondern in der Erweisung. Wenn ihr keine Liebe habt, wie sollen die Kinder lernen, was Liebe sey, Liebe zu Gott und Menschen! Wenn ihr kein Vertrauen beweiset, sondern immer klagt und murrt und zweifelt, wie sollen Eure Kinder vertrauen lernen, dem Gott festiglich vertrauen lernen, der die Schicksale lenkt! Wenn ihr keine Dankbarkeit hegt gegen den Geber aller guten Gaben, wenn ihr von Gott schweigt, wie sollen eure Kinder von Gott reden lernen, ihm danken lernen! Und wenn ihr euren Mund zur Lüg' und Lästerung aufthut, wenn ihr euren Arm dräuend erhebt wider den Unschuldigen, wenn Ehrgeiz und Geldgeiz eure Schritte lenken; wenn ihr das Vergnügen über die Pflicht schätzt und lieber die Lust stillet als euer Gewissen hört,- weß ist die Schuld und Verantwortung, daß Seelen verloren gehen, daß die Geweihten der Tugend, die freyen Kinder Gottes, Sclaven der Sünde werden und in die Abgründe des Lasters sinken? - Wer sich schuldig weiß, der bebe! und besser, er bebe jetzt als später, zu spät. Und ein solches Beben, in Wirkung daß die Hügel in die Thäler fallen, ist zugleich ein Bahnen des Wegs, da Christus der Herr herkommt. Der Herr ist nah, nach wenigen Tagen haben wir Weihnachten.