Härter, Franz Heinrich - Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes

Römer 8,21
Auch die Kreatur wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens, zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Vorgeschriebener Text: Johannes 8, 30-36.

Teure Gemeinde des Herrn, es ist eine Gnade Gottes, dass wir uns heute nochmals hier an dieser heiligen Stätte versammeln dürfen; wir schauen mit Beben auf das Ereignis zurück, welches das Studien-Stift St. Wilhelm und unser protestantisches Gymnasium getroffen hat, beides Anstalten, die schon über drei Jahrhunderte lang unserer evangelischen Bevölkerung angehören, und an welche sich ernste, ehrwürdige Erinnerungen des Glaubens unserer Väter anknüpfen; sie liegen in Schutt und Asche, und wo sie vorgestern noch standen, sind nun öde Brandstätten, auf denen der Blick trauernd ruht.

Die meisten männlichen Glieder unserer Gemeinde haben in der Schule des Gymnasiums ihre Jugendbildung erhalten; sie ist daher unseren Herzen teuer wie eine Mutter dem Kind, auch wenn dasselbe ihrer Pflege schon entwachsen ist. Am Freitag Morgen ahnte man noch nichts davon, und in wenigen Stunden des Nachmittags war Alles von den Flammen ergriffen und sank während der Nacht in dampfende Trümmer zusammen. Der Brandgeruch, der wie ein Leichenodem diese Räume erfüllt, die ungewohnte Unordnung vor unseren Blicken verkünden es, wie das Irdische so nichtig, hinfällig, schauerlich vergänglich ist, und wie wir immerwährend auf lauter Gräbern wandeln, vom Tod rings umgeben.

Ein Wunder der Erbarmung Gottes ist es, dass die furchtbaren Flammen nicht das Gebälk dieses Hauses erreichten, sonst wäre die sich über uns wölbende Decke gewiss eingebrochen und der Ort, da wir jetzt vereinigt sind, in eine Wüste verwandelt worden; zugleich wäre unfehlbar der unersetzbare Schatz der Büchersammlung in der Nähe ein Raub der Flamme geworden! Ja, Gottes treue Hand hat gnadenreich über der Kirche gewaltet. Mit tiefer Rührung vernahmen wirs heute, wie der vertraute Ton unserer Glocke uns wieder zusammenrief, und die bekannten, lieblichen Orgelklänge uns aufs Neue im Heiligtume wehmütig-feierlich begrüßten. Da fühlten wir etwas von dem, was in der Seele des Propheten Jeremias vorgeben musste, als er über dem Schutt Jerusalems anbetend ausrief: „Die Güte des Herrn ists, dass wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende; sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß!“1)

Doch bei allen Ereignissen, welche der Lenker unserer Schicksale in unseren Lebensweg flicht, hat er auch eine ernste Absicht zur Belehrung unserer Seelen; an dem heutigen Tag ist daher unsere Hauptaufgabe zu fragen: „Was hat der Herr durch dieses so erschütternde Ereignis uns lehren wollen?“

Nicht bloß die Eitelkeit aller irdischen Dinge; denn das lehrt Er uns alle Tage und immerwährend. Eine so außerordentliche Begebenheit, welche unsere Kirche und unsere Hochschule betraf, muss wohl eine außerordentliche Bedeutung haben.

Indessen vor allen Dingen will er gewiss uns auch trösten in unserem Weh; es ist als riefe mir der heilige Geist ins Herz hinein: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott!“2)

Doch das Volk Gottes will keinen anderen Trost als den, welcher in der ewigen Wahrheit gegründet ist; es ist der Trost, von dem wir so eben gesungen haben: „Nichts vermag mein Herz zu trösten, als der Glaube der Erlösten!“ Wohl der Seele in unserer Mitte, die daran fortfahren, und sagen und singen kann: „Lob und Preis und Dank sei dir! dieser Glaube lebt in mir!“

Lebt er in uns? - Das ist es eben, was wir uns fragen müssen; denn wenn die tröstende Wahrheit unser Herz erfüllen soll, muss der lebendige Glauben in unserm Inneren wohnen, sonst gibt es keinen haltbaren Trost.

Das auf den heutigen Sonntag vorgeschriebene Evangelium veranlasst uns nun dieses zu untersuchen und unseren Glauben zu prüfen, ob er uns ein Trostesborn sein kann in aller Erdennot. Es heißt ja gleich im Anfang (V. 31): Jesus sprach „zu den Juden, die an ihn glaubten“, das heißt, die Ihn als den Zeugen der Wahrheit erkannten, der im Namen des Vaters zu ihnen redete.

Und was sagt er ihnen? „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (V. 31 u. 32).

Da äußerten sich Mehrere unter denen, die zuhörten (jedenfalls mögen es nicht echte Gläubige gewesen sein, die also sprachen): „Wir sind Abrahams Samen, sind nie keinmal jemandes Knechte gewesen; wie sprichst du denn: Ihr sollt frei werden?“

Das sagten die Verblendeten törichter Weise, ihre Stellung verkennend, in der sie sich befanden: denn die Juden waren grade damals in jämmerlicher Knechtschaft; in der Knechtschaft der Römer, die über sie ihre eiserne Hand ausgereckt hielten; in der Knechtschaft der Herodianer, die den Thron an sich gerissen, ob sie gleich gar nicht zu Israel gehörten, sondern von dem feindlichen Geschlecht der Idumäer abstammten; und dabei waren sie noch Knechte und Sklaven in gar manchem anderen Sinn; sie erkannten es aber nicht, sondern mit hochmütigem, eingebildetem Wesen behaupteten sie, keiner Befreiung zu bedürfen, weil sie keine Knechte meinten zu sein.

Diesen antwortete der Herr mit erschütternden, eingreifenden Worten: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch; Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.“ (Merken wir hierbei, dass Knecht und Sklave dasselbe Wort ist, denn Knecht bedeutet Leibeigener).

„Der Knecht aber bleibt nicht ewiglich im Haus; der Sohn bleibt ewiglich“ (V. 34 u. 35).

Von welchem Haus ist hier die Rede? Das Haus ist Gottes Gemeine auf Erden; Knechte der Sünde können zwar vorderhand im Haus sich befinden, auch gewissermaßen das Recht der Hausgenossen an sich reißen, und sich für Kinder Abrahams halten lassen. Allein den Knechten der Sünde ist das Recht in diesem Haus zu bleiben nicht gesichert, sondern es kommt die Zeit, wo sie hinausgeworfen werden, und wo das Reich Gottes von Ihnen genommen wird.

So verlor Israel das herrliche Recht, welches im alten Bund ihm verheißen gewesen, durch seine Schuld, weil es die Erlösung nicht annahm, die ihm so freundlich angeboten ward. Die Heiden hingegen, welche Ohr und Herz dem Gnadenruf aufschlossen, und Früchte der Buße und des Glaubens brachten, traten an Israels Stelle, wurden Gottes Hausgenossen und Miterben Christi, denn Ihnen galt das hochbedeutsame Wort: „So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei“ (V. 36). Daraus folgt, dass wen der Sohn nicht frei macht, der ist unfrei, und bei allem Scheinwesen von Unabhängigkeit und Ungebundenheit ist und bleibt der Nicht-Erlöste ein elender Sklave.

Der Herr redete mit denen, die an Ihn glaubten; nur diesen konnte er sagen und verständlich machen, worin die wahre Befreiung besteht, und das ist es gerade, was auch wir heute brauchen, denn wir sehen, wie nichts außer Christo uns trösten kann, wir sehen wie unsere Welt und Alles was sie hat, dem Tod, dem Untergang geweiht ist, wir sehen wie Kraft, Vermögen, Macht und Weisheit uns davon nicht zu retten im Stande sind. Die Hilfe ist uns jedoch angeboten, sobald der Glaube in unseren Herzen lebt, und so wollen wir denn heute zu unserm Trost davon sprechen:

Wie der Glaube an Jesum Christum uns wahrhaft frei macht, indem er uns:

Zu Gottes Kindern umwandelt, und
Als solchen uns die herrliche Freiheit gewährt.

Großer Befreier, versiegle selbst dein Wort in unseren Seelen durch deinen heiligen Geist! Amen.

Der Glaube an Jesum Christum macht und erst recht frei, denn er wandelt uns um zu Gottes Kindern. Diese einfache Lehre ist in der heiligen Schrift ausdrücklich mit klaren Worten festgestellt. Wir lesen im Evangelium Johannes, gleich im ersten Kapitel, dass in der Welt zwar Viele ihn nicht aufnahmen; wie Viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht Gottes Kinder zu werden3). Er selbst, der Sohn Gottes, gibt denen, die an seinen Namen glauben, Macht, das heißt: das große Recht, Kinder Gottes zu heißen; und Paulus, in seinem gewaltigen Brief an die Galater, sagt ausdrücklich: Ihr seid Alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum4). Ich beschränke mich auf diese zwei Aussprüche, die so klar und unumwunden dastehen, dass es nicht nötig ist noch andere Stellen anzuführen, die sich in Menge barbieten würden.

Durch den Glauben werden wir zu Gottes Kindern; also wenn wir erst zu Gottes Kindern werden müssen, so sind wir nicht Gottes Kinder von Natur; das ist der erste Gedanke, der uns folgerichtig entgegentritt. Nein, von Natur sind wir nicht Gottes Kinder, sondern Kinder dieser Welt; und so lange der Mensch unter dem Unglauben steht, oder unter dem Nichtglauben, so gehört er nur dieser Welt an und ist auch, ich sage es mit einem biblischen Wort, „ein Kind des Zornes von Natur“5).

Es steht ausdrücklich im dritten Kapitel Johannes: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer dem Sohn Gottes nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“6) Mag nun Einer dagegen sagen was er will: „Gott zürnt nicht, Gott ist die Liebe“ und dergleichen! - Meinst du? - O, sein Zorn ist furchtbar! - Freilich, Gott ist die Liebe, das weiß ich eben so gut wie du, aber wo kein Zorn möglich ist, da ist auch keine wahre Liebe vorhanden, das wäre eine Eli's-Liebe, die schweigt, und das Böse gut heißt.

Der Zorn Gottes spricht zu uns in seinen Gerichten; wenn einer diese Sprache nicht versteht, wird er unter den Gerichten verloren gehen. Wer aber auf die Gerichte Gottes merkt und Buße tut, dem kann geholfen werden. Alle, die an den Sohn Gottes glauben, merken auf die Gerichte Gottes, schauen auf die Zeichen der Zeit und hören auf die Mahnung aus seinem heiligen Mund: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet!“7) Euer williger Geist ist mit schwachem Fleisch umgeben; seht zu, dass euch Niemand verführe, und euch den Glauben raube; denn wenn ihr den Glauben verliert, dann habt ihr Ales verloren!

Der Glaube aber ist ein herzliches Zutrauen, gegründet auf Gottes Wort, zugleich sich festhaltend an das, was unsichtbar und ewig ist,8) das Kind der Welt, im Nichtglauben oder im Unglauben, hält sich nie an das Unsichtbare, sondern an das Sichtbare, was zeitlich ist; daher sind alle Ungläubigen unter der Macht der Erdennatur gefangen; sie vergöttern dieselbe, tragen ihre philosophischen Ansichten in die Naturerscheinungen hinein; behaupten, das geschaffene Naturleben sei das ewige Gottesleben, und widersprechen also ausdrücklich der heiligen Schrift, wollen nichts von den Gerichten wissen, welche der ganzen Welt der Sichtbarkeit angekündigt sind; glauben dem nicht, was die heilige Schrift von den früheren Zeiten berichtet; ja, die ganze Geschichte des Volkes Gottes und seine prophetischen Bücher sind ihnen Wahn und Fabel; ihre höchste Weisheit geht darauf hinaus, abzuleugnen was allein der Grund unserer Seligkeit ist.

Nun Geliebte, wie steht es mit uns? - Hat man auch uns den Glauben an die göttliche Wahrheit geraubt? Hat man auch uns das Zutrauen zu der Rede Christi genommen? Auch uns den höllischen Verdacht ins Herz geschoben, ob es wohl wahr sei, was geschrieben steht; ob Jesus Christus wirklich der Sohn Gottes sei, oder nur ein ausgezeichneter Lehrer, oder gar nur ein Ideal, das nie persönlich existierte?

Wenn solches in deinem Herzen vorgeht, armer Mensch, dann wehe dir, denn da hast du den Glauben der Erlösten nicht, hast den göttlichen Trost nicht; du bleibst auf die Natur beschränkt, siehst darin wohl zuerst die glänzenden Erscheinungen der Außenwelt, aber hinter denselben hervor tönt schauerlich die Todespredigt: „Es ist alles eitel, es ist alles ganz eitel!“9)

Siehe, das ist es nun, was dir auch die ausgebrannten Giebelwände predigen; aus den Gräbern des Untergang erschallt an uns der Mahnruf: „Alles ist dem Gesetz des Todes unterworfen!“ Du kannst dich an nichts halten, wenn du nur das Irdische, Sichtbare hast. Hast du hingegen das ewige Wort Gottes, dann wohl dir; wenn du dich im Glauben daran hältst, so wirst du aus dem Naturreich in das Gnadenreich übergehen, und dein Verhältnis zur ganzen Welt wird bald ein ganz Anderes sein; denn der Glaube kann mitten unter den zerstörenden Naturgewalten getrost und freudig bleiben.

Denkt euch Einen, der auf der Asche seiner irdischen Habe steht, und Alles zertrümmert zu seinen Füßen liegen sieht, was er auf Erden besaß; hat er den Glauben an Jesum Christum im Herzen, so kann er von da nach oben blickend rufen: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch Gott allezeit meines Herzens Trost und mein Teil10), dass nicht von mir genommen werden mag.“

Oder wenn Einer auf stürmischem Meer sich befindet; sein Schiff wird von den brausenden Wellen hin und her gepeitscht; er kann nicht einmal mehr eine menschliche Stimme hören; da vernimmt er tief innerlich die Stimme des göttlichen Trostes: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit!“11) Und wenn dann das künstliche Brettergebäude unter seinen Füßen versinkt, und er den Abgrund der Fluten vor Augen sieht, so schreckt ihn kein Tod, sondern er hat die freudige Gewissheit, dass ein kurzer Schmerz ihn dort hinführt, wo ewige Wonne seine Seele erfüllen wird; wo Alles ihm geschenkt wird, was er unvergänglich besitzt, jetzt schon im Glauben, dort im Schauen gewiss.

Das sind die Kinder Gottes, sie gehören nicht mehr dem Naturreich an, und werden darum, mitten unter den Stürmer und Trümmern des Naturreichs, wunderbar von der Gnade Gottes getröstet, denn ihr Friede ist ein Solcher, der nicht auf irdischem Gut und Besitz beruht, sondern es ist ein „Friede, über alle Vernunft, der ihre Herzen und Sinne bewahrt in Christo Jesu.“12)

Solche Gottes Kinder sind also nicht mehr von dieser Kreatur; sie sind neugeboren, sie gehören dem Gnadenreich an, und haben bereits in ihrem Inneren eine felsenfeste Gewissheit, die sie von aller Todesfurcht freimacht, durch die Befreiung von der Sünde. Darin liegt das eigentliche Geheimnis.

Was ist es, das den Menschen zum elenden Sklaven macht? Es ist die Gebundenheit an die Sünde: die Sünde aber ist nicht bloß etwas, das man äußerlich gegen Gottes Gebote tut, sondern die Sünde ist des Herzens Zustand in der Gottentfremdung.

Die eigentliche Sünde ist der verborgene Herzensunglaube, die Verneinung dessen, was die ewige Wahrheit redet. Diese Sünde des Herzens geht so weit, dass sie nicht nur das ableugnet, was geschrieben steht, sondern dass sie sogar die Sünde selbst leugnet und frech und frevelhaft genug ist vor Gott hinzutreten und zu behaupten: „Weil du mich geschaffen hast, so musst du mich auch erhalten; es wäre Unrecht von dir, du Schöpfer, wenn du mich wolltest verwerfen, weil ich nicht Alles getan, was du mir gebietest; ich kann ja deine Gebote nicht halten, und du kannst nicht das Unmögliche von mir begehren; darum will ich mit dir rechten, und gegen dich Recht behalten!“

Das sagt der Unglaube, und ist in seiner Anmaßung sondergleichen übermütig gegen den heiligen Gott; denkt nicht daran, dass er ihm Dank schuldig ist, dass er ihm Gehorsam schuldig ist, dass er ihm Liebe schuldig ist, sondern er meint, Gott sei ihm Alles schuldig aus dem einfachen Grund, weil er ihn geschaffen habe. Wie wenn und zu schaffen eine Art von Verbindlichkeit wäre, die allein auf Gott läge, und wir von unserer Seite nichts zu tun hätten, als Gott seine Pflicht vorzuhalten, und im Übrigen treiben könnten, was wir wollen. So weit geht der Unsinn des Unglaubens.

Alle, die von der Gotteskindschaft durch den Glauben nichts wissen wollen, sondern Geschöpf und Kind verwechseln, meinen geradezu, sie hätten das volle Recht mit ihrem Schöpfer zu hadern, den sie zwar hochmütig ihren Vater nennen, dessen gehorsame Kinder sie aber nicht sein wollen, von dem sie sich nicht wollen erziehen lassen; und wenn sie auch nicht gerade Diebe, Mörder und andere Verbrecher sind, welche das weltliche Gericht straft, so sind sie doch immer in einer fortwährenden Feindschaft wider Gott; denn wenn Gott „Ja“ sagt, so sagen sie „Nein,“ wenn Gott sagt „Du sollst nicht,“ so sagen sie „Ich will aber doch!“

Das ist der furchtbare Zustand der gefallenen Schöpfung; ich sage es mit Nachdruck: Unsere Erdenwelt ist eine gefallene Schöpfung! Du magst es leugnen wie du willst, die Tatsache spricht, und gibt uns das Recht zu erklären, dass nur diejenigen, die an den Sohn glauben, wahrhafte Kinder Gottes geworden sind; sie sind aus der Empörung gegen Gott herausgetreten, sie haben Buße über ihre Sünden getan, haben im Glauben Vergebung gesucht und gefunden, der Geist der Gnade hat ihnen im Namen Jesu Christi die Versicherung gegeben: Du bist Gottes Kind, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; und weil du dem Ruf gefolgt hast, so bist du mein; und bleibst du im Glauben, so bleibst du mein in Ewigkeit. Dir ist dort ein Vaterhaus bereitet; darum sei getrost, fürchte dich nicht vor denen, die den Leib töten; fürchte dich aber vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle.13) Da gilt es nun die Worte Christi zu Herzen zu nehmen und unsere Seligkeit schaffen mit Furcht und Zittern.14) Gleite nicht darüber hinaus mit Scherz und Leichtfertigkeit, sondern bedenke, dass wenn wir nicht im Gnadenreich bleiben, hingegen in das Naturreich zurückfallen, so fallen wir aus der Liebe in den Zorn Gottes, und das Ärgste, was Gott uns in seinem Zorn sagen könnte, wäre, wenn er uns nichts mehr sagte, als: „Geh'!“

Teure Glieder unserer Gemeine, erlaubt mir zu denken, dass Alle, die wir hier versammelt sind, der heiligen Schrift als dem Wort Gottes, von Herzen glauben, und hört dann, worin unsere herrliche Freiheit besteht, die den Kindern Gottes zugesichert wird im Wort der Wahrheit.

Wir haben als Gottes Kinder den freien Zutritt zum ewigen Vaterhaus, und den freien Besitz der ewigen Güter der Heimat als volles unverlierbares Recht.

Christus spricht: „Ein Knecht bleibt nicht ewiglich im Hause“, wenn du noch ein Knecht der Sünde bist, so bist du dadurch ein Sklave des Todes; du stehst hienieden unter den Naturgewalten und bleibst auch nicht im Hause. Jetzt zwar wird dir die Kirche Christi dargeboten als Gottes Haus; du kannst kommen, wenn du willst und die herzliche Bitte vernehmen: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“15) Aber gib Acht, dass du den Ruf Gottes nicht versäumst: „Heute wo du seine Stimme hörst, verschließe dein Herz nicht.“16)

Der Geist Gottes möchte beständig mit denen reden, die noch auf Erden in seinem Hause sind; aber die Knechte voll inneren Misstrauens wollen nicht hören; sie wollen sich emanzipieren, sie wollen den Sohn nicht anerkennen, und machen es wie jene bösen Weingärtner, welche unter sich sprachen: Das ist der Sohn, lasst uns ihn töten und das Erbe an uns bringen.17)

Doch während sie frevelhaft den Sohn hinausstoßen aus seinem Weinberg, kommt unausbleiblich das Gericht Gottes über sie; denn der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein geworden, und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen, auf welchen er aber fällt, den wird er zermalmen.18)

Wehe dem, der sich wider den Herrn des Hauses empört! Der Herr des Hauses ist kein anderer als der Sohn, dem der Vater alle Gewalt im Himmel und auf Erden19) und auch das Gericht20) gegeben hat; nun kommt die Zeit, wo Einer nach dem Anderen von diesen Knechten, die sich dem Herrn widersetzten, vor seinem Richterstuhl erscheint, und wo Er demselben sagen muss: „Ich habe dich noch nie erkannt, weiche von mir du Übeltäter!“21) Dann wird der Knecht hinausgestoßen, und hat keinen Teil an der bleibenden Statt im Vaterhaus.

Ganz anders die, welche an den Sohn glauben; sie haben durch ihr Kindesrecht auch das himmlische Bürgerrecht, als Gottes Hausgenossen. Dazu kommt dann von selbst der Anteil am ewigen Erbe des Sohnes; wie Paulus feierlich erklärt: Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.22) Dieses mit leiden heißt aber nichts anderes als: mit Ihm unter dem Kreuze reifen für die künftige Herrlichkeit.

Darum wundert euch nicht, teure Seelen, dass ihr durch mancherlei Leiden geführt werdet; wir müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen.23) Doch dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden.24) Beuget euch gläubig darunter; verleugnet euch selbst, nehmt euer Kreuz auf euch täglich, und folgt euerm Heiland nach;25) so wird Alles zum guten Ende gehen.

Ihr seid ja Kinder Gottes; wenn ihr müde werdet und zusammensinken wollt unter des Tages Last und Hitze, so bewegt in Euch den Himmelsgedanken: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes.“26)

Es geht zur ewigen Ruhe des seligen Bleibens in Gottes Haus, Ahnungen davon habt ihr schon im Vorsaal des stillen Wartens; dort in den Wohnungen der Freuden, die der Herr euch bereitet, wird Alles erfüllt; hier seid ihr noch leidend, dort aber herrschend; hier kämpfend, dort triumphierend.

Im Haus Gottes, das ist hier im Gnadenreich auf Erden, sind die edelsten herrlichsten Güter euch bereits zugesichert; ihr habt die Gewissheit, dass ihr in Gott das bleibende Gut besitzt; Gott ist ja selbst das Gut aller Güter, das allein unser Herz völlig befriedigen kann; habt ihr Gott in Christo gefunden, so habt ihr auch die Erfahrung gemacht, wie wahr Er spricht, wenn er sagt: Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen.27)

Er gibt uns Frieden und Freude; einen Frieden, den keine Erdennot mehr zerstören kann; eine Freude, die das Herz in seliger Gemeinschaft mit Ihm wunderbar erquickt, unter allen Prüfungen des Erdenlebens.

Dazu kommt dann zugleich die Freiheit der Kinder Gottes; wir sind nicht mehr gebunden an das Gesetz dieser Welt des Todes, der in der Sünde waltet, sondern gehen als freie Kinder Gottes fröhlich den schmalen Kreuzespfad himmelan der Heimat zu.

Auch auf die Kreatur, die arme seufzende Kreatur blicken wir mit getrostem Sinn, denn wir wissen, dass auch sie zu dieser Freiheit erwachen soll am Ende der Tage, wenn die Kinder Gottes offenbar werden28). Wir aber brauchen nicht auf jenes Ende zu warten; jetzt schon ist uns Alles im Sohn gegeben, ewiges Leben durch die Geburt von oben, Licht das Alles verklärt, Liebe die unser Herz mit wunderbarer Wonne erfüllt; ja wir haben in Christo Jesu Licht, Liebe und Leben und noch dazu den freien Zutritt zum Gnadenthron im kindlichen Gebet. Wie haben unsere Heimat, unser Erbe, unser Teil dort oben; was wollen wir mehr?

Wer das hat, könnte der noch klagen? Nein! wahrlich nein! Und diese Güter kann uns Niemand rauben; auch der Tod kann sie nicht antasten; im Gegenteil, wann er kommt, so führt er uns aus dieser armen Zeit dorthin, wo wir unser Erbe erst völlig genießen werden, und Den schauen dürfen, der uns zuerst geliebt, und in dessen Umgang wir Alles haben, was unser Herz wünscht.

Das ist es was Paulus lehrte, als er der Gemeinde zu Korinth schrieb: Alles ist euer. Wenn ihr wahre Christen, gläubige Kinder Gottes seid, dann ist Alles euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.29) Eine unauflösbare Gemeinschaft knüpft uns an das höchste Gut.

Alles ist unser! Mit diesem Wort scheiden wir von dem, was im Schutt und in der Asche liegt. Mag das Irdische untergehen und das Grab unter unseren Füßen sich öffnen; die befreite Seele schaut gläubig gen Himmel empor, und ruft: „Alles ist mein; denn du, Jesus Christus, bist mein, und ich bin ewig dein! Halleluja! - Amen!“

1)
Klagelieder 3,22-23
2)
Jes. 40,1
3)
Joh. 1,11-12
4)
Gal. 3,26
5)
Eph. 2,3
6)
Joh. 3,36
7)
Mat. 26,41
8)
Heb. 11,1
9)
Pred. 1,2
10)
Ps. 73,25-26
11)
Jes. 41,10
12)
Phil. 4,7
13)
Luk. 12,5
14)
Phil. 2,12
15)
2. Kor. 5,20
16)
Ps. 95,7
17)
Mat. 21,38
18)
Mat. 21,42.44
19)
Mat. 28,18
20)
Joh. 5,22
21)
Mat. 7,23
22)
Röm. 8,17
23)
Apg. 14,22
24)
Röm. 8,18
25)
Luk. 9,23
26)
Heb. 4,9
27)
Joh. 10,11
28)
Röm. 8,19
29)
1. Kor. 3,22-23