Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 2. Weihnachtstage.

Evang. Lucä 2, 15 - 20

Die Hirten bei der Krippe.

Die Ankunft, die Geburt des Messias war verkündigt, so feierlich, schön und herrlich wie möglich. So etwas war seit Jahrtausenden nie erhört auf Erden, obwohl Könige und Propheten es sehnlich verlangten, und Tag und Nacht ganz Israel darauf wartete. Die armen Hirten von Bethlehem waren die Auserwähltesten, die Glücklichen, die diese Botschaft hörten. Und was thaten nun die Hirten? Da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Leute, die Hirten unter einander: Lasset uns nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, und die uns der Herr kund gethan hat. Sie blieben nicht bei den Engeln stehen, sahen ihnen gar nicht nach, da sie wieder auffuhren, so schön sie gesungen, so himmlisch schön sie ausgesehen hatten. Die Botschaft: Der Heiland ist geboren, zog sie mehr an, erfüllte sie ganz und gar; der Entschluß ist gleich gefaßt: Laßt uns gehen und sehen, was geschehn ist, was der Herr uns kund gethan hat. Sie waren auf der Stelle ohne Bedenken gehorsam der himmlischen Erscheinung. Sie glaubten, ohne zu grübeln und zu vernünfteln. Darum gehorchten sie ohne Entschuldigung, in der Nacht. So nicht Jerusalem, wo es Gott durch die Weisen aus Morgenland verkündigen ließ; dort blieb Alles sitzen, obwohl sie es in der Bibel erst suchten und auch fanden, aber kein Mensch hob einen Fuß, nach Bethlehem zu gehen. Frage nicht, warum Gott nicht auch Jerusalem seinen Engel gesandt und dort zuerst die Geburt seines Sohnes verkündigen ließ. Gott wußte wohl, wo, und wem Er eine Freude damit machen, wer kommen und das Kindlein suchen würde. So ist es noch. Gott offenbart seinen Sohn denen, die Ihn gern aufnehmen, und verbirgt Ihn denen, die Ihn doch nicht in ihr Herz lassen, wenn Er ihnen denselben in die Arme legte. Darum, wenn Er Ihn dir offenbart, so besprich dich nicht mit Fleisch und Blut, fahr zu, wie die Hirten, wie Paulus; glaube, und halte Ihn mit ganzem Herzen.

Und sie kamen eilend und fanden Beide, Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Wie werden sie gelaufen seyn, wie sich gefreut haben, als sie das Kindlein sahen! wie werden sie es bald angebetet, bald geliebkoset und an's Herz gedrückt haben! Wer möchte nicht an ihrer Stelle gewesen seyn! - aber wir können es ja auch finden, herzen, haben. Er ist ja bei uns alle Tage, Er wohnt ja in unsern Herzen. Er läßt uns ja nicht Waisen. Er ist ja in uns und wir in Ihm - ist nicht fern von einem Jeden unter uns, in Ihm leben, weben und sind wir. Möchten wir Ihn nur eben so fleißig suchen, wie oft würden wir Ihn fühlen und finden, uns freuen und selig seyn! - Wir müssen nicht mehr nach Bethlehem eilen. Man hat Ihn, wo man um Ihn weint.

Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Diese Freude konnten sie allein nicht ertragen; sie war zu groß. Weß das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Sie waren voll von dem Kindlein - der Heiland war ihnen gleich Alles geworden. Sie hatten Ihn kaum gesehen, so brannten sie von Liebe gegen Ihn, und konnten nicht mehr schweigen; wen sie sahen, der mußte es hören, was sie gesehen und gehört hatten von diesem Kindlein. Das Kindlein kam nämlich gleich in ihre Herzen hinein; es wurde gleich in ihnen geboren, ihr Heiland; Friede und Freude erfüllte sie. Aeußerlich sahen sie ja nichts als Armuth und Mangel, das Göttliche, Himmlische war Ihm nicht so anzusehen, und stand Ihm nicht an der Stirn geschrieben. Aber es offenbarte sich ihnen inwendig, wie den Jüngern nach Emmaus, die Ihn äußerlich auch nicht kannten, aber die Flamme im Herzen offenbarte Ihn. Die guten Hirten haben etwas weggetragen von der Krippe, das nicht auszusprechen war. Und das hätten sie gern allen Menschen gegönnt, darum redeten sie mit Allen davon, wo sie glaubten, daß man es auch gern hören und annehmen würde.

Und Alle, die es hörten, wunderten sich dessen, was ihnen von den Hirten erzählt ward. Das müssen wohl lauter einfältige Leute gewesen seyn - denn die Andern hätten es nicht geglaubt und sich nicht gefreut, und die Hirten haben es gewiß auch nur ihres Gleichen erzählt. Der Heiland hat ja selbst nachher dem Vater gedankt, daß Er es den Unmündigen offenbart und den Klugen verborgen habe. Wer auf sich selbst vertraut, auf die Welt seine Hoffnung setzt, kann ja an einem so armen Kinde keine Freude haben. Und wer weiter nichts glaubt, als was er sieht, kann solchen einfältigen und wunderbaren Erzählungen ja gar nicht glauben. Das ist der Vernunft Thorheit oder Aergerniß, daß Gott der Welt ein Kind, ein so armes Kind zur Erlösung senden - und es gar in einen Stall, in eine Krippe legen sollte. Wer wird das glauben, wenn es ihm nicht gegeben ist?

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Das war auch was zum Bewegen und Betrachten. Sie hat es wohl vorher sich auch nicht so gedacht; je mehr sie aber nun hörte, was Gott that, was die Hirten gesehen und erfahren hatten - die Engels-Erscheinung, ihre Verkündigung und Alles, was vorging, desto wichtiger und bedeutender wurde ihr die Gnade, eines solchen Kindes Mutter zu seyn. Da uns aber Alle die Sache gerade so nahe angeht, wie sie, und das Kind uns eben so geboren, und der Sohn uns nicht weniger geschenkt ist, als ihr, so sollen wir dies Wort von der Geburt Christi und Menschwerdung Gottes nicht weniger bedenken und erwägen in unserm Herzen, als sie. Gott ein Mensch, für Menschen da, sie zu erlösen und selig zu machen, das soll unsere ganze Seele erfüllen, zur Anbetung, zum Glauben, zur Freude erwecken, uns ganz beleben und beseligen.

Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobeten Gott um Alles, das sie gehöret und gesehen hatten, wie zu ihnen gesagt worden war. Ja auch unser Mund sey voll Lob und unsere Seele voll Dank für Alles das, was wir von dieser ganzen Geschichte wissen und lesen. Denn Er ist, Gott Lob! nicht nur für die Hirten zu Bethlehem geboren. Gott hat Ihn der ganzen Welt, allem Volke, allen Sündern geschenkt. ' Wer es glaubt, der hat Ihn, der darf sich so Seiner Geburt freuen, als wäre er dabei gewesen, als wäre Er gerade heute vor unsern Augen geboren, als läge Er uns im Schooße; als legte Ihn der Vater selbst uns ins Herz hinein, und mit Ihm alles Heil, was wir Menschen bedürfen und uns wünschen können. Wäre Er nicht geboren, so waren wir Alle verloren - ohne Hoffnung und ohne Rettung verloren. In Ihm ist uns die Leutseligkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes erschienen; durch Ihn kommen wir Gott nahe, zu Gott dem Vater, und werden Ein Geist mit Ihm! Sollen wir nicht ohne Aufhören loben und danken? Lobe den Herrn, meine Seele! und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat! - Gieb dich Ihm hin, wie Er dir Seinen Sohn gegeben hat und mit Ihm Alles! Amen.