Johannes Goßner, Prediger an der Bethlehems-Kirche zu Berlin.
“Es ist hie kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten; und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist; welchen Gott hat vorgestellet zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete, indem, daß er Sünde vergibt, welche bis anhero blieben war unter göttlicher Geduld.“
Der Mensch hat in seinem ganzen Leben auf Erden nur Eine Aufgabe, nur Eine Frage zu lösen, die sich ihm, sobald er zu sich selbst kommt und sich fühlt, von selbst aufdringt. Es ist die große Frage: Was muß ich thun, daß ich selig werdet Alle Menschen, in allen Religionen und unter allen Nationen, die sich noch nicht unter das vernunftlose Thier herabgewürdiget haben, fragen auch nicht nur, sondern bemühen sich wirklich, (jeder nach seiner Art, glücklich zu werden, sich in einen bessern und seligeren Zustand zu versetzen. Auf mancherlei Wegen, durch allerlei Mittel suchen sie Ruhe und finden sie nicht; jagen dem Frieden nach und er flieht von ihnen; wollen sich des Druckes und der Lasten, die sie von innen und außen beschweren, entledigen, und vermögen es nicht. „Wir sind doch nicht dazu Menschen, daß wir Thiere werden besser, edler, reiner, seliger sollen - müssen wir werden.“ Das steht in unserer Brust unauslöschlich geschrieben.“
Es gibt freilich nur zu Viele, die noch nicht aus dem Todesschlafe erwacht, noch nicht zu sich selbst gekommen sind; die sich in einem falschen Lichte betrachten, und sich deswegen für gut, gerecht und selig halten, die sich einbilden gesund zu sein, und aus dieser Ursache keine Arznei und keines Arztes zu bedürfen glauben.
Aber diesen sowohl als jenen, allen, allen Menschen beweißt die Schrift, daß kein Mensch von Natur gerecht und selig sei, daß sich auch keiner selbst gerecht und selig machen könne, zeigt ihnen die unentbehrliche Arzenei und einen großen Arzt, ohne welchen keinem, durch welchen allen geholfen werden kann.
Klar, bestimmt und unzweideutig lehrt uns das Wort von Gott, daß alle. Menschen ohne Ausnahme Sünder, d. i. straf- und verdammungswürdig, unselig und elend und deswegen der Begnadigung und einer höhern Hülfe bedürftig sind, die ihnen auch Gott in seinem Sohne umsonst und aus Gnaden darreicht, so, daß sie alle leicht gut, gerecht und selig werden können, wenn sie nur wollen, und also keine Entschuldigung haben. -
Paulus, das große, auserwählte Rüstzeug Gottes, hat diese, der Menschheit so wichtige Wahrheiten, wohl am bestimmtesten Römer 3, 23-25 ausgesprochen. Wenn wir seine Worte recht aufmerksam betrachten, so finden wir auf den ersten Blick, der Apostel behauptet:
Das ist das Evangelium Gottes, welches dem Menschen Alles nimmt, um ihm Alles zu geben, welches uns tief demüthigt, und erniedrigt, um uns hoch zu erheben und zu beseligen.
Der Mensch hat - entfremdet von Gott - seine Heimath verloren und kann sie nicht wieder finden, sich selbst gelassen. Gott aber kommt dem Menschen in seinem Sohne entgegen, und läßt sich von ihm wieder finden, auf dem Wege des Glaubens.
Der Mensch liegt in einem Abgrunde, aus dem er sich nicht mehr herausschwingen kann. Gott eher erbarmt sich seiner, und steigt zum Gefallenen herab, und zieht ihn, ihm seinen Arm reichend, heraus. Ergreift der Arme, Gefallene diesen Arm der Liebe und Gnade Gottes mit gläubiger Zuversicht, so ist er gerettet und schwingt sich aus dem Abgrund des Elends in alle Himmel hinauf.
Daß der Mensch gefallen, daß er Sünder ist, steht, wenn es auch nicht in der Bibel stände, ihm an der Stirn geschrieben, und ist in allen seinen Gesinnungen und Handlungen lesbar, wenn man nur ein wenig lesen gelernt hat. Er verräth es nur allzusehr bei jedem Schritte, daß er das Gleichgewicht verloren hat, daß er nicht mehr gerade gehen, sich nicht aufrecht erhalten kann, daß ihm Fallen und Anstoßen zur Natur geworden ist.
Das haben selbst die Heiden erkannt und konnten es nicht leugnen, daß sie einen vorherrschenden Hang, eine gebietende Neigung zum Verbotnen in sich fänden. 1)
Und wenn man die Thaten, die Handlungen, das Leben der Menschen betrachtet, so findet sich bei allen Völkern das schrecklichste Verderben, ein Verfall, daß man oft kaum eine Spur der Menschlichkeit entdecken kann. Paulus schildert Röm. 1., die Heiden, wie tief sie gesunken waren. Damit sich aber die Juden nicht erheben und sich für besser halten möchten, weil sie die Bibel, Gottes Offenbarungen hätten, so zeigt er auch diesen aus ihrer Bibel, auf die sie stolz waren, daß sie dazu gar keine Ursache hätten, daß sie noch schlechter als die Heiden, und strafwürdiger als alle andere Völker wären, indem sie beim bessern Unterrichte, und helleren Lichte, dennoch das Schlechtere gethan hätten. Sie wähnten - wie denn die Menschen durch allerlei Wahn sich täuschen - daß, weil sie heilige Bücher und heilige Gesetze, eine reine Lehre hätten, sie selbst deswegen auch heilig, rein und besser wären, als de Völker, welche dieser Wohlthat beraubt waren.
Darum macht Paulus gerade die, welche die Bibel hatten, mit der Bibel zu Sündern, d. h., er beweißt ihnen aus der Bibel, daß sie, wenn sie das Verderben der Menschen schildern, und ihr sündiges, böses Wesen zeigen und verdammen, sie gerade die meinen und im Auge habe, die sie besäßen und sich ihrer rühmten. Römer 3, 19.
Dürfen wir, sollen wir das nicht auch auf uns Christen anwenden? Macht nicht auch jetzt noch die Bibel gerade diejenigen, die sie besitzen und sich ihrer rühmen, aber sie nicht leben (denn die Bibel ist, wie Luther sagt, ein Lebewort, kein bloßes Lesewort), macht sie die Christen nicht zu größern Sündern als die Heiden und andere Völker, die sie nicht kennen, sie nicht für Gotteswort halten? Sagt das Evangelium das, was es von der Sündhaftigkeit der Menschen sagt, nicht denen, die sich zum Evangelio bekennen, und nach dem Evangelio genannt sind? Auf daß aller Mund verstopfet werde, und alle Welt Gott schuldig sei, d. h.: daß alles Fleisch, alles was Mensch heißt, von Adam stammt und vom Weibe geboren ist, straf- und verdammungswürdig sei.
Was wollen wir denn also sagen? haben wir einen Vorzug? Können wir Gott antworten, wenn Er mit uns Gericht hält? Können wir bestehen, wenn Er Sünde zurechnet? Können wir bezahlen, wenn Er fordert, was wir ihm schuldig sind? Können wir uns rein waschen von der Schande, die wir Uns durch Uebertretung und Verachtung seiner Gebote zugezogen haben? Was haben wir für einen Vorzug? Gar keinen, denn es ist vor Gott kein Ansehn der Person. Die ohne Gesetz gesündiget haben, werden ohne Gesetz verloren gehen, die aber unter dem Gesetz gesündiget haben, mit der Bibel in der Hand und im Munde - doch thun, was die Bibel verbietet, und unterlassen, was sie gebietet, die werden durchs Gesetz, durch die Bibel gerichtet und verdammt. Denn nicht die Hörer und Wisser sind gerecht, sondern die Thäter. Römer 2, 11-13.
Es bleibt daher dabei, alle Menschen sind unter der Sünde. Gotteswort wirft alle in eine Klasse, und sagt ohne Schmeichelei: Da ist nicht der gerecht sei, auch nicht Einer - sie sind alle abgewichen, allesammt untüchtig geworden, da ist nicht der Gutes thue, auch nicht Einer; Ihr Schlund ist u. s. w. Röm. 3, 10-18.
Was Paulus im ersten christlichen Jahrhundert an seine Zeitgenossen schrieb, bleibt auch in unserm spätern Jahrhundert wahr. Man darf auch heute in die gesammte Menschenmasse hineinrufen: Ihr seid allzumal Sünder und mangelt des Ruhms, den ihr vor Gott haben sollt Röm. 3, 23. Denn die Christen oder die Leute, die in christlichen Jahrhunderten, und in christlichen Ländern geboren werden, sind von Natur nicht besser, als die unter den Heiden auf die Welt kommen. Sie werden hier wie dort, im Süden wie im Norden, in Europa wie unter den Schwarzen in Afrika in Sünden empfangen und geboren. Und nicht nur das, sie leben auch nicht besser denn es gibt leider Menschen unter den Getauften, die zum heiligen Abendmahle gehen, und doch weniger, oder doch ebenso wenig Herz zu Christus haben, als die Grönländern unter dem Nordpol, darum ist kein Unterschied unter den Sündern, sie sind alle Brüder, alle sich gleich in dieser Sache, in welcher Nation oder Religion sie geboren werden. Keiner rühme sich über den andern: sie haben alle einerlei Verderben, alle dieselbe Feindschaft gegen Gott und sein heiliges Gesetz in ihrem Fleische, sie mögen wohnen und die Welt verunreinigen mit ihren Sünden, wo sie wollen. Röm. 8, 7. Man wird unter den Hottentotten und Menschenfressern keine größere Verächter finden als unter andern Heiden und selbst unter den sogenannten Christen, die sich aller schönen Künste, der höchsten Bildung rühmen, und doch immer weiter von dem Ziele kommen. Das sieht und bekennt aber der Mensch erst, wenn er Gnade gefunden hat, und seine Augen aufgethan sind.
Man darf wohl sagen: die ganze Welt ist nichts anders als eine große Sünderin und Schuldnerin vor Gott, die, wenn Gott mit ihr ins Gericht geht, nicht bezahlen, nicht bestehen kann vor Ihm.
Denn sündigen kann der Mensch, aber entsündigen kann er sich nicht. Fallen können wir, aber aufstehen, uns selbst aufrichten vom Falle können wir alle nicht.
Die arme, sündige Kreatur ist unter die Sünde verkauft, und kann sich nicht selbst erlösen; sie ist todtkrank, kann sich nicht selbst heilen; ist in äußerster verzweifelter Noth, und kann sich nicht helfen; ist als todeswürdig verklagt, und kann sich nicht rechtfertigen; ist elend und unglücklich, und kann sich nicht selig machen. Denn das heilige Gesetz in uns und außer uns gebietet und verbietet, klagt, verdammt und straft uns, gibt uns aber weder Lust und Kraft zum Thun und Lassen, noch Trost und Freiheit von Tod und Gericht; gibt vielmehr der bösen Lust Anlaß zum Erwachen, und diese, wenn sie empfangen hat, gebiert die Sünde; die Sünde, wenn sie vollendet ist, gebiert der Tod, Jak. 1, 15. Röm. 7, 11, u. s. w.
Der arme Sclave, der Sünder, findet also nirgend Kraft, weder in sich, noch außer sich, das Gute, wenn er es auch gut heisset und will, zu thun, und das Böse, wenn er es auch mißbilligt, zu lassen; er ist gefangen, gebunden von bösen Lüsten, wird hingerissen und beherrscht, muß thun, was er nicht will.
Und gesetzt auch, der Mensch hätte einige gute Handlungen, die ihm in glücklichen Augenblicken gelungen sind, so steht das Gewissen gegen ihn auf, mit dem Gesetz im Bunde, und klagt ihn so vieler bösen Werke an, daß sein Gutes, welches ohnehin nicht rein und vollgewichtig ist, von seinem Bösen verschlungen wird, wie die vollen und dicken Aehren im Traume Pharaos von den sieben magern verschlungen wurden, und es bleibt ihm nichts übrig als Gewissensangst, Verdammniß und Verzweiflung.
Auch der Unbescholtenste, Gerechteste und Frömmste Unter den Sündern bleibt doch immer ein Sünder, und hat dem heiligen Gesetze keinen Gehorsam geleistet, so daß dasselbe nichts gegen ihn einzuwenden, keine Forderungen an ihn zu machen hätte, und ihn also des Gesetzes Fluch nicht erreichen könnte. Kein Sterblicher, auch nicht Einer, der mit Adams Haut und Fleisch umgeben ist, und im Staube, im sündlichen Fleische wandelt, kann, ohne sich zu beflecken, alle die heiligen Forderungen des Gesetzes, das da geistlich ist, und nicht nur auf buchstäbliche, sondern auf geistige Erfüllung dringt, nach dem ganzen Umfange erfüllen. Sie bleiben alle zurück, alle Schuldner.
Das ganze Menschengeschlecht ist demnach sündig und verdorben; alle ohne Ausnahme, ohne Unterschied, such die Besserscheinenden sind Sünder, sind unter dem Fluche des Gesetzes, verklagt von ihrem eignen Gewissen, und daher straf- und todeswürdig, Kinder des Fluchs und des Zorns, alle bedürfen der Begnadigung und Rettung. Denn wer alle Gebote gehalten und nur Eins übertreten hätte (und wo ist auch nur Einer, der dies sagen könnte?) der wäre doch am Ganzen schuldig, Jak. 2, 10., weil er sich durch Verletzung des Einen an dem versündigte, gegen den sich empörte, der alle gegeben hat. Seine anderweitige Frömmigkeit hilft ihm nicht, er ist doch ein Ungehorsamer, ein Sünder.
Und nicht nur das:
Keiner kann sich selbst Gnade, Vergebung verdienen, oder wegen eines moralischen Verdienstes einen Rechtsanspruch auf Straffreiheit, auf Nachlassung der Schuld, oder auf Gnade und Seligkeit machen.
Manche Werke haben auch nur den Schein der Rechtschaffenheit, fließen aber nicht aus reiner Quelle und sind daher innerlich vor dem Auge der lichtreinen Gerechtigkeit, die die Anschläge und das Verborgene der Herzen forscht und aufdeckt, befleckt, so sehr sie vor den Augen der beschränkten Menschen, die nur die Oberfläche, nur den Firniß der Werke sehen, glänzen mögen.
Auch die Bessern, je schärfer ihr moralisches Gefühl ist, müssen um so mehr bekennen und bekennen gern wenn ihnen nur Ein Strahl des wahren Lichtes leuchtet, daß ihre Gesinnungen und Handlungen in vielen, ja in allen Stücken dem Gesetze Gottes nicht entsprechen. Bei genauer Selbstprüfung kann sich das redlichste Gemüth nicht von Schuld bei jeder Handlung freisprechen.
Vergeblich suchen wir den Menschen auf Erden, der mit Wahrheit, im Angesichte des untrüglichen Herzenskündigers, von sich behaupten könnte, daß er auch nur Einen Tag - darf ich nicht sagen? nur Eine Stunde - das Gesetz vollkommen erfüllt habe. Psalm I5, 13.
Darum frage ich alle Vernunft, wie wäre es denn möglich, daß der in Sünden empfangene und geborene, der unter die Sünde verkaufte Wanderer im Staube, im Fleische, in dem nichts Gutes wohnt, Röm. 7, 18., wie wäre es möglich, daß er sich selbst rechtfertigen, das Verschuldete wieder gut machen, das Versäumte ersetzen, sich selbst gut und vollkommen machen könnte, da er nicht eine Stunde im Stande ist zu thun, was er diese Stunde schuldig ist. Man muß wahrlich alle Vernunft ausgezogen, ich will nicht sagen, allen Glauben an Gottes Wort verloren haben, wenn man sich einbildet, und anmaßt, man könne Gott antworten, und werde ihm keine Antwort schuldig bleiben. Herr! auf tausend nicht Eins kann ich dir antworten, wenn du mit mir rechnest, sagt ein Mann nach dem Herzen Gottes, und das spricht ihm jeder Beobachter seines eigenen Herzens mit Ueberzeugung nach.
So haben wir denn also Alle Schulden, die wir nicht bezahlen können, haben keine Kraft uns schuldenfrei zu machen, noch ein Vermögen, uns schuldenfrei zu erhalten, wenn auch die vorige Schuld getilgt wäre. - Können das vergangene Böse nicht tilgen, vor dem künftigen uns nicht bewahren, das unterlassene Gute nicht ersetzen, das Gegenwärtige nicht leisten, und von der Zukunft nichts Besseres hoffen, können kein Gutes rein, gut, lauter und vollkommen verrichten, und uns vor vielem Bösen nicht sichern. Was wir auch jetzt Gutes thun, sind wir alle Augenblicke schuldig zu thun, womit wollen wir ersetzen, was wir versäumt haben?
Wie sich also der Mensch betrachtet, so findet er sich in Schuld, erblickt sich ungerecht, elend, strafwürdig, und dabei gänzlich außer Stand gesetzt, sich selbst zu rechtfertigen, oder sich auf irgend eine Art zu helfen. Wenn ihm Gott und Ewigkeit, Gerechtigkeit und Gericht, wo er von jedem unnützen Worte Rechenschaft geben soll, vor die Seele tritt, so muß er beben, zittern und verzweifeln oder doch seufzen: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen?
Darauf antwortet Paulus:
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum geschehen ist, welchen Gott vorgestellet hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blute, damit daß er die Gerechtigkeit darbiete, die vor Ihm gilt, indem, daß Er Sünde vergibt, welche bis anhero geblieben war unter göttlicher Geduld. Röm. 3, 24. 25.
Da die Menschen nun so tief gefallen sind und in einem Abgrund liegen, aus dem sie sich nicht heraushelfen können, da alle Gesetze, Gebote und angewandte Mittel die Krankheit nicht nur nicht heilen, sondern das Uebel nur ärger machen, da keine Hülfe helfen kann, und das Menschengeschlecht ohne Rettung verloren wäre, siehe, da erbarmt sich ihr Schöpfer, er steigt zu ihnen herab in den tiefen Abgrund, reicht ihnen seine errettende, erlösende Hand, sendet ihnen seinen Sohn, der erlöset die Gefangenen, der heilt die Kranken, der belebet die Todten.
Es tritt nämlich, nach dem Rathschlusse der heiligen dreieinigen Liebe, ans dem ewig unzugänglichen Drei Eins hervor, der Sohn entäußert sich, erniedrigt sich ein Mensch zu werden, nimmt Knechtsgestalt an, wird an Geberden wie ein Mensch erfunden, und spricht: Sieh ich komme, mein Gott, deinen Willen zu thun (und in diesem Willen sind wir geheiligt -. Er sprachs und thats. Er kleidete sich in das Gewand des menschlichen Elends, wandelte 33 Jahre in der Gestalt des sündlichen Fleisches, unter Menschen, wie Einer aus ihrer Mitte, als ihr Bruder, theilte alle ihre Noth mit ihnen brüderlich - die Sünde ausgenommen, lernte Gehorsam und Geduld, ward Lehrer, Freund, Arzt und Heiland allen, heilte Krankheiten und Gebrechen jeder Art, wie, er sie fand unter seinem armen Brudergeschlechte, weckte Todte auf, befreite die vom Satan überwältiget waren, und zeigte sich durchaus als den allgenugsamen Helfer, als den Herrn der Natur und aller Kreaturen auf, unter und über der Erde; alle Dinge waren seine Knechte, Menschen, Engel und Teufel, alle Elemente und Kreaturen mußten seinen allgebietenden Worten gehorchen. Er wurde allen - Alles, denn er kam nicht mit seiner Macht zu zerstören, sondern zu segnen; Er ging umher und that allen wohl: Leben floß vom Saume seines Kleides, wer Ihn anrührete, ward geheilt; Kraft ging überall von Ihm aus und verbreitete Leben, Heil und Wohlsein um Ihn her.
Und sieh: die armen Blinden erkannten Ihn dennoch nicht, die Seinen nahmen Ihn nicht auf - und nicht nur - sie haßten, lästerten, verfolgten, steinigten und verwarfen Ihn. Sie haßten die liebenswürdigste Liebe, verfolgten den Erretter ihres ganzen Geschlechts, schlugen den Heiligen und Gerechten wie einen Uebelthäter mit Uebelthätern ans Kreuz und rösteten den Urheber des Lebens.
Er schwieg, litt, beugte sich, ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze - neigte sein Haupt und starb. -
Niemand wußte warum, noch wer da starb. - Nur die Felsen spalteten sich, die Erde bebte unter seinem Kreuze, der Vorhang, des Tempels riß mitten entzwei bei seinem Verscheiden, die Sonne verbarg ihr Antlitz - die Natur bekannte laut - was die Menschen nicht erkannten - ihren Schöpfer und Meister.
Doch das Leben konnte vom Tode nicht gehalten werden, Er stand auf vom Grabe - Gott, in dessen Hände Er seinen Geist aufgab, da Er die Hülle niederlegte ins Grab, Gott weckte Ihn und stellte Ihn lebendig dar zum Gnadenstuhl, zum vollendeten Versöhner, Erlöser und Heiland der Menschheit, erhöhte Ihn zum Fürsten des Lebens und des Friedens, der alles vollbracht, alles versöhnt, sein ganzes Brudergeschlecht gerettet, für alle genug gethan, allen Vergebung, Gnade und ewiges Leben erworben hat.
So kam er aus dem Grabe wieder, nach seinem Siege über Sünde, Tod und Hölle, brachte nach errungenem Siege den Frieden und sprach: Ich lebe und ihr sollt leben; hauchte einen neuen Geist in die Seinen und erneuerte dadurch die Welt.
So stellte Ihn Gott dar als den Gnadenstuhl, als den Sühnaltar, als das vollgültige Opfer, als die ewige Gerechtigkeit, als den Hohenpriester, der mit Einem Opfer alle vollendet und geheiligt, als den Bürgen, der alle Schuld bezahlt, alle Strafe getragen hat und absolvirt, gerechtfertigt wurde für alle, die er vertreten, deren Schulden er getragen hat. Denn da Einer für alle gestorben, so sind sie alle gestorben, d. i. gerechtfertigt und begnadigt. 2. Cor. 5, 14. 15. Das Verdienst des unschuldig Getödteten entschuldigt, entsündigt, rechtfertigt, heiligt alle seine schuldige, sündige und strafwürdige Brüder. Der Satan hat sich selbst die Sache verdorben, und das Recht durch sein Unrecht verloren; denn indem er den Unschuldigen tödtete, so ist ihm das Recht zu den Schuldigen genommen worden. So auch der Tod, da er raubte, was ihm nicht gehörte, und den Urheber des Lebens umbrachte, so muß er nun frei geben, was unter seiner Gewalt war. So das Gesetz: da der, welcher ohne Sünde und nicht unter dem Fluch war, ein Fluch des Gesetzes für uns wurde, so werden die Verfluchte vom Fluche frei und gesegnet.
So hat Gott die große Sünderin, die verlorne, verdammte und verfluchte Welt geliebt, daß Er seines eignen Sohnes nicht schonte, sondern Ihn, der von keiner Sünde wußte, für die Sünderin zur Sünde (zum Sündopfer machte, damit sie in Ihm die Gerechtigkeit Gottes würde. Den Unschuldigen gab Gott hin für die Schuldigen, den Heiligen für die Gottlosen, den Gerechten für die Sünder.
Ja fürwahr, er trug unsre Sünde und lud auf sich unsre Schmerzen. Er ist um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünden willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. - Der Herr warf all unsre Sünde auf Ihn. - Jes. 53. So trösteten sich schon die Gläubigen des alten Bundes, da der Gnadenstuhl noch nicht in der Wahrheit, sondern nur im Schattenrisse, nur vorbildlich aufgerichtet war. Aber nun steht Er auf Golgatha, der Blutende, der Leidende, der Sterbende für seine Brüder; nun ist Er allen Augen dargestellt, - wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, daß alle sie sehen und durch ihren Anblick genesen könnten, - so steht Er nun allen Menschen offen da, als der Sühnaltar, bei dem jeder die Gerechtigkeit Gottes erlangen kann, der sie haben will.
Denn bei diesem Gnadenstuhle finden wir
Kurz, bei dem Gnadenstuhl, den Gott uns in seinem Sohne vorgestellt hat, finden wir Alles - denn der Vater schenkt uns ja Ihn - den Sohn selber, also mit Ihm Alles. Darum sagt der Apostel: Was hat Er uns denn vorenthalten, was nicht gegeben? Fehlt es auch nur an Einem? Röm. 8, 32. Darum wollte Paulus auch nichts anders wissen, als Jesum und sein Kreuz. 1. Cor. 2, 2., Gal. 6, 13. Darum war ihm alles andre, was ihm sonst verdienstlich und großer Gewinn zu sein schien, was er sonst hoch hielt, nun Schaden, Verlust, ja Koth; er warf alles weg, ließ alles fahren, um nur die Gerechtigkeit zu erlangen, die „ns Gott in seinem Sohne, beim Gnadenstuhle darbeut, um Jesum zu gewinnen, und nicht selbstgerecht zu sein.
Wer daher gerecht und selig werden, wer Alles in Einem finden will, der komme zu diesem Gnadenstuhl, der suche den Sohn, den der Vater zur Versöhnung darstellt, der eile nach Golgatha, trete zum Kreuze, denn dort hängt die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, weil sie von Gott kommt, hängt für jeden dort, dem der Weg dahin nicht zu weit ist, der sie ergreifen will.
Aber wie? auf welchem Wege kommt man zu diesem Gnadenstuhl? wie ergreift man die Gerechtigkeit Christi?
Darauf antwortete uns der Apostel auch unumwunden in unserem Texte, indem er sagt:
Allein durch den Glauben in seinem Blute hat Gott seinen Sohn uns als Gnadenstuhl vorgestellt.
Der Glaube allein ist es, durch den wir gerecht und selig werden. Röm. 3, 22. 27.28.30. Es steht uns kein anderer Weg, keine andere Thür zu Gott offen. Das hat Gott so verordnet durch seine unergründliche Weisheit, um zu zeigen, daß Er allein gerecht sei, und außer Ihm niemand als der, den Er gerecht macht, aus Gnaden, umsonst und durch den Glauben. Damit Ihm allein die Ehre bleibe, und sich kein Mensch vor Ihm rühmen könnte, er habe aus eigener Vernunft und Kraft, durch eigne Verdienste und Werke sich eine Gerechtigkeit verschafft, die er nicht Gott, sondern sich selbst zuzuschreiben hätte. Nein, vielmehr sei es also:
Gott, die ewige Liebe, bietet uns seinen Sohn, und in Ihm seine Gerechtigkeit an, der Glaube ergreift Jesum mit allem, was er ist und hat, und eignet Ihn sich zu mit dankbarem, frohlockendem Herzen, und dieser Christum ergreifende Glaube wird uns zur Gerechtigkeit gerechnet. Röm. 4, 24. Der Glaube ist die Hand, die da ergreift und nimmt, was Gott darbietet und vorstellt, die Hand, die aus der bereiteten Gnadenfülle in Christo Gnade um Gnade nimmt, und daher Alles, was er ist und hat, nicht sich selbst, sondern Christo zuschreibt, nicht sich, sondern nur Gott in Christo, den Mittler und Versöhner preist. Der Gläubige ist ein Mensch, der nur von Gnade und aus Gnaden lebt und daher bei jedem Atemzuge in Zeit und Ewigkeit dem die Ehre gibt, dem sie allein gebührt. Offenb. 5, 12. 13.
Wie selig, wie reich, wie herrlich der Glaube uns macht, ist unaussprechlich. Man fühlt sich auf einmal aus unverdienter Gnade und Liebe dem ewigen Fluche und Verderben entrissen, frei von den Banden der Sünde und Hölle, überschüttet mit allen Gütern des Heils, aus dem Tode ins Leben, aus der Hölle in den Himmel versetzt, und deswegen unbeschreiblich glücklich.
Der Glaube ist auch kein ungewisses schwankendes Ding, sondern eine feste Zuversicht, die sich an den Unsichtbaren hält, als sähe er Ihn, der Christum, sein Kreuz, sein Opfer und Verdienst so fest hält, daß es ihm keine Gewalt mehr entreißen kann. Er erblickt Jesum nicht anders, als hätte er es selbst gethan, was Jesus für uns that. Er sieht Ihn auf Gethsemane Blut schwitzen, sieht Ihn am Kreuze von Gott verlassen mit dem Tode ringen, und endlich mit dem Siegeswort: es ist vollbracht! das Haupt neigen und sterben, mit solcher sich alles zueignenden Zuversicht, daß er ausruft: Wir sind versöhnt! wir sind versöhnt! Die Schuld ist bezahlt, der Schuldbrief ist zerrissen, die Sünde getilgt und vergeben. Es ist nun nichts Verdammliches mehr an denen, die in Christo Jesu sind.
Doch dieser Glaube, der Christum also ergreift und anzieht, in Christo sich so reich, so selig, so herrlich und begnadigt fühlt, ist kein todter Maulglaube, der blos auf der Lippe schwebt, kein bloßer Wahn oder kalter Begriff des Kopfes, kein leerer Schall in der Luft, kein gleichgültiges Fürwahrhalten ohne Theilnahme des Herzens; dieser Glaube ist ein Licht und Kraft Gottes im Herzen, ist ein lebendiges Ergreifen der Gnade und Erbarmung Gottes, wodurch der ganze Mensch geändert, umgewandelt und umgeschaffen wird an Sinn, Muth und allen Kräften.
Niemand kann dem Gnadenstuhle sich nähern, und Christum am Kreuze für die Sünde in seinem Blute leiden und sterben sehen, und sich das im Glauben zueignen, ohne zugleich der Sünde Todfeind, ihr Herr und Meister zu werden, durch den, den er als seinen Versöhner und Tilger der Sünde ergreift. Der Glaubensblick auf den Gnadenstuhl bringt Gnade, Kraft und Leben ins Herz, daß man nun kann, was man vorher nicht konnte; man überwindet weit in dem, der uns also geliebet hat. Darum kann dieser Glaube, sobald er nur erst lebt und Christum angezogen hat, nicht einen Augenblick länger ohne Liebe sein, sie folgt ihm, wie seine Zwillingsschwester zur Seite. Denn wem viel vergeben, aus Gnaden alle Sünden erlassen sind, der liebt viel, er kann nicht anders, er muß lieben den, der ihn zuvor geliebt hat. Liebe vom Glauben trennen, heißt die Wärme vom Feuer, das Licht von der Sonne trennen. Die Liebe aber besteht darin, daß man die Gebote dessen hält, den man liebt, und sie mit Freuden hält, zum Dank für seinen Tod und sein Versöhnen.
Der Glaube, der Christum am Kreuz als seinen Versöhner und in Ihm seine Begnadigung und Erlösung erblickt, ist ein beständiges Essen und tägliches Genießen der heilbringenden Gnade, die uns. in Christo dargeboten wird. Anfangs zwar ist er schwach und zitternd - nur Ergebung auf Gnade und Ungnade; da er aber erfährt, daß Gnade und viel Erlösung beim Herrn ist, Psalm 130, 7., so wird er kühn und voll Zuversicht, so daß er mit beiden Händen zugreift und voll Freudigkeit alles in sich verschlingt, was Gott in seinem Worte verheißen hat, alle göttliche Kraft (was zum Leben und göttlichen Wandel dient so daß man selbst theilhaftig wird der göttlichen Natur. 1. Petri 1, 3. 4. Ja der Glaube ergreift und umfaßt Gott und Ewigkeit. Er frägt auch nicht, habe ich es verdient? Bin ich es auch würdig? Nein, sondern nur; hats Gott verheißen? Hat es mir Christus, mein Bürge und Mittler erworben? Hat er auf diese Frage das Ja, so greift er zu, und nimmt, als hätte er ein Recht dazu, als hätte er es selbst verdient.
Diesem Glauben nun will Gott alles schenken - denn wer den Sohn gegeben, was sollte uns der versagen? Diesem Glauben, sobald er zugreift, legt Gott sein Himmelreich in die Hände, so ein mächtig Ding ist der Glaube, er kann Gott und Himmelreich fassen und halten.
Dieser Glaube ist aber auch auf der andern Seite so stark und fürchterlich für die Feinde unsers Heils, daß Sünde Tod und Teufel fliehen, wo sie diesen Glauben spüren; sie können ihn nicht ertragen und dürfen ihn nicht antasten. Ja, er ist der Sieg, der die Welt überwindet, die Welt, die voll Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt des Lebens ist. 1. Joh. 2, 10. u. 5, 4. Vor diesem Glauben verstummt das Gesetz mit seiner Klage und seinem Fluche; nicht nur, dieser Glaube hat selbst gegen den Zwang des Gesetzes ein Mittel, denn er hat die Liebe bei sich, die ist des Gesetzes Erfüllung - thut mit Lust und bat schon gethan, was und ehe das Gesetz fordert. Und wenn der Verkläger der Brüder, der Satan mit allem scheinbaren Rechte uns schon als seine Beute zu haben glaubt, und wir ihm schon im Rachen stecken, der Glaube, sobald wir unsre Zuflucht zu ihm nehmen, reißt uns heraus, denn er hält sich an den, der die Gottlosen gerecht macht und für die Sünder Bürge ward. Selbst der Tod erblaßt und flieht vor dem Glauben, denn wer glaubt, fürchtet den Tod nicht, sondern ist schon vom Tode zum Leben durchgedrungen, hat schon das ewige Leben. Auch das Gericht wird gerichtet, aufgehoben, sobald der Glaube sich erhebt und aus den Wunden Jesu her beweist, daß der Richter selbst unsre Sünden getragen und den letzten Heller bezahlt hat. Darum steht der Glaube furchtlos da und fragt: Tod! wo ist dein Stachel? Hölle! wo ist dein Sieg? -Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.
So kommt der Mensch auf dem Wege des Glaubens zum Gnadenstuhl, das ist, von der Angst zur Gnade, von der Unruhe zum Frieden, von der Finsterniß zum Licht, von der Sklaverei zur Freiheit, vom Tode zum Leben, vom Satan zu Christus, von der Hölle zum Himmel. So wird das Reich der Sünde und Finsterniß in ihm zerstört und das Reich der Wahrheit und des Lichts in ihm aufgerichtet. Der Glaube ist der Held, stärker als Davids Auserlesenen, indem er sich durch alle Feinde hindurch wagt, durch Sünde, Tod, Teufel und Hölle, und sich die Gerechtigkeit, Gnade, ewiges Leben und Herrlichkeit aus dem Schooße Gottes holt, indem er den Gnadenstuhl ergreift und sich mit der Urquelle aller Gerechtigkeit verbindet, die sich ihm in ewiger Liebe mittheilt.
Wer sich daher als Sünder fühlt, und noch nicht seiner Seligkeit und seines Heils sich freuen kann, der eile und ergreife den Gnadenstuhl, den ihm Gott in Christo vorhält, damit er Gnade finde durch den Glauben in seinem Blute, und nicht einst vor dessen Richterstuhl erscheinen müsse, wo keine Gnade mehr zu finden sein wird. Jetzt ist Christus noch der Thron und Stuhl der Gnade, allen frei und offen vorgestellt, die da selig werden wollen durch Ihn. Aber einst wird sein Gnadenstuhl ein Richterstuhl sein, wo er einem Jeden vergelten wird nach seinen Werken, und wo die, welche den Gnadenstuhl verachteten, ein unerbittlich strenges Gericht über sich ergehen lassen müssen. Darum lasset uns zum Thron der Gnade hinzutreten mit zuversichtlichem Herzen, jetzt zur Zeit der Gnade und in den Tagen des Heils, damit wir auch Barmherzigkeit finden zur Zeit, wo für die Unbegnadigten keine Hoffnung und keine Rettung mehr sein wird.