Gossner, Johannes Evangelista - Das Anklopfen des Heilandes vor der Türe des Menschen

Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an
Offenbarung 3, 20.

Was will Er? - Zu dir eingehen und Abendmahl halten mit dir.

Der Schöpfer des menschlichen Herzens hat sich gewiss eine Türe zum Herzen des Menschen offen gelassen, um bei ihm einzukehren, und sich ihm mitteilen zu können. Und wenn gleich durch den Fall des Menschen die Türe gesperrt wurde, so muss doch der, welcher im Meere Wege und im tiefen Wasser Bahn machen kann, auch einen Weg zu finden wissen, auf welchem Er sich unseren Herzen nahen, vor unserer Türe klopfen und uns seine Stimme hören lassen kann. Und das Menschenherz muss seinen Gott wahrnehmen, dessen Stimme, dessen Fingerzeige vernehmen können.

Mit den Selbstgenügsamen, welche ihren Gott aus sich, aus der Welt und Menschheit hinaus und in den Himmel oder wo? hineinsperren, dass Er sich vor keiner Türe sehen lassen, kein Herz rütteln darf, wollen wir uns hier nicht aufhalten; wir haben nicht Zeit dazu, denn wir hören unsern Gott wirklich klopfen, vernehmen seine Stimme, und haben genug damit zu tun, dass wir sie uns dolmetschen. Wir sind überzeugt: Gott weiß den Weg zu allen Menschen; und sind Ihm gleich die Türen versperrt; Er kann sie aufklopfen; sind gleich die Herzen für Ihn tot und kalt, Er kann sie mit seiner Stimme wecken und lebendig machen, so dass der Mensch zu sich selbst kommend fragt: Wer klopft an meine Tür? Wes ist die Stimme, die mir in die Seele ruft?

Selig bist Du, wenn du einmal also fragst; denn das ist ein Zeichen, dass du erwacht bist, ein Beweis, dass dir die Ohren aufgetan sind, dass dein Herz nicht mehr steinern ist.

Wer der große Klopfende sei, das sagt Er dir selbst, Offenb. 1. 2. und 3. „Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende, der da ist, der da war, und der da kommen wird der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen der Heilige und Wahrhaftige, der die Schlüssel Davids hat, der auftut, dass niemand zuschließen und zuschließt, dass niemand auftun kann - der Amen, der treue und wahrhaftige Zenge der Anfang der Kreatur Gottes der die sieben Sterne in seiner Hand hat und mitten unter den goldenen Leuchtern wandelt - der das zweischneidende Schwert hat der tot war und wieder lebendig ward.“

So groß ist der Klopfende, dass Er nicht größer, nicht erhabener, nicht bedeutender sein könnte. Der steht draußen vor der Türe! Wie kommt der hinaus? Wer hat Ihn hinausgesperrt? Woher kommt's, dass Er draußen vor der Türe stehen und klagen muss: Sieh', ich stehe vor der Türe und klopfe… Der Schöpfer vor der Türe des Geschöpfes! der Herr und Meister vor der Türe des Knechts! Der unermesslich Reiche, in dem alle Fülle wohnt, steht wie ein Bettler vor der Türe eines Armen, Elenden! Der alle Dinge, alle Himmel und alle Himmelwohnungen gebaut hat mit seinem Worte, steht vor der Türe, wie ein müder Fremdling, der eine Nachtherberge sucht, um seine müden Füße ruhen zu lassen, um sich vor dem Wetter zu schützen, und vor dem Grauen der Nacht zu verbergen! - Wie! der steht draußen? Wer hat diesen hinausgesperrt? Wer soll in deiner Hütte wohnen, wenn der nicht? Welch ein schlimmer Gast muss in dir wohnen, der den Hausherrn und Baumeister deiner Hütte hinauswarf und ihn draußen stehen lässt?

Ist das nicht die in dir wohnende Sünde, die Feindin Christi? Solltest du diese Mörderin länger beherbergen? Sollte dein Heiland länger verstoßen sein? noch lange stehen vor deiner Türe? Bedenke doch: Er steht vor deiner Türe mit durchbohrten Händen und Füßen, - der Mann mit den fünf heiligen Wunden, die Er für dich am Kreuze sich schlagen ließ. Er klopft an deiner Türe mit der Hand, die noch das Mahlzeichen seiner Liebe trägt, womit Er für dich am Kreuze angenagelt und ausgespannt stundenlang hing, verblutete und den Geist aufgab. Er steht mit den verwundeten bloßen Füßen, wie ein armer Pilger im Winter, in Kälte und unfreundlichem Wetter, vor deiner verschlossenen Türe wartend, schmachtend, bis deine Härte durch die Glut seiner Liebe erweicht und schmilzt und du Ihm auftust.

Es steht vor deiner Türe dein Gott und Schöpfer; du bist seine Kreatur, seine sündige Kreatur, und insofern doch sein Eigentum; denn Er hat dich gemacht und nicht du selbst. Wie! soll an dir erfüllt werden: Er war in der Welt (und klopfte an deiner Türe) und die Welt erkannte Ihn nicht - Ihn, der sie gemacht hat! Er kam in sein Eigentum, stellte sich vor die Türe seiner eigenen Hütte, die Er für sich gebaut hat, klopfte an die Türe seiner Kinder, und die Seinen taten Ihm nicht auf, ließen Ihn nicht ein, nahmen Ihn nicht auf. Joh. 1.

Wenn ein Vater vor der Türe seiner Kinder, ein Freund vor der Türe seiner Freunde jahrelang stehen, warten, klopfen müsste, ohne dass sie ihm Gehör gäben und ihm aufmachten, wäre es ihnen zur Ehre? Müssten sie sich nicht schämen? Könnten sie ihr Verderben, ihre Bosheit und unmenschliche Härte mehr offenbaren, als eben dadurch? Nun ist der, der vor deiner Türe steht, nicht nur wie ein Vater und gewöhnlicher Freund, Er ist der Herr, der dir Leben und Odem und Alles gab, gibt und geben wird in Ewigkeit. Es ist der Freund, der für dich das Leben ließ, dich mit seinem Blute erwarb. Es ist dein Heiland, der dir alle deine Sünden vergeben, all dein Gebrechen heilen will; der dein Leben vom Verderben erlösen und dich krönen will mit Gnade und Barmherzigkeit. Psalm 103. Es ist der reichste, erhabenste Bräutigam, der sich eine arme, elende Braut sucht (gerade, wie deine Seele eine ist), um ihr die größten Schätze, die unerforschlichen Reichtümer Gottes, unermessliche Güter der Ewigkeit mitzuteilen. Er ist der Arzt, der deine franke Seele heilen, und dich ganz und auf ewig gesund und unsterblich machen, dich mit seinem Blute vor aller Untugend reinigen, deine Kleider weiß waschen und dich mit weißer Seide der Heiligen kleiden will. Es ist der Einzige und Unvergleichbare, vor dem alle Propheten und selbst der Mann, der größer ist, als alle Propheten sich beugten. Es ist der, der mit Feuer und Geist tauft, der durch und durch heiligt, dass Geist, Leib und Seele unsträflich erhalten werden bis auf den großen Tag der Vergeltung, wo Er seine Herrlichkeit offenbaren und sein ewig unvergängliches Reich, mit allen den Seinigen (und auch mit dir, wenn du Ihm aufschließt) in Besitz nehmen und teilen will. Er ist also der künftige Richter der Lebendigen und Toten, der auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit am bestimmten Tage kommen wird, um mit Feuerflammen Rache zu nehmen an allen, die Ihn, ihren Herrn, hier vor der Türe stehen und klopfen ließen, und Ihm jetzt nicht auftun. 2. Thess. 1, 8. Sieh, der, der einst so furchtbar sich offenbaren wird, vor dem die Berge beben, und die Grundpfeiler der Erde und des Himmels zittern werden, der steht jetzt so klein und demütig, so freundlich und einladend, als Mittler und Versöhner, als Heiland und Erlöser, als Freund und Bruder vor deiner Türe, um dir Vorschläge zu machen, um dir Rat zu erteilen und Wege zu zeigen, wie du dem zukünftigen Zorne entfliehen, und das ewige Leben, die Krone der Herrlichkeit erlangen, und zum Erbe der Heiligen im Lichte tüchtig werden könntest, ja, um dir zu sagen und zu bezeugen, was Er selbst für dich gelitten und getan, wie Er für dich und deine Sünden geblutet und sich hingegeben habe, um alles, was er erworben hat und besitzt in seinem unermesslichen Reiche der Herrlichkeit, dir umsonst und aus Gnade zu schenken.

Menschenkind! verachte diesen großen Klopfenden nicht! Sei nicht taub gegen seine Stimme! Sieh doch auf und bedenke, wer vor deiner Türe steht, wer da ruft! Und wie lange schon? Ach, schon so lange, als du lebst, als du Ohren und ein Herz hast. Soll er denn immer deine Türe hüten, der Türsteher und Klopfer sein? Wie lange muss Er noch deiner warten?

Aber womit klopft Er denn? Er versucht es auf mannigfaltige Weise, sich Eingang in dein Herz zu verschaffen, von dir gehört und aufgenommen zu werden. Sein Klopfen, sein Rufen ist so mannigfaltig als alle seine Werke und Worte. Bald klopft Er mit dem Finger seines Geistes, bald mit dem Hammer seines Wortes, bald mit der Rute und den Schlägen seiner Züchtigungen und Prüfungen. Die Stimme seines Blutes, welches Er für uns vergossen, schreit uns allenthalben nach; die Tränen, die Er für uns und um uns geweint, fordern uns beständig auf, klopfen immer an unsere Türe, dass wir dem Freunde, der uns so sehr geliebt hat, die Türe weit auftun sollen. Sein Angst- und Blutschweiß am Ölberg, welch' eine Stimme? Sein Kreuz und Tod, welch' ein Hammer, womit Er an unsere Herzenstüre klopft! Wer kann da widerstehen? Alle seine Worte im alten und neuen Bunde, sind sie nicht eben so viele Hämmer, womit Er an die Herzen der Menschen schlägt? Alle Eingebungen und Einsprechungen des Heiligen Geistes, der als Prediger der Welt bestellt ist und die Welt strafen muss um der Gerechtigkeit, um der Sünde und des Gerichts willen; alle Bewegungen und Rührungen dieses Geistes im Inwendigen, womit Er die Herzen wecken, bekehren, zu Jesu weisen will, sind ja gleichsam der aufgehobene Finger des Herrn, der an unsere Türe pocht, sind die Stimme des Freundes, der eingelassen sein will. Die mächtige Stimme des Gewissens, des inneren unbestechlichen Richters, der sich das Schweigen von keinem Könige und Gewaltigen, und von keinem Bettler gebieten lässt, den keine Hand auf den Mund schlagen, den niemand verstummen machen kann, ist sie nicht die Stimme des Herrn, der vor der Türe so nahe wie möglich steht, und oft so stark klopft, mit solchen Hammerschlägen, dass dir die Ohren sausen, und das Herz im Leibe bebt? Die Lehren, die Ermahnungen, die Warnungen und Bestrafungen der Eltern und Lehrer, die Predigten, die Bücher, was sind sie anders als Stimmen des Herrn, der dadurch an unsere Türe klopft und sich Wege in unser Herz bahnen will? Ja Feinde wie Freunde sind gewöhnlich in der Hand des Herrn Werkzeuge, womit Er bei uns anklopft. Alles, was dir immer begegnet, Leiden, Trübsale, Krankheiten, freudige und traurige, angenehme und unangenehme Ereignisse, die dein Herz berühren, innere und äußere Erfahrungen, Wohltaten oder Züchtigungen, Glück oder Unglück, sind sie nicht alle Boten des Herrn, Hammerschläge, von seiner Hand geführt, die den Herrn, sein Stehen vor der Türe anmelden, dein Herz Ihm zugänglich machen, deine Tür aufklopfen, und Ihm Eingang und Aufnahme bei dir verschaffen sollen?

Wo klopft Er denn? Vor allen Türen. Es ist gewiss kein Menschenherz, keine Seele, vor deren Türe Er nicht steht, wo Er nicht früh oder spät, oder beständig klopft und ruft, bis sie Ihm auftut oder sich gegen Ihn verhärtet und verstockt. (Seine nie ermüdende Geduld und Liebe, womit Er oft so lange klopft und ruft, soll uns zur Buße, zur Ergebung an Ihn, und zu seiner Aufnahme reizen und leiten; wenn wir aber seine Geduld lange verachten und unser Ohr gegen seine Stimme immer betäuben, so kann es uns zur Verhärtung und Verstockung bringen.) Er, der Erlöser, der Heiland aller Menschen, der da will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; Er, der große Hirte der Schafe, der Bischof und Hirte der ganzen Menschenherde, dem es der Vater heilig eingebunden und aufgetragen, dass Er keins von denen Schafen verliere, die Er Ihm zur Hut übergeben; Er, der gekommen ist in die Welt, das Verlorene zu suchen, die Verirrten zurecht zu bringen, die Gottlosen gerecht, die Sünder selig, die Kranken gesund, die Blinden sehend, die Unreinen rein, die Toten lebendig zu machen, Er steht gewiss vor der Türe aller dieser Elenden, klopft gewiss bei Jedem, welchen Namen er haben mag. Er, der Treue und Wahrhaftige, unterlässt gewiss bei keiner Seele, zu tun des Vaters Willen, zu vollbringen das Werk, das ihm befohlen ist. Er darf gewiss nicht erst erinnert werden; Hier ist Einer, den du übersehen, dort ist Einer, den du vergessen hast. Er versäumt und vergisst ja Keinen, Er klopft bei den Großen und Kleinen, Er steht bei den Großen und Kleinen, Er steht vor der Türe der Hohen und Niedrigen, der Reichen und Armen, der Gelehrten und Ungelehrten, der Heiligen und Sünder, der Alten und Jungen. Es ist auch gewiss keine Stunde, kein Tag im Jahre, kein Umstand, keine Lage im Leben eines Menschen, wo Er, der unermüdlich treue Sucher des Verlorenen, nicht vor der Seele steht, und sein Amt des Klopfens wahrnimmt, und des Vaters Willen mit kindlicher Freude und brüderlicher Liebe erfüllt, denn der Vater hat Ihn ja (wie Jakob den Joseph) zu seinen Brüdern gesendet, dass Er sehen sollte, was sie machen. Er versäumet gewiss keine Gelegenheit, gewiss den rechten Augenblick nicht, wo Er deinem Herzen beikommen, wo es gerade Zeit und gut anzuklopfen ist. Er versteht es auch, Er weiß jede Lage, jeden Umstand zu benutzen, und zur Gelegenheit zu machen, dass Er an deine Türe klopfen kann, und du Ihn und sein Klopfen wahrnehmen musst. Der Hüter Israel schläft und schlummert nicht, und verschläft und verschlimmert also gewiss keinen günstigen Augenblick, wo Er dich erinnern, wecken, einladen, auffordern und von dir gehört werden kann.

Nun wollen wir Ihn aber bei den verschiedenen Türen, vor denen Er zu stehen und anzuklopfen pflegt, aufsuchen und hören, was Er in die Herzen ruft und wie sein Klopfen tönt, wie seine Hammerschläge schallen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Wenn wir den klopfenden Freund suchen, so finden wir Ihn zuerst und fast immer vor den Türen der Sünder stehen und klopfen, vor, in und nach der Tat und vollbrachter Sünde. Deswegen hieß man Ihn ja auch den Zöllner- und Sünderfreund. Deswegen sagen ja seine Feinde: Er nimmt die Sünder an: und als Er bei Zachäus anklopfte und ihn besuchte, murrten sie: „Kehrt Er doch schon wieder bei einem Sünder ein.“ Sie wollten sagen: Steht Er doch immer vor den Türen der Sünder, und wo Ihm einer auftut, so geht er zu ihm ein.

Man hat Beispiele genug, dass der Heiland vor der Türe des Sünders steht, mitten unter der Sünde, dass Er sich während dem Sündigen nicht von der Türe des Sünders entfernt, sondern immer stehen bleibt, immer anklopft, und zwar stark, ja gerade da mit den stärksten Hammerschlägen des Wortes an die Türe schlägt, und mächtig in das Gewissen spricht: Du tust unrecht, du bist ein Knecht der Sünde! und wer sündigt, ist ein Kind des Teufels. Du musst sterben, denn der Tod ist der Sünde Sold. Wenn du nicht ablässt, nicht umkehrst, nicht Buße tust, kannst du in das Reich Gottes nicht eingehen; du wirst das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über dir rc. Der Sünder möchte sich gegen diese Stimme gern betäuben, seine Ohren verstopfen und sich Ruhe verschaffen, aber er kann nicht. Die innere Unruhe, Vorwürfe, Gewissensbisse und Anklagen verfolgen ihn in und nach der Sünde. Vergeblich flieht er von einem Orte zum andern, vergeblich stürzt er von einer Zerstreuung in die andere, vergeblich häuft er Sünde auf Sünde, um das Gewissen zu beschwichtigen und seinen Schlägen auszuweichen oder zu entgehen. Es folgt ihm überall, begleitet ihn und geht mit ihm in Alles hinein. Die anklagende, richtende, verdammende und strafende Stimme verstummet nicht, und verlässt ihn nicht, lässt ihn nie weniger allein, als wenn er allein ist, und was ihm das Andenken an seine Sünden vertreiben soll, muss ihm dieselben erst recht ins Auge rücken; Alles muss ihn daran erinnern, Alles gegen ihn zeugen, alles ihn strafen. Er kann keine Freude, keine Lust ungestört und ungetrübt genießen; Alles Süße und Angenehme wird ihm durch das innere Klopfen und Klagen verbittert. Was ist das anders, als der treue Hirt, der das treulose Schaf sucht und mit seiner Liebe verfolgt? Was ist das anders, als der Gott der Gnade und Barmherzigkeit, der den Tod des Sünders nicht will, sondern dass er sich bekehre und lebe? Ja, der klopft mit solchen Hammerschlägen an die Türe des Gewissens, an das Herz des Sünders, um ihm keine Ruhe in der Sünde zu lassen, um ihm das Sündigen zu entkleiden und zu verbittern.

Es geschieht wohl auch oft, dass die Sünde dem Sünder Schande und Schaden bringt, ihn nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich unglücklich und elend macht; dadurch wird das Herz noch betrübter, und die Gewissensbisse, die Anklagen und Vorwürfe des inneren Zeugen werden stärker, beißender, verwundender; die Unruhe steigt, und Angst und Bangigkeit vor der Zukunft, vor Gericht, Tod und Hölle erfüllen das Herz, der Sünder schämt und scheut sich in sich selbst vor Gott, bebt vor dem Gedanken an die Ewigkeit, wo alles, was in der Finsternis und im Verborgenen geschieht, ans Licht kommen und offenbar wird, wo jeder Faden des Unrechts, er sei noch so fein gesponnen, am Sonnenlicht der ewigen Wahrheit und Gerechtigkeit sichtbar werden wird. Es wird dem Sünder schon unheimlich bei guten, frommen und gottseligen Menschen, weil er sich in ihrer Gegenwart zu unwert, zu unrein und zu schlecht fühlt, und das Urteil der Verdammnis vor seinem eigenen inneren Richterstuhl immer über sich hören und mit sich herumtragen muss. Was ist das Alles, und wenn es noch mehr und noch ärger ist, was ist es anders, als Jesus der Sünderfreund vor der Türe des Sünders, der da mit ebenso vielen Hammerschlägen an das arme Herz klopft, um die Sünde herauszuklopfen, den Sünder von der Sünderbahn zurückzuschrecken, ihm die Sünde zu verbittern, ihm die Folgen und Früchte derselben anschaulich zu machen, und den Abgrund des Verderbens offen zu zeigen, in welchen er sich hineinstürzen würde, wenn er der Sünde fortgesetzt dienen wollte? Aber das oll ihn auffordern zur Buße und Bekehrung. Bei jedem Schlag an sein Herz hört er gewiss auch zugleich die Stimme in seinem Innern: Tu' Buße! Bekehre dich! verlass die Bahn der Sünde, kehre um und suche Gnade! Wende dich zu Mir!

Und wenn der Sünder diese Stimme hört, und die Türe auftut, wenn er zerschlagen und zerknirscht fragt: „Herr, was willst du? was muss ich tun, dass ich selig werde?“ so wird der Sünderfreund, der so lange vor der Türe gestanden, so lange geklopft hat, dem Sünder eine Antwort geben, ihm Worte in die Seele sprechen, die ihn auf einmal aus seiner inneren Hölle in einen inneren Himmel versetzen. Er wird ihm den Stein, der das arme Herz beinahe zerdrückte, vom Herzen wegwälzen, wird mit einer Liebe und Freundlichkeit, von der der Sünder bisher keinen Begriff hatte, in die arme Seele rufen: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Ich, ich tilge deine Missetat wie die Wolke und deine Sünde wie den Nebel. Gehe hin und sündige nicht mehr. Das erstere (die Vergebung), wird er ihm göttlich bezeugen in seinem Herzen, dass er der Gnade gewiss ist, und sich durch und durch selig fühlt. Das andere, was er ihn tun heißt (sündige nicht mehr), wird Er ihm nicht nur möglich, sondern leicht und lieblich machen, indem Er ihm alle nötige Kraft und Freudigkeit dazu schenkt, so dass er an keinem Guten Mangel leidet. Das heißt, Er wird ihm, wie der fromme Samariter, zuerst das sanfte, lindernde und heilende Öl der vergebenden Gnade und Absolution, und dann den stärkenden, neu belebenden Wein seines heiligen und heiligenden Geistes in die Wunden seines zerrissenen und zerschlagenen Herzens gießen; wird ihn dann nicht liegen lassen und davon gehen, sondern ihn auf seine Schultern nehmen, und ihn in die Herberge, zur Herde der Gläubigen tragen, und ihn da ganz ausheilen und völlig herstellen lassen, und alles für ihn bezahlen und besorgen. Er wird nichts sparen, alles anwenden, bis er tüchtig gemacht ist zum Erbe der Heiligen im Lichte.

Sieh, darum klopft er für und für, so stark an jedes Sünders Tür.

Wenn du aber nach der Begnadigung und Vergebung der Sünden wieder aus der Gnade gefallen wärest, Christum wieder verloren hättest, und entweder unter den Zwang und das Joch des Gesetzes, oder in den Sklavendienst der Sünde, in die Gewalt des Satans wieder nachdem du schon von der Gnade in Freiheit gesetzt warst, zurückgesunken und als ein Treuloser, ein Verräter der Gnade, ein Bundbrüchiger, ein Meineidiger, ein Abtrünniger geworden wärest; wenn du auf diese Weise den Heiland, der schon in deinem Herzen eingekehrt war und Wohnung genommen hatte, wieder hinausgestoßen, dagegen der Sünde, dem Satan und der Welt dein Herz wieder eingeräumt, d. h. die Wohnung des Heiligen Geistes zur Werkstätte des Teufels, den Tempel Gottes zur Mördergrube gemacht hättest; wenn du dich, wie die Schweine, nach der Schwemme wieder im Kot gewälzt, wie der Hund wieder gefressen, was du gespien, wenn du Christum noch einmal an dir gekreuzigt hättest, wie! sollte der Sünderfreund auch noch deiner gedenken? sich auch noch nach dir umsehen, und vor deiner Türe sich sehen und hören lassen? Allerdings! Nicht nur das: Er hat dich nie verlassen, Er ist dir überall nachgelaufen auf allen deinen Irrwegen, wie der gute Hirte, der 99 Schafe auf den Bergen lässt und dem hundertsten, dem verlorenen nachläuft, bis er es findet.

Er hat gewiss, auch in diesem Zustande deiner Abkehr von Ihm, sich nie von dir gekehrt, hat immer vor deiner Türe stehend geklopft, immer in dein Herz gerufen: du hast Ihn nur nicht gehört oder nicht hören wollen, hast Seine Stimme verachtet, bist ausgewichen, hast Ihm den Rücken gekehrt, dein Ohr verstopft, deine Türe verriegelt, dein Herz verhärtet und Ihm viel Herzeleid angetan. Dennoch blieb Er treu und standhaft vor deiner Türe, steht jetzt, steht heute, steht diese Stunde noch vor deinem abtrünnigen Herzen; denn Er hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen. Darum ruft er immer klopfend mit herzdurchschneidender Stimme in deine treulose Seele hinein: Kehre wieder, du Abtrünniger! steh' stille, halte Meinem Rufen! Warum fliehst du Mich, deinen Erbarmer? Warum verlässt du deinen guten Hirten? Was hab' ich dir getan? Warum hast du Mich aus deinem Herzen geworfen? Mir den Rücken gekehrt, und bist deinen Mördern, den Wölfen in den Rachen gelaufen? Warum fliehst du das Leben, und suchst dir den Tod? Sieh, den ganzen Tag strecke Ich Meine Hände nach dir aus, du widerspenstiges Herz! dass du es erkennst an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient! O wie oft schon wollte Ich dich in Meine Arme, in Meinen Schoß nehmen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und du hast nicht gewollt! Warum willst du denn sterben? warum verderben? warum eine Beute des Todes und der Hölle werden? Kehre wieder, du abtrünniges Herz! Heute, heute, da du Meine Stimme hörst, verhärte dein Herz nicht länger; kehre in Meine Arme zurück, Ich will deiner Sünden nicht mehr gedenken und deine Missetat dir nicht zurechnen.

Wenn du nun diese Stimme der erbarmenden Liebe deines Heilandes hörst, Ihm die Tür auftust, wenn du wie der verlorene Sohn sprichst: Ja, ich will mich aufmachen, will zurückkehren in die Arme meines Vaters, meines Heilandes, ehe ich im Dienste der Sünde Hungers sterbe; ich will bekennen, dass ich gesündigt habe, und dass ich nicht wert bin, ein Kind des Vaters, ein Jünger Jesu zu heißen; o wenn Er mich nur aus Gnaden zum Türhüter in Seinem Hause annimmt und duldet, wenn du wirklich mit dieser Gesinnung den Schoß des Vaters, die Arme des Heilandes, Vergebung, Gnade und Aufnahme suchst, so läuft dir der Vater entgegen, so nimmt dich der gute Hirte auf seine Schultern und trägt dich heim; so wird über deine Rückkehr ein Freudenfest im ganzen Hause Gottes sein; der ganze Himmel wird frohlocken, und du wirst durch Gnade wieder mehr gewinnen, als du durch die Sünde verloren hast.

Bist du zwar nicht abgefallen von deinem Gott und hast Ihm nicht allen Gehorsam aufgekündet; aber dein zerstreutes Herz ist doch oft von ihm abgewandt, und bekümmert sich um zu viele Dinge, hängt sich da und dort an, will bald da, bald dort hinaus, und du stehst in Gefahr auf allerlei Abwege zu geraten; hier lockt der Feind, dort reizt dich ein Scheingut, und es fehlt nicht viel, du kommst mit deinem Herzen ganz vom Herrn ab und verlierst dich in die vielen Dinge, die dich umgeben und dein Herz verstricken; wie ist deinem Heiland dabei? Wie einer Henne, deren Küchlein Gefahren drohen. O wie breitet Er Seine Flügel der Gnade und Treue aus! wie naht Er sich deinem unbeständigen, unruhigen Herzen! Wie ernst und dringend klopft Er! wie laut und vernehmlich warnend ruft Er dem Küchlein zu, dass es unter Seine Flügel eile und sich der Gefahr entreiße! Sein Klopfen, Seine Stimme, wenn ich sie dir verdolmetschen darf, sagt dir nichts anderes als: Martha! Martha! du bekümmerst dich um zu viele Dinge! du zerstreust dich zu sehr! Eins nur ist Not. Setze dich zu meinen Füßen, bleib bei mir, und ich in dir! das ist das beste Teil, das wird dir niemand nehmen können. Was nützt es dir, wenn du die ganze Welt gewinnst, aber dabei an deiner Seele Schaden leidest und sie verlierst? was kann dir die ganze Welt helfen? Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Wer nicht Allem absagt, und nicht sich selbst sogar verleugnet, der kann Mein Jünger nicht sein, kann an Mir, an Meinem Reiche keinen Teil haben.

Wenn du nun diese Stimme hörst und Ihm die Türe auftust - wenn du zurückkehrst in dein Herz, dich losreißt mit deinem Herzen von allem, was Er nicht ist, und zu Ihm nicht führt; wenn du Abschied gibst den eitlen Sorgen, Lüsten und zerstreuenden Vergnügungen; wenn du hörst, was der Herr, der Freund vor der Türe in dir redet, was Er in dein Herz spricht: wenn du wachst und betest, und in Ihm zu bleiben suchst, so wird Er eingehen zu dir, so wird Er Seine Nähe, Seine Gnade wieder in neuem Maße dir mitteilen, wird dir Wachstum und Gedeihen schenken, als einer Rebe, die am Weinstock bleibt. Grünen und blühen wirst du wie die Bäume an Wasserbächen, einwurzeln und gegründet werden wirst du in Ihm. Deine Seele wird leben.

Es fehlt nicht an Leuten, die Christen sein wollen, und doch den rechten Weg entweder noch nie gekannt und gegangen oder wieder davon abgewichen sind, und auf der großen Heerstraße, auf dem breiten Wege sicher und leichtsinnig fortschreiten, als wenn es die gebahnte Straße in den Himmel wäre. Sie stellen sich der Welt gleich, wenn nicht der groben, doch der feinen, wenn nicht der rohen, doch der sogenannten gebildeten (eleganten) Welt, - aber Welt ist Welt, und alle Welt vergeht mit ihrer Lust, die feine wie die grobe. Solche feine Christen suchen nur den Menschen zu gefallen, lassen die verfeinerte Sinnlichkeit herrschen, und sich von Begierden umtreiben, die ehrbar und unschuldig, erlaubt und zulässig scheinen (in ihren, vom falschen Lichte geblendeten Augen), die aber doch aus dem Fleische stammen, und nichts als Nahrung und Futter für die feinere Sinnlichkeit gewähren, die den Geist wenigstens leer ausgehen und arm und unbefriedigt lassen. Man wagt es nicht, der Menge, dem großen Haufen, der eitlen Welt bestimmt und unumwunden zu widersprechen; man baut sich neben der breiten Straße ein Sträßchen, welches aber doch mit derselben fortläuft und zu demselben Ziele führt. Gegen den Strom zu schwimmen, ist man zu schwach und zu wenig geübt, man sucht zu lavieren: man stürzt sich nicht gerade in die Mitte des Stromes, aber doch so zur Seite oder in einen Arm des Hauptstromes, wo es zwar viel schwerer zu schwimmen ist; aber man verleugnet sich, weil man doch nicht zurückbleiben, nicht auffallen, nicht lieblos scheinen, nicht getadelt sein will. So lässt man sich von der listigen Sprache der Schlange berücken.

Aber ihr Wanderer auf diesem breiten und halbbreiten Wege! hört ihr denn nicht den Freund, der euch selbst auf diesem, Ihm ganz verhassten Wege mit seiner Treue und Liebe verfolgt? Seht ihr Ihn nicht vor der Türe eures abgewandten Herzens stehen? Er kann ja nicht von eurer Türe wegkommen! Er ermüdet nicht zu klopfen. Oft hämmert Er gewaltig und schlägt an euer Herz mit einem starken Arm. Hört ihr Ihn denn nicht, wie Er sich beinahe müde schreit, um sich euch, die ihr unter dem Geräusch der großen Welt und bei dem Rauschen des breiten, reißenden Stromes, nicht gut hören könnt, verständlich zu machen? Hört ihr Ihn nicht, wie Er Seine Stimme erhebt und ruft: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Außer Mir kommt niemand (zum rechten Ziele) zum Vater. Ich bin die Tür; wer eine andere sucht, ist ein Mörder und Dieb an seiner eigenen Seele und an andern, die er mit verführt. Wer durch Mich eingeht, wer Mir nachfolgt, der wird das Leben finden. Die Tür ist enge, und schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und Wenige finden ihn. - Geht ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln. Wenn ihr nicht die Füße, die euch ärgern, die die breite Straße wandeln wollen, abhaut und die Augen, die nach Sodom und Ägypten blicken, nach der feinen Welt und ihrem Beifall sich umsehen, ausreißt, und in die Fußstapfen Christi tretet; wenn ihr nicht das Kreuz, die Schmach Christi auf euch nehmet; wenn ihr es allen Leuten recht machen, lieber euren Heiland beleidigen und gegen Ihn lieblos sein, als gegen die im Argen liegende Welt lieblos scheinen wollt, so könnt ihr in Sein Reich nicht eingehen, könnt Seine Jünger nicht sein.

Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören? Wer seinem Heilande glaubt, der die Wahrheit und das Leben ist - wer Ihm folgt und glaubt, findet alles leicht, was Er sagt und gebietet. Ja, Lieber! wenn du dein Ohr einwärts wendest, wo der Freund spricht; wenn du nicht länger die Schlangensprache der Welt, sondern den an dein Herz klopfenden und warnenden Freund hörst, den treuen und wahrhaftigen Zeugen, dessen Wort bleibt, wenn alle Welt vergeht mit ihren Scheinherrlichkeiten und ihrer betrügerischen Lust; wenn du Ihm dich in die Arme wirfst, die Er gegen dich ausgespannt hat, um dich aufzunehmen, so wird Er dich gegen den Strom schwimmen lehren, wird dich sanft und freundlich auf dem schmalen Wege führen, Schritt vor Schritt mit dir gehen bis in den Schoß des Vaters, der ewigen Liebe. Dahin willst du doch? Nun gut, so wandle auch den Weg, der dahin führt. Aber wie kannst du sagen, du willst zu Gott, in den Himmel, wenn du mit der Welt, die ins Verderben rennt, gleichen Schritt hältst? Bedenke die verschiedenen Wege, und das Ende von beiden. Wie lohnt der Herr? Wie die Welt? Wo, bei wem willst du einst sein? Im Lande des ewigen Friedens und der Freude Gottes, oder im Lande der ewigen Finsternis und der Todesschatten, wo Heulen und Zähneknirschen nimmer aufhören wird? In jenes Land kommt man gegen den Strom, in dieses mit dem Strom schwimmend; in jenes geht man an der Hand des Herrn auf Seinem Wege, auf dem schmalen; in dieses mit dem großen Haufen, mit der schönen Welt, auf dem breiten Wege. Komm also, gib deinem Heilande Hand und Herz! Er führt dich stromaufwärts, himmelan! Häng dich an Ihn an, und sieh dich nicht mehr um, auch nicht mit einem Blicke! Denk an Lots Weib; Ein Blick! dachte sie, was soll der schaden? man muss es so streng nicht nehmen. Sie sah sich um da stand sie, die Salzsäule; - und stände wohl noch dort, wenn die Elemente und der allzermalmende Zahn der Zeit sie nicht gefressen hätte. Willst du keine Salzsäule werden, so eile und errette dich; flieh aus dem Sodom dieser Welt, ohne sie eines Blickes mehr zu würdigen.

Wenn du, dem Heiland folgend, und auf seinem schmalen Wege wandelnd, manchmal im Dunkeln gehen musst, und der Weg so schmal wird, dass du ihn kaum mehr siehst und findest; wenn die Sonne untergegangen, und kein Stern an deinem bewölkten Himmel sich sehen lässt; wenn Finsternis und Schatten dich allenthalben umgeben, und du keine Seele findest, die dir sagen könnte, wo du deinen Fuß hinsetzen, welche Wege du einschlagen, was du erwählen sollst; so wird dich doch gewiss der nicht allein lassen, der alle Tage bei uns zu bleiben verheißen hat bis ans Ende des Weges, der treue Führer. Ja gewiss, Er klopft an deine Tür, Er kommt zu dir, wie Er zu den Jüngern auf den Wogen des stürmischen Meeres kam, mitten in der Nacht, da sie Not litten, und die Wellen ihr Schifflein bedeckten und mit ihnen zu verschlingen drohten; Er steht schon vor dir, und ruft dir in die dunkle, bange Seele: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir! Ich will dich mit Meinen Augen leiten, und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst. Ps. 32. Ich bin das Licht der Welt; wer Mir folgt, wird nicht wandeln im Finstern, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh. 8, 12. Wenn du nun den Klopfenden, den Rufenden hörst, Ihm die Tür auftust, d. h. in deiner Nacht nirgends Licht suchst als bei Ihm, dich von keinem Sterne leiten lässt, als von Seinem Worte, zu Ihm nur die Knie beugt, und um erleuchtete Augen deines Gemüts flehst, wie Paulus, Eph. 1, 18.: so wird dir gewiss die Sonne der Gerechtigkeit in neuem Glanze aufgehen; denn sie steht ja vor deiner Türe, ihre Strahlen brechen ja schon durch die Spalten derselben; du darfst ja nur auftun, so wird ihr helles, erwärmendes, belebendes Licht mit Macht in das Innerste deiner Seele dringen, all' dein Dunkel erhellen, dir alle Wege, die du wandeln sollst, klar und gangbar machen. Du wirst mit Freuden ausrufen: der Herr ist mein Licht und mein Heil! was soll ich mich fürchten? Licht muss dem Gerechten doch immer wieder aufgehen und Freude dem frommen Herzen. Ps. 27.

Wenn du in den Tagen der Dürre und Trockenheit, wo kein Tau und kein Regen des Himmels dein mattes Herz erquickt, wo Alles von der Sonnenhitze der Trübsal und Anfechtung ausgebrannt ist; wenn du in einer dürren Sandwüste, vor heißem Durst und Hunger nach Brot und Wasser des Lebens schmachtend, wandelst, und nirgends eine Quelle, nirgends ein Tautröpflein, gar keine Labung und Stärkung findest, dass dir die Zunge am Gaumen klebt und alle deine Gebeine vertrocknen wollen: wenn dich kein Menschenwort und kein Büchertrost mehr trösten kann, wenn dich alles, womit du deinen Durst stillen willst, nur noch elender, trockner und schmachtender macht wo ist dann der Freund? Nicht fern kann der Nahe sein. Er ist bei dir in der Not; Er, Er hat dich in die Wüste geführt, um dir zu zeigen, dass Er auch in der Wüste Ströme, und in der Einöde Wasserbäche schaffen kann. Da klopft und ruft Er: wenn du erkennst die Gabe, und wer der ist, der dich also führt und vor deiner Türe steht, du bätest Ihn und Er gäbe dir Wasser des Lebens. Wer das Wasser trinkt, das Ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht mehr dürsten; denn es wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das ins ewige Leben quillt. Komm zu Mir und trinke. Wer an Mich glaubt, von des Leib werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Joh. 4, 10. 14 und 7, 38.

Sieh da, welche Quelle! die allen Durst auch in der Wüste dieses Lebens stillt! O, wenn du Ihm auftust; wenn du Ihn hörst, Seiner Stimme glaubst und folgst, wenn du deinen Mund an Seine Quelle ansetzt, nur nach Ihm und Seinem Wasser dürstest; wenn du dir nicht selbst löchrige Brunnen gräbst, oder in den Zisternen Anderer deinen Durst zu stillen suchst, wie leicht kannst du dann bei Ihm gelabt, erquickt, getränkt, ja trunken werden von den reichen Gütern Seines Hauses. Das Abendmahl, der Freund, der dich zum Abendmale lädt, und es dir schon bereitet hat, steht ja vor der Türe. Der Brunnen ist ja nicht fern, er strömt dir ja ins Herz hinein, sein Wasser schlägt an deine Tür an und will eindringen, wie ein ausgetretener Strom Alles überschwemmen, Alles wässern will. Wahrlich, da ist keine Entschuldigung für uns, wenn wir vor Durst sterben oder ermatten. Die Quelle steht vor der Türe und ist jedem zugänglich und allen frei und offen, dem Ärmsten und Elendesten; denn sie spricht und hat die Aufschrift: Wen dürstet, der komme und trinke Wasser des Lebens umsonst. Offenbarung 21, 6. 22, 17.

Ach, aller Schaden, alle Schwachheit, all' das Hinken auf beiden Seiten, all das sieche, schwankende, kränkelnde, schwindsüchtige Wesen der Menschen kommt doch nur daher, dass man den nicht hört, dem nicht auftut, der vor der Türe steht und klopft. Was fänden wir bei ihm nicht? was würde, wenn wir Ihm auftäten, mit Ihm zu uns eingehen und uns zu Teil werden? Steht mit Ihm nicht Alles vor unsrer Türe? Ist in Ihm nicht Alles uns so nahe gelegt wie möglich? Klopft mit Ihm nicht jede Hilfe, jeder Trost, jede Gnade, jede Kraft, aller Reichtum, alle Schätze, alle Fülle Gottes, alle Weisheit, alle Gerechtigkeit, alle Heiligung und Erlösung an unsere Türe an? Geht mit Ihm, wenn wir Ihm auftun, nicht Alles zu uns ein? Ja mehr, überschwänglich mehr, als wir bitten und verstehen.

Darum auf! auf! o Seele! weit auf die Türe! Der gedeckte Tisch steht dir vor den Augen, vor dem Munde; Alles ist in Ihm bereitet. Du darfst, du sollst Ihn nur einlassen, so wirst du rühmen können: Der Herr ist mein Hirte, mir wird Nichts mangeln, denn Er führt mich zum gedeckten Tische, zur frischen Quelle, Er weidet mich auf grünen Auen. Er salbt mein Haupt mit Öle und schenkt mir voll ein. Ps. 23. So spricht ein Mann, der sagen konnte: Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn Er steht nicht mehr vor der Türe, sondern mir zur Seite, zu meiner Rechten. Ps. 16, 8.

Wer von schweren Anfechtungen geplagt wird, sich seiner Schwachheit recht bewusst ist, auch viele Schwachheiten, wie man‘s nennt, oder Fehler und Untreuen sich zu Schulden kommen lässt, dagegen kämpft, aber immer wieder fällt, und endlich fast verzagt und in Zweifel und Mutlosigkeit versinken will; sollte der vergessen sein vom treuesten mütterlichsten Herzen? vom Freunde, der Alle, für die Er starb - und Er starb für Alle in seine Hände gezeichnet -Alle in dieses einzige unvergleichbare Schreib- und Denktäfelchen eingetragen hat? sollte der ein solches armes, kämpfendes, zagendes Herz versäumen können? Nein, Alles kann Er, aber das kann Er nicht. - Er steht dem schwachen, bebenden, und zagenden Herzen so nahe, als die Mutter dem kranken Kinde steht, das sterben will. Wie sie das ihr so liebe, schwache Wesen nicht verlassen, nicht vom Krankenbette des hilflosen Kindes weggehen kann, sondern wie angenagelt steht: so steht der Freund, du armes, schwaches Herz! vor deiner Türe unbeweglich, und klopft ohne Aufhören. O, dass du Ihn und nicht deine kleinmütigen Gedanken, Ihn und nicht deine Zweifel-hören möchtest! Denn Er ruft unablässig in dein Herz hinein: Fürchte dich nicht! verzage nicht! Glaube nur! Sieh auf mich! Ich helfe dir, Ich erlöse dich mit der rechten Hand meiner Gerechtigkeit. Lass dir an meiner Gnade genügen. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Verlass dich nicht auf den zerbrochenen Rohrstab deines eigenen Willens, stütze dich auf mich, den Fels des Heils.

Und wenn du die Stimme des Freundes hörst, Ihm die Türe auftust, Ihm all' dein Vertrauen schenkst, Seine dargebotene Hand ergreifst, dich Ihm in die Arme wirfst, von Ihm alle nötige Gnade und Hilfe mit zweifelloser Zuversicht erwartest, alles Selbstvertrauen, alle Selbsthilfe als eitel - als einen zerbrochenen Rohrstab - erkennst, und dich nicht ferner darauf lehnest und stützt; wenn du innig und eifrig betest: Herr, warum lässt Du mich so traurig gehen, da mich meine Feinde drängen? Sende Dein Licht und Deine Wahrheit, dass sie mich leiten auf deinen heiligen Berg und zu Deiner Wohnung. Was betrübst du dich, meine Seele! und bist so unruhig in mir? Harre des Herrn, denn ich werde Ihm noch danken, dass Er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. Psalm 43. Wenn du so betest, so glaubst, so dein Herz auftust, so wird Er, der vor der Türe steht und hört, was du betest, und sieht, wo es dir fehlt, deinen rauchenden Docht gewiss nicht auslöschen, dein zerknicktes Rohr gewiss nicht vollends zerbrechen, sondern jenen wieder anfachen, dieses wieder aufrichten und festmachen, wird dir neues Leben einhauchen, dir Feuer von Seinem Herde geben, die Flamme Seiner Liebe in dir anzünden, dein Herz durch Gnade und Liebe festmachen und deine Füße auf einen Fels stellen, dass du gewisse Tritte tun kannst; dass du rühmen wirst: Ich vermag Alles in dem, der mich mächtig macht. Lobe den Herrn, meine Seele, vergiss nicht, was Er dir Gutes tut, der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit.

Wenn von innen Kampf, von außen allerlei Not und Plage an deine Hütte anklopft; wenn deine Sünden, wenn böse Neigungen, wenn der Streit mit Fleisch, Welt und Teufel, dir das Leben sauer machen; wenn mit oder ohne diese innere Not, Armut oder Krankheit, oder Unglück, oder Verfolgung, Hass der Menschen, erlittenes Unrecht, Schaden, Verlust der Güter oder der Ehre, der Freunde, der Kinder, der Eltern, oder was immer für ein Leiden und Kreuz auf deinen Schultern liegt und dich zu Boden drückt; wenn dergleichen Ermahnungen und Prüfungen, die wie Dornen am Wege deinen Fuß bei jedem Tritte verwunden, dir den Weg des Herrn zu schmal, zu dornig, zu rau machen wollen; wenn dir die Türe zu enge und die Nachfolge des Herrn zu schwer, sein Joch zu drückend, seine Last zu lästig werden will, so dass du beinahe erliegen, zurücktreten und zur Welt umkehren möchtest; - und wenn etwa noch mehrere deiner Brüder in denselben Umständen, unter demselben Drucke schmachten, so dass ihr mühselig und beladen euren Pilgerweg hinwankt, und keiner dem Andern helfen. kann: so fühlt diese eure Not gewiss niemand mehr, so ist gewiss niemand teilnehmender, und steht auch niemand näher, als der, dessen Blick in alle Welten dringt, der alle Haare gezählt hat, der einzig treue und wahre Freund in der Not; denn gerade die Trübsal, die an deiner Hütte klopft, ist ja nur sein Hammer, Sein Finger, womit Er sich anmeldet. Sein Kreuz ist ein Beweis, dass Er selber da ist und vor der Türe steht. All' eure Leiden, all' eure Not von innen und außen ist nichts anders als Sein Klopfen, und wenn ihr recht horcht, wenn es inwendig in euch stille wird, wenn ihr die Ohren durch das Geräusch eurer Klagen nicht verstopft und betäubt, so werdet ihr hören die Stimme, die zu euch spricht: Kommt Alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken; nehmt auf euch Mein Joch und lernt von Mir; denn Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn Mein Joch ist sanft und Meine Last ist leicht. Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Krenz auf sich, und folge Mir nach. Wen ich lieb habe, den strafe und züchtige ich.

Wer nun Seine Stimme hört, Ihm die Türe auftut, und statt zu murren oder zu verzagen die dargebotene Erquickung ergreift, sich dem einladenden Heiland wirklich im Vertrauen naht, mit aller Last und Mühseligkeit nirgends anderswohin, als zu Ihm flieht, der vor der Türe ruft: Kommt Alle zu Mir! Wer solche Worte fasst, als ihm gesagt; wer denkt: weil Er Alle ruft, Alle einlädt, so hat er auch mich gerufen und geladen, so soll und darf auch ich kommen, so werde auch ich von Ihm erquickt, gestärkt, gelabt und neubelebt; wer sich von Ihm ein demütiges Herz schenken lässt, das sich der Leiden nicht wert hält; wer sich von Ihm ein sanftmütiges Herz ausbittet, das alle Leiden sanft und gelind auffallen lässt; wer geduldig jedes Kreuz auf sich nimmt und es aus der Hand des Heilandes nimmt, der findet auch Sein Joch sanft und Seine Last leicht. Er will es ja selbst jedem tragen helfen; Er will ja erquicken, stärken und Ruhe geben, Er will mit uns sein in der Not; darum steht und klopft Er für und für so stark an unsers Herzens Tür. Seine Hammerschläge der Leiden auf unser Herz sind uns Pfand, dass Er selbst nahe vor der Türe steht, und auch Erquickung und Stärke bereitet hat; denn er schlägt nur, um zu heilen; Er will nur das harte Herz weich, mürb und beugsam, das stolze, trotzige demütig und klein klopfen; Er will nur die in sich selbst Satten und Genugsamen hungrig, arm, empfänglich und begierig nach Seiner Gnade und Hilfe machen. Dazu taugt Ihm nichts so sehr als der Hammer des Kreuzes, der inneren und äußeren Not der Trübsal. Wir sind Ihm, dem himmlischen Freunde, immer noch zu hart, zu enge, zu verschlossen, zu satt, so dass Er Seinen überschwänglichen Trost, Seine himmlischen Erquickungen uns nicht so mitteilen kann, wie Er gerne möchte. Da schickt Er dann Schmerz, Mangel, Not, Kreuz und Plage, Last und Mühseligkeit voraus, die müssen uns mürbe und für Seinen Trost empfänglich hämmern. Sobald sich also von diesen Dingen eins oder mehrere bei dir anmelden oder einkehren, so sei gewiss, Er kommt selber nach, Er steht schon vor der Türe; es ist Sein Finger, Sein Hammer, Sein Klopfen, Seine Stimme. Ein geübter Streiter Christi kennt Ihn gleich, und weiß; wes er sich zu Ihm zu versehen hat. Sobald er sich mühselig und beladen, versucht, oder auf was immer für eine Weise innerlich oder äußerlich gedrückt und beschwert fühlt, so denkt er: Nun ist der Heiland vor der Türe; nun hat Er Lust zu mir einzugehen und mich zu erquicken; Sein Vorbote, Sein Vorläufer und Anmelder, das liebe Kreuz, die liebe Not ist schon da und klopft schon an meine Türe. Und ein solches Herz ruft Ihm dann entgegen; Komm herein, Du Gesegneter des Herrn! warum willst Du draußen stehen? Ist Dein Kreuz bei mir, so musst Du auch bei mir einkehren; Ich kann ohne Dich Dein Kreuz nicht tragen; ich muss Dich selber haben.

Wer Ihm also auftut seine Türe, wer Ihn so einlädt, so willkommen heißt, bei dem geht Er gewiss hinein; da kann die Erquickung nicht ausbleiben. Ein solches Herz kann Er nicht verschmachten sehen. Kann auch eine Mutter ihr Kind unter der Last erliegen sehen? und könnte sie es - Er kann's nicht. Er nimmt sie uns lieber ab und legt sie auf sich.

Einige Menschen lässt der Herr ohne Leiden und besondere Anfechtungen dahin gehen, oder sie lassen sich durch Leiden nicht zu Ihm treiben, sondern werden leichtsinnig und vergessen der Reinigung von ihren vorigen Sünden. Es ist ihnen nichts daran gelegen, ihren Beruf und ihre Erwählung fest zu machen; sie werden blind an sich selbst; sie sind zweimal erstorbene Bäume, Wolken ohne Wasser, und achten es nicht. Sie beten, singen, lesen, hören, machen Gottesdienste mit, aber ohne Teilnahme, ohne Segen und ohne Nutzen, ohne Anregung in ihrem Innern. Sie gehen davon wie dazu, her wie hin, bleiben nach wie vor; es rührt und bewegt sie Nichts, es erweckt sie kein scharfes und kein gelindes, kein kräftiges und kein liebliches Wort, keine Drohung und keine Verheißung Gottes. Alle Predigten, alle Ermahnungen, Warnungen, Strafen sind unkräftig, matt, fruchtlos an ihren Herzen. Sie halten sich aber doch für fromm, gerecht, eifrig, und für besser als andere, weil sie alles zu wissen und zu tun glauben, was ein eifriger Christ tun soll, oder weil sie wähnen, das alles nicht nötig zu haben, und aller Heilsmittel wohl entbehren zu können.

Dies ist ein schlimmer, ja der schlimmste Zustand, in den eine Seele geraten kann. Wo ist denn aber da der Herr, der Augen hat wie Feuerflammen? Er wandelt unter den goldenen Leuchtern und hat die sieben Sterne in seiner Hand; und gerade den Laodicäer, den Lauen, versäumt Er am allerwenigsten, bei dem pflegt Er am stärksten anzuklopfen und ihm zuzurufen: Du sprichst: ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf Nichts; und weißt nicht, dass du bist elend, jämmerlich, arm, blind und bloß. Aber ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! weil du aber lau bist, und weder kalt noch warm, so werde Ich dich ausspeien aus Meinem Munde wie laues Wasser, das unerträglich ist, das man nicht lang im Munde halten kann ohne Ekel.

So stark klopft der Herr an die Türe der Lauen; solche Hammerschläge braucht Er, um ihre Türe aufzuklopfen und sie aufzuwecken. Er hat sie nicht weggeworfen, nicht aufgegeben. Er möchte auch bei ihnen gerne einkehren, auch sie, ja sie besonders noch einmal erwärmen, möchte auch mit ihnen Abendmahl halten. Nur darum klopft Er für und für so stark an ihre Herzenstür. Er droht ihnen mit dem Ausspeien, um sie vor dem Ausspeien zu bewahren. Er hält ihnen ihre Armut, Blöße, Blindheit und Erbärmlichkeit vor, um sie reich, sehend, herrlich und schön zu machen. Seine Geduld ist anbetungswürdig, Seine Liebe und Barmherzigkeit unbeschreiblich. Er kann nicht bergen, dass Ihm ein Lauer bis zum Ausspeien widerlich ist, und Er sagt es ihm geradezu ins Angesicht. Man sollte aber glauben, Er würde ihm alle Gnade, alle Hoffnung wie er's verdiente, absprechen, und ihn ohne weiters ausspeien und verwerfen. Aber ja wohl verwerfen! - Da wird zuvor noch Alles versucht, Alles angewendet, um auch den Lauen nicht zu verderben, sondern zu retten und selig zu machen. Ich rate dir, sagt der Sünderfreund, ich rate dir (nicht gebieten!), dass du Gold kaufst von Mir, das mit Feuer durchläutert ist, dass du reich werdest und deiner Armut abgeholfen werde, und weiße Kleider, dass du dich antust, und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße und salbst deine Augen mit Augensalbe, dass du sehen mögest! Welch eine Liebe! welch ein Rat! wie freundlich, wie gütig gegen so schlechte Menschen!

Aber wie kann ein Lauer, ein Armer, ein Blinder, ein elender Mensch kaufen? lauteres Gold kaufen? solche weiße Kleider, solche Augensalbe kaufen? Es scheint wohl unmöglich; aber der Heiland spottet des Elenden nicht. Kauft, sagt Er Offenb. 21, 6 und 22, 17., kauft bei Mir umsonst! Bei diesem Kaufmann ist leicht zu kaufen, auch ohne Geld. Jes. 55, 1. Gläubiges Nehmen ist die einzige gangbare Münze im Reiche Gottes, mit der man Alles kaufen, das Himmelreich selbst an sich reißen kann. Ja, wenn der Kaufmann vor der Türe steht, und seine Ware so wohlfeil bietet, sie so nahe ans Herz legt, sie vor die Türe bringt, soll es ja selbst den Lauen nicht sauer werden und nicht unmöglich sein, sich mit diesem Golde des HErrn zu bereichern, sich so schöne Kleider zu verschaffen, und solche Salbe zu bekommen. Wie nahe legt's der Herr! dass auch die Lauen können, wenn sie nur wollen. Wahrlich kein Lauer, kein Armer, kein Elender, kein Blinder, kein nackter Bettler kann sich entschuldigen, wenn er nicht reich, nicht herrlich gekleidet, nicht erleuchtet und hellsehend wird, Gott zu schauen. Es steht ihm ja alles vor der Türe, der Herr will es ihm ja in den Schoß schütten. Er darf nur nehmen, nur zugreifen, sich nur schenken lassen, was er nötig hat. Es ist auch dem Heilande so ernst, diese dargebotenen Dinge mitzuteilen, dass er die schrecklichsten Drohungen voranschickt und gleichsam sagt: Lässt du dir von Mir nicht Gold, Kleider und Salbe schenken; lässt du dich nicht heilen, bereichern, kleiden, erleuchten; verharrst du freiwillig und mutwillig in deiner Lauigkeit, Blindheit und Blöße, so will Ich dich ausspeien.

Also übergolden, überkleiden und salben, oder ausspeien! Das Erstere ist dem Heiland natürlich, und viel lieber; das Letztere tut Er ungern und droht nur damit, um zu erwecken und anzufeuern, dass sich der Laue helfen und nicht ausspeien lasse.

Wenn Er nun den Lauen solche herrliche Dinge rät und anbeut, was wird Er den Eifrigen raten und geben, die Ihn darum bitten? O man bedenke es doch recht: mit solchen Himmelsgütern steht Er vor der Türe jedes Bettlers - mit lauterem Gold der Liebe und Gnade, mit herrlichen Kleidern von weißer Seide der Heiligen, voll Gerechtigkeit, mit der köstlichsten Augensalbe des Heiligen Geistes, der uns in die Tiefen der Gottheit schauen lehrt. Mit solchen Schätzen steht Er vor der Türe, klopft, bittet und droht, dass man sie ja doch umsonst von Ihm nehmen soll. O ihr alle, die ihr euch lau, bloß, blind und jämmerlich fühlt und darüber Vorwürfe in eurem Herzen wahrnehmt, wisst, dies ist der Heiland, dies ist Sein Klopfen, Seine Stimme, Seine Worte, die Er zu jenem Laodicäer sprach; das sind Seine Hammerschläge an euer Herz. Der euch aber solche Vorwürfe macht, hat auch noch einen Rat für euch, einen Rat, der köstlich und aller Aufnahme wert ist. Der euch so herunter macht, euch eure Lauigkeit, eure schändliche Blöße und Blindheit so stark vorhält, dass ihr alle Augenblicke ausgespien zu werden fürchtet, der hat auch goldene Worte in Seinem Munde für euch; Er will euch nicht ausspeien, wenn ihr euch raten lasst; Er will euch vielmehr Gold geben; Er will eure Blöße und Schande nicht aufdecken, sondern zudecken mit seidenen Kleidern. Er will eurer Blindheit nicht spotten, sehend will Er euch machen. Dazu hat Er Salbe, Kleider, Gold bei sich, um euch alles mitzuteilen und euch aus aller Not zu helfen. Nur darum klopft Er für und für so stark an eure Herzenstür.

Noch einmal, bedenkt es Alle, ihr Lauen! ihr Armen! ihr Nackten! ihr Blinden! ihr Jämmerlichen! bedenkt es, das Feuer, an dem ihr euch wärmen, das Licht, an dem ihr eure erloschene Kerze anzünden, das Gold, womit ihr eure Armut in Reichtum verwandeln, das Kleid, womit ihr alle Schande eurer Blöße decken könnt, steht vor der Türe. Der Heiland ist bereitet euch auszuspeien oder anzufeuern, euch in die ewige Finsternis oder ins ewige Licht zu versetzen, euch in eurer Blöße vor aller Welt und dem ganzen Himmel zu Schanden zu machen, oder mit Kleidern des Heils zu bedecken und mit Ehre und Herrlichkeit zu krönen. Hört doch den Klopfenden, weil Er vor eurem Herzen stehend klopft; horcht und folgt Seiner Stimme, weil Er ruft. Denn es kommt eine Zeit, wo Er nicht mehr klopfen, nicht mehr rufen, sondern wirklich ausspeien und zu Schanden machen wird Alle, die Ihm nicht auftun ihre Türe, Seinen Rat nicht annehmen, Seine Stimme nicht hören, sondern in ihrer Lauigkeit, Blöße und Blindheit verharren.

„Lau bin ich eben nicht,“ sprichst du, „ganz blind und bloß, und elend und jämmerlich, wie der Laodicäer, scheine ich mir auch nicht zu sein.“ Aber Etwas fehlt dir doch, und zwar etwas Wichtiges und Großes. Ich will dir's nennen. Es ist bei dir nicht mehr, wie es war in der Jugend deines Glaubens, wie in jenen schönen Tagen der Begnadigung und Erwählung. Du bist zurückgegangen; du hast nachgelassen im Eifer; dein Herz ist erkaltet, dass der Bräutigam von dir gewichen ist; denn dein Andenken an Ihn ist nicht mehr so innig, so lebhaft, so anhaltend; deine Freude an Ihm nicht mehr so herzlich, dein Verlangen nach Ihm und Seiner Nähe nicht mehr so brünstig; dein Gebet, dein Umgang mit Ihm ist mehr erzwungen, mehr knechtisch als kindlich. Du bist gleichgültiger, kälter, fremder gegen deinen Heiland geworden. Gestehe es dir nur. Andere Gegenstände nehmen dein Herz beinahe ganz ein, und dein Heiland findet keinen Raum in der Herberge; es bleibt Ihm kaum noch ein Stall, eine Krippe, ein Winkelchen übrig in deinem Herzen. Es wird dir auch schwer und sauer in Ihm zu bleiben, dich andern Dingen zu entziehen, deine Gedanken, dein Herz in Ihm zu bewahren. Es kostet dich Mühe, und die vermagst du nicht mehr. O es ist mit dir ganz anders geworden als gestern und ehegestern. Wie war deine Liebe gegen Ihn so brünstig, so herzlich, so feurig! Wie war Seine Nähe dein Himmel, von dem du dich nicht mehr trennen konntest! Wie leicht und süß war dir alles, was du um Seinetwillen leiden, entbehren, tun und tragen musstest! Wie sehnte sich dein Herz unaufhörlich nach Ihm und immer innigerer Gemeinschaft und Vereinigung mit Ihm! Wie dürstete deine Seele, dass Er eine Gestalt in dir gewinnen, dass Sein Bild der Liebe, der Demut, der Sanftmut, dass Jesus in dir leben und wohnen möchte! Aber nun ist das alles nicht mehr so; du bist nun ein ganz anderer Mensch, aber leider! kein besserer geworden. Die Glut ist ausgelöscht, die Inbrunst ist verschwunden, die Liebe erkaltet.

Was wird der Freund dazu sagen? Er ist wohl von deiner Hütte gewichen und hat dich dahingegeben? - Er will wohl nichts mehr von dir wissen? - O nein, denke nichts Arges vom Allerbesten. Das hättest du wohl verdient; aber Er handelt nicht mit uns nach unsern Verdiensten und vergilt uns nicht nach unsern Werken. Nein, Er steht noch immer vor der Türe. Ja noch immer, alle Tage, bis ans Ende, bis auf den letzten Mann bleibt Er treu, bleibt warm, wenn Alles kalt gegen Ihn wird. Er kann nicht aufhören zu lieben, weil Er die ewige Liebe ist. Er klopft noch immer vor deiner Türe, obwohl Er nichts als Kälte an deinem Herzen spürt. Er klopft so stark und kräftig, hörst du es nicht? Ach Er ruft dir in die Seele: Ich weiß deine Werke du jetzt tust, und was du ehemals getan hast, liebevoll einst und wie lieblos jetzt. Und ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke. Wo aber nicht, wenn du nicht wieder Ernst machst und dein Gebet verdoppelst und eifrig und brünstig im Geiste wirst, so werde Ich dir bald kommen, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust. Welch eine ernste Miene! welche Hammerschläge an ein erkaltetes Herz! die Liebe beklagt sich, dass sie nicht geliebt wird. Welche Ehre, sie will von dir geliebt sein, ist eifersüchtig um dein Herz! Bedenke, sagt sie, in welcher schönen Liebe du standest, wie erhaben war deine Seele in meiner innigen, brünstigen Liebe! und nun, wie tief bist du gefallen! ein großer, schwerer Fall! aber wer achtet es? Viele Tausende der Erweckten gehen ohne diese erste Liebe dahin, sicher und getrost, sich der Gnade und Gewissheit ihrer Seligkeit rühmend, singend und jubelnd, als wenn es ihnen nicht fehlen könnte. Ohne Liebe zum Heiland fühlen sie keinen Mangel an Liebe. Da sie einmal die erste Liebe geschmeckt, wenn schon gleich wieder verloren und verlassen haben, so glauben sie darin doch ein Pfand und eine Versicherung ihrer ewigen Seligkeit zu finden. Sie verhärten sich etwa gar mit der unsinnigen Behauptung, man könne die Gnade, die erste Liebe nicht wieder verlieren, da doch Christus selbst zu diesem (Laodicäer)-Bischofe sagt: du hast die erste Liebe verlassen.

Du aber, wenn du fühlst, dass der Heiland mit dieser Klage vor deiner Seele steht, dass Er sich über die Erkaltung deines Herzens, über den Mangel der ersten Liebe beschwert, so halte es für die größte Gnade und Treue deines Heilandes, der nicht will, dass du in deiner Kälte und Lieblosigkeit stirbst, sondern wieder warm und brünstig gegen Ihn wirst. Der dich straft, liebt dich und will geliebt sein von dir; der dir deine Armut, deinen Mangel an Liebe vorhält, will dir wieder zur Liebe helfen, dir wieder die erste Liebe schenken. Darum gibt Er dir guten Rat: Tue Buße, tue die ersten Werke, d. h. fange wieder von vorne an, mach's wieder wie im Anfange. Woher nahmst du denn anfangs die erste Liebe? wo fandest du sie? Wer hat sie in dein Herz ausgegossen? Geschah es nicht bei den Füßen Jesu, wo dir viel, wo dir Alles vergeben wurde? da war auf einmal dein Herz voll Liebe, Dank und Inbrunst gegen den, der dir alles vergeben hat. Wie fandest du Vergebung? Gebeugt, anhaltend flehend, unablässig betend, seufzend um Gnade, suchend allewege das Antlitz deines Erbarmers. Und Er wandte sich zu dir, vergab dir Viel, und du liebtest Ihn viel. Siehe, tue die ersten Werke. Komm wieder so, will der Heiland sagen, komm wieder so gebeugt, zerschlagen, und gläubig und zuversichtlich zu Mir, so will Ich dir Alles vergeben, und dir die erste Liebe wieder geben, die ersten Werke werden die erste Liebe wieder bringen. (Was sind aber die ersten Werke der Buße anders, als was das Weib Luk. 7,3.7-10. tat?)

An Mir, will der Heiland sagen, soll es nicht fehlen; Ich will dich wieder so auf- und annehmen, dir wieder so gerne vergeben, dir so reichlich geben, wie Ich dir im Anfang vergab und gab. Komm du nur wieder so, tu du nur wieder dasselbe, wie im Anfange, bring Mir nur wieder so ein zerknirschtes, zerschlagenes Herz. Tue Mir nur die Türe so weit, wie damals, auf, so will Ich dich wohl segnen, dir wohl wieder die erste Liebe ins Haus und Herz bringen.

Frage also nicht, wo nehme ich die erste Liebe wieder her? Was tue ich, um sie wieder zu erhalten? Sie steht ja vor deiner Türe, sie klopft ja selbst an deine Hütte an, sie bietet sich dir ja selber dar! Ist nicht der Klopfende, der Rufende, der Klagende, ist nicht der Bußprediger, der dir die ersten Werke rät, der Freund, der über den Mangel deiner Liebe klagt, selbst die Liebe, die Quelle der Liebe, der Geber der Liebe? Bringt Er sie dir nicht vor die Türe? Ruft in Ihm die Liebe sich selbst dir darbietend, dir nicht immer zu: Tue mir doch nur auf! Lass mich doch nur ein! so will ich Abendmahl mit dir halten, und die erste Liebe soll die erste und Hauptspeise bei diesem Mahle sein - denn wenn die Liebe Abendmahl hält, kann sie nur mit Liebe, nur mit der ersten Liebe ihre Gäste speisen. O du Glücklicher! du weißt nicht, wie nahe dir die Liebe ist, wie reich, wie selig an Liebe du wieder werden kannst! Aber auch wie elend, wie unglücklich, wenn du dein Herz der anklopfenden Liebe versperrst, und dich zu dem Abendmahl, das sie dir geben will, nicht einladen lässt. Denn sieh, die Liebe ist auch entsetzlich ernst und drohend, wenn man sie verschmäht; sie sagt: Wo du nicht Buße tust, will ich deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte. Die Liebe will sich dir gleichsam mit Gewalt, aber mit der Gewalt der Liebe aufdringen. Sie droht dir mit dem Untergang, um dich vor dem Untergang zu bewahren und dich zu erwecken, dass du wieder liebst, wie im Anfange. Der aber so ernstlich von dir geliebt sein will, mit der ersten Liebe geliebt sein will, sollte der dir die erste Liebe nicht noch einmal schenken? sie nicht wieder ausgießen in dein Herz, da Er wohl weiß, dass du sie außer Ihm nirgends findest? O ja, glaube doch der Liebe, und tue ihr nur auf, so geht sie zu dir ein und erfüllt dein ganzes Wesen; denn darum klopft sie für und für so stark an deine Herzenstür.

Es gibt unter den Frommen Einige, die sich nicht aufrichtig, nicht ganz, nicht mit dem Herzen zum Herrn bekehrt haben, die nicht vom Tode ins Leben hindurchgedrungen, sondern sich mit einem bloßen Scheine, mit äußerlichen Werken und mechanischen Übungen begnügen, so dass sie mehr Maschinen als lebendige Wesen im Reiche Gottes genannt werden können. Sie werden nur von außen in Bewegung gesetzt, wirken nur im Äußern. Es fehlt ihnen das Leben des Glaubens, die Glut der Liebe, die Salbung des Geistes, die Innigkeit und Inbrunst des Gebetes, der helle, herzschmelzende Blick auf Christum am Kreuze und in Seine Wunden; es fehlt ihnen das brennende Jüngerherz, die Treue und Wärme, das Dankgefühl eines wahrhaft begnadigten und beseligten Sünders. Sie haben den Schein der Gottseligkeit, aber die Kraft derselben verleugnen sie. Ihr Wesen ist mehr äußeres Treiben als inneres Leben, mehr mechanisches als geistiges Wirken, mehr pharisäische Steifheit als herzliche Gottseligkeit; ihre Gebete sind Worte, Formen ohne Herz, ohne Geist, mehr Predigtton und Beredsamkeit des Mundes zu einem Gott außer ihnen, mehr Sache des Kopfes als herzlicher Umgang mit dem lebendigen, im Herzen wohnenden, nahen, freundlichen Heiland.

Wenn du, liebe Seele! von dieser Gattung bist, wenn es so mit dir steht, was denkst du vom Freunde, der die sieben Geister Gottes hat, und Augen wie Feuerflammen? was wird der dir tun? wie mit dir verfahren? Gleichgültig bist du Ihm nicht, und sie sind ja alle Sein, und Er will keine verlieren. Ja, Er hat auch dich im Auge; und nicht nur das; Er steht auch vor deiner Türe, Er klopft auch bei dir an, Er ruft auch dir ins Ohr und Herz, wie Einer, der Gewalt hat, der die Toten aus den Gräbern rufen kann, dass sie leben. Höre, Er spricht zu dir: Ich weiß deine Werke - wie geschäftig und tätig du bist, aber all dein Tun und Treiben, deine Umtriebe und Werke sind taube Nüsse, leere Schalen ohne Kern; du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Es ist kein Leben aus Gott in dir, kein Geist. Dich treibt, wie eine Maschine, die hölzerne Triebfeder der Eigenliebe, die Selbstsucht. Sei wacker, wache auf, belehre dich, lass dich vom Geist des Lebens wecken und beseelen, denn ich habe deine Werke (dein Treiben) nicht völlig erfunden vor Gott. Deine Werke sind zu leicht, sind nicht in Gott, aus Gott und mit Gott getan, sind ein geschäftiges Nichtstun. So gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, dass ein rechtschaffenes Wesen in Christo ist, dass man nicht nur den Schein, sondern das Wesen und die Kraft der Gottseligkeit, nicht nur die Form der reinen Lehre und des lauteren Evangeliums haben, sondern dasselbe in Beweisung des Geistes und der Kraft zeigen muss. So halte es und tue Buße. So du nicht wirst aufwachen (aus deinem Todesschlafe und unruhigen Träumen) werde Ich über dich kommen (und dich wecken, so unerwartet, so unangenehm) wie ein Dieb; und du wirst nicht wissen, welche Stunde ich über dich kommen werde. Ich werde dich plötzlich überfallen, wo du vor lauter unruhiger, zerstreuender, herzloser Geschäftigkeit nicht an Mich denkst, und also bei allem Schein des Wirkens und der Tätigkeit für Mich und für das Reich Gottes, Mich doch vergessen hast, ohne Mich und nicht Mir, nicht mit Mir, sondern nur dir, und aus dir selbst gewirkt hast.

Hörst du, geschäftige Martha, vernimmst du des Freundes Stimme? Das heißt stark angeklopft. Da sollte man doch aufwachen. All das Treiben und Wirken ohne und außer Ihm, aus sich selbst, aus eigener Kraft und Vernunft, da man nicht in Ihm bleibt, wie die Reben am Weinstock, heißt der Heiland schon, Joh. 15, 5. ein Nichtstun und Nichtswirken, dürre Reben ohne Früchte, die weggeworfen und verbrannt werden. Und hier, wo Er vom Himmel herabspricht, sagt Er deutlich, dass man einen großen Namen im Reiche Gottes haben, und doch ein toter Mann sein kann. Du kannst ein sehr lebendiges und gesegnetes Werkzeug scheinen, in den Augen des Heilandes doch untüchtig und nichtswürdig sein. Deine Werke können von einer halben Welt gerühmt und ausposaunt werden, und auf der Waage des Heilandes so viel als Nichts wägen. Du hast einen Namen, man spricht von dir, man rühmt dein Wirken, aber das ist auch Alles; Er, der Augen hat wie Feuerflammen, findet Nichts in dir, als Tod und tote Werke.

Ach, das sollte uns ja allen eine Aufforderung sein, zu prüfen unser Herz und unsere Werke, ob wir nur den Namen oder das Leben haben, eigene oder Gottes Werke wirken? Wir sollen billig beten: „Herr! mache den Gedanken bange, ob das Herz es redlich meine? ob die Seele an dir hängt; ob wir scheinen oder sind?“ Und wenn wir es so finden, dass des Heilandes Klopfen und Klagen uns angeht, so sollen wir ja nicht länger in diesem toten Namen- und Formen-Wesen bleiben. Er will uns ja heraushelfen; Er bietet uns ja die Hand; Er steht und klopft nicht vor unserer Türe als Totengräber, um die toten Namen-Christen zu begraben, sondern als Totenerwecker, sie zu beleben und ihnen neuen Geist einzuhauchen, das geistlose Reden, Wirken und Treiben in ein geistreiches, lebendiges, gesalbtes, gesegnetes, das bloß äußerliche Leben, Beten, Singen, Kirchengehen, Hören, Lesen und Wortemachen in ein innerliches, herzliches, gläubiges, brünstiges, Herz und Geist erhebendes, erbauendes und seelenstärkendes Christentum umzuwandeln. Er will den Tod verscheuchen und das Leben hervorrufen; Er will zum Namen die Sache, zur Sache den Kern, dem Körper die Seele geben. Sieh, darum klopft Er für und für so stark an deiner Herzenstür. Es muss wahrlich mit uns dahin kommen, dass wir sagen können: Jetzt lebe ich, jetzt wirke ich, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich jetzt lebe und wirke, das lebe und wirke ich im Glauben des Sohnes Gottes, der rc. Gal. 2, 20. rc.

Nur noch einmal wollen wir den Freund klopfen lassen. Wenn dir die letzten Dinge vor die Seele treten, wenn Krankheit, Tod, Gericht und Hölle dich schrecken, wenn dich Furcht und Bangigkeit vor der dunklen Zukunft niederbeugt, wenn dir das Herz im Leibe weint, weil es sich von Nacht und Grauen des Todes umringt, und von allem Troste und aller Hilfe verlassen, von aller Freude unendlich weit entfernt fühlt, wo soll sich da dein Herz hinwenden? Hinein! zum Freunde, der die Schlüssel des Todes und des Grabes hat, der tot war für dich und nun lebt und allbelebt ewiglich. Aber wo findest du Ihn? Er steht vor der Türe. Er klopft und ruft Siegesworte in deine bange Seele; horche nur, glaube nur, neige nur dein Ohr hin zur Türe, so wirst du hören, wie Er klopft und ruft: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an Mich glaubt, der stirbt nicht und kommt nicht ins Gericht. Ich gebe Meinen Schafen das ewige Leben; sie werden nicht umkommen, und Niemand wird sie aus meiner Hand reißen, noch aus Meines Vaters Hand weder Tod noch Teufel, weder Grab noch Hölle, weder Zeit noch Ewigkeit.

Und wenn du dieser Stimme glaubst und die Tür auftust, so geht die lebendige Wahrheit und das ewige Leben, das vor deiner Türe steht, zu dir ein, tritt Tod, Gericht, Teufel und Hölle unter deine Füße, bringt dir Sieg und Triumph über alle Angst, Furcht und Bangigkeit, bringt dir Leben und Seligkeit, Siegeskraft und Siegesfreude; legt alle deine Feinde zum Schemel deiner Füße, gibt dir unvergängliches Wesen, versetzt dich ins Himmlische und macht dich unsterblich und unvergänglich selig, und krönt dich mit ewiger Herrlichkeit. Amen.

Aus Diesem ergibt sich nun wohl deutlich: es ist die einzige aber unnachlässliche Bedingung zur Seligkeit, dass wir Ihm die Türe auftun! Aber wie kann ich? fragst du. Kann Er, muss Er denn nicht alle Türen öffnen? Hat Er nicht der Lydia das Herz aufgetan? Hat Er nicht die Schlüssel Davids, womit Er alle Schlösser öffnet? und wo Er aufschließt, da kann Niemand zu- und wo Er zuschließt, da kann Niemand auftun. Warum öffnet Er sich nicht selbst mein Herz? Er kann's ja. Allerdings kann Er's; und Er hat allein die Schlüssel zu allen Herzen, auch zu dem deinigen; und was Sein Schlüssel bei dir kann und soll, das tut Er auch. Aber es ist ein Riegel in deinem Herzen, den du selbst wegschieben musst; es hängt ein Schloss von innen vor deiner Türe, das du selbst öffnen oder Ihm die Schlüssel dazu reichen musst. Er könnte die Türe hineinsprengen, aber das will Er ja nicht. Er will nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe und Geduld Dein Herz besiegen; Er will dich nicht zwingen, sondern bittend einladen. Er möchte dich zum Kinde und Freunde, nicht zum Knechte und Sklaven machen. Freundschaft, Kindschaft lässt sich nicht erzwingen, sie muss geboren, muss durch Liebe erzeugt werden. Es soll dir Seine Einkehr Gnade, nicht Gesetz und Notwendigkeit sein. Du sollst Ihn aufnehmen, Er will sich dir nicht aufdringen.

Ich sagte, Er tut gewiss, was Er kann (und Er kann Vieles, Er kann Alles), um deine Türe zu öffnen. Er sucht dich zu bewegen, zu reizen, dich geneigt zu machen. Er mattet dich ab, bis Seine Geduld und Liebe dich endlich ermüdet, und du Ihm nicht länger widerstehen kannst, von Ihm überwunden, erweicht, hingenommen wirst von Seiner Freundlichkeit und Langmut. Er weiß, du wirst eher müde werden zu widerstehen und die Türe zu verriegeln, als Er müde wird zu klopfen, zu warten, zu rufen: tue Mir auf! Das ist Sein Schlüssel, deine und alle verschlossene Türen zu öffnen; Seine unaussprechliche, unermüdete Geduld und Liebe ist es, womit Er vor unsrer Türe Tag und Nacht wacht, harrt und klopft, bis wir uns ergeben und Ihm auftun. Durch Sein langes, beharrliches Klopfen springen endlich die Riegel der Widersetzlichkeit von innen ab. Er klopft auch manchmal und bei Manchem so stark, mit solchen Hammerschlägen, dass mans fühlt, dass es in das Innerste der Seele hinein schallt, dass das Herz im Leibe zittert und erschrickt, weil es merkt: es ist die starke, gewaltige Hand des Herrn, es ist der mächtige Finger Gottes, es ist der Hammer, der Felsen zerschmettert. So ergibt sich denn die Seele, das mürb geklopfte, das weich geschlagene Herz gibt dem Drange Seiner Liebe nach; es ist überwunden; es kann nicht mehr widerstehen, kann keinen Riegel mehr vorschieben. Das brennende Verlangen Seiner Liebe nach der Seele erweckt endlich auch in der Seele heißes Verlangen nach Ihm. Denn Er gibt nicht nach, Er rüttelt und klopft an den verschlossenen, verriegelten Herzen so lange, bis die Riegel nachgeben, aufspringen, abfallen; ja bis sogar Verlangen, Begierde, Sehnsucht im Herzen nach Ihm entsteht, bis die Seele ruft: Komm herein, du Gesegneter des Herrn! warum willst du draußen stehen? Meine Seele dürstet nach Dir! mein Herz verlangt nach Dir!

So sanft, so freundlich, so ernst und zudringlich geht Er mit den Herzen um; Er, der alle Tore einsprengen, oder wie Simson, alle Türen aus der Angel heben und wegtragen könnte. Aber das will Er ja nicht. Dein Herz und alles, was als Seine freie Gnade dein, von Ihm dir geschenkt ist, soll, wieder als deine freie Gabe Sein werden, Ihm von dir geschenkt werden.

Ja, sagst du, mein Herz ist zu verschlossen, zu hart, meine Türe ist zu fest versperrt, mit sieben Riegeln verriegelt. Wer wird da auftun? Ich möchte gern, aber ich kann nicht; ich bin zu stark gebunden, zu sehr eingekerkert mit eisernen Türen und schweren Riegeln. Du armes, blindes Herz! steht nicht der Schlüssel-Herr vor deiner Türe, der alle Schlüssel hat, alle Schlösser öffnen, also auch deines auftun kann? Klopft und ruft nicht der vor deiner Türe, der eherne Türen zerbricht, und eiserne Riegel zerschlägt? Ps. 107. Jes. 45, 2. Kann Er dich nicht tüchtig machen, dass du Ihm auftun kannst? Kann Er, will Er dich nicht erlösen von allen Banden und Riegeln? Sein: Tue mir auf! heißt ja doch nur so viel, als: Lass Mich auftun, erlaube Mir dein Herz

deinen Willen. Und sagst du zu Ihm: Herr, ich möchte gern, aber ich kann nicht! Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben! Sieht Er, dass es Dir Ernst ist, dass du die Riegel nicht mehr lieb hast, sondern sie gern fallen ließt, wenn du nur könntest, so heißt das schon so viel als aufgetan, ist so viel, als ob du Ihm den Schlüssel reichst, dass Er sich selbst auftue. Und Er wird nicht säumen, sich die Türe zu deinem Herzen zu öffnen, Er, der durch hundert Schlösser geht.

Wenn du dich nur nicht von Ihm abwendest; Ihn nur nicht wegstößt, wenn dir nur mit Ihm gedient ist, wenn du nur nicht andere Gäste und Herren freiwillig hinter der Türe, in deinem Herzen beherbergst; wenn du nur erst dieser Knechtschaft, dieser fremden Herren gern los wärst; wenn du dich nur nach Erlösung sehnst, deine Arme nach dem Befreier ausstreckst und tief aus der Seele seufzt: O dass die Hilfe aus Zion käme! o dass ich aus dem Kerker ausgeführt, aus Ägyptens Dienstbarkeit frei würde! o dass ich kein Sklave des Teufels, kein Knecht der Sünde, kein Gefangener meiner Lüste und Neigungen mehr sein müsste! O dass ich einen besseren Herrn hätte, der mich frei machte vom Gesetze der Sünde und des Todes! o ich elender Mensch! wer wird mich erlösen! Wenn du so seufzt und an deine Brust schlägst; wenn also von innen und dir so dein Herz klopft, wenn es außen an deiner Türe klopft, so fallen die Riegel von innen ab, so darf der klopfende Freund nur Seinen Schlüssel anstecken, nur auf die Schnalle drücken, und die Türe geht von selbst auf, die Tore werden weit, das Herz steht frei und offen da; der Freund hat ebene Bahn und kann ungehindert in dein Herz eingehen. Wie wird Er eilen, der schon so lange gestanden, geklopft, gerufen hat vor deiner Türe! wie wird Er sich freuen? wie das Weib, das ihren Groschen, wie der Hirt, der sein Schaf, wie der Vater, der seinen Sohn wieder gefunden hat.

Der Heiland gibt selbst zu verstehen, was es heißt, Ihm aufzutun. So jemand meine Stimme hören wird, und die Türe auftun, sagt Er. Das Hören geht dem Tun voran; das gläubige Merken aufs Wort, die zuversichtliche An- und Aufnahme seines Wortes öffnet Ihm Türe und Tor, verschafft Ihm Eingang ins Herz. Sein Wort, Seine Stimme ist der Vorläufer und Vorbote, der Anmelder, der Wegbereiter, der Durchbrecher, der Bahnmacher. Sein Wort ist der Hauptschlüssel, und kann wenn ich so sagen darf, zum Schlüsselloch hinein, und ist Sein Wort einmal bei dir drinnen, so wird es ausrichten, wozu Er es sendet. Es wird Ihm wohl auftun.

Lass dirs noch deutlicher sagen. Joh. 14, 21, 23. sagt dir der Heiland selbst, was Ihm die Herzen auftue; Er spricht: Wer meine Gebote hat und sie hält, dem will ich mich offenbaren! wer mich liebt, der wird mein Wort halten - und ich und der Vater werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Da ist's klar gesagt: Ihn lieben, d. i. Sein Gebot und Wort halten (denn das ist bei Ihm immer Eins), das heißt, Ihm die Türe auftun, das ist die Bedingung, Ihn selbst ins Herz zu bekommen und den Vater mit. Wer sollte nicht alles daran setzen, solche Gäste und Inwohner zu bekommen, die gewiss die Miete teuer bezahlen, und nicht auf unsere Kosten bei uns wohnen, uns auch Nichts schulden bleiben?

Aber das ist ja eine schwere und harte, ja unerschwingliche Bedingung! Wer kann Seine Gebote halten, ohne Ihn zu haben? Sollte das wörtlich so zu verstehen sein? Allerdings! Wer darf etwas davon, wer etwas dazu tun, wer darf des Herrn Wort ändern oder verfälschen? Wenn du Sein Wort und Gebot nicht hältst, kommt Er nicht und kann Er nicht zu dir kommen. Aber wie denn? Wie soll ich Sein Gebot und Wort halten können? Ohne Ihn kann ich ja Nichts tun! Bin ich nicht schwach, sündig, krank, gefangen, gebunden: Ja, das bist du. Aber steht Er nicht vor deiner Türe? Klopft Er nicht an dein Herz? Ruft Er dir nicht in die Seele hinein, Er, durch den du alles vermagst? Solltest du Ihn, der sich zu dir naht, dessen Finger an dein Herz klopft, dessen Stimme im Innersten deiner Seele schallt, nicht erreichen können? Sieh, Ihn lieben, Sein Wort und Gebot halten, setzt voraus, dass man Sein Wort höre und das hörst du; dass man es glaube, und gläubig auffasse und annehme, und das sollst du und das kannst du, denn der zu dir redet, gibt dir auch gewiss, dass du es glauben und annehmen kannst, wenn du nur willst und dich nicht widersetzt. Ihn lieben heißt ja anfangs auch nichts anders, als sich nach Ihm sehnen, nach Ihm hungern und verlangen. Wer nach Ihm sich sehnt und verlangt, ergreift, nimmt gern sein Wort auf und an und hält es. Dem Leidenden wird kein Gebot und Wort des Geliebten schwer; zumal da Seine Worte und Gebote ebenso viele Verheißungen und Segnungen sind, und nicht mehr von uns fordern, als sie uns zuvorkommend mit Gnade schenken und mitteilen. Denn sein erstes Gebot und Wort an dich ist ja, du sollst glauben an Seinen Namen, der die Sünder selig macht, an Sein Evangelium, welches eine Kraft Gottes ist, selig zu machen alle, die daran glauben. Wer dieses Wort zuerst hört und hält, der kann alle andern Worte und Gebote halten; denn wer an Ihn glaubt, der hat Vergebung der Sünden, hat das ewige Leben; in dem wohnt Gottes Kraft, in dessen Herz ist die Liebe ausgegossen, und was wird der Liebe schwer? was unmöglich? Man muss also nur beim rechten Anfang anfangen, muss den Schlüssel nur nicht verkehrt anstecken, die Pferde nicht hinter den Wagen spannen wollen. Das erste Gebot halte zuerst, d. i. lass dir zuerst Sünde vergeben, durch den Glauben an Seinen Namen, so hast du Ihm schon aufgetan, so geht Er ein und schenkt dir ein neues Herz ohne Riegel und Schlösser, ein Herz, wo Er freien Eingang hat, wo Er Abendmahl hält, und wohnt wie in Seinem Palast.

Ein Jeder wende daher sein Ohr zur Türe des Herzens hin, vor der Jesus steht, anklopft und Seine Stimme hören lässt; denn es heißt: wer Ihn nicht hört, der soll ausgerottet werden; wer Ihn verachtet, verachtet den, der Ihn gesandt hat. Freilich, wenn der Heiland nie bei dir angeklopft hätte, wenn du Ihn nie gehört hättest, so wärst du zu entschuldigen. Denn die Leute, bei welchen keine Spur vorhanden ist, dass Er je an ihrer Türe geklopft, je an ihrem Herzen gerüttelt und geweckt hat, die Seine Stimme nie gehört haben, die kann man nicht richten, die muss man stehen lassen, bis Er bei ihnen auch klopft. Es ist aber schwer zu glauben, dass der Heiland jemand vergessen, übersehen oder vorbeigehen werde, dass Er auch nur an Einer Türe, bei Einem Herzen nicht klopfen, nicht rufen sollte. Er hat uns, Er hat alle Menschen viel zu lieb, hat zu viel für Alle gelitten und getan, als dass Er auch nur Eine Seele ihr Leben lang so dahingehen lassen sollte, ohne sie wenigstens anzuregen und Seine Gegenwart vor ihrer Haustüre zu melden. Er klopft freilich bei Verschiedenen zu verschiedenen Zeiten und Stunden; Er kommt zu Einigen zur dritten Stunde, bei Andern zur sechsten oder neunten, bei Etlichen gar erst zur elften Stunde. Wo Er also noch nicht geklopft hat, da kann und wird Er noch kommen; da richte du nicht, sondern klopfe an deine Brust; denn wie viele Schläge des anklopfenden Heilandes hast du schon durch das Geräusch deiner Begierden und Neigungen betäubt, überhört oder nicht geachtet und nicht beantwortet? Wie oft muss sich dein treuer Heiland bei dir abweisen lassen? Wie lange muss Er warten? Wie oft wieder kommen und wieder klopfen und wieder rufen, bis du Ihm auftust? ganz auftust? Darum wird über dich, wenn du dich nicht besserst, ein schwereres Gericht ergehen, als über die, welche Seine Stimme, Sein Klopfen nie gehört haben.

Wer nun in seinem Herzen eine Rührung, Bewegung oder Anregung wahrnimmt, die er nicht selbst machen konnte oder wollte, die nicht nach seinem, sondern etwa gar wider seinen Willen entsteht und anhält; wer ein geheimes Sehnen und Verlangen nach Heil und Seligkeit in sich spürt, der widerstehe nicht, der unterdrücke es nicht; denn es ist wahrhaftig Jesus Christus selber, der vor der Türe steht und anklopft, wodurch Er diese Sehnsucht in ihm erweckt, oder jene Rührung und Anregung im Herzen hervorbringt, und sich anmeldet. Es ist die Stimme des Freundes, der da ruft: Tue mir auf, meine Freundin! Wer das hört, übertäube nicht das sanfte Klopfen, sondern er sei stille dem Herrn. Ps. 37, 7. 62, 2. Er übergebe die Festung, und reiche dem Herrn die Schlüssel dar; er bringe seinen Willen zum Opfer, wie man bei der Übergabe einer Stadt oder einer Festung, die Schlüssel dem Überwinder und Eroberer überreicht und einhändiget. Gib dich Ihm ohne Vorbehalt, ohne Widersetzlichkeit hin; denn nur die Seele tut Ihm das Herz, die Türe auf, die sich Ihm nicht mehr widersetzt, die sich Ihm unbedingt hingibt, und mit vollem Willen sagen kann und sagt: Hier bin ich! Mir geschehe nach Deinem Wort! Tue mit mir, was Dir gefällt, in Zeit und Ewigkeit. So geht die Türe auf, und die Tore werden weit, dass der König der Ehre eingehen und sein Abendmahl halten kann.

Was Er damit wolle: Ich will mein Abendmahl mit Ihm halten, und Er mit mir, verdient noch eine besondere Erwägung. Denn hier ist nicht die Rede von dem gewöhnlichen äußeren Abendmahl, welches Er zur Verkündigung seines Todes und zum gemeinschaftlichen Genusse aller Glieder seines Kirchenleibes anordnete. Hier redet Er von einem Abendmahle, welches Er inwendig im Herzen, und zwar mit deinem Herzen allein und besonders halten will. - Ich will zu ihm eingehen und Abendmahl mit ihm halten, und er mit Mir. Man übersetze nicht: zu ihm eingehen mit ihm und er mit Mir. Ich möchte sagen: Hier ist es auf eine Gemeinschaft, auf eine gegenseitige Mitteilung zwischen vier Augen angetragen. Wo ist die Feder, die beschreiben, wo die Zunge, die aussprechen kann, was da geschieht? Wer da nicht selbst mitgenossen und geschmeckt hat, wie freundlich der Herr ist, der wird, was man ihm immer davon sagen mag, doch nicht begreifen.

Nur so viel bemerken wir: Wenn du Ihm auftust, und Er zu dir eingeht, so fängt Er nicht damit an, dass Er fordert wie Moses, dass Er dir Lasten auflegt; sondern Er bringt, Er gibt, Er speist, Er erquickt, Er labt und tränkt dich zuerst.

„Erst heißt der Freund die Seelen ruh'n,
Dann essen und hernach was tun.“

Ein seltener Gast, der so lang vor der Türe gestanden, gewartet, gerufen hat, eingelassen zu werden, und nun, da Er aufgenommen worden, fordert Er nicht, dass man Ihn bediene und bewirte, sondern Er bringt, Er gibt das Mahl, Er bewirtet seinen Wirt. Kein Sünder, keine Seele, kein Mensch kann das glauben, ohne dass er es erfährt. Alle meinen, sie müssen Ihm geben, Ihn bewirten, und da fühlen sie wohl, dass sie Nichts haben, womit sie einen solchen Gast bedienen könnten. Darum geben sie Seiner Stimme, Seinem Klopfen so lange kein Gehör, darum riegeln und versperren sie Ihm so lange ihre Herzen! O! wenn sie es alle wüssten, wie Er ist, was Er der Seele bringt und gibt, wie schnell und gern werden sie Ihm auftun! Aber so fürchtet man sich vor dem Anklopfen, wie vor einem Schuldherrn, der nur kommt, um Schuld-Bezahlung zu fordern; wie vor einem beleidigten Feind, der nur kommt, um sich zu rächen; wie vor einem Herrn, der entlaufene Sklaven fangen und binden will; wie vor einem gekränkten Manne, der sein ehebrecherisches treuloses Weib im Zorn der Eifersucht mit Schlägen ins Strafhaus liefern und züchtigen lassen will; wie vor einem Scharfrichter, der dem Missetäter den verdienten Lohn geben will. - So bildet sich's die Vernunft ein, ehe sie Licht von oben empfängt. Aber der Heiland sagt: Ach nein! Abendmahl will Ich halten, Ich bringe Alles mit, Ich will erst nur geben, nur mitteilen, dass ihr überschwänglich gesättigt werden und volle Genüge haben sollt.

Worin das Abendmahl eigentlich besteht, welche Genüsse, welche Speisen Er der Seele vorlegt, hat Ihm nicht beliebt uns zu sagen, und wer will es wagen, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Unaussprechliche auszusprechen, das Unermessliche zu ermessen?

Unbeschreiblich, unaussprechlich, unermesslich ist all' Sein Tun, wie Er. Da ist also kein besserer und anderer Rat, als wer davon genau unterrichtet sein und gern wissen will, was das für ein Abendmahl sei, der muss sich selbst Erfahrung davon verschaffen. Tue Ihm auf, so wirst du bald selber davon genießen und schmecken, wie köstlich, wie herrlich es ist; und dann keine Beschreibung davon mehr verlangen; weil du bald finden wirst: es lässt sich nicht in Worte bringen. Du wirst trunken werden von den reichen Gütern seines Hauses; denn Er wird dich tränken mit Freude und Seligkeit wie mit einem Strom. Denn bei Ihm ist die lebendige Quelle. Ps. 36, 9. 10.

Das ist unstreitig: Die beste Speise bei diesem Abendmahl ist Er selbst. Er gibt sich den Seinigen selbst zur Speise, zum innigsten Genusse, und sie verlangen auch nur nach ihm. Wenn ich Ihn nur habe! Zuerst mag aber wohl das königliche Gewand, das hochzeitliche Kleid dargereicht werden, das der König selbst gewoben und bereitet hat für Seine Braut und für Seine Hochzeitgäste, und ohne welches Niemand mit dem Könige Abendmahl halten darf. Da wird auch gewiss die neue göttliche Natur, der Geist des Lebens, der Kindschaft, das Pfand des ewigen Erbes, das Siegel Gottes den Auserwählten mitgeteilt; da werden Ströme der Liebe, des Friedens, der höher ist, als alle Vernunft, ausgegossen in das Herz; da wird die Seele so heilig versichert der innigsten Liebe, Nähe und Gemeinschaft des Bräutigams, dass sie schwören kann: Mein Freund ist mein und ich bin Sein. Ich halte Ihn und lasse Ihn nicht. Da wird oder wo sonst? erfüllt, was Jesajas 40, 29. rc. sagt: Er gibt den Müden Kraft, und Stärke genug den Unvermögenden. Knaben werden müde und Jünglinge fallen; aber wer auf Ihn traut, (wer dieses Abendmahl genießt), der bekommt neue Kraft, dass er auffliegt mit Flügeln wie ein Adler, dass er laufen kann, ohne müde zu werden. Wenn Elias kraft einer Speise 40 Tage lang wandeln konnte, welche Kraft muss eine Seele erhalten, die den Heiland bei ihr drinnen hat, oder an Seinem Tische sitzt, die das Himmelbrot aus Seiner Hand genießt, den Wein der Starken aus seinem Becher trinkt, welchen Er selbst einschenkt!

Ach, nur Schade, dass so wenige Seelen sich den Herrn Jesum so nahe kommen lassen und Ihm das Herz auftun, dass Er ihnen sein und geben kann, was Er gern Jedem sein und geben möchte! Dieses innere Abendmahl können nur innige Seelen genießen; den Andern ist es eine bloße Redensart, aus der sie sich wenig machen. Denn da sie keine Erfahrung davon haben und es sich nicht denken können, so erklären sie es sich so wässrig, dass das ganze Abendmahl zu lauter Wasser, und oft zu recht lauem Wasser wird, dass ihnen nicht ein Brosame vom Lebensbrote, nicht ein Tröpflein von diesem kräftigen Wein übrig bleibt. Es wirkt nicht mehr auf sie, als, wenn es hoch kommt, was der Farbenglanz eines Abendmahlgemäldes zu wirken vermag. Allein der Heiland kam nicht in die Welt, litt und starb nicht, steht und klopft nicht so lange vor unserer Türe, um uns mit Redensarten abzuspeisen, oder um ein Abendmahl an die Wand zu malen. Seine Worte sind Geist und sind Leben, Seine Speisen sind Kraftspeisen; sie geben dem innigen Gemüte mehr, als der Buchstabe versprechen kann. Wer mir ein Abendmahl verspricht, und mich zu Tische lädt, von dem erwarte ich wirklich Speise, Labung, Nahrung, Sättigung und Stärkung meines Leibes. Wer mich zu einem inneren Abendmahle einlädt, von dem erwarte ich Nahrung und Stärkung für mein inneres Leben, Befriedigung und Stillung aller Bedürfnisse meines Geistes, meines Hungers und Durstes nach Geisteskraft, Licht, Leben und Seligkeit. Je größer, je reicher, je edler der Mann ist, der mich zu seinem Tische bittet, desto mehr erwarte ich von seinem Tische, vom Größten das Größte, vom Reichsten das Köstlichste, vom Besten, Edelsten das Beste, Beseligendste und Befriedigendste. Was ist von Ihm, dem Namen über alle Namen zu erwarten? - Wem der Heiland ein besonderes, inneres Abendmahl gibt, der bekommt gewiss im Geiste, für seinen inneren Menschen, mehr zu genießen, als der sinnlichste Mensch an der üppigsten Tafel leiblich genießen kann. Die Seele wird gewiss himmlisch, göttlich gespeist und getränkt, nicht nur mit Gefühlen und Empfindungen (nein! die vergehen wieder), sondern mit Kraftspeisen; mit Kraft aus der Höhe wird sie angetan; von einer solchen Fülle des Geistes, der Salbung, des Friedens und des göttlichen Lebens und Lichtes wird sie durchdrungen, dass sie, wie Paulus Ephes. 3, 16. sagt: nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit durch seinen Geist am inwendigen Menschen stark wird, dass Christus durch den Glauben im Herzen wohnt, dass sie durch die Liebe eingewurzelt und gegründet ja erfüllet wird mit aller Fülle Gottes. Der Weinstock ergießt sich da in die Reben, dass sie Frucht bringen.

Warum sagt aber der Heiland: Und er mit mir? Ich will Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. Was können wir Ihm geben? Was wird Er, wenn wir Ihm die Türe auftun, in unserm Herzen für Speisen, für einen Genuss finden: Was hat Er von uns? O sehr viel, Es ist seine Speise, den Willen des Vaters zu tun und das Werk auszurichten, das Ihm der Vater aufgetragen hat. Wenn Er einen Sünder selig machen kann, wenn Er ein Verlorenes findet, so ist Ihm das ein Abendmahl, ein Genuss ohne Gleichen, es ist Ihm Erquickung Seines nach Seelen schmachtenden Herzens, Nahrung Seiner Liebe, Stillung Seines Hungers, es ist Ihm Fürstenlust. Er hat größere Freude, uns gefunden zu haben, uns wohltun zu können, als wir haben, von Ihm angenommen und bewirtet zu werden.

Die Freude, der Genuss, das Mahl ist also wechselseitig. Er kann ohne uns nicht selig sein. Es geht ihm Viel ab, wenn Er uns nicht alle Seine Freude und Herrlichkeit mitteilen kann: wenn Er uns nicht auch selig weiß. Wie war Ihm doch, als Er (Joh. 4.) jenes sündige Weib gewonnen und durch sie ein Feuer in der Stadt Samaria angezündet hatte? Was tat, was sagte Er, als Ihm die Jünger zu essen brachten? Ach, sprach Er, lasst mich mit euerer Kost ungeplagt, Ich habe ein viel besseres Abendmahl gehabt, ich bin schon satt, ich habe eine Speise genossen, die ihr nicht kennet, ihr kommt zu spät mit euerm Traktament. Das gläubige, bekehrte Weib, die sich bekehrenden, gläubigen Samariter, die Er schon, wie ein zur Ernte reifes Feld vor sich erblickte, waren Ihm das köstlichste Abendmahl, waren Ihm die genussreichste Speise, dass Er keine leibliche Speise dieser Erde mehr verlangte. So kannst du, liebe Seele! Ihm, denke doch! Ihm zur Speise, zur Labung und Erquickung sein, Ihm in Seinem heißen Hunger und Durst nach Seelen und nach Beseligung der Unseligen ein Abendmahl bereiten.

Dieses innere Abendmahl sollen und können wir alle Tage, ja jede Stunde mit Ihm halten und es Ihm geben, wie Er es mit uns immer halten will; darum hat Er verheißen, alle Tage bei uns zu sein, bis ans Ende der Tage. Ein täglicher Gast will täglich mitessen, und täglich Abend- und Mittagmahl halten. Wer einmal davon gekostet hat, hungert immer nach Ihm, so wie Ihm immer nach uns verlangt; man isst und trinkt von Ihm, von Seiner Liebe, von Seinem Geiste immerdar, bei allen Dingen und allenthalben. Wenn es einmal unsere Speise geworden ist, des Vaters Willen zu tun, so können wir, so oft wir unsers Herzens Lust und Freude darin finden, diesen heiligen Willen zu tun, oder zu leiden, den Heiland allemal getrost zu Gast laden, Er schlägt es gewiss nicht ab, Er ist gewiss allemal mit. Diese Speise ist Ihm süßer als Honig und Honigseim, angenehmer als das eigene Wirken und Treiben.

Wer dieses innere Abendmahl nicht kennt, und nicht täglich mit Christo zu halten gelernt hat, der wird auch bei dem äußern, sakramentlichen, welches er etwa alle Halb- oder Vierteljahr hält, nicht viel Nahrung und Segen finden. Ja, alle diejenigen, welche nur so selten zum Tische des Herrn gehen, und die Zwischenzeit ohne inneres Abendmahl, ohne Geistesnahrung leben, sich bloß mit sich selbst oder gar mit der Sünde speisen, von welcher sie terminweise, durch halb- oder vierteljährliche Beichte und Abendmahl wieder loszuwerden trachten, das sind eben die Leute, die sich einst damit aushelfen wollen, dass sie sagen: Herr! Herr! Tue uns auf! denn wir haben. mit dir gegessen und getrunken, Beichte und Abendmahl gehalten! Aber Er wird ihnen ohne Schmeichelei erwidern: Ich kenne euch nicht, weichet von Mir, ihr Übeltäter! Luk. 13, 25. 26.

Doch wenden wir uns von diesem weg, und mit ganzer Seele zu dem hin, der vor unserer Türe steht, und klopft, und uns sein Abendmahl anbeut. Bedenken wir noch einmal alles Gesagte! betrachten wir Ihn, wie Er sich Mühe gibt, bei unserer Tür in unser Herz eingehen zu können! wie viel Ihm daran liegt, dass Er unser Gast und unser Wirt werden, mit uns Abendmahl halten könne und wir mit Ihm! dass er uns ja alles, was Er ist und hat, in unsern Schoß schütten und mitteilen könne; dass Er ja ganz unser und wir ja ganz Sein werden!

Herr! möge es Dir mit uns Allen gelingen! Mögen dir alle Türen, an denen du klopfest, aufgetan, alle Herzen geschenkt werden! - Hier ist das meine! Nimm es hin und behalt es ewig! Amen!

Kommt denn der Freund und klopfet an,
So säume nicht, schnell aufgetan!
Durch Ihn vermehrt sich Fried' und Ruh';
Doch schließ nach Ihm gleich wieder zu!