Girgensohn, Thomas - Missionspflicht der Christenheit.

Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenlande gen Jerusalem und sprachen: wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande und sind gekommen, ihn anzubeten. (Matth. 2, 1. 2.)

Das in vorstehenden Worten Berichtete ruft die Christen zur Erfüllung ihrer Missionspflicht auf; der Evangelist malt uns gleichsam ein Bild vor die Augen des Geistes und spricht dazu: siehe, dieses Bild soll dir Antriebe bieten zur Beteiligung an dem Missionswerke. Da Jesus geboren war zur Erlösung für die ganze Welt, siehe, da kamen nun noch bald die ersten Heiden, um ihn anzubeten; da die Geburt des Heilandes zu Weihnachten gefeiert ist, siehe, da kommt denn auch bald das Epiphaniasfest mit seiner Mahnung an die Christenheit: mache dich auf, werde Licht. Da Jesus geboren ist in deinem Herzen und du durch den Glauben an Jesum einen Strahl des Weihnachtsglanzes darin festhältst, siehe, so keimt in dir der Trieb, dein Licht leuchten zu lassen in der finsteren Welt, es hineinleuchten zu lassen auch in die Finsternis der Heidenwelt. Es kommt nun darauf an, diesen Keim nicht ersterben zu lassen, sondern ihm unter dem Einfluss der Antriebe, die uns geboten werden, zur Entfaltung zu verhelfen. Auch dem vorstehenden Schriftworte entnehmen wir solche Antriebe; die Weisen sind nicht zufällig oder von ihren Gedanken geleitet in das Land des neugeborenen Königs gekommen, sondern sie sprechen: „wir haben seinen Stern gesehen“, Gott selbst hat sie durch den Wunderstern zu seinem Sohn gewiesen, sein Rat und Wille ist's gewesen, dass sie Jesum fänden. Wir sollen Mission treiben, weil Gottes Wille und Gebot uns dazu treibt; Gott sandte einen Stern, Gottes Sohn sandte seine Jünger, die nach der Verheißung als Lehrer der Heiden auch leuchten sollten wie die Sterne, dass herzu geführt würden alle Völker zu Ihm, der ihnen gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Gottes Wille muss auch uns der stärkste Antrieb sein, uns an dem Werk der Mission zu beteiligen; damit das aber geschehe, müssen wir diesen Willen Gottes, wie er in mannigfaltigster Weise in der Schrift offenbart wird, immer klarer erkennen und das Wort Gottes nicht nur als ein Erbauungsmittel für die eigene Seele, sondern auch als Enthüllung der die ganze Menschheit umfassenden Reichsgedanken Gottes anschauen lernen.

Die Weisen kommen nach Jerusalem und fragen: wo ist der neugeborene König der Juden? Durch dieses Fragen zeigen sie an ihr Bedürfnis und ihre Sehnsucht nach einem Erlöser aus ihrer Unwissenheit, ihrem Elend und ihrer Sünde; das mag uns daran erinnern, dass alle Heiden in einem unglückseligen Zustande leben und eben darum, wenn sie es auch nicht aussprechen, des Heilandes bedürftig sind, in ihren Herzen verlangen nach Friede und Licht. Wir, als die Jünger Christi, wollen Mission treiben, weil wir nach dem neuen Menschen, der in der Liebe lebt, es nicht gleichgiltig mit ansehen können, wie Unzählige unserer Mitmenschen in Finsternis und Schatten des Todes sitzen. Die Not der Heidenwelt muss uns ein weiterer Antrieb sein, unserer Missionspflicht nachzukommen; wir brauchen im Einzelnen gar nicht viel von den Sündengräueln und dem Elend der Heidenwelt zu erfahren, wenn wir nur aus eigener Erfahrung wissen, was es auf sich hat, ohne Gott und ohne Heiland zu leben, und was es bedeutet, in Christo Friede, Gerechtigkeit, Wahrheit und Kraft gefunden zu haben.

Die Weisen vom Morgenlande kommen gen Jerusalem und finden nach dem weiteren Verlauf jenes Evangeliums Matth. 2, 1-12 wirklich das Jesuskind: dort im Morgenlande die Weisen mit ihrer unbestimmten Sehnsucht nach Heil, hier in Bethlehem das arme, unscheinbare Jesuskind; wie sollen die Weisen dahin kommen? und wenn sie es versuchen sollten, wie viele Schwierigkeiten und Hindernisse werden sich ihnen in den Weg stellen? und wenn sie hinkommen, wie soll dies Kind ihres Herzens Sehnsucht stillen? So etwa würden menschliche Gedanken über die vorliegenden Verhältnisse sich ergehen; in ähnlicher Weise müsste menschliche Weisheit über die heutige Mission, ihre Schwierigkeiten ihre Aussichten, ihren Erfolg sich aussprechen und sie spricht sich tatsächlich so aus: Wir dürfen aber mit guter Zuversicht Mission treiben, weil Gott uns in der Geschichte von den Weisen, und zu unserer Zeit in den Segensfrüchten und Erfolgen des Missionswerkes; die freilich nur in der Erkenntnis vom Werte einer jeden einzelnen Menschenseele begriffen werden, darstellt und beweist, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn, dass, „was er sich vorgenommen und was er haben will, das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel“.

Der Segen, der Erfolg, den Gott der Mission verleiht, kann und soll uns daher endlich auch ein Antrieb werden, an dieses Werk mit Hand anzulegen; freilich tut es Not, damit man die Kraft dieses Antriebes erfahre, mit Interesse und Teilnahme über die Mission zu lesen, von ihr zu hören, die Tätigkeit wenigstens einer einzelnen Missionsgesellschaft zu verfolgen. Dass man die Zeit auskauft, um auch für solche Teilnahme an der Mission die Möglichkeit zu gewinnen, dass man diesem Gotteswerke auch ein Plätzchen unter seinen Pflichten, in Kopf und Herz einräumt, dass man der Mission im Gebet gedenkt, dass man für sie mit fröhlichem Herzen Opfer und Gaben darbringt, in dem allen zeigt sich uns der Weg, wie wir unsere Missionspflicht erfüllen können. In rechtem Geist und Sinn wird solche Pflicht aber nur ausgeführt werden, wenn ein jeder, welcher von Christo erleuchtet ist, vor Allem sich als einen Missionär fühlt gegenüber allem Heidentum, allem Unglauben und aller Sündenmacht, die in ihm und um ihn sich bemerklich machen, wenn jeder in dem Kreise von Menschen, in den ihn Gott gestellt hat, sein Licht leuchten lässt, vor den Leuten und dadurch dazu beiträgt, dass die Christenheit immer mehr der ihr gestellten Pflicht nachkomme: mache dich auf, werde Licht.

R. K. 94. Nr. 1.