Von
Wolfgang Friedrich Geß.
theologischem Lehrer an der Missions-Anstalt zu Basel.
Natur oder Gott, lautet die Frage, zu deren Besprechung ich diese hochgeehrte Versammlung einzuladen mir erlaubte. Ist die Welt von sich selber da oder hat sie ihren Ursprung aus einem Wesen welches von ihr selbst verschieden ist? Und im Falle dieß Letztere die Wahrheit ist, also die Welt durch ihr Dasein uns zurückweist auf Gott, als welchem sie ihren Ursprung verdankt, wie haben wir uns Gott zu denken? Ist er ein selbstbewußtes Wesen? Kümmert er sich um uns? ist er uns gegenwärtig? redet er zu uns, und können wir zu ihm beten, so daß er unser Gebet erhört? können wir mit ihm in eine Gemeinschaft kommen ähnlich der Gemeinschaft, in der ein Sohn mit seinem Vater steht? Oder ist das Wesen von welchem die Welt ihren Ursprung hat, zu hoch und fern, als daß es in die Geringfügigkeiten dieser Erde eingreifen würde? Ist es aber ferner vielleicht sogar falsch, dem Wesen aus welchem die Welt entsprang, Selbstbewußtsein, Freiheit, Persönlichkeit beizulegen? Und wie wäre denn dann dieser Urgrund von Allem zu denken? Ich stelle diese Reihe von Fragen auf, nicht um auf jede derselben einzutreten, sondern nur um den Sinn und die Bedeutung der Untersuchung die uns beschäftigen soll, vorläufig anzudeuten.
Es gibt zweierlei Wege, um dem Wesen Gottes nachzuforschen. Der Eine ist, daß wir den Thaten Gottes nachgehen, durch welche er in Mitten des israelitischen Volkes sich geoffenbart und das Heil der Menschheit begründet hat. Von Gottes Thaten ist ein Rückschluß möglich auf Gottes Wesen. Zumal von der Erscheinung Christi, dessen Kommen in die Welt, Leben in der Welt und Hingang aus der Welt der Gipfel aller göttlichen Offenbarungsthaten ist. Das ist der königliche Weg für die Erkenntniß Gottes, denn er führt weitaus am Tiefsten in die Erkenntniß des göttlichen Wesens hinein. Was der Apostel Paulus die Tiefen Gottes nennt, läßt sich überhaupt nur auf diesem Wege erforschen. Und keineswegs steht es so, daß nur die Leichtgläubigen diesen Weg erwählen könnten. Die Theologie weiß sehr wohl wissenschaftlichen Grund dafür zu geben, warum sie was die Schrift von Offenbarungsthaten in Israel erzählt für wirkliche Gottesthaten achtet. Gleichwohl soll hier nicht dieser theologische Weg eingeschlagen werden, sondern ein philosophischer: von der Betrachtung der Welt aus wollen wir das Wesen Gottes zu erkennen suchen. Denn es ist ein Bedürfniß, eine Nothwendigkeit der menschlichen Natur, auch auf dem selbständigen Wege der Vernunft nach der höchsten Wahrheit zu forschen; wir sollen an der Bezeugung Gottes in unsrer die Welt betrachtenden Vernunft auch die in der Bibel bezeugte Offenbarung Gottes prüfen; das Philosophieren gehört zum Adel der menschlichen Natur; nur daß es nicht ein leichtfertiges Absprechen sei, noch ein knechtisches Nachsprechen der Sätze des immerdar wechselnden Zeitgeistes, sondern ein wirkliches Philosophieren, das ist eine wirkliche Liebe zur Weisheit und deßhalb ein ernstes, nüchternes, in die Tiefe gehendes Sichbesinnen über die letzten Gründe der Welt. Ein altes, oftmals angeführtes Wort besagt, daß die Philosophie, wenn sie oberflächlich zu Werke gehe, von Gott ab-, wenn sie aber gründlich forsche, zu Gott zurück führe; ich hoffe, daß die Wahrheit dieses Wortes sich auch uns erweisen werde.
Den Ausgangspunkt möge unsre Betrachtung nehmen von einem Satze, über welchen wir uns leicht verständigen, dem wir Alle zustimmen werden, nemlich daß in der Welt, die vor unsern Augen liegt, tiefe Vernunft wohnt. Ich meine dieß zunächst nur in dieser Weise. Beim Anblick einer arbeitenden Maschine, zum Beispiel einer Lokomotive, urtheilt Jeder, daß sie ein Werk des Verstandes sei, denn wir sehen in ihr Alles berechnet auf einen nützlichen Zweck. Das nun ist ein Menschenwerk. Aber die Natur um uns her ist nicht minder von Zweckmäßigkeit durchwohnt. Nicht soll dieß so verstanden werden, wie man es manchmal verkehrter Weise verstanden hat, als wäre Alles, was wir in der Natur finden, auf den Nutzen des Menschen berechnet, das ist eine ärmliche Betrachtungsweise und muß zu lächerlichen Behauptungen führen. Wohl aber dient in der Pflanze, im Thiere alles Einzelne der Entwicklung des eigenthümlichen Lebens, das eben dieser Pflanze, diesem Thiere verliehen ist. Insbesondere bewundern wir an unserm eigenen Leibe die Zweckmäßigkeit, von welcher alle seine Theile durchwohnt sind, damit sie alle zur Entwicklung unsers leiblichen, und nicht blos dieß, sondern zur Vermittlung unsers geistigen Lebens zusammenwirken. Aber auch die Erde auf welcher wir wohnen wird von der Wissenschaft mehr und mehr als ein großes einheitliches Leben erkannt, dessen Theile allzumal auf Einen Zweck, nemlich auf die geistige Entwicklungsgeschichte der Menschheit zielen. Reicht doch diese Zweckbeziehung sogar über die Erde hinaus, die Erde ist was sie ist nur durch ihr Verhältniß zu der Sonne, um welche sie kreist. Und wenn endlich unser Sonnensystem in gegenseitiger Verknüpfung mit den übrigen Sonnensystemen steht, so daß die vielen Sonnensysteme auf einander berechnet sind, welch ein Reichthum machtvoller Vernunft tritt erst dann vor unser Auge hin!
Wir wollen aber hiebei nicht übersehen einen wichtigen Unterschied zwischen dem Durchwohntsein einer menschlichen Maschine von dem Zwecke dem sie dient, und zwischen dem Durchwohntsein der Naturgebilde je von ihrem Zweck. Jeder fühlt ja leicht, welch ein Abstand zwischen der kunstreichsten Maschine und zwischen einer Pflanze oder gar dem menschlichen Leibe ist. Der Unterschied liegt aber nicht blos darin daß die Maschine bleibt, wie man sie gemacht hat, nicht wächst, nicht lebt, die Pflanze aber durch Wachsthum ein Leben zeigt, sondern die Pflanze ist auch viel tiefer, viel inniger von ihrem Zweck durchdrungen, als dieß bei der Maschine der Fall sein kann. Wenn man die Theile der Maschine auseinander nimmt, so wird freilich der Zweck dem die Maschine diente nicht mehr erreicht, aber die Theile bleiben, was sie gewesen sind; sie sind also an sich selbst gleichgültig gegen den Zweck dem sie dienten. Wenn man aber eine Pflanze in Theile zerlegt, so ist das für jeden einzelnen Theil der Pflanze der Tod; die einzelnen Theile leben also davon, daß sie diese Einheit sind; wird ihnen ihr Durchwohntsein von der Einheit des Zweckes geraubt, so sterben sie. Noch mehr. Zu der Maschine nimmt der Verfertiger die Stoffe daher, dorther; zuerst sind die Stoffe, dann bearbeitet und verbindet sie der Mensch in der Weise, daß sie seinem Zwecke dienen müssen. Aber die Stoffe der Pflanze sind nicht vor der Pflanze da; die Pflanze wächst aus sich selbst heraus und was sie Fremdes aufnimmt, das bildet sie gänzlich um in ihre eigene Art; nicht wird von Außen künstlich in die Pflanze ein Zweck hineingelegt; schon der erste Keim der Pflanze ist so gut wie der entwickelte Baum von seinem eigenthümlichen Zwecke durchwohnt; schon der Apfelkern ist durch und durch auf den Apfelbaum angelegt, und kann, wenn er sich überhaupt entwickeln darf, nur ein Apfelbaum werden, und eine im menschlichen Mutterleibe erzeugte Frucht ist vom ersten Augenblicke ihres Erzeugtseins an darauf angelegt, einem persönlichen, geistigen Leben zur Vermittlung zu dienen. Wir nennen das einen Organismus, was so aus sich selbst hervorwächst, indem sich sein Keim in eine Vielheit von Gliedern entfaltet welche für einander da sind und in ihrem Zusammenwirken hinstreben auf die Verwirklichung eines einheitlichen Lebenszweckes. In den Pflanzen, in den Thieren, im menschlichen Leibe stellt sich uns organisches Leben dar und zwar in einer Stufenfolge immer vollkommenerer Organisation. Wiederum zeigen sich uns im geistigen Leben des Menschen, des Einzelnen und eines menschlichen Volkes, zuhöchst der ganzen Menschheit immer neue, immer höhere Organismen, wobei die höhere Vollkommenheit der Organisation theils an dem wachsenden Reichthum der Gliederung theils an der steigenden Innigkeit der Einigung zu erkennen ist. So durchgreifend ist der Begriff des Organismus für das Verständniß der Welt, daß man als die höchste Aufgabe der Naturforschung bezeichnen könnte die Erkenntniß der Stufenfolge in der Organisation der Natur. Und selbst die Erforschung der Geschichte der Menschheit kann sich kaum eine höhere Aufgabe stellen als die Erkenntniß, wie die uranfängliche Naturausstattung der Menschen und wie der Gang der Menschheit durch die Jahrhunderte hin darauf zielt, die Menge der menschlichen Völker, die ungezählte Vielheit der menschlichen Individuen zu Einem großen Organismus zu gestalten in welchem jedes Volk und jedes Individuum seine eigenthümliche und für das Ganze werthvolle Bedeutung hat.
Also die Welt ist durch und durch zweckvoll, wie im Verhältniß ihrer riesigen Glieder, der Weltkörper, zueinander, so bis zum feinsten Geäder des kleinsten Lebendigen herab; ja, wir dürfen das ganze Weltall Einen großen Organismus nennen. So ist also die Welt durch und durch durchwohnt von Vernunft. Eben dieß läßt sich auch aus der Schönheit der Welt erkennen. Das Kunstwerk eines Malers nennen wir schön, wenn es einen bedeutenden Gedanken, ein echt menschliches Gefühl, ein machtvolles Ringen des Geistes in solcher Gestaltung vor unser Auge stellt, daß der Anblick sofort unserm Gemüthe das Verständniß jenes Geistigen erweckt, von welchem die Seele des Künstlers bewegt worden war. Einen Menschen nennen wir schön, wenn Gestalt und Angesicht der harmonische Ausdruck einer edlen Seele, eines energischen Geistes sind. Ein geistloser Mensch kann gut gebaut und hübsch sein, aber nicht schön. Setzt nun die Schönheit des Kunstwerks oder des Menschen Geist voraus, so ist dieß bei der Schönheit der Natur nicht minder der Fall. Eindrücke der Liebe, der Erhabenheit, der in sich befriedigten seligen Ruhe sind es, welche aus der Natur unser Gemüth ergreifen und um deren willen wir eine Landschaft lieblich, erhaben, schön nennen; Liebe, Erhabenheit, selige Ruhe sind aber Eigenschaften des Geistes; wäre nicht Vernunft, Geist in der Natur, so könnte nicht von ihrer Schönheit die Rede sein.
Nun lassen Sie uns einen Schritt weiter gehen! Wie ist denn diese Fülle von Zweckmäßigkeit, diese Schönheit in der Welt zu erklären? Die Zweckmäßigkeit der Maschine wurde von dem Mechaniker in sie hineingelegt; der Geist, welcher uns aus dem Kunstwerk eines Malers anspricht, ist von dem geistvollen Maler in die Farben übergegangen; woher nun die Vernunft, der Geist in der vor uns liegenden Welt? Die Christen antworten auf diese Frage mit jenem Sänger welcher vor drei Jahrtausenden lebte und mit dem Herrn Christus selbst: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und unser himmlischer Vater ist es welcher die Lilien also kleidet. Gottes Geist hat die von der Hand Gottes ausgestreuten Lebenskeime von Anfang an überschwebt, entwickelt, gestaltet und heute noch durchdringt, belebt, entwickelt derselbe Geist des lebendigen Gottes das unermeßliche Gebiet des Seins, daß Alles nach bestimmter Zahl und in bestimmtem Maß sein Wesen hat, in den Figuren seiner vorgezeichneten Bahn sich bewegt und Alles was lebendig ist nach seiner ihm anerschaffenen Art sich entwickelt. Denn Gott, der ewig in sich selbst Lebendige, ist der einzige Quell alles Seins, aller Bewegung und Lebendigkeit, aller Gestaltung und Harmonie, aller Schönheit und Freude. Neben dieser biblischen Betrachtung der Welt war aber schon vor Alters eine andere da, zumal in Indien, dann auch bei einem Theile der Griechen; sie ist schon vor 17 Jahrhunderten im Namen .des griechisch-.römischen Heidenthums dem christlichen Glauben feindlich gegenüber getreten, wurde damals im Kampfe der Geister überwunden und hat dann im Abendlande fast anderthalb tausend Jahre geschwiegen, bis sie vor zwei Jahrhunderten von Neuem ihre Stimme zu erheben begann. Ich meine den sogenannten Pantheismus. Pantheismus, dieses griechische Wort bedeutet die Ansicht daß das All Gott sei. Der Pantheismus redet also von Gott, aber er verbindet mit diesem Worte einen ganz andern Sinn als die Christen. Der Pantheismus sagt: du sollst Gott nicht suchen außer der Welt, jenseits des Weltalls, das All selber ist Gott. Das meint der Pantheismus natürlich nicht in dem Sinn, als wäre jedes Ding in der Welt, jeder Baum, jedes Thier Gott, in welchem Falle ja die Thorheit entstünde, daß die Welt aus einer Unzahl von Göttern bestehen würde. Der Pantheismus sagt: ihr müsset unterscheiden zwischen der Erscheinungswelt und zwischen der inneren Gestaltungskraft aus welcher der bunte Reichthum der Erscheinungswelt hervorbricht. Ein Baum trägt jedes Jahr seine Früchte, kaum sind sie da, so fallen sie wieder ab, aber die Triebkraft des Baumes bleibt, im Frühling bricht sie von neuem hervor. Unser Erdkörper ist schon durch manche Revolutionen hindurch gegangen, aber die gestaltende Kraft, welche vor Jahrtausenden wirkte, wirkt, wenn auch in veränderter Weise, heute noch, bis vielleicht auch ihr die Zeit des Greisenalters kommt. Ist nun die ganze Menge der Weltkörper Ein Ganzes, so muß ja wohl durch das ganze All Ein stets wirksames Leben gehen, zu welchem sich sogar die Gestaltungskräfte der einzelnen Weltkörper nur als besondere Strahlungen verhalten werden. Dieses Eine, sich selbst Gleiche welches in allem Lebendigen webt und belebt und in so fern in allem Sichtbaren sich vor Augen stellt obwohl es selbst niemals gesehen wird, das ists, was der Pantheismus mit dem Namen Gott benennt. Goethe läßt dieses Eine sich selbst so bezeichnen:
In Lebensfluthen
im Thatensturm
wall ich auf und ab,
webe hin und her,
Geburt und Grab,
ein ewiges Meer,
ein wechselnd Weben,
ein glühend Leben,
so schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit
und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Das ist eine vortreffliche Veranschaulichung des pantheistischen Gedankens, nur freilich eben eine Veranschaulichung, ein Dichterwort, nicht der scharfe Ausdruck des Gedankens wie die Sprache der Philosophie ihn zu geben sucht. Eine doppelte Unangemessenheit ist dann, erstlich diese, daß was in den Fluthen des Lebens wallt um das lebendige Kleid der Gottheit zu weben, hiemit als ein von der Gottheit Verschiedenes erscheint, während es nach dem Sinne des Pantheismus eben die Gottheit selber ist, von welcher die Erscheinungswelt gewoben wird, zum andern diese, daß jenes Wallende, Webende, Wirkende in der dichterischen Darstellung von sich selber redet, sich ein Ich nennt, als eine Persönlichkeit erscheint, während dem Pantheismus die Gottheit gerade nicht eine Persönlichkeit, nicht ein Ich ist, sondern die Welt selber die ja kein Selbstbewußtsein hat ist ihm Gott. Die pantheistischen Philosophen selbst haben dieses Eine und doch Allesbelebende, dieses Bewußtlose das doch Alles organisieren soll, in verschiedener Weise charakterisiert; den treffendsten und zugleich verständlichsten Namen hat ihm aber Spinoza gegeben, der geistvolle Jude, welcher vor zweihundert Jahren im Abendlande den Pantheismus erneuert hat. Spinoza unterscheidet die „gebärende Natur“ und die „geborene Natur“; unter der geborenen Natur versteht er die stets sich verändernde Welt der Erscheinungen, unter der „gebärenden“ versteht er den Grund aus welchem ohne Unterlaß die erscheinende Welt auftaucht und in welchen sie wieder versinkt. Diese gebärende Natur, das ist ihm Gott. Gott die gebärende Natur - hier werden Sie nun auch bemerken, daß das wovon ich rede, gar nicht blos eine Sache der Schule ist. Viele Menschen reden ja in unserer Zeit, auch ohne irgend Philosophen zu sein, immer nur von der Natur, von ihr erwarten sie in Krankheit die Heilung, von ihr die Fruchtbarkeit der Felder, ihre Macht bewundern sie wenn sie die leuchtende Welt der Sterne betrachten, ihr unterstellen sie ihr Leben, als ob wirklich die Natur das Höchste wäre, daran wir Menschen gewiesen sind. Zwar meinen es nicht Alle welche diese Rede führen so daß sie dadurch die Natur für Gott selber erklären und den überweltlichen Gott leugnen wollen; der Letztere steht Manchen von ihnen nur in solcher Ferne von der Welt, die er vor langen Zeiten geschaffen habe, daß der Mensch es jetzt nicht mehr mit Gott sondern nur mit der Natur zu thun haben könne. Wer aber mit der Geschichte der Philosophie, zumal der deutschen von Kant bis Schelling und Hegel, bekannt ist, dem brauche ich nicht erst zu beweisen, daß zwischen Männern der Wissenschaft nicht mehr über diesen fernen Gott der englischen Deisten die Rede sein kann; den Stimmen welche in hiesiger Stadt bisweilen noch in diesem Tone reden, merkt es der Kundige sofort an, daß sie mit dem Entwicklungsgange der neueren Philosophie gründlich unbekannt sind. Nur zwischen dem Gott des Pantheismus, nenne man ihn nun „gebärende Natur“ oder nach Hegels den Grundgedanken nicht ändernden Ausdruck „absolute Idee“, und zwischen dem Gott der Bibel kann in heutiger Zeit der Streit sein. Wie denn auch, wer nicht Mann der Schule ist, bei ernsterem Denken wohl erkennen kann, daß ein von der Welt ferner, nicht allgegenwärtiger und sein Leben nicht in Güte mittheilender Gott gar kein Gott mehr, nicht mehr der Lebendige, der Gute, nicht mehr der Absolute ist. - Wohlan denn, ist die Natur, ist diese gebärende aber ihre Geburten auch wieder verzehrende Natur, ist dieser Gott des Pantheismus der Gott von dem unser Leben stammt oder lebt der Gott auf welchen unsre Väter hofften, zu welchem der Herr Christus als zu seinem Vater gebetet hat und welchen er auch uns in kindlichem Geist anrufen lehrt? Pantheistischerseits versichert man oft genug, daß der Unterschied dieser beiden Ueberzeugungen gar nicht so wichtig sei, in Wahrheit aber ist ein größerer Gegensatz kaum noch zu denken. Zur Natur kann kein verständiger Mensch beten, während den Christen der Gebetsumgang mit Gott für das höchste Gut ihres Lebens gilt. Ist die Natur der Grund aus welchem alles Leben, auch das Seelenleben der Menschen geboren wird, so ist Alles was geschieht, also auch das Sündigen, eiserne Nothwendigkeit, das Heiligwerden eine Unmöglichkeit, so ist auch unser Glaube an einen heiligen Erlöser ein Traum, während die tiefste Sehnsucht der Christen gerade darauf geht heilig zu werden und die Freude an dem heiligen Menschensohn ihre Stärke ist. Endlich kann, wenn die gebärende und wieder verzehrende Natur das Letzte ist, von einem Leben der Menschen nach dem Tod nicht mehr die Rede sein, während den Christen der Himmel das Ziel ist, das irdische Leben aber nur der Weg zum Ziel.
Indem ich nun zu einer Prüfung des Pantheismus übergehe, könnte ich zuerst zeigen daß die Natur schon darum nicht der letzte Grund sein kann, weil sie sonst ihr eigener Grund sein, durch sich selber da sein, Ursache von sich selbst sein müßte, Ursache aber von sich selber zu sein nur dem sich selbst Denkenden, Selbstbewußten zukommen kann. Ich könnte ferner zeigen, daß wenn Gott nichts ist als die Innenseite und die gestaltende Kraft der Erscheinungswelt, der Ursprung des Weltstoffes, das Dasein dieses ungeheuren Seins völlig unerklärlich bleibt, und uns der Verstand im wörtlichen Sinne davor stille stehen muß wie denn auch die Pantheisten des griechischen Alterthums ausdrücklich von einer ewigen Materie die man voraussetzen müsse gesprochen haben. Allein ich will mich, dem Ausgangspunkt unserer Untersuchung getreu, auf die Frage beschränken: ob der Pantheismus im Stande sei die Weisheit und die Schönheit zu erklären, welche wir in der wirklichen Welt vor uns sehen, also z.B. die harmonische Ordnung, in welcher die vielen tausend Sterne kreisen mit solcher Regelmäßigkeit, daß die Astronomen die Stunden vorausberechnen, in welchen sie unserm Auge sichtbar und wieder unsichtbar werden, sich begegnen und wieder von einander entfernen. Der Pantheismus sagt uns daß eben die Natur selbst es sei, welcher die ordnende Weisheit inne wohne. Aber die Natur weiß ja nichts von sich selbst, sie ist selbstbewußtlos, sie ist kein Ich, keine für sich seiende Persönlichkeit. Der Pantheismus traut dem das von sich selber nichts weiß zu, daß sein Thun lauter Weisheit, ein wunderbar zweckvolles, schöne Werke hervorbringendes Wirken sei. Also eine bewußtlose Weisheit! Ist denn nun das nicht ein sich selbst widersprechender Begriff, ungefähr wie ein dreieckiger Kreis? Wir wollen aber nicht voreilig im Urtheil sein.
Sollte irgend die Möglichkeit einer bewußtlosen Weisheit sich vertheidigen lassen, so müßte es geschehen durch zwei Thatsachen der Erfahrung, deren eine dem thierischen, die andere dem menschlichen Lebenskreise angehört; ich meine das Walten des thierischen Instinkts und die Entstehung der menschlichen Sprachen. Ist nicht die Weise in welcher die Spinnen ihr Netz weben, die Bienen ihre Zellen bauen, durchaus zweckmäßig? Und doch wird Niemand sagen daß diese Thiere mit selbstbewußter Ueberlegung ihre Kunst ausüben. Auch lernen sie ihre Künste gar nicht, sondern in Kraft des inwohnenden Triebes üben sie dieselben aus. Und woher haben die Völker ihre Sprachen? Es ist der Geist jedes Volks, welcher dessen Sprache erzeugt. Aber nicht nach einem vorbedachten Plan, nicht in klar bewußter Ueberlegung. Der Mensch kann nicht denken außer in Worten, ein Volk muß daher seine Sprache schon haben ehe es zu einem Leben des Denkens gelangt. Dennoch sind die Sprachen kunstreiche, geistvolle Gewebe. Wenigstens die Sprachen der geistvolleren Völker, wie z.B. die griechische, die deutsche. Aber selbst die Sprachen solcher Stämme welche es bis heute noch nicht zum Schreiben gebracht haben, sind wenigstens von Gesetz und Regel durchwohnt. Es gibt in Afrika Völkerschaften denen es noch nie in den Sinn gekommen ist über den Bau ihrer Sprache nachzudenken, wenn aber die Sendboten des Evangeliums zu ihnen kommen, so entwerfen sie auch für die ärmste der afrikanischen Sprachen eine Grammatik, finden also das Gesetzbuch auf, nach welchem jenes Volk ohne es zu kennen, seine Sprache hervorgebracht. Das also läßt sich nicht bestreiten: es gibt ein halbbewußtes Arbeiten des menschlichen Geistes, ja ein traumartiges Wirken der Thierseele, welches gesetzmäßige, zweckvolle, schöne Werke zu Stande bringt. Und gerade in diesem traumartigen Thun kommt sehr selten ein Fehlgriff vor, während umgekehrt dem wachen, in klarem Selbstbewußtsein vollzogenen Arbeiten des Mechanikers, des Gelehrten, des Staatsmannes so mancher Irrthum zu begegnen pflegt. Kann nun der Pantheismus aus solchen Thatsachen nicht vielleicht ein Recht erweisen, die zweckvolle, schöne Organisation der Welt aus dem Wirken bewußtloser Weisheit abzuleiten? Wenn der menschliche Geist, wenn sogar thierische Seelen ohne Selbstbewußtsein von sich aus solche Werke hervorbringen, dürfen wir dann nicht etwa der ganzen Welt eine - nicht selbstbewußte, sondern nur träumende - Seele zuschreiben und aus dieser Weltseele, obwohl sie kein Selbstbewußtsein hätte, die weisheitsvolle Organisation der ganzen Welt erklären? Wer die Dinge nur obenhin betrachtet, dem kann dieß scheinbar genug vorkommen, bei schärferer Betrachtung aber zerrinnt all dieser Schein. Nur dann könnte von der bewußtlosen Weisheit der Thierseele auf bewußtlos weises Walten einer Weltseele geschlossen werden, wenn jene Weisheit wirklich der Thierseele selbst angehören, das zweckmäßige Wirken des thierischen Instinkts wirklich aus dem Thiere selbst entspringen würde. Eben dieß aber ist bloßer Schein. Der Drang welcher jene Thiere zu ihren Kunstwerken treibt und die sichere Geschicklichkeit ihres Arbeitens ist so gut wie Drang und Vermögen der Singvögel zum Gesang gegründet in ihrer körperlichen Organisation; diese aber haben sie nicht selbst hervorgebracht, sondern anders woher empfangen. Ebenso ist den Menschen Drang und Vermögen zu sprechen in ihrer geistig-leiblichen Naturausstattung mitgegeben und die Eigenthümlichkeit jeder Sprache geht aus der Eigenthümlichkeit der Naturausstattung jedes Volks hervor. Gehört hienach die Weisheit welche in den thierischen Kunstwerken, und die höhere welche im Bau der Sprachen sich offenbart, nicht den Thieren selbst, auch nicht den menschlichen Volksgeistern an, sondern vielmehr jener Macht von welcher Thiere und Menschen ihre Organisation erhalten haben, so kann auf den Mangel an Selbstbewußtsein welchen wir in der Weisheit des Instinktes finden, unmöglich der Schluß begründet werden, daß auch die höchste, menschliches, thierisches, überhaupt jegliches Leben organisierende Ursache bewußtlos wirken könne. Auch ist ja das thierische, das menschliche Leben nimmermehr ein in sich abgeschlossener Kreis, die Lebensthätigkeit der Menschen und vollends die thierische ist in den allgemeinen Strom des Naturlebens eingetaucht, wird von ihm fort und fort angeregt und geleitet, daher abermals, zumal von der im Thierleben waltenden Weisheit zu sagen ist, daß sie nicht den Thieren selbst, sondern dem Universalleben angehört, in welches das thierische verflochten ist. Bewußtlos waltende Weisheit als von einer höhern Macht gesetzte, das ist, wie wir hienach sehen, eine Thatsache der Erfahrung, aber bewußtlose Weisheit als letzte Ursache durch welche das Universum selbst organisiert worden wäre, das ist eine Vorstellung, welche vor klarem Denken nicht Stand hält, ein bloßes Phantasiegebilde. Welch seltsamer Widerspruch wäre es auch, daß der wache Geist des Naturforschers mit freudiger Bewunderung lebenslang nachforschen sollte der Weisheit einer blind wirkenden Macht, von ihr immerdar Innen, vor ihr sich beugen! Nein, wie es in der Mathematik Axiome gibt, letzte Grundsätze, welche für den ganzen Aufbau der mathematischen Wissenschaft die Beweise geben, selbst aber eines Beweises weder bedürftig noch fähig, sondern durch sich selber klar und unwidersprechlich sind, so ist für eine wirklich philosophische Betrachtung der Welt das ein durch sich selbst klarer Satz, daß die Urvernunft in welcher alle in der Welt lebendige Vernunft gründet, nicht eine selbst blinde, sondern nur eine mit vollkommener Klarheit ihrer selbst bewußte sein kann. Mit anderen Worten: so gewiß die Welt ein weisheitsvoller, schöner Organismus ist, so gewiß weist sie uns zurück auf einen schöpferischen Urgeist, welcher sich selbst weiß wie er sich selber hervorbringt, also auf einen persönlichen Gott wie ihn die Bibel lehrt, bewußtlose Urweisheit aber ist so gut wie ein dreieckiger Kreis ein Widerspruch in sich selbst.
Betrachten wir nun aber den Theil der Welt, welcher uns am besten bekannt ist, unsre Erde und was auf ihr lebt etwas näher, so ergibt sich uns für die gewonnene Erkenntniß Gottes eine Bestätigung um die andere. Und zwar besonders unter Mitwirkung derjenigen Wissenschaft, welche Vielen jetzt für eine so starke Gegnerin des christlichen Glaubens gilt: der Wissenschaft von der Entwicklungsgeschichte unsrer Erde. Wenn nämlich durch die Geologie irgend etwas festgestellt ist, so ist es dieß, daß unsre Pflanzenwelt, unsre Thierwelt, vollends das Menschengeschlecht weit jünger ist als die Erde selbst, indem bei den ersten Zuständen der Erde für dieses pflanzliche, thierische, menschliche Leben keine Möglichkeit war. Sind sie nun erst später entstanden, so fragt sich in welcher Weise sie entstehen konnten. Die Naturforscher ihrer Seits gestehen nicht einzusehen wie organisches Leben, und dieß ist das pflanzliche, das thierische, sich entwickeln konnte aus unorganischem, und nur solches war in der Urzeit der Erde vorhanden. Hiemit kommt der Pantheismus in eine schlimme Lage. Mit seiner Behauptung daß die Natur die letzte Ursache von Allem sei, ist nämlich sofort die andere verknüpft, daß die Natur niemals irgend eine einzelne Erscheinung unmittelbar und in isolierter Weise von sich aus hervorbringe, sondern die Gesammtheit alles Einzelnen sei es, welcher, daß ich so sage, die Weltseele inne wohne, und die Gesammtheit alles Dessen was im Raume neben einander oder in der Zeit nach einander sei, bilde eine festgeschlossene Kette von Ursachen und Wirkungen, so daß was nicht vom ersten Anfang an angelegt sei nicht geschehen, was aber angelegt sei nicht ausbleiben könne. Mit anderen Worten: der Pantheismus erkennt keine Möglichkeit eines Wunders an und er achtet diese Ausschließung des Wunders für seinen besonderen Ruhm. Wohlan! wenn es kein Wunder gibt, wie konnte dann das pflanzliche, das thierische Leben entspringen, wie vollends das menschliche Geistesleben, das selbstbewußte, freie? Sind die Menschen Söhne der Affen oder sind sie gar aus dem Schlamme geworden? Der vielgenannte David Strauß hat vor 20 Jahren den verzweifelten Ausspruch gethan, daß ja doch auch der Bandwurm, welcher dazu bisweilen über 20 Fuß lang werde (so daß er also den Menschen an Länge weit übertrifft!), ohne elterliche Zeugung aus einem ihm ungleichartigen Stoffe in den Eingeweiden des Menschen entstehe, warum es also nicht möglich sein sollte, daß einst Menschen aus irgend einem irdischen Stoffe, so ungleichartig ihr Wesen diesem Stoffe war, sich entwickelt haben? Zumal vor so langen Zeiten, denn ehemals seien gewiß die Bildungskräfte der Erde noch weit reicher gewesen als heutigen Tags. ) Ich will hier nicht weiter davon reden daß die jetzige Naturforschung nicht einmal für den Bandwurm diese Entstehungsweise mehr gelten läßt, aber das will ich bemerken, daß Alexander von Humboldt welcher der christlichen Wahrheit sonst ferne genug stand, in einem seiner Briefe schreibt: „was mir an Strauß gar nicht gefallen hat ist der naturhistorische Leichtsinn, mit dem er in Entstehung des Organischen aus dem Unorganischen, ja in Bildung des Menschen aus chaldäischem Urschlamme keine Schwierigkeit findet.“ ) Ich erlaube mir dem beizufügen, daß es doch sonderbar ist, wenn Männer welche den Menschen mit dem Bandwurm in Parallele bringen im Uebrigen für Bahnbrecher der echten Humanität gelten wollen. Immerhin aber hat Strauß wie sonst so auch in diesem Fall vom Standpunkte des Pantheismus aus ganz folgerichtig gesprochen. Ist die Natur die letzte Ursache alles Lebens, so kann es kein Wunder geben, gibt es kein Wunder, so muß der Mensch ungefähr in jener, von Strauß vermutheten Weise entstanden sein. Umgekehrt aber: ist der Mensch nicht ein Sohn der Affen noch ein Kind des Schlammes, so ist der Mensch ein Wunder, gibt es aber Wunder, so lebt ein persönlicher Gott, denn Wunder setzen anerkannter Maßen einen persönlichen Gott voraus. Wir sehen hier zugleich, daß Männer welche die Bibel verwerfen, weil die Bibel Wunder erzählt, über die Natur, zumal die des Menschen, nicht eben sehr gründlich können nachgedacht haben, sie hätten sonst gefunden daß auch das Buch der Natur von Wundern spricht. Mit diesen Bemerkungen haben wir aber ein neues Gebiet betreten, auf welches ich Sie bitten möchte, mir noch für einen Augenblick folgen zu wollen.
Unser Ausgangspunkt war die Thatsache, daß dem ganzen Naturleben von den riesigen Weltkörpern welche in Harmonie im Weltraume kreisen bis herab zu den geringsten Gräsern die aus der Erde sprießen, eine unendlich reiche und doch einheitliche Gesetzgebung inne wohnt, auf deren Walten jede Lebensentwicklung, eine unendlich viel verzweigte Zweckerfüllung und jede Schönheit des Naturlebens ruht. Aber außer dem Naturgesetz dessen Ergründung die nicht endende Aufgabe und Freude der Naturforscher ist, gibt es ein anderes Gesetz, das sittliche, und es ist wahrlich nicht weniger der Bewunderung würdig als das Naturgesetz. Schon die Vergleichung beider Gesetze hat für den denkenden Geist den höchsten Reiz. Dem Naturgesetz folgen die Sterne und die Gräser in pünktlichem Gehorsam ein Jahrhundert um das andere und selbst was eine Ausnahme zu machen scheint wie z. B. die Vagabunden des Himmelsraumes, die Irr-Sterne, hat doch keineswegs einen privilegierten Stand sondern gehorcht nur dem Gesetze in anderer Art. Und zwar ist dieß Naturgesetz welches so richtige Befolgung findet, seinen Unterthanen unbekannt: bewußtlos vollziehen sie es oder vielmehr es vollzieht sich selbst. Anders das sittliche Gesetz welches im Gewissen der Menschen wohnt. Dieses kommt nicht zum Vollzug, wenn es nicht zuvor dem Menschen zum Bewußtsein gekommen ist. Irgendwie nun kommt es jedem Menschen zum Bewußtsein, aber in etlichen leuchtet es von Kindheit auf wie ein heller Stern, in Tausenden dämmert es nur auf als ein matter Schein, abermals Tausende wissen von einer Zeit da es ein schwaches flackerndes Licht in ihnen gewesen und von einer andern da es zum flammenden Feuer für sie geworden ist. Und fragen wir nach der Ursache des helleren Leuchtens, so gibt die Erfahrung eine doppelte an: das eine Mal diese, je achtsamer mein Auge nach dem Lichte blickte, desto heller wurde sein Glanz, das andere Mal diese, ohne mein Wollen, wider mein Wollen flammte sein Feuer in mir auf. Aber das Heilewerden des sittlichen Gesetzes im Bewußtsein des Menschen sichert noch keineswegs dessen Vollzug. Eben dieß ist der zweite Unterschied des sittlichen vom Naturgesetze daß während das letztere vollzogen werden muß, das erstere zwar seine Vollziehung vom Menschen verlangt, aber so daß der Vollzug oder Nichtvollzug der freien Selbstentscheidung des Menschen überlassen bleibt. Und jeder Mensch hat das Bewußtsein das Gesetz seines Gewissens nicht so wie er sollte vollzogen zu haben. Scheint sich nun hieraus zu ergeben daß dem sittlichen Gesetze nicht dieselbe Kraft innewohne wie dem Naturgesetze, weil das letztere in dem ungeheuern Weltsysteme widerstandlos zur Vollziehung gelangt, des sittlichen Gesetzes Vollzug aber von dem Willen des Menschen abhängig bleibt, so verwandelt sich diese Schwäche in Stärke sobald die Betrachtung tiefer in die Sache dringt. Wir Menschen sind unter beiderlei Gesetze gestellt, unser leiblich-seelisches Leben steht unter dem Naturgesetze, zu unserem Willen redet das Sittengesetz, und da kann es geschehen daß die beiden Gesetze in Conflict gerathen. Das Naturgesetz verlangt zum Beispiel Befriedigung des Hungers, das Sittengesetz befiehlt: du sollst nicht stehlen, nicht tödten. Das Thier nun gehorcht dem Naturgesetze so unbedingt, daß es, so weit eben seine Kraft reicht, sich schlechtweg die Nahrung verschafft, auch Tausende von Menschen werden im Drange des Hungers dasselbe thun wie das Thier, aber andere Menschen gibt es welche lieber vom Hunger sich tödten lassen als daß sie dem sittlichen Gebote: du sollst nicht stehlen, nicht tödten ungetreu würden. Nicht durch Zwang sondern durch sanfte Ueberredung bringt es das sittliche Gesetz dazu, daß diese Menschen dem Naturgebote der Nahrung, sogar der Lebenserhaltung den Gehorsam verweigern, um dem sittlichen Gebote treu zu sein. Die Tausende aber welche den Naturtrieben folgend um das sittliche Gesetz sich nicht bekümmern, beweist dieses Gesetz auch an ihnen noch seine Majestät? Lange Zeit vielleicht schweigt es stille, dann aber fängt es an im Innern des Menschen Gericht zu halten und nun geht der Mensch gebeugt einher unter der Last seiner Schuld, sein Gewissen hat über ihn den Stab gebrochen. Wenden wir uns aber von hier aus zurück zu der Frage nach dem Wesen Gottes, was ergeben sich uns für Erkenntnisse aus dem Einblick in diese zweite Gesetzgebung, in die des Gewissens? Zuerst eine Bestätigung dafür, daß ein persönlicher Gott und nicht die Natur es ist, von welchem alles Leben stammt. Denn jetzt muß es ja wohl vollends klar sein, daß der Mensch nicht als höchstes Erzeugniß des Naturlebens sondern nur als ein Wunder durch eine Schöpferthat des persönlichen Gottes entstanden sein kann. Der Mensch vernimmt ja die stille Sprache des sittlichen Gesetzes, weiß sich verbunden den Naturtrieben zum Trotz seinem Gewissen zu gehorchen, und gehorcht er ihm nicht, so trägt er das peinliche Bewußtsein davon, durch diesen Ungehorsam sich selber entwürdigt zu haben. Aber auch dazu bleibt jedes Denksystem dem die Natur das Höchste ist schlechthin unfähig, zu erklären, woher schon diese Gesetzgebung selber stamme die den Naturgeboten zu widersprechen wagt und mit ihrer sanften Hoheit dennoch den Sieg über den Drang des Naturgesetzes zu gewinnen weiß. Mit völliger Zuversicht dürfen wir es aussprechen daß kein Pantheist im Stande ist über diese Punkte irgend etwas vorzubringen was wissenschaftlich genügend wäre. Wie denn auch wer den geistigen Entwicklungsgang der letzten Jahrzehnte kennt, ohne mein Erinnern weiß, daß auf den neuen Aufschwung welchen der Pantheismus zu nehmen versuchte, sofort die Erneuerung des Materialismus gefolgt ist, dieser unvernünftigsten unter allen Weltanschauungen welche es geben kann; ist die gebärende Natur der Quell woraus alles Leben fließt, je nun, so kann aus diesem Quell eben nur materielles Leben fließen, Freiheit, Geist müssen dann bloße Worte sein; Phosphor ist das Edelste was in der Welt existiert und der natürliche Egoismus ist der Gesetzgeber von welchem Alles stammt was unter den Menschen für heilig gilt. Ist dagegen ein persönlicher Gott der Schöpfer der Menschen und ist unsre Seele wie die Schrift lehrt Geist von dieses Gottes Geist, so versteht es sich ganz von selbst daß unsere Seele frei und daß für sie eine andere Gesetzgebung als für das Naturleben gegeben sein muß. Aber auch neue Erkenntnisse des göttlichen Wesens ergeben sich uns hier. Wenn der ewige Urgeist dessen machtvolle Weisheit dem Naturleben sein Gesetz gegeben hat, und von dessen innerer Harmonie und seliger Erhabenheit jede Schönheit der Welt uns Zeugniß gibt, dem Menschen Freiheit gegeben hat, nemlich das Vermögen, von sich aus durch die Selbstbestimmung seines Willens sich zu entscheiden, ob er den Naturtrieben oder dem Gewissensgesetze folgen wolle, so muß Gott selber als der Schöpfer der Freiheit, ein Gott der Freiheit sein, und nicht bestimmt durch eiserne Notwendigkeit, wie dieß der Fall sein müßte bei der gebärenden Natur. Und wie folgenreich ist dieser Eine Satz, daß Gott ein Gott der Freiheit ist; aus dieser Wahrheit läßt sich z. B. die Kraft des Bittgebetes, welche Vielen so anstößig ist, leicht verstehen! Wenn aber ferner das Gesetz des Gewissens mit so hoher Majestät zu uns redet daß der gewissenhafte Mensch erkennt, er müsse eher sein Leben aufopfern als dem sittlichen Gesetze den Gehorsam verweigern, und wenn der geschehene Ungehorsam mit solcher Pein der Selbstverachtung sich in unserm Innern bestraft, die Treue des Gehorsams aber der Seele die höchste Freudigkeit gibt, muß dann nicht bei dem Gott, von welchem all diese Gesetze stammen, eine schlechthin vollkommene Uebereinstimmung mit dem Gesetz, muß also Gott nicht schlechthin gut, sein Wille schlechterdings heilig sein? Was ist aber endlich der Grund der diesen Gott zum Schaffen bewogen hat? Daß er den unermeßlichen Reichthum des Lebens welchen wir in dem Worte „Welt“ zusammenfassen durch seinen Willen ins Dasein gerufen, läßt uns ahnen welches Meer des Lebens in ihm selber wogt. Und zwar ist er der Quell dieses Meeres, sein Leben ist ein Kreis der nur aus sich selbst entspringt. Deßhalb muß ja dieser Quell des Lebens in sich selber selig, sich selber genügend sein. Genügt er nun sich selbst, warum schafft er denn? Die Antwort kann nur sein: der in sich selbst Lebendige schafft, weil er will, daß auch außer ihm, durch ihn Solche seien die sich ihres Lebens freuen, das heißt: Gott schafft weil Gott die Liebe ist. Ist er aber die Liebe, wie ist es anders möglich, als daß er den geistbegabten Menschen zur Gemeinschaft mit ihm, mit Gott selber berufen hat? Denn für den Geist kann nur in der Gemeinschaft mit dem ewigen Urgeist Erfüllung seiner Sehnsucht sein. Und welche Entwürdigung des Menschen ist es deßhalb, wenn man ihn in unsrer Zeit, und zwar gar unter dem Titel der Menschenwürde, von diesem Urgeiste der unser Schöpfer ist, losreißen will!
Es ist schwer, nachdem sich uns hiemit der Weg zur Erkenntniß Gottes erschlossen hat, auf diesem Punkte abzubrechen, ohne theils den weiteren Spuren Gottes nachzugehen theils die gewonnenen Umrisse zu einer lebendigeren Zeichnung seines Wesens auszuführen. In ersterer Beziehung wäre, nachdem wir auf das Naturgebiet und dann auf die Geistigkeit der Menschen einen Blick geworfen, insbesondere die Geschichte der Menschheit ins Auge zu fassen. Ihr Entwicklungsgang geht durch eine Unzahl freier Entschließungen unzählig vieler Köpfe und dennoch finden die Geschichtsforscher einen festen Plan darin. Und wie oft hat es auf dem Wege den die Geschichte durchlief den Schein gewonnen als wäre nun durch die Willkühr und Leidenschaft, durch die Trägheit und den Unverstand der Menschen aller fernere Fortschritt unmöglich geworden, aber plötzlich traten ungeahnte Ereignisse, neue Kräfte, große Menschen auf den Plan, daß der Knäuel sich gelöst, die Straße sich geöffnet hat. Es ist leicht zu zeigen daß dieses weisheitsvolle Schreiten der Geschichte mitten durch den Wirrwarr hindurch welchen die Willkühr der vielen Millionen freier Menschen zu Stande bringt, nicht anders als aus dem Walten der allmächtigen Vorsehung des persönlichen Gottes sich erklären läßt, die bewußtlose Weisheit der Natur könnte unmöglich gegenüber von der Freiheit der Menschen des Ganges der Geschichte Meister bleiben. Weil aber die Zeit zum Schlusse mahnt, so wollen Sie mir nur noch Eine Bemerkung gestatten. Wir haben gesehen, die Natur zum Gott machen, das bietet für die wirkliche Welt kein Verständniß dar, kann also einem ernsten Denken nicht Genüge thun; die wirkliche Welt läßt sich nur erklären, wenn ein ewig seiner selbst bewußter Geist durch die Macht seines Willens sie geschaffen hat; und zwar muß dieser Gott ein Gott der Wunder sein, denn die Wirklichkeit beweist daß er im Geschaffenen wieder Neues geschaffen hat, Solches, dessen Dasein als bloße Entwicklung des zuvor Gewesenen sich nicht erklären läßt; und er muß ein Gott der Freiheit sein, weil er die Menschen zur Freiheit schuf; und ein heiliger Gott, denn das Gesetz das er in unser Gewissen geschrieben hat kündigt sich an als ein heiliges Gesetz; endlich Gott muß die Liebe sein, denn nur der gütige Wille sein Leben mitzutheilen, konnte den in sich selbst seligen Gott zum Schaffen bewegen. Manche von Ihnen werden nun vielleicht denken, wozu doch dieß Alles erst beweisen? alles das verstehe sich von selbst, ohne viele Künste sei es dem einfachen Gemüthe klar, daß nicht die Natur, sondern nur Gott, nemlich ein ewig in sich selbst vollendeter und sich selbst wissender Gott der Urheber der Welt sein könne. Ich antworte: ja, so ist es; und eben das gehört mit zu den Triumphen der Glaubenswahrheit, daß der Blick des einfältigen Auges sie im Flug ereilt; aber es gibt Tausende, für welche es unabweisbares Bedürfniß ist, auch mit dem gemessenen Schritte des strengen Denkens der Wahrheit nachzugehen, und Solchen versuchte ich zu zeigen, daß das ernste, nüchterne, gründliche Forschen zu eben diesem gelangen muß und nur zu diesem gelangen kann, von welchem der erste Artikel unsers alten Glaubensbekenntnisses bezeugt: ich glaube an Gott, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde. Allermeist aber antworte ich, wenn dieser ewige Urgeist lebt und uns zu seiner Gemeinschaft ruft, dieser Gott aber heilig, und jeder von uns unheilig ist, wohlan wo ist dann der Weg der uns Unheilige zu dem Heiligen führt? Wahrlich, je ernster das menschliche Denken in die Tiefe geht, desto sehnsuchtsvoller muß diese Frage in uns ertönen, desto ernster wird also auch ein forschender Geist seine Forschung Dem zuwenden müssen, welcher das unermeßliche Wort von sich gesprochen hat: „Ich bin der Weg, Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Um deßwillen darf schon dieser Vortrag mit der Ahnung schließen, daß es außer dieser Wahrheit von dem allmächtigen Schöpfer der Welt noch eine andere Wahrheit geben muß, welche von einem Mittler zwischen Gott und den Menschen Kunde geben wird und daß jener geistvolle Römer Tertullianus im Rechte war, welcher, in gereiftem Mannesalter vom Heidenthum zum Glauben der Christen bekehrt, sein Forschen und Erleben in dem Worte zusammenfaßt, daß die Seele des Menschen von Natur eine Christin sei, das will sagen: von ihrer innersten Natur gezogen, in dem Herrn Christus den Weg, die Wahrheit, das Leben zu finden.