Gess, Wolfgang Friedrich - Christi Versöhnung der menschlichen Sünde.

Christi Versühnung der menschlichen Sünde, das selige Geheimniß, dessen Betrachtung wir jedes Jahr die stille Woche weihen, soll der Gegenstand des heutigen Vortrags sein.

Gott hat uns Menschen Freiheit gegeben, es ist Sache unserer Wahl ob wir so oder so handeln, insbesondere ob wir der Stimme des Gewissens folgen oder nicht. Aber wie nun wenn der Mensch seine Freiheit mißbraucht zu gewissenlosem gottwidrigem Thun? Und wahrlich es ist ein furchtbarer Strom der Ungerechtigkeit welcher sich seit Jahrtausenden durch die Geschichte der Menschheit wälzt. Welche Masse der Mißhandlung von Menschen durch Menschen! Und sie findet sich nicht blos auf den Schlachtfeldern der Eroberer oder auf den Märkten der Sklavenhalter, sondern auch in den schönen Häusern und in den ärmlichen Hütten unseres Heimathlandes. Oder welche Masse von wollüstiger Mißbrauchung der Menschen durch Menschen! Wie unermeßlich groß stellt sich aber der Strom der Sünde dar, wenn unser Auge nicht blos auf die Oberfläche, auf das äußere Thun hinblickt, sondern in die innere Werkstätte, in das Herz zu dringen sucht! Platon theilt einmal die Menschen in drei Klassen ein. In die unterste stellt er die Ungerechten und Ausschweifenden; diese seien würdig nach ihrem Tode in Esel und Wölfe verwandelt zu werden. Der zweiten Stufe weist er die ordentlichen Leute zu, welche Mäßigkeit und Gerechtigkeit üben, aber ohne Geist und ferne vom Umgang mit dem Ewigen; diese, meint er in seiner Scherz und Ernst mischenden Redeweise, werden in der Seelenwanderung wohl Ameisen und Wespen werden. Sie sehen, der griechische Philosoph hat vor den blos ordentlichen Menschen noch nicht eben großen Respect gehabt. In das Geschlecht der Götter nach dem Tode zu kommen, das, fährt Platon fort, stehe nur der dritten Klasse zu, denen, welche mit der Betrachtung des Ewigen ihr Leben zubringen und gänzlich rein von hinnen gehen ). Der geistvolle Mann spricht hiemit eine Ahnung der christlichen Wahrheit aus, daß nicht die äußere Rechtschaffenheit sondern nur die innere geistliche Gerechtigkeit zur Seligkeit führen kann. Bei uns ist diese Erkenntniß selten zu finden. Wir beurtheilen unseren sittlichen Zustand allzugerne nach der Außenseite. Diese Veräußerlichung der sittlichen Anschauung ist jederzeit ein Hauptübel in Leben und Wissenschaft. Du sollst lieben den Herrn deinen Gott von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe, von allen deinen Kräften, das ist das ewig giltige Gesetz für die gottebenbildlichen Geister. Aber wenn dieß das Gesetz ist, welch schwerem Urtheil verfällt dann unsere Wirklichkeit! Das Gesetz Gottes ist aber heilig. Daraus folgt, daß durch unser dem Gesetze so tief widersprechendes Leben ein schwerer Riß, ein tiefes Unglück gehen wird. Und dieses Unglück ist denn auch da: jeder von uns weiß wie viel Jammer auf der Menschheit liegt.

Dieses auf der Menschheit lastende Elend hat aber nach Gottes Willen einen doppelten Zweck und es ist wichtig diese Doppelheit sich klar zu machen: es hat den Zweck der Besserung und den Zweck der Vergeltung. Den Zweck der Besserung. Das Elend welches sich aus der Sünde entwickelt soll uns zu der Erkenntniß bringen, wie thöricht alles gottlose Wesen ist: wer es nicht glaubte, der muß es nun fühlen, daß außer Gott kein Leben ist; dadurch will uns der heilige Gott der sich nicht des Todes sondern des Lebens freut, zurückrufen zu ihm, dem alleinigen Quell des Lebens und der Freude. Die Männer Gottes deren Reden in der heiligen Schrift verzeichnet stehen sind unerschöpflich in der eindringendsten Auslegung dieser Liebesabsicht Gottes durch unser Unglück uns zu bessern. Allein das Strafen Gottes hat noch einen anderen Zweck. Die Sünde des Menschen ist ja eine Verletzung des göttlichen Gesetzes. Sie ist auch eine Entheiligung des göttlichen Namens. Das ist völlig klar beim Meineid, aber es gilt von jeder Sünde: Gott hat sich den Menschen kundgethan, er hat seinen Namen in unserer Mitte geoffenbart, das Sündigen aber ist ein Ignorieren Gottes. Die Sünde ist auch eine Entheiligung des göttlichen Geistes, der in der Seele des Menschen wohnt oder wohnen will: so ist die Wollust eine Schändung des Tempels des heiligen Geistes, denn unser Leib soll ein Tempel des heiligen Geistes sein. So gewiß nun Gott ein lebendiger Gott ist, so gewiß muß er zu seinem heiligen Gesetz und Namen stehen, die Entheiligung zurückfallen lassen auf den der sich an dem Heiligthum vergriffen hat, der Sünder muß nach dem Ausdruck der Schrift seine Sünde tragen, Gott muß ihm seine Sünde durch Strafe vergelten. Dieser Gesichtspunkt der Vergeltung wird von den Propheten, von den Aposteln, von dem Herrn Christus selbst nicht minder entschieden geltend gemacht als der andere der Besserung. Gedenket z. B. an das Wort des Herrn: mit welcherlei Maß ihr messet wird Euch gemessen werden. Und wo ist ein Mensch, dessen Gewissen dieses Wort nicht sofort als ein wahres unwidersprechliches anerkennt? Ueberhaupt ist die Nothwendigkeit einer Vergeltung auch unserm Gewissen aufs Tiefste eingeprägt. Einem Menschen den ein Unglück trifft kann wie ein Blitz die Erkenntniß durch die Seele leuchten: das ist die gerechte Vergeltung jener bösen That. In vielen der herrlichsten Dichterwerke ist das Walten einer gerechten Vergeltung der Grundgedanke. Die Vergeltung schreitet aber nicht blos durch das Leben einzelner Menschen, sie schreitet auch durch das Völkerleben. Wer mit Ernst ein tieferes Verständniß der Geschichte der Menschheit sucht findet einerseits so klare Spuren eines festen weisheitsvollen Planes, daß ihn alle daneben vorhandene Verwirrung nicht irre macht in der Ueberzeugung, es sei die Weisheit eines persönlichen Gottes von welcher der Gang der Menschheit geleitet wird, andererseits treten solche Hemmungen, solche Zerstörungen ein, welche sich nur als vergeltende Gerichte Gottes erklären lassen. Ich denke z. B. an die furchtbare Gewalt welche dem muhamedanischen Fanatismus viele Jahrhunderte hindurch gegeben wurde: wie viele Saatfelder geistigen Lebens durfte er niedertreten und zu öden Steppen machen! Vor Allem aber ist das Vergeltungsgericht offenbar bei dem Volk welches in jedem Sinn des Wortes das Volk der Offenbarung ist, bei dem Volke Israel. Eine lange Reihe von Propheten bis zu Jeremia hinab hat ihm einst - das gibt jede Kritik zu - seine Wegführung durch die Assyrer und wieder durch die Babylonier als Gottes Gericht über seine Untreue vorausverkündigt und diese ist 700 und wieder 600 I. vor Christus wirklich geschehen. Wiederum hat Christus selbst diesem Volke als das Gericht über seine Verwerfung des Messias eine furchtbare Zerstörung geweissagt, und ein Menschenalter nach Christi Tod ist Jerusalem zerstört und Israel seit 1800 Jahren unter allen Völkern zerstreut: ein Volk von so kraftvoller Eigenthümlichkeit daß Jeder von uns sofort den Juden als Juden erkennt, aber ein Volk ohne Land, ohne Heimath, unzerstörbare Glieder eines leider zerrissenen Leibes, die Seele ist diesem Leibe entflohen weil das Volk wider die es belebende Seele gesündigt hat. Schiller hat über die Wahrheit hinausgegriffen wenn er sagt: die Weltgeschichte ist das Weltgericht, hingegen das ist volle Wahrheit daß die Geschichte der Welt ein Gericht ist über die Welt. Der Zorn Gottes offenbaret sich vom Himmel über alle Gottlosigkeit der Menschen welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten: in diesen Worten spricht Paulus in klarster Besonnenheit den Sachverhalt aus wie ihn uns die Geschichte selbst vor die Augen stellt.

Aber wie nun? Wenn Jeder von uns und wenn die Menschheit im Ganzen unter dem vergeltenden Gerichte Gottes steht, wie wollen wir dieser Gerichtsverhaftung ledig werden? Manche haben auf diese Frage sogleich die Antwort bereit: Gott ist die Liebe, also wird Gott uns vergeben. Aber dieser Schluß ist allzu schnell. Freilich ist Gott die Liebe. Der Gott des Lebens hat uns, da wir nicht waren, gerufen zum Sein auf daß wir uns des Lebens freuen; er will auch die in Sünde Todten aus dem Tode wieder ins Leben rufen. Aber andererseits steht nun einmal die Menschheit unter dem vergeltenden Gerichte Gottes. Durch das Elend welches auf den Sündern lastet wird thatsächlich erwiesen, daß Freude, Leben, Heil bei der Loslösung von Gott unmöglich, daß Gott allein der Quell des Lebens ist. Dadurch muß die Majestät Gottes geheiliget werden an denen die sie entheiliget haben. Jeder welcher das Wesen Gottes bedenkt wird ja erkennen, daß es bei Gott nicht wie bei uns Menschen Akte der Willkühr giebt, was Gott thut das ist ein nothwendiges Thun. Ebenso klar ist ferner aus dem Wesen Gottes daß Gott nicht einen Weg einschlägt und ihn dann wieder aufgibt, wie das bei uns veränderlichen Menschen oft geschieht: Gottes Thun muß zu seinem Ziele kommen. Hieraus folgt mit strenger Consequenz daß, da die Menschen unter einem vergeltenden Gerichte Gottes stehen, dieses Gericht nicht zu seinem Ende kommen kann ehe es zu seinem Ziele gekommen, das heißt, ehe die Majestät Gottes zu der ihr gebührenden Erweisung gegenüber von der Sünde der Menschen gekommen ist. Ja, Gott ist und bleibt die Liebe, er freut sich nicht des Tödtens sondern des Lebendigmachens, aber sein Beleben, sein Beseligen derer die Gottes Namen entheiligt haben kann nur nach völliger Erweisung der unverletzlichen Majestät seines Namens geschehen. Gesetzt also es wird Einer von Ihnen zum Sterbebette eines Freundes gerufen, der sterbende Mann macht Ihnen die Mittheilung daß sein Gewissen durch schwere Verschuldungen tief geängstiget sei und bittet Sie um Trost, was wollen Sie ihm sagen? Man spricht jetzt so oft davon daß nach den Grundsätzen der protestantischen Kirche alle Christen Priester seien, und gewiß wir sollten Alle Priester sein, wohlan wie lautet Ihr priesterliches Wort für diesen Freund? Denken Sie sich Alles was Sie von Christi Versöhnen wissen hinweg und halten Sie andererseits fest daß Gott nicht ein Gott der Willkühr noch der Veränderung ist, so werden Sie ihm sagen müssen: mein Freund, dir muß nun freilich von der Gerechtigkeit Gottes gemessen werden nach dem Maß womit du gemessen hast, du mußt das Gericht tragen welches du gegen dich herausgefordert. Aber beuge dich denn in Demuth unter Gottes Gericht, erkenne seine Gerechtigkeit an, laß dir dann in der Hitze des Gerichtes dein Herz zerschmelzen und bekehre dich unter demselben zu deinem Gott, so wird der Gott welcher auch gegen dich noch die Liebe bleibt, nachdem der Ernst seiner Majestät an dir erwiesen und von dir in demüthiger Beugung thatsächlich anerkannt ist, auch an dir seine Lebensmacht, seine Beseligungsmacht wieder offenbaren. Das ist die einzige Antwort welche Sie - ich meine ja: abgesehen von Christi Sühnen - dem von hinnen scheidenden Freunde geben können.

Ist es aber eine tröstliche Antwort? Wer einen tieferen Blick in die menschliche Seele hat wird keinen Trost darin finden. „Trage nun eben den Ernst des göttlichen Gerichts“ das ist schon an sich ein furchtbar trauriges Wort. „Bekehre dich unter dem Gerichte zu deinem Gott“, ja wohl, aber Christus sagt: wer Sünde thut der ist der Sünde Knecht, und selbst das heidnische Alterthum hat das gewußt, daß Nichts so schwer sei als des eigenen Herzens Meister zu werden. „Laß dir von der Hitze des Gerichts dein Herz zerschmelzen“, ja wohl, aber die Erfahrung lehrt daß ein selbstsüchtiges Herz, und das ist eben das sündige Herz, im Feuer der Drangsal nicht zerschmilzt sondern vielmehr zur Bitterkeit, zum Haß, wohl gar zur Lästerung seines Richters entzündet wird. Das Gesetz richtet Zorn an, sagt Paulus; das Volk wenn es hungrig ist und unter schwerer Last, so wird es grimmig und flucht auf seinen König und auf seinen Gott, hat Jesajas vor dritthalb Jahrtausenden geschrieben, und wie dieß damals wahr gewesen ist, so ist es erfahrungsmäßig heute noch wahr. Und wie es diesseits des Todes ist so wird es auch jenseits des Todes sein, denn der Tod des Menschen kann ja sein Herz nicht anders machen. Was ist nun unser Ergebniß? Auf der einen Seite dieß: so gewiß das Reden des menschlichen Gewissens von einem göttlichen Vergeltungsgerichte nicht eine Selbsttäuschung des Menschen, und so gewiß die Heiligung des göttlichen Namens das höchste Gesetz, ja so gewiß Gott ein lebendiger Gott ist, so gewiß bleibt der Sünder geschieden von Gott, also von dem Quelle des Lebens, bis das gebührende, das heilige Tragen des göttlichen Gerichtes geschehen ist. Auf der anderen Seite dieß: müssen wir das Gericht über unsere Entheiligung der göttlichen Majestät tragen, zu Ende tragen, so wird es nur immer schlimmer mit uns, wir häufen dann nur zur alten Sünde und Schuld neue Sünde und Schuld. Das Gesammtergebniß ist also mit Einem Wort: nirgends zeigt sich ein Weg darauf wir unserer Gerichtsverhaftung könnten ledig werden.

Nun aber lasset uns auf Christum blicken! Er sagt uns daß er gekommen sei zu suchen und selig zu machen was verloren sei. In welcher Weise will denn nun Christus das Verlorene selig machen? Sogleich sein erster Schritt mit welchem er sein Wirken beginnt ist hier von Wichtigkeit. Er läßt an sich jene Taufe im Jordan vollziehen welche der Täufer Johannes für das sündige Volk das nun seinem Messias entgegengeht als sinnbildliches Bußbekenntniß eingeführt hat. Christi späteres Wort, er müsse sich taufen lassen mit einer Taufe vor welcher ihm so bange sei, nemlich mit der Todestaufe, erschließt uns den Sinn seiner Jordanstaufe. Während die Taufe des Volkes im Jordan sinnbildlich aussprach daß das Volk nur in tiefer Buße seinem Messias begegnen dürfe, so sprach des Messias eigene Untertauchung im Jordan aus daß er nur auf dem Wege des Todes dem Volke die Hilfe bringen könne. Sterben muß der Messias um das Verlorene selig zu machen: mit diesem Bewußtsein betritt Jesus seinen Messiasweg. Aber wie bringt denn nun der Tod des Messias den Verlorenen das Heil zu Stand? Ich führe von den vielen Aussprüchen des Herrn über seinen Tod nur die entscheidendsten an. Auf seiner letzten Reise nach Jerusalem erbitten sich zwei Jünger die Ehrenstellen zu seiner Rechten und Linken auf die Zeit da er sein Reich in Herrlichkeit aufrichten werde. Er aber antwortet, das Herrschen müssen sie den weltlichen Fürsten überlassen, ihre Größe müsse das Dienen sein, „gleichwie des Menschensohn nicht gekommen ist sich dienen zu lassen sondern zu dienen und zu geben sein Leben als Lösegeld an der Statt von Vielen. “ y Das ist ein klares Wort über die Bedeutung seines Todes. Fragst du: wie konnte doch der gerechte Gott den heiligen Jesum dem Tode überlassen, so antwortet er dir selbst, dazu ist eben des Menschensohn gekommen daß er sein Leben hingebe. Fragst du: aber zu welchem Zwecke gibt denn des Menschensohn sein Leben hin, so heißt seine Antwort: als Lösegeld an der Statt von Vielen. Wo aber ein Lösegeld nöthig ist da müssen Gefangene sein. Und wo das Leben als Lösegeld bezahlt werden muß da muß das Leben der Gefangenen verwirkt gewesen sein. Und wird das Lösegeld an der Statt von Vielen bezahlt so ist klar daß sie selber das Lösegeld bezahlen sollten, aber sie vermochten das nicht, so tritt nun Er an ihrer Stelle ein. - Wenige Tage hernach hält der Herr mit seinen Jüngern das Passahmahl das heißt das Festmahl des gnädigen Vorübergehens, nemlich zum Andenken der gnädigen Verschonung Israels in Egypten da der Tod über die Erstgeburt der Egypter kam, Israel aber eben jetzt vollzählig aus der Knechtschaft Egyptens ausziehen durfte. Für Jesum war dieses Festmahl zugleich das Mahl des Abschieds von seinen Jüngern, denn am Tag darauf sollte sein Tod geschehen. Da giebt der Herr den Jüngern das Brod und spricht: nehmet, esset, das ist mein Leib, hernach den Kelch und spricht: trinket Alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des neuen Bundes, das für Viele vergossen ist zur Vergebung der Sünden, dieß thut zu meinem Gedächtniß. Dem Festmahl der alttestamentlichen Gemeinde stellt er gegenüber ein Festmahl der Gemeinde des neuen Testaments. Und zwar zunächst als ein Mahl des Gedächtnisses an seinen Tod. Warum aber soll das Gedächtniß an Christum vor Allem sein ein Gedächtniß an seinen Tod? Er antwortet: mein Blut ist das Blut des neuen Bundes. Wie kann aber Christi Blut zu Stande bringen den neuen Bund? Er spricht: es ist für Viele vergossen zur Vergebung der Sünden. Also durch Vergebung der Sünden kommt es zu einem neuen Bund, die Vergebung der Sünden aber wird bewirkt durch die Vergießung von Christi Blut. - An demselben Abend betet Christus jenes Gebet Joh. 17 welches man das priesterliche zu nennen pflegt. Ich will hier beifügen daß auch de Wette dieses Gebet das Erhabenste nennt was die evangelische Ueberlieferung aufbewahrt habe, den reinen Abdruck von Jesu hohem Gottesbewußtsein und Gottesfrieden, nachdem er zuvor von einer Reihe anderer im Evangelium Johannis erzählter Reden des Herrn bemerkt hat, sie strahlen in einem mehr als irdischen Feuer, daher es undenkbar sei daß der Evangelist sie aus sich selber hervorgebracht hätte. In diesem Gebete nun spricht der Herr im Blick auf seinen Tod: „ich heilige mich selbst für sie auf daß auch sie geheiliget seien in Wahrheit“; und dieses vielumfassende Wort schließt nach der Opfersprache des alten Testaments insbesondere den Sinn in sich: ich weihe mich für sie zum Opfer an dich, das ist der Weg dazu daß auch Christi Jünger heilige Menschen werden können. - Auch das letzte Wort Christi über seinen Tod welches ich anführen will, gehört demselben Abend an. Im Begriffe mit seinen Jüngern zum Oelberg aufzubrechen, sagt er, nun müsse auch das noch an ihm erfüllt werden was geschrieben stehe: er ist unter die Uebelthäter gerechnet, denn was von ihm geschrieben stehe das müsse seine Erfüllung haben. Christus bezieht sich hier auf jene ewig denkwürdige Weissagung in Jes. 53 von dem Knechte Gottes, welcher wie ein Wurzelschoß aus dürrem Erdreiche ohne Gestalt und Schöne aufsprießen werde, verachtet, ein Mann der Schläge, von Wunden und Striemen bedeckt, endlich zu den Uebelthätern gerechnet und aus dem Lande der Lebendigen hinweggethan, aber des Volkes Krankheit sei es, die er trage, des Volkes Missethat lasse Jehova auf ihn fallen, und wenn er nun ohne Aufthun seines Mundes wie ein Schaf vor seinem Scheerer Alles erduldet, wenn seine Seele ein Schuldopfer dargebracht, wenn er für die Uebelthäter ins Mittel getreten sei, so werde er, der gerechte Knecht, Vielen zu Gerechtigkeit helfen, weil er ihre Missethat auf sich genommen. Es ist nicht möglich mit noch klareren Worten als diese sind auszusprechen, daß den Sündern durch stellvertretendes Erleiden ihrer Strafe von einem Gerechten Befreiung von ihrer Strafe soll ausgewirkt werden: Christus aber erklärt diese Worte für erfüllt in seinem Tod.

Sie wissen daß wenige Jahre nach Christi Tod Stephanus als Märtyrer seines Glaubens gestorben ist. Wieder nach etlichen Jahren kam das an Jakobus, hernach an Petrus und Paulus, und wer kann sie nun Alle zählen, die herab bis auf die Zeiten des Johann Huß ihr Bekenntniß des Evangeliums mit ihrem Blute besiegelt haben! Die Gegner der christlichen Wahrheit wollen heut zu Tage auch den Tod Jesu selbst zu einem bloßen Märtyrertode machen: die Pharisäer haben Jesum aus Haß gegen sein Wahrheitszeugniß bei Pilatus verklagt, Jesus sei seinem Zeugniß treu geblieben, das habe ihn das Leben gekostet. Nun, das Leben für die Wahrheit lassen ist wahrlich eine große Sache, so groß daß in unserem Zeitalter Wenige sein werden deren Seele dafür groß genug wäre. Jesus aber, m. Fr. , Jesus ist eine solche Größe, daß auf ihn angewandt das was für sonstige Menschen der höchste Ruhm ist, klein, dürftig, armselig wird. Ist Jesus der große Wahrheitszeuge und ist der Umschwung der Weltgeschichte von ihm zu Stande gebracht, so muß doch wer einen Sinn für Geschichte hat vor allen Dingen Jesum selber über die Bedeutung seines Todes fragen, seine Antwort aber geht weit über das Reden von einem Märtyrertod hinaus: mein Leben ist das Lösegeld, spricht er, mein Blut bringt den neuen Bund zu Stand, denn es ist zur Vergebung der Sünden vergossen. Als Versühnungstod bezeichnet Jesus hiemit seinen Tod, denn das Leiden oder die That, wodurch Vergebung der Missethat ausgewirkt wird, nennt man die Sühne der Missethat: durch Sühnung der menschlichen Sünde bewirkt Jesus die Versöhnung der Menschen mit Gott, die Zurückbringung derselben in den Sohnesstand.

Aber wie bewirkt er die Versühnung unserer Sünde in seinem Tod? Um dieß zu erkennen müssen wir zunächst die Hauptgedanken welche in den Aussprüchen des Herrn über sein Sterben enthalten sind in klarer Unterscheidung vor unser Auge stellen. Wenn der Herr sagt daß er in seinem Tode sich für seine Jünger heilige, so bezeichnet er sein Sterben hiemit als eine freiwillige und als eine heilige Weihung seines Lebens an Gott. Und wenn er ausspricht, des Menschensohn sei gekommen sein Leben zu geben als Lösegeld an der Statt von Vielen, so ist auch hiemit die Hingabe seines Lebens als eine durchaus freiwillige That und das Leben welches er hingibt als eine kostbare Gabe dargestellt, denn ein Lösegeld muß etwas Kostbares sein. Das ist der erste Grundgedanke in Christi Aussprüchen über seinen Tod, in freier Liebe gebe er sein heiliges Leben zum Preise Gottes in den Tod. Andererseits sagt Christus daß sein Sterben die Erfüllung jenes Prophetenworts sei, nach welchem der gerechte Knecht stirbt weil Gott die Missethat der Ungerechten auf ihn legt; ihre Gerichtslast geht über auf ihn, diese Last ist es unter der sein Leben zusammenbricht. Das ist der zweite Gesichtspunkt unter welchem der Herr sein Sterben uns betrachten lehrt. Wollen wir nun die Wahrheit selbst und die ganze Wahrheit erkennen, so müssen wir diese beiden Gesichtspunkte in ihrer lebendigen Einheit, in ihrer gegenseitigen Durchdringung erfassen: wer das thut dem fällt eine Reihe von Einwürfen welche man zu erheben pflegt ganz von selbst hinweg. Denn das ist eben bei jeder tieferen Wahrheit die Hauptsache, freilich aber zugleich die schwerste Sache, mit einem lebendigen Blicke die Einheit zu ergreifen, in welche die verschiedenen Momente der Wahrheit zusammengehen und aus welcher sie hervorquellen, so zu sagen das schlagende Herz woraus die Ströme der Wahrheit fließen und worein sie wieder zurückfließen; die oberflächlichen Geister sehen oft genug nicht bei diesem allein sondern bei jedem tieferen Gegenstande nur Widerspruch, wo dem Blicke der in die Tiefe dringt nun erst die rechte Lust des Erkennens beginnt, weil er eben in der Tiefe die Harmonie erkennt.

Ich muß zunächst wieder anknüpfen bei unserer Antwort für den sterbenden Mann welchem sein aufgewachtes Gewissen bezeugt daß es für einen tiefverschuldeten Sünder schrecklich sei in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Wir haben ihm gesagt, daß ihm nun eben werden müsse was seine Thaten werth seien, wenn er aber in demüthiger Beugung im Jenseits das gerechte Gericht seines Gottes trage und sich zu ihm bekehre, so werde nach Erleiden des Gerichtes sein Schöpfer auch ihm wieder das Angesicht leuchten lassen. In der That beginnt aber ja das vergeltende Gericht Gottes nicht erst im Jenseits, schon das dießseitige Leben ist oft so schrecklich zerrüttet und schon im Dießseits lastet auf den Gewissen oft ein so schwerer Druck, ja die Vergeltung Gottes schreitet mit furchtbarem Ernst auch durch den Gang der Menschheit im Ganzen, durch das Völkerleben. Um aber das Vergeltungsgericht Gottes recht zu erkennen, müssen wir nun noch ein doppeltes hinzufügen. Die Männer Gottes im alten und neuen Bund bezeichnen mit völliger Bestimmtheit auch den leiblichen Tod als Sold der Sünde. Nicht als ob abgesehen von der Sünde dieser irdische Leib immerfort die Bekleidung unserer Seele hätte bleiben sollen. Aber die Weise in welcher jetzt unser irdisches Leben endigt, daß es endigt in völliger Entblößung der Seele von der Leiblichkeit also in Entblößung der Seele von ihrer Organisation, dieses Ende unseres irdischen Lebens ist nach der Schrift nicht die ursprüngliche Ordnung des Schöpfers, nach der ursprünglichen Ordnung hätte unsere Seele aus diesem irdischen materiellen Leibe während des Erdenlebens eine höhere und unsterbliche Leiblichkeit sich herausbilden sollen. Der leibliche Tod wie er jetzt ist, mit Paulus zu reden die Entkleidung statt der Ueberkleidung, das ist der Sünde Sold. Was aber ist das Tiefste in dem Gerichte das auf den Sündern liegt, was die eigentliche Wurzel daraus der Tod erwächst? Die Entfremdung des Sünders von der Gemeinschaft des Gottes welcher die einzige Quelle des Lebens ist. Nimmst du einen Baum aus dem Boden heraus, von welchem seinen Wurzeln die Nahrung kommt, so stirbt er, nicht anders ergeht es dem Gewächs deines eigenen Lebens weil du es aus dem Grund alles Lebens, das ist, aus der Gemeinschaft des lebendigen Gottes durch die Sünde entnommen hast. Mit innerer Nothwendigkeit folgt das Gericht des Todes der Sünde auf dem Fuß. Und nun erinnern Sie sich noch einmal daß dieses Gericht, weil bei Gott kein Wechsel, keine Reue ist, nicht zu Ende kommen kann, ehe es zu seinem Ziel, zu seinem Zwecke gekommen ist, sein Zweck aber ist die tatsächliche Erweisung der göttlichen Majestät. Wie keine Krankheit des Leibes verschwindet ehe die innere Ursache der Krankheit gehoben ist, so kann der Todesproceß der am Leben der Menschen nagt nicht verschwinden, ehe die Scheidung der Menschen vom Quelle des Lebens gehoben, ehe der Geist des lebendigen Gottes uns Menschen wieder gegeben ist. Und doch, wie soll der Geist Gottes uns zu Theil werden, ehe das Gericht Gottes in demüthiger Beugung von uns getragen, in heiliger Weise von uns zu Ende getragen ist? So stehen wir wieder auf dem Punkte wo wir vorhin gestanden haben: es ist aus unserer Gerichtsverhaftung kein menschlicher Ausweg zu sehen. Aber wir stehen jetzt in anderer Weise daran denn zuvor, denn wir haben nun Christi Wort gehört. Gottes Gericht das von uns getragen werden soll, ist getragen, denn Christus sagt ja, er sei der Knecht welcher nach dem Prophetenwort die Sünden der Vielen tragend sein Leben als Schuldopfer gibt. Und Gottes Gericht ist heilig getragen, denn der es trug hat sich darunter an Gott geheiliget, er spricht: ich heilige mich selbst für sie. Christus hat nicht blos überhaupt den Tod erlitten welcher der Tod der Sünde ist, er hat ihn erlitten mit dem Bewußtsein daß der Tod der Sold der Sünde ist und mit heiliger Gott preisender Beugung unter die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit: das ist der Grund warum seinem Tode die Kraft inne wohnt unsere Sünde zu sühnen.

Ich will aber noch genauer sagen was unter Christi heiligem Tragen des göttlichen Gerichtes zu verstehen ist. Jesus der Heilige welcher von sich sagen durfte, Niemand erkenne den Vater denn nur der Sohn, Jesus hätte wohl können Freude haben. Er konnte von den Menschen deren ungöttlicher Sinn sein doch nicht begehrte sich zurückziehen und ganz nur in der seligen Betrachtung seines Vaters leben. Wie er ja selbst sagt, dich den allein wahren Gott zu erkennen das ist das ewige Leben. Aber sein Eifer um die Ehre Gottes und seine Liebe zu den Menschen hat das nicht geduldet, er wollte seinen Vater den Menschen offenbaren. Warum hat er sich aber hiebet nicht beschränkt auf die rechten Israeliten, auf einen Nathanael, Petrus, Johannes? Seine Liebe hat diese Schranke nicht geduldet, sie hat ihn zu den Zöllnern und Sündern getrieben. Warum hat sich aber Christus nicht wenigstens von den-Pharisäern ferne gehalten, welche doch schon gegenüber von dem Täufer bewiesen haben daß sie den Rath Gottes verwerfen? Seine Liebe hat durchaus keine Schranke geduldet: des Menschensohn ist gekommen zu suchen was irgend verloren ist. Wer nun in lebendiger Weise erkennt, einerseits die sündlose Reinheit dessen welcher so mit den Unreinen und mit seinen Feinden umgegangen ist, andererseits daß dieser Sündlosreine dennoch ein wahrhaftiger Mensch gewesen ist, nicht ein bloßer Mensch, aber ein wahrer Mensch, in allen Dingen leidensfähig, schmerzensfähig, versuchungsfähig wie wir, der wird auch einsehen, was für eine innere Arbeit der schwersten Selbstverläugnung in dieser Gemeinschaft Jesu mit den Sündern lag und daß also das innere Leiden, das innere sich selbst Absterben lange vor dem leiblichen Sterben bei Jesu begonnen hat. Wird es einem unreinen Menschen in der Gemeinschaft der Reinen eng und bang, wahrlich so mußte umgekehrt dem ganz in Gott lebenden Jesus die Gemeinschaft der Weltmenschen ein tiefes Leiden sein. Gehört nun aber alle Verknechtung der Menschen unter ihre Sünde und gehört alle Verbitterung der menschlichen Gemeinschaft durch den Haß der Menschen zum Gericht Gottes über die Sünde, so sage ich daß Christus in all seinem Umgang mit den Menschen das Gericht Gottes über die menschliche Sünde getragen hat. Christus hat wohl gewußt was für ein inneres Leiden seiner warte wenn er als Prophet in die Mitte der Menschen trete, aber um der Ehre Gottes und um der Liebe zu den Menschen willen hat er alle die Schmerzen hingenommen, welche kraft des göttlichen Gerichtes, seitdem die Sünde in der Welt ist, auf dem Verkehr der Menschen liegen, er hat so zu sagen die Bedingungen angenommen unter welchen allein nach der Ordnung Gottes in Mitten der Sünder ein Heiliger wirken kann, und hiemit hat er thatsächlich als heilig anerkannt die Gerechtigkeit Gottes welche aus der menschlichen Sünde dieses auf dem Verkehr der Menschen liegende Gericht sich entwickeln ließ. Zum Andern: wir haben schon gehört daß Christi Lebenshingabe eine völlig freiwillige war. Wie er auch spricht: Niemand nimmt mein Leben von mir, ich gebe es von mir selbst. Noch im Augenblicke der Gefangennehmung könnte er den Vater bitten so würde ihm dieser die Legionen der Engel senden. Die Menschen welche ihn gefangen nehmen, stürzen zu Boden bei seinem Wort: ich bins. In besonderer Klarheit strahlt diese Freiwilligkeit des Sterbens Christi aus der Geschichte seiner Verklärung auf jenem Berge hervor: der heilige Jesus konnte vom Verklärungsberge sofort und ohne Tod in die überirdische Welt eingehn. Warum nun hat Christus sein Leben in den Tod geben wollen? Damit unter den Millionen von Menschen welche sterben müssen weil sie allzumal Sünder sind, und welche, ehe Christi Geist sich über die Menschen ergossen hat, allzumal ihre Sündigkeit und das auf ihnen liegende Gericht des Todes nicht einmal recht verstanden haben, geschweige daß sie das Gericht in rechter Weise hätten tragen können, damit unter diesen Millionen von Menschen Einer sei welcher den Tod erleidet mit dem vollen Verständniß was es um die Sünde ist, mit dem vollen Verständniß, daß unser Sterbenmüssen ein heiliges Gericht Gottes über die Sünde ist, damit unter ihnen Einer sei welcher den Tod erleidet in heiliger Beugung seiner Seele unter diese Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit. Endlich drittens: die Wurzel des Todes ist wie vorhin gesagt die Scheidung der sündigen Seele von der lebengebenden Gemeinschaft des lebendigen Gottes. Das wird auch einst bei den Verlorenen der bitterste Stachel sein daß sie ihren Gott verloren, mit eigener Hand das Band zwischen Gott und sich für immer zerrissen haben. Denn wer den heiligen Geist lästert, für den ist keine Vergebung mehr und das wird eine furchtbare Einsamkeit sein, wenn es endlich heißt: nun bist und bleibst du geschieden von dem welcher einst dein Schöpfer war und welcher allein die Quelle des Lebens ist. Thatsache ist es daß die Menschen welche ohne Gott sind in der Welt bisweilen schon jetzt ein Schrecken über diese Vereinsamung überkommt, was aber hier begonnen hat das wird im Jenseits vollendet und was sich hier im Verborgenen regt das wird jenseits offenbar. Umgekehrt ist der Christen höchstes Gut schon jetzt das wovon Paulus schreibt: das Zeugniß des Geistes Gottes in ihrem Inneren daß sie Gottes Kinder seien.

Und nun gedenket an Christi Wort: mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen? Nimmermehr freilich war das ein Verlassensein des Sohnes vom Vater wie der Gottlose von dem Gott den er verworfen hat verlassen wird, Christus sagt ja ausdrücklich am Abend vor seinem Tod: ich bin nicht allein, der Vater ist mit mir, und sein Ruf am Kreuze heißt: mein Gott, mein Gott! Aber verstummt ist in ihm und gerade für die Zeit der Dahingabe in seiner Feinde Hand ist in ihm verstummt des Vaters inneres Zeugniß von seiner Gemeinschaft mit ihm, damit er in diesem Schweigen des Vaters das Tiefste in dem Gerichte Gottes über unsere Sünden schmecke, und auch die Verknüpfung dieses Gerichts mit der Sünde durch glaubensvoll demüthiges Tragen als heilige Ordnung des gerechten Richters anerkenne und durch dieses heilige Tragen das Gericht zu seinem Ziele und hiemit zu seinem Ende bringe. Denn darin liegt eben die sühnende Kraft von allem Leiden des Herrn, in diesem heiligen Tragen der Gerichte welche Gott mit der menschlichen Sünde verknüpft hat, nicht in dem Aeußeren des Leidens, in den Wunden, in dem Blute als solchem, sondern in der heiligen Arbeit seines Geistes, daß er freiwillig das Gericht Gottes über die Sünde an sich erlebt, dasselbe hiemit aus Gottes Hand herübernimmt in seine, des Menschensohnes Hand, und es so zu seinem Zwecke, zu seinem Ziele, also zu seinem Ende führt. Das ist Christi Sühnung der menschlichen Sünde, ein tiefes Leiden, aber nicht ein blos äußerliches Erleiden sondern die innerlichste, die gewaltigste, die freieste Geistesthat die je in der Geschichte der Menschheit geschehen ist.

Wer nun das Bisherige mit innerer Sammlung des Geistes in sich bewegt der wird darin die Antwort auf diese zwei Fragen finden, erstlich warum konnte Gottes Vergebung nicht anders zu Stande kommen als auf Grund von Christi Sterben? zweitens in welcher Weise hat Christi Sterben die Vergebung der Sünden zu Stande gebracht? Allein zwei andere Fragen wachsen aus dem bisher Gesagten hervor, auf welche ich die Antwort noch schuldig bin: erstlich wie kann Jesu des einzigen Mannes heiliges Tragen des göttlichen Gerichtes die Sünde von hundert und aber hundert Millionen sühnen? zweitens, wie kann überhaupt der Mensch Jesus vor Gott eintreten für das was andere Menschen verschuldet haben? Und für die Beantwortung dieser Fragen möchte ich um so mehr noch auf einige Augenblicke eure Geduld erbitten, je tiefere Blicke gerade von diesen Punkten aus in die herrliche Weisheit des großen Gottes, in das Geheimniß der Person des Heilandes selbst sich eröffnen.

Wie kann eines einzigen Mannes heiliges Ertragen des göttlichen Gerichts über die Sünde für die Sünde von Millionen versühnend sein? Auf diese Frage lautet die Antwort, wenn ich sie in Einem Worte aussprechen soll, so: vergleichst du die Menschheit mit einem Baume, so ist Christus am Baume der Menschheit welcher tausend und aber tausend Blätter hat, nicht ein Blatt wie die anderen Blätter, oder vergleichst du die Menschheit mit einem Leibe der viele Glieder hat, so ist Christus nicht ein Glied wie die anderen Glieder. An allem Organisch-Lebendigen sind zwar alle Theile für das Ganze bedeutungsvoll, doch aber die verschiedenen Theile nicht von gleicher sondern von verschiedenartiger Wichtigkeit. So schon im Naturgebiet. Am Baume findet sich die Wurzel, der Stamm, eine Vielheit von Aesten, eine Menge von Zweigen, ein ungezählter Reichthum von Blättern: von den Blättern kannst du viele hinwegnehmen und dein Auge bemerkt es kaum, nimmst du aber die Wurzel hinweg, was wird dann aus dem Baum? Von unserem Leibe wollen wir nicht Ein Glied verlieren, doch ist schon mancher Kriegsmann auch nach Verlust mehrerer Glieder getrosten Muthes in die Heimath zurückgekehrt, trifft ihn aber die Kugel ins Herz so ist das Leben dahin. Und wie ist es bei den Organismen, die wir in der Gemeinschaft der Menschen sehen? Die Glieder der Familie sind Vater und Mutter und Kinder, aber den Vater nennen wir das Haupt: der Kinder Schuldigkeit ist daß sie dem Vater folgen auch wenn sie ihn nicht verstehen, der Vater aber soll die Bedürfnisse seiner Gattin und seiner Kinder verstehen, und besser als diese selbst sie verstehen, und nicht blos verstehen sondern auch befriedigen soll er sie. Der Staat gliedert sich in Bürger und Obrigkeiten, da soll denn jeder Bürger dem Staate nützlich sein, aber daß alle Bürger Staatsmänner seien, das hat doch auch in der freiesten Republik noch Niemand gemeint, Staatsmänner nennen wir nur die, welche, was für das vielverzweigte Volksleben je das Beste ist, mit scharfem Auge zu treffen verstehen. So soll auch in der kirchlichen Gemeinde jedes Glied dem Ganzen dienen, Etliche aber werden Seelsorger genannt, sie sind berufen, je einem Kreise von Menschen verschiedenen Geschlechtes, verschiedener Altersstufen, Bildungsstufen, Berufszweige, verschiedener Begabung, verschiedener Geistesart in den Fragen des innersten Lebens beizustehen, und das vermag in rechter Weise nur wer die Erlebnisse so verschiedener Menschen an seine eigenen anzuknüpfen weiß und gewisser Maßen ihr so verschiedenartiges Leben selber durchlebt hat, nur ein Solcher wird Jedem das ihm zurechthelfende Wort zu sagen wissen. Aber wie merkwürdig erweitert sich der Horizont des Verstehens und Wirkens bei den hochbegabten Geistern welche Gott von Zeit zu Zeit unter den Menschen erstehen läßt! Welch reiche Abspieglung des deutschen Lebens hat in dem Geiste jenes Dichters stattgefunden, der uns einerseits den Faust und dann wieder den Götz von Berlichingen gegeben hat! Und derselbe Mann führt uns in seinem Tasso in die italienische Geisteswelt, in der Iphigenie aber erschließt er vor uns die griechische als wäre er selber zum Griechen geworden. In einer anderen Weise der Universalität steht Martin Luther da, alle edelsten Gaben des deutschen Geistes sind in ihm zusammengefaßt und haben sich in ihm dem göttlichen Geiste und Worte zu Dienst gestellt, daher die unvergängliche Macht mit welcher dieser Deutscheste der Deutschen zu dem Herzen seines Volkes spricht. Ich führe dieß Alles an um zu zeigen wie verschiedenartig die Stellung der Menschen im Organismus der Menschheit ist: die Einen leben im engsten Kreis, verstehen sich selber kaum, Andere haben wie in ihr eigenes Leben so in das Leben eines großen Kreises von Menschen einen Blick und können ihnen Allen eine Gabe bringen; das kann uns in etwas vorbereiten um Christi Stellung zu der ganzen Menschheit uns deutlich zu machen. Christus war nach dem Fleische ein Israelite und er blieb dem Gesetze welches Israel zu Israel machte in aller Treue unterthan. Aber der Name mit welchem er sich zu benennen pflegte ist „des Menschensohn“, der Acker auf welchen er seinen Samen streuen will, ist die ganze Welt, alle Völker sollen seine Jünger werden, und von allen seinen Jüngern fordert er daß sie ihn mit aller Kraft ihrer Liebe lieben sollen. Und wie wunderbar ist nun die Macht mit welcher dieser Israelite thatsächlich seit 1800 Jahren aus so vielen Nationen tausend und aber tausend Geister sich unterthan macht! Syrer, Egypter, Griechen, Römer, Germanen, Celten, Slaven haben so gut wie einst seine israelitischen Jünger gerufen: Herr wohin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens! Ja nicht blos du hast Worte des Lebens sondern du, du selber bist das Leben, wer den Sohn Gottes hat der hat das Leben. Denn wo irgend das religiöse Leben der Christen wahrhaft lebendig wird, da wird es zu einer Gemeinschaft mit Christi Person: da heißt es, du bist der Weinstock, wir wollen die Reben sein. Alle diese Menschen haben erkannt daß dieser Jesus, diese Person es ist, durch welche ihr innerer Mensch erwacht, lebendig wird, in dessen Gemeinschaft ihr besseres Selbst zum Sieger wird über das Fleisch, so daß sie zu dem Ziele gelangen können, nach welchem ihr Gewissen sie ringen heißt. Dieses tiefe unzerreißbare Band welches alle diese Geister an Christum, an diese Person anknüpft - und je enger das Band wird, desto freier werden die Geister dadurch - das, meine Freunde, ist die merkwürdigste Thatsache in der Geschichte des menschlichen Geschlechts, das ist das höchste Problem womit sich die Psychologie, die Philosophie des Geistes beschäftigen kann. Die einzige Erklärung dieser Thatsache liegt darin daß dieser der sich des Menschensohn nennt, eben nicht ein bloßer Mensch ist sondern das fleischgewordene ewige Wort durch welches und zu welchem alle Menschenseelen geschaffen sind: doch von der Person Christi will ich hier nicht weiter reden, ich will nur zeigen, wie dieser Eine für die ganze Menschheit priesterlich eintreten kann. Wer als Priester für die Menschen und ihre Sünde vor Gott treten soll der muß den richtigen Blick haben in die Verschuldungen des Volks, er darf sie nicht leichter nehmen als sie vor dem Auge des heiligen Gottes sind: in ihrer ganzen Tiefe, in ihrem vollen Umfange, in ihrer ganzen Verzweigung muß er sie erkennen; ich sage in ihrer Verzweigung, denn wie die Menschheit nicht als eine bloße Menge von Menschen sondern als eine organische Einheit vor dem Auge Gottes steht und deßhalb eine sittliche Gesammtaufgabe von ihrem Schöpfer erhalten hat, so bildet nun auch die Sünde ein Gesammtleben, die Welt liegt im Argen, der Weltgeist ist ein böser Geist geworden. Diesen richtigen Blick in die menschliche Sünde hat kein Mensch je gehabt als Christus allein: nur dieser Eine welcher selbst ohne Sünde war hat mit Wahrheit erkannt, wie finster die Finsterniß der Sünde ist, denn nur wer ganz im Lichte steht weiß in Wahrheit was Finsterniß ist. Und nur dieser Eine, des Menschensohn, vor dessen Tiefblick hell leuchtend gestanden hat der ganze Adel zu welchem der Schöpfer die Menschheit ausgerüstet, der ganze Weg welchen sie durchlaufen hat und das hohe Ziel das sie erreichen sollte, nur Er hat deßhalb auch die ganze Verirrung, Entwürdigung, Zerrüttung unseres Geschlechts durchschaut. Er aber hat sie durchschaut und ihn hat der rechte volle Schmerz durchdrungen über all die Entheiligung des göttlichen Namens welche das ganze Geschlecht dessen Bruder er geworden ist angerichtet hat, und Er hat deßhalb ganz verstanden den heiligen Ernst des göttlichen Richtens, welches mit der Sünde den Tod, den vielgestaltigen Tod verbunden hat. Und indem er nun die heilige Gerechtigkeit des göttlichen Richtens nicht mit Worten allein sondern that sächlich, durch stilles heiliges Tragen des göttlichen Gerichtes anerkannt hat, so ist hiemit das göttliche Richten zu seinem Zweck, also zu seinem Ziel, also zu seinem Ende gekommen - für Wen? für Alle die, welche , im Glauben sein heiliges Erdulden des göttlichen Richtens an sich ziehen, zu ihrem Eigenthum machen.

In diesen letzten Worten ist auch auf die andere Frage die Antwort enthalten, nemlich wie denn überhaupt Christus eintreten könne für andere Menschen oder wie seine Stellvertretung giltig sein soll für mich. Im Glauben, im lebendigen Glauben ziehe ich Christi That an, mache sie mein, das ist in Kurzem die Antwort. Natürlich kommt es aber, um diese Antwort zu würdigen, darauf an daß man versteht was Glauben ist. Wer freilich, wie dieß auch bei den hiesigen Gegnern der christlichen Wahrheit der Fall ist, von dem Grund-Mißverständniß als ob der Glaube nur eben Fürwahrhalten oder Meinen sei, immer und immer sich nicht losmachen kann, dem muß begreiflicher Weise das ganze Christenthum, ganz besonders aber die Wahrheit von der Versühnung schlechtweg unverständlich bleiben. Sind denn aber diese Gegner des Glaubens, welche doch sogar Theologen sein wollen, mit den Schriften der Reformatoren ganz unbekannt, oder wenn sie dieselben kennen, wenn sie nur z. B. Luthers allbekannte Vorrede zum Römerbrief oder Luthers Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen kennen, wie ist es dann möglich eben den kläglichen Begriff vom Glauben mit welchem einst die Römischen der Reformation widerstehen wollten, nunmehr den Evangelischen zuzuschieben? Wissen denn diese Theologen gar Nichts davon, wie eben dieß einer der Grundunterschiede zwischen der römischen und der evangelischen Kirche ist, daß den Römischen der Glaube für ein Fürwahrhalten gilt, während er den Evangelischen eine Sache des Herzens, des Willens, des innersten Personlebens ist? Wie ist es aber mit dem Begriffe des Glaubens im neuen Testament? Wenn unser Herr zu jener Sünderin sagt: deine Sünden sind dir vergeben, dein Glaube hat dir geholfen! so sollen wir das verstehen: dein Fürwahrhalten hat dir geholfen? Wenn Paulus den Galatern schreibt: so lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebet in mir, was ich noch lebe im Fleisch das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben, so sollen wir dieses herrliche Wort so verstümpern: das lebe ich im Fürwahrhalten des Sohnes Gottes? Und solch klägliche Auslegung soll wiederum zu Theil werden dem Wort Pauli an die Philipper: ich achte es Alles für Koth auf daß ich Christum gewinne und in ihm erfunden werde als der ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, die Gerechtigkeit aus Gott für den Glauben zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden? Wahrhaftig man braucht kein Theologe zu sein, man braucht nur einen gesunden Blick zu haben, um aus solchen Aussprüchen sofort zu erkennen: an Christum glauben das heißt Christo vertrauen, Christum anziehen, in Christo sein, in Christo leben; an Christum glauben das heißt kraft innerlichen Erlebens der eigenen Ungerechtigkeit verzichten auf die eigene Tüchtigkeit vor Gott und in göttlichen Dingen, und wiederum kraft innerlichen Ueberwältigtseins von Christi Weisheit, von Christi Heiligkeit, von Christi Geistes-Majestät und kraft innerlichen Erlebens der von Ihm in unser Inneres strömenden Lebenskraft fürderhin auf Christi Wort allein sich stellen und mit ihm, welcher todt war, nun aber lebet in die Ewigkeit der Ewigkeiten, in einer reellen Gemeinschaft des Geistes stehen. Selbstverständlich hält nun der Gläubige Christi Wort für wahr, aber nicht auf Hörensagen hin sondern kraft seines geistigen Erlebnisses, wie wer im Strahl der Sonne wandelt für wahr hält daß die Sonne am Himmel steht, selbst wenn er etwa von Kindesbeinen an blind niemals mit seinen Augen das leuchtende Gestirn gesehen hat. Eben dieses Erleben aber welches die Seele des Glaubens ist und ohne welches das Fürwahrhalten natürlich zu einem todten Meinen wird, also eben die Hauptsache lassen diese Gegner der evangelischen Wahrheit aus ihrer Beschreibung des Glaubens hinweg und das hat doch noch nie für gute Logik gegolten wenn man bei den Begriffsbestimmungen die Hauptsache zur Seite läßt. Wer dagegen weiß was das heißt Christo glauben, im Glauben des Sohnes Gottes leben, in Christo erfunden werden, der weiß hiemit auch, wie das geschehen kann und wie das eine ganz einfache Sache ist daß nun Alles was Christi ist, daß insonderheit Christi heiliges Erleiden des göttlichen Gerichtes über die Sünde das Eigenthum des Menschen wird. Christus hat uns das Vaterunser gegeben, ein Gebet so kurz, so einfach und doch so tadellos vollkommen daß wohl kein Mensch sich anmaßen wird zu sagen, er wäre auch im Stande gewesen dieses Gebet hervorzubringen. Tausende nun sprechen das Vaterunser gedankenlos nach und nennen dieses Nachsprechen ein Beten und zuletzt nimmt man 50 Vaterunser zusammen und nennt das einen Rosenkranz, obwohl jeder Verständige weiß, daß es lauter falsche Rosen und daß Plappern und Beten zwei verschiedene Dinge sind. Ein solches Vaterunser-Sprechen ist natürlich ohne Kraft und Erfolg. Wie geht es aber wenn ein Mensch dessen Seele dürstet nach dem lebendigen Gott das Vaterunser des Herrn Jesu hört und nun von dem heiligen Geiste der im Vaterunser wohnt innerlich ergriffen wird? Vielleicht der Mensch versteht noch lange nicht die ganze Höhe und Tiefe die in diesem Gebete ist, aber mit aller seiner Kraft athmet er den Geist des Vaterunsers ein, daß Christi im Vaterunser wehender Gebetsgeist sich mit seinem Geist vermählt, und wenn nun dieser Mensch also mit diesem Gebet, das doch nicht aus seiner Seele sondern aus Christi Geist entsprungen ist, vor den himmlischen Vater tritt, meinet ihr nicht daß das vor dem Vater im Himmel sei als wäre es dieser betende Mensch selbst aus dessen Geist das Vaterunser entsprungen sei? Ja wahrlich nach allen Rechten der göttlichen Heiligkeit muß es so sein. Hier sehen wir wie Christi Gebetsthat das Eigenthum des Menschen wird. Ganz so ist es mit Christi Leidensthat, durch welche er in heiligem Erleiden des Todes das Gericht Gottes über die menschliche Sünde als ein gerechtes heiliges Gericht anerkannt hat. Wie das Vaterunser nicht unser Gebet ist sondern ein fremdes Gebet, von Christi Gebetsgeist stammend, so ist Christi heiliges Tragen des göttlichen Gerichtes nicht unsere sondern eben Christi That. Und wie man das Vaterunser nachplappern kann und der Unverstand dieses Geplapper etwa ein Beten heißt, so kann man auch von Christi heiliger Versühnungsthat, nachdem man sie durch Hörensagen kennt, plappern und der Unverstand kann sagen daß dieß der Glaube sei. Und wie jenes Vaterunserplappern ein erfolgloses Ding ist, so dieses Gerede von der Versühnung eben nur ein Gerede wobei die Seele des Menschen Jahr aus Jahr ein unversöhnt bleibt. Wie aber hinwiederum der heilige Geist der in Christi Vaterunser weht, die Seele eines Menschen ergreifen kann, daß sie nun all ihre Lust an diesem Gebete hat und seinen Geist einathmet, dem Kranken gleich der die reine Luft der Alpen in sich trinkt, so kann auch der heilige Geist in welchem Christus das gerechte Gericht Gottes über die menschliche Sünde getragen hat, die Seele eines sündigen, verschuldeten Menschen ergreifen welche unter der Last des göttlichen Gerichts gebeugt einhergehen muß. Und wie steht nun ein also ergriffener Mensch zu Christi Leidensthat? Christi Sterben erfüllt ihn mit durchdringendem Schmerz, denn er spricht: durch die Sünde der Welt und durch die meinige ist dieses Gericht des Todes in die Welt gekommen, in welches der heilige Christus eingegangen ist; aber die Heiligkeit des Sterbens Christi erfüllt ihn zugleich mit durchdringender Freude, er lobpreist den Menschensohn der das Gericht über die Sünde heilig getragen, die Gerechtigkeit Gottes hiemit anerkannt, ihr Walten an sich erduldet und also vollbracht hat was alle Welt nicht konnte, das Gericht auserduldet, ausgetragen, die Gerechtigkeit Gottes verherrlicht, so daß das Gericht zu Ende kommen kann weil es zu seinem Zwecke gekommen ist. Ein solcher Mensch spricht: was Christus that, mußte ich thun, aber ich konnte ja nicht. Sein Sinn ist unverrückt: wie danke ich dir daß du es gethan! Sein eigenes Wesen erkennt er als ein Gewebe voll Nichtigkeit, Christi heilige Leidensthat ist es allein zu welcher er Ja spricht, welche ihn freut, welche er dadurch für das allein Gute erklärt, daß er hinfort nicht mehr sich sondern dem lebt, der diese That gethan. Wahrlich das ist eine andere Stellung zu Christi Tod als das todte Fürwahrhalten, wofür der Unverstand den Glauben erklären will, das ist ein lebendiges Anziehen von Christi Sühnungsthat, das ist ein Sterben mit Christo um in ihm lebendig zu werden. Und wer die Sühnungsthat Christi also an sich zieht, dem muß sie nach den Rechten der göttlichen Heiligkeit zu eigen werden, denn dem Menschen der also in Christi Leiden das Gericht über sich erkennt, anerkennt, lobpreist, diesem Menschen nicht zu vergeben, das hieße ja das Gericht nicht zu Ende kommen lassen, nachdem es doch zu seinem Zwecke, also zu seinem Ziele gekommen ist. So haben die Apostel an Christi Tod geglaubt und die Geschichte lehrt was für freudige große Werke sie in dieses Glaubens Kraft gethan, so glaubt die Gemeinde der lebendigen Christen heute noch an Christi Tod und wird davon freudig und stark wie es die Apostel geworden sind. Denn, meine Freunde, die Thorheit des Kreuzes Christi ist eben weiser als die Menschen sind, und was der große Dichter von den Schöpfungswerken Gottes sagt, vom Brausen der Stürme, vom Leuchten der Blitze, vom Wogen des Meeres, vom Umschwung der Erde, vom Heldengang der Sonne, „die unbegreiflich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tage“, das gilt auch von Christi Werken allen und das gilt von Christi Versühnungswerk heute und morgen und in Ewigkeit, „die unbegreiflich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tag. “