(1) Ein Psalmlied, vorzusingen. Jauchzt Gott, alle Lande; (2) Lobsingt zu Ehren seinem Namen; rühmt ihn herrlich. (3) Sprecht zu Gott: Wie wunderlich sind deine Werke! Es wird deinen Feinden fehlen vor deiner großen Macht. (4) Alles Land bete dich an, und lobsinge dir, lobsinge deinem Namen, Sela. (5) Kommt her, und seht an die Werke Gottes, der so wunderlich ist mit seinem Tun unter den Menschenkindern. (6) Er verwandelt das Meer ins Trockne, dass man zu Fuß über das Wasser geht; des freuen wir uns in ihm. (7) Er herrscht mit seiner Gewalt ewig, seine Augen schauen auf die Völker. Die Abtrünnigen werden sich nicht erhöhen können, Sela. (8) Lobt, ihr Völker, unsern Gott; lasst seinen Ruhm weit erschallen, (9) Der unsere Seelen im Leben behält, und lässt unsere Füße nicht gleiten. (10) Denn, Gott, du hast uns versucht und geläutert, wie das Silber geläutert wird; (11) Du hast uns lassen in den Turm werfen; du hast auf unsere Lenden eine Last gelegt; (12) Du hast Menschen lassen über unser Haupt fahren; wir sind in Feuer und Wasser gekommen; aber du hast uns ausgeführt und erquickt. (13) Darum will ich mit Brandopfern gehen in dein Haus, und dir meine Gelübde bezahlen; (14) Wie ich meine Lippen habe aufgetan, und mein Mund geredet hat in meiner Not. (15) Ich will dir feiste Brandopfer tun von gebrannten Widdern; ich will opfern Rinder mit Böcken, Sela. (16) Kommt her, hört zu alle, die ihr Gott fürchtet; ich will erzählen, was er an meiner Seele getan hat. (17) Zu ihm rief ich mit meinem Munde, und pries ihn mit meiner Zunge. (18) Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der Herr nicht hören. (19) Darum erhört mich Gott, und merkt auf mein Flehen. (20) Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.
Wohl dem Volk, des der Herr sein Gott ist! So haben wir schon früher im 33. Psalm vernommen, und der Dank- und Freudenpsalm, den wir soeben gehört, ist nichts anderes als ein Lied über den Text: Wohl dem Volk, des der Herr sein Gott ist. Es wird diesmal nicht David als Verfasser genannt. Etliche Ausleger meinen, es sei ein Freudenpsalm des Volkes nach der frohen Rückkehr aus der Gefangenschaft zu Babel. Weil aber Israel dort für seine Sünden büßte und also nicht hätte mit Recht sagen können, was wir V. 18 lesen: „Wo ich Unrechtes getan hätte in meinem Herzen, so hätte der Herr mich nicht erhört,“ deshalb schreiben andere Ausleger diesen Psalm dem frommen König Hiskia zu, nachdem Gott ihn und sein Volk aus der Hand des gewaltigen Assyrerkönigs Sanherib errettet hatte, der Jerusalem mit einem furchtbaren Heer belagert hielt. Damals lag Hiskia mit heißem Flehen im Tempel vor Gott, und Gott hörte sein Flehen und sandte seinen Würgengel, eine schreckliche Seuche, in Sanheribs Lager. Und der Würgengel schlug in einer Nacht 185.000 Mann, Sanherib floh mit Wehgeheul, Hiskia mit seinem Volke sang Freudenpsalmen. Zu diesen Freudenpsalmen gehört der 46ste und gehört vielleicht auch unser 66ster. Wie dem aber auch sei, ob ihn David zuerst gesungen nach irgend einem Sieg, oder Hiskia nach Sanheribs Fall, oder das Volk Israel nach der Rückkehr von den Wassern zu Babel - es ist ein Psalm nicht nur für David oder Hiskia oder Israel, sondern ein Psalm auch für unsere Zeit, für unser Volk, für unser Haus, für unser Herz, und wir alle wollen draus die Lehre ziehen:
Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist.
Dieser Gedanke wird in verschiedenen Absätzen durchgeführt. Wie ein prächtiger Wasserfall von Absatz zu Absatz, von Fels zu Fels in immer neuem Schwung stufenweise herunterbraust, so braust unser Psalm in seinen Absätzen daher; und wie auf dem brausenden, donnernden, wallenden und stäubenden Wasserfall die Sonnenstrahlen einen Regenbogen malen, der unverrückt über den beweglichen Wassern schwebt, so schwebt über jedem Abschnitt, über jedem Vers, fast über jedem Wort dieses triumphierenden Freudenpsalms die Herrlichkeit Gottes, der ein König ist aller Völker, ein König insbesondere seines Volks, so spiegelt unverrückt durch den ganzen Psalm sich der Gedanke:
Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist.
Alle Völker müssen vor seiner Macht sich beugen. Das ist der erste Gedanke, der ausgesprochen wird V. 1-4. V. 1. 2: „Jauchzt Gott, alle Lande; lobsingt zu Ehren seinem Namen; rühmt ihn herrlich.“ Das ist ein majestätischer Eingang unseres Psalms, gleichsam eine prächtige Ouvertüre wie mit Pauken und Posaunen. Nicht mit schüchternen Klagetönen, wie sonst so oft, sondern gleich im vollen Triumphton beginnt diesmal der heilige Sänger. „Jauchzt Gott, alle Lande; lobsingt zu Ehren seinem Namen!“ Das war eine kühne Forderung damals, als noch ringsum alle Völker vor den toten Götzen knieten, als nur ein einziges verachtetes Volk zwischen dem Libanon und dem toten Meer vom lebendigen Gott wusste, nur aus einem Tempel auf der ganzen Erde, von der Zionshöhe zu Jerusalem Lobopfer und Lobpsalmen gen Himmel stiegen dem Schöpfer Himmels und der Erden. Und doch unser Psalmist hat nicht zu viel gefordert, ist nicht zu Schanden geworden mit seiner Aufforderung an alle Lande! Denn nun nach zwei- oder dreitausend Jahren, siehe nun jauchzen ja Gott fast schon alle Lande, nun kennt man und nennt man in allen fünf Weltteilen den Jehovah, von dem damals noch niemand wusste und wissen wollte außer den Grenzen Israels. Und wenn auch heute noch nicht alle dem lebendigen Gott die Ehre geben wollen, wenn auch heute noch viele Völker in Finsternis und Todesschatten sitzen, wollten wir's nicht dennoch dem Psalmisten nachsprechen: „Jauchzt Gott, alle Lande,“ und hoffen: Auch sie werden noch seine Werke erkennen und seiner Macht sich beugen? Und wenn es seit dreitausend Jahren, seit Sanherib und Pharao so oft sich erfüllt hat, was im 3. Vers steht: „Es wird deinen Feinden fehlen,“ d. h. sie werden zu Schanden werden vor deiner großen Macht, sollten wir nicht hoffen, der allmächtige Gott sei Manns genug, um auch mit dem Rest seiner Widersacher vollends fertig zu werden; sollten wir nicht zuversichtlich glauben, es werde noch erfüllt werden, wenn auch erst über unsern Gräbern, wenn auch vielleicht in Jahrhunderten oder Jahrtausenden, was V. 4 gesagt ist: „Alles Land bete dich an und lobsinge dir, lobsinge deinem Namen, Sela.“ Ja durch das Evangelium Jesu Christi wird einst noch der lebendige Gott bekannt werden aller Welt; um sein Friedenspanier werden noch alle Völker sich sammeln; vor seinem Kreuz werden einst auch die Nationen niedersinken, die jetzt noch trotzig es verlachen, oder im Sumpf tierischer Versunkenheit nichts davon wissen.
Alle Knie sollen ihm sich beugen und alle Zungen bekennen, dass Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters.
Eine Herde und ein Hirt!
Wie wird dann dir sein, o Erde,
Wann sein Tag erscheinen wird?
Freue dich, du kleine Herde;
Mach dich auf und werde Licht;
Jesus hält, was er verspricht!
Alle Völker müssen vor seiner Majestät sich beugen. Das ist der erste Gedanke unseres Psalms.
Aber sein Volk vor allen andern darf seine Wunderhilfe erfahren. Das ist der zweite Gedanke, V. 5-9.
V. 5: „Kommt her und seht an die Werke Gottes, der so wunderlich ist mit seinem Tun unter den Menschenkindern!“ So ruft der Psalmist mit frohem Stolz aus und lädt alle Welt ein, zu schauen, was Gott an seinem Volk von altersher getan. Und in Wahrheit, wer Gottes wunderbares Walten unter den Menschenkindern kennen lernen will, seine Allmacht, seine Heiligkeit, seine Gerechtigkeit, seine Güte und Treue, der komme an den Jordan, der schlage sein altes Testament auf, der sehe, was Gott an diesem Volk, an seinem Volk getan von Abrahams Berufung bis zur Zerstörung Jerusalems. Wie wunderbar hat Gott dieses Volk geführt!
V. 6: „Er verwandelt das Meer ins Trockene, dass man zu Fuß über das Wasser geht; des freuen wir uns in ihm.“ Da blickt der Psalmist zurück in die graue Vorzeit, in die alten Tage, als der Herr unter Moses sein Volk trockenen Fußes durchs rote Meer ausführte aus Ägypten, als er unter Josua trockenen Weges durch den Jordan es einführte ins gelobte Land. Wie herrlich hat er es erhöht über alle seine Feinde:
V. 7: „Er herrscht mit seiner Gewalt ewig, seine Augen schauen auf die Völker. Die Abtrünnigen werden sich nicht erhöhen können!“ Wie manchen Abtrünnigen, wie manchen stolzen Feind Israels hat Gott niedergeworfen zu den Füßen seines Volkes von Pharao bis Sanherib, von Goliath zu Davids Zeit bis auf Antiochus in den Tagen der Makkabäer! Wie oft haben selbst die Feinde dieses Volkes am Ende beschämt einstimmen müssen in das Lob seines Gottes, wie es weiter heißt:
V. 8. 9: „Lobt, ihr Völker, unsern Gott; lasst seinen Ruhm weit erschallen, der unsere Seelen im Leben behält und lässt unsere Füße nicht gleiten.“ Auch fremde Völker müssen den Gott Israels loben und seinen Namen verherrlichen. Wie stolz haben einst die feinen Griechen herabgesehen auf das armselige Volk der Juden - und doch ist die griechische Sprache die Sprache des neuen Testaments, die Trägerin des christlichen Glaubens geworden! Wie hochmütig hat einst zur Zeit des Kaisers Augustus noch das weltherrschende Volk der Römer herabgesehen auf das kleine Judenvolk und doch nach einigen Jahrhunderten hat sich das ganze römische Reich gebeugt vor einem Juden, vor Jesus von Nazareth! Wie tief war unser deutsches Volk damals noch versteckt im Dickicht seiner Wälder, als dieser Psalm zuerst gesungen ward - und doch auch unser Volk beugt sich nun vor dem Gott Israels, gehorsam dem Gebot: „Lobt, ihr Völker, unsern Gott; lasst seinen Ruhm erschallen.“
Ja, wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist. Sein Volk vor allem darf seine Wunderhilfe erfahren. Und wenn du das liest in den alten Geschichten, liebe Seele, o so beneide jenes alte Israel nicht, das der Herr einst durchs rote Meer geführt, sondern freue dich: Auch heute hat der Herr noch sein Volk, auch heute tut er noch Wunder an seinen Gläubigen, auch heute noch führt er die, so auf ihn trauen, unversehrt und wohlbehalten durch die Wasser der Trübsal, und auch wir alle, die wir hier beisammen sind, wenn wir zurückblicken auf die Führungen unseres Gottes, haben alle Ursache, dem zu danken, „der unsere Seelen im Leben behält und lässt unsere Füße nicht gleiten,“ und alle Ursache zu bekennen:
Mich hast du auf Adlersflügeln oft getragen väterlich.
In den Tälern, auf den Hügeln wunderbar errettet mich,
Schien mir alles zu zerrinnen, ward ich deiner Hilfe innen:
Tausend, tausendmal sei dir, großer König, Dank dafür! Sein Volk darf seine Wunderhilfe erfahren. Aber:
Auch sein Volk läutert er im Schmelztiegel der Trübsal, wie der Psalmist rühmt V. 10-12.
V. 10: „Denn, Gott, du hast uns versucht und geläutert, wie das Silber geläutert wird.“ V. 11: „Du hast uns lassen in den Turm werfen; du hast auf unsere Lenden eine Last gelegt.“ V. 12: „Du hast Menschen lassen über unser Haupt fahren; wir sind in Feuer und Wasser gekommen; aber du hast uns ausgeführt und erquickt.“ Ja durch manche Wassertraufe und Feuertaufe hat einst der Herr sein Volk geführt, um sich aus diesem halsstarrigen und verkehrten Geschlecht solche Leute zu ziehen, die in seinen Geboten wandeln und seine Rechte halten und danach tun. Wie Silber hat er sie geläutert in den 40 Wanderjahren in der Wüste, damit ein anderes, ein besseres Volk einziehe im gelobten Land, als das auszog aus Ägypten. Wie Silber hat er sie geläutert in den 70 Knechtschaftsjahren zu Babel, damit ein anderes, ein frömmeres, demütigeres, eingezogeneres Volk Jerusalems Mauern wieder baue und bewohne, als das man einst weggeführt hatte. Wie Silber hat er sie geläutert in den 2000 Jahren des alten Bundes, damit ein besseres, ein reineres, ein geistlicheres Volk im neuen Bund ihm dastehe, als einst zur Zeit der Schatten und Vorbilder. Und wenn er auch sein Volk des neuen Bundes noch durch Wassertraufen und Feuertaufen gehen lässt, wenn er auch uns noch oft, dich und mich wochenlang in den Kerker führt und eine Last auf unsere Lenden legt wollen wir dann klagen und zagen, kleingläubig oder ungläubig werden? Nein, dann wollen wir dennoch sagen: Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist; wohl ihm, dass es so einen heiligen Zuchtmeister, so einen weisen und geduldigen Schmelzer hat, der allezeit noch die Seinen versucht und läutert, wie das Silber geläutert wird; dann wollen wir ihm stille halten im Feuer der Trübsal und wollen ihm danken, wenn er uns wieder ausführt und erquickt.
Das Silber, durchs Feu'r siebenmal bewährt, wird lauter funden,
An Gottes Volk man warten soll desgleichen alle Stunden,
Es will durchs Kreuz bewährt sein,
Da wird sein Kraft erkannt und Schein,
Und leuchtet stark in die Lande.
Wer aber seines Gottes Hilfe erfahren hat, der soll ihn fröhlich loben. Das ist der vierte Hauptgedanke.
V. 13-15: „Darum will ich mit Brandopfern gehen in dein Haus und dir meine Gelübde bezahlen; wie ich meine Lippen habe aufgetan und mein Mund geredet hat in meiner Not. Ich will dir feiste Brandopfer tun von gebrannten Widdern; ich will opfern Rinder mit Böcken, Sela.“ Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde. Das hat allezeit gegolten in Gottes Volk. Ein Brandopfer hat Noah angezündet auf Ararat, als er errettet war aus den Wassern der Sündflut. Ein Danklied hat Israel angestimmt, als es heraufstieg aus der Tiefe des roten Meers. Freudenpsalmen hat David gesungen, wenn er siegreich heimkam auf seine Zionsburg. Ein Siegeslied hat Hiskia angestimmt, als Gott ihm half aus Sanheribs Hand. Und du Volk des neuen Bundes, was willst du für Opferfeuer anzünden und für Brandopfer darbringen deinem Helfer und Erretter? Dein Opferfeuer, das sei das Feuer einer heiligen Liebe zum Herrn; dein Brandopfer, das sei nicht ein Widder oder ein Rind, das sei ein Besseres, du selbst, dein eigen Herz! Das sind die Opfer des neuen Bundes, die Gott wohlgefallen; das seien auch unsere Opfer, die wir ihm darbringen, so oft wir seine Güte und Treue wieder inne werden, die wir auch heute aufs neue ihm bringen:
Hier ist mein Herz! mein Gott, ich geb es dir,
Dir, der es gnädig schuf.
„Nimm es der Welt, mein Kind, und gib es mir!“
Dies ist an mich dein Ruf;
Hier ist das Opfer meiner Liebe,
Ich weih es dir aus treuem Triebe;
Hier ist mein Herz!
Wer seine Hilfe erfahren hat, der soll ihn fröhlich loben. Und:
Wer seine Hilfe erfahren will, der soll ihm treulich dienen. Das ist der letzte Hauptgedanke unseres Psalms.
V. 16-20: „Kommt her, hört zu alle, die ihr Gott fürchtet; ich will erzählen, was er an meiner Seele getan hat. zu ihm rief ich mit meinem Munde und pries ihn mit meiner Zunge. Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der Herr nicht hören. Darum erhört mich Gott und merkt auf mein Flehen. Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“ Wollt ihr wissen, ruft der Psalmist, warum mir Gott geholfen? Zu ihm rief ich mit meinem Munde, V. 17; ihm diente ich mit Herz und Wandel, V. 18; darum erhörte er mich und erhört mich noch, V. 19. Und ihr, Geliebte, wollt ihr auch seine Hilfe erfahren und seine Treue genießen, dient ihm treulich mit Herzen, Mund und Händen. Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist. Lasst ihn euern Gott sein; werdet sein Volk. Dann werdet ihr's erfahren wie einst sein altes Volk und in Ewigkeit rühmen:
Der Herr ist nun und nimmer nicht von seinem Volk geschieden,
Er bleibt ihre Zuversicht, ihr Segen, Heil und Frieden;
Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her:
Gebt unserm Gott die Ehre! Amen.