(1) Eine Unterweisung Davids, vorzusingen auf Saitenspielen; (2) Da die von Siph kamen, und sprachen zu Saul: David hat sich bei uns verborgen. (3) Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, und schaffe mir Recht durch deine Gewalt. (4) Gott, erhöre mein Gebet, vernimm die Rede meines Mundes. (5) Denn Stolze sehen sich wider mich, und Trotzige stehen mir nach meiner Seele, und haben Gott nicht vor Augen, Sela. (6) Siehe, Gott steht mir bei, der Herr erhält meine Seele. (7) Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen. Zerstöre sie durch deine Treue. (8) So will ich dir ein Freudenopfer tun, und deinem Namen, Herr, danken, dass er so tröstlich ist. (9) Denn du errettest mich aus aller meiner Not, dass mein Auge an meinen Feinden Lust sieht.
„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ Dieser Goldspruch Assaphs, den wir vor etlichen Wochen im 50. Psalm V. 15 gefunden haben, hat sich als echtes, gediegenes Gold bewährt schon in viel tausend Proben, und in keinem Menschenleben vielleicht öfter als im Leben Davids, des großen Dulders und des großen Beters und des großen Helden, des vielgeprüften und hochbegnadigten Gottesknechts. Soviel Jahre, soviel Nöte; soviel Nöte, soviel Gebete; und soviel Gebete, soviel Erhörungen! möchte man fast sagen beim Blick in Davids Leben und Davids Psalter hinein.
Auch in unserem 54. Psalm finden wir wieder dieses Kleeblatt beisammen: die Not, das Gebet, die Erhörung.
Die Not, in welcher dieser Bittpsalm gesungen ist, wird uns angedeutet V. 2 und deutlicher erzählt 1. Sam. 26.
V. 2: „Da die von Siph kamen und sprachen zu Saul: David hat sich bei uns verborgen.“ David hatte sich in den Jahren seiner Trübsal einmal in die Wüste Siph, ein ödes Heideland im Stamme Juda, geflüchtet und meinte hier hinter den natürlichen Mauern der Felsen und hinter den tiefen Gräben unzugänglicher Schluchten sicher zu sein vor den Nachstellungen seines Verfolgers. Auch hatte er dort bei den Adlern und Gämsen eine Zeit lang Ruhe. Ja selbst ein süßer Trost und eine holde Herzensfreude ward ihm daselbst zu Teil, ein Besuch seines Freundes Jonathan, den er da zum letzten Mal sah in dieser Welt. Da machte sich Jonathan auf, der Sohn Sauls, lesen wir, und ging hin zu David in die Heide und stärkte seine Hand in Gott; tröstete ihn im Ausblick auf Gott. Und sprach zu ihm: Fürchte dich nicht; meines Vaters Hand wird dich nicht finden, und du wirst König werden in Israel, so will ich der nächste um dich sein - wie schön und rührend: will dir deinen Thron nicht beneiden, für den ich eigentlich geboren bin, sondern will mich begnügen, dein Freund zu sein; auch weiß solches mein Vater wohl, weiß wohl, dass dir die Krone bestimmt ist. „Und sie machten beide einen Bund miteinander vor dem Herrn;“ so erzählt uns das erste Buch Samuels in seiner einfachen Chronikensprache, und doch so rührend und lieblich. Dieser Besuch seines Herzensfreundes, wie wohl mochte er dem verfolgten David tun in der wüsten Einöde; das war wie ein Alpenröslein, das er auf der öden Heide fand, oder wie ein lebendes Brünnlein, das ihm aus den wilden Felsklippen floss.
Aber es war eine kurze Freude; es war das letzte Mal, dass die beiden Freunde sich in diesem Leben sahen. Nachdem die Freundschaft ihn getröstet, scheucht der Verrat ihn wieder auf; nachdem Jonathan von ihm Abschied genommen, traten die Siphiter, die Bewohner der Stadt Siph, zu Saul und verrieten, dass David in ihrer Heide sei, und abermals musste er fliehen. Wie ihm damals zu Mute gewesen, als er da wieder floh in die Wüste Maon gleich einem gehetzten Edelhirsch, der schon im tiefsten Waldgebüsch den Verfolgern entronnen schien und auf einmal wieder aufgejagt wird von den bellenden Hunden und das Jagdhorn hinter sich hört und noch einmal sich davonrafft mit letzter Kraft; wie er in dieser Not zu Gott geschrien, aber auch der Erhörung Gottes gewiss ward und ihn dankbar gepriesen hat, das hat er nachher ausgedrückt in diesem Psalm, dem wir geradezu die Aufschrift geben können:
Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.
Das tut David. V. 3: „Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, und schaffe mir Recht durch deine Gewalt.“ Ein kurzer Notruf, aber ein kräftiger, davon ein alter Ausleger sagt: Nimm hier, andächtiger Leser, ein schönes Formular eines Kerngebets. Die wahre Andacht macht nicht viel Worte, darum muss man dem betenden David nicht sowohl auf den Mund als auf den Geist sehen; dieser bricht hier mit ganzem Ernst aus, je größer die Not war. Und auf was beruft sich David bei diesem Notschrei? Er hält sich erstens an Gottes Namen und zweitens an Gottes Gewalt. Hilf mir, Gott, durch deinen Namen. Durch deinen Namen und um deines Namens willen, nicht um des meinigen willen. Nicht weil ich David bin, nicht weil ich dein Gesalbter heiße ach mit dem allem wäre ich deiner Gnade noch nicht würdig und deiner Hilfe nicht wert; aber um deines Namens willen, weil du Gott heißt, der Herr, der Erlöser, der allmächtige und getreue Gott, um deiner Ehre willen hilf mir und lass mich nicht zu Schanden werden. Mach's auch so, Seele, wenn du dir recht arm und unwürdig vor Gott vorkommst, nicht wert seiner Gnade und Erbarmung, dann ruf ihn an: Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, um deines Vaternamens, um deines Heilandnamens, um deines Jesusnamens willen hilf mir; dein ist die Sache, dein ist die Ehre, fürwahr du wirst ja dich selbst nicht verleugnen, wenn du auch mich wohl könntest und wolltest und dürftest verleugnen.
Und schaffe mir Recht durch deine Gewalt. Siehe da den zweiten kühnen Griff Davids: er hält sich an Gottes Gewalt, an die Gewalt des Allmächtigen, dem kein Ding unmöglich ist. Als wollte er sagen: Mit Menschenhilfe ist's aus für mich. Mein treuer Jonathan hat mir den Abschiedskuss gegeben und kann nichts mehr für mich tun. Die Leute von Siph haben kein Erbarmen mit einem verfolgten Mann, der da meinte, bei ihnen sich bergen zu können; sie sind zu Verrätern an mir worden. Mein eigener Arm und das Häuflein meiner Getreuen kann mich nicht schützen gegen die Übermacht des Tyrannen; aber einer ists, der ist noch mächtiger als David und Jonathan und die Verräter von Siph und Saul, der Tyrann; das bist du, allmächtiger Gott. Darum schaffe mir recht durch deine Gewalt. Mach's auch so, Seele; wenn's aus ist mit Menschenrat und Menschenhilfe, dann denke dran, dass einer im Himmel ist, von dem es heißt:
Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dir's nicht;
Dein Tun ist lauter Segen, Dein Gang ist lauter Licht;
Dein Werk kann niemand hindern, dein' Arbeit darf nicht ruhn
Wann du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willt tun.
V. 4: „Gott, erhöre mein Gebet, vernimm die Rede meines Mundes.“ So ruft David nochmals zum Himmel empor, erfleht sich Gehör bei dem obersten Regenten, der ja ein Ohr hat für alle und ein Herz für alle und ein Amen für alle, dem klagt er nun seine Not:
V. 5: „Denn Stolze setzen sich wider mich und Trotzige stehen mir nach meiner Seele und haben Gott nicht vor Augen.“ Diese Stolzen und Trotzigen, das sind die mächtigen und unbarmherzigen Feinde, die sich wider David verschworen und verbanden, der finstere Saul mit seinem verhärteten Herzen, die rohen Siphiter mit ihrer Verräterei. Und warum stehen sie ihm nach der Seele? warum hetzen sie ihn wie ein armes Wild von einer Zuflucht in die andere? Sie haben Gott nicht vor Augen, sagt David und damit deutet er auf die Wurzel ihrer Sünde und aller Sünde. Hätte König Saul Gott vor Augen gehabt, so hätte er sich nicht vergriffen an David, seinem Gesalbten. Und hätten die Leute zu Siph Gott mehr gefürchtet als den Tyrannen Saul, so wären sie eingedenk gewesen des göttlichen Gebots: Ihr sollt die Fremdlinge lieben, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland; hätten Gastfreiheit geübt an dem geächteten David, statt ihn zu verraten aus Menschenfurcht und Menschengefälligkeit.
Und haben Gott nicht vor Augen. Ja, wo man Gott aus den Augen setzt, den heiligen Gesetzgeber, den allwissenden Zeugen, den gerechten Richter bei all unserem Tun und Lassen, da lässt man auch den Lüsten und Leidenschaften Zaum und Zügel schießen wie Saul, da ist man auch zu jeder Schandtat fähig wie die Leute von Siph. Willst du demnach dein Herz bewahren, dass es nicht verderbe, und deine Füße, dass sie nicht gleiten, o so denk nur immer dran: Gottes Auge sieht hernieder zu mir; denke, wo du gehst und stehst, sitzt oder liegst, da stehe er vor dir und rufe dir zu: Wandle vor Gott und sei fromm.
Rufe mich an in der Not! Das hat David getan, und nun darf er's auch inne werden:
Diese Verheißung klingt auch dem verfolgten und geängsteten David tröstend durch die Seele, und mitten in der Drangsal sieht er schon mit dem Auge des Glaubens Rettung für sich und Untergang für seine Feinde. Rettung für sich:
V. 6: „Siehe, Gott steht mir bei, der Herr erhält meine Seele.“ Er lässt seinen Gesalbten nicht zu Schanden werden; wie er durch so manches Gedränge schon durchgeholfen, so hilft er auch durch dies noch durch. Diese Gewissheit zuckte freudig wie ein Sonnenstrahl durch Davids geängstete Seele. Und so sieht er triumphierend schon seiner Feinde Untergang:
V. 7: „Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen. Zerstöre sie durch deine Treue.“ Der treue Gott macht zunichte die Treulosigkeit der Verräter; der gerechte Gott lässt den Grimm der Bösen zurückfallen auf ihr eigenes Haupt. Das hat David erlebt nicht erst damals, als sein unversöhnlicher Feind Saul in der Schlacht auf dem Gebirge Gilboa in sein eigenes Schwert fiel, in jenes Schwert, das er so oft gezückt hatte gegen den wehrlosen David. Nein schon damals in jenen Tagen der Verfolgung, nachdem die Siphiten ihn an Saul verraten, hat es David recht wunderbar und herrlich erfahren dürfen: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten. Er floh von Siph abermals vor Saul in die Wüste Maon; auch da war ihm der König auf den Fersen und schon hatte er ihn fast umringt, nur ein Berg noch war zwischen dem Verfolgten und dem Verfolger, unrettbar schien David verloren siehe, da kam ein Eilbote zum König Saul und verkündigte ihm: Die Philister sind eingefallen in dein Land, eile und komm. Und Saul musste umkehren, und David war gerettet, und zum dankbaren Andenken nannte er den Berg, der beide Heere noch getrennt hatte, der die letzte Mauer gewesen zwischen ihm und seinem Feinde, der gleichsam die Wetterscheide geworden war und das drohende Gewitter abgelenkt hatte von Davids Haupt, „Berg des Entrinnens“.
Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten! Haben nicht auch wir, Geliebte, das manchmal schon selig erfahren? Siehst nicht auch du, Seele, wenn du zurückblickst auf deinen bisherigen Lebensweg, manchen Berg des Entrinnens, wo du schon meintest, es sei aus mit dir und dein treuer Gott hat die Not zur rechten Stunde noch gnädig gewendet, und die Wetter, die schon über deinem Haupte drohten, sind abwärts gezogen, als hätte Gott eine Wetterscheide errichtet zwischen dir und ihnen? Ist eines unter uns, der nicht auch hätte auf seinem Lebensweg mit Samuel schon manches Ebenezer, schon manchen Denkstein göttlicher Hilfe können aufrichten und dankbar bekennen: Bis hierher hat der Herr geholfen. O vergesst sie nicht, diese Felsen des Entrinnens und diese Denksteine der Hilfe; haltet euch im Glauben dran, so oft ihr wieder ins Gedränge kommet, und bekennt's dem Herrn zur Ehre:
Mich hast du auf Adlersflügeln oft getragen väterlich;
In den Tälern, auf den Hügeln wunderbar errettet mich;
Schien mir alles zu zerrinnen, ward ich deiner Hilfe innen;
Tausend, tausendmal sei dir, großer König, Dank dafür!
Ja, Dank dafür.
Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten
V. 8. 9: „So will ich dir ein Freudenopfer tun und deinem Namen, Herr, danken, dass er so tröstlich ist. Denn du errettest mich aus aller meiner Not, dass mein Auge an meinen Feinden Lust sieht.“ Vergiss auch du, meine Seele, nicht den Herrn zu preisen, wenn er dich errettet hat; vergiss auch du nicht die Freudenopfer eines heißen Dankes, einer brennenden Liebe, eines feurigen Bekenntnisses, eines neuen Gehorsams. In der Not, Geliebte, sind wir alle schon gewesen; Gott angerufen in der Not haben wir auch wohl schon alle; auch Gelübde in der Not schon dargebracht und auch ganz gewiss schon Gottes Hilfe erfahren viel hundertmal. Aber haben wir dann auch, wenn der Herr geholfen, unsern Dank Gott geopfert und unsere Gelübde dem Höchsten bezahlt? Ach, das hast du oft vergessen, undankbares Menschenherz! Wie die Not vorüber war, so war alles vergessen: die Not und die Gebete in der Not und die Gelübde in der Not und der Helfer in der Not! Ist das recht vor Gott? Wie? wenn er dich in der nächsten Not verließe, weil du ihn so oft verlassen? Nein, denk an seine Forderung: So sollst du mich preisen! Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde; jetzt noch, so lang du kannst; heute noch, weil seine Sonne dir scheint. Bring ihm das Opfer, das ihm das liebste ist: dich selbst mit Leib und Seele, dann wirst du auch in der letzten Not einst seines tröstlichen Namens dich freuen.
V. 9: „Denn du errettest mich aus aller meiner Not, dass mein Auge an meinen Feinden Lust sieht.“ Ja auch am letzten Feind, dem Tod, siehst du dann nichts Schreckliches mehr, denn du verstehst's und erfährst's: Tod, wo ist dein Stachel!
Mein Herz beginnt zu springen
Und kann nicht traurig sein,
Ist voller Freud und Singen,
Sieht lauter Sonnenschein!
Die Sonne, die mir lacht,
Ist mein Herr Jesus Christ,
Das was mich singen machet,
Ist was im Himmel ist!
Amen.