(1) Ein Psalm Davids. Bringt her dem Herrn, ihr Gewaltigen, bringt her dem Herrn Ehre und Stärke. (2) Bringt dem Herrn Ehre seines Namens, betet an den Herrn in heiligem Schmuck. (3) Die Stimme des Herrn geht auf den Wassern; der Gott der Ehren donnert, der Herr auf großen Wassern; (4) Die Stimme des Herrn geht mit Macht; die Stimme des Herrn geht herrlich; (5) Die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern; der Herr zerbricht die Zedern auf Libanon, (6) Und macht sie löcken wie ein Kalb, Libanon und Sirion, wie ein junges Einhorn; (7) Die Stimme des Herrn sprüht wie Feuerflammen; (8) Die Stimme des Herrn erregt die Wüste, die Stimme des Herrn erregt die Wüste Kades; (9) Die Stimme des Herrn erregt die Hinden, und entblößt die Wälder. Und in seinem Tempel wird ihm jedermann Ehre sagen. (10) Der Herr sitzt, eine Sündflut anzurichten. Und der Herr bleibt ein König in Ewigkeit. (11) Der Herr wird seinem Volk Kraft geben; der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden.
Es gibt eine Offenbarung göttlicher Majestät, welche so einfach und deutlich und zugleich so gewaltig und erschütternd für den Sterblichen klingt, dass kein unverdorbener Mensch sein Ohr ganz verschließen kann gegen diese Stimme des lebendigen Gottes, die dem Rohesten verständlich und dem Weisesten ehrwürdig ist. Diese Offenbarung göttlicher Majestät, diese Stimme des lebendigen Gottes es ist der Donner, der in den Wolken hinrollt über den Häuptern der zitternden Menschen. Kein Volk auf Erden, das nicht etwas Göttliches im Gewitter ahnte und fühlte. Die stumpfsinnigsten Heidenvölker, die vom Schöpfer nichts wissen und ahnen - wenn die Schläge des Donners übers Feld hinrollen, dann schlagen sie an ihre Brust und sprechen: Ein Gott hat geredet; oder: Die Götter zürnen. Die alten Griechen und Römer, wenn sie die Majestät ihres höchsten Gottes, Zeus oder Jupiter, schildern wollten, so nannten sie ihn den Donnerer und bildeten ihn ab mit dem Blitzstrahl in der Hand, mit der Donnerwolke zu seinen Füßen. Wenn du einem Kinde, das noch nichts versteht von Gottes Wesen, beim rollenden Gewitter sagst: Horch, das ist Gott, der da droben donnert, so wird ihm ein Schauer heiliger Furcht durch sein Herzlein gehen, es wird die kleinen Hände falten und mit großen Augen ehrfurchtsvoll gen Himmel blicken.
Und wenn du manch leichtfertigen Spötter blass willst sehen und manch großsprecherischen Gottesleugner stumm willst schauen, so sieh ihn nur im Gewitter, wenn das Feuer des Blitzes ihn umleuchtet und der Donnerschlag über seinem Dache schmettert. Es ist etwas Göttliches im Gewitter. Der Gläubige, der Fromme erkennt freilich nicht erst im schmetternden Gewitter die Majestät und Nähe des Schöpfers; auch im sanften Säuseln des Sommerwinds fühlt er von seiner Gegenwart sich umweht, auch im goldenen Glanz der Mittagssonne fühlt er von seiner Güte sich umleuchtet; aber auch dem Gläubigen, dem Frommen ist das Gewitter eine Offenbarung göttlicher Majestät; nicht etwas Schreckliches, wobei er furchtsam die Augen zudrückt und zitternd sich in den Winkel verkriecht, denn er weiß ja, auch im Brüllen des Donners steh ich unter dem Schutze des Allmächtigen, ohne dessen Willen kein Haar von meinem Haupte fällt; aber eine erhabene Predigt ist's ihm von der Herrlichkeit und Majestät des Alleingewaltigen, vor welchem wir Sterbliche Staub und Asche sind.
Diese Predigt klingt mit Donnertönen auch durch unsern 29. Psalm. Wie oft in einer schwülen Sommernacht durchs Rollen des Donners hindurch die Nachtigall ihr schmelzend Lied ertönen lässt und gleichsam mit Flötentönen die Paukenschläge des Donners begleitet, so greift hier David mitten im Gewitter kühn in seine Harfe und preist mit Schauern der Begeisterung Gottes Größe im Gewitter.
Zuerst vernehmen wir:
1) Ein himmlisches Vorspiel, gleichsam über den Wolken. (V. 1-2.) Dann
2) Das furchtbare Schauspiel des Gewitters auf Erden. (V. 3-9.) Endlich
3) Ein liebliches Nachspiel im Herzen des Frommen. Also:
“Bringt her dem Herrn, ihr Gewaltigen, bringt her dem Herrn Ehre und Stärke. Bringt dem Herrn Ehre seines Namens, betet an den Herrn in heiligem Schmuck.“ Da lüftet David gleichsam den schweren, dunklen Wolkenvorhang und schaut hinein in das Heiligtum über den Wolken, wo alles bereitet wird, was herniederkommt über die Erde, Leid und Freud, Fluch und Segen, Sonnenschein und Gewitter. Die Gewaltigen dort droben stehen näher an Gottes Thron, die Engel und himmlischen Geister sehen, wie Gott sich anschickt, um im Gewitter seine Herrlichkeit zu entfalten, sehen ihm gleichsam auf seine schaffenden Hände, in die Werkstatt seiner Wunder hinein darum sollen sie in ihrem priesterlichen Schmuck auf ihren himmlischen Harfen noch besser, noch würdiger die Majestät des großen Gottes preisen, als David es vermag mit seiner schwachen Menschenzunge.
Es liegt ein hoher, schöner Gedanke in diesem Aufruf an die himmlischen Geister. Wenn schon das, was wir Menschenkinder im Staube mit unsern blöden, blinden Augen von Gottes Werken schauen und begreifen, groß, wunderbar, heilig und anbetungswürdig erscheint: wie groß und wunderbar, wie heilig und anbetungswürdig muss erst Gottes Wesen und Walten erscheinen vor den höheren Geistern, die mit hellerem Aug und tieferem Blick hineinschauen in die Wunder seiner Allmacht; was uns schrecklich erscheint ihnen ist's lieblich; was uns dunkel - ihnen ist's helle; was wir nur stückweis erkennen sie schauen's im Zusammenhang; wobei wir zittern, da jubeln sie; was uns tötet, dabei geht ihnen das Herz in Freuden auf!
Und noch ein anderer, seligerer Gedanke knüpft an diesen sich an. Sieh auch du, o Kind des Staubes, sollst ja einst ein Genosse der Engel werden; auch du sollst einst hinter den Vorhang blicken; auch du sollst einst mit himmlisch erleuchteten Augen hineinschauen in die Werkstatt Gottes; mit neuen Sinnen Gottes Wunder schauen, mit neuen Zungen Gottes Wunder preisen. Freust du dich nicht, Kind des Staubes? Klopft dir nicht das Herz in seliger Erwartung der Dinge, die da kommen, auch dir noch kommen sollen? Denkt euch, einem Blindgebornen würde mit einem Mal das Gesicht gegeben: ginge ihm nicht von dem Augenblick an eine ganz neue Welt auf, von der er bisher nichts gewusst, ob er gleich mitten drin gewandelt: die herrliche Welt des Lichts und der Farben? Denkt euch, einem Tauben von Mutterleib an würde plötzlich das Gehör geschenkt: ginge ihm nicht von Stund an eine ganz neue Welt auf, von der er bisher nichts geahnt, ob er gleich mitten drin gelebt: die Wunderwelt der Töne? Und nun denkt euch, dem Menschen, dem blöden, blinden, tauben Erdenkind werden drüben in der andern Welt auch ganz neue Sinne geschenkt, von denen er hienieden nichts weiß und nichts ahnt, o in welch neuem herrlichem Licht wird da Gottes Herrlichkeit vor ihm aufgehen! Welche Wonnen mögen ihm da aufbehalten sein, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen sind, und doch hat sie Gott bereitet denen, die ihn lieben! Freue dich, freue dich, Gotteskind, auf deine zukünftige Herrlichkeit, wie ein Kindlein jetzt auf die Christtagsherrlichkeit sich freut, die die Mutter ihm heimlich bereitet! Da wird man Freudengarben bringen, Denn unsre Tränensaat ist aus.
O welch ein Jubel wird erklingen,
Welch Lobgetön im Vaterhaus!
Schmerz, Seufzen, Leid wird ferne weichen,
Es wird kein Tod uns mehr erreichen,
Wir werden unsern König sehn;
Er wird am Brunnquell uns erfrischen,
Die Tränen von den Augen wischen:
Wer weiß, was sonst noch wird geschehn!
Aber nun vom Himmel herab auf die Erde. Auf das himmlische Vorspiel über den Wolken folgt:
Ein furchtbares Schauspiel, besonders wenn wir an ein morgenländisches Gewitter denken, zumal im gebirgigen Palästina, das nach den Berichten aller Reisenden etwas viel Großartigeres, Schrecklicheres, Zerstörenderes ist, als in unserem kälteren Norden. Wo bei uns der Donner rollt, da brüllt und schmettert er dort, als sollte er die Erde aus den Fugen schlagen; wo bei uns der Regen rauscht, da schüttet dort in Wolkenbrüchen der Himmel alle seine Schleusen aus; wo bei uns der Sturm saust, da wütet dort ein Orkan, der die Felsen beben macht.
Ein solches Gewitter schildert der Psalmist in den sieben Versen vom 3. bis zum 9. Siebenmal lässt er uns immer wieder „die Stimme des Herrn“, das heißt den Donner des Gewitters vernehmen; gleichsam in siebenfachem Echo hören wir den Donner, wie er zuerst in gewaltigen Schlägen durch die Wolken hinrollt, dann widerhallt auf der Erde, von Gebirg zu Gebirg, von Tal zu Tal sich immer wieder bricht, bis er am Ende murrend in der Ferne verhallt. Auch Offenb. Joh. 10, 4 ist von einem siebenfachen Donner die Rede. Also zuerst:
Der Donner, wie er oben durch die Wolken rollt. V. 3 und 4: “Die Stimme des Herrn geht auf den Wassern (d. h. auf den regenschwangern Wolken); der Gott der Ehren donnert, der Herr auf großen Wassern.“ Droben über den Wolken rollt sein Donnerwagen hin von einem Ende des Himmels zum andern. - Ein schrecklicher und doch ein herrlicher Klang, ein überirdisches Konzert zu Gottes Ehren, V. 4: “Die Stimme des Herrn geht mit Macht; die Stimme des Herrn geht herrlich.“ Aber nun aus den Wolken wirft sich der Donner wie ein gewappneter Riese herab auf die Erde, und tobt zuerst durch die Gebirge.
V. 5. 6: “Die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern; der Herr zerbricht die Zedern in Libanon, und macht sie hüpfen wie ein Kalb, Libanon und Sirion, wie ein junges Einhorn.“ In Davids Land, Palästina, kamen die Gewitter von Mitternacht her, vom Gebirge Libanon und Antilibanon oder Sirion, wo die herrlichen Zedernwälder standen mit ihren hohen, geraden, harten, süßduftenden Stämmen, die zu Salomos Tempel gehauen wurden. Aber wenn so ein Gewittersturm tobt durchs Libanongebirg, dann knickt er die Stämme der Zedern wie dürres Rohr, dass sie krachend aus den Wurzeln brechen, wie hüpfende Kälber auf der Wiese den Berghang hinuntertanzen und mit dumpfem Klang unten im Tal zu Boden stürzen und sterbend ihre Düfte in die Lust verhauchen. Wer hat dich gefällt, du stolze Zeder? Nicht die blinkende Art eines Menschenarms hat das getan, sondern des Herrn Arm und sein blitzendes Schwert. Denn
V. 7: “Die Stimme des Herrn haut wie Feuerflammen,“ mit dem Donner verbindet sich der furchtbare Blitz, jetzt erst genannt, jetzt erst sichtbar, weil das von Ferne kommende Gewitter jetzt über dem Haupte des Sängers steht. Und nun vom Gebirg wirst sich das Gewitter ins offene Land und zieht verheerend von einer Grenze zur andern.
V. 8: “Die Stimme des Herrn erregt die Wüste, die Stimme des Herrn erregt die Wüste Kades.“ Die Wüste Kades lag an der mittäglichen Grenze von Palästina gegen die Edomiter hin; also vom Libanon im Norden bis zur Wüste im Süden, von einem Ende des Landes bis zum andern nimmt das Gewitter seinen verheerenden Lauf, und wie es dort gewütet, so wütet es hier
V. 9: “Die Stimme des Herrn erregt die Hindinnen (scheucht die wilden Tiere von ihrem Lager auf) und entblößet die Wälder,“ knickt ihre Kronen, bricht ihre Äste und streift den Schmuck des Laubes von den Zweigen. Aber auch im grausen Zerstörungswerk offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn: „Und in seinem Tempel wird ihm jedermann Ehre sagen.“ Droben im oberen Tempel die himmlischen Chöre, hienieden im irdischen Tempel die menschliche Gemeine sie beugen sich vor dem, der Winde zu seinen Dienern und Feuerflammen zu seinen Engeln macht, dem der Donner zum Herold und der Blitz zum Fackelträger dienen muss; sie beugen sich vor ihm und bekennen: Herr, dir ist niemand zu vergleichen! Und darum folgt auf das furchtbare Schauspiel des Gewitters auf Erden:
Das Wetter mag toben, die Wasserfluten mögen rauschen: hoch über Fluten und Wolken thront in unerschütterlicher Macht und ungetrübter Seligkeit der, bei welchem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis; der alleingewaltige, ewig selige König der Ehren, bei dem Schaden, Spott und Schande lauter Lust und Himmel ist.“ Das weiß der Fromme, des tröstet er sich im Glauben und spricht
V. 10: “Der Herr sitzt, eine Sündflut anzurichten (oder vielmehr: Der Herr hat seinen Thron aufgeschlagen über der Wasserflut). Und der Herr bleibt ein König in Ewigkeit.“ Und dieser ewige König, dessen Thron kein Sturm erschüttert, dessen Macht die Donner verkünden und vor dessen Stimme das Erdreich zittert siehe, der braucht seine Allmacht nur zu seines Volkes Heil; auch aus Wetterwolken strömt nur Segen herab auf seine Getreuen und nach dem Gewitter glänzet wieder der siebenfarbige Bogen seines Friedens über der Erde. Das ist's, was der königliche Sänger ausspricht zum Schluss:
V. 11: “Der Herr wird seinem Volk Kraft geben; der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden.“ Solcher Glaube und solche Hoffnung, das ist das liebliche Nachspiel zum furchtbaren Konzert des Gewitters; das Nachspiel, das mit andern Worten beim Propheten lautet: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer! Dieses Nachspiel, Geliebte, wollen wir auch aus unserem Psalm mit heimnehmen in gläubigen Herzen. Manche Wetter sind auch schon über unsere Häupter hingerollt, Donnerwetter am Himmel und Trübsalswetter in unserem Leben. Schwere Gewitter können uns auch in Zukunft drohen, uns und unserem ganzen Geschlecht; Gewitter, von denen hohe Zedern krachend stürzen und weite Länder zitternd beben. Wie Gott will! Aber eines lasst uns nicht vergessen, auch wenn der Sturm kommt und das Wetter tobt: über den Wettern thront ein ewiger König, ein treuer Menschenhüter, und auch in Wettern hütet er die Seinen und segnet er die Seinen.
Der Herr ist nun und nimmer nicht
Von seinem Volk geschieden;
Er bleibt ihre Zuversicht,
Ihr Segen, Heil und Frieden;
Mit Mutterhänden leitet er
Die Seinen stetig hin und her;
Gebt unsrem Gott die Ehre!
Amen.