(1) Ein Psalm Davids. Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte? Wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge? (2) Wer ohne Wandel einher geht, und recht tut, und redet die Wahrheit von Herzen; (3) Wer mit seiner Zunge nicht verleumdet und seinem Nächsten kein Arges tut, und seinen Nächsten nicht schmäht; .(4) Wer die Gottlosen nichts achtet, sondern ehrt die Gottesfürchtigen; wer seinem Nächsten schwört, und hälts; (5) Wer sein Geld nicht auf Wucher gibt, und nimmt nicht Geschenk über den Unschuldigen. Wer das tut, der wird wohl bleiben.
Ein Festlied Davids, gesungen an jenem festlichen Tag, als die heilige Bundeslade von Kiriath-Jearim, etwa anderthalb Stunden von Jerusalem, wo sie 60 Jahre lang seit ihrer Rückkehr aus dem Philisterland gewesen, von dem priesterlichen König nach Zion, dem Königssitz in feierlichem Zuge abgeholt wurde, Drommeten voran, Priester, Kriegshauptleute und Leviten in prächtigem Zuge dabei und David selber als Chorführer vor der Bundeslade her singend und spielend.
Unterwegs ohne Zweifel oder auch im Innern der Burg, vor dem Einzug in die Stiftshütte, wurde dieser Psalm gesungen. Wer ist würdig, die Schwelle des Heiligtums zu betreten? Wer ist heut und immerdar ein würdiger und willkommener Gast im Hause des Herrn?
Nicht jeder ohne Unterschied, es möchte sonst manchem gehen, wie jenem Gast beim Königsmahl im Gleichnis, der kein hochzeitlich Kleid anhatte und die zürnende Frage vernehmen musste: Freund, wie bist du hereingekommen? Also noch einmal: Wer ist ein würdiger Gast im Hause des Herrn? Antwort: Wer einen würdigen Wandel führt auch außer dem Hause des Herrn, wer mitbringt ins Haus des Herrn, ums kurz zu sagen: reinen Fuß, reinen Mund, reines Auge, reine Hand. Das ist kurz des Psalms Gedanke und das wollen wir nun im Einzelnen betrachten. Zuerst V. 1 das Thema des ganzen Psalms, die Frage: „Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte? Wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge?“ Das heißt: Wer darf kommen in deine Stiftshütte, wer darf kommen und immer wieder kommen auf deinen heiligen Berg Zion? Aus dieser Frage spricht ein Herz voll Liebe zum Haus des Herrn, voll Sehnsucht nach täglichem Umgang mit Gott; aus dieser Frage spricht jene Liebe zum Haus des Herrn, die in einem andern Psalm ausruft: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth; ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend. Ists euch nicht auch schon so gegangen, liebe Freunde, in seligen Andachtsstunden, wie es dem Petrus ging auf dem Berge Tabor, da er ausrief: Hier ist gut sein, lasst uns Hütten bauen! Habt ihr nicht auch schon, in begeisterten Augenblicken wenigstens, jene fromme Witwe Hanna beneidet und selig gepriesen, von der es heißt: Sie kam nimmer vom Tempel? Gewiss, auch ihr habt lieb die Stätte, da Gottes Ehre wohnt, darum kommt ihr gern und versäumt ungern einen Gottesdienst, darum seid ihr nicht zufrieden am Sonntag mit der großen Gemeine hier zu erscheinen, sondern lasst auch gerne am Werktag durch die Betglocke zur Andacht euch rufen, und fürchtet euch nicht, möchte man auch da und dort euch deswegen Betschwestern nennen.
Aber nun, wer ist dem Herrn ein lieber Gast, ein würdiger Gast in seinem Haus? am Werktag wie am Sonntag? in der Betstunde wie am Bußtag? in der Predigt wie beim heiligen Abendmahl?
Vier Dinge verlangt David dazu: reinen Fuß, reinen Mund, reines Auge, reine Hand.
V. 2. „Wer ohne Wandel, (d. H. hier ohne Tadel) einhergeht und recht tut.“ Also gilt es den Fuß rein erhalten von verbotenen Wegen, von Sündenschmutz und unsauberem Wesen. Sagt selbst, meine Lieben, wenn man einen Mann oder eine Frau an jedem Sonntag in der Kirche fände, bei jedem Gottesdienst auf dem Platz träfe, aber die Woche über träfe man selbigen Mann oder selbige Frau auch auf allerlei unlauteren Wegen, auf allerlei verbotenen Pfaden, auf Wegen des Betrugs oder des Eigennutzes, oder des Haders, oder der bösen Lust - und der Mann oder die Frau dächte: Durch mein Kirchgehen oder Betstundenlaufen kann ich wieder gut machen, was ich sonst sündige, kann vor Gott oder vor Menschen wenigstens meine Lasterwege zudecken, wäre der ein würdiger Gast im Hause des Herrn? Nein, denn er bringt keinen reinen Fuß mit. Der Fuß, der in Sündenwegen und Lasterpfaden wandelt, der besudelt Gottes Heiligtum. Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, da du auf stehst, ist ein heiliges Land, hieß es zu Mose auf dem Berge Horeb. Und zu uns heißts: Ziehe deine Sünden aus, tue den Sündenschmutz von den Füßen, befleiße dich eines reinen Wandels, wenn du vor Gottes Angesicht treten und dem Herrn dienen willst in seinem Heiligtum. So wollen auch wir uns selber prüfen, so oft wir hier erscheinen: Hast du auch einen reinen Fuß? d. h. nicht leiblich rein vom Schmutz der Gasse, sondern innerlich rein vom Schmutz verbotener Pfade, und wollen den Herrn bitten: Erforsche mich Gott und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre wie ich es meine; siehe, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege. Zu solchem reinen Fuß gehört aber auch
V. 2 und 3: „Und redet die Wahrheit von Herzen; wer mit seiner Zunge nicht verleumdet und seinem Nächsten kein Arges tut und seinen Nächsten nicht schmäht.“ Das sind ernste, mahnende Worte für uns alle. Reiner Mund, ach das ist noch viel seltener als reiner Fuß. Sich im Wandel in Acht nehmen vor groben Übertretungen - das geht noch; aber auch in Worten sich in Acht nehmen und den Mund rein erhalten vor Verleumdung, vor Schmähung, vor Scheltwort, vor übler Nachrede und lieblosem Richten, das ist viel schwerer und ist viel seltener. Wir alle kennen ja und tragen in uns jenes kleine Feuer, das einen ganzen Wald anzündet, jenes unruhige Übel voll tödlichen Giftes, jene Welt voll Ungerechtigkeit: die Zunge; durch sie loben wir Gott den Vater und durch sie fluchen wir den Menschen nach dem Bilde Gottes gemacht; aus einem Munde geht Loben und Fluchen. Es soll nicht, liebe Brüder, also sein. Nein, es soll nicht also sein, am wenigsten bei denen, welche fromm sein, welche ins Haus Gottes gehören wollen, nicht als Gäste bloß und Fremdlinge, sondern als Bürger und Hausgenossen mit den Heiligen. Es soll nicht also sein. Wie? mit derselben Zunge, mit der du hier so schön singst und so fromm betest, wolltest du draußen schimpfen, lästern und schmähen? Wie? denselben Bruder oder dieselbe Schwester, mit der du hier auf einer Bank sitzt, ein Lied singst, zu einem Gott betest, wolltest du draußen hassen und verleumden? Wie? Nachdem du hier dich vor Gott als ein Sünder gebeugt, wolltest du draußen nur nach fremden Sünden schauen, als wärest du selber rein? Nachdem du hier Vergebung und Gnade empfangen, willst du draußen unbarmherzig richten, gleich dem Knecht, dem zehntausend Pfund erlassen waren von seinem Herrn und der hinging und würgte seinen Mitknecht um hundert Groschen? Es soll nicht also sein, liebe Brüder und Schwestern, quillt auch ein Brunnen aus einem Loch süß und bitter? Da wollen wir uns allesamt ernstlich prüfen, aufrichtig demütigen und mit Gottes Hilfe bessern. Da wollen wir mit Sirach sprechen: O dass ich könnte ein Schloss an meinen Mund legen und ein festes Siegel auf mein Maul drücken, dass ich dadurch nicht zu Fall käme und meine Zunge mich nicht verderbete! Wir wollen mit dem Liede bitten:
Hilf, dass ich rede stets,
Womit ich kann bestehen;
Lass kein unnützes Wort
Aus meinem Munde gehen.
Und wenn in meinem Amt
Ich reden soll und muss,
So gib den Worten Kraft
Und Nachdruck ohn Verdruss.
Zum reinen Mund muss aber auch kommen
V. 4: „Wer die Gottlosen nichts achtet, sondern ehrt die Gottesfürchtigen.“ Wer angenehm sein will vor Gott und ein würdiger Gast in seinem Hause, der muss ein reines Auge haben, ein helles Auge, ein klares Auge, ein scharfes Auge, zu unterscheiden den Gottlosen vom Gottesfürchtigen, den Gerechten vom Ungerechten, und darf nicht diesem und jenem gleich freundlich zulächeln. Man sollte meinen, das sei leicht, das verstehe sich von selbst, und doch, meine Lieben, wie oft wird da unser Blick getrübt und unser Auge geblendet. Der Gottlose darf nur etwas gelten in der Welt, darf nur geehrt sein oder reich oder vornehm oder schön oder witzig, dann drücken wir gern ein Auge zu über seine Laster, dann lassen auch wir uns blenden, bücken uns vor ihm, schmeicheln ihm wohl gar und suchen seine Gunst. Und der Gottesfürchtige darf nur ein armer Mann sein, eine geringe Person, dann machen auch wir nicht viel aus ihm, lassen ihn stehen und gehen. Das ist kein reines Auge, sondern ein unreines, trübes, geblendetes. So mag ein Weltkind urteilen, aber ein Hausgenosse Gottes, der sollte schärfer sehen, der sollte besser unterscheiden. Hier, Geliebte, im Hause des Herrn, da bekommen wir ja den rechten untrüglichen Maßstab in die Hand, die Menschen zu messen, nämlich Gottes Gebot. Hier lernen wir die Seelen wägen nach ihrem wahren Wert in der Waagschale des heiligen und gerechten Gottes; hier lernen wir an unzähligen Sprüchen und Beispielen, dass Gott nicht die Person ansieht, sondern das Herz, dass mancher arm ist bei großem Gut und mancher reich bei all seiner Armut, dass der arme fromme Lazarus, dem die Hunde seine Schwären lecken, mehr gilt in der Ewigkeit als der reiche Mann, der alle Tage herrlich und in Freuden lebt; so wollen wir denn hier im klaren Wasserbrunnen des lautern Gottesworts unsere Augen immer mehr rein waschen von den Blendwerken der Eitelkeit und immer richtiger unterscheiden lernen zwischen Gut und Bös, zwischen Recht und Unrecht, so wie Jesus unterschied, als er seine Jünger wählte, als er bei Zachäus einkehrte, als er das Scherflein der Witwe pries.
Jesu, gib gesunde Augen,
Welche taugen,
Rühre meine Augen an,
Denn das ist die größte Plage,
Wenn am Tage
Man das Licht nicht sehen kann!
Und nun endlich, damit du ein würdiger Gast seist im Hause des Herrn musst du noch mitbringen
V. 5: „Wer sein Geld nicht auf Wucher gibt und nimmt nicht Geschenk über den Unschuldigen.“ Wenn deine Hand nicht rein ist, rein von ungerechtem Gut, rein von schmutzigem Geiz, rein von wucherischer Gewinnsucht, dann darfst du sie nicht falten im Gebete vor Gott, dann kannst du keine priesterlichen Hände aufheben zu dem Herrn der da spricht: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden. Es ist so klar was der Heiland sagt: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon,- und doch wie kommt man oft auch bei denen, die fromm sein wollen und nie fehlen im Hause des Herrn, so viel hässlichem Geiz, so viel unchristlichem Mammondienst auf die Spur. Denkt an Ananias und Saphira, die unreine Hände von Geldgier beschmutzt vor Gottes Angesicht brachten und vertilgt wurden aus der Gemeine; denkt an Judas, der aus Geiz zum Verräter ward an dem Herrn, zu dessen Auserwählten er drei Jahre lang gezählt ward. Wahrlich wir könnten ja hier im Hause des Herrn nicht beten um die himmlischen Schätze seiner Gnade, wenn wir unser Herz hängten an schnödes Erdengut; wir könnten nicht hoffen auf die Seligkeiten des Himmels, wenn wir unsere Hände beschmutzten mit unreinem Gewinn; wir könnten hier nicht zusammenkommen mit unsern armen Brüdern und Schwestern, wenn wir unbarmherzig unsere Hand verschlössen vor dem Dürftigen und Darbenden. Was sind dieser Erde Güter?
Ein Hand voller Sand,
Kummer der Gemüter;
Dort, dort sind die edlen Gaben,
Da mein Hirt Jesus wird
Mich ohn Ende laben!
Reinen Fuß; reinen Mund; reines Auge; reine Hand! Wer das hat, wer das tut, der wird wohl bleiben;“ der ist nicht nur hier im irdischen Gotteshaus ein würdiger Gast und darf fröhlich kommen, so oft die Glocken läuten, dem Herrn zum Wohlgefallen, der Gemeinde zur Erbauung und sich selber zum Segen; sondern der darf auch droben einst wohnen in den ewigen Hütten und als ein seliger Hausgenosse bleiben auf dem heiligen Berge, im himmlischen Zion.
Nun, Herr unser Gott, lass uns recht fleißig, aber auch recht würdig kommen in dies dein irdisches Haus, da deine Ehre wohnt, lass uns kommen mit reinem Fuß und reiner Hand, mit reinem Aug und reinem Mund, lass uns kommen vor allem mit reinem Herzen, damit wir einst würdig seien dich anzubeten in der oberen Gemeinde, in dem himmlischen Tempel, dessen Tür die Aufschrift hat: Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen! Amen.