(1861.)
Röm. 14,7-12.
Denn unser keiner lebt ihm selber, und keiner stirbt ihm selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus auch gestorben, und auferstanden und wieder lebendig worden, dass er über Tote und Lebendige Herr sei. Du aber, was richtest du deinen Bruder? oder du anderer, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richtstuhl Christi dargestellt werden, nach dem geschrieben steht: So wahr als ich lebe, spricht der Herr, mir sollen alle Kniee gebeugt werden, und alle Zungen sollen Gott bekennen. So wird nun ein jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
„Kind, wem gehörst du?“ so fragen wir manchmal ein kleines Kind das uns auf der Straße begegnet, seis dass es uns besonders wohlgefällt oder dass es Unarten treibt; seis dass es zutraulich zu uns herkommt und uns die Hand gibt, oder dass es weinend und verlassen dasteht, vielleicht gar von Hause sich verirrt hat. „Kind, wem gehörst du?“ Und wenn das Kind nur soweit im Verstand und im Sprechen ist, dass es sagen kann, wems gehört, wie der Vater heißt, was er ist, wo er wohnt - so ist schon geholfen. Ist ihm etwas zugestoßen, so können wirs nun nach Hause bringen; hats uns gegrüßt, so geben wir ihm einen Gruß auf an die Eltern; ists unartig, so drohen wir: ich sags deinem Vater; ists lieb und schön, so preisen wir seine Eltern glücklich und finden vielleicht ihr Ebenbild in seinem Gesichtchen. Der Name des Vaters dems gehört, dient so einem kleinen Kind unterwegs statt Wegweiser und Schutzwache.
„Kind, wem gehörst du?“ Diese Frage, meine Lieben, hat aber einen Sinn für alle Menschenkinder, auch für Erwachsene und Alte, die längst keinen Vater und keine Mutter mehr auf Erden haben. Kind, wem gehörst du?“ das ist eine Frage an uns alle, eine Frage für gute und für böse Tage, fürs Leben und fürs Sterben. Und wohl dem Menschenkinde, das soweit ist im Verstande, dass es wissen und sagen kann, wems gehört, wie sein Vater heißt und wer er ist und wo er wohnt. Ein solches Kind kann nicht verloren gehen. Ists verirrt: man kann ihm den Weg nach Hause zeigen; steht in Tränen da: man kanns zum Vater führen; hats Böses getan: man kann ihm mit dem Vater drohen; leidets Mangel: man kann ihm um des Vaters willen etwas schenken. Der Name des Vaters, wenn es ihn weiß, dient einem Kind Gottes statt Wegweiser und Schutzwache in dieser Welt.
Nun denn „Kind, wem gehörst du?“ Kannst dus sagen, wem du gehörst mit Leib und Seele, im Leben und Sterben, in Zeit und Ewigkeit? Ja, meine Lieben, wir wissens wohl, aber tun wir auch darnach? Wir habens schon oft vernommen und schon oft gesagt wem wir gehören, seit wir als Kinder das Gebetlein lernten: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein,“ und seit wir als Konfirmanden bezeugten: „Herr Jesu, dir leb ich, dir leid ich, dir sterb ich, dein bin ich tot und lebendig“; wir habens schon oft vernommen, schon oft gesagt wem wir gehören, aber ach! wie oft auch wieder vergessen! „Kind, wem gehörst du?“ Eine schönere Antwort gibts nicht auf diese Frage, als die wir in unserer Abendlektion vernehmen aus dem Mund eines herrlichen Gotteskinds mit Namen Paulus: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“
„Lebend und sterbend gehör ich dem Herrn,“ dieses schöne Bekenntnis eines Gotteskinds lasst uns betrachten; wie darin liegt
Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
Ich bin dein, du bist mein,
Niemand soll uns scheiden; -
Lass mich, lass mich hingelangen,
Wo du mich
Und ich dich
Ewig werd umfangen.
Amen.
„Lebend und sterbend gehör ich dem Herrn“; so lautet das schöne Bekenntnis eines Gotteskinds, und es liegt darin
=====1) ein hoher Glaubenstrost;===== der Trost: Lebend steh ich in der Hut des Herrn, sterbend fall ich in die Hand des Herrn. Von einem reichbegabten, frühvollendeten evangelischen Prediger am Rhein1) las ich kürzlich in seiner Lebensbeschreibung, er habe als ein vierjähriges Kind in seiner großen Vaterstadt Frankfurt am Main sich einst verirrt und sei von mitleidigen Leuten in ein fremdes Haus gebracht worden, wo er zwar den Namen seines Vaters sagen, aber da es mehrere dieses Namens gab, sich nicht weiter deutlich machen konnte. Der Kleine war aber darüber gar nicht in Bekümmernis, sondern sagte ganz mutig und getrost: „Der Vater wird mich schon holen.“ So ein fröhlicher, unerschütterlicher Glaube an den Vater war in des Kindes Herzen, dass es keinen Augenblick zweifelte: Der Vater denkt an mich, er sucht mich, er findet mich, er holt mich. Ähnlich, meine Lieben, ists einem Kind Gottes ums Herz im Gewirr und Gewühl dieser Welt. Wenn es auch den Vater nicht sieht, wenn es sich oft auch fremd und verlassen fühlt unter Leuten, die seine Herzenssprache nicht verstehen, ja wenn es statt freundlicher Teilnahme Hass und Missgunst erfährt und den Stürmen der Trübsal ohne Obdach preisgegeben steht wie ein Kind auf der Gasse, es weiß: der Vater kennt mich, der Vater sieht mich, der Vater holt mich und hilft mir heraus mit seiner starken Vaterhand: „Leben wir, so leben wir dem Herrn.“ Was heißt das anders, als vor allem: Lebend steh ich in der Hut des Herrn? Er der mich in dies Leben geführt, er führt mich auch durch dies Leben. Kein Haar auf meinem Haupte, das er nicht zählt; kein Seufzer in meinem Herzen, den er nicht hört; keine Stunde in meinem Leben, da er mein nicht gedenkt; kein Ort auf der Erde, da er mir nicht nah ist; kein Schritt auf meinem Wege, da er mich nicht hält; kein Glück in meinem Hause, das er mir nicht schenkt; kein Kreuz auf meinem Rücken, das er mir nicht schickt.
Leben wir, so leben wir dem Herrn; o dieser Gedanke was wirft er für ein mildes, freundliches Licht auf alle unsre Pilgerwege. Ich gehöre dem Herrn; ich bin nicht ein Spielball des Schicksals, ich bin nicht eine Beute feindseliger Menschen, ich bin nicht ein Raub finstrer Mächte nein, ich gehöre dem Herrn, dem allmächtigen Schöpfer, der Leben und Odem gibt allen Kreaturen; dem gütigen Regierer, von dem es heißt: Was unser Gott erschaffen hat, das will er auch erhalten; dem barmherzigen Erlöser, der nicht will dass eine Seele verloren gehe, der auch mich zu seinem Eigentum erkauft hat nicht mit vergänglichem Silber oder Gold, sondern mit seinem heiligen teuren Blut, dem gehör ich an - mit solchem Bekenntnis geht ein Kind Gottes mutig und getrost durch die Welt; das ist seine Antwort auf die Frage: „wem gehörst du?“ sein Licht auf dunklen Wegen, sein Schild wider alle Anfechtung, sein Reisepass an allen Orten, sein Zehrpfennig bei allem Mangel, sein Adelsbrief bei aller äußern Niedrigkeit: ich gehöre dem Herrn, der über den Sternen thront. „Leben wir, so leben wir dem Herrn.“
„Und sterben wir, so sterben wir dem Herrn;“ lebend steh ich in seiner Hut und sterbend fall ich in seine Hand, das ist noch ein höherer Trost, noch ein größerer Sieg des Glaubens. Auch der letzte und ärgste Feind der Menschenkinder, der Schreckenskönig der von weitem schon uns oft so bange macht, und vor dem wenn er kommt auch die Trotzigsten so oft zittern auch der Tod verliert seinen Stachel, auch über unsre Gräber und über die Gräber der Unsrigen fällt ein mildes Friedenslicht durch das Wort: „Sterben wir, so sterben wir dem Herrn“.
„Sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ Wenn wir das glauben und fassen - o wie ruhig können wir da Zeit und Stunde unsres Abschieds erwarten! „Mein Vater wird mich schon holen,“ sagte jenes verlaufene Kind im fremden Haus. Mein Vater wird mich schon holen, zu rechter Zeit und Stunde, so sprich auch du, Kind Gottes, wenn dir die Zeit zu lange und das Leben zu schwer werden will; dein Vater vergisst dich nicht, er kommt keine Stunde zu spät, aber auch keine Stunde zu früh; harr aus, harr aus! „Sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ Wenn wir das glauben und fassen, o wie getrost können wir da auch über die Art und Weise unsres Todes sein. Nur kein langes Krankenlager! nur keinen schweren Todeskampf! nur keinen bösen, schnellen Tod! solche Wünsche und Seufzer steigen oft auch aus frommen Herzen. Es ist wahr, der Tod hat seine Schauer für die sündige Menschennatur, Sterben ist kein Kinderspiel, auch für Kinder Gottes nicht. Aber in welcher Gestalt auch der Tod komme, ein Kind Gottes weiß: er kommt mir als ein Bote des Herrn, ein Kind Gottes sagt sichs auch da zum Trost: „Der Vater holt mich,“ der Vater, von dessen Liebe mich nichts scheiden kann, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, weder Leben noch Tod; der gute Hirte begleitet mich, der welcher selbst mit dem Kreuz auf seinen treuen Schultern voranging auf der Todesstraße, der ist mir nahe auch in der bängsten Stunde, und ob ich schon wanderte im finstern Tal fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab tröstet mich.
„Sterben wir, so sterben wir dem Herrn“ o wenn ich nur das fasse und halte: wie getrost kann ich auch dem unbekannten Land hinter dem Grab entgegensehen. Es ist mir freilich ein unbekanntes Land trotz so manchem verheißungsvollen Lichte, das die Schrift über seiner Pforte mir aufsteckt. Wie es dort aussieht, wie sichs dort lebt, wohin meine Seele kommt, wenn sie von diesem ihrem treuen Lebensgefährten, dem Leibe getrennt ist, und wie sie ohne ihn fortlebt - ich weiß es nicht. Aber genug wenn ich weiß: sterben wir, so sterben wir dem Herrn; der Vater holt mich; derselbe treue Gott und Herr, der mich in dieses Leben führte, ohne dass ichs vorher wusste, wie? - der mich durch dieses Leben führt, ohne dass ichs einen Tag vorher weiß, wie? der wird mich auch aus dem Leben führen, ohne dass ich weiß, wie? wird mich heimholen zu sich ins Vaterhaus, in dem viele Wohnungen sind, die ich jetzt noch nicht kenne. Also der Tod scheidet mich nicht von meinem Herrn, sondern führt mich nur näher zu ihm; ich sterbe dem Herrn, ich sterbe an seiner Brust, ich sterbe gleichsam in seinen Arm und Schoß hinein, ich falle sterbend in seine Hand, in die Hand der ewigen Allmacht und Liebe. So, meine Freunde, denkt ein Kind Gottes über sein Leben und Sterben; sagt, sind das nicht selige Gedanken, liegt darin nicht ein hoher Glaubenstrost im Leben und im Sterben? O lassts uns nur fassen und glauben, und der Herr helfe uns immer besser fassen und immer fester halten den hohen Glaubenstrost der Kinder Gottes: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
Wir sind des Herrn, so kann im dunkeln Tale
Uns nimmer graun, uns scheint ein heller Stern,
Der leuchtet uns mit ungetrübtem Strahle,
Es ist das teure Wort: wir sind des Herrn!
Aber dieses teure Wort ist auch ein ernstes Wort: „Lebend und sterbend gehör ich dem Herrn.“ In diesem schönen Bekenntnis eines Gotteskinds liegt auch
nämlich die: mach dich fertig im Leben zum Dienste des Herrn, im Sterben zur Rechenschaft vor dem Herrn.
„Unser keiner lebt ihm selber, unser keiner stirbt ihm selber, leben wir, so leben wir dem Herrn,“ so konnte freilich ein Apostel sagen wie unser Paulus, dessen ganzes Leben ein Dienst des Herrn war, der all sein Erdenglück, sein Leibesleben, seine Geistesgaben, jeden Blutstropfen in seinen Adern und jeden Wunsch in seinem Herzen ganz dem Herrn zum Opfer und Eigentum ergeben hatte, so dass er mit Wahrheit seinen Römerbrief beginnen konnte mit den Worten: Paulus, ein Knecht Jesu Christi.
Unser keiner stirbt ihm selber; sterben wir, so sterben wir dem Herrn“, so konnte der sagen, der jeden Tag bereit war um Christi willen als ein Schlachtschaf sich zur Marterbank führen zu lassen, und der in demselben Rom, wohin er schrieb: wir sterben dem Herrn, wirklich nachher sein Haupt auf den Block gelegt hat und gestorben ist im Dienste seines Herrn. Aber, meine Lieben, ists denn auch in unsrem Munde wahr: Unser keiner lebt ihm selber, leben wir, so leben wir dem Herrn, ihm zum Dienst und zur Ehre? Wohl sind wir alle durch unsre Taufe zu seinem Dienst und Eigentum geweiht. Wohl haben wir alle bei unsrer Konfirmation uns verpflichtet, dem heiligen Gott Vater Sohn und Geist ewig treu zu sein und nach seinem Willen und Wort zu leben, zu leiden und zu sterben.“ Aber steht denn dies Gelübde auch in Kraft? Ists wahr: unser keiner lebt ihm selber? keiner lebt seines Fleisches Gelüsten oder seines Kopfes Launen, seinen edleren oder gemeineren Leidenschaften, seinen gröberen oder feineren Genüssen? Ists denn nicht bei den Allermeisten von uns eben doch das Ich, um das offener oder versteckter unser Leben und Streben sich dreht? Und hier steht: „Unser keiner lebt ihm selber!“
Und hier steht weiter: „Leben wir, so leben wir dem Herrn.“ Bei wie vielen unter uns ist denn das wahr? Wenn ich dirs auch glaube, du lebst nicht gerade nur dir selber: lebst du darum dem Herrn? Du Gewerbsmann sagst: ich lebe meinem Gewerbe; du Beamter: ich lebe meinem Amt; du Staats- oder Volksmann: ich lebe meinem Vaterland; du Künstler und Gelehrter: ich lebe meiner Kunst und Wissenschaft; du Hausfrau: ich lebe meinem Hauswesen, meinem Mann, meinen Kindern. Das alles ist gut und schön, aber bei dem und in dem und über dem allem bleibt immer noch die Frage: lebst du auch dem Herrn? Glaube ja nicht, um dem Herrn zu leben, müssest du aufhören, für die Menschheit zu wirken. Glaube ja nicht, nur der lebe dem Herrn, der ins Kloster gehe als Mönch oder Nonne, oder der aufs Schiff steige als Missionar für die Heiden. Nein, dem Herrn leben heißt: in dem Beruf in den uns der Herr gesetzt, mit den Kräften die uns der Schöpfer verliehen, in der Zeit die uns der Herr hienieden gönnt, unsre Schuldigkeit tun im Aufsehen auf ihn, so dass die Liebe zu ihm unsre innerste Triebfeder, sein Gesetz unsre einzige Richtschnur, sein Wohlgefallen unser höchstes Ziel ist und wir um seinetwillen alles, auch das Liebste wenn es sein muss, aufopfern können. Wer das tut, der lebt dem Herrn, sei er ein Geistlicher oder ein Soldat, ein Gelehrter oder ein Bauer, ein Minister oder ein Taglöhner, ein Künstler oder ein Gewerbsmann, eine Hausfrau oder ein Dienstmädchen. Und nun noch einmal: Gilts von uns: leben wir, so leben wir dem Herrn? nicht der Welt, nicht dem eigenen Fleisch, sondern dem Herrn unsrem Schöpfer und Erlöser, unsrem Seligmacher und Richter? Können wirs unsrem Apostel nachsagen: Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir, und was ich noch lebe im Fleische, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben? O meine Lieben, lassts uns doch einmal versuchen mit solch einem Leben im Dienste des Herrn; lasst uns einmal herübertreten aus dem Dienste der Sünde, deren Sold der Tod ist, aus dem Dienste der Welt, die ihre Sklaven mit eitlen Scheingütern und Hoffnungen abspeist, aus dem Dienste unsrer Leidenschaften, die uns so oft schon irregeführt bis wir weinend im Staube lagen, - lasst uns einmal mit ganzem Ernst herübertreten in den Dienst unsres Gottes und Heilandes, obs uns da nicht wohler wird, ob wirs da nicht erfahren werden: der Herr ist gut in dessen Dienst wir stehen? ob nicht unser Herz zufriedener, unser Beruf lieblicher, unsre Last erträglicher wird und ein ganz neuer Segen, ein bisher unbekannter Friede sich über unser Leben ausbreitet, wenn wir Ernst machen mit dem Wort: Leben wir, so leben wir dem Herrn?
„Und sterben wir, so sterben wir dem Herrn;“ denn wohlgemerkt, meine Lieben, unser keiner stirbt ihm selber! Sind wir im Leben nicht unsre eignen Herrn, so sind wirs noch viel weniger im Tode. Diesseits vom Grabe da kann der Mensch zur Not seine eignen Wege gehen, aber jenseits, da muss er sich gürten und führen lassen, wohin er nicht will. Im Leben da kann er Leib und Seele dem entziehen, dem sie von Rechtswegen zum Eigentum gehören, kann seinen Leib hingeben in die Lüfte der Sünde, kann seine Seele verkaufen in den Dienst der Eitelkeit, aber im Tode da fällt Leib und Seele dem Herrn heim, da musst du deinen Leib hingeben in die Hand des Herrn, dass er zur Erde werde von der er genommen ist, und kannst kein Glied dagegen rühren, wenn man ihn zu Grabe trägt, da musst du deine Seele hingeben in die Hand deines Schöpfers und Richters, nackt und bloß, wie sie ist, ohne Hülle und Schminke.
„Unser keiner stirbt ihm selber; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ Im Tode wie im Leben gehören wir dem Herrn, ach das bedenken wir viel zu wenig, das vergessen wir viel zu oft.
Nicht nur der Selbstmörder vergisst es, der den großen Schritt in die Ewigkeit eigenmächtig tut, ohne zu warten auf das Geheiß dessen der die Menschenkinder lässt sterben und spricht: kommt wieder, Menschenkinder, und so eingreift in die Majestätsrechte Gottes.
Auch der Sündendiener vergisst das, der im Dienste des Lasters auf seine Leibes- und Geisteskräfte hineinhaust und so früher als Gott ihms bestimmt, reif wird zum Grabe, und eine zerrüttete Seele hinüberbringt vor seinen Herrn und Gott.
Auch der Leichtsinnige und Sichere vergisst das, der sich das Jenseits zurecht macht nach seinen eitlen Träumen und Gelüsten, statt nach den heiligen Winken des göttlichen Worts; der nach einem Erdenleben ohne Gott sich Rechnung macht auf ein ewiges Leben bei Gott, oder auf eine eingebildete Selbstgerechtigkeit ohne weiteres die Hoffnung des Himmels baut. Diesen allen und uns allen, meine Lieben, ruft der Apostel mahnend und warnend zu: Unser keiner stirbt ihm selber; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. In seine Hand fallen wir, wenn unser Haupt aufs letzte Kissen sinkt; vor seinen Stuhl treten wir, wenn unsre Seele hinübergeht ins Land der Vergeltung; aus seinem Mund hören wir unser ewiges Los, aus dem Munde dessen von dem es heißt: „Er kommt zum Weltgerichte, Zum Fluch dem der ihm flucht, mit Gnad und süßem Lichte Dem der ihn liebt und sucht.“ O lasst uns ihn lieben und suchen, dass er auch uns kommen könne mit Gnad und süßem Lichte. Lasst uns leben in seiner Furcht, damit wir einst sterben können in seinem Frieden. Lasst es uns zur ernsten Mahnung werden an unsre christliche Lebensaufgabe: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Wir sind des Herrn, so lasst uns ihm auch leben,
Sein eigen sein mit Leib und Seele gern,
Dass Herz und Mund und Wandel Zeugnis geben,
Es sei gewisslich wahr: wir sind des Herrn!
Und eben aus diesem Blick auf unsern Herrn und Richter, dem wir lebend und sterbend angehören, ergibt sich auch noch
nämlich die: wirf du dich nicht zum Herrn und Richter auf über deines Nächsten Leben oder Sterben! Davor warnt uns der Apostel noch ganz besonders, wenn er uns im Text zuruft: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du andrer, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Christi dargestellt werden. - So wird nun ein jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben.“ Meine Lieben, sind das nicht goldene Worte auch für uns? Wenn es so ist, wie wirs bis daher betrachtet: unser keiner lebt ihm selber, unser keiner stirbt ihm selber, sondern lebend und sterbend gehören wir dem Herrn, folgt dann nicht von selbst daraus: der Herr ists der uns richtet, mich, dich und jeden von uns, der Knecht aber darf sich nicht zum Richter aufwerfen über seinen Mitknecht. Und doch - wie unbrüderlich, wie unchristlich richten wir oft über unsern Nächsten!
Richten über sein Leben, als wär unsereins der Herr um deswillen er eigentlich da sein und dem er zu Diensten stehen soll; als wär unsereins der Richter, vor dem er Rechenschaft abzulegen hat. Ist dann einer anders geartet und begabt als du flugs sprichst du über ihn ab, als wäre deine Weise die alleingültige, als wäre nicht über dir und ihm ein Herr und Schöpfer, der jeglichem Knecht ein Pfund zuteilt nach seinem Wohlgefallen! Oder durchkreuzt einer mit seinen Gedanken die deinen, mit seinen Planen die deinen, flugs betrachtest du ihn als deinen Feind, ja als den Feind Gottes, als hätte er nicht auch ein Recht dazusein und eine Meinung zu haben und sich zu regen in der Welt; als wärest du der Mittelpunkt, um den alles sich drehen muss; als wäre nicht über dir und ihm ein himmlischer Regente, der jedem die Bahn vorzeichnet da sein Fuß gehen kann. Oder ist einer noch hinter dir zurück im Christentum wie du es verstehst, flugs sprichst du ihm das Urteil, als stände es entsetzlich übel um seine Seele, als könnte nicht der Herr, der an dir seine Gnade erwiesen, auch an ihm sie noch verherrlichen. Gönn ihm doch noch Zeit, lass ihn doch leben; leben wir, so leben wir dem Herrn.
Und sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Auch das vergessen wir so oft bei unsern Brüdern. Wie lieblos, wie herzlos, wie unchristlich, ja wie unmenschlich wird oft über Gestorbene gerichtet und zwar von sehr christlichen Leuten, zumal bei schnellen und ungewöhnlichen Todesfällen! Wie leichtfertig wird da oft eine unsterbliche Menschenseele abgeschätzt, die doch auch nach Gottes Bild geschaffen war, für die doch auch des Heilands Blut geflossen ist, an der doch auch der Geist Gottes sich nicht unbezeugt gelassen hat, dass man oft nur staunen muss und fragen möchte: Ist denn in diesem frommen Herzen, das so richtet, jeder Funke von Nächstenliebe ausgetilgt und keine Spur mehr von heiliger Furcht vor dem Herrn der da spricht: mein ist die Rache, aber auch mein die Barmherzigkeit, dessen Gnade wir auch den besten Christen befehlen müssen und den schlimmsten befehlen dürfen und kein Gedanke mehr von Selbstprüfung, Selbsterkenntnis und Selbstanklage, da doch jeder für sich selbst Gott wird Rechenschaft geben! Meine Lieben, es wäre darüber noch viel zu sagen auf Grund unsres Textes, denn ich gestehe es, das Herz blutet mir oft über diesem lieblosen, gedankenlosen, ja gottlosen Geist unbrüderlichen Richtens, den ich für einen Krebsschaden unsres gesellschaftlichen und auch unsres christlichen Lebens halte. Aber ich weiß, mein Predigen hilft da nichts. Ich will euch nur bitten, nehmt das Wort mit heim: ein jeglicher auch von euch muss für sich selbst Gott Rechenschaft geben, dann wird euch das Richten vergehen, - und will den Herrn bitten, dass er in seiner heiligen Richtermajestät und doch auch in seiner sanften Hirtenliebe seinen Advent halten wolle in unsern Seelen, damit wir ihm als sein Eigentum allein zur Ehre leben, leiden und sterben und in unsrer letzten Todesstunde freudig und getrost sprechen mögen: Herr Jesu, dir leb ich, dir leid ich, dir sterb ich, dein bin ich tot und lebendig, mach mich, o Jesu, ewig selig.
Amen.