Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.
Text: 2. Mose 20,16.
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
In Christo geliebte Freunde! Wie der Herr schirmend seine Hand über das Leben, über die Ehe und das Gut unseres Nächsten gehalten, so hält er heute Seine Hand über der Ehre und dem guten Namen unserer Brüder. Seinen heiligen Namen nimmt er im zweiten Gebot in Schutz, wenn er spricht: „Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht missbrauchen,“ aber ebenso will er auch unseren guten Namen unangetastet wissen. Wie liebevoll und gütig handelt der Herr doch gegen uns! Er hat in seiner Liebe Nichts vergessen, unter die Flügel seines Schutzes, unter sein majestätisches: „Ich bin der Herr dein Gott“ zu stellen, was uns lieb und teuer wäre! Wo ist ein Gesetzgeber, der so milde und doch so ernste Gesetze schreibt?
Aber, Geliebte, Er hat auch nichts vergessen von unserer Sünde; er kennt und straft den Mordgeist, er kennt und straft den ehebrecherischen Blick, er kennt und straft die diebischen Hände, aber er kennt auch unsere Lügnerische Zunge und all das Unheil, das sie anrichtet, darum hat er auch gegen sie ein Gebot, und spricht in eine lügnerische, mit dem Wort es leicht nehmende Welt hinein: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Ist denn das so notwendig? Wodurch fehlen wir denn mit der Zunge gegen unseren Nächsten? und wie können wir dies Gebot recht erfüllen? Das sind die Gedanken, die ich euch in dieser Stunde ans Herz legen möchte. -
Ach es ist ein ernstes Gebot, unter dem wir alle uns zu beugen und vor dem wir demütig unsere Schuld zu bekennen haben ein Gebot, das so scharf Alle trifft, ja das ernste Christen noch tief beschämen muss, denn es spricht die Schrift: „Wer auch in keinem Worte fehlt, der ist ein vollkommener Mann.“
So sagen wir denn:
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten
und fragen:
Geliebte Freunde! Während der Herr in den drei letzten Geboten das böse Tun des Menschen, in Mord, Ehebruch und Diebstahl besonders im Auge hatte und strafte, gehet dies Gebot auf des Menschen böses Wort und böse Rede. Warum, fragt ihr: „Nimmts denn der Herr so genau mit dem Wort? Ein Wort hat doch nicht so viel auf sich als eine Tat; ein Wort ist ja nur ein Wort. Es ist nur ein Hauch in der Luft, ein Ton, der wieder schnell verweht, man spricht ja viel den Tag über.“ Liebe Freunde! wenn das wahr wäre, würde der Herr nicht sagen: „Ich sage euch aber, dass die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben.“ Vielmehr gibt der Herr dem Menschenwort eine tiefe Bedeutung. Gott ist es, der dem Menschen das Wort gegeben; außer Gott und den heiligen Engeln ist es nur der Mensch, der die Gabe des Wortes hat. Es ist also ein Stück des Ebenbildes Gottes. Gott hat den Menschen zum Herrn und König der Erde gemacht; die Urkunde für seine königliche Abstammung ist das göttliche Ebenbild; zum König ist er proklamiert durch das Wort des Herrn; die Krone auf seinem Haupt ist die Vernunft und der Verstand, durch den er herrschen soll; sein Purpurmantel ist die Wahrheit und Gerechtigkeit, in der ihn Gott erschaffen, und sein Szepter ist die Sprache, das Wort, das er in seinem Mund führt. Ja, es liegt in dem Wort eine Macht. Durch Sein Wort hat der Herr einst die Welt erschaffen, durch Sein Wort trägt er alle Dinge, durch das geglaubte und gepredigte Wort von unserer Erlösung schafft er wiederum in dem Menschen eine neue Welt, durch das Wort Gottes im Menschenmund baut der Herr seine Gemeinde. So wie Gottes Wort kein leerer Hauch, sondern eine Kraft und eine Macht ist, wodurch Gott wirkt, so ist auch das Menschenwort eine Kraft, durch die ein Mensch auf den andern wirkt; durch die Worte eines Menschen werden erst seine Taten verständlich und gedeutet. Ja eine große Gewalt hat der Herr dem Menschen im Wort gegeben. Das Wort ist nicht ein bloßer Hauch, der in der Luft verweht; ein Wort eines Menschen ist eine Tat, die er tut.
Das Wort eines Menschen hat auch eine Schöpferkraft in sich. Die heilige Schrift weiß das Wort des Menschen wohl zu schätzen, wenn sie sagt: „Ein Wort geredet zu seiner Zeit ist wie goldene Äpfel in silbernen Schalen.“ So kann eines Menschen Wort wie süßer Balsam die Wunden in deinem Herzen heilen, es kann dich aufrichten, wie der Tau eine welke Blume; es kann wie ein Hammer dein hartes Herz zerschlagen. Es kann in dein Herz fallen wie ein Feuer, das dich entzündet und entflammt zu Taten für den Herrn und deinen Nächsten. Aber dasselbe Wort hat auch eine zerstörende Kraft durch ein Wort kannst du in einen Menschen, der ruhig und still ging, einen Pfeil senden, und weißt nicht, wie sehr er ihn verwundet, wie weit er fliegt -kannst ihm seinen Frieden rauben, die Tränen aus seinen Augen locken, kannst verwunden mit dem Wort bis auf den Tod, kannst die Ehe brechen mit dem Wort, kannst ihm sein Gut rauben und stehlen, seinen guten Namen und seine Ehre, kannst einen Menschen an den Bettelstab, in Jammer und Elend, in den Tod bringen; Alles mit einem Wort. Ist da das Wort also nur ein bloßer Hauch? oder ists nicht vielmehr so, wie Jakobus sagt: „Durch die Zunge loben wir Gott und durch sie fluchen wir dem Menschen, der nach Gottes Bild geschaffen ist!“ Die Zunge ist ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an? Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. „Also ist die Zunge unter unseren Gliedern, und befleckt den ganzen Leib, und zündet an allen unseren Wandel, wenn sie von der Hölle entzündet ist.“ Ja, es spricht die ewige Wahrheit, in deren Mund nie ein Betrug erfunden: „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“
Um solcher Macht des Wortes willen hat der Herr sein Gebot gegeben: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden.“ Denn er will dich und deinen Nächsten bewahren vor deinem und seinem Mund, dass keinem Leid geschehe. Wahrlich, tausendfachen Grund hat der Herr dazu, denn die Versündigung am Nächsten durch das Wort ist mancherlei - wir fragen darum:
Geliebte Freunde! Mit diesem Gebot verbietet der Herr zunächst einmal alle Unwahrhaftigkeit. Diese Unwahrhaftigkeit hängt dem ganzen Menschengeschlecht an, wie die Schrift sagt: „Alle Menschen sind Lügner.“ Alle Eltern, die offene Augen über ihre Kinder haben, bezeugen es aus der Erfahrung. - Aber es war einst nicht so, sondern Gott hat den Menschen aufrichtig geschaffen - aufrichtig und wahr, wie ER selber ist; denn Gott ist die Wahrheit, d. h. in Ihm ist kein Zwiespalt, sein Wesen, sein Wort, sein Tun ist Eines, ist heilig. Es ist kein Zwiespalt zwischen seinem Wort und seinen Gedanken, darum kommt aus ihm nur Wahrheit; „Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue. Was Er zusagt, das hält Er gewiss.“ Die Lüge aber ist nicht aus Gott, sondern „von dem Teufel, der ein Lügner ist von Anfang, und ein Vater derselbigen.“ Durch die Lüge im Paradies: „Sollte Gott wohl gesagt haben“ - und durch die weitere: „Ihr werdet mit Nichten des Todes sterben“ hat er einen Zweifel und Zwiespalt in den Menschen gegen Gott geworfen, der Mensch ist in die Lüge eingegangen und seitdem lügt er: denn nun ist der Mensch selbst zwiespältig in sich geworden. Wir fühlens alle, dass wir es sind, dass nicht nur unser Mund mit den Worten, sondern auch unser Auge mit seinem Blick, unsere Hand mit ihrem Gruß, dass der ganze Mensch unwahr geworden; dass ein Zwiespalt zwischen unserem inneren und äußeren Wesen da ist, und darum nennt uns die Schrift „Lügner.“ So wie wirs Gott gegenüber sind und vor Ihm anders scheinen wollen, denn wir wirklich sind; so sind wirs auch den Menschen gegenüber, nicht nur mit unseren Worten, sondern auch mit unserem ganzen Wesen. Darum sagt man auch von einem Menschen, der nicht gerade zu lügen braucht: „dieser Mensch ist unwahr.“
Da siehe einmal in dich selbst hinein, wie viel falsch Zeugnis du über dich selbst redest und wie unwahr du bist über dich und deine Gesinnung. Dein Lügen deckt dir das Gebot zunächst auf. Die Lüge - wer kennt sie nicht? Sie liegt so tief in unseren Herzen! Zaghaft tritt sie aus dem Kind hervor, leise und still wagt sie sich, wie eine tückische Schlange heraus aus dem Herzen, das hin und her die Gedanken gehört, die sich anklagten oder entschuldigten. Erst überführt die Röte im Angesicht, der wirre Blick, die bebende Lippe gar gewaltig das Kind von der Unwahrheit; aber wie bald wirft die Lüge diese Scheu ab, wie schnell ist die Schamröte verloren! Wie ein Schmuggler im Anfang bebenden Herzens mit seiner verbotenen Ware über die Grenze zieht, und später ein Meister wird und ungescheut hinüber geht; so zicht auch das Wort mit dem Lügeninhalt erst bebend, dann frech über die Grenze der Lippen. Im Lügenhandwerk ist man bald Meister. - Da wird gelogen, um einer Schuld los zu sein, das heißt ein Loch graben und ein anderes zudecken; ein Anderer lügt, weil er durch die Lüge Etwas zu erringen meint; er lügt im Handel, verschwört sich hoch und teuer noch dazu, dass er eine Ware nicht andere geben könne und am Ende gibt er sie doch. Ein Anderer lügt aus Gewohnheit, er kann fast nicht mehr anders. Gibts doch Leute, die am Ende selbst glauben, was sie erlogen haben.
Und dort höre ich Einen, der da sagt, dass er aus Not lüge, und hält solche Lüge für erlaubt. Meine Teuren, gibts eine Notlüge, die erlaubt wäre? Nie und nimmermehr, so wenig es einen Notmord oder Notdiebstahl gibt. Wer da sagt, dass er aus Not lüge, der kennt seinen Gott nicht. Es heißt nicht: Lüge die Leute an in der Not, sondern: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Durch die Lüge stürzt du dich immer tiefer in die wahre Not hinein.
Noch anderer Lügen lasst mich gedenken, die unter euch so alltäglich im Schwang gehen. Es sind die vielen Anstandslügen, die du in einer Gesellschaft redest, die dir so leicht von den Lippen fließen, während dein Herz nichts dabei denkt; sagst wohl zu manchem Menschen: es habe dich gefreut, ihn kennen gelernt zu haben, wenn du ihn entweder gar nicht hast kennen lernen, oder dich auch nicht darüber gefreut hast. Oder machst Worte, und bist auch der heillosen Ansicht jenes Staatsmannes, dass man die Sprache und die Worte habe, um seine Gedanken zu verbergen. Oder es legt dir die Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit andere Worte in den Mund, als dus denkst und fühlst, wie es Petro in Antiochien geschah; oder du suchst einen zu fahen1) mit Schmeichelei und süßem Wort und denkst, man dürfe da auch ein Wort über die Not und die Wahrheit hinaus sagen - „die Welt wolle doch einmal betrogen werden.“ Das ist wohl wahr, aber das ist nicht wahr, dass du mithelfen sollst, sie zu betrügen; das überlasse du getrost der Welt und ihren Kindern. Gottlob, manchem Christen hat das Herz schon geschlagen bei solchen Schmeichelworten und die Röte auf dem Angesicht hat ihn Lügen gestraft, oder der Herr hat ihn mitten im Satz stecken bleiben lassen. Aber lass dir auch nicht schmeicheln; bedenke, die Schmeichler sind, wie die Schwalben, die nur so lange bleiben, als schön Wetter ist, Sonnenuhren, die gehen, so lange die Sonne scheint und Blutegel, die abfallen, wenn sie sich satt getrunken haben. Gar leicht wirst du dann auch gereizt zu ähnlichem Gegendienst. „Judas Kuss und Joabs Treu werden alle Tage neu.“ Sprich nicht falsch Zeugnis über dich, indem du dich überall herausstreichst mit deinem Ich und dem, was du getan; übertreibe und prahle nicht mit deinen großen Taten und sprich lieber: „Ich bin, wenn ich Alles getan, was mich die Leute hießen, ein unnützer Knecht gewesen,“ und mit Paulo: „Ich will mich am liebsten meiner Schwachheit rühmen.“ Wie der Herr diese Wahrhaftigkeit von jedem gegen sich selbst und den Nächsten verlangt im Wort und Wandel, wie du dir nicht durch Lügen einen bessern Namen machen sollst, als du wirklich hast, so sollst du auch über deinen Nächsten wahr sein. Da lehrt denn der Katechismus: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, nicht afterreden oder bösen Leumund machen; durch alles solches Tun wird der gute Name deines Nächsten angetastet.“
Der gute Name eines Menschen ist ein hohes, wertes Gut. Es ist der Bote, der dem Menschen die Stätte bereitet, da er wirken kann. Ohne den guten Namen ist eines Menschen Wirksamkeit gebrochen oder gelähmt, mag er einen Stand haben, welchen er will. Jeder Geistliche, jeder Vorgesetzte, jeder Hausvater, jeder Knecht und jede Magd bedarf des guten Namens, wenn sie anders wirken wollen. Drum sagt auch die Schrift: „Ein gut Gerücht ist besser, denn großer Reichtum,“ und der Apostel ruft: „Es wäre mir lieber, ich stürbe, denn dass mir Jemand meinen Ruhm sollte zunichte machen.“ Zum guten Namen aber gehört nicht, dass man etwa ein berühmter Mann sei; sondern der gute Name ist nur dann gut, wenn er vor dem Herrn gilt, das heißt, wenn ein Mensch aufrichtig vor seinem Gott wandelt und nach seinem heiligen Willen einhergeht in aller Ehrbarkeit und Treue. So schwer aber ein guter Name erworben wird, so schnell ist er auch verletzt. Ein böses Wort kann einen Flecken auf ihn werfen, der nicht mehr heraus geht. Darum verbietet der Herr alles falsche Zeugnis wider den Nächsten in Lüge und Verrat und anderer böser Rede.
Dahin gehört zuerst das falsche Zeugnis vor Gericht. „Falsch Zeugnis“ wird da gegeben, wo man vor Gericht hintritt als ein falscher Kläger, mit falscher Beschuldigung, mit frecher und kecker Stimme die Unwahrheit behauptet oder eine Schuld ableugnet und den Nächsten zum Lügner erklärt. Das wurde ja namentlich früher als eine feine Klugheit gerühmt, nichts zu gestehen oder möglichst dem Andern den Eid zuzuschieben. Falsch Zeugnis wird gegeben, wo man auftritt wie die falschen Zeugen wider Jesum und Stephanum, Worte aus dem Zusammenhang herausreißt und gegen den Andern benützt. Falsches Zeugnis wird da gegeben, wo man mithilft, vielleicht aus Furcht oder durch Bestechung gereizt, gegen einen Unschuldigen zu zeugen; wo man das Recht verdreht, aus Gunst oder Hass mit falscher Waage in seinem Richterspruch wägt und nicht gedenkt des Wortes: „Verhört eure Brüder, und richtet recht zwischen Jedermann und seinem Bruder und seinem Fremdling. Keine Person sollt ihr im Gericht ansehen, sondern sollt den Kleinen hören, wie den Großen, und vor Niemandes Person euch scheuen. Denn das Gerichtsamt ist Gottes.“ 5 Mos. 1,16-17. Das sind goldene Worte über jeden Gerichtssaal zu schreiben.
Aber auch da, wo man eine Sache, von deren Ungerechtigkeit man innerlich überzeugt ist, dennoch führt um schändlichen Gewinnes willen und durch schlaue Künste gewinnt, ist man Dieb und falscher Zeuge zugleich.
Wir sollen unseren Nächsten nicht verraten, sagt der Katechismus. Es gibt Leute, die die heillose Kunst verstehen, namentlich arglose Leute unter dem Schein lebhaften Interesses auszuhorchen, sie verlocken, sich auch zu äußern über Andere und dann damit hingehen und es dem Andern wieder sagen. Es gibt Leute, die, wenn sie eine Zeit lang mit Andern Freund waren und dann auseinander gekommen sind, nun Ales verraten, was sie von ihnen gehört und aus Rache die ehemaligen Freunde ausliefern, ja manchen Freund in der Zeit der Not verraten. Dazu gehört auch alles Verraten der Geheimnisse, wenn es auch unter dem Wort: „Verschweige es ja!“ ginge; Alles geheime Angeben, alle Intrige, die man gegen Einen spinnt. Ein Verräter ist ein schändlich Ding, selbst ein edler Feind muss ihn verachten. O blicke Jeder in seinen Stand und in sein Herz. Wie groß ist solcher Verrat! Siehe wie Dienstboten ihre Herrschaften, Beamte ihre Vorgesetzten verraten, wohl gar, um ihre Stelle zu erhalten! wie dunkel und schwarz siehts da aus! „O mache aus deinen Ohren ein Grab!“ Damit soll keineswegs gesagt sein, dass wo du etwas von Jemanden hörst, was zum Schaden Anderer wird, zudecken und zu allen Bubenstücken schweigen sollst, und erst warten, bis aus dem Feuer ein Brand geworden, sondern hier wird das falsche Herz angesehen, das den Verrat treibt.
Ebenso verbietet der HErr das afterreden und bösen Leumund machen. Siehe da rechte Zeitsünden. Dieses Reden von bösen Dingen über andere Personen, die man denselben öffentlich zu sagen nicht den Mut hat; diese Bereitwilligkeit richtet der Herr hier, alles Böse von Andern zu glauben und immer die schlimmsten Absichten bei ihrem Tun unterzulegen und gleich das Ärgste zu vermuten. Wie leicht bestätigst du einen Verdacht, wenn du gleich sagst: „ich will aber nichts gesagt haben!“ du kannst es tun durch ein Lächeln, durch ein bedeutsames Schweigen, durch ein übertriebenes Lob. Du willst nicht einmal zuvor den Andern hören, was doch jener König Alexander tat, der als ihm über Einen geklagt wurde, das andere Ohr zuhielt, und sagte: „das muss ich aufheben für den Beklagten“ und das war ein Heide! Merke, was das Volk sagt:
Eines Mannes Red ist keine Red,
Man muss sie hören alle Beed!
Siehe das Splitterrichten, das schadenfrohe Hervorziehen der Fehler des Andern und das Sichfreuen, Etwas gefunden zu haben, was man mit Recht etwa tadeln könnte; wobei man die guten Seiten des Nächsten vergisst oder sie auch schwarz macht, damit das eigene Licht desto heller leuchte. Dazu gehören die bösen Klatschereien, dadurch Freundschaften zerstört, Familien hintereinander gebracht, christliche Freunde auseinanderkommen; denn leider muss ich es sagen: es gibt nicht nur weltliche Klatschereien, es gibt auch fromme Klatschereien, in denen man sich über das Christentum Dieses und Jenes unterhält, seine Gesinnung und sein Wort verdächtigt und bei den christlichen Brüdern in Misskredit bringt. O, Liebe Freunde, was wird da zusammengesündigt! Hinter allen Versündigungen aber steht der heilige Gott, der alle Worte hört, und Rechenschaft von jedem unnützen Wort begehrt! Wir fragen noch:
Der Katechismus sagt: Ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren in Gericht und allen andern Handlungen die Wahrheit lieben und aufrichtig bekennen, und des Nächsten Ehre und Glimpf nach unserem Vermögen retten und fördern.
Geliebte! der Herr hat uns das Wort als eine Kraft und Macht gegeben. Wie wir sie gegen den Nächsten wenden können, ihn zu verwunden, ihm und seinem Namen zu schaden, haben wir gesehen; die rechte Erfüllung dieses Gebotes verlangt nun, dass wir unsere Stimme für den Nächsten erheben; dass wir unser Wort als einen Schild für ihn aufheben, um seine Ehre und guten Namen zu schützen. Denn mit Schweigen ist nichts getan. Wie man morden kann durch mitleidloses Vorübergehen am Elenden und stehlen kann durch Zusehen, so kann man auch falsch Zeugnis geben durch Zuhören. „Der Verleumder hat den Teufel auf der Zunge, und wer ihm zuhört, der hat ihn im Ohr.“ Ein altes Sprichwort sagt: „Wer schweigt, stimmt zu.“
Am besten ists, wenn man euch kennt als Leute, denen man gar nicht mit Verleumdungen und bösen Reden über Andere kommen darf, wenn ihr gleich durch euern Blick schon euer ganzes Missfallen daran bezeugt. Hört ihr aber dennoch, wie vor euren Ohren Lügen über euren Nächsten geredet werden, dann schweigt nicht, macht euch auf und straft mit ernstem Wort die Lügner. Ja, wenn ihr über euren Feind eine Unwahrheit hört, so steht für ihn ein. Was hindert euch nicht offen für einen Freund, (geschweige denn für einen Feind) zu reden? Besteht es offen! Es ist oftmals ein geheimes Wohlgefallen, dass auch an ihm Flecken gefunden werden, es sagt leise eine Stimme zu euch: Gottlob da bist du doch besser. Wenn aber das, was Jemand wider Einen sagte, Wahrheit wäre, was sollten wir denn tun? Sollen wir denn alles gutheißen? Gewiss nicht. Wehe denen, die Finsternis Licht, und Licht Finsternis, die aus Sauer Süß, und aus Süß Sauer machen! Ihm selber aber sage die Wahrheit frei und offen. Wenns ein Mann ist, der über dir steht, so lerne vom Propheten Natan, der dem Könige seinen Ehebruch und sein Urteil vorhielt, der es aber tat in aller Weisheit und den König selbst sich das Urteil sprechen ließ. „So läutert die Liebe wohl durch ihr Wort einen Menschen und einen Freund, aber sie verwirft ihn nicht, wie der Goldschmied das Silber wohl reinigt, aber doch nicht verwirft.“ Aber vor Andern sollst du ihn entschuldigen. Das heißt nicht die Sünde leugnen, die er getan, aber was zu seiner Entschuldigung, zur Milderung seiner Tat beibringen kannst, sagen. Dort hängt ein Mann zwischen Himmel und Erde, schaut Ihn an! Wer hätte mehr das Recht gehabt, anklagend seine Stimme gegen seine Mörder zu erheben, denn Er? Und dennoch bittet Er: Vater, vergib ihnen! und in unendlicher Liebe fügt er entschuldigend hinzu: „denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Und du, mein Christ, und du? Dort steht Petrus nach dem Pfingstfest, der Mann, der das Schwert für seinen Herrn gezogen hatte in der Nacht und im fleischlichen Eifer drein gehauen - voll des Geistes, der mit seinem Feuer jenes unheilige Feuer verzehrt hatte und spricht: „Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihrs unwissend getan habt, wie auch eure Obersten.“ Siehe, das heißt entschuldigen.
Übt solche Entschuldigungen namentlich bei denen, die vorher in Ehre und Macht gestanden; die selten die Wahrheit über sich gehört haben. Es gibt solche gefallene Größen, über die dann alle die herfallen, die einst nach ihrem Mund geredet haben. Daran habe du keinen Teil. Sondern tue deinen Mund für sie auf.
Du kannst ferner mit deinem Wort für deinen Nächsten einstehen, wenn du Gutes von ihm redest. Wie der Verleumder und Ehrabschneider alles Unrechte, alle Fehler des Nächsten hervorkehrt, so kehre du das hervor, was Gutes an ihm ist. Du wärst doch auch froh, wenn in einer Gesellschaft, in der du hinter deinem Rücken hart mitgenommen wirst, Jemand für dich aufstände und liebevoll deine guten Seiten hervorhöbe und anerkennte! nun, tue dasselbe dem Andern auch. So tritt Jesus für Johannes den Täufer auf, so Barnabas für Paulum: so redet in tiefer Selbstverleugnung Jonatan rührend für den verfolgten David. Er der Thronerbe für den, der an seiner Statt König sein soll, wie geschrieben steht: „Und Jonatan redete das Beste von David mit seinem Vater Saul und sprach zu ihm: „Es versündige sich der König nicht an seinem Knecht David, denn er hat keine Sünde wider dich getan und sein Tun ist dir sehr nütze. Und er hat sein Leben in seine Hand gesetzt und schlug den Philister. Das hast du gesehen und dich des gefreut. Warum willst du dich denn an unschuldigem Blut versündigen, dass du David ohne Ursache tötest?““ Siehe, das heißt „Gutes vom Nächsten reden,“ auch wo es gegen den eigenen Vorteil geht. Wo du aber nichts Gutes sagen kannst, da schweige wenigstens. Das rechte Schweigen ist auch eine Kunst.
„Reden lernen die Kinder in kurzer Zeit, Schweigen lernt einer sein Lebtag nicht.“ Durch solches Gutes Reden vom Nächsten wird gar mancher Entfremdung zwischen Freunden gesteuert, ja auch manche Feindschaft zwischen Leuten in Frieden verwandelt. Das sind die friedfertigen Leute, die der Heiland selig preist. Solch eine Friedensstifterin war Monika, jenes ausgezeichnete Weib, von dem wir schon mehrmals geredet haben. Wenn sie zwei Frauen in Feindschaft mit einander wusste, ging sie zu der einen und redete mit ihr von der andern, und zwar so lange, bis sie aus ihrem Mund etwas Gutes über ihre Feindin vernahm. Mit diesem Wort ging sie zur Andern und sprach mit ihr über die Erstere, und ließ auch das einfließen, was jene Gutes über sie gesagt. Meistens verwunderte sich der eine Teil und bot dem andern die Hand zur Versöhnung.
Siehe, das ist rechter Gebrauch der Zunge und des Wortes. Welchen Segen könnte dieselbe Zunge stiften, die so viel Unheil anrichtet!
Das letzte, was du tun kannst, ist, dass du mit deinem Worte suchst alles zum Besten zu kehren.
Im Menschen, dessen Dichten böse ist von Jugend auf, liegt eine tiefe Lust, bei der Handlung eines Menschen immer die schlimmste Absicht anzudichten. Unwillkürlich verfällt er darauf, die fernliegendste Absicht als die nächste anzusehen. Seine eigene Taten, seine schlimmsten sogar, sucht er immer zum Besten zu kehren, aber die seines Nächsten sucht er von der schlimmsten Seite aufzufassen. So manches, sagt ein teurer Mann, lässt sich von zwei Seiten anschauen und auslegen, gut oder böse, wie man will. Es ist oft nur um ein falsches oder getreues Herz zu tun, dass man einen Menschen sparsam oder geizig, verschwenderisch oder wohltätig, heuchlerisch oder fromm, hart oder gerecht nennt. Die Liebe glaubt auch hier Alles, und kehrt es zum Besten; - nimmt das Beste an, so lange bis sie ganz vom Gegenteil überzeugt ist. So ringt Abraham mit dem Herrn um Sodom und Gomorrha und fleht und bittet für die Gerechten, die darinnen sind.
So argwöhnt auch die Liebe nicht immer das Schlimmste.
Als Luther vor dem Reichstag stand, vom langen Sprechen fast einer Ohnmacht nah, schickte Herzog Erich von Braunschweig ihm einen frischen Trunk zu in einer silbernen Kanne mit dem Bedeuten, sich daran zu erquicken. Ängstliche Freunde redeten ihm zu Gehör, der Herzog sei sein Feind und es könne Gift in dem Trunk sein. Luther aber nahm, trank und dankte: „Wie Herzog Erich mein jetzt gedacht hat, so gedenke Gott sein in seiner letzten Stunde!“ - und mit Freuden erinnerte sich der gute Herzog später dieser Worte auf seinem Sterbebett.
Nun siehe! Welch eine Macht ist dein Wort! Wohl dir, wenn du einen seligen Gebrauch davon machst. Ja einen seligen Dienst kannst du deinem Nächsten leisten mit deiner Zunge, mit deinem Wort; und zwar je höher du stehst, desto mehr. Zugleich aber auch je höher deine Stellung im Leben, je mehr dein Wort gilt und wiegt, desto gewaltiger ist die Verantwortung, um so mehr wiegt es in der ewigen Waage. Jedes deiner Worte ist eine Tat vor dem Herrn - das bedenke. Bitte um ein wahrhaftiges Herz, um ein wahrhaftiges Wesen, um wahrhaftige Lippen. Es ist ein Zeichen hoher christlicher Vollendung, wenn Jemand dies Gebot halten kann, und in keinem Worte fehlt; nur Eines geht darüber, dass man auch in keinem Gedanken fehle. Das will dir das folgende Gebot sagen. Suche indes den König der Wahrheit, in des Mund kein Betrug erfunden, der auch dich wahr machen will! So du aus der Wahrheit bist, so hörst du eine Stimme! Amen.