über Matth. 11,2-11.
1840.
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen! Amen.
In dem Leben eines jeden Christen, mag über ihm noch so freundlich und hell die Sonne des Glückes scheinen, mag Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich vereinigen, seine Seele zu erquicken, mag er noch so treu auf den Wegen seines Gottes und in der Liebe zu seinem Erlöser und in der Zucht des heiligen Geistes erfunden zu werden sich bestreben, kommen doch auch Tage und Stunden, wo die Stürme der Zeit den Himmel seines Lebens trüben und den Frieden seines Herzens bedrohen, wo die Gewalt der Versuchung der Treue und dem Eifer im Werke der Heiligung also nahe tritt, dass Zittern und Zagen anhebt, ob er auch die Versuchung überwinden möchte zur Ehre seines Gottes und zum Heile seiner Seele. Mit allem Rechte nennen wir solche Stunden unsers Lebens die dunkeln Stunden desselben. Denn dunkel um uns und in uns ist es, wenn die Krankheiten des Körpers uns heimsuchen und wir nicht wissen, ob Gott uns von ihrer Gewalt erretten und den Unsrigen uns erhalten werde oder nicht. Dunkel ists, wenn wir die Unsrigen leiden sehen müssen unter den Schmerzen eines siechen Körpers, wenn der Zeiger an ihrer Lebensuhr still steht und bald die Glocken ertönen, dass wir sie auf ihrem letzten Wege begleiten. Dunkel ists, wenn unverdiente Kränkungen, wenn der Hass, der Neid, die Falschheit und die Unredlichkeit unsrer Brüder unsere Herzen verwunden. Dunkel ists, wenn unsre Arbeit nicht gelingen will, wenn der Segen eines treuen Arbeiters zu lange ausbleibt, wenn die Sünden der Welt wohl gar die Freude einer reichlichen und gesegneten Ernte uns verkümmern. Dunkel ists, wenn unsre eignen Schicksale und die Schicksale der Unsrigen unsre Wünsche und Hoffnungen bedrohen, wenn ihre und unsre Wege nicht auch Gottes Wege, und Gottes Gedanken nicht auch unsre Gedanken sind. Dunkel ists, wenn unser Glaube an Gottes Weisheit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit zu wanken, unsre Liebe zu ihm zu erkalten und unser Vertrauen auf ihn zu sinken anfängt. Dunkel ists, wenn Fleisch und Blut, Welt und Herz zusammentreten, um die teuersten und uns sonst so sicheren Güter unsers Glaubens, unserer Liebe und unsrer Hoffnung streitig oder zweifelhaft und ungewiss zu machen und wenn so die einzigen und sichern Leitsterne in unserm Leben erbleichen in ihrem Glanze.
Wie sollen wir uns nun in solchen Stunden verhalten? Welchen Weg sollen wir gehen, dass wir das Ziel nicht verfehlen? Welches Mittel ergreifen, wodurch wir die Dunkelheit solcher Stunden verscheuchen und das Licht des Tages heraufführen können? Zu wem uns wenden, dass er seine Hand uns reiche und uns verhelfe durch das Tal der Trübsal auf den Berg, wo Hilfe, Kraft und Trost uns entgegenkommen? Unsre heutigen Textesworte zeigen uns den Weg, das Mittel und die Hand, nach denen wir unsre Hand ausstrecken und unsre Augen hinwenden müssen, um auch in den dunkeln Stunden unsers Lebens uns erweisen zu können als treue Freunde Gottes. Gott segne dazu unsre Betrachtung!
Text. Matth. 11, v. 2-11.
„Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zween, Und ließ ihm sagen: Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johanni wieder, was ihr seht und hört: Die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes? Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wollt ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wollt ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ists, von dem geschrieben steht: Siehe, Ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll. Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei, denn Johannes, der Täufer; der aber der kleinste ist im Himmelreich, ist größer, denn er.
Einen treuen Freund Gottes, der da verordnet war, dem Erlöser den Weg zu bereiten und seine Steige richtig zu machen, und von dem Christus selbst zeugte, dass er höher stehe als alle Propheten, finden wir heute im Gefängnis. Der Eifer für die Ehre seines Gottes; das freie und ungeschminkte Wort der Wahrheit: „Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Weib hast,“ und nichts anderes hat ihn an diesen Ort gebracht. Was mochte da in dem Herzen dieses treuen Zeugen für Gottes Ehre und Wahrheit vorgehen? „Du hast die Befehle Gottes bisher treu ausgerichtet und sein Wort freudig verkündigt; für seine Ehre hast du ritterlich gekämpft und seine Wahrheit bekannt vor der Welt; und doch hat sich Gott deiner nicht erbarmt, als du um Rettung aus der Tyrannen Händen flehtest. Ach vielleicht hat er deiner ganz vergessen und versäumt! Dem in die Welt gekommenen Heiland, worauf die Väter schon hofften, hast du den Weg bereitet und wie sich der Freund des Bräutigams freut über dessen Stimme, so ists die Freude, dass das Reich des Heilandes zunimmt, während das deinige abnimmt. Und doch tritt der Heiland nicht bestimmt genug mit der Macht und Würde eines Messias hervor, sein Leben in Niedrigkeit und Armut ist dem Glauben an ihn ein Ärgernis. Ach vielleicht ist er nicht, der da kommen sollte, vielleicht müssen wir eines andern warten, vielleicht ist die Zeit der Erfüllung unserer Wünsche und Hoffnungen noch in ferner Zukunft.“ Solche und ähnliche Gedanken mochte er wohl bewegen in seinem Herzen; solche und ähnliche Gefühle mochten sein Gemüt bestürmen. Stunden der Dunkelheit und der Finsternis waren über seinem Leben aufgegangen.
An uns ist es nun, auf ihn zu achten, wie er sich in dieser Dunkelheit seines Lebens verhält; an uns ist es, von ihm zu lernen, wie auch wir uns verhalten müssen in den dunkeln Stunden unsers Lebens, wenn wir auf den Ruhm eines treuen Freundes Gottes rechnen wollen. Zu dem Ende lasst uns jetzt
die Botschaft der Johannesjünger an den Herrn zum Gegenstande unserer Betrachtung machen und zwar zuerst
Johannes hörte auch im Gefängnisse von den Werken des Herrn, dass er die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Lahmen gehend, die Stummen redend, die Aussätzigen rein und die Toten lebendig gemacht habe und dass das Evangelium den Armen gepredigt werde, und dass Jesus der verheißene Erretter des menschlichen Geschlechts sei, das war ihm bisher außer allem Zweifel gewesen, also dass er alle seine Kräfte und seine Zeit in dem ihm gewordenen Berufe aufwendete, dem mit Jesu eintretenden Himmelreiche die Bahn zu brechen. Dass nun aber Jesus seine göttliche Macht nur gebrauchte, um menschliches Elend zu lindern, wo und wie es ihm auch begegnen möchte, dass Jesus absichtlich alle eigene Ehre verachtete und alles äußere Ansehen vermied, dass kein Schimmer von Hoffnung in die dunkle Stätte seines Kerkers leuchtete, wie sein Volk und er selbst aus den Händen schwacher und gottloser Fürsten befreit und das Joch einer fremden heidnischen Oberherrschaft zerbrochen werden könnte, das alles konnte er nicht zusammenreimen mit der Verheißung der glücklichen und seligen Zeit, die mit dem Eintritte des Messias aufgehen sollte; das alles häufte einen Berg voll Zweifel und Bedenken auf, über den er nicht hinweg kommen konnte; das alles führte ihn in eine Dunkelheit, aus der er selbst sich nicht zu retten vermochte. Er wendete sich also an den Herrn selbst, und die Hände und Füße gebunden sendete er seine Jünger an ihn, dass sie ihn fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“ Das war das Anbringen der Johannesjünger.
Wie glücklich sind wir doch, meine Brüder, und wie gut ists bestellt um den Frieden unsers Herzens auch in den dunkelsten Stunden des Lebens! „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“, eine solche Frage brauchen wir nicht erst zu tun. Wir wissen es, dass in Jesu Christo die Hoffnung aller Völker und die Verheißungen unsers himmlischen Vaters erfüllt worden sind. Ein Jahrhundert hat es dem andern und ein Geschlecht hat es dem andern verkündigt, dass Jesus Christus der Grund ist, auf welchem das Heil unsrer Seele im Leben und Sterben fest gegründet stehe, dass alle, welche an ihn glauben, nicht verloren gegangen sind, sondern dass sie das ewige Leben ererbt haben, dass Alle, welche bei ihm um Rat gefragt in den Dunkelheiten ihres Lebens, hindurchgedrungen sind durch die Sorgen und Zweifel zum Licht, dass Alle, welche das Wort verstanden: „ohne mich könnet ihr nichts tun,“ kräftig und freudig ihr Tagewerk vollendet haben zur Ehre Gottes, dass Alle, welche aus seinem Worte ihre Waffen entnommen, einen guten Kampf gekämpft gegen die Sünden und Sorgen der Erde, dass er Allen, welche bei ihm und in seiner Liebe geblieben sind, mehr als Vater und Mutter gewesen ist und ihr Leben und Sterben gekrönt hat mit großer Freude und Ehre. Wir wissen, dass er auch unser Weg, unsre Wahrheit und unser Leben“ ist, dass er selbst in seinem Worte und in seiner Kirche uns täglich und stündlich zu sich ruft, damit wir erfahren möchten, dass er sei der Fürst unserer Seligkeit und der Herzog unserer Seelen. Wir preisen Gott in den Tagen der Not und der Sorgen, dass wir in Christo einen Trost haben, eine Stütze, die nicht zerbricht, eine Hoffnung, die nicht zu Schanden werden lässt, ein Licht, das nicht verlöscht, eine Freude, die Niemand von uns nehmen kann. Mögen das rum auch unter uns doch noch Viele nicht fragen nach des Herrn Weisheit, Kraft und Trost, mögen Viele dies Alles suchen bei menschlichen Ratgebern und Helfern, mögen Viele in der Tat auch noch fragen und fragen lassen, ob Jesus der verheißene Retter aus aller Not sei oder ob sie eines andern warten sollen, mögen sogar Viele es sich angelegen sein lassen, durch Aufwerfen verfänglicher Fragen, die doch zu nichts führen, und durch Auffinden mannigfacher Zweifel und Bedenken in Dingen, welche nun einmal ein Geheimnis für uns bleiben sollen, so lange wir im Lande der Unvollkommenheit leben, die Bande des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung immer lockerer zu machen, ja mögen die Worte und Taten so mancher Christen darauf hinausgehen, den christlichen Glauben in seinem Grunde zu untergraben, mag es mit einem Worte in unsern Tagen immer seltener werden, dass man erst in Gottes Worte nachfrage, ehe man etwas unternimmt oder ausspricht: wir wollen uns dadurch nicht irre machen lassen, wollen auf die Früchte achten, welche die Verächter Jesu Christi hervorbringen und wollen Gott danken, dass er uns seinen Sohn gegeben hat zum Führer und Berater in allen Lagen unsers Lebens, und diesen unsern Dank dadurch beweisen, dass wir vom Grunde unsers Herzens ausrufen: „Wohin anders sollten wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens.“
Doch welche Antwort erhalten die Johannesjünger auf ihr Anbringen? Zuerst rechtfertigt der Herr sich selbst vor dem zweifelnden Herzen des Johannes und seiner Jünger. Dass er der sei, der da kommen sollte, und dass sie keines andern warten sollten, dafür zeugten die Taten des Herrn selbst. „Geht hin und sagt es dem Johannes wieder, was ihr seht und hört. Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt,“ so antwortet der Herr, und in seiner Antwort liegt nun an den Johannes die Frage: „Was bedarf Johannes und ihr weiter Zeugnis?“ Damit verbindet nun aber der Herr auch den Ausruf: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert,“ und er meint damit nichts Anderes, als: „Selig würde Johannes auch in seiner unglücklichen Lage sein, wenn meine Art und Weise zu denken und zu handeln, wenn mein Beruf, der Armen am Geiste und am Leibe mich zu erbarmen, ihm nicht zum Ärgernis gereichte, wenn Johannes tiefer eingedrungen wäre in das Geheimnis des Himmelreichs, dessen schönste Gabe ist das Warten der Kinder Gottes, der feste Glaube, dass Gott endlich Alles herrlich hinausführen“ und die Seinen durch Trübsal zur Herrlichkeit bringen werde. Damit nun aber das um den Herrn versammelte Volk nicht irre werde an Johannes dem Täufer, der kurz vorher mit aller Begeisterung von dem mit Jesu sich nahenden Himmelreiche in der Wüste gepredigt hatte, der aber jetzt in seiner Ungewissheit fragen lässt, ob Jesus auch der verheißene Messias sei, damit er das Wort erfülle, was Einer seiner Apostel aussprach: „Ehre dem die Ehre gebührt,“ so rechtfertigt er zuletzt den Johannes und gibt ihm das bisher verdiente Zeugnis eines standhaften, ernsten und eines die Welt und ihre Freuden freudig verleugnenden Diener seines himmlischen Vaters. Dies Dreifache ist in der Antwort des Herrn enthalten.
Dies Dreifache wollen nun aber auch wir beherzigen, indem wir es in das Eine zusammenfassen: „Selig ist, der sich nicht an dem Herrn Jesu ärgert.“ Mag uns auch Vieles, was ihn betrifft, ein undurchdringliches Geheimnis bleiben, mag namentlich sein Eintritt in diese Welt und sein Ausgang aus ihr völlig die Grenzen unseres Wissens überschreiten: selig sind wir, so wir deswegen uns nicht ärgern an ihm, so wir vielmehr uns bescheiden, dass wir einst, wenn wir ihn schauen, auch darüber zur völligen Klarheit kommen werden. Mag er auch unter uns nicht mehr sichtbar wandeln, und mag auch sein Geist die Kranken unter uns nicht mehr gesund und die Toten nicht mehr lebendig machen: selig sind wir, so wir doch an ihn glauben. Ist er es doch, der die Augen unsers Geistes erleuchtet, dass sie die Wahrheit erkennen, der die Kräfte unsers Geistes und Herzens stärkt, dass auch die schweren Wege im Leben uns doch leichter werden, der die Seelen reinigt von dem Schmutz der Sünde, dass wir dem Vater im Himmel wohlgefallen; der uns fähig macht, dass wir mit Freuden trachten nach dem, „was ehrbar, keusch, gerecht und züchtig ist und was wohllautet vor dem Herrn,“ der die in ihm Sterbenden einführt zu seines Reiches Freuden und auch unsre Tränen trocknen und unsre Klagen stillen wird, bis auch wir von allem Übel erlöset werden und hinankommen zu der Gemeinde Gottes, die er sich erworben hat.
„Bleibt in mir,“ mit dieser Bitte empfing uns der Herr beim Eintritt ins neue Kirchenjahr. Siehe, Herr und Heiland, wir kommen auch heute und alle Tage zu Dir und sprechen: „Aus deiner Hand soll uns Nichts reißen, weder Freude noch Schmerz, weder Reichtum noch Armut, weder freundliche noch dunkle Stunden unsers Lebens, weder Leben noch Tod. Du gibst uns Antwort auf alle Fragen. Du bist unser Leben, und Sterben in Dir ist unser Gewinn! Amen.“