Diedrich, Julius - Der sechste Psalm.

Diesen Psalm hat David in großer Anfechtung gedichtet. Er befindet sich unter harter Verfolgung, der Feind triumphiert über ihn als einen, der am Boden liege. David empfindet solches Elend als eine Strafe Gottes für seine Sünden und fühlt sich an Leib und Seele todkrank. Dies alles klagt er nun seinem Gotte, als mit dem er allein zu schaffen habe, und nachdem er sich ausgeklagt, hat er im Glauben auch schon die Hilfe durch den heiligen Geist. Unmittelbar wird er des Sieges wieder gewiss und herrscht schon im Geiste über alle seine Feinde, obwohl er äußerlich noch in derselben Lage bleibt. Ähnlich sollen auch wir schon jetzt in aller Drangsal durch gläubiges Gebet zum geistlichen Siege kommen.

1. Ein Psalm Davids, dem Sangmeister zu Saitenspiel, nach der achten Tonart zu sehen, übergeben. 2. Ach HErr strafe mich nicht in Deinem Zorne und züchtige mich nicht in Deinem Grimme. Menschen bedrängen den Knecht Gottes zunächst, leiblich hat er zu leiden; aber wir sollen nicht auf Menschen und das äußerliche, sondern auf Gott selbst schauen, von dem ja alles kommt. Er gibt auch Seinen Kindern in mancher Art einen Pfahl durchs Fleisch, und das geschieht alles um unsrer Sünde willen, damit wir uns recht gnadenbedürftig fühlen und Gottes Vergebung über alles schätzen lernen. Wohl dem, welcher hier Gottes Zorn an sich erfährt, und sich den sein größtes Leid sein lässt. Ich muss immer sagen: Ich bin auch nicht der gewesen, welcher ich hätte sein sollen, Gott muss mein Fleisch wohl hassen und für meine Sünde strafen; doch will ich zu Ihm fliehen und Gnade von Ihm erflehen, so wird Er, der alle Macht hat, sich wieder meiner erbarmen.

3 Sei mir gnädig HErr, denn ich bin verschmachtet, heile mich HErr, denn meine Gebeine sind erschrocken. Und meine Seele ist sehr erschrocken, ach Du Herr, wie so lange? Als Beweggrund, weshalb uns Gott helfen soll, können wir in der Wahrheit nur unser großes Elend geltend machen und Seine Barmherzigkeit. Unser Gebet muss auf der Zuversicht ruhen, dass Gott uns im Grunde doch wohl will; wir müssen glauben, dass Er uns bald wieder erfreuen will, wenn Er uns nur erst genug gedemütigt hat. Und so müssen wir uns auch als tiefgedemütigte und bis ins Innerste erschütterte bekennen; hier die Schläge gering achten zu wollen ist das größte Verderben. Wer sich aber als von Gott geschlagen bekennt, der kann auch um Heilung flehen, und Gott alles sagen, wie lange er schon nach Trost schmachte.

Wende dich HErr, errette meine Seele, hilf mir um Deiner Gnade willen. Denn im Tode gedenkt man Deiner nicht, wer wird Dich in der Hölle preisen? Der heilige Sänger fleht zu Gott, Er wolle sich nun wieder umwenden und Sein grundgütiges Wesen nach langem Zürnen beweisen. Freilich Seine Gnade allein kann Ihn dazu bewegen; keine gegenwärtige oder zukünftige Würdigkeit des Flehenden. Doch weiß derselbe, dass Gott, welcher ja die Liebe ist, sich gern von Seinen Geschöpfen preisen lassen mag, und will Er das, nun so wird Er ja einen, der gern Gott in Freuden lobte, nicht ganz verzweifeln und nach dem Schiffbruche Seines Glaubens in die Hölle fahren lassen.

5 Und ich bin freilich dem Untergange ganz nahe, mein Glaube ist im Verglimmen. Ich bin müde von meinem Seufzen, ich netze in jeder Nacht mein Lager, mit meinen Tränen schwemme ich mein Bett. Es verfällt vor Unmut mein Auge, es ist alt geworden um aller meiner Dränger willen. Wenn der Schmerz lange angehalten hat, fühlt die Seele die Gefahr, dass sie dagegen abgestumpft werde, und diese wie alle Gefahren soll man Gott klagen. Der Unmut und Zorn gegen die gottlosen Feinde hat den ganzen Leib hinfällig gemacht, und dessen zum Ausdrucke ist das Auge, dieser Gradmesser unsers Wohlbefindens gar matt und farblos geworden wie eines Greises. Der himmlische Vater wird das nicht lange mit ansehen, sondern nun bald ein Ende machen. - Und da ist auch schon das Ende! Gott geht mir plötzlich mit Seinem Troste der Vergebung wieder in meinem Herzen auf. Und ist man Gottes erst gewiss, dann kann man aller Welt spotten. Weicht von mir, alle Übeltäter! bald müsst ihr finstern Wolken, die ihr mir Gottes Gnade eine Weile verdecken durftet, alle dahin fliehen: ich sehe euch schon auf der Flucht, denn der HErr hört mein Weinen, der HErr hört mein Flehen, mein Gebet nimmt der HErr an. Gott ist mir nun mit Seiner Gnade wieder gewiss geworden, und ist Gott mir gnädig, was sollen mich denn Menschen oder sonst irgend etwas, Armut oder Krankheit, noch schrecken? Es wird mir wohl noch alles dienen müssen. Wie konnte aber dem David so plötzlich so gewisser Trost im Herzen aufgehen, dass er nun bei ganz denselben äußeren Umständen so sicher triumphiert? woher wusste er denn, dass ihm Gott gnädig sein könne? Dieses Wissen ruhte ohne Zweifel auf Gottes Erweisung durch alle Jahrhunderte vor ihm: Gott hat sich als solcher sichtbar genug erwiesen, der die bekümmerten Seelen sättigt, und nun sehen wir's ja als im klarsten Bilde an Jesu Christo, der auch sagt: Er sei gekommen das verlorne zu suchen und selig zu machen, und ist darüber gestorben und auch auferstanden. Werden wir nun Seinem Leidensbilde ähnlich, so muss sich die Kraft Seiner Auferstehung auch danach an uns offenbaren, und dessen erinnert uns der heilige Geist innerlich, und wer sich dann zuvor hat den heiligen Geist strafen lassen, der wird nun auch mit festem, weltüberwindendem Glauben erfüllt.

**11. Es werden zu Schanden werden alle meine Feinde und sehr erschrecken, sie werden umkehren und zu Schanden werden plötzlich! - Gott ist mit dem, der Seine Gnade empfangen hat, so innig verbunden, dass alle Feinde des Begnadigten es mit Gott selbst zu tun haben, und so müssen jene wohl zunichte werden, wenn's mit uns auch durch noch so große Nöte und durch den Tod selbst hindurch ginge. An Jesu, dem Gnadenkönige sehen wir's, dass Er durch die tiefste Schmach und den jämmerlichsten Tod, obwohl ganz allein, doch zu dem herrlichsten Triumphe hindurch ging: Ihm nach führt aller Heiligen Weg, den man sich wohl gefallen Lassen kann. Man geht ihn aber in Freuden, wenn man täglich wieder zuerst Vergebung der Sünden hat.

Gebet. Herr! hilf uns aus allem Jammer dieser Welt und sei Du uns nur gnädig, dass wir Deiner Vergebung gewiss, alles Ungemach geduldig tragen und in die ewigen Friedenshütten hineinblicken können: durch Jesum Christum. Amen.