„Er wird sterben, daß er sich nicht will ziehen lassen.“ Spr. 5. Wie es nichts lieblicheres und angenehmeres gibt, als das Leben, so gibt es nichts schrecklicheres und traurigeres, als den Tod. Mit dem Tode hat uns mitten im Paradiese unser Urvater Adam versorgt; das Leben hauchte uns Gott ein, als er den Menschen nach seinem Bilde und Gleichniß schuf. Dies Ebenbild ist schon nach seiner äußerlichen Seite sehr schön und aufs Beste geordnet. Wir finden an ihm zuerst das Haupt, die Burg des ganzen Leibes und der Sitz der Vernunft; sodann die Augen, die hell und klar die Bilder dieser Welt abspiegeln; hernach Ohren, Nase, Mund, Arme, Hände, Füße. Das alles ist in dieser wunderbaren kleinen Welt auf die wunderbarste und beste Weise eins zum andern gefügt und geordnet, daß man sagen kann, in dem so kleinen Leibe liegen eben so viele als große Wunder beschlossen.
Der köstlichste Theil aber, der all das Genannte bewegt und regiert, das ist die Seele, das Leben des Leibes, das Gott uns eingehaucht hat; und dieses Lebens Leben ist Gott, der durch niemand anders lebt, als durch sich selbst und von sich selbst. Nimm die Seele aus dem Leibe und der Leib wird sterben; nimm Gott aus der Seele, und die Seele wird sterben. Unselig die Seele, aus der Gott hinweggenommen wird. Wollt ihr wissen, wann er der Seele genommen wird? Im Buch der Weisheit steht geschrieben: „Verkehrter Dünkel entfernt von Gott.“ Und: „Der Heilige Geist der Zucht fleucht vor Falschheit, und weichet vor thörichten Gedanken, und wird erprobt, wenn die Ungerechtigkeit ihm nahen will.“ Was für das Leben des Leibes die Seele ist, das ist für das Leben des Christen die Zucht. Denn wie ein Leib, aus dem die Seele entweicht, kraftlos zusammenfällt, so muß nothwendiger Weise das christliche Leben zu Grunde gehen, wenn die Zucht verfällt, So wollen wir uns beharrlich in Zucht und Ordnung halten, das ist hochwichtig für unser Leben. Hierauf laßt uns jetzt ein wenig tiefer eingehen. Am Anfang, als Gott diese weite Welt schuf, hat er ihr die Zucht und Schranke seiner Gesetze auferlegt. Leset das erste Kapitel der Schrift und ihr werdet finden, wie er Himmel, Erde und alles andere in Zucht und Ordnung brachte. Er schuf Ordnung durch sein Wort. Er sprach: Es werde, und es ward, was werden sollte. Der Himmel gehorchte, er bringt uns zu den bestimmten Zeiten sein Licht. Die Erde gehorchte, sie gibt uns zu ihrer Zeit ihre Frucht. Die Thiere des Feldes, die Vögel, die Fische gehorchten, die thun, was sie sollen. Nur der arme Mensch, was that der? Höret das Gesetz, das der Schöpfer unsern ersten Aeltern zur Zucht auferlegt, und laßt uns zusehen, was der Mensch hat. Gott sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; aber von dem Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses sollst du nicht essen. Denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben. Das war die Zucht, der damals unsere Vorältern unterworfen wurden. Adam, Adam, siehe zu, daß du die Zucht wohl bewahrest, und über uns nicht großes Unheil bringen. Aber was geschah? O Jammer! Adam wich vom Gesetz, er aß, und brach die Zucht; darum kam der göttliche Zorn über uns. Siehe doch, wir müssen Alle sterben und wie Wasser in die Erde verschleifen. Der Tod des Leibes, das ist der erste Tod. Auch die Seele hat ihren Tod, das ist der andere Tod, der um so viel schlimmer ist, als die Seele besser ist denn der Leib. Steht nicht geschrieben: Er wird sterben, daß er sich nicht will ziehen lassen? Merket wohl auf: die Zucht ist das Leben der Seele, nach jenen Worten in den Sprüchen: „Die Zucht bewahren ist ein Weg des Lebens.“ Und: „Halte die Zucht fest und laß sie nicht fahren, denn sie ist dein Leben.“
Liebe Seele, die du nach dem Bilde und der Aehnlichkeit Gottes geschaffen und erneuet bist, halte Zucht, laß sie nicht fahren, sie ist dein Leben. So sehr du dein Leben liebt, so sehr auch liebe die Zucht. Willst du nicht sterben, so gehorche, mein Kind, der Zucht deines Vaters, und verlaß nicht das Gebot deiner Mutter.
Nach dem Falle der ersten Aeltern haben. Viele vielerlei Gedanken gehabt über die Rückkehr zum Leben der Unschuld, zum Wege des Lebens. Der erste unter ihnen, der fromme, unschuldige Abel, brachte von den Erstlingen seiner Heerde und von ihrem Fette Gott ein angenehmes Opfer, um also gegen ihn seine Liebe und Frömmigkeit zu bezeugen. Der gerechte Noah, da er fromm und gottselig lebte, fand er Gnade vor den Augen seines Herrn, daß ihn die schrecklichen Wasserwogen nicht verschlingen durften. Abraham, Isaak, Jakob, Moses, David und die übrigen hohen Patriarchen und Propheten lebten treulich nach den Gesetzen der Zucht. Was soll ich von unserem Erlöser sagen? Ist er nicht vom höchsten Himmel herniedergestiegen, um uns die Gesetze der Zucht vorzuschreiben, sie in unsere Herzen zu pflanzen und die 33 Jahre lang durch seinen heiligen Wandel uns einzuprägen?
Aus seiner Schule gingen zuerst die Apostel, hernach unzählige Andere hervor, deren Herz immer und einzig darauf gerichtet war, durch Zucht und Sitte lebendige Nachbilder jenes göttlichen Vorbildes zu werden. Darum gilt es noch heute, sich Gesetze aufzustellen, nach denen sich unter Berücksichtigung der Zeit, des Ortes und der Personen das äußerliche Gehaben und Gebaren zu richten und zu gestalten hat, damit um so leichter der innerliche Mensch des Herzens vor Gott wohlgefällig werden möchte.
Vor Zeiten hat man sich in diesem Punkte vieler Fehlgriffe und Uebertreibungen schuldig gemacht. Man verurtheilte sich zum beharrlichsten Schweigen und zur abgeschiedensten Einsamkeit; man versagte sich für immer den Genuß des Fleisches; man hat sich die allerrauhste Lebensweise auferlegt.
Von dieser falschen Zucht rede ich nicht, sondern von der richtigen, an der es uns so fehlt. Von der Zucht rede ich, die dem Leibe und der Seele wohl thut; die den herrischen Nacken beugt, die hochgeschwungenen Augenbraunen niederzieht, das Gesicht freundlich macht, die Augen fesselt, das wilde Lachen hindert, die Zunge mäßigt, den Gaumen zügelt, den Zorn stillt, den Gang regelt; die da macht, daß Alles ordentlich und zu seiner Zeit geschieht. Wo fromme Sitte und Zucht gepflegt wird, da er steht, so zu sagen, ein irdisches Paradies. Da gibt es keine Schwätzer, die sich unruhig umhertreiben, keine faulen Bäuche, die früh nicht aus dem Bette wollen, keine Tischgenossen, die mit den Speisen nicht zufrieden sind. Es gibt keine Zweizüngigen, keine Ohrenbläser, keine Lügner, keine andere noch schlimmeren Lasterknechte. Kein Herr schilt mit seinem Diener, warum das oder jenes noch nicht besorgt ist, sondern nimmt alle Dienstleistungen mit Dank hin, als aus der Hand Gottes empfangen. Kein Diener wird unwillig gegen seinen Herrn, wenn einmal nicht. Alles nach Wunsch ist. Alles geschieht nach guter und fester Ordnung. Man schweigt und spricht, betet und arbeitet, hungert und ißt, wacht und schläft, legt sich nieder und steht auf zur rechten und bestimmten Zeit. So sieht es aus in einem wohlgeordneten Hause. Wo es aber an diesen Stücken fehlt, da ist anfangs mit häufigen und freundlichen Mahnungen, hernach auch mit harten Strafen fest darauf zu halten, daß die widerstrebenden und widerspenstigen Geister sich fügen. Denn wenn in einem Hause die Hauptsache, die heilige Zucht, vernachlässigt wird, so entsteht daraus unter den Hausgenossen allerlei Mißhelligkeit, Unzufriedenheit und Unruhe, kurz allerlei Versuchung. Weil das so ist, sollen alle Hausväter, von deren Händen doch dereinst das Blut der ihnen Anvertrauten gefordert wird, sich wohl hüten, kleinmüthiger und sorgloser Weise das Hauptstück, die Zucht hintanzusetzen, sondern sollen sie mit allem Fleiße fördern und heben, wo sie schon herrscht; wo sie aber nicht herrscht, sollen sie dieselbe mit allem Ernte einführen. Ich sage das nicht darum, weil ich glaube, gerade in deinem Hause sei die Zucht in Verfall gerathen, denn wenn man vom Aeußeren aufs Innere schließen darf, muß es bei dir sehr gut um sie stehen; ich sage das, damit du mehr und mehr zunehmen mögest an allem guten Werke, damit deine Hände nicht müde, deine Kniee nicht lässig werden unter dem Joche der Zucht. Für den Augenblick scheint zwar alle Züchtigung nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein, hernach aber bringt sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Allen, die dadurch geübet sind. Für unsere trägen Geister pflegt auch hier der Anfang die größten Schwierigkeiten zu haben, wenn wir aber mit genügender Zähigkeit den einmal gefaßten Vorsatz festhalten, so verschwindet allmählig alle Schwierigkeit. Wenn wir spüren, daß die Uebung der Tugend wirklich mit viel Mühe und Arbeit verbunden ist, so dürfen wir deßwegen doch nicht davon abstehen, sondern müssen unter Anrufung der göttlichen Hülfe um so tapferer den Weg unter die Füße nehmen und keinen Zweifel tragen, daß wir zum Ziele gelangen werden.
„Verleugne dich selbst!“ Dies Wort wiegt schwerer, als der Aetna. Aber wenn wir einmal den Kampf begonnen haben, den es uns verordnet, so ist es viel besser für uns, in ihm zu sterben wie Männer, als vor ihm zu fliehen wie Weiber. Laßt uns auch bedenken, daß großer Lohn nur durch große Arbeit zu erlangen ist. Die himmlische Herrlichkeit ist nicht so leicht und zu ebener Erde zu finden, es führt auch kein breiter Weg in den Himmel; wir sind noch draußen im Vorhof und müssen nach Gottes Willen arbeiten, Schweiß vergießen, wachen. Fast alle Güter verkauft Gott den Menschen um Arbeit.
Darum, meine Lieben, wenn ihr nicht zugleich das zeitliche und vergängliche, und das ewige Leben verlieren wollt, so habt die Zucht lieb, werfet sie nicht von euch, denn in ihr steht euer Leben. Gehorchet den Leitern und Führern, die Gott euch gesetzt hat, und unterwerft euch ihnen; fürchtet und liebet sie. Denn sie wachen für euch, als die da Rechenschaft geben sollen für eure Seelen, auf daß sie das mit Freuden thun und nicht mit Seufzen, denn das ist euch nicht gut. Warum wohl? Darum, daß sie seufzen und weinen, wenn sie sehen, daß ihr Bitten und Mahnen wenig oder nichts hilft; darum, daß ihr Seufzen vor Gott nicht verborgen ist und der Allerhöchste ihre Thränen vor sein Angesicht stellt.
Ach, daß uns das Wort nicht gelten möchte: dies ist das Volk, das den Herrn, seinen Gott, nicht hören, noch Zucht vernehmen will von seinem Munde. Wenn ihr nicht sterben wollt, so verwerfet die Zucht nicht. Wer sie verwirft, verlangt nicht nach der Seligkeit, seine Hoffnung ist eitel, seine Arbeit fruchtlos, seine Werke unnütz. Ein Leben ohne Zucht hilft dir nichts und wenn es hundert Jahre währte. Denn du wirst nicht darnach gefragt werden wie lange, sondern wie gut du gelebt hat. Das vergiß nicht. Amen.