Inhaltsverzeichnis

Dammann, Julius - Der Feldmarschall Naeman oder Des Menschen Elend und seine Errettung - 5. Hinab!

V. 13-15. Da traten seine Diener herzu und redeten mit ihm und sprachen: Mein Vater, wenn dich der Prophet etwas Großes geheißen hätte, würdest du es nicht tun? wie viel mehr, da er zu dir gesprochen: Bade dich, so wirst du rein! Da zog er hinab und tauchtes sich unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geredet hatte, und sein Fleisch ward wieder wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er war rein.

Naeman wandte sich und zog weg in Zorn. Damit schloss der Text unserer vorigen Betrachtung. Und damit hätte unsere Geschichte vom Feldhauptmann ein trauriges Ende gehabt, wenn nicht die Diener Naemans dazwischen getreten wären. 1) Nur die Diener? Ob wir nicht noch etwas zwischen den Zeilen zu lesen haben? Mir ist, als wenn ich den Propheten Elisa in seinem Kämmerlein auf den Knien zum Himmel schreien höre: „O Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs, offenbare deine Herrlichkeit an diesem Naeman! Siehe, wie er trotzig davon fährt - lass ihn nicht los, hole ihn zurück!“ Mir ist, als wenn zu gleicher Zeit noch ein Gebet zum Himmel stiege für den unglücklichen Naeman. Die kleine Dirne aus dem Lande Israel ich höre sie beten: „Herr Gott Zebaoth, erbarme dich über meinen Herrn! Lass ihn bei deinem Propheten Hilfe und Errettung finden!“ O der unerkannten Macht von der Heiligen beten! Kann ein einziges Gebet einer gläubigen Seele, das zum Herzen Gottes geht, seines Zwecks nicht fehlen - was wirds tun, wenn sie nun alle vor ihn treten und vereinigt beten! Hier ist ein Weg für euch, ihr Väter und Mütter, wenn eure Söhne und Töchter sich von euren Ermahnungen abwenden und die Wege des Unglaubens ziehen. Alle eure Bitten und Ermahnungen waren vergebens. Habt ihr umso fleißiger und brünstiger von wegen eurer Kinder mit dem Herrn geredet? Monica, die Mutter des Augustinus, hatte sich an einen Bischof mit der flehentlichen Bitte gewandt, ihrem Sohn durch Gründe die Falschheit seiner Lehre und die Gottlosigkeit seines Lebens zu beweisen. Der Bischof aber weigerte sich dessen, weil er überzeugt war, dass dies bei dem streitlustigen und aufgeblasenen Jüngling ganz nutzlos sei. Desto dringender ermahnte er die trauernde Mutter, im Gebete fortzufahren. Die liebende Mutter beharrte mit Fluten von Tränen bei ihrer Bitte. Da rief der gottselige Mann bewegt aus: „Lass ab! so wahr du lebst, es ist nicht möglich, dass das Kind dieser Tränen und Gebete verloren gehe!“

Väter, Mütter, wo sind eure Gebete, wo eure Tränen? Klagt nicht über eure verlorenen Kinder, klagt über eure Lauheit im Gebet und darüber, dass es euch am heiligen Ernste fehlte, sie gerettet zu wissen aus den Banden des Unglaubens. Wie viel Häuser sind es, in denen man mit den Kindern von dem Herrn redet? Gewiss nicht sehr viele. Und noch viel weniger solche, in denen man mit dem Herrn redet und ringt um die Seelen der Kinder. Und da soll man sich wundern, wenn unsere Jugend scharenweise für das Reich Gottes verloren geht?

Hier ist ein Weg für bekehrte Kinder ungläubiger Eltern. Es mag dem kindlichen Gefühle zuwider sein, Vater und Mutter zum Glauben und zur Bekehrung zu drängen. Aber allein mit seinem Herrn zu reden für das Seelenheil des Vaters und der. Mutter das hindert kein Gefühl. Dazu mahnt und treibt die Liebe zum Herrn, dem wir das geistige Leben, und zu den Eltern, denen wir das irdische Leben verdanken.

Hier ist ein Weg für dich, liebe Seele, wenn dir die Bekehrung eines Menschen am Herzen liegt. Du hast keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Er ist sehr vornehm und du sehr gering, er ist sehr reich und du sehr arm. Es würde dir auch sehr schwer, mit ihm zu disputieren. Er ist gelehrt und gebildet und du ein ungelehrtes, unstudiertes Menschenkind, so ähnlich, wie die kleine Dirne aus Israel. Eins kannst du für ihn tun. Daran hindert dich nur dein Mangel an Glauben und Liebe. Du kannst für ihn beten.

Hier ist ein Weg für die gläubigen Gemeindeglieder, wenn sie Ursache haben zu klagen über ihren oder ihre Hirten. Der Weg ist sicherer und dem Herrn angenehmer, als über sie zu murren und zu Gericht zu sitzen von wegen ihres Gläubig- und Bekehrtseins. Es war gewiss wohl zu verstehen und nicht zu verdammen, als und warum ein Pastor in seiner Kanzelbibel einst ein Blatt Papier fand, darauf die Bitte geschrieben stand: „Herr, wir möchten Jesum gern sehen!“ Aber wenn die Hände, die das geschrieben, nicht dafür sich falten und beten konnten, wäre der Zettel besser ungeschrieben geblieben. Armer, armer Pastor, wenn und weil in deiner Gemeinde kein Moses, Aaron und Hur sich finden, die auf den Bergen des Glaubens ihre Hände für dich emporheben, dieweil du in deiner Gemeinde kämpfst mit den ungläubigen Amalekitern. Armer, armer Pastor, was kannst du auf der Kanzel geben, wenn nicht unter der Kanzel betende Hände des Himmels Fenster öffnen und der Herr auf dich Segen herabschüttet die Fülle? Mal. 3,10. Wir kommen zum Herrn mit leeren Händen, wie die Jünger bei der Speisung der 5000. Betet für uns, dass der Herr uns gebe, damit wir wieder geben können!

Hier ist der Weg für den Pastor, wenn ihn die betrübende Erfahrung mutlos machen will, dass seine Predigten an den Kirchenwänden hängen bleiben, und wenn seine Gemeinde voller Naemans ist, die sich zürnend von ihm und seinen Worten abwenden. „Sehen Sie, Herr Pastor“, sagte mal ein gläubiger Presbyter zu dem neu gewählten jungen Pfarrer, als er ihm das Pfarrhaus zeigte, „dies war die Studierstube Ihres Vorgängers und dieser runde Fleck da auf der Diele war die Stelle, wo er mit dem Herrn für seine Gemeinde rang.“ Auch wir Pastoren sollten viel weniger klagen über unsere Gemeinde, als für sie beten.

Naeman wandte sich und zog weg im Zorn. Wir wollen ihm folgen und Zeuge sein, wie er auf diesem` traurigen Wege wieder stille stand und sich selbst überwand.

O Jesu, hilf Du mir selbst überwinden!
Der Feinde Zahl ist groß; ach, komm geschwind!
Welt, Teufel, Fleisch und Blut samt meinen Sünden
Sind mir zu stark; o Herr, erhör dein Kind!
So soll dort oben mein Geist Dich loben,
Wenn ich erhoben den Sieg erlangt.

Der Mahnruf unseres Textes lautet:
Hinab! Hinab!

Wir hören

  1. das ist nicht schwer,
  2. und doch so selig!

1.

Hinab soll Naeman. So lautet der Befehl des Propheten. Herab von der Höhe, herunter in das Jordantal. Und noch tiefer. In den Jordan soll er steigen und siebenmal untertauchen. War das dem Naeman so schwer? Wohl schwerlich. Das war mit wenig Umständen verbunden. Er konnte, wenn er wollte, bis an den Jordan seinen Wagen benutzen. Warum wollte er denn nicht? Er wollte seinen Kopf nicht beugen, sein Herz nicht zerbrechen. Er wollte nicht hinab von seiner Weisheit, seinem Meinen. Er ging zum Arzt und hatte das selbst geschriebene Rezept schon in der Tasche. Er, der Feldmarschall, gewohnt zu kommandieren, soll dem Worte eines armseligen Propheten blindlings gehorchen. Er soll etwas tun, Er soll etwas tun, wogegen sein innerer Mensch protestiert. Er soll sein eigenes Ich daran geben und von dem Prophetenworte sich gänzlich leiten lassen. Seine hohe Stellung, seine Rosse und Wagen, seine 80.000 Taler hat der Prophet ganz außer Acht gelassen. Er soll so ganz herunter von seiner Höhe und wie ein kleiner Knabe Folge leisten. Das dünkt ihm so schwer. Den Preis kann er nicht bezahlen, so reich er auch ist. Welch furchtbarer Kampf mag in seinem Herzen gewogt haben. Naeman, zerbrich den Kopf dir nicht so sehr, zerbrich das Herze, das ist mehr.

Und es ist so schwer nicht, sagen ihm seine Diener. Sie stellen ihm vor Augen seine schreckliche Krankheit. Sie geben ihm zu bedenken, dass es sonst keine Hilfe für ihn gibt. Sie erinnern ihn, wie er bereit gewesen, die größten Opfer zu bringen, um erlöst zu werden von seinem furchtbaren Leiden. „Konnte denn der Prophet“, werden sie zu ihm gesagt haben, „noch weniger verlangen, als er von dir verlangt hat? Menschliche Hilfe ist ja nicht mehr. Ist aber der Prophet ein Mann Gottes, so gilt es, nur seinem Worte zu glauben und nach seinem Worte zu tun.“

„Wir sollen nicht erwarten, für alles, was wir glauben, einen Grund zu sehen; denn viele Lehren sind Geheimnisse, und wir müssen sie nehmen wie Pillen. Wir kauen Pillen nicht, sondern schlucken sie hinunter - so müssen wir auch die göttlichen Wahrheiten in unserer Seele aufnehmen im Vertrauen auf den Offenbarer.“

Wie kannst du von Glauben an Gott reden, wenn du nicht mehr glauben willst, als deine Vernunft dir beweist? Liebe Seele, glaube dem Zeugnisse, dem Worte deines Gottes. Du wirst seine Herrlichkeit sehen. Stelle dich unter das Wort, dann stehst du unter dem Lebenseinflusse Jesu. Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und Mein Vater wird ihn lieben, und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Joh. 14, 23.

Hinab! Es gilt zu beugen die stolzen Knie, in den Staub zu sinken und aus der Tiefe zum Herrn zu rufen. Hinab! Den Wagen voller Selbstgerechtigkeit musst du zurücklassen. Das Gerede vom ehrbaren Lebenswandel muss aufhören. Vor der Welt magst du deinen Ruhm behalten, auch deine Orden und Ehrenzeichen. Aber vor deinem Gott gehts bis zur Vernichtung jeglichen Selbstruhmes.

Elend, jämmerlich, arm, blind und bloß, Offenb. 3, 17, schuldig an allen Geboten, am ganzen Gesetz, verloren und verdammt - soweit herunter musst du. Hinab! Es kostet dein Ich und deinen Willen. „Für die Fülle Seiner Gaben will Er leere Herzen haben.“ Hinab! An das Blut des Sohnes Gottes musst du glauben. Das törichte und ärgerliche Evangelium von dem gekreuzigten Christus musst du annehmen. Mit dem Blut des für uns erwürgten Lammes musst du die Pfosten deines Herzens bestreichen. Ohne dieses Blut gibt es keine Vergebung der Sünden, keinen versöhnten Gott, keine selige Gotteskindschaft, keinen Zugang zu der Gnade Gottes, kein Gebet im Namen Jesu.

Hinab! Es ist nicht schwer. Oder doch? In manchen Gesangbüchern stehen die beiden Lieder dich neben einander: „Es kostet viel ein Christ zu sein“ und „Es ist nicht schwer ein Christ zu sein“. Beide Lieder sind aus dem Herzen eines Gotteskindes genossen. Es ist die Wahrheit: „Es kostet viel“ und „Es ist nicht schwer.“ Naeman singt das eine. Und wir verstehen es, dass und warum er Recht hat. Seinen stolzen Nacken beugen unter das Joch Christi - es kostet viel. Sein eigenes Meinen und alle Zweifel daran geben - es kostet viel. Zu glauben das, was vor der Welt höchst töricht und lächerlich ist - es kostet viel. Sich einen Pietisten, Mucker, „Feinen“ nennen zu lassen - es kostet viel. Um des Evangelii willen mit seinen Freunden, ja mit Vater und Mutter, Bruder und Schwester zu brechen - es kostet viel. Sein Fleisch mit allen bösen Lüsten und Begierden zu kreuzigen - es kostet viel. Sich neben den Schächer und Zöllner auf die arme Sünderbank zu setzen, ganz unten hin als der vornehmste der Sünder - es kostet viel. Bergleuten und Fabrikarbeitern die Bruder- und Schwesterhand zu reichen - es kostet viel. Gar keine eigene Gerechtigkeit mehr zu kennen und sich von dem Herrn Jesus in seinem Blut alles, alles schenken zu lassen - es kostet viel. Was kostets denn? Es kostet das eigene Ich, das eigene Selbst, das eigene Leben. Ja wir verstehen, dass und warum Naeman voll Zorn sich abwandte.

Die Diener Naemans singen das andere Lied: „Es ist nicht schwer“. Sie singen auch die Wahrheit. Ist es denn schwer, an das Wort Gottes zu glauben, das und da es Jahrtausende sein Kraft und Wahrheit offenbart und bewiesen hat? Ist es denn schwer, Anlehen nach oben zu machen, wenn alle Türen auf Erden verschlossen sind? Ist es denn schwer, sein eigenes Wissen für Stückwerk zu erachten, wenn man erfährt, dass es Stückwerk ist? Ist es denn schwer, seine eigene Gerechtigkeit daran zu geben, da jedes Gebot uns: schuldig, schuldig! zuruft? Ist es denn schwer, zu dem Heiland zu gehen, der so freundlich uns lädt: „Kommt her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken?“ Ist es denn schwer, von dem Hilfe, Trost, Stärke und Erquickung zu erlangen, der kräftiglich erwiesen als ein Sohn Gottes, seit der Zeit er auferstanden ist von den Toten? Röm. 1,4. Ist es denn schwer, selig zu werden, da Ist alles aus Gnaden geschenkt werden soll? Ist es denn schwer, das Kreuz zu tragen, da unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit schafft, 2. Kor. 4,17, und nicht wert ist der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden? Röm. 8,18.

Nein, es ist nicht schwer.

Du darfst ja nur ein Kindlein sein,
Du darfst ja nur die Liebe kindlich lieben.
O blöder Geist, schau doch, wie gut er's meint.
Das kleinste Kind kann ja die Mutter lieben.
Drum fürchte dich nun ferner nicht so sehr:
Es ist nicht schwer.

Wirf nun getrost den Kummer hin,
Der nur dein Herz vergeblich schwächt und plaget;
Erwecke nur zum Glauben deinen Sinn,
Wenn Furcht und Weh dein schwaches Herze naget.
Sprich: „Vater, schau mein Elend gnädig an!“
So ists getan!

Man erzählt von einem, der ein ganzes Jahr lang jeden Tag fast zwei englische Meilen weit Wasser holte, um es auf einen toten, trockenen Stock zu gießen auf den Befehl seines Vorgesetzten, obwohl kein anderer Grund dafür angegeben werden konnte. Das war ein unbedingter Gehorsam gegen eine armselige, fehlbare, menschliche Autorität. Wer wollte die nachahmen?! Aber wenn es Gott ist, der den Befehl gibt, so können wir einen blinden Gehorsam nicht zu weit treiben. Warum wollten wir die Weisheit und Güte eines seiner Gebote bezweifeln? Wahrlich, es ist nicht schwer, dem blindlings zu gehorchen, der nur Gedanken des Friedens über uns hat und der uns geben will das Ende, des wir warten. Jer. 29,11. Es ist nicht schwer, sich ganz hineinzuwerfen in die blutigen Arme des Heilandes,

weil sein Mund so freundlich spricht:
Kommt nur, Ich verstoß euch nicht!“

Es ist nicht schwer, weil Hunderttausende vor dir dasselbe taten und Leben und volle Genüge fanden.

2.

Da zog er hinab und tauchte sich unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geredet hatte. Das war ein Schauspiel für die Engel. Denn die Engel im Himmel freuen sich ja über einen Sünder, der Buße tut. Was heißt aber Buße tun anders, als sich demütigen? Und das eben tut der Feldmarschall Naeman, der große, gewaltige, hochangesehene Mann. Dass er zum Jordantal hinabsteigt, sich entkleidet, in den Jordan tritt und siebenmal untertaucht, das macht es nicht. Aber dass er es tut, weil es ihm der Prophet geheißen und er sein Ich daran gibt, sich demütigt unter und glaubt an das Wort, das ist die große Tat seines inwendigen Menschen. Auch hier gilt das Wort Luthers: Wasser tut es nicht, sondern das Wort, das mit und bei dem Wasser ist und der Glaube, der solchem Worte im Wasser traut. Wie der Mann Gottes geredet hatte, steht im Text, um anzudeuten, dass Naeman nichts Eigenes mehr kannte, sondern sich gläubigen Herzens in die Arme der Prophetenworte warf. Es war leichter, als er sichs gedacht, und je öfter er untertauchte, desto leichter wurde es und desto seliger und freier ward ihm zu Mute. So stieg er aus dem Bade nach Leib und Seele wie neugeboren. Hätte er das Lied gekannt, er hätte es laut seinen staunenden, in heiliger Stille am Ufer stehenden Dienern zugerufen: „Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert“.2)

Es gefiel Gott, dem Herrn über Leben und Tod, an diesem Naeman Seine wunderwirkende Kraft und Macht zu verherrlichen, damit wahr würde und blieb, was geschrieben steht: Wir haben einen Gott, der da hilft und einen Herrn Herrn, der vom Tode errettet. Ps. 68,21. Du bist der Gott, der Wunder tut. Ps. 77, 15. Er ist ein Erlöser und Nothelfer, er tut Zeichen und Wunder, beides im Himmel und auf Erden. Dan. 6,27.

Wie selig, wenns einer und wer es erfährt!

Liebe Seele, der Gott Naemans lebt noch. Die paar Jahrtausende haben an dem nichts geändert und verändert, vor dem tausend Jahre sind, wie ein Tag, der gestern vergangen ist. Ps. 90,4. Dieselbe Sonne, die Naeman bestrahlte, als er im Jordan untertauchte, scheint noch über unsern Häuptern. Sollte der Gott, der sie erschaffen, nicht auch noch die Strahlen Helfender, errettender Liebe herunter senden können? Noch immer wälzt der Jordan, vom wasserreichen Hermon kommend, seine Fluten in das Meer. Sollten Gottes Brünnlein nicht noch Wassers die Fülle haben? Ps. 65, 10. Der Gott Naemans lebt noch. Aber wir wissen mehr von Ihm, als Naeman. Uns ruft und lockt viel mehr, als das einzige Wort der kleinen Dirne: Ach, dass mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre! Wir haben ein festes, prophetisches Wort. 2. Petr. 1,19. Wir kennen die an göttlichen Wundern und Offenbarungen reiche Geschichte des Volkes Israel. Von Abraham, von Moses an bis Maleachi welch eine Wolke von Zeugen! Welche Verheißungen aus dem Munde gottgesandter geistgesalbter Männer! Welche Lobes- und Dankeslieder für erfahrene Hilfe in Leibes- und Seelennöten! Wir öffnen die Pforten zum Neuen Testament. Welcher Glanz göttlicher Herrlichkeit aus dem Angesicht Jesu Christi strahlt uns entgegen! Ja, das ist Der, der in die Welt hat kommen sollen - Jesus, der Messias, der Jungfrauensohn, der Immanuel, der oberste Prophet, der einige Hohepriester, der ewige König. Sie sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Joh. 1,14. Willst Du Worte hören, wie sie nie aus eines Menschen Mund gekommen sind, majestätisch und gewaltig, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit umspannend, holdselig und lieblich, erquickend und erschütternd - hier hörst du sie. Willst du ein Leben haben, umstrahlt vom Himmelsglanz sündenreiner Heiligkeit - hier hast du es. Willst du ein Leiden und Kreuz sehen, so schwer, wie es nie ein Mensch hat tragen müssen, hier siehst du es. Willst du über Wundertraten, himmlische Zeichen und übernatürliche göttliche Kraft staunen - komm her und staune. Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Tauben hören, die Aussätzigen werden rein, die Toten stehen auf, und arme Sünder werden selige Leute. Komm mit auf den Berg der Verklärung, mit auf die Schädelhöhe unter das Kreuz, mit in Josephs Garten an das offene Grab, mit auf den Ölberg unter die Fünfhundert, die ihn auffahren sahen. Hier ist nichts Gemachtes, nichts Geschraubtes, nichts Erkünsteltes. Einfache Berichte von einfachen Männern, welche die Wahrheit schreiben konnten - denn sie sahen Ihn und was Er tat; - welche die Wahrheit schreiben wollten - denn wie haben die lügen wollen, die für Ihn in den Tod gingen. Komm her, lies, höre, sinne, denke nach. Und wenn du noch Herz und Gemüt hast und ein Gefühl für Wahrheit, du wirst mit Thomas niedersinken und anbetend sprechen: Mein Herr und mein Gott! Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Menschenkind, das ist der Prophet! Dein Prophet! So glaube an Seine Worte, nimm sie auf, nimm sie an. Himmel und Erde werden vergehen; Seine Worte vergehen nicht. Das ist der Hohepriester! Dein Hohepriester! Glaube an Sein Blut. Es wäscht dich ab von allen deinen Sünden und macht dich angenehm vor dem heiligen Gott. Ephes. 1,6. Das ist der König! Dein König! Ergib dich ganz und willig Seinem Regimente, Seiner leitenden Obhut und Gnade. Das heißt in den Jordan des Evangeliums gehen und sich baden siebenmal. Du wirst rein und heil werden, wie von neuem geboren. Wie selig!

„O Herr, heile Du meine Seele“, betet ein frommer gläubiger Mann, dann werden die Risse in meinen Kleidern mich wenig kümmern.“

Wie wahr! Ein Mensch, der verwundet und durch seine Kleider, Haut und alles geschnitten ist, wird weit mehr wünschen, die Wunde im Körper geheilt zu sehen, als den Riss in seinem Kleide ausgebessert zu haben. So kommt alle, alle her, mit welcherlei Leiden und Übeln des Leibes und der Seele, des Gutes und der Ehre ihr auch beladen seid, kommt her zu diesem Heilande! Weit ausgebreitet sind Seine Arme am Kreuz, um euch alle zu umfassen. Hier ist, was euch retten kann! Kraft genug, Stärke genug, Trost genug, Frieden genug, Hilfe genug, Hoffnung genug. Hier ist Leben und volle Genüge.

Wie selig in den Strom des Evangeliums hinabzutauchen und an das Herz seines Heilandes zu sinken! Wie selig an Ihm einen Fürsprecher und Hohenpriester zu haben, der Mitleid hat mit unserer Schwachheit! Wie selig, wenn in Ihm der heilige, unnahbare Gott für uns zum Vater wird, ohne dessen Willen nicht ein Haar von unserm Haupte fallen kann!

Wie selig, wenn Er uns Seinen Vater verklärt und dann uns den Mund öffnet, dass wir beten können: Abba, unser lieber Vater! Wie selig, wenn wir dann Freudigkeit haben, alles im Namen Jesu zu bitten! Wie selig, wenn wir es dann erfahren dürfen, dass die Engel hinauffahren mit unserem Gebet und herabfahren mit göttlichem Trost und göttlicher Hilfe!

Wie selig, wenn wir dann nur wollen, was Er will, und unseren eigenen Willen daran gegeben haben! Wie selig, wenn wir dann in Geduld warten können, bis Seine Stunde kommt! Wie selig, wenn wir dann auch etwas leiden können und die Malzeichen des gekreuzigten Heilandes als himmlische Ehrenzeichen an unserm Leibe tragen dürfen!

Wie selig, wenn wir dann die Sprache Assaphs verstehen: Wenn ich nur Dich habe, frage ich nichts nach Himmel und nach Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil! Wie selig, wenn man sich dann an der erfahrenen Gnade genügen lassen und beten kann: Herr, schicke was Du willst, ein Liebes oder Leides, ich bin vergnügt, dass beides aus deinen Händen quillt. Wie selig, das mit Christo verborgene Leben in Gott das Zeugnis des Heiligen Geistes, dass wir Kinder Gottes sind - das Geduldigsein in Trübsal das Rühmen der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit Schmecken der Kräfte der zukünftigen Welt - das Bürgerrecht im Himmel das Warten auf die Zukunft des Herrn Jesu, die brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft mit allen Gotteskindern!

Ich hab genug, ich bin der Sorgen los
Und kränke nicht mein Herz;
Ich bin vergnügt und sitz in Gottes Schoß,
Der lindert allen Schmerz.
Ich sorge nicht mehr für mein Leben,
Der Höchste will mir alles geben.
Ich hab genug.

Ich hab genug, ich lieg an Jesu Brust,
Da schwindet aller Schmerz.
Was will ich mehr? Dort find ich Himmelslust,
Dort stillet sich mein Herz!
Im Vorschmack weiß ich schon auf Erden,
Was mir im Himmel einst soll werden.
Ich hab genug.

1)
Beides ist gleich köstlich, sowohl wie die Diener mit ihrem Herrn, als auch wie der Herr mit seinen Dienern verkehrt. Es tut einem wohl zu hören, wie die Diener Sorge tragen um ihren Herrn und wie sie fürchten, dass derselbe, so nahe am Ziel, dennoch ungeheilt zurückkehre. Sie setzen Vertrauen in die Worte des Propheten und wollen ihren Herrn auch zum Glauben überreden. „Mein Vater“, ein Wort der Liebe und der Ehrfurcht. Sie reden nicht mit ihm wie ihresgleichen und sind sich wohl bewusst, dass Naeman ihr Herr und sie seine Diener sind. Naeman weist sie nicht grob zurück und verbietet ihnen nicht den Mund. Er hört ihnen aufmerksam zu und lässt sich sagen und bedeuten. „Wie der Herre, sos Geschirre“ sagt ein Sprichwort. Zwischen Naeman und seinen Dienern herrscht nicht das „eherne Lohngesetz“. Er hat ein Herz für seine Diener und darum haben diese ein Herz für ihn. Unfall und Altersversorgungsgesetze sind gut, sind unbedingt notwendig, aber sie lösen die soziale Frage noch nicht. Wo aber die Arbeitnehmer merken, dass sie in den Augen der Arbeitgeber mehr sind als Arbeitsmaschinen, die man fortwirft, wenn sie abgenutzt sind, da hat die Sozialdemokratie, die den Klassenhass schürt, verlorenes Spiel. Denn Liebe erzeugt Gegenliebe. Eine gründliche Lösung der sozialen Frage kann nur allein vom Evangelium erwartet werden. Das Evangelium ist die Brücke der sonst so gähnenden Kluft, ist der Boden, auf dem sich Herren und Arbeiter die Hände reichen, ist der Schlüssel, der beider Herzen für einander aufschließt. Man male sich das Verhältnis zwischen gläubigen Arbeitgebern und -nehmern aus, um sich zu überzeugen, dass es eine Kraft ist, selig zu machen alle, die daran glauben, Heiden und Juden, sagt Paulus, und wir können auch sagen Fabrikbesitzer und Fabrikarbeiter in ihrem Verhältnis zu einander.
Es ist darum mit Freuden zu begrüßen, dass die evangelischen Arbeitervereine heutzutage einen solchen Aufschwung nehmen und besonders erfreulich, dass auch Arbeitgeber diesen Vereinen beitreten. Recht so, ihr Männer, liebe Brüder, mit den Schwielenhänden und rauchgeschwärzten Gesichtern, seht eure Arbeit und eure Stellung an im Licht des Evangeliums. Ihr werdet es erfahren, die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. Und Recht so, ihr Herren, dass und wenn ihr in den Vereinen und sonstwo zu erkennen gebt, dass ihr mit dem geringsten Arbeiter einen Gott habt, einen Heiland, einen Glauben ein ewiges Leben. Nur dass das Evangelium kein bloßes Aushängeschild ist, sondern Kraft, Licht, Salz der Vereine und des Vereinslebens.
Merke noch: das Evangelium löst auch die Branntweinfrage so gründlich, wie sie nur gelöst werden kann. Das Branntweinmonopol mag auch gut sein, aber das Evangelium räumt mit der Branntweinpest auf auch ohne Monopol.
2)
Sein Fleisch ward wieder, wie das Fleisch eines jungen Knaben. Beim Aussatz entsteht rohes Fleisch und es bilden sich Eitergeschwüre, so dass der Kranke zuletzt an Abzehrung mit Wassersucht verbunden stirbt. Die Heilung ist daher Rückkehr oder Wiederherstellung des Fleisches. Diese Heilung ist auf natürliche Weise nicht zu erklären, sie ist ein Wunder, ein übernatürliches Hineingreifen eines lebendigen, persönlichen Gottes. Die Welt ist voller Wunder. Ein Wunder der Grashalm, der aus dem Erdboden hervorschießt. Ein Wunder das Leben der Mücke, die im Sonnenstrahle spielt. Ein großes Wunder bist du selbst, o Mensch. Ein Wunder dein Kindlein auf deinem Schoß, du Mutter. Alle diese Wunder geschehen freilich auf Grund bestimmter Naturgesetze und verlieren darum für die, welche die Gesetze kennen, den Charakter des Wunderbaren. Aber Wunder sind es doch, weil die Naturgesetze einen übernatürlichen Ursprung haben. Wir können diese Gesetze. entdecken, verstehen, begreifen, beschreiben; aber dass die da sind, das ist das Wunder. Sie weisen hin auf einen lebendigen, persönlichen, allmächtigen, wunderbaren Gott.
Sollte dieser lebendige, persönliche Gott nicht anders wirken, nicht anders sich offenbaren können, als nur im Rahmen der von ihm gegebenen Naturgesetze? Die ungläubige Welt behauptet das. Wenn es denn einen Gott gibt, sagt sie, so bleibt er an diese Gesetze geschmiedet und kann darüber hinaus nichts tun. Die Welt ist wie ein Uhrwerk, meint sie, das Gott aufgezogen hat, um sich dann in unerreichbare Fernen zurückzuziehen. „Das sind deine Götter, Israel!“ 2. Mos. 32,4.
Wir aber haben einen Gott, der da hilft und einen Herrn Herrn, der vom Tode errettet, offenbart die Heilige Schrift. Und Naemans Heilung ist ein Beweis dafür. Unsere Geschichte trägt durch ihre Einfachheit und Nüchternheit sowie durch die vielen charakteristischen Einzelheiten das Gepräge der Wahrheit an sich. Eine solche Geschichte zu machen oder zu dichten wäre ein ebenso großes Wunder, als die Heilung selbst. Die Wunder der Heiligen Schrift natürlich zu erklären, ist unmöglich. Sie zu leugnen, heißt die Heilige Schrift zu einem Lügen- oder Fabelbuche zu stempeln. Das Wunder der Wunder ist die Offenbarung Gottes in Jesu Christo. Hier ist alles umstrahlt von übernatürlicher, himmlischer, göttlicher Herrlichkeit.