Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Siebentes Kapitel.

Wie alle Staatsmänner, nach jener Regel Christi, alle Verhältnisse des Familien- und Gemeinwesens ruhig und sicher lenken können.

§. 1.

Zur Ruhe der Weltangelegenheiten gehört vornehmlich die Eintracht, als der Leim der Gemüther, der alle Glieder einer Gesellschaft in Einigkeit zusammenhält, denn wenn die Meinungen, Auswahlen, Vorsätze und Bemühungen in viele sich zertheilen, ist es um den Wohlstand geschehen. Ein jegliches Reich, das mit sich selbst uneins wird, wird wüste, sagt Christus, ebenso nothwendig, als ein Gebäude einfällt, wenn die Bande der Dächer, Wände, Säulen und des Grundes auseinander gehen.

§. 2.

Zur Erhaltung der Einigkeit gehört die Ordnung der Personen und Handlungen, daß Vorgesetzte und Unterthanen verschieden sind, und Jeder wisse, was ihm an seinem Ort und zu seiner Zeit zu thun sei: Alles frei, ohne Zwang, vernünftig, ohne List und Betrug. Denn die menschliche Natur will auf menschliche Weise regiert werden, mehr durch Führung, als durch Ziehung, mehr durch Vermahnung als Zwang; da sie nach Gottes Bilde vernünftig, frei, und, ihr eigener Herr zu sein, ist geschaffen worden. Darum ist die Kunst, zu regieren, Weisheit und nicht Gewalt, Klugheit und nicht der Strick. Denn die Behandlung der menschlichen Natur muß nicht ärger sein als die der thierischen, da sogar ein Stier, Hund, Katze sich nicht grausam behandeln läßt; wird es zum Zorn gerecht, so schlägt, beißt, kratzt oder entflieht. Auch ein edles Pferd trägt gern einen verständigen Reiter, aber einen unverständigen wirft es ab; was Alexander mit seinem Pferde Bucephalus, und Rehabeam mit seinem Reiche erfahren. Es wird demnach zur vollkommenen Eintracht entweder freie Gleichheit, oder freie Herrschaft und freier Gehorsam erfordert; weil die gemeinsame Freiheit, als ein gemeinsames Geschenk der menschlichen Natur, und gemeinsames Kennzeichen des göttlichen Ebenbilds in uns, ein Führer und Licht der freien Handlungen ist.

§. 3.

Aber die gemeinsame Freiheit - verwandelt sich solche nicht gar leicht in Muthwillen und Zügellosigkeit, und bringt Verwirrung hervor? Was unterläge, auch von den besten Dingen, nicht dem Mißbrauch? Sollen wir deshalb Alles verwerfen? Dem Mißbrauch der Freiheit ist durch die Gesetze, als den. Zaum der Ausschweifungen, zu steuern. Den Gesetzen aber müssen als Wächter die Obrigkeiten gegeben werden, die mit Macht und Ansehn ausgerüstet, die Guten belohnen, die Bösen aber strafen. So kann es leicht geschehen, daß, wenn Jeder rechtlich lebt, Niemanden verletzt, und Jedem sein Recht wiederfahren läßt, Alles in Sicherheit und Ruhe erhalten werde.

§. 4.

Viele Verwirrungen entstehen durch unnütze Dinge: 1) Die Menge der Regierenden, 2) die Menge der Gesetze, 3) die Menge der Rechtsgelehrten, welche man oft Rechtsverdreher nennen könnte, 4) die Menge der Gebräuche, welche die Wahrheit der Dinge verdunkeln, 5) die Verachtung und Verletzung der Gesetze, von denen es heißt: der Staat erfordert es so. 6) Der Ehrgeiz und Neid der Regierenden unter einander; und die öffentlichen Kriege und thierischen Grausamkeiten.

§. 5.

Schon ein altes Sprichwort sagt: es ist nicht gut, wenn Viele regieren - ein König soll sein. Und ein anderes: die Menge der Regenten hat Carien verderbet. Darum hat die Natur jedem lebendigen Leibe, ob er gleich aus vielen Gliedern besteht, nur eine Seele zugefügt. Obschon aber die freien Republiken, zu gemeiner Verwaltung, Viele erwählt werden, so bildet doch der ganze Rath nur eine Seele unter einem Bürgermeister, als Haupt. Ereignet sich nur eine Spaltung, so ist das letzte Mittel, die Macht einem zu übergeben, der vor Zeiten in Rom Diktator genannt wurde, was immer einen glücklichen Ausgang gehabt. Auch hier bestätigt sich die Wahrheit der Regel Christi: Eins ist noth.

§. 6.

In Betreff der überhäuften Gesetze sagt der Apostel: wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Uebertretung (Röm. 4,15). Daher wo viele Gesetze sind, da sind auch viele Uebertretungen. Denn wir tragen immer nach dem Verbotenen Verlangen. Es ist wahr, was die Rechtsgelehrten sagen: Aus bösen Sitten kommen gute Gesetze. Doch ist auch wahr: Je mehr Gesetze sind, destomehr wird das menschliche Gedächtnis geschwächt, und der Muthwille gereitzt. Wir haben ein trauriges Beispiel an dem jüdischen Volke, welches mit den besten Gesetzen vor allen anderen Völkern von Gott versehen war, und doch am schändlichsten gesündigt hat. Wenn vielmehr der von Christo gezeigte kurze Inhalt der zehn Gebote, die Liebe zu Gott und dem Nächsten, Eingang fände, würde es sich beweisen, daß dem Gerechten kein Gesetz gegeben (1 Cor. 1, 9), d. h. denen, die Gott wahrhaft fürchten und den Nächsten lieben, nicht viel Gesetze nöthig seien; das Gesetz würde einem jeglichen Alles lehren, wodurch sie Gott und den Menschen gefallen könnten, mit allen guten Willen.

§. 7.

Was sollen wir von den Auslegern der Gesetze, den Rechtsgelehrten, sagen? Verringern sie die Verwirrungen, wie sie meinen? Nein, im Gegentheil. Denn soviel Aktenstöße werden angefüllt, daß man wie durch dicke Wälder und endlose Dornenhecken einhergehen muß. Ach! Wenn auch die Philosophen, Mediciner und Theologen diese böse Gewohnheit, den Leser durch allerhand Umwege zu sichten und aufzuhalten, nicht nachmachen wollten. Ein kluger Mann sagt: weil das Leben kurz und die Kunst lang ist, so werden wir sie niemals besitzen, wo sie nicht abgekürzt wird. Der aber lehrt sie nicht abkürzen, der nicht Büchlein, sondern Elephanten von Büchern schreibt, indem er zum Beweis der Dinge, die er schreibt, nicht die handgreifliche Wahrheit der Dinge selbst, sondern ganze Haufen solcher, die ihm Beifall geben, die er entweder mit Bitte oder Geld erworben, oder mit Haaren herbeigezogen hat, anführt.

§. 8.

Diese Labyrinthe des Rechts vermehren die gerichtlichen Handlungen selbst und die Processe, welche auf tausenderlei Weise zu verdrehen die Juristen für eine Kunst halten. Hierüber klagt Bernhardus, daß die Christen nicht nach dem Gesetze Christi leben, sondern nach den weltlichen Rechten, die sie von den Heiden angenommen haben; was er dadurch erklärt, daß die bösen Menschen das göttliche Gesetz nicht halten wollen; weil Christus keinen anderen Richterstuhl gesetzt als das Gewissen, sowohl jedem zu Hause, als in der Kirche. Und selig sind wir, wenn wir keines anderen Gerichtsstuhls bedürfen, und niemand, der sich des Bösen bewußt, Schutz bei den Advokaten, und anderswoher gedungenen Zeugen suchte. Auch haben einige Rechtsgelehrten selbst erkannt, daß in den Processen nichts Christliches sei, z. B. nie. Vigelius, der beweist, wie schädlich die Rechtswissenschaft der Ehre Gottes und dem gemeinen Nutzen sei; wie die ganze Wissenschaft des weltlichen Rechts unnütz wäre, wenn die Christen, als solche, die Wahrheit zu thun und zu reden wissen.

§. 9. 10.

Zwar Christus betrachtet als Mittel zum Frieden und zur Vermeidung alles Rechtsverfahrens bloß die Erduldung des Unrechts (Mat. 5, 38). Petrus aber setzt hinzu: „Wer ist, der euch schaden könnte, so ihr dem Guten nachkommt? So ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr doch selig!“ (1 Petr. 3, 13 14) Vermögen die Christen diesen hohen, himmlischen Rath nicht zu fassen? Könnten sie nicht in jedem Lande einen Gerichtsplatz des göttlichen Vertrages errichten, wo die aus Schwachheit entstandenen Streitigkeiten durch ehrbare Schiedsleute, die nicht aus Gewinn, sondern aus Liebe zum Frieden sich als Diener der Gerechtigkeit erweisen, geschlichtet werden? -

§.11.

Der vierte Irrweg der menschlichen Gesellschaften ist die Pracht und die Eitelkeit der Titel, und der Stolz, das Gepränge, der Dunst, die Gleißnerei der immer mehr zunehmenden Ceremonien. Denn es ist dahin gekommen, daß jetzt fast niemand die Sache selbst, sondern fast Jedermann Narrenspossen treibt, und ist das Sprüchwort allzuwahr: Die Welt wird durch Ceremonien regiert; und: Die Welt ist eine Schauspielerin geworden.

Denn überall findet man mehr Schmeicheleien und Liebkosungen als Wahrheit: Schatten ohne Leib, Federn ohne Vogel, Geschirr ohne Roß, Stab ohne Hirten, Mantel ohne Gelehrten, Stimme ohne Verstand, d. i. Namen ohne Sache trifft man aller Orten an. Füllt etwas nur die Augen, Ohren und Phantasie, so wird nicht leicht jemand nach seinem Inhalte forschen. Hiervon ein Beispiel. - Gesetzt, ein Fürst hat einen Gesandten an fremde Höfe abzuschicken, so wird nach heutiger Mode auf eine ansehnliche Person, viele Bedienten, große Pracht und Unkosten gesehen. Nach Christi Lehre ist hierzu nichts, als ein kluger und treuer Mann erforderlich. Dergleichen Abgesandten hat Gott in die Welt geschickt - seinen einzigen Sohn, der sanftmüthig, ohne Gepränge und Geschrei das Seinige vernichtet, bis das Recht auf Erden vollzogen worden (Jes. 42, 2 3). Indem aber diese Welt die Dinge nicht nach ihrem Werthe, sondern dem äußeren Scheine abschätzt, bezaubert sie sich selbst, und verwickelt sich unaufhörlich in ihre eigenen eitlen eigenen Händel.

§. 12.

Aus dieser höchst uebeln Gewohnheit, da man den Schatten dem Wesen vorzieht, ist eine andere entstanden, eine wahre Pest der menschlichen Gesellschaft, wodurch die göttlichen Rechte nach Gefallen gebrochen werden, wofern nur jeder seinen Standpunkt zu befestigen Aussicht hat. Man nennt es - Weltklugheit, d. h. die Freiheit, dem eigenen Vortheile, trotz der Verträge und Versprechungen, Alles aufzuopfern. Dies zugegeben, wird es um alle Treue und Glauben unter den Menschen geschehen sein, nichts vor Wortbrüchigkeit schützen, und nicht das Recht, sondern Gewalt und Betrug herrschen. Und so werden alle menschliche Handlungen lauter Labyrinthische, ohne Ausgang, lauter Sisyphische Steine, die nirgends feste Stützpunkte finden, und alle Hoffnung nachbarlicher Liebe und Einigkeit wird zu lauter Tantalischen Früchten, ja, die ganze Welt der Betrüger, die Gott spotten, und ihn zum Zorn reizen, voll werden. „Geht durch die Straßen von Jerusalem, und sucht, ob ihr jemand findet, der Recht thue,“ u. s. f. (Jer. 5, 12). Wenn daselbst V. 3. fragt: ist denn kein Rath, dem Zorne zu entfliehen? so antwortet Ps. 15, 2: ja, daß jedermann die Wahrheit rede mit seinem Munde, und nichts Anderes als ja, was ja ist, und nein, was nein ist (Mat. 5, 37). Dies wäre ein kurzer Begriff, daß der Verwirrungen in der Welt weniger werden.

§. 13.

Den sechsten Irrweg verursachen die verschiedenen Regierungsformen und der Eifer, es einander zuvorzuthun. Denn immer noch schwankt man zwischen der Volks-, der Viel- und der Allein-Herrschaft. Was ist nun hier das einzige Nothwendige: Gott geben, was Gottes ist, und dem Kaiser geben, was des Kaisers ist (Mat. 22, 11), oder unterthan sein aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen (1. Petr. 2, 13). Denn Gott hat die Menschen zur Freiheit geschaffen, und sie keinem Geschöpfe, auch nicht den Engeln unterworfen; weil aber unter jeder Menge Unordnung ist, wo nicht die Menge durch Ordnung zur Einigkeit gebracht wird, so hat Gott den Menschen hierin die Wahl gelassen. Denn nirgends giebt er ausdrücklichen Befehl, sondern Beispiel an den Thieren, die ein geselliges Leben führen: an den Ameisen, ein Beispiel für die Volks- und an den Bienen von der Alleinherrschaft. Wir finden vor der Sündfluth die Vielherrschaft durch die Hausväter, nachher durch Nimrod das Streben nach einer Monarchie. Dies ist der Ursprung der Königreiche, welche der Apostel eine menschliche Ordnung nennt, und Gott nicht mißbilligt, weil er ein Gott der Ordnung ist.

§. 14.

Auch in Königreichen heißt es: Eins ist noth, nemlich einem Königreich nur ein König; gleichwie einem Leib ein Haupt, einem Haupt ein Hut, einer Welt eine Sonne genügt. Ein Reich kann nicht zwei Könige vertragen, sonst wird das Verhältniß des Einklanges fehlen. Denn, gleichwie das Glück des Ehestandes nur die Verbindung von Mann und Weib ausmacht: also im Regierungswesen, wenn einem Reiche nur ein König vorsteht, wie ein Haupt nur mit einem Leibe verbunden ist. Sucht ein König mehr Reiche, so sucht er Labyrinthe, Sisyphische Steine und Tantalischen Hunger und Durst, weil ein einziges Reich der Lasten genug verursacht.

§. 15.

Einem Könige ist notwendig, das Wissen, Können und Wollen des Regierens. Zu wissen - die Gesetze des Rechts und Billigkeit, die Künste des Friedens und Krieges, daß er überall Augen habe, und nicht durch fremde Brillen sehe (Sprüchw. 20, 8). Rosse und Maulthiere müssen regiert werden, sagt David, daß aber ein König, der Andere regiert, sich regieren lasse, ist wider die Vernunft. Das Wollen ferner ist erforderlich, d. h. sich nicht durch Trägheit Oder Wollüste von den Geschäften abziehen lassen. Das Können endlich - mit Ansehn, Macht und Heldenmuth ausgerüstet sein, den Störungen der Ruhe entgegenzutreten. Regiert werden aber soll er nur von Gott und den Gesetzen, Denn ohne zu regieren, wäre er kein König, ohne so regiert zu werden aber mehr als solcher - ein Tyrann, der, Gott und Menschen verhaßt, sich selbst in's Verderben stürzt. Nur so ist er geliebt von den Guten, gefürchtet von den Bösen. Und weil auch ein erfahrener Schiffer Schiffbruch leiden, ein kluger Staatsmann das Gemeinwesen stürzen kann, wo er nicht bei dem höchsten Regierer aller Dinge in Gnade steht; so muß ein Regent vor allen Dingen sein Herz mit der Furcht des Herrn erfüllen, und allezeit andächtig beten und leben.

§. 16.

Tritt aber die Nothwendigkeit des Krieges ein, und ist nöthig, das dieser kein Labyrinth werde? Theils ihn durch friedliche Rathschläge abzuwenden, theils bald zu beenden, theils klug zu führen, daß statt des Sieges nicht Niederlage erfolge. Das erste ist das leichteste, das zweite schwerer, das dritte das schwerste. Christus pries stets das erste, als das sicherste (Mat. 5, 23). Und weil der Krieg etwas Thierisches ist, gebührt den Menschen Leutseligkeit und Sanftmuth, weil aller Streit durch ein rechtgeführtes Gericht beendet werden kann.