Die Gelehrten und Schulmänner finden für ihre Bedenklichkeiten, Zweifel und Täuschungen in Christi Lehre von dem allein Notwendigen gleichfalls die wahre Lösung und Befriedigung.
§. 1.
Was ist für den Menschen, als solchen, das allein Nothwendige? daß er wisse mit allen Dingen, mit Menschen und Gott umzugehen, deren erstes wir die Philosophie, die Politik und die Religion zu nennen pflegen, ohne welche Wissenschaft der Mensch kein Mensch sondern ein Vieh wäre, bei allem Reichthum, Ehre, Bequemlichkeiten des Lebens. Denn so wenig einem Kranken ein goldenes Bett, so wenig hilft auch einem Narren ein herrliches Glück. „Dem Weisen stehen seine Augen im Haupte, aber die Narren gehen in Finsterniß,“ sagt Salomo, Pred. 2, 14. Er meint, der Gelehrsamkeit und Weisheit Endzweck sei, daß die Menschen nicht, wie das Vieh der großen Menge folgen: vielmehr den Lebensweg klar vor sich erkennen, und auf ihm fortgehn, eingedenk des Vergangenen, kundig des Gegenwärtigen, und vorsichtig auf das Zukünftige.
§. 2.
Dies Licht der Weisheit zu erlangen, bedarf es nicht viel, wenn man der Führung Gottes folgen will, nemlich nur Gottesfurcht, des Gebets und dreier Bücher. 1) Der Gottesfurcht - damit niemand auf eine so heilige Sache, auf der die Gottähnlichkeit beruht, unvorsichtig und leichtsinnig, verwegen und vorwitzig verfalle; sondern mit demüthiger Ehrerbietung, insofern es Gottes Ehre, des Nächsten und die eigene Wohlfahrt betrifft. Denn alsdann wird in der That die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang (Spr. 1, 2). 2. Ein andächtiges Gebet soll bezeugen, daß wir nicht voll Selbstvertrauens, sondern bloß in Hoffnung auf göttliche Barmherzigkeit diesem Brunnen uns nahen, wie Salomo und David gethan und sich die Weisheit vor andern Gütern gewünscht haben, daher sie auch weiser als andere Menschen geworden sind. Auch ist die Weisheit allen, die sie von Gott ernstlich erbitten, verheißen (Jac. 1, 5). 3. Weil der Weisheit Brünnen das Wort Gottes des Höchsten. Dies ist dreierlei: Zunächst das allen vernünftige Wesen, Menschen und Engeln gegebene Licht des Verstandes; ferner das den Geschöpfen der sinnlichen Welt eingeprägte; endlich das durch die göttlichen Propheten ausgedrückte Wort Gottes. So giebt es drei Röhren der Weisheit, 1. ein gesundes Gemüth, voll angeborner Verstandeserkenntniß, 2. die Welt voll sinnlicher Geschöpfe, 3. die Heilige Schrift, voll offenbarter, dem Glauben anheimgestellter Geheimnisse.
§. 3.
Die Weisheit zu kennen ist theils leicht theils schwer. Denn bedenken wir, wie wir nach Gottes Willen sein sollen, so sollten es für unsere Seele lauter Ergötzlichkeiten des Ebenbildes Gottes, wahrhaft paradiesische Freuden sein; bedenken wir aber, wie sie durch den Fall geworden, so sind sie lauter labyrinthische, sisyphische Steine und tantalische Täuschungen.
§.4.
Für beides giebt es Beweise. 1. Die Philosophie soll nach Gottes Willen nichts anderes als eine wohleingerichtete Herrschaft über alle Dinge und niedrigere Geschöpfe sein, die in angenehmer Betrachtung der Dinge, in vernünftiger Regierung und deren verständigem Gebrauch besteht. 2. Die Politik soll ein einträchtiges Zusammenwohnen der Menschen sein, einander zum Lebensgenuß zu lieben, zu rathen und zu helfen, nach den Naturgesetzen selbst, d. i. was du willst, daß die Andern thun, eben dasselbe thue auch ihnen oder thue es ihnen nicht, wegen Gleichheit der Natur. 3. Der Religion Hauptsache ist, daß wir Gottes Offenbarung glauben, seinen Befehlen gehorchen und seinen Verheißungen trauen, in allen Dingen und Orten, ohne alle Ausflüchte.
§. 5.
Dies Alles könnte leicht sein, hatten nicht die Menschen den Garten Gottes verwildern, zu Gebüschen und Hecken werden lassen. Weil aber die Menge der Dinge, die unzähligen Fragen, Meinungen, Streitigkeiten, Bücher darüber, die einander widersprechenden Sprachen und vielerlei Ausdrucksweisen, die Schwierigkeiten vermehren, so kommt es, daß alle Gelehrten in unzähligen Labyrinthen herumirren, Steine auf und abwälzen, und mit eitler Hoffnung stets betrogen werden müssen.
§. 6.
Wie? die göttlichen Wirkungen in unserem Gemüthe, in der Welt und Gottes Wort sollten Labyrinthe sein? Ich nenne sie nur so, wegen der großen Mannigfaltigkeit, daß weder Anfang noch Ende zu finden: Denn alle göttliche Bücher enthalten große, bis jetzt vom Verstande unerforschte Labyrinthe. Wie viele Meinungsverschiedenheiten findet man nicht bei den Naturforschern, Geschichtsschreibern, Rechts- und Gottesgelehrten? Es ziemte der unendlichen göttlichen Weisheit, also ihre Schätze zur Betrachtung darzubieten, daß der Mensch kein Ende finden, noch zwischen Geschöpf und Schöpfer, als Bächlein und Quelle unterscheiden kann.
§. 7.
Dieser unendlichen Betrachtung wäre die Schule nicht schädlich, wenn die Menschen hierin demüthige Schüler wären. Allein diese beten statt der Sonne ihre Fünkchen an und dringen sie Anderen zur Anbetung auf.
§. 8.
Gleichwohl haben wir Bücher als Hilfsmittel der reinen Weisheit gegen die Irrthümer und als Führer des Verstandes. Allein wie jetzt die Sachen stehn, so sind sie wahrhafte Labyrinthe, wenn sich Jemand ohne klugen Rath, als den Faden der Ariadne, in solche einlassen wollte. Denn theils sind sie zahlreicher, als daß einer Zeitlebens nur den tausendsten Theil lesen, theils so verschieden, daß der stärkste Kopf darüber verwirrt werden könnte. Daher die unsäglichen Haufen der Bücher mehr zur Schau als zum Nutzen daliegen, oder mehr zur Verwirrung der Gemüther, als zum Unterricht dienen. Denn daher kommt die Menge der Ungelehrt-Gelehrten oder der gelehrten Phantasten; hingegen die geringe Zahl der wahrhaft Gelehrten, d. i. der Weisen, und daß Gott die Weisheit der Weisen verabscheut, und die Klugheit der Klugen verwirft (1. Kor. 1, 19). Der Anblick großer Bücher oder Bibliotheken wird daher in deinem Gemüthe Mitleid über das menschliche Elend, das durch so große Labyrinthe zerstreut, zerrissen und verderbt ist, hervorrufen. Denn gleichwie die Leckerbissen die Gefräßigen anlocken, und sodann in Ekel, Krankheit und frühen Tod stürzen: also locken die vielen verschiedenen Bücher die Vorwitzigen an, daß die Gemüther endlich von Ekel, Krankheiten und Verderben voll werden. Darum befürchten die Verständigen, daß, wenn nicht die stets sich mehrende Bücherfluth gehemmt wird, in Kurzem die Menschen entweder nichts lesen oder nichts glauben, und Gottlosigkeit und Unglauben Alles überschwemmen, und namentlich die sich klug dünkenden Völker hierin den Anfang machen.
§. 9.
Damit die Lesung der Bücher kein solches Labyrinth werde, suche zunächst nicht viele, sondern gute Bücher; begnüge dich mit einem Buche, welches einen gewissen Gegenstand wahr und erschöpfend vorträgt: lies dies eine aufmerksam durch, zeichne das Bemerkenswerthe auf, und nimm es sodann nicht wieder zur Hand; das Ausgezeichnete aber präge durch wiederholtes Lesen deinem Gedächtniß ein. Wenn du dir so den Kern der Weisheit aneignest, wird diese nicht mehr auf dem Papier, sondern in deinem Herzen sein. Wollten die Schulen dieser Lehrart folgen, so würden sie sich und die Jugend, aber auch die Kirche, das Staatswesen und die Welt von beschwerlichen Labyrinthen frei machen.
§. 10.
So Großes getraue ich mir von so geringen Dingen zu versprechen, weil Christus, der große Künstler, diejenigen, die ihn zum Führer und Licht haben, nicht läßt in Finsterniß wandeln, sondern das Licht des Lebens haben (Joh. 8, 12). Besonders wenn man ihm alle menschliche Bücher hintansetzt, das hieße mit Maria das beste Theil erwählen, zu Christi Füßen sitzen und über seiner Rede alles Andere vergessen.
§.11.
Zwar scheinen auch die göttlichen Bücher wegen ihrer Umschweife und tiefen Abgründe Labyrinthe des Verstandes zu sein, doch scheint dies mehr als es wirklich so ist. Denn der allervollkommenste Künstler, Gott, hat, in großer Uebereinstimmung die Schaubühne seiner Weisheit, die Welt, das Gemüth und die Heilige Schrift aufgebaut. Sollte aber auch eine Unvollkommenheit darin entdeckt werden können, wird doch durch Hilfe Gottes, der auf dem Wege der Weisheit führt, und die Weisen regiert (Weish. 7, 15), der Irrthum minder schädlich sein, als wenn wir Gott verlassen und andern Führern folgen. Endlich fehlt es auch nicht an Anleitungen, um diese göttlichen Schaubühnen zu durchwandern.
§. 12.
Diese Anleitungen sind dreierlei: 1. daß du das Gesuchte da suchest, wo es ist: dich in dir, die Welt in der Welt, Gott in Gott. Und zwar 2. durch ein Mittel, das Jedem zukommt, die Welt durch das Licht der Sinne, das Gemüth durch das Licht der Vernunft, und Gott durch das Licht des Glaubens; denn die äußere Welt ist den äußeren Sinnen unterworfen; die Wirkungen des Gemüths werden geordnet durch die Vernunft; die geoffenbarten Dinge werden gefaßt durch den Glauben. 3. Daß Alles übereinstimme, damit nicht zwischen den Gedanken, Worten und Thaten Gottes, und unseren Sinnen, Vernunft und Glauben ein Widerspruch entstehe. Alsdann erst wird stets das Licht und die Wahrheit mit der Liebe, zur Ehre Gottes und unserer Wohlfahrt hervorkommen.
§. 13.
Um nun das Buch der Geschöpfe nicht als Labyrinth, sondern als Lustgarten zu erkennen, laßt uns die Stufen der Geschöpfe der Reihe nach durchgehn. Zuerst also die Dinge, welche ein bloßes Vorhandensein haben, als die Elemente und die aus denselben zusammengesetzten Lufterscheinungen, Metalle, Steine: darnach die, welche außerdem ein Leben haben, und wegen des Lebens gezeugt werden, wachsen, sterben, als die Bäume, Kräuter. Ferner die, welche noch überdies ein Fühlen haben, und sich von einem Ort zum andern bewegen können, als die Thiere aller Art, endlich die, welche über alles Vorige die höchste Krone der Gottähnlichkeit empfangen haben, um sich selbst und Anderes zu erkennen, als der Mensch und Engel. Oder es lassen sich auch die leiblichen Geschöpfe nach der Zahl der Sinne in fünf Klassen eintheilen.
§. 14.
Um aber das menschliche Gemüth vor Verwirrung zu bewahren, hat Gott gewisse Schranken, nämlich Zahlen, Maaß und Gewicht angeordnet (Weish. 2, 21), und dieselben dem menschlichen Gemüthe eingeprägt, damit dasselbe mit Hilfe jener die Wissenschaft und den Gebrauch aller Dinge sich erwerbe. Zu diesem Zwecke legte er ihm eine dreifache Richtschnur bei: 1. gewisse angeborne Kenntnisse, die dem Verstande vorleuchten, 2. gewisse verborgene Triebe, die den Willen, das Gute zu wählen und das Böse zu verwerfen, antreiben, 3. gewisse Kräfte und Werkzeuge, dem Guten zu folgen und es zu erringen, das Böse aber zu fliehn und ihm zu entfliehn. Da diese drei alle Dinge umfassen, in allen Menschen gefunden werden, werden sie allgemeine Kenntnisse, Triebe und Kräfte genannt. Wollte man diese wieder in gebührende Klassen eintheilen, so würde man kein Labyrinth, sondern ein geordnetes Feldlager und einen Lustgarten haben, der dem Beobachter nicht weniger Vergnügen, als die große Welt, verursachen würde.
§. 15.
Auch das Buch von Gottes Wort, die Bibel, kann so zu einer anmuthigen Betrachtung werden, wenn man eine dreifache Ueberzeugung davon hegt: 1. daß es ein göttlicher Brief an das Menschengeschlecht sei, worin er dieses von vergänglichen, mühseligen, zu seinen ewigen Freuden einladet; 2. daß es den Menschen Vieles offenbare und von ihnen fordere, auch den Gehorsamen höhere Dinge als die Welt verheiße; und 3. daß der Fleiß, der auf dieses Buch zu wenden, bei weitem verschieden von der Mühe sei, die man auf menschliche Bücher wendet.
§. 16.
Zunächst ist den Bibellesern die Ueberzeugung nothwendig, daß dieses Buch uns aus dem Paradiese Vertriebenen von Gott gegeben worden, nicht auf einmal, sondern nach und nach, wie es der Anlaß des Ungehorsams gegen Gott an die Hand gab, zu dem Zwecke, daß wir an unsere Thorheit durch Verlassung der Lebensquelle, Gottes, an die Unseligkeit, in die wir durch jene stürzen, auch an Gottes den Bußfertigen gebotene Barmherzigkeit kräftig erinnert werden. Es sei daher das Nothwendigste aller Bücher und das einzige Hilfsmittel, den Weg, wie man dem ewigen Verderben entgehen und das ewige Heil und Leben erlange, zu erkennen.
§. 17.
Dies Buch zerfällt, seinen innersten Kern anlangend, in drei Stücke: Offenbarung, Befehle und Verheißungen; jene sind im Glauben, diese mit Gehorsam und letztere in göttlicher Hoffnung anzunehmen. Denn darin offenbaren sich solche Dinge, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und die in keines Menschen Herz gekommen sind (1 Kor. 2, 9. 10), d. i. wofern sie Gott nicht offenbart hätte, der Mensch durch keinen Sinn, noch durch Vernünftelei erlangen könnte; z. B. was vor der Welt Anfang gewesen, und nach ihrem Ende sein werde, was außerhalb der Welt, sogar im Herzen Gottes selbst, geschehe, was er nemlich für Absichten mit uns habe, u. s. f., was wir jedoch sicherer in göttlichem Glauben als je durch augenscheinliche Beweismittel begreifen (Hebr. 11, 1). Ferner werden in der Heiligen Schrift nur solche Dinge befohlen, welche ohne Hilfe des Geistes Gottes, durch keine Kräfte der Natur gethan werden könnten, z. B. die Wiedergeburt oder Verwandlung in neue, gottähnliche Menschen, welche allein durch gänzliche und demüthigste Uebergabe seiner selbst an Gott erlangt werden kann. Endlich werden solche Dinge verheißen, dergleichen kein sterblicher Mensch noch unsterblicher Engel zu verheißen vermag: nemlich die Ewigkeit selbst mit allen Strömen der Seligkeit, ja mit Gott selbst, der Quelle alles Segens, der den mit aufrichtigem Herzen vor ihm Wandelnden, sich selbst zum Lohn verspricht (1 Mos. 15, 1).
Diese Hoffnung wird von den Gläubigen so fest ergriffen, daß sie alle Sinne zu verleugnen, alle Ausflüchte der Vernunft zu verwerfen, selbst dieses Leben zu verlassen tausendmal bereitwilliger sind, als nicht zu jenen unsterblichen Gütern zu eilen; gleichwie der Apostel durch das Lob der alten Heiligen bezeugt (Hebr. 11).
§. 18.
Wer ein solch Licht, Wahrheit und übermenschliche Stärke des Glaubens, der Liebe und Hoffnung aus diesem Buche schöpfen will, muß zunächst größeren Fleiß darauf wenden, als irgend auf menschliche Bücher; ferner vorsichtiger hierin zu Werke gehn, als in jenen allen; und endlich dies nicht durch bloßes Wissen, sondern durch stete Ausübung.
§.19.
Größerer Fleiß wird hier erfordert, als irgend bei anderen Büchern wegen größerer Schätze des Lichts, der Wahrheit und Seligkeit, welche allein den Bittenden, Suchenden und Anklopfenden verheißen sind (Matth. 7, 7). Laß das Buch des Gesetzes nicht von deinem Munde gehn u. s. f. (Jos. 1, 8. Ps. 1, 2. Ps. 119. 97. 99. 100.)
§. 20.
Doch ist hier auch größere Vorsicht, als irgendwo, nöthig, wegen der steten Vermischung des Lichts und der Finsterniß, der Wahrheit und Lüge, der Weisheit und Thorheit, des Glaubens und Unglaubens, der Liebe und des Hasses, der Hoffnung und Verzweiflung, der Seligkeit und Verdammniß. Denn gleichwie im irdischen Paradiese nicht bloß der Baum des Lebens, sondern auch der Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen, an dessen Frucht man den Tod finden und essen konnte, gewesen, also auch im göttlichen Paradiese; wo den Baum des Lebens die Offenbarungen, Befehle und Verheißungen Gottes mit den Beispielen der Heiligen, die jene angenommen haben; den Baum der Erkenntniß aber die Geheimnisse, Verbote und Drohungen mit den Beispielen der Gefallenen vorstellen, und die Vermessenheit der Unvorsichtigen anreizen. Wer daher dies Paradies Gottes, die Bibel, betritt, muß dies mit dem festesten Vorsatz thun, dem Brunnen des Lebens anzuhangen, den Baum der Erkenntniß aber zu meiden, d. i. dies Buch zu dem Zwecke lesen, nicht gelehrter, sondern heiliger zu werden. Wer es ohne diesen Vorsatz vornimmt, kann gar leicht in Stricke und Fall, wie die Mutter Eva, mit unzähligen ihrer vorwitzigen Kinder, gerathen. Wer aber etwas Besseres, nemlich den Weg des Lebens sucht, der wird sowohl das Leben, das er sucht, finden, als auch, was er zu suchen sich fürchtet, als Zugabe erhalten, nemlich das Verständniß der Geheimnisse Gottes, vor denen, die aus bloßem Vorwitz dies suchen, sofern er nur die Art der thätigen Ausübung nicht verkennt. Dies müssen wir uns noch klarer zu machen suchen.
§. 21.
Die ganze Heil. Schrift ist ein Buch der That, worin Gott wider die abtrünnigen Geschöpfe seine Sache führt, und sowohl die Gerechtigkeit als die Ausübung seines Gerichts bei verschiedenen Gelegenheiten verschieden beschreibt; indem er die Menschen belehrt, was sie wissen, ihnen befiehlt, was sie thun, und denen, die es thun, verheißt, was sie erwarten sollen, und zwar durchgehends mit Beispielen seiner erzeigten Güte gegen die Frommen, und gerechten Zorns gegen die Gottlosen. Wer dies Verfahren Gottes recht verstehn und durch Anderer Beispiel klüger werden will, der halte zunächst dafür, daß das Menschengeschlecht jetzt ebenso beschaffen sei, wie vor Zeiten, da alle Menschen nach Gottes unerforschlichem Rathschluß zwischen Höhe und Tiefe, Recht und Unrecht, Leben und Tod so ohne Unterschied gestellt sind, daß, so Jemand hier überwindet, er zum Höchsten, zum ewigen Leben gelange; so er aber überwunden wird, in das Unterste und Verderben verfalle. Daß ferner der Satan noch derselbe sei, der er gewesen, ein neidischer Feind unserer Seligkeit, und steter Nachsteller auf tausendfache Art, vor welchem kein Mensch einen Augenblick sicher sei: daß Gott hingegen unserem Kampf mit jenem zuschaue, und sich niemals den Menschen entziehe, sofern nur diese ihn nicht verlassen worüber die Heil. Schrift Beispiele anführt. Auch offenbart sie die vielfachen Ränke und Stricke des Ersteren, wie auch die vielfachen Ermahnungen und Hilfe Gottes, bald mit sanften Worten und Lehren, bald mit schärferen Warnungen und Strafen, bald mit Wundern und Zeichen, bald mit allerlei Heimsuchungen und Plagen. Niemand darf sich dabei ausschließen, da ein jeder Saamen des Guten und Bösen, von Gott und dem bösen Säemann in sich hat. Denn da der Mensch ein kurzer Inbegriff der Welt ist, der seinen Himmel und Erde, Wasser und Feuer, leibliches und geistiges Licht und Finsterniß, Bewegung und Ruhe in sich hat: so stellt sich auch die ganze göttlich beschriebene Geschichte des Menschengeschlechts in jedem Menschen besonders dar, so daß Niemand ist, der nicht seinen Gott und Satan, sein Paradies und Hölle, seinen Baum des Lebens und Todes, seine Versuchungen und Kämpfe, seine Siege und Niederlagen, seinen Cain und Abel, mit einem Worte, den Weibes- und Schlangensaamen in sich trage, da bald dieser, bald jener Saame in Einzelnen die Oberhand gewinnt.
§. 22.
Der Christ soll nun beim Lesen der Bibel Alles nicht als fremde, sondern als seine ihm nahe angehende Angelegenheit in einem Spiegel ansehn und die guten wie die bösen Beispiele auf sich beziehn. Denn Gott schauet zu allen Zeiten auf Alles, und ist unveränderlich, so daß was Gott einem Menschen sagt oder thut, Alle betrifft; nach der Richtschnur seiner ewigen Gerechtigkeit, daß es den Frommen wohl und den Gottlosen übelgehe. Versuche dies, o Christ! schlage die Bibel darum auf, um das Gottgefällige ernstlich zu thun, das Gott Mißfällige zu meiden; so wirst du erfahren, daß du von Licht zu Licht, von Tugend zu Tugend, bis zu dem Gott aller Gnade in Zion, fortschreitest.
§. 23.
Bleibt auch die Frucht Anfangs aus, so verzage man nicht; denn in Allem giebt es Stufen, und nichts wird zugleich geboren und reif. Auch die Schulen pflegt man in Klassen einzutheilen; ebenso die höchsten Schulen der göttlichen Weisheit. Die erste Aufgabe ist hierbei, alle biblische Geschichten zu wissen, ferner das rechte Verständniß aller Stücke des Glaubens, der Liebe und Hoffnung zu bekommen, und sodann sich selbst ernstlich zu einem neuen Menschen nach Gott, in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit zu bilden (Ephes. 4, 24). Die erste Stufe ist gleichsam das Lehrjahr des Christenthums, die andere die Kriegsübung selbst, und die dritte der Sieg und Triumph. Oder (um die alten Vorbilder anzuwenden) im ersten Grad sind die Christen wie die Leviten, die im Vorhofe des Tempels dienten; im anderen wie die Priester, die im Heiligthum ihr Amt verrichten; im dritten steht jeder vollkommene Christ, der Christo ähnlich ist, wie der Hohepriester im Schmuck der Heiligkeit bereit, in das Allerheiligste des Himmels einzuziehn.
§. 24.
Sagt Jemand: auf diese Art wäre die Bibel dem Christen Alles, das Allernothwendigste? so antworte ich: Ja, wenn wir verlangen, nach Gott, weise zu sein, und, wie Maria, zu Christi Füßen zu sitzen. Denn die Schrift ist wahrhaftig der Stuhl der ewigen Weisheit. Und doch sind die beiden anderen Bücher, die Welt und das Gemüth, nicht vergeblich gegeben, sondern unterrichten über die Nothwendigkeiten des jetzigen Lebens. Was auch sie für Kraft haben, zu jenem höchsten geheimen Grad der Weisheit uns zu befördern, davon hat vor 250 Jahren Raimund de Sabunde den Beweis geliefert, der alle Geschöpfe in vier Klassen, nach ihrem Sein, Leben, Fühlen und Verstehn eingetheilt, und Alles, was zur Erkenntniß und Ehre Gottes, zu des Menschen Wohlfahrt gehört, unwiderleglich ausgeführt hat. Leider liegt das Buch, wie eine Waare ohne Käufer, weil die Welt die Perlen von dem Kehricht nicht unterscheiden kann, und mehr auf ihre Labyrinthe, als auf die allenthalben ihr dargebotenen Fäden der Ariadne siebt.
§. 25. 26.
Die Schulen müssen gleichfalls Christo, als ihrem Führer, folgen, und alle andere Führer, zumal aus dem blinden Haufen der Heiden fahren lassen; auch die menschlichen Bücher vorsichtig auswählen, und mit der göttlichen Weisheit in Einklang bringen: und endlich Christi Lehre beherzigen, die auf Wahrheit und Ausübung dringt, nicht aber Pracht und Schein erfordert, und mit dem Fluch diejenigen schreckt, die es sagen, und nicht thun. (Mat. 23.)
§. 27.
Mögen auch die hohen Schulen ihre vier Fakultäten beibehalten - so wäre gut, daß überall ein Professor der Notwendigkeiten oder der Genügsamkeit angestellt würde, der auf alles Entbehrliche aufmerksam machte. Ebenso ein Lehrer der Laconischen Beredsamkeit, der von der Schwatzhaftigkeit abführte. Denn auch dies ist ein Stück christlicher Weisheit: wissen zu schweigen, und nur das Nothwendige zu reden, es sei mit Gott oder Menschen (Mat. 6, 7.). Denn von dem Richter der Lebendigen und der Todten ist ein schweres Gericht über jedes unnütze Wort angekündigt worden.