Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Zweites Kapitel.

Die einzige Ursache aller Verirrungen der Welt besteht darin, daß die Menschen die nöthigen von den unnöthigen Dingen nicht unterscheiden, folglich das Nothwendige beiseite setzen, hingegen mit unnöthigen Dingen sich beschäftigen und verwirren.

§. 1.

Gleichwie die Aerzte bei den Kranken nichts ausrichten können, wenn sie die Ursache der Krankheit nicht wissen; sobald sie aber diese erforscht, die Arzeneimittel desto leichter suchen, desto glücklicher finden, und desto sicherer anwenden können. Also faßt man vergebliche Pläne zur Abwendung des Uebels, bevor die Wurzeln des Uebels ergründet worden sind. Wir müssen demnach nach den wahren Ursachen derjenigen Uebel fragen, welche wir jetzt zu betrachten haben, nemlich die immerwährenden Verwirrungen, ruhelosen Ermüdungen, und steten Täuschungen - wollen wir anders die rechten Mittel dagegen auffinden.

§. 2.

Die Hauptursache erkenne ich allezeit darin, daß die Menschen das Köstliche von dem Geringen, (wie Gott redet Jer. 15, 19) d. i. das Notwendige von dem Unnöthigen, das Nützliche von dem Schädlichen zu unterscheiden, entweder nicht wissen, oder sich nicht befleißigen, oder halsstarrig nicht wollen, nach Art des Viehes, welches geht, nicht wohin es soll, sondern wohin es will; oder daß sie nicht das einmal Wohlgefällige verlassen wollen, es sei gut oder böse.

§. 3.

Recht zu bewundern ist an den meisten Menschen, daß sie widersprechende Dinge naturwidrig mit einander verknüpfen; ich meine, die Spitzfindigkeit mit der Dummheit, die Sorgfalt mit der Unvorsichtigkeit, das Wollen mit dem Nichtwollen, in einer und derselben Sache. Von dem ersten sagt Gott: „Mein Volk ist toll, und glauben mir nicht, thöricht sind sie und achten's nicht; weise sind sie genug, Uebles zu thun, aber Wohlthun wollen sie nicht lernen“ (Jer. 2, 22), weil nemlich die Meisten um fremde Sachen sich bekümmern, um ihre eigenen aber wenig Sorge tragen.

Und was noch seltsamer ist, sie sind besorgt um geringe Dinge, die nichts zur Glückseligkeit beitragen, aber unachtsam in wichtigen Dingen, in denen das Hauptwerk des Lebens und der Wohlfahrt beruht. Sie sehen in eines Andern Auge den Splitter, und bemühen sich denselben auszuziehn; aber sogar um den Balken in ihrem eigenen Auge bekümmern sie sich nicht.

So bemerkt man das Wollen und Nichtwollen des Guten, weil ein Jeder das Gute zu wollen erklärt, und es auch in der That will, indem er einen Antrieb dazu empfindet; sieht er aber, daß die Erlangung desselben eine schwere Arbeit koste, und einige Bitterkeit mit dem Süßen vermischt sei, so verkehrt sich alsbald das Wollen in ein Nichtwollen. Daher kommt es, daß die Welt voll solcher Menschen ist, die die Wahrheit suchen und doch irren; fleißig arbeiten und doch ihre Kräfte vergeblich anstrengen; nach dem Guten eifrig verlangen, und es doch Nicht erlangen; oder, so sie es erlangen, nicht zu gebrauchen wissen, und sodann wieder einen Ekel davor bekommen. Mit Beispielen soll dies erläutert werden.

§. 4.

Als im Anfang aller Dinge, der einige Gott gewesen, und eine einzige von ihm erschaffene Welt, und ein einziger derselben vorgesetzter Haushalter, der Mensch, und ein einziges ihm vorgeschriebenes Gesetz, daß er dem Schöpfer allein unterthan sein, allen Geschöpfen aber vorstehn solle: so war die genaue Beobachtung dieses Gesetzes dem Menschen das allein Nothwendige. Wenn daher dies die ersten Menschen mit ihren Nachkommen gehalten hätten, so besaßen wir noch bis auf den heutigen Tag das ewige Paradies. Aber was haben sie gethan? Es war ihnen durch das Bild der zweierlei Bäume Gutes und Böses, Leben und Tod vorgestellt - da hätten sie dem Guten und dem Leben anhangen sollen. Das Gegentheil, was gut und böse, Leben und Tod sei, zu erfahren, war ihnen weder nöthig noch nützlich, und daher verboten. Aber durch Ueberredung des Bösen und selbsteigenen Vorwitz, haben sie das letztere erwählt, und sich zu dem verbotenen Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen gewendet. Dieser erste und recht grobe Irrthum war ihnen die Hauptursache zu allen folgenden Irrthümern und verkehrtem Wesen geworden. Denn alsbald nach erkannter Blöße haben sie angefangen sich zu schämen, Decken, die ihnen doch nichts nutzten, zu suchen, vor Gott, dem Ursprung alles ihres Guten, zu fliehn, anstatt einer aufrichtigen und demüthigen Bekenntniß, ihre Sünde heuchlerisch zu bemänteln, und also von einer Sünde in die andere zu fallen. Siehe, in ein so künstliches Labyrinth hat sie der unholde Dädalus zu führen gewußt!

§. 5.

Nachdem sie wieder zu Gnaden aufgenommen, und in der Hoffnung, durch die Verheißung des zukünftigen Heilands und durch das Opfer des in ihrer Gegenwart geschlachteten Lammes, wovon ihnen, ihre Blöße zu decken, Kleider gemacht wurden, (1. Mos. 3.15. 21. Off. 13,8.) aufgerichtet waren, da war nichts so nothwendig, als an Gottes Verheißungen zu glauben, und den verheißenen Erlöser bei allen Opfern im Glauben anzuschauen. Weil aber ihr erstgeborner Sohn, Cain, dieses nothwendigen Stückes, des Glaubens vergaß, und durch das bloße äußerliche Werk Gott zu gefallen meinte, und daher seine Opfer ohne Glauben brachte (1. Mos. 4, 3. 4. 5. Hebr. 11. 4.), so gerieth er in unauflösliche Labyrinthe mit seiner ganzen Nachkommenschaft, welche diese Irrthümer fortsetzte, und anstatt eines gottgefälligen ein viehisches Leben erwählte.

§. 6.

Diesem verderbten Geschlechte, welches so vielfach durch die Erzväter, vornehmlich Noah, 120 Jahre hindurch zur Besserung vermahnt wurde, war eins noth - die Bekehrung. Nachdem aber Gottes Langmuth, die solange Zeit darauf gewartet, (1. Petr. 3, 20.) sich in Zorn verwandelt, hat er den Wassern des Meeres geboten, durch Überschwemmung des Erdbodens alle Gottlosen, nur 8 Seelen ausgenommen - zu vertilgen.

§. 7.

Den in der Sündfluth Geretteten, dem Noah und seinen Söhnen und Weibern, konnte wohl nichts nothwendiger sein, als sich an der früheren, durch die Sündfluth vertilgten Welt zu spiegeln, und mit Meidung aller Wollust und Ueppigkeit dieses Lebens, und anderer nichtswürdigen Dinge, ein ernstes, rechtschaffenes und heiliges Leben zu führen. Aber was thaten sie? Wie schändlich hat Noah selbst, vom Weine trunken, sich gezeigt? Wie großes Aergerniß seinen Söhnen gegeben? Wie schrecklich ist der eine Sohn, der sich an der Entblößung des Vaters ein ungeziemendes Schauspiel machte, verflucht worden? Dies bezeugt der Fluch, der auf dem ganzen Geschlechte der Chams bis auf den heutigen Tag ruht. Ich verstehe darunter die afrikanischen und amerikanischen Völker, die ein recht viehisches Leben führen.

§. 8.

Es hören hiermit dergleichen Thorheiten noch nicht auf. Nach dem das Geschlecht Noah sich zu vermehren angefangen hatte, und sie sahn, daß sie auseinander in verschiedene Theile der Welt würden gehn müssen, faßten sie den thörichten Rathschluß, erst an demselben Orte, Stadt und Thurm zu bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche. Dies thaten sie, ohne Gott um Rath zu fragen, nur um ihren eigenen Namen berühmt zu machen, und ohne von ihrem hartnäckigen Vorsatz ablassen zu wollen (1. Mos. 11, 4. 6.) Diese Verwegenheit zu bezähmen, hat Gott den Schwindelgeist in sie kommen lassen und ihre Sprache verwirrt, daß keiner des Anderen Sprache verstand, wodurch sie sich zu zerstreuen genöthigt wurden. Und dies ist der Ursprung der entstandenen vielen Sprachen, welche das verwirrteste Labyrinth aller Erdbewohner sind, worin wir alle nun schon über vierzig Jahrhunderte höchst beschwerlich herum wandern, da wir nur etwa die uns zunächst Wohnenden verstehen können. Die Uebrigen aber, welche eine große Menge ausmachen, sind für uns so gut wie stumm, und wir ihnen, und können nichts, als einander ansehen und daher Ueberdruß empfinden. Denn Augustinus hat wahr geredet: Niemand ist unter uns, der nicht lieber mit seinem Hunde, als mit einem Menschen, der eine fremde Sprache redet, umgehen will. Siehe da, ein verwirrtes und mit tausend Irrgänge durchbrochenes und zerrissenes Labyrinth!

§. 9.

Diese Verschiedenheit der Sprache hat die Menge der Völker, und bald auch der Religionen verursacht, da ein jedes abgesondert wohnende Volk seine eigene Gebräuche, Ceremonien und Meinungen des Gottesdienstes ausgesonnen hat und zwar der größte Theil durch Bilder und Götzen, welche nachmals als Gott gedient und mit dem Namen der Götter beehrt worden sind. Daher ist die Vielgötterei mit den fabelhaftesten Erzählungen von Liebe und Haß, Streit und Krieg der Götter untereinander, entstanden, mit einem Wort, das vielförmige und ungestalte Heidenthum, oder der Atheismus, da man die Thorheit jener Fabel erkannte, einen Ekel davor hatte, und dann sogar leugnete, daß ein GOtt sei.

§. 10.

Es ist bald ein anderes Unwesen, nemlich die Gewohnheit, gegen einander zu wüthen, daraus hervorgegangen. Denn als den nunmehr von einander getrennten Völkern das vor allem Nothwendige, die Einigkeit unter einander, am besten hätte nutzen können, insofern durch sie ein jeder von dem anderen durch rechtmäßige Grenzen geschieden, in seinem Hause ruhig gelebt hätte: so sind sie in allerlei Uneinigkeiten gerathen, und haben für den einzigen allgemeinen Labyrinth viele tausend andere kleinere aufgebaut. Hierzu machte der aus Chams Nachkommen entsprossene Nimrod den Anfang, der sich vornahm, in der von den Uebrigen verlassenen Stadt Babel zu verbleiben, und durch die Vollendung des begonnenen Werkes seinen Ruhm zu begründen. Zu diesem Endzwecke vieler Hände benöthigt, begann er von den Zerstreuten einige durch Gutes anzulocken, andere mit Gewalt zu zwingen, und also eine Menge Volks sich unterthänig zu machen, weshalb er ein Menschenjäger und zwar ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn (1. Mos. 10, 9.) genannt wurde, weil er in Gegenwart Gottes, sich dessen unterfing, was vor ihm keiner gethan, nemlich die, dem Menschen über die Thiere der Erde verliehene Herrschaft auch über die Menschen zu erstrecken, was in der menschlichen Gesellschaft zu unzähligen Verwirrungen Anlaß gegeben hat. Denn die menschliche Natur, ihrer angeschaffenen Freiheit so sehr eingedenk, daß sie nur gezwungen unter dem Joch sein kann, sucht allezeit sich davon loszumachen, die Herrschsüchtigen dagegen unterlassen nichts, um ihre Macht durch allerhand List und Ränke zu befestigen, welches der Ursprung aller Kriege, Gewaltthätigkeiten, des Betruges und der Hinterlist unter den Menschen ist. Denn was zuerst Nimrod beliebt hat, das hat Anderen ebenfalls bald gefallen, so daß schon zu Abrahams Zeiten, im zweiten Jahrhundert nach Nimrod, es viele große und kleine Könige gab, die einander zu bekriegen trachteten (1. Mos. 14, 9.) und von jener Zeit her nichts häufiger war, als die grausamen Jagden der Könige und Völker, die mit bewaffneter Hand angreifen, ich meine die Kriege, welche einen schrecklichen und endlosen, zugleich auch dem Menschengeschlechte höchst schädlichen Labyrinth ausmachen.

§.11.

Denn die Natur des Menschen weigert sich des Gehorsams nicht, will aber menschlich, nicht thierisch, regiert werden, eben weil der Mensch sich vom Vieh unterscheidet. Sogar jenes wunderliche Thier, Bucephalus, halb Pferd halb Stier, duldete keine unvernünftige Behandlung und warf einen strengen Reiter aus dem Sattel. Bei dieser Wahrnehmung bestieg Alexander es selbst, und zähmte durch sanfte Behandlung das wilde Pferd dergestalt, daß sein Vater Philippus verwundert ausrief, einem solchen Regiment gebühre billig die Weltherrschaft: ein ewiger Beweis, daß zur Regierung der menschlichen Natur sanfte Leitung das einzige Nöthige sei, Gewalt dagegen, Zwang, Trug und List unrichtige Mittel seien, vernünftige Wesen unter den Gehorsam zu bringen. Darum ist es ewig wahr: nulla falus Bello rc., d. i. es ist kein Heil im Kriege. Aber die Sünden der Völker haben diese scharfe Peitsche, und die unaufhörliche Thorheit der Welt hat diesen immerwährenden Labyrinth bisher verdient.

§. 12.

Wir wollen auf andere, auf kleinere und verschiedene Labyrinthe gewisser Völker und Geschlechter, nach Anleitung der H. Schrift, kommen. Gott hatte den Erzvater Abraham, mit dem er sich durch einen gewissen Bund vereinigte, wider die Irrthümer, Mühseligkeiten und Gefahren des Lebens gänzlich verwahrt, mit diesen Worten: „Fürchte dich nicht Abraham ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“ (1. Mos. 15, 1.) Gleichfalls: „Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm“ (1. Mos. 17, 1.) Siehe, hier war dem Abraham das allein Nothwendige, obschon dreifach, 1. an einen Allmächtigen glauben, 2. desselben einigen Willen thun und 3. bei solchem Thun nichts fürchten: so werde er unter dessen Schild sicher sein. Es war aber Abraham bei Beobachtung dieser drei nothwendigen Stücke ganz sicher. Da er jedoch ein- und zweimal durch Abweichungen von dem Glauben, dem Leben und der Hoffnung Gottes sich versündigte, so hatte er sich auch in Verwirrung gesetzt; wiewohl Gott dazwischen kam, wie in Egypten (1. Mos. 12.) und im Lande Gerar (V. 20.) geschehen ist.

§. 13.

Sein Sohn Isaak versah es auch und gerieth eben dahin (1. Mos. 26, 7.) aber weil er in Bewahrung des Notwendigen (des Glaubens, der Hoffnung und des Gehorsams Gottes) beständig war, beschützte ihn Gott. Allein sein Erstgeborner, Esau, verkaufte das Recht der Erstgeburt um ein Linsengericht (d. i. er verwechselte das Notwendige mit dem Unnöthigen) und was für große Verwirrungen er sich selber, seinem Bruder und seinen Eltern hierdurch zugezogen habe, ist in seiner Lebensbeschreibung (1. Mos. 25 - 36) zu lesen.

§. 14.

Gott hatte sein Volk Israel in der Wüste mit nothwendiger Speise, mit Manna, welches täglich vom Himmel regnete, versehen, mit welchem aber sie nicht zufrieden waren, sondern Fleisch, Fische, Gurken, Kürbisse, Knoblauch und Zwiebeln verlangten. Durch diese Ungenügsamkeit wurde Gott zum Zorn gereizt, und ließ ihnen durch Moses auf längere Zeit hin Fleisch versprechen, und wirklich zukommen. (4. Mos. 11.) Siehe also in welch Elend diejenigen, die, mit dem Notwendigen nicht zufrieden, nach dem Unnöthigen unbesonnen begierig waren, sich stürzten.

§. 15.

Ein anderes trauriges Beispiel an demselben Volke lesen wir gleich darauf im 13 und 14 Cap. Als sie nemlich in das gelobte Land, das mit Milch und Honig floß, einziehen sollten, nahmen sie, aus unnöthiger Furcht, nicht nur Anstand, weiter zu ziehen, sondern beschlossen auch Moses und Aron zu steinigen, und wieder nach Egypten zurückzukehren. Dieser Kleinmuth wäre fast dadurch bestraft worden, daß Gottes Zorn sie alle durch Pest zu Grunde gerichtet und statt ihrer Mosen zu einem großen Volke gemacht hätte, wofern nicht Letzterer durch inbrünstiges Gebet dieses Geschick von ihnen abgewendet hätte, ohne aber die vornehmsten Rädelsführer und Urheber jenes schimpflichen Vorsatzes vom Untergang retten zu können. Den Uebrigen schwur Gott, sie sollten nicht in das Land kommen, sondern nach 40jährigem Umherziehn in der Wüste umkommen, ihre Kinder dagegen an das Ziel gelangen, wie auch geschehen. Daran mag Jeder, der sich untersteht in Gott Mißtrauen zu setzen und seiner eigenen thörichten Vernunft zu trauen, erkennen, was es heißt: Gott versuchen.

§. 16.

Als nun das Volk durch Gottes mächtigen Arm in das verheißene Land eingeführt, und durch göttlich erweckte Richter regiert wurde, wagte es diese Führung Gottes zu verachten und von seinem letzten Richter, Samuel, zu verlangen: „Setze einen König über uns, der uns richte, wie alle Heiden haben.“ (1. Sam. 8, 5.) Den deshalb betrübten Samuel tröstete Gott: „Sie haben nicht dich, sondern mich, als ihren König, verworfen. Verkündige ihnen das Recht des Königs, der sie beherrschen soll. Und werdet ihr einst über euren König klagen, wird der Herr euch nicht erhören (v. 7. 9. u. f.) Also geschah es: denn außer David nebst zwei bis drei Nachkommen, waren alle Andere (in beiden Königreichen) Unterdrücker des Volks und wahren Gottesdienstes, bis sie sich selbst mit ihren Königreichen aufgerieben haben. Will nun noch Jemand leugnen, daß die Menschen ihr eigenes Glück oder Unglück verursachen, und zwar am meisten, wenn das Nothwendige (worin es Gott und die Natur niemals ermangeln lassen) ihnen nicht genügt, sie vielmehr aus thörichter verwegener Begierde nach unnöthigen Dingen streben?

§. 17.

Auch David, der Frömmste unter allen Königen, den Gott gewürdigt, einen Mann nach seinem Herzen zu nennen, gerieth in gefährliche Verirrungen, da er sich nach unzulässigen Dingen gelüsten ließ. Als er, um die Sünde des Ehebruchs zu bedecken, den Todtschlag nicht gescheut hatte, mußte er diese entsetzlichen Worte hören: „Warum hast du das Wort des Herrn verachtet, und so groß Unrecht vor seinen Augen gethan? Urias, den Hethiter hast du erschlagen, sein Weib aber dir zum Weibe genommen u. s. f. (2 Sam. 12, 9. u. f.) Zwar wandte er durch ernstliche Buße die seinem Hause angekündigten Strafen ab, jedoch nicht völlig: denn bald mußte er zwischen seinen Söhnen und Töchtern Blutschande, Todtschläge und andere schreckliche Dinge erleben. Als er nun nach erlangtem Sieg und Frieden, unbedachtsam sein Kriegsvolk, bloß aus Selbstgefälligkeit zählen ließ, blieb beim göttlichen Zorn ihm nur die Wahl zwischen drei Strafübeln, der dreijährigen Theurung, dem dreimonatlichen Kriege oder der dreitägigen Pest. In seiner Bedrängniß rief er: „Es ist mir sehr angst; doch ich will in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist sehr groß“ (2 Sam. 24.; 1 Chron. 22.) Die darauf eintretende Pest raffte in einem nicht vollen Tage siebzig Tausend Menschen dahin. Siehe da einen Spiegel, wie die Menschen sich selbst Labyrinthe bauen, wenn sie mit dem Nothwendigen sich nicht begnügen, sondern verwegen eitlen Dingen nachjagen

§. 18.

Vom Salomo, wie er seine Irrthümer bekennt und sein Elend beklagt, haben wir oben gehört. Aber was ist die Ursach? Keine andere, als daß ihm die Gabe der Weisheit nicht genügte, sondern er auch, was Thorheit sei, erforschen wollte, (Pred. 2, 3.) worin er dem Adam nachfolgte, den auch das Verlangen ergriff, Gutes und Böses zu wissen. Was haben aber beide davon getragen, als daß sie ein offenbares Schauspiel der Thorheit geworden sind? Gleichwie immer noch alle diejenigen werden, die mit den guten Gaben eines guten Gottes unzufrieden, in sich selbst vergebliche Begierde erwecken, und, um diesen zu fröhnen, in Hecken und Sträucher, oder Gruben und Abgründe fallen, aus denen sie schwer oder gar nicht kommen: gleichwie Jerobeam, Salomo's Sohn, das Königreich behalten hatte, wenn er den klugen Rath der Alten befolgt, und mit gelinden Worten der Unterthanen Gemüther besänftigt hätte. Da er jedoch auf den Rath der Jungen das Gegentheil erwählte, verlor er das Reich, welches er nachher weder mit Gewalt noch mit klügerem Rath wieder erhalten konnte, wodurch er seinen Nachkommen einen verwirrten Labyrinth und stete Kriege mit den Königen Israels hinterließ.

§. 19.

Allein, was bedarf es weiterer Ausführung? Aus allen heiligen und weltlichen Geschäften, aus dem täglichen Leben der Menschen können viel tausend Beispiele beigebracht werden, daß an allen menschlichen Irrthümern, so vielfach sie auch sein mögen, an allen mannichfachen Beschwerden, und an allem Betrug vergeblicher Hoffnungen die einzige unglückliche Ursache die war, daß die Menschen das Nothwendige hintenansetzten, hingegen unnöthige Dinge denken, reden und thun. Daher heißt es: Nothwendige Dinge wissen wir nicht, weil wir die unnöthigen gelernt haben. Desgleichen: Das Nothwendige haben wir nicht, weil wir das Unnöthige zu sammeln getrachtet haben. Wir thun nicht, was nothwendig ist, weil wir mit dem Unnöthigen beschäftigt sind. Wir erreichen das nothwendige Ziel nicht, weil wir auf unnöthige Mitteln bestehen, und auf ungebührliche Dinge geführt werden. Und auf solche Weise verfehlen wir unseres liebsten Wunsches, ob wir ihn gleich im Gemüthe hegen, weil wir durch geringe Güter abgehalten werden, daß wir darüber das Vornehmste versäumen.

§. 20.

Ich will die allgemeine Thorheit der Welt mit einem ganz einfachen Beispiele vor Augen stellen - ob vielleicht geschehen möchte, daß die Splitter und Balken in ihren Augen zu bemerken, und durch Hinwegräumung derselben zur helleren Anschauung zu gelangen anfangen.

Ein weiser Mann, Johann Geiler, schreibt in seinem Buche: Navis stultorum, (d. i. Narrenschiff) er habe einen närrischen Menschen gekannt, der an den Stecken Gefallen gefunden, jedes stabähnliche Holz aufgehoben und zur Zeit einen so großen Bündel Stecken getragen, daß er kaum gehen konnte. Den Grund dafür habe ich also angegeben: Einem Reisenden sei ein Stab sehr nützlich, sich daran zu halten und die Hunde abzutreiben. Hierin irrte er nicht, sondern darin, daß er nicht bedachte, wie ein Stab zwar nützlich, mehrere aber beschwerlich seien. Wenn ein Reicher die Thorheiten dieses Menschen erkennt, so erkennt er auch die seinige, insofern er, kein Maaß im Reichthum wissend und die irdischen Güter unnütz zusammenscharrend, sich selbst, durch unnöthige Sorgfalt für diese, des Lebens Arbeit und Elend vermehrt. Und was thun viele Gelehrte anders, wenn sie den Hausrath der Gelehrsamkeit, die Bücher, über die Maaßen zusammen häufen, in deren viele vielleicht niemals hinein sehen; oder wenn sie, im Eifer, Alles durchzugehen, eher aberwitzig oder wenigstens im Gemüth verwirrt werden, als ein Licht wohlgeordneter Weisheit erlangen. Und so kann man in allen Stunden dergleichen lächerliche Steckenträger und Baumeister ihres eigenen Labyrinthes zu sehen bekommen.

§. 21.

Glückselig ist der, welcher doch noch in seinem Alter eine richtige Meinung von den Dingen bekommt, sagt Plato. Darum sind wir Alten glückselig, wenn wir am Ende unseres Lebens (nach so manchen Plagen durch die Labyrinthe der Welt, Sisyphischen Steine und vielfachen Tantalischen Betrug) mit Salomo klug werden, von den Eitelkeiten unnöthiger Dinge Abschied nehmen, uns allein der zu diesem und dem zukünftigen Leben nothwendigen Dinge befleißigen. Glückselig würde auch die alte, nun zu ihrem Verderben eilende Welt werden, wenn sie doch nun nach allen Täuschungen der Vergangenheit die Augen aufzuthun, nach bessern Mitteln zu besserem Leben, wie sie Gottes Güte noch reichlich darbieten, sich ernstlich umsehen, und die angebotenen recht zu gebrauchen anfingen. Wir wollen versuchen, ob unsere geringe Ermahnungen etwas hierzu beizutragen vermögen.