Christoffel, Raget - Erweise christlicher Bruderliebe von Seiten der Evangelischen in der Schweiz gegen ihre schwer bedrängten Glaubensbrüder in der Pfalz.

Unter den evangelischen Kirchen deutscher Zunge darf wohl diejenige in der Pfalz als die Schmerzenstochter bezeichnet werden, indem sie vom Herrn vor allen anderen Schwestergemeinden berufen ward, die Feuertaufe der Leiden zu empfangen. In Folge der Annahme der böhmischen Königskrone und der erlittenen Niederlage in der Schlacht auf dem weißen Berge (1620) hatte sich Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz dem Zorne und der Rache des Kaisers Ferdinand II. ausgesetzt. Dieser that ihn in die Acht und beschenkte den Baiernherzog Maximilian mit der ihm entrissenen Kurwürde und mit der Oberpfalz. Hier faßten die Jesuiten alsobald Fuß und der evangelische Gottesdienst wurde untersagt. Auch die ganze Unterpfalz ward von Tilly unter Verübung vieler Greuel erobert und auch hier ward der evangelische Gottesdienst gewaltsam unterdrückt und statt dessen die Messe eingeführt. So war die Pfalz das erste deutsche Land, welches von den Leiden des dreißigjährigen Krieges heimgesucht und die evangelische Kirche daselbst die erste, welche durch denselben vorübergehend unterdrückt wurde.

Aber noch einmal sollte dieses Land und die evangelische Kirche daselbst mit dem bitteren Kelche der Leiden getränkt werden.

Ludwig XIV. hatte nicht genug daran, daß er die evangelische Kirche in Frankreich zerstört, er wollte auch im deutschen Reiche der katholischen Kirche seine Dienste thun. Unter Vorgabe, daß er Rechtsansprüche auf die Pfalz habe, ließ er dieses deutsche Land zweimal erobern. In Folge davon mußten viele reformirte Kirchen den wenigen Römisch-Katholischen, die sich vorfanden, übergeben werden. Indem er seinem Feldherrn, dem Marschalle Turenne die Weisung zusandte, „die Pfalz niederzubrennen“, ward das Land von demselben furchtbar verheert und mit unerträglichen Lasten beladen. Der Weg, von diesen Lasten loszukommen, war der Uebertritt zur römischen Kirche. Unweit Landau waren mehrere Gemeinden um diesen Preis und weil man ihnen dazu noch auf des Königs Namenstag Tanz, Musik und Wein verheißen hatte, so feige, ihren evangelischen Glauben schnöde zu verkaufen. Sie sind römisch geblieben bis auf den heutigen Tag, abgeschieden und verschmäht von den ringsum wohnenden Protestanten, die jetzt noch nicht vergessen können den Kindern vorzurücken die Sünde ihrer Väter. Nach solchen und ähnlichen Bekehrungen, die mit Gewalt und List und allerlei Bestechungen damals zu Wege gebracht wurden, haben sie dann im Frieden zu Ruiswick (1697) ausgemacht, daß die römische Kirche in den wieder abgetretenen Landestheilen ganz so gelassen werden sollte, wie sie unter den Franzosen gewesen sei. - Diese den Protestanten so nachtheilige Friedensklausel würde nicht so viel geschadet haben, wenn nicht kurz zuvor das katholisch gewordene Fürstenhaus von Pfalz-Neuburg in den kurpfälzischen Landen zur Erbfolge gelangt wäre. Der damalige Kurfürst benutzte nun jene Klausel, um den Katholiken den Mitgebrauch und Mitgenuß aller protestantischen Kirchen und Kirchengüter zu verschaffen, wo es irgend gehen wollte. Jesuiten und Ordensgeistliche zogen ins Land. Leute, die von den Franzosen zu den katholischen Gebräuchen gezwungen, jetzt zur reformirten Kirche zurückkehrten, wurden ins Gefängniß geworfen. Evangelische Prediger und Schullehrer wurden vertrieben, die Kinder sollten in katholische Schulen gehen.1) Doch wir wollen die Leiden, welche die evangelische Kirche der Pfalz zu erdulden gehabt, nicht weiter schildern, sondern vielmehr sehen, wie die evangelischen Christen dieses Landes in ihren Drangsalen durch ihre Glaubensbrüder erquickt und getröstet wurden.

Leider sind wir nur im Stande diejenigen Erweise christlicher Bruderliebe, die von Seiten der Evangelischen Zürich's den Evangelischen der Pfalz geleistet worden, hier besonders anzugeben.

Im Jahre 1557 ward auf die Fürbitte Daniel Tossanus in der Stadt und Landschaft Zürich eine Steuer für die Reformirten in der Pfalz gesammelt, die mehr als 2000 Gulden abwarf.

1624, Sonntags den 4. März, ward in den vier Hauptkirchen der Stadt Zürich für die Evangelischen in Frankenthal eine Liebessteuer gesammelt, die 1807 Gulden 14 Schillinge und 7 Heller betrug.

1625 den 2. Januar ward eine Liebessteuer für die Diener der Kirche zu Neustadt und Schönau (jenes jetzt in der bairischen, dieses in der badischen Pfalz) gesammelt, die in den vier Hauptkirchen Zürichs 1321 Gulden 14 Schillinge und 8 Heller betrug. - Winterthur steuerte zum gleichen Zwecke 246 Gulden und Stein am Rhein 80 Gulden. Die Kirchen- und Schuldiener von Zürich hatten zum gleichen Zwecke unter sich eine Sammlung veranstaltet, die sich auf 480 Gulden belief.

1627 den 15. April ward in den vier Hauptkirchen der Stadt Zürich abermals eine Steuer für die Kirchen- und Schuldiener der Pfalz gesammelt, die 1348 Gulden betrug. Winterthur steuerte zum gleichen Zwecke 245 Gulden.

1630 ward wieder in Zürich für die vertriebenen Kirchen- und Schuldiener der obern und untern Pfalz eine Liebessteuer gesammelt, die in den vier Hauptkirchen der Stadt 1198 Gulden 13 Schillinge, auf der Landschaft 156 Gulden und 6 Schillinge, in Winterthur 220 Gulden, also im Ganzen die Summe von 1474 Gulden und 19 Schillinge betrug.

1635 den 25. April ward wiederum eine Liebessteuer für die Kirchen- und Schuldiener der Pfalz gesammelt, die in den vier Hauptkirchen der Stadt sich auf 1568 Gulden belief. Winterthur steuerte zum gleichen Zwecke 203 Gulden und Stein am Rhein 100 Gulden, so daß die ganze Steuer die Summe von 1871 Gulden betrug.

1636 den 16. Januar ward wieder in Zürich eine Liebessteuer für die Kirchen- und Schuldiener der Pfalz und für die Angehörigen des Grafen Albrecht von Hanau gesammelt, die sich auf 1651 Gulden und 16 Schillinge belief.

1697 ward für die bedrängten Glaubensbrüder in der Pfalz und in Frankreich zugleich in Zürich eine Liebessteuer gesammelt, die 10.660 Gulden betrug.

1698 ward wieder für die Nämlichen eine Liebessteuer gesammelt, welche die Summe von 11.756 Gulden erreichte.

1701 ward in Zürich wiederum eine Liebessteuer für die Kirchen- und Schuldiener der Pfalz gesammelt, die 8962 Gulden abwarf.

Wir erwähnen noch zum Schlusse folgende Erweise der Bruderliebe gegen die bedrängten Evangelischen der Pfalz.

Einst hatte ein reicher Evangelischer aus der Pfalz eine ansehnliche Geldsumme nach Zürich gesandt, daß sie unter die würdigsten Armen vertheilt werden solle. Einige Jahre später kommt ein dürftiger, vertriebener Geistlicher aus der Pfalz und meldet sich um eine Unterstützung. Man nimmt ihn auf, indem man ihn nach seinem Herkommen fragt. Da zeigte es sich, daß er ein Sohn eben jenes wohlthätigen, seither in Armuth gerathenen Mannes war, der jenes Geld für die Armen Zürichs gesandt hatte. Der unglückliche Sohn fand also, nach des Vaters Tod, seine Zuflucht und Unterstützung wieder bei Denen, bei welchen seines einst glücklich gewesenen Vaters Andenken stets noch in Segen war.

Wie in andern Städten, in welchen sich Schulen befanden, war es auch in Zürich vor der Reformation Sitte, daß arme Schüler ihr Brod mit Singen auf der Straße sich erbetteln mußten. Da diese Art, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, für die sittliche Bildung der Schüler mit großen Nachtheilen verbunden und für die Bürger lästig war, so wurde in Zürich diese Unsitte durch Zwingli abgeschafft und an ihrer Stelle die ordentliche Unterhaltung einer bestimmten Zahl Studierender angeordnet. Zwei und zwanzig einheimische und vier auswärtige Schüler erhielten täglich vom Almosenamte zu den Augustinern eine Suppe und wöchentlich vier Brode (9 Pfund) und zwei Schillinge zu ihrem Lebensunterhalte. Als aber in der Folge diese tägliche Handreichung in ein bestimmtes Stipendium umgewandelt wurde, bekam diese Stiftung durch Legate einen beträchtlichen Zuwachs, woraus mehrentheils Studierende aus der Pfalz durch Stipendien unterstützt wurden.

Auch in Basel bestanden besondere Stipendien für Studierende aus der Pfalz. Später wurden diese Stipendien nach Heidelberg an Theologie-Studierende helvetischer Confession aus der Pfalz ausbezahlt. In letzterer Zeit wurden auch die Fonds zu diesen Stipendien von Basel an Heidelberg ausgeliefert.

Es waren aber nicht allein Zürich und Basel, welche die Evangelischen in der Pfalz durch ihre Erweise christlicher Bruderliebe in ihren Bedrängnissen erquickten, sondern die ganze evangelische Schweiz betheiligte sich nach Maßgabe der Kräfte der einzelnen Glieder an solchen Liebeswerken. So finden wir, daß die kleine Stadt Bruck im Aargau 1627 die Summe von 300 und 1635 wiederum die Summe von 200 Pfunden2) an die Glaubensbrüder der Pfalz steuerten. – Möge der Herr noch fort und fort seinen Segen auf diesen Liebesgaben, sowie auf den Nachkommen der Spender und Empfänger derselben ruhen lassen!

1)
Kurze Geschichte der christlichen Kirche von Heinrich Thiele. Seite 463.
2)
Ein Bernerpfund ist gleich einem Franken.