Wenn ich das Leben eines Christenmenschen darzustellen unternehme, so fasse ich einen mannigfaltigen und reichen Gegenstand an, dessen Größe einen dicken Band anfüllen könnte, wenn man ihn nach allen Seiten hin erschöpfen wollte. Meine Absicht ist aber nicht, die gegenwärtige Darstellung des christlichen Lebens so weit auszudehnen, dass ich die einzelnen Tugenden besonders darstelle und mich in Ermahnungen ergehe; mir soll es genug sein, den Weg zu zeigen, auf welchem ein frommer Mensch zum Ziele eines wohlgeordneten Christenlebens gelangt, und eine allgemeine Richtschnur kurz darzustellen, nach welcher er sein Tun und Lassen recht richten möge.
Der Christenmensch ist mit der Wiedergeburt nicht fertig, es soll nun in dem Leben der Gläubigen auf Grund der Wiedergeburt ein Gehorsam zu Tage treten, welcher der göttlichen Gerechtigkeit gemäß ist; durch diesen Gehorsam sollen sie es bestätigen und bewähren, dass sie von Gott zu Kindern angenommen sind. Freilich ist diese neue Lebensgestalt, diese Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes in uns, in dem Gesetze Gottes vor Augen gestellt; aber unsere natürliche Trägheit bedarf mannigfach der Sporen und Zurechtweisungen, darum frommt es, aus den verschiedenen Stellen der heiligen Schrift die Hauptgesichtspunkte zusammenzustellen, nach denen wir unser neues Leben richten sollen, damit diejenigen nicht umsonst arbeiten und auf Abwege kommen, denen es mit der Erneuerung ihres Lebens ein rechter Ernst ist.
Wie aber die Weltweisen ihre bestimmten Hauptgesichtspunkte haben für das, was ehrbar und recht sei, und daraus dann die besonderen Pflichten und das ganze Heer der Tugenden ableiten, so hat auch die heilige Schrift hierin ihre eigene Ordnung; ja sie hält eine sehr schöne Planmäßigkeit fest, die viel bestimmter ist, als die aller Weltweisen. Dies nur ist der Unterschied, dass jene, weil sie so ehrgeizige Menschen waren, nach ausgesuchter Klarheit der Anordnungen haschten, um damit die Gewandtheit ihres Geistes zur Schau zu tragen, während der Geist Gottes, der ohne Eitelkeit lehrte, eine nicht so genaue und streng durchgeführte Methode befolgte; wenn er dieselbe aber einmal angibt, so zeigt er uns damit hinreichend; dass wir dieselbe nicht vernachlässigen dürfen.
Diese Unterweisung der heiligen Schrift nun, von welcher wir reden, beruht besonders auf zwei Stücken. Das erste ist, dass die Liebe zur Gerechtigkeit, zu der wir sonst von Natur durchaus nicht geneigt sind, unserm Gemüte eingeflößt und tief eingeprägt werde. Das zweite Stück ist, dass sie uns eine Richtschnur vorschreibt, welche uns im Trachten nach der Gerechtigkeit vor Irrwegen bewahrt. Um uns aber die Gerechtigkeit anzuempfehlen, hat sie viele treffliche Gründe, die hier in der Kürze zu berühren sind. Von welchem Grunde sollte sie besser ausgehen, als wenn sie uns erinnert, dass wir müssen geheiligt werden, weil unser Gott heilig ist (Lev. 19, 2; Petri 1, 16), der uns selbst wieder versammelt und ums sich geschart hat, da wir zerstreute Schafe durch das Labyrinth dieser Welt umher geworfen waren? Wenn wir von unserer Gemeinschaft mit Gott reden hören, sollen wir eingedenk sein, die Heiligkeit sei das Band dieser Gemeinschaft; nicht als ob die Heiligkeit jene Gemeinschaft verdiene, da wir ja vielmehr Gott anhangen müssen, um mit seiner Heiligkeit erfüllt zu werden, sondern weil es zu seiner Ehre gereicht, dass er nicht Gemeinschaft hat mit dem unreinen und lautern Wesen. Damit zeigt uns die Schrift auch das Ziel unserer Berufung, auf welches wir immer blicken sollen, wenn wir dem Rufe Gottes folgen wollen. Denn was sollte es heißen, dass er uns aus dem argen Wesen und der Befleckung der Welt, darinnen wir vergraben lagen, hervorzog, wenn wir es uns erlauben wollten, unser ganzes Leben lang uns darin herumzuwälzen? Darum, wenn wir zum Volke Gottes gehören wollen, so erinnert uns die Schrift, dass ein heiliges Volk, welches er sich geweihet hat, wohnen soll in Jerusalem, das deshalb durch die Unreinigkeit seiner Bewohner nicht entweiht werden darf; darum heißt es Ps. 24, 3 ff., diejenigen werden wohnen in der Hütte Gottes, die da unsträflich wandeln und trachten nach der Gerechtigkeit; denn das Heiligtum, da der Herr wohnet, soll nicht von Schmutz bedeckt sein wie ein Viehstall. Und um uns desto kräftiger zu erwecken, zeiget uns die Schrift, wie Gott der Vater uns in seinem Gesalbten mit sich verbunden hat und uns in ihm das Bild versiegelt, welchem er uns gleich bilden wolle. (Röm. 6, 4 ff.)
Nun zeige man mir einmal eine gründlichere Planmäßigkeit bei den Weltweisen, wenn man meint, dass bei ihnen allein nach Fug und Ordnung das sittliche Leben beschrieben sei. Wenn sie recht kräftig zur Tugend antreiben wollen, bringen sie nichts anders bei, als dass man der Natur gemäß leben solle1).
Die Schrift aber geht mit ihren Ermahnungen auf die rechte Quelle zurück, indem sie uns lehrt, unser Leben auf Gott zu beziehen, der unseres Lebens Urheber und Herr ist, und wenn sie dann sagt, wir seien abgewichen von dem rechten Urheber und dem Ziel unserer Erschaffung, so fährt sie fort und sagt: Christus, durch den wir mit Gott versöhnet sind, ist uns zum Vorbild gestellt, dessen Gestalt muss unserm Leben aufgeprägt werden. Was kann wirksamer sein als dies eine Wort, und was größer! Denn wenn wir unter der Bedingung zu Kindern Gottes angenommen werden, dass unser Leben Christum abbilde, der das Band unserer Gemeinschaft mit dem Vater ist, so fallen wir in schändlicher Treulosigkeit von unserm Schöpfer ab, ja schwören unsern Heiland ab, wenn wir uns nicht völlig der Gerechtigkeit widmen und weihen. Dann nimmt die Schrift aus allen Wohltaten Gottes und allen einzelnen Stücken unsers Heils, die sie uns nennt, Anlass zur Ermahnung. Weil Gott sich uns als Vater gezeigt hat, so machen wir uns des größten Undanks schuldig, wenn wir uns nicht wiederum als seine Söhne zeigen. Weil uns Christus gereinigt hat mit dem Bade seines Blutes und diese Reinigung durch die Taufe uns mitteilt, so dürfen wir uns nicht mit neuem Schmutze besudeln. Weil er uns seinem Leibe eingepflanzt, so sollen wir uns sorgfältig hüten, an uns, seinen Gliedern, irgendwelchen Schmutz und Flecken zu dulden. Weil er, der unser Haupt ist, in den Himmel emporgestiegen, so ist es billig, dass wir alles irdische Trachten ablegen und mit ganzer Seele himmelan streben. Weil der heilige Geist uns zu seinem Tempel geweiht, so sollen wir uns bestreben, dass Gottes Ehre durch uns verherrlicht werde und nicht gestatten, dass der Schandfleck der Sünde uns entweihe. Weil wir im Leib und Seele dem unvergänglichen himmlischen Wesen, der nimmer verwelkenden Krone bestimmt sind, so sollen wir eifrig bemüht sein, dass wir Leib und Seele rein und unbefleckt bewahren auf den Tag des Herrn. – Dies sind die fruchtbaren Gesichtspunkte für ein wohl geregeltes Christenleben, dergleichen man vergeblich sucht bei den Weltweisen, welche bei der Anempfehlung der Tugend sich nie höher versteigen, als bis zur natürlichen Würde des Menschen.
Und nun habe ich auch ein Wörtchen mit denen zu reden, die von Christo nichts weiter haben als Namen und Titel und dennoch Christen heißen wollen. – Mit welcher schamlosen Stirn schmücken sie sich mit seinem geweihten Namen? Nur die haben Gemeinschaft mit Christo, welche aus dem Wort des Evangeliums wahrhaftige Erkenntnis Christi empfangen haben, und mit Recht sagt der Apostel: niemand kenne Christum, der nicht gelernt habe, den alten Menschen abzulegen, der durch Lüste in Irrtum sich verderbet, alles komme darauf an, Christum anzuziehen (Eph. 4, 22 ff.). Fälschlich also, ja förmlich unserm Herrn zur Schmach, geben sie vor, Christen zu sein, wenn sie auch noch so schön und geläufig mitunter vom Evangelium zu schwatzen verstehen; denn dies ist keine Lehre für das Maul, sondern für das Leben, und sie wird nicht bloß für den Verstand und für das Gedächtnis ergriffen, wie andere Wissenschaft, sondern dann erst wird sie ergriffen, wenn sie die Seele ganz einnimmt und ihren Sitz und ihre Zufluchtsstätte gefunden hat in des Herzens tiefstem Grunde. Also entweder müssen sie aufhören, zur Schmach Gottes sich als das zu zeigen, was sie nicht sind, oder sie müssen sich zeigen als nicht unwürdige Jünger Christi. Wir umfassen die evangelische Lehre als den rechten Ausdruck des Glaubens, auf den unser Heil sich gründet; aber sie muss im Herzen lebendig sein und in unserm Wandel sich betätigen; wir müssen umgewandelt werden in das Bild, das sie uns vorhält2), sonst ist’s umsonst. Wenn mit Recht die Weltweisen grimmig werden über diejenigen, welche ein Kunst, die des Lebens Lehrerin sein sollte, zu trügerischem Geschwätz missbrauchen und sie schmählich aus ihrer Schule verbannen, mit wie viel mehr Recht müssen wir jene geschwätzigen Pharisäer verabscheuen, die sich begnügen, das Evangelium auf den Lippen zu tragen, dessen Wirksamkeit hundertmal stärker als frostige Philosophenberedsamkeit ins Innerste der Seele dringen sollte und im Herzen wohnen und den ganzen Menschen regieren.
Aber ich verlange nicht, dass das Leben eines Christenmenschen nichts als das vollkommene Evangelium ausstrahle, was freilich zu wünschen und eifrig zu erstreben ist. Aber nicht mit solcher Strenge verlange ich evangelische Vollkommenheit, dass ich niemand für einen Christen halten wollte, der zu ihr noch nicht gelangt wäre. Dann müssten alle aus der Kirche ausgeschlossen werden; denn es gibt keinen Menschen, der nicht noch weit vom Ziele entfernt wäre, ja viele sind noch wenig fortgeschritten, die man doch nicht wegwerfen darf. So muss jenes Ziel vor Augen gestellt werden, auf welches all unser Eifer gerichtet werden muss, und das Ziel der Rennbahn muss unverrücklich im Auge behalten werden; alle Kraft muss drangesetzt werden, es zu erreichen. Denn man darf nicht so teilen wollen mit Gott, dass man von dem, was in seinem Wort geboten wird, einen Teil annimmt, einen Teil willkürlich übergeht. Zuerst verlangt er ungeteilte Hingabe als das wichtigste Stück seines Dienstes, womit er die ungefälschte Einfalt des Herzens meint, ohne Trug und Falschheit, dem entgegen steht Halbheit und doppelherziges Wesen; erst dann wird der Anfang gemacht zu einem neuen Wandel im Geist, wenn die innerste Neigung des Herzens sich dem Herrn weiht, um ohne Falsch Heiligkeit und Gerechtigkeit zu üben! Aber weil niemandem in dem Leibe dieses Lebens Kraft genug zu Gebote steht, stets mit frischem Mut vorwärts zu eilen; weil vielmehr die größere Zahl so schwach ist, dass sie wankend, schwankend und kriechend ein wenig vorwärts kommt: so wollen wir, ein jeder nach dem geringen Maß seines empfangenen Vermögens, vorwärts gehen und den begonnenen Weg weiter verfolgen. Niemand geht so unglücklich einher, dass er nicht täglich eine Strecke Weges durchlaufen könnte. Darauf wollen wir also hinarbeiten, dass wir immer etwas weiter kommen auf dem Wege des Herrn und nicht verzagen wegen des geringen Erfolges. Wie wenig auch der Erfolg unserm Wunsch entsprechen möge, die Mühe ist nicht verloren, wo nur der heutige Tag den gestrigen übertrifft. Wir wollen nur mit wahrhaft einfältigem Auge auf unser Ziel blicken und laufen nach dem Ende der Rennbahn und nicht selbstgefällig uns selber schmeicheln und unserer Schwäche nachgeben, sondern mit unablässigem Bemühen danach trachten, immer besser zu werden als wir sind, bis wir geworden sind, was wir sein sollen. Was wir suchen unser Leben lang, und wonach wir jagen, das werden wir dann ergreifen, wenn wir von der Schwachheit des Fleisches erlöset in die volle Gemeinschaft Gottes aufgenommen sind.
Obwohl das Gesetz des Herrn die beste und bestgeordnete Weise der Lebenseinrichtung enthält, so hat doch der himmlische Meister auf noch genauere Art nach der im Gesetze vorgeschriebenen Regel die Seinen bilden wollen. Der Grundgedanke dieser Regel ist, dass der Gläubigen Pflicht sei, dem Herrn ihre Leiber zu einem lebendigen Opfer darzubringen, das da sei heilig und ihm wohlgefällig; darin besteht gerade der recht vernünftige Gottesdienst (Röm. 12, 1). Hieraus folgt die Forderung, dass sie sich nicht gleichstellen sollen dieser Welt, sondern sich erneuern lassen durch Erneuerung ihres Sinnes, zu prüfen, was da sei der Wille Gottes. Und dies ist ein Großes, dass wir sind Gott geweiht und ergeben, um fortan nichts zu bedenken, zu reden, zu beginnen, zu tun, als was zu seiner Ehre dient. Denn wenn das, was Gott geheiligt ist, zu unheiligem Gebrauch verwendet wird, so wird dem Herrn eine Schmach angetan. Wenn wir nicht unser sind, sondern des Herrn, so ist klar, welche Wege wir zu meiden haben, und auf welches Ziel alle Handlungen unsers Lebens hinsteuern müssen. Wir sind nicht unser: so soll nicht unsere Vernunft, nicht unser Wille in unserm Dichten und Handeln herrschen. Wir sind nicht unser: so sollen wir uns nicht zum Ziele setzen, zu suchen, was uns lieb ist nach dem Fleisch. Wir sind nicht unser: so sollen wir so viel möglich uns selbst und alles unsere vergessen. Umgekehrt, wir sind des Herrn: so sollen wir ihm leben und sterben. Wir sind des Herrn: so soll seine Weisheit und sein Wille all unser Handeln leiten. Wir sind des Herrn: so sollen auf ihn als auf das eine rechte Ziel alle Bestrebungen unsers Lebens sich richten. O wie viel hat der gewonnen, der da weiß, er sei nicht sein eigen, der die Herrschaft und die Leitung über sich selbst der eigenen Vernunft entzogen hat, um sie Gott zu geben! Denn wie es zum Verderben des Menschen keine geradere Straße gibt, als wenn sie sich selber folgen, so ist der einzige schirmende Hafen der, dass wir nichts selbst wissen noch wollen, sondern nur dem Herrn folgen, wohin er vorangeht. So sei also dies der erste Schritt, dass der Mensch von sich selber abfalle, um alle Kraft des Geistes darauf zu wenden, dass er dem Herrn gehorche. Gehorsam nenne ich aber nicht allein dies, dass man sich dem Worte Gottes unterwirft, sondern das ist der rechte Gehorsam, dass der Sinn des Menschen frei von dem Eigenwillen des Fleisches sich ganz nach dem Winke des Geistes Gottes richtet. Diese Umwandlung, welche Paulus Erneuerung des Sinnes nennt (Röm. 12, 2; Eph. 4, 23), welche doch der erste Schritt ins neue Leben ist, ist allen Weltweisen unbekannt geblieben; denn sie geben den Menschen allein die Vernunft zur Führerin, sie allein soll gehört werden, ihr allein geben und überlassen sie die Herrschaft über den Wandel. Die christliche Weisheit dagegen heißt sie dem heiligen Geist Platz machen, ihm sich unterwerfen und unterordnen, so dass nun nicht mehr der Mensch selber lebt, sondern Christum in sich trägt als sein Leben und seinen Leiter (Gal. 2, 20).
Hieraus folgt nun ein Zweites: wir sollen nicht suchen, was unser ist, sondern was dem Willen Gottes gemäß ist und seine Ehre zu fördern dient. Dies ist von großer Bedeutung, dass wir uns selber vergessen, wenigstens den Gedanken an uns selbst hintanstellen und all unser Trachten getreulich auf Gott und seinen Willen richten. Denn wenn die heilige Schrift uns befiehlt, alle Rücksicht auf uns selber fahren zu lassen, so tilgt sie damit nicht allein die Habsucht, das Jagen nach Macht und Ansehen bei den Menschen aus unserm Herzen, sondern sie will auch den Ehrgeiz und alles verborgene Wohlgefallen an menschlicher Größe und andere heimliche Giftpflanzen mit der Wurzel herausreißen. So muss ein Christenmensch geartet und angelegt sein, dass er nie aus den Augen verliert, er habe sein ganzes Leben mit dem Herrn zu tun, der Art, dass er alles, was ihn angeht, dem Willen und der Leitung Gottes anheim stellt und seines Geistes ganze Richtung gewissenhaft auf Gott wendet. Denn wer gelernt hat, in all seinem Tun auf Gott zu sehen, der wird zugleich von allen eiteln Gedanken abgewendet. Das ist jene Selbstverleugnung, welche Christus so sorgfältig seinen Jüngern von ihren ersten Lebensjahren an anbefiehlt (Matth. 16, 24). So bald sie einmal in unserm Herzen herrschend geworden ist, bleibt weder dem Hochmut, noch der Prunksucht, noch der Prahlerei, noch dem Geiz, noch der Wollust, noch der Üppigkeit, noch der Weichlichkeit, noch andern Übeln, welche aus der Eigenliebe entstehen, ein Platz übrig; dagegen, wo sie nicht herrscht, da regieren entweder die schändlichen Laster ohne Scham, oder wenn noch ein Schein von Tugend da ist, wird sie entstellt durch falsche Sucht an eigener Ehre. Man zeige mir einen Mann, der – er habe denn nach des Herrn Gebot sich selber entsagt – umsonst unter Menschen Gutes tun wollte; denn alle, die nicht sich selbst abgestorben waren, wollten wenigstens durch ihre Tugend Lob erreichen. Gerade diejenigen von den Weltweisen, welche am nachdrücklichsten verlangten, dass man der Tugend um ihrer selbst willen nachjagen solle, waren von solchem Stolze aufgeblasen, dass sie klar an den Tag legten, sie wollten die Tugend zu keinem andern Zwecke, als um stolz darauf sein zu können. Aber so wenig hat der Herr Wohlgefallen an dieser Sucht, vor den Menschen zu glänzen, an diesem aufgeblasenen Wesen, dass er sagt, sie haben ihren Lohn empfangen in dieser Welt, und die Zöllner und Huren sind dem Himmelreiche näher denn sie (Matth. 6, 2; 21, 31). Dazu kommt denn noch, was wir hier im Einzelnen gar nicht nachweisen wollen, dass so viele und große Hindernisse dem Menschen im Wege liegen und ihn hemmen im Laufen nach dem rechten Ziel, so lange er nicht sich selbst verleugnet.
Mit Recht ist schon den Alten gesagt, dass eine ganze Welt von Lastern in einer Menschenseele verborgen liege, und kein anderes Heilmittel magst du finden, als wenn du dich selbst verleugnest, alle Rücksicht auf dich fahren lässest und deinen ganzen Sinn darauf richtest, zu suchen, was der Herr von dir fordert, und darum allein es zu suchen, weil es ihm gefällt.
Noch deutlicher als Röm. 12, 1 fasst derselbe Apostel Paulus an einer andern Stelle die verschiedenen Seiten eines wohlgeordneten Christenlebens kurz zusammen, wenn er sagt: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht, gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi, der sich selbst für uns gegeben hat, auf dass er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken (Tit. 2, 11 – 14). Da stellt uns der Apostel erst die Huld und Gnade Gottes vor Augen, um unsere Seelen zu entflammen, dass sie begehren sollen, ihm zu dienen, dann räumt er zwei schwere Hindernisse aus dem Wege, nämlich das ungöttliche Wesen, wozu wir von Natur so geneigt sind, und dann die weltlichen Lüste, die einen so weiten Spielraum haben. Unter dem ungöttlichen Wesen versteht er aber nicht allein den Aberglauben, sondern dahin gehört alles und jedes, was der ernsten Gottesfurcht zuwider ist. Weltliche Lüste bedeutet so viel als fleischliche Begierden. So sollen wir also beide Tafeln des Gesetzes gegenüber unser eigensüchtiges Wesen ablegen und alles verleugnen, was Vernunft und Eigenwille uns einflüstern. Und darauf fasst der Apostel alle Richtungen des Lebens in drei Hauptpunkte zusammen: Zucht, Gerechtigkeit, Gottseligkeit. Die Zucht bedeutet Keuschheit und Mäßigung, sodann Genügsamkeit im Gebrauch der irdischen Güter und Geduld im Mangel; die Gerechtigkeit umfasst alle Pflichten der Billigkeit, dass wir jedermann geben, was sein ist; die Gottseligkeit trennt uns von der Befleckung der Welt und verbindet uns in wahrer Heiligkeit mit dem Herrn. In diesen drei unlöslich verbundenen Stücken liegt eine ganze christliche Vollkommenheit. Aber weil nun nichts schwerer ist, als dem Fleische und seinen Begierden Lebewohl zu sagen, sie zu bändigen, ja zu kreuzigen, Gott und den Brüdern uns ganz zu weihen und im Staube der Erde einem engelgleichen Leben nachzujagen, so will Paulus uns aus allen Stricken des Gewissens losmachen, darum weiset er uns auf die Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, als wollte er sagen: wir streiten ja nicht vergebens; denn wie einmal Christus erschienen ist, uns zu erlösen, so wird er wiederkommen, um die Frucht des Heils, das er erworben hat, zu offenbaren. So schlägt er alle Lockungen in Stücke, die uns betören, der himmlischen Herrlichkeit nicht wie sich’s gebührt nachzujagen, und lehrt uns, so durch diese Welt zu pilgern, dass wir unser himmlisches Erbe nicht vergessen noch verlieren.
Diese Selbstverleugnung bezieht sich nun zum Teil auf die Menschen, zum Teil aber, und zum größten Teile, auf Gott. Wenn aber die heilige Schrift sagt, wir sollen also mit den Menschen handeln, dass wir einer dem andern mit Ehrerbietung zuvorkommen und uns mit aufrichtigem Sinn der Förderung ihres Wohles hingeben (Röm. 12, 10; Phil. 2, 4), so befiehlt sie Dinge, zu denen unsere Seele nicht fähig ist, wenn sie nicht vorher ihren natürlichen Sinn abgelegt hat. Denn in der Blindheit, womit wir in unsere Eigenliebe uns hineinstürzen, meinen wir Grund genug zu haben, uns zu überheben, andere aber uns gegenüber herabzusetzen. Wenn Gott uns etwas gegeben hat, was nicht gering zu achten ist, so stützen wir uns darauf und erheben unser Herz und schwellen nicht bloß, nein brechen fast vor Stolz; die Fehler, davon wir vollsitzen, verbergen wir sorgfältig vor andern und bilden uns selber ein, als wären sie klein und gering, wir hätscheln und streicheln sie gar, als wären sie Tugenden. Wenn aber dieselben Gaben, die wir an uns bewundern, bei andern hervortreten, vielleicht in noch größerem Maße, so wollen wir nicht zurückstehen und suchen sie mit allerhand filziger Kleinmeisterei herabzusetzen und daran zu mäkeln; wenn hingegen Fehler da sind, so sind wir nicht zufrieden, sie streng und scharf zu tadeln, sondern vergrößern sie gehässig. Daher jene Unverschämtheit, dass jeder, als wäre er über dem allgemeinen Rechte erhaben, über die Übrigen hervorragen will und jeden Menschen dreist und ungestört verachtet, oder wenigstens als auf einen Geringeren auf ihn herabsieht. Es treten die Armen zurück vor den Reicheren, die Geringen vor den Vornehmen, die Knechte vor den Herren, die Ungelehrten vor den Gelehrten; aber keiner ist, der nicht im Herzen irgendwelchen Vorzug sich beimisst und meint, in irgendeinem Punkte vor allen andern der König zu sein.
Da misst er sich etwas bei, worin er sich gefällt und meistert nun des andern Geist und Wandel, und wenn man seinen Vorrang zu bestreiten wagt, so speit er Gift und Galle. Freilich viele legen eine gewisse Milde an den Tag, so lange alles angenehm und nach Wunsch geht; aber wie wenige bewahren diese bescheidene Art, wenn sie verletzt und gereizt werden. Da ist kein anderes Heilmittel, als wenn aus dem innersten Herzen diese verderbliche Pest der selbstüberhebenden Eigenliebe und Selbstgefälligkeit ausgetilgt wird. Die Schrift aber legt dem faulen Baum die Axt an die Wurzel; denn sie unterweiset uns, dass wir eingedenk sein sollen, alle Gaben, die uns Gott gegeben, seien nicht unser Eigentum, sondern Gnadengeschenke Gottes. Wer also stolz darauf ist, legt nur seinen Undank dadurch an den Tag. Wer hat dich vorgezogen? Was hast du, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmest du dich denn, als der es nicht empfangen hätte? (1. Kor. 4, 7). Weiter sollen wir durch fortwährende Betrachtung unserer Fehler zur Demut getrieben werden, so wird nichts in uns übrig bleiben, worauf wir stolz sind; aber es wird Grund genug sein, uns zu demütigen.
Auf der andern Seite werden wir angewiesen, die Gaben Gottes, die wir in andern erkennen, so zu ehren und hoch zu halten, dass wir auch diejenigen ehren, welche sie besitzen; denn es wäre grober Frevel, ihnen die Ehre zu versagen, deren sie der Herr gewürdigt hat. Gegen ihre Fehler sollen wir Nachsicht üben und zwar nicht so, dass wir ihnen schmeicheln und Nahrung geben, sondern wir sollen darum die Brüder nicht verachten, vielmehr wohlwollend ihnen zur Seite stehen, so wird die Folge sein, dass wir mit allen Menschen, mit denen wir zu schaffen haben, nicht allein still und bescheiden, sondern auch milde und freundlich verkehren können. Zur wahren Milde können wir auf keinem andern Wege gelangen, als durch Demut und durch ein von Achtung gegen andere erfülltes Herz.
Und wie schwer ist es, im Suchen nach dem, was den Nächsten frommt, seine Pflicht zu tun! Wer nicht aufhört, sich selbst zu suchen, wer nicht sich selbst, so zu sagen, ablegt, der wird hier nichts ausrichten. Denn wie will man Werke tun, die Paulus Werke der Liebe nennt, wenn man nicht sich selbst verleugnet und sich ganz den andern weiht?
Die Liebe sagt er, ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellt sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern (1. Kor. 13, 4. 5). Wenn wir nur dies eine erfüllen sollten, dass wir nicht suchen sollen, was unser ist, so müssten wir doch unserer Natur nicht wenig Gewalt antun, welche so ausschließlich zur Eigenliebe uns treibt, dass sie es nicht leiden will, wenn wir uns und das Unsrige wollen liegen lassen, um für der andern Vorteil zu wachen, ja unsere Ansprüche drangeben, um sie andern zu überlassen. Die Schrift aber, um uns dazu anzuleiten, mahnt uns, was wir durch die Gnade Gottes besitzen, sei uns dazu anvertraut, damit wir es zum gemeinsamen Wohle der Kirche verwenden, und deshalb sei das der rechte Gebrauch aller Gnadengaben, dass wir sie wohlwollend und milde andern zu gute kommen lassen. Es gibt keine festere Regel, und es kann keine kräftigere Mahnung zu ihrer Beobachtung erdacht werden, als diese, dass alle Gaben, womit wir beschenkt sind, seien von Gott uns anvertraut und uns dazu übergeben, damit sie zum Heile des Nächsten verwendet werden. Aber die Schrift geht noch weiter, wenn sie jene Gaben mit den Vermögen vergleicht, mit welchen die Glieder des menschlichen Leibes ausgerüstet sind (1. Kor. 12, 12). Kein Glied hat seine Kraft für sich, gebraucht sie auch nicht zu eigenem Dienst, sondern führt sie den übrigen Gliedern zu; es zieht für sich selbst keinen andern Nutzen als den, welcher aus dem Wohlsein des ganzen Leibes auch ihm erwächst. So muss der fromme Christ alles, was er tun kann, seinen Brüdern tun, und für sich selbst nicht weiter sorgen, als dass er auf die gemeinsame Förderung der Kirche bedacht ist. Das sei demnach für uns die rechte Weise, milde und wohltätig zu sein, dass wir uns als Haushalter über alles betrachten, was uns Gott gegeben hat zu Nutz und Frommen unserer Nächsten, und dass wir eingedenk bleiben, wie wir dereinst mögen Rechenschaft geben von unserem Haushalt. Das aber ist das rechte Haushalten mit Gottes Gaben, welches sich richtet nach der Liebe. So lernen wir nicht allein den Eifer für das Beste des Nächsten mit den Sorgen für das eigne Wohl stets zu verbinden, sondern erst an unsere Brüder zu denken. Und damit wir es nicht übersehen, dass dieses die rechte Art sei, alle Gaben, die wir von Gott empfangen haben, zu verwalten, so hat er sie früh zum Gesetz gemacht und auch bei den geringsten Wohltaten seiner Güte. Denn er befahl im A. T., dass ihm die Erstlinge aller Früchte dargebracht werden sollten. Damit sollte das Volk bezeugen, dass es frevelhaft sei, irgendwelche Frucht zu genießen, sie sei denn zuvor dem Herrn geweiht. Wenn sonach Gottes Gaben erst dann ihren Wert erhalten, wenn wir selber sie dem Urheber wieder weihen, so ist ja klar, dass jeder Gebrauch göttlicher Gaben ein heilloser Missbrauch ist, wenn ihm nicht eine solche Weihe zur Seite geht. Nun könntest du wohl sagen: „Gott wird ja durch mein Opfer nicht reicher!“ Freilich; aber da du mit deinem Opfer dem Herrn selbst nichts geben kannst, so sollst du Liebe üben gegen „seine Heiligen, die auf Erden sind“, wie der Psalmist sagt (Ps. 16, 3); darum werden ja auch die Almosen Opfer genannt im Vergleich mit den Opfern unter dem Gesetz des alten Bundes (Hebr. 13, 16; 2. Kor. 9, 12).
Damit wir aber nicht müde werden wohl zu tun (was sonst notwendig sofort der Fall sein würde), so muss jenes Andere hinzukommen, was der Apostel sagt: die Liebe sei geduldig und lasse sich nicht verbittern (1. Kor. 13, 4). Der Herr gebietet uns allen insgesamt wohl zu tun, obwohl viele durchaus unwürdig sind, wenn man nach ihren eignen Verdiensten urteilen wollte; aber da gibt uns die heilige Schrift alsbald einen trefflichen Maßstab in die Hand, indem sie lehrt, wir sollen nicht darauf blicken, was an sich der Mensch verdiene, sondern wir sollen vielmehr in allen Gottes Ebenbild erblicken, dem wir alle Ehre und Liebe schuldig sind. Bei dem Glaubensgenossen aber sollen wir Gottes Ebenbild noch sorgfältiger erkennen, sofern es in ihm durch Christum erneuert und wieder aufgerichtet ist. Wo nur jemals ein Mensch sich dir darbietet, der deiner Hilfe bedarf, da hast du keinen Grund, dich ihm zu entziehen. Du sagst, es sei ein Fremdling; aber der Herr hat ihm jenes Siegel aufgedrückt, welches dir bekannt sein muss; wie darfst du dein eigenes Fleisch verachten? (Gal. 6, 10). Du sagst, es sei ein verächtlicher, nichts bedeutender Mensch; der Herr aber zeigt dir, er sei ein solcher, den er der Zierde seines Ebenbildes gewürdigt hat (Jes. 58, 7). Du sagst, du seiest ihm durch nichts verpflichtet; aber der Herr hat ihn gewissermaßen zu seinem Stellvertreter gemacht, damit du ihm so viele und so große Wohltaten vergeltest, durch welche dich der Herr verpflichtet hat (Mat. 24, 40. 46; 1. Joh. 4, 11 ff.). Du sagst, er sei es nicht wert, dass du dich seinetwillen ein wenig bemühest; aber das Ebenbild Gottes, dadurch er dir empfohlen, ist wert, dass du dich und alles deine dransetzt. Ja wenn er nicht nur nichts Gutes verdient, sondern auch durch Unrecht und Kränkung dich gereizt hat, so ist das doch kein genügender Grund, ihn nicht mit Liebe zu umfassen und ihm irgendeinen Liebesdienst zu versagen. Du sagst, er hat es ganz anders um mich verdient; aber was hat der Herr verdient? Wenn der befiehlt, ihm zu vergeben alles, was er gegen dich verbrochen, so will er es ja sich selber anrechnen. Nur dann kommen wir zu dem, was der menschlichen Natur gänzlich zuwider ist, nämlich, dass wir die lieben, welche uns hassen, dass wir mit Wohltaten Unrecht sühnen, Scheltworte mit Segen erwidern, wenn wir bedenken, dass nicht der Menschen Bosheit, sondern Gottes Bild in dem Menschen angesehen sein will, welches durch seine Schönheit und Würde uns lockt, ihre Fehler zu vergessen und zu bedecken, sie selber aber liebend auf- und anzunehmen.
Zur wahren Selbstverleugnung und zur Abtötung des alten Menschen kommen wir aber erst dann, wenn wir dies Maß der Liebe erfüllen. Das erfüllt aber nicht der, der alle Pflichten der Liebe bloß äußerlich tut, wenn er auch keine versäumt, sondern der es tut aus ungefälschter herzlicher Neigung. Denn es kann geschehen, dass jemand im vollen Maße alles leistet, was er schuldig ist in äußerlicher Pflichterfüllung, inzwischen aber doch von der rechten Weise der Erfüllung weit entfernt ist. Da kann man viele finden, welche sich den Schein großer Milde geben und doch nichts geben, was sie nicht durch stolze Mienen und kränkende Worte selbst verderben; zu solchem Jammer ist es in diesem traurigen Jahrhundert gekommen, dass wenigstens eine recht große Zahl von Leuten fast keine Almosen ohne Kränkung darreichen. Eine solche Verkehrtheit sollte nicht einmal unter Heiden geduldet werden; denn von Christen wird noch etwas mehr verlangt, als dass sie durch freundliche Mienen und gütige Worte ihre Gaben angenehm machen. Zuerst nämlich müssen sie sich der Person dessen annehmen, den sie ihrer Hilfe bedürftig erkennen und sein Los ebenso beklagen, als wenn sie es selbst empfänden und trügen, so dass sie durch das Gefühl des Mitleids und der Menschenliebe zur Hilfeleistung ebenso getrieben werden, als würde diese ihnen selber zu Teil. Wer so gesinnt sich anschickt, seinem Bruder Hilfe zu leisten, wird nicht nur seine Gaben durch keinen Stolz, durch keine kränkenden Worte entweihen, sondern auch seinen Bruder, dem er wohl tut, nicht gering achten, weil derselbe ein Hilfsbedürftiger ist, noch auch ihn knechten, weil er ihm verpflichtet ist. Schmähen wir auch ein krankes Glied, welches der übrige Körper neu zu beleben sich bemüht? Glauben wir, dass es den übrigen Gliedern besonders verpflichtet sei, weil es mehr Mühe verursacht als vergilt? –
Wir wissen ja, dass die gegenseitige Dienstleistung der Glieder nichts besonders verdienstliches ist, sondern vielmehr die Erfüllung dessen, was das Naturgesetz verlangt. Es ist nur eine schuldige Dienstleistung, deren Verweigerung die Tollheit und Unnatur selber wäre. Darum soll auch keiner glauben, er habe genug getan, wenn er eine Art seiner Dienstleistung erfüllt hat. Freilich gemeiniglich geht es so, dass der Reiche meint, wenn er etwas von dem Seinen abgegeben hat, nun gingen ihn andere Lasten nichts mehr an, die dürfe er getrost andern überlassen. Nein, es soll ein jeder, wie groß er auch sei, bedenken, dass er andern das Seine schulde; keiner soll glauben, das Ende seines Wohltuns sei da, bevor er nicht mehr kann. So lange und so viel er kann, muss er wohl tun nach dem Gesetz der Liebe.
Wir kommen jetzt auf die Selbstverleugnung, sofern sie sich auf Gott bezieht. Wir haben davon schon manches berührt; es genügt, hier noch nachzuweisen, wie dieselbe besonders sich äußert als Stille und Geduld. Zunächst nun weiset uns die Schrift an, im Trachten nach der Bequemlichkeit und der Ruhe des Lebens dem Herrn uns und alles unsere zu überlassen und des Herzens Neigung ihm untertan und in Dienst zu geben. Macht und Ehre zu suchen, nach Einfluss zu trachten, Schätze aufzuhäufen und all dergleichen Torheiten, welche uns groß und angesehen vor den Menschen zu machen scheinen: - dazu haben wir eine unbändige Neigung und unbegrenzte Lust; dagegen Armut, Verborgenheit, Niedrigkeit sind uns furchtbar und merkwürdig verhasst, so dass alles zappelt mit Händen und Füßen, um ihnen zu entgehen. Daher zeigt es der Augenschein, wie unruhiges Geistes alle diejenigen sind, welche nach ihrem Eigenwillen ihr Leben regieren; wie viel Künste sie versuchen, wie sie sich abmühen, alles das zu erjagen, wozu ihr Ehrgeiz und ihre Habsucht sie treibt, und zu entfliehen der Armut und der Niedrigkeit. Um in solche Stricke nicht zu geraten, müssen wir folgenden Weg einschlagen.
Zunächst sollen wir durch nichts als durch den Segen Gottes weiteres Fortkommen suchen oder hoffen oder anstreben, auf Gottes Segen aber sicher und vertrauensvoll uns werfen und stützen. Denn wie sehr auch das Fleisch sich selber genug zu sein dünkt, wenn es durch eigne Kraft nach Ehre und Reichtum trachtet und ringt oder durch Menschengunst erhoben wird, so ist dennoch gewiss, dass das alles nichts ist, dass wir durch eigne Klugheit oder Arbeit nichts gewinnen, wenn nicht der Herr zu beiden seinen Segen gibt.
Dahingegen findet allein der Segen des Herrn durch alle Hindernisse hindurch seinen Weg und schafft, dass uns alles einen fröhlichen und gesegneten Ausgang nimmt. Weiter, wenn wir auch ohne Gott Ruhm und Ansehen uns gewinnen könnten (wie wir ja täglich sehen, dass Gottlose mit großen Ehren und Macht überhäuft werden), so werden wir doch ohne ihn nichts erlangen, als was uns verderblich wird, da ja diejenigen, auf denen der Fluch Gottes ruht, auch nicht einen Tropfen Glückseligkeit kosten mögen. Und es wäre doch die größte Torheit, nach Dingen zu trachten, die uns nur noch mehr ins Elend stürzen.
Wenn wir sonach zuversichtlich auf unsere Wohlfahrt hoffen dürfen allein unter Gottes Segen, ohne welchen alle Art des Elends und Unglücks unser wartet, so folgt daraus, dass wir nicht auf eigene Gewandtheit oder Rührigkeit trauen, nicht auf Menschengunst uns stützen oder auf eitle Glücksträumerei uns verlassen können, um nach Ehre und Ansehen zu jagen, sondern immer auf den Herrn blicken müssen, um unter seiner Hand zu dem Ziele geleitet zu werden, das er uns ausersehen hat. Dann kommen wir zuerst dahin, dass wir nicht aus anderer Menschen Schweiß und Blut uns Reichtümer aufhäufen, noch auf geraden und ungeraden Wegen uns Ehre und Ansehen erstürmen, sondern nur nach solchem Besitze trachten, welcher uns von der Redlichkeit nicht entfernt. Denn wer möchte auf die Hilfe des göttlichen Segens hoffen bei Betrug, Raub und allerhand Schalkskünsten? Wie Gottes Segen nur den geleitet, der recht denkt und recht handelt, so hält er auch alle, die um ihn bitten, von ungerechten Gedanken und schlechten Wegen ab. Dann wird uns auf diese Art ein Zügel angelegt, dass wir nicht von unmäßiger Begierde, reich zu werden, entbrennen, noch die Ehre vor den Menschen lüstern anstaunen. Denn wer hat die schamlose Stirn, zu vertrauen, Gott werde ihm helfen zu erlangen, was er begehrt gegen Gottes Wort? Sollte denn Gott das, was er mit seinem Munde verflucht, befördern mit seiner Hand? Endlich aber, wenn es einmal nicht nach unserm Wunsch und Hoffen gelingen will, so werden wir doch fern bleiben von Ungeduld und jeglichem Widerwillen gegen unsere Verhältnisse, da wir ja wissen, das sei Murren gegen Gott, nach dessen Willen Reichtum und Armut, Niedrigkeit und Ansehen verteilt werden. Kurz: wer sich so wie wir gesagt haben, allein auf Gottes Segen stützt, der wird weder durch Schalksstücke haschen nach dem, wonach die Menschen wütend zu jagen pflegen, weil er weiß, dass er damit nicht weiter kommt; noch wird er, wenn es ihm gut geht, sich selber das zuschreiben und seiner Rührigkeit, seiner Gewandtheit, seinem Glück, sondern er wird Gott, als dem Urheber, danken. Wenn aber andere glücklich sind, und er selbst nicht recht vorwärts kann, ja vielleicht zurückgeht, so wird er mit größerer Ruhe und Mäßigung seine geringe Lage ertragen, als ein gottloser Mensch einen langsamen Fortgang, der nur seinem Wunsche nicht entspricht. Er hat ja einen Trost, bei dem er sicherer sich beruhigen kann als auf dem höchsten Gipfel des Glückes und des Ansehens, weil er weiß, es diene zum Heile, und all seine Sachen werden geleitet von Gott. So war David gesinnt, welcher Gott folgte und sich seiner Leitung übergab und bekannte, er sei wie ein entwöhntes Kind und wandle nicht in großen und wunderbaren Dingen, die ihm zu hoch seien (Ps. 131, 1 ff.).
Aber nicht hierin allein soll die Ruhe und Geduld der Frommen sich zeigen; sie muss sich notwendig auch offenbaren in allen Unfällen, denen das gegenwärtige Leben ausgesetzt ist. Niemand hat in Wahrheit sich selbst verleugnet, außer wer so sich ganz in Gottes Hand gegeben hat, dass er alle Geschicke seines Lebens durch den Willen des Herrn leiten lässt. Wer aber so gesinnt ist, wird sich weder für unglücklich halten, was ihm auch zustoßen möge, noch mit Gott hadernd über sein Schicksal klagen. Wie notwendig aber diese Gesinnung sei, ist sofort deutlich, wenn man bedenkt, wie vielen Unfällen wir immer unterworfen sind. Ein Leiden über das andere feindet uns an; bald wüten Seuchen, bald werden wir von grausamen Kriegsunfällen heimgesucht, bald vernichten Frost und Hagel die Hoffnung des Jahres und führen Unfruchtbarkeit herbei, die uns in Mangel stürzt; Weib, Eltern, Kinder, Verwandte werden durch den Tod uns entrissen; durch Feuersnot wird uns das Haus verzehrt. Das sind Ereignisse, bei denen Menschen ihr Leben verwünschen, den Tag ihrer Geburt verfluchen, das Licht des Himmels schmähen und murren wider Gott und zeihen ihn der Ungerechtigkeit und Grausamkeit, wie sie denn überhaupt nie ihre Mäuler schärfer wetzen als gegen ihren Gott. Die Gläubigen aber sollen auch hierin Gottes Milde und wahrhaft väterliche Huld erblicken, wenn auch das Feuer ihre Angehörigen raubt, ihnen das Haus in Einöde verkehrt, auch dann noch nicht aufhören Gott zu danken, als die da wissen, die Gnade des Herrn, welche ihr Haus bewohnt, wird ihm nahe sein, auch wenn es öde liegt. Und wenn die Saaten vom Frost verdorben, vom Reif geschädigt, vom Hagel zerschlagen sind und der Hunger vor der Tür lauert. soll der Christ doch den Mut nicht sinken lassen und murren wider Gott, sondern festbleiben im Vertrauen; wir sind dennoch im Schutze des Herrn, dennoch Schafe seiner Weide, er wird uns geben unser täglich Brot, auch in der äußersten Not. Oder wenn von Krankheit heimgesucht wird, soll er sich nicht beugen lassen durch Bitterkeit des Schmerzes, sich nicht hinreißen lassen zur Ungeduld und mit Gott rechten, sondern zur Geduld sich selber treiben dadurch, dass er in der Züchtigung Gottes Gerechtigkeit und Milde erkennt. –
Kurz, was auch kommen mag, soll er mit stillem, dankbarem Herzen annehmen, weil er ja weiß, es kommt aus Gottes Hand, und nicht trotzig seinen Geboten widerstehen, in dessen Hand er sich und das Seine ein- für allemal gegeben hat. Es muss entfernt werden aus der Seele des Christen jener törichte und jämmerliche Heidentrost, die, um ihr Gemüt gegen Unfälle zu stärken, sie dem Zufall beimaßen, welcher blind, ziel- und zwecklos den Schuldigen und den Unschuldigen zugleich verwunde, und gegen den zu murren töricht sei. Dies ist vielmehr der feste Grundsatz der Frömmigkeit, dass nur die Hand Gottes Glück und Unglück verordnet und leitet, welche nicht unvorbedacht darauf losarbeitet, sondern nach wohl geregeltem, gerechtem Plane beides Gutes und Böses gibt.
Aber noch höher hinauf erhebt sich der fromme Sinn, dahin nämlich, wohin Christus die Seinen ruft, dass jeder sein Kreuz tragen soll (Mat. 16, 24). Denn alle, die der Herr angenommen und seiner Gemeinschaft gewürdigt hat, die müssen sich auf ein hartes, mühseliges, unruhiges Leben, voll mancherlei Übel gefasst machen. So will der himmlische Vater die Seinen prüfen, damit ihre Treue offenbar werde. Mit Christo, seinem Erstgeborenen, macht er den Anfang und verfolgt bei allen seinen Kindern denselben Weg. Denn, obwohl vor allen der Sohn geliebt war, auf welchem der Geist des Vaters ruhte, so sehen wir doch, wie er gar nicht milde, sondern durchaus streng und kurz gehalten wurde, so dass man in Wahrheit sagen kann, nicht nur, dass er durch fortwährendes Kreuz geübt wurde, so lange er auf Erden wallte, sondern dass sein ganzes Leben nicht anders gewesen, als ein ununterbrochenes Kreuz. Die Ursache deutet der Apostel an, er sollte an dem, dass er litte, Gehorsam lernen (Hebr. 5, 8). Warum sollten wir einen Ausnahme machen von der Regel, der Christus, unser Haupt, sich fügen musste, zumal da er sie einging um unsertwillen, um sich selber uns darzustellen zum Vorbilde der Geduld? Darum lehrt der Apostel, das sei das vorgesteckte Ziel aller Kinder Gottes, dass sie Christo gleichförmig werden sollen (Röm. 8, 29). Daraus entspringt denn für uns ein herrlicher Trost in schweren und unangenehmen Erlebnissen, welche wir für Unglück halten, nämlich der: dass wir Teil haben an den Leiden Christi, damit, wie er durch den Wust aller Leiden hindurch gedrungen ist zur himmlischen Herrlichkeit, also auch wir durch allerlei Trübsal dorthin geführt werden. So sagt auch Paulus selbst (Ap. 14, 22): Während wir lernen die Gemeinschaft seines Leidens, ergreifen wir zugleich die Kraft seiner Auferstehung, und während wir seinem Tode gleichförmig werden, werden wir vorbereitet zur Gemeinschaft seiner herrlichen Auferstehung. Wie lindert dies alle Bitterkeit des Kreuzes, dass wir wissen, je mehr wir gebeugt werden durch Leiden, desto mehr wird unsere Gemeinschaft mit Christo bestärkt! Durch seine Gemeinschaft wird das Leiden uns nicht nur gesegnet, sondern eine mächtige Förderung unsers Heils.
Dazu kommt, dass unser Herr das Kreuz auf sich nahm, nicht weil er dazu gezwungen war, sondern nur weil er seinem Vater seinen Gehorsam bezeugen und bewähren wollte; für uns dagegen ist es aus vielen Gründen notwendig, unter fortwährendem Kreuz das Leben hinzubringen. Zuerst sind wir von Natur geneigt, alles unserm Fleische zuzutrauen; wenn nicht unsere Schwäche uns gewissermaßen vor Augen gemalt wird, so überschätzen wir gern unsere Kraft und vermessen uns, mit ihr gegen alle Not, die uns begegnen mag, unüberwindlich und unerschütterlich Stand halten zu können. Da blähen wir uns denn auf in törichtem, fleischlichem Selbstvertrauen, in welchem wir trotzig uns erheben gegen Gott, gleich als ob die eigne Kraft uns genug wäre ohne seine Gnade. Diesen Übermut kann er nicht besser schlagen, als wenn er es uns an einem klaren Beispiel zeigt, wie schwach, wie gebrechlich wir sind. So schlägt er uns mit Schmach, Armut, Verlassenheit, Krankheit und andern Unfällen, die zu tragen unsere Schultern lange nicht stark genug sind, und bald erliegen wir. So gedemütigt, lernen wir seine Kraft anrufen, welche allein unter dem Gewicht der Leiden uns festen Stand gibt. Selbst die frommsten Menschen, wenn sie auch noch so gut wissen, dass sie stehen durch Gottes Gnade, nicht durch eigne Kraft, wiegen sich mit eignem Mut und eigner Standhaftigkeit in Schlaf, wenn er sie nicht durch Kreuz und Prüfung zu tieferer Selbsterkenntnis führt. Diese Sicherheit beschlich auch David: Ich habe gesprochen, da mir’s wohl ging, ich werde nimmermehr wanken; du, Herr, hattest in deinem Wohlgefallen meine Berg stark gemacht, da verbargst du dein Antlitz, und ich wurde erschrocken (Ps. 30, 7). Er gesteht nämlich, dass sein ganzer Sinn vom Glück übertäubt worden sei, dass er die Gnade Gottes, an der er festhalten sollte, hintansetzte, sich auf eigne Kraft stützte und sich vermaß, er würde ewig festbleiben. Wenn dieses einem solchen Propheten wie David begegnen konnte, wer von uns sollte dann nicht bange werden vor seiner eignen Sorglosigkeit? Wenn so die Frommen im Glücke sich schmeicheln mit der Meinung großer Standhaftigkeit und großer Geduld, dann lernen sie, im Unglück erniedrigt, das als Täuschung erkennen.
Wenn aber die Gläubigen durch solche Erlebnisse an ihre Schwachheit gemahnt werden, so lernen sie Demut, lernen ablegen die falsche fleischliche Sicherheit und sich der Gnade Gottes in die Arme werfen. Haben sie aber das getan, so erfahren sie die Nähe göttlicher Kraft und finden in ihr reichen Schutz und Schirm. Das ist es, was Paulus lehrt, dass Trübsal Geduld bringt und Geduld Bewährung (Röm. 5, 3). Denn was Gott den Gläubigen verheißen hat, dass er ihnen nahe sein wolle in der Trübsal, das lernen sie als wahr erkennen, wenn sie geduldig stille halten, gestützt auf seine Hand, was sie in eigner Kraft nimmermehr vermöchten. So leistet die Geduld den Gläubigen den Beweis, dass Gott die verheißene Hilfe in der Tat gibt, so bald sie not tut. Dadurch wird dann auch ihre Hoffnung gemehrt; denn es wäre ja über die maßen undankbar, wollten sie nun nicht für die Folge auf die Wahrheit Gottes bauen, deren wandellose Festigkeit sie erfahren haben. So sehen wir, wie eine ganze Reihe von Segnungen aus dem Kreuz erwächst; denn es stürzt die falsche Meinung von der eignen Kraft, enthüllt den trügerischen Sinn, welcher uns schöne Träume vorgaukelt, es treibt das gefährliche fleischliche Selbstvertrauen aus, und wenn es so uns erniedrigt hat, lehrt es uns allein auf Gott zu bauen, damit wir nicht erdrückt werden noch erliegen. Dem Siege aber folgt dann die Hoffnung; denn wenn der Herr tut, was er verheißen hat, so bestätigt er damit, dass er auch Wort halten wird in Zukunft. Schon hieraus wird es klar, wie notwendig es uns ist, durch das Kreuz geübt zu werden; denn es ist nicht von geringer Bedeutung, dass die falsche Selbstliebe abgetan, dass die eigne Schwäche uns deutlich bewusst werde. Du musst die eigne Schwäche kennen lernen, damit du lernest dir selber zu misstrauen; dir selber zu misstrauen, damit du dein Vertrauen werfest auf den Herrn; mit herzlichem Vertrauen zu ruhen in Gott, damit du auf seine Hilfe bauend unbesiegt beharrest bis ans Ende; festzustehen in seiner Gnade, damit du erkennst, dass er wahr ist in seiner Verheißung; erlebte Gewissheit zu haben für seine Verheißung, damit dein Vertrauen dadurch gestärkt werde.
Der Herr hat auch noch einen andern Zweck im Auge, wenn er die Seinen züchtigt, nämlich den, dass er ihre Geduld erforsche und sie erziehe zum Gehorsam. Nicht als ob sie Gehorsam leisten könnten, wenn er ihnen den nicht selber gebe; aber er will es durch deutliche und klare Beweise kund tun, welche Gnade er den Heiligen erweise, damit sie nicht müßig und verborgen bleibe. So heißt es, dass er die Geduld der Seinen prüfe, damit er offenbar mache die Kraft zu tragen und die Festigkeit, mit der er seine Knechte ausgerüstet hat. Daher das Wort: Gott versuchte Abraham und erkannte seinen Glauben daran, dass Abraham sich nicht weigerte, seinen eignen einzigen Sohn zu opfern (Gen. 22, 1 – 12). Darum lehrt Petrus (1. Petr. 1, 7), dass unser Glaube durch Trübsal geprüft werde wie das Gold im Ofen durch Feuer. Wer möchte aber glauben, es sei etwas geringes, dass das herrliche Gnadengeschenk der Geduld, welches der Gläubige von seinem Gott empfängt, in Übung komme, damit es fest und offenbar werde, sonst würden die Menschen es ja nie nach Verdienst schätzen. Wenn Gott also recht daran tut, dass er seinen Gläubigen Gelegenheit gibt, die Kräfte zu gebrauchen, die er ihnen gegeben hat, damit dieselben nicht verborgen liegen und ungenützt verderben, so finden wir, dass er nicht ohne Grund den Seinen Leiden sendet; denn ohne Leiden wäre ja ihre Geduld nichts.
Ich sagte auch, dass sie durch das Kreuz zum Gehorsam erzogen werden; denn so lernen sie, nicht nach eignem Wunsch zu leben, sondern nach Gottes Willen. Wenn alles ihnen nach Wunsch ginge, so würden sie ja gar nicht wissen, was es hieße: Gott nachfolgen. Schon der heidnische Weltweise Seneca erzählt, es sei ein altes Sprichwort gewesen, womit man einen Leidenden im Unglück ermunterte: „Folge Gott nach!“ Damit wollte man sagen, dass dann erst der Mensch wahrhaftig das Joch Gottes auf sich nimmt, wenn er seinen Schlägen Hand und Nacken darbietet. Wenn’s nun billig ist, dass wir uns dem himmlischen Vater in allen Dingen gehorsam erweisen, so ist es gewiss recht, dass er uns auf alle Weise übt, ihm gehorsam zu sein.
Aber wir sehen noch nicht ein, wie notwendig uns dieser Gehorsam sei, wenn wir nicht zugleich erwägen, wie geneigt unser üppiges Fleisch sei, das Joch Gottes abzuschütteln. Sobald es ein wenig leicht ist, geht es uns sogleich wie üppigen Pferden. Wenn die einige Tage ohne Arbeit gefüttert werden, so sind sie vor Wildheit nachher nicht mehr zu bändigen und wollen auch nicht einmal den Reiter mehr erkennen, dessen Wink sie vorher unbedingt gehorchten. So lebt noch fortwährend in uns das alte Wesen, worüber Gott bei den Israeliten klagt; wenn wir fett geworden, schlagen wir aus gegen den, der uns ernährt hat (Deut. 32, 15). Es sollten freilich Gottes Wohltaten uns treiben, seine Güte zu bedenken und zu lieben; aber da wir denn so boshaft sind, dass wir fortwährend durch seine Milde eher verdorben als gebessert werden, so ist es unabweislich notwendig, dass wir durch irgendwelche Zucht gezügelt werden, damit wir nicht vor Mutwillen über die Stränge schlagen. Darum kommt uns Gott nach seiner Weisheit entgegen und bändigt und zügelt durch das Kreuz des Fleisches Wildheit und zwar auf verschiedene Weise, so viel nämlich einem jeden heilsam ist, damit wir nicht durch zu großen Reichtum übermütig, durch Ehre stolz, durch andere Güter des Geistes und Leibes aufgeblasen und frech werden. In verschiedener Weise tut er das; denn nicht alle leiden wir an derselben Krankheit in der gleichen Weise, und bedürfen nicht alle gleich schwieriger Heilung. Daher kommt es, dass der eine in dieser, der andere in jener Art durch das Kreuz geübt wird. Wenn aber der himmlische Arzt den einen milde behandelt, den andern durch strengeres Verfahren geneset, weil er für aller Wohlsein sorgen will, so lässt er doch keinen leer und unversorgt, weil er alle ohne Ausnahme krank weiß.
Dazu kommt, dass der gütige Vater nicht allein unserer Schwäche zuvorkommen will, sondern auch vergangene Fehler oftmals zu bessern notwendig findet, damit er uns im rechten Gehorsam gegen sich erhalte. So oft wir deshalb zu leiden haben, sollen wir sofort unseres früheren Lebens uns erinnern, so werden wir ohne Zweifel finden, dass wir getan haben, was eine solche Züchtigung verdiente. Doch gründet sich unsere Geduld nicht zunächst auf die Erkenntnis unserer Sünde. Die heilige Schrift gibt uns etwas weit besseres zu bedenken, wenn sie sagt (1. Kor. 11, 32), dass wir mit Leiden heimgesucht werden von Gott, damit wir nicht mit dieser Welt verdammet werden. Darum sollen wir auch in der bittersten Trübsal die Milde und Güte Gottes gegen uns erkennen, weil er auch da nicht aufhört, unser Heil zu fördern. Denn er lässt uns leiden nicht um zu verderben und zu töten, sondern vielmehr um uns zu befreien von der Verdammnis der Welt. Dieser Gedanke soll uns leiten zu dem, was die Schrift sagt (Spr. Sal. 3, 11): „Mein Sohn, verwirf nicht die Züchtigung des Herrn und sei nicht ungeduldig über seiner Strafe; denn, wen der Herr lieb hat, den züchtigt er und hat Wohlgefallen an ihm, wie ein Vater an seinem Sohne.“ Wenn wir die Zuchtrute des Vaters erkennen, ziemte es uns dann nicht eher, uns als gelehrige Söhne zu zeigen, als den trotzig Verzagten nachzuahmen, welche in Bosheit sich verhärtet haben?
Gott würde uns ja verderben, wenn er uns Abgewichene nicht durch die Züchtigung zu sich zurückriefe. Es heißt mit Recht (Hebr. 12, 8), wir seien Bastarde und nicht Kinder, wenn wir ohne Züchtigung sind. Wir handeln also ganz verkehrt, wenn wir nicht stille halten wollen, wo er seine Güte gegen uns und seine Sorge um unser Heil an den Tag legt. Das ist der Unterschied zwischen den Ungläubigen und den Gläubigen, wie die Schrift lehrt, dass jene wie die Sklaven in ihrer raffinierten und verhärteten Bosheit durch die Schläge nur schlimmer und hartnäckiger werden, diese dagegen als freie Söhne zur Buße kommen. So hast du nun die freie Wahl, auf welche Seite du gehen willst.
Einen ganz einzigen Trost aber haben wir dann, wenn wir um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden. Dann sollen wir eingedenk sein, wie großer Ehre Gott uns würdigt, indem er uns so die Malzeichen seines besondern Dienstes aufprägt. Ich nenne aber Verfolgung um der Gerechtigkeit willen nicht allein, wenn man für die Verteidigung des Evangeliums, sondern auch, wenn man für jeglichen Schutz der Gerechtigkeit leidet. Es darf uns nicht hart und lästig sein, dass sich Gott so viel mit uns zu schaffen macht, und wenn wir im Verfechten der Wahrheit Gottes gegen die Lügen des Satans oder im Schutz des Guten und Unschuldigen gegen das Unrecht der Gottlosen Hass und Kränkung aufladen müssen, wobei etwa unser Leben, unser Eigentum, unsere Ehre bedroht werden könnte, so dürfen wir uns in dem allen nicht unglücklich dünken; denn der Mund des Herrn preist uns selig darum (Mat. 5, 10). Armut an und für sich ist ein Leiden, desgleichen Verbannung, Verachtung, Gefängnis, Schmach, der Tod endlich ist aller Leiden höchstes; aber wenn die Gunst unsers Gottes uns zur Seite steht, so ist nichts bei dem allen, was uns nicht zum Heile dienen müsste. So sollen wir viel mehr zufrieden sein mit dem Zeugnis Christi als mit falscher fleischlicher Berechnung. Dann können wir uns freuen mit dem Beispiel der Apostel, so oft der Herr uns würdigt, um seines Namens willen Schmach zu leiden. Werden wir denn nicht Schätze sammeln im Himmel bei Gott, wenn wir unschuldig und mit gutem Gewissen durch das Verbrechen der Gottlosen unseres Eigentums beraubt und in Mangel gestürzt werden? Werden wir nicht desto engere Glieder und Hausgenossen Gottes, wenn wir aus unserem Hause hinaus gestoßen werden? Werden wir nicht desto tiefer gewurzelt in Christo, wenn wir gequält und verachtet werden? Wird unser Platz im Himmelreich nicht desto herrlicher, wenn wir mit Schimpf und Schmach belegt werden? Tut sich uns der Weg nicht auf in das selige Leben, wenn wir ermordet werden?
Darum sollen wir uns schämen, das, was Gott so hoch achtet, geringer zu achten als die nichtigen Lockungen und Schattengüter dieses Lebens. Da also die heilige Schrift durch diese und ähnliche Trostgründe alle Schmach und alle Leiden reichlich lindert, welche wir zum Schutz der Gerechtigkeit aufladen, so sind wir doch überaus undankbar, wenn wir nicht gern und freudig es annehmen aus der Hand des Herrn, zumal da diese Art des Kreuzes vor allem dazu dient, Christum in uns zu verherrlichen, wie auch Petrus lehrt (1. Petr. 4, 11 – 14). Weil aber die Schmach für edel gesinnte Kreaturen hundertmal bitterer und unerträglicher ist, als der Tod, so erinnert Paulus ausdrücklich daran, dass nicht allein Verfolgung unser harrt, sondern auch Schmach, weil wir hoffen auf den lebendigen Gott (1. Tim. 4, 10), wie er auch anderwärts uns heißt nach seinem Vorbilde zu gehen durch gute Gerüchte und durch böse Gerüchte (2. Kor. 6, 8).
Es wird aber nicht eine solche Freudigkeit von uns verlangt, welche alles Gefühl für Schmerz und Leiden aufhebt. Es wäre ja gar keine Geduld im Kreuz der Gläubigen, wenn sie vom Schmerz nicht gequält, vom Druck nicht geängstigt würden. Hätte der Mangel keine Schwere, die Krankheit keine Schärfe, die Schmach keinen Stachel, der Tod kein Grauen, was gehörte denn Tapferkeit oder Mäßigung dazu, bei solchem allen getrost zu bleiben? Da nun aber alle diese Dinge durch ihre Bitterkeit natürlich unsere Gemüter verletzen, so zeigt sich der Mut des gläubigen Christen darin, dass er tapfern Widerstand leistet und ringt, wenn er ergriffen wird von der Empfindung dieser Bitterkeit, wie schwer er auch leiden möge. Darin zeigt sich seine Geduld, dass er auch im heftigsten Schmerz dennoch durch die Furcht Gottes sich zügeln lässt, um nicht in Ungeduld zu fallen, und seine Freudigkeit wird dadurch offenbar, dass er sich beruhigt bei dem Troste des Geistes Gottes, wenn er von Trauer und Schmerz verletzt wird. Diesen Kampf, welchen die Gläubigen gegen die natürlichen Empfindungen des Schmerzes kämpfen, indem sie jagen nach Geduld und Mäßigung, hat Paulus treffend beschrieben, wenn er sagt (2. Kor. 4, 8): Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängsten uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Daraus ersehen wir, wie wenig Christengeduld zu vergleichen ist mit jener Stumpfheit, die alle Empfindung des Schmerzes verleugnet, wie die stoischen Weltweisen weiland ihren Weisen dargestellt haben, als ob er, alle Menschlichkeit ablegend, von Glück und Unglück, von Trauer und Freude gleich wenig berührt und wie ein Stein durch nichts ergriffen würde. Und was haben sie denn mit jener hohen Weisheit gewonnen? Nun, sie haben da ein Bild von Geduld hingepinselt, wie es weder jemals unter Menschen erfunden ist, noch jemals existieren kann; oder vielmehr, indem sie eine allzu genaue und scharfe Geduld haben wollen, haben sie die wirkliche Geduld aus dem Menschenleben entfernt. Auch jetzt noch gibt es unter den Christen neue Stoiker, welche nicht allein Seufzen und Weinen, sondern auch Trauer und Sorge zur Sünde stempeln. Aber das sind eigen weise Grillen, welche von müßigen Köpfen ausgeheckt werden, die in ihren eigenen Gedanken herum spinnen, statt im wirklichen Leben sich zu üben; die können nichts besseres zu Tage fördern als solcherlei aberwitzige Fündlein. Wir wissen nichts von jener hölzernen Eigenweisheit, welche unser Herr und Meister nicht allein mit seinem Wort, sondern auch mit seinem Beispiele gerichtet hat. Er seufzte über sein und anderer Leiden und hat auch seine Schüler nicht anders gelehrt. Die Welt, sagt er, wird sich freuen; ihr werdet weinen und traurig sein (Joh. 16, 20), und damit keiner daraus einen Vorwurf mache, hat er mit ausdrücklichen Worten diejenigen selig gepriesen, die da Leid tragen (Mat. 5, 4). Kein Wunder; denn wenn alle Tränen verwerflich sind, was sollen wir von dem Herrn selber sagen, aus dessen Leibe blutige Tränen nieder quollen? (Luk. 22, 44; Mat. 26, 38). Wenn alle Bangigkeit Unglaube gescholten werden soll, was sollen wir dann sagen zu jener Angst, von der er so gewaltig bewegt wurde? Wenn alle Trauer Unrecht ist, was wird man dann dazu sagen, wenn er bekennt: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod“?
Das habe ich deshalb sagen wollen, damit die frommen Seelen vor der Verzweiflung bewahrt werden, damit sie nicht gar verzagen an der Geduld, weil sie nicht im Stande sind, alles menschliche Fühlen abzuwerfen wie einen alten Schuh. Zu solchem Verzagen müssen notwendig diejenigen kommen, welche die Geduld zur Versteinerung und den mutigen und geduldigen Christen zu einem Holzklotz machen. Die Gläubigen, welche die Schrift lobt wegen ihrer Geduld, werden wohl von der Schwere des Leidens gebeugt, aber nicht gebrochen noch gestürzt; die fühlen wohl die Bitterkeit des Schmerzes, aber sie werden zugleich von der Freude des heiligen Geistes gehoben; sie werden wohl gedrückt durch die Angst, aber sie atmen auf erleichtert durch den Trost Gottes. Und bei dem allen ist Kampf in ihrem Herzen; die natürliche Empfindung flieht und fürchtet, was ihr unangenehm ist, der fromme Sinn aber ringt auch in der Not nach Gehorsam gegen den göttlichen Willen. Diesen Kampf meinte der Herr, als er zu Petro sprach: „Da du jünger warest, gürtetest du dich selbst und wandeltest wohin du wolltest; aber wenn du alt wirst, wird dich ein anderer gürten und führen, wohin du nicht willst“ (Joh. 21, 18). Es ist wahrlich nicht wahrscheinlich, dass Petrus, da es galt, den Herrn zu verherrlichen durch den Tod, unwillig und sträubend sich habe hinschleppen lassen, sonst wäre sein Märtyrertod wenig ruhmvoll gewesen. Aber wie sehr er auch mit voller Freudigkeit des Herzens dem göttlichen Willen gehorchte, so hat er doch nicht alles menschliche Gefühl abgestreift, sondern wurde von einer zwiefachen Empfindung bewegt. Wenn er dachte an den blutigen Tod, dem er entgegen ging, so musste ihn ein Grauen ankommen, so dass er gern entflohen wäre. Dachte er aber daran, dass er nach Gottes Befehl gerufen wurde, so überwand und bändigte er seine Furcht und ging gern, ja freudig. Wollen wir also Christi Schüler sein, so müssen wir danach trachten, dass unsere Herzen mit solchem Gehorsam unter Gottes Willen erfüllt werden, welcher auch alle widerstrebenden Neigungen seinem Gebote unterwerfen kann, dann werden wir dahin kommen, dass wir Festigkeit und Geduld bewahren in aller Art von Leiden, die uns heimsuchen, ja in der größten Herzensangst. Alle Widerwärtigkeit hat ihre Schärfe, die uns verletzt; werden wir von Krankheit heimgesucht, so werden wir seufzen, uns beunruhigen, um Gesundheit bitten; werden wir von Mangel gedrückt, so wird der Stachel des Kummers und der Traurigkeit uns stechen; trifft uns Schimpf, Verachtung, Kränkung, so wird es uns Schmerz bereiten; tragen wir die Unsrigen zu Grabe, so werden wir der Natur ihren Tränenzoll geben; aber immer wird das unser Gedanke sein: Gott hat es so gewollt, also folgen wir seinem Willen. Unter allen Qualen des Schmerzes, unter Seufzen und Tränen muss uns dieser Gedanke kommen, welcher uns bereit macht, mit Freudigkeit zu ertragen, was uns Schmerz bereitet.
Wenn wir nun im Gedanken an Gottes Willen eine feste Stütze der Geduld gefunden haben, so können wir von hier aus auch in der Kürze darüber unterrichten, welch ein Unterschied sei zwischen der Geduld der Christen und der Geduld der Weltweisen.
Sehr wenige Weltweise sind tief genug gewesen, um zu verstehen, dass wir in Leiden geleitet werden durch die Hand Gottes, und bekannten, dass wir hierin Gott gehorchen müssten. Aber auch diese wissen keinen andern Grund beizubringen, als: es geht nicht anders. Was heißt das aber anders, als: man muss Gott weichen, weil man muss, weil man vergebens mit ihm streiten würde? Wenn wir Gott nur gehorchen, weil es nicht anders geht, so hört der Gehorsam auf, sobald wir denselben umgehen können. Die Schrift aber lehrt uns in dem Willen Gottes etwas anderes erkennen, nämlich seine Gerechtigkeit und Billigkeit und sodann seine Sorge um unser Heil. Darum sind die christlichen Ermahnungen zur Geduld diese: mag Armut oder Verbannung oder Gefängnis oder Schmach oder Verweisung oder etwas anderes der Art uns quälen, so ist zu bedenken, dass nichts dergleichen geschieht ohne den Willen und die Vorsehung Gottes; ferner: dass er nichts tut ohne die gerechteste Ursache. Verdienen denn unsere zahllosen, tagtäglichen Vergehungen nicht noch ernster und strenger gezüchtigt zu werden, als seine milde Hand tut? Ist es nicht recht, dass unser Fleisch gebändigt und so zu sagen an das Joch gewöhnt wird, damit es nicht üppig nach seiner Lust über die Stränge schlage? Ist nicht Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit es wert, dass wir um ihretwillen leiden? Wenn Gottes Gerechtigkeit in unserm Leiden unzweifelhaft offenbar wird, so können wir nicht ohne Ungerechtigkeit murren und widerstreben. Wo bleibt da das alte frostige Lied: man muss sich schicken, weil es nicht anders geht? Hier hören wir die lebendige und wirksame Weisung: du musst gehorchen, weil Widerstand Frevel ist; du musst in Geduld tragen, weil Ungeduld Trotz ist gegen die göttliche Gerechtigkeit. Ferner, weil uns das erst lieb ist, was wir unserm Heile förderlich erkennen, so tröstet uns der himmlische Vater auch hier, wenn er uns versichert, dass er eben durch das Kreuz für unser Heil sorgt. Und wenn es dann klar ist, dass Trübsale uns heilsam sind, warum sollten wir sie denn nicht mit dankbarem und ruhigem Herzen aufnehmen?
Also, wenn wir sie geduldig ertragen, so erliegen wir nicht einer unabänderlichen Notwendigkeit, sondern beruhigen uns bei unserm Heil. Solche Gedanken bewirken es, dass wir in demselben Maße mit der Freude des Geistes erfüllt werden, wie unser Gemüt betrübt wird unter dem Kreuz durch die natürlichen Empfindungen des Schmerzes. Daher folgt denn auch der Dank, welcher ohne Freude unmöglich ist. Und wenn nun das Lob Gottes und der Dank nur aus heiteren, freudigen Herzen hervor quellen kann, wenn ferner nichts das Gefühl des Dankes in uns unterbrechen soll: so ist ja klar, wie unausbleiblich die Freude des heiligen Geistes uns zu Teil werden muss, um die Bitterkeit des Kreuzes zu vertreiben.
Welche Art der Trübsal uns auch quält, so müssen wir immer bedenken, dass wir uns gewöhnen sollen an die Verachtung dieses gegenwärtigen Lebens, um zum Blick auf das zukünftige Leben erhoben zu werden. Weil nämlich der Herr wohl weiß, wie sehr wir zu blinder und fleischlicher Weltliebe von Natur geneigt sind, so schlägt er den richtigsten Weg ein, uns zu zügeln und die Trägheit auszutreiben, damit wir nicht in dieser Liebe zur Welt uns festbeißen und verhärten. Keiner ist unter uns, der nicht dafür gelten will, dass er sein ganzes Leben hindurch trachte und jage nach dem unsterblichen Leben im Himmel; wir schämen uns, wenn wir nichts voraushaben sollten vor dem stummen Vieh, mit dem wir ganz gleich stehen würden, bliebe uns nicht die Hoffnung des ewigen Lebens nach dem Tode. Wenn man aber der Menschen Dichten, Trachten und Handeln untersucht, wird man nichts anders finden, als Welt. Oder wie kommt es denn, dass unser Sinn von dem eitlen Glanze des Reichtums, der Macht, der Ehre verstrickt und abgestumpft wird, dass er nicht weiter sieht? Das Herz voll Habsucht, Ehrgeiz und Wollust wird danieder gehalten und hebt sich nicht höher empor; die ganze Seele verstrickt in den Schlingen des Fleisches, sucht ihr Glück in der Welt. Um diesem Übel zu begegnen, erinnert der Herr die Seinen durch unablässige Leiden an die Eitelkeit des gegenwärtigen Lebens; damit sie keinen tiefen, ungestörten Frieden in der Welt sich vorspiegeln, lässt er sie häufig beunruhigen durch Krieg, Unruhe, Raub und Kränkung; damit sie sich nicht vergaffen in den vergänglichen und hinfälligen Reichtümern oder sich beruhigen bei dem, was sie haben, stürzt er sie bald durch Verbannung, bald durch unfruchtbare Zeiten, bald durch Brand in Armut oder hält sie immer in Dürftigkeit; damit sie nicht allzu ruhig sich der Freude des häuslichen Lebens hingeben, züchtigt er sie durch böse Weiber, oder demütigt sie durch ungeratene Kinder, oder schlägt sie dadurch, dass er ihnen ihre Kinder nimmt. Und wenn er in allen diesen Dingen milde gegen sie verfährt, so stellt er ihnen durch Krankheit und Gefahr vor Augen, wie schwankend und vergänglich alle sterblichen Güter sind, damit sie nicht in törichtem Stolz sich erheben oder in falscher Ruhe einschlafen. Also dann erst lernen wir recht in der Schule des Kreuzes, wenn wir lernen, dass dieses Leben in sich unruhig, stürmisch, auf unzählige Weise elend, in keiner Weise vollkommen glücklich ist; dass alle seine Güter, die hoch geschätzt werden, ungewiss, vergänglich, eitel, durch mancherlei Leid verbittert sind. Daraus sehen wir sogleich, dass hier nichts zu suchen oder zu hoffen ist als Streit, und dass wir unsere Augen zum Himmel erheben müssen, wenn wir an die Siegeskrone denken. Denn das müssen wir festhalten, dass niemals unsere Seele mit Ernst zum Gedanken und Verlangen des zukünftigen Lebens sich erhebt, wenn sie nicht erst erfüllt ist von der Erkenntnis der Nichtigkeit des gegenwärtigen Lebens. Wenn nun zwischen beiden keine andere Wahl gelassen ist, so muss notwendig entweder uns die Welt gering werden, oder sie muss uns fesseln mit ungezügelter Liebe zu ihr.
Also, wenn wir Sorge tragen um das ewige Leben, so müssen wir sorgfältig darauf ausgehen, uns aus allen jenen Schlingen loszuwickeln. Weil aber das gegenwärtige Leben mancherlei Reize hat, wodurch es uns anlockt, mancherlei Annehmlichkeit, Freude und Schimmer, womit es uns bezaubert, so liegt viel daran, dass wir unablässig angetrieben werden, damit wir von solcher Lockung uns nicht betören lassen. Was sollte doch daraus werden, wenn wir hier einen unablässigen Strom von Glück und Genuss fänden, da wir durch den unablässigen Stachel der Leiden noch nicht genug wach erhalten werden, um das Elend dieses Lebens zu bedenken? Dass alles irdische Wesen Rauch ist, das wissen nicht allein die Gebildeten, sondern jeder Mensch, und weil man weiß, dass es wichtig ist, diese Wahrheit wohl zu erkennen, ist sie in manches treffende Sprichwort gekleidet. Und doch wird kein Ding in der Welt minder beherzigt und leichter vergessen. Wir fangen alle Dinge gerade so an, als wollten wir die ewige Wohnung uns auf Erden bereiten. Wenn eine Leiche hinausgetragen wird, wenn wir unter Gräbern einhergehen, ja, dann wissen wir trefflich über die Vergänglichkeit des Lebens zu philosophieren, weil dann das Bild des Todes vor unsern Augen schwebt, und auch dann tun wir es nicht immer. Manchmal rührt uns das alles nicht, und wenn das auch, so ist’s eine Weisheit für den Augenblick, die dahin schwindet, so bald wir den Rücken wenden, und keine Spur der Erinnerung hinter sich zurücklässt. Sie kommt gar nicht anders zum Vorschein, als wie das Beifallklatschen in einem ergötzlichen Schauspiele. Wir vergessen nicht allein den Tod, sondern auch die Sterblichkeit, gleich als wäre nie ein Wort von ihr zu unsern Ohren gekommen, und verstecken den Kopf in das Schlummerkissen der sichern irdischen Ewigkeitsträume. Und wenn uns dann einmal wie von ungefähr das alte Lied zu Ohren kommt, dass der Mensch eine Eintagsfliege sei, dann sagen wir: ja, aber so ohne allen Bedacht, dass nichtsdestoweniger im Herzen der Gedanke bleibt, es werde immer so fortgehen. Wer kann also leugnen, dass es uns höchst notwendig sei, nicht bloß mit Worten erinnert, sondern mit allen möglichen Gründen von dem Elend des irdischen Lebens überführt zu werden. Denn kaum überführt, beginnen wir doch wieder in stummer Bewunderung uns der Scheinherrlichkeit desselben hinzugeben, als wenn es das höchste Maß des Glücks in sich beschlösse. Wenn es dann Gott für nötig hält uns zu unterrichten, so ist umgekehrt unsere Pflicht, zu hören auf den Ruf des Herrn, der uns aufrütteln will aus unserm Schlaf, damit wir die Welt verachten und mit ganzer Seele uns versenken in den Gedanken des zukünftigen Lebens.
Aber die Gläubigen sollen sich an eine solche Geringachtung des gegenwärtigen Lebens gewöhnen, welche nicht zu einem Hass gegen dasselbe wird, noch zur Undankbarkeit gegen Gott. Denn freilich ist dieses Leben unendlicher Leiden voll; aber dennoch wird es mit Recht unter die höchsten Segnungen Gottes gerechnet. Wenn wir also gar keine göttliche Wohltat in ihm erkennen, machen wir uns einer nicht geringen Undankbarkeit gegen Gott selbst schuldig. Es soll aber das Leben ein vorzügliches Zeugnis von der Güte des Herrn gegen die Gläubigen sein, da es ja dazu allein bestimmt ist, ihr Heil zu fördern. Denn der himmlische Vater will uns durch geringere Beweise seiner Huld sich offenbaren, ehe er uns das Erbe der ewigen Herrlichkeit in seiner ganzen Fülle mitteilt; darum erweiset er uns tagtäglich Gutes im Kleinen. Da uns also dieses Leben dient zum Verständnis der Güte Gottes, sollen wir es dann verachten, als ob es kein Körnlein Gutes enthielte? Darum müssen wir die Gesinnung hegen, dass wir das Leben selber unter die größten Gaben der göttlichen Huld zählen; denn wenn auch die vielen und deutlichen Zeugnisse der heiligen Schrift nicht da wären, so ermahnt uns die Natur selber, Gott Dank dafür zu bringen, dass er uns in das Licht des Lebens gestellt hat, dass er uns freien Gebrauch des Lebens gibt und uns allen möglichen Schutz zu seiner Bewahrung angedeihen lässt. Und noch viel wichtiger ist, dass wir in dem irdischen Leben zur Herrlichkeit des Himmels sollen vorbereitet werden. Denn so hat es der Herr geordnet, dass, wer einmal im Himmel die Krone tragen will, zuerst auf Erden kämpfen soll und nicht eher triumphieren, als bis er die Schwierigkeit des Kampfes überwunden und den Sieg errungen hat. Dazu kommt, dass wir durch die verschiedenen Wohltaten der göttlichen Huld schon in diesem Leben ihre Lieblichkeit zu kosten beginnen, damit unsere Hoffnung und unser Verlangen geschärft werde, um nach ihrer vollen Offenbarung zu jagen. Dann, wenn es fest steht, dass dieses irdische Leben eine Gabe der göttlichen Huld ist, um derentwillen wir seiner eingedenk, ihm dankbar sein sollen, dann erst können wir die traurige Gestalt des irdischen Lebens verstehen, damit wir befreiet werden von zu großer Begierde nach dem Leben, zu welcher wir von Natur so geneigt sind.
In demselben Maße aber, wie wir frei werden von verkehrter Liebe zum Leben, müssen wir zunehmen im Verlangen nach einem besseren Leben. Das heidnische Altertum in seiner Weise hatte ganz recht zu sagen, das Allerbeste sei, nie geboren zu werden, und wenn man einmal geboren sei, sobald als möglich wieder zu verschwinden. Sie wahren ja ohne Gottes Licht und wahren Glauben, was hätten sie im Leben anderes sehen können als Unglück und Grauen? Ganz natürlich war es darum, dass sie den Geburtstag der Ihrigen mit Trauern und Tränen feierten, ihre Leichen aber mit Freude bestatteten. Und doch war es ein eitles Beginnen. Ohne die rechte Erkenntnis der Wahrheit konnten sie es nicht begreifen, wie ein Leben den Frommen zum Heile gereichen könne, welches an sich weder glücklich noch wünschenswert ist. Ihr Urteil musste darum schließlich notwendig ein verzweifeltes werden. Die Gläubigen sollen dagegen das stets im Auge behalten bei der Betrachtung des sterblichen Lebens, dass sie wohl einsehen, wie es an sich nichts als Elend ist, desto freudiger und leichter aber in den Gedanken des zukünftigen ewigen Lebens sich versenken. Von dem Standpunkte aus kann man nicht allein das gegenwärtige Leben getrost für nichts achten, sondern sogar im Vergleich zu dem zukünftigen es abzulegen wünschen. Denn, wenn der Himmel unser Vaterland ist, was ist die Erde anders als die Fremde? Wenn der Weggang aus dieser Welt der Eingang ins Leben ist, was ist die Welt anders als ein Grab, und das Bleiben in ihr anders als versenkt sein in den Tod? Ist die Befreiung von dem Leibe die Versetzung in die Freiheit, was ist der Körper anders als ein Gefängnis? Wenn es die höchste Spitze des Glückes ist, die Gegenwart Gottes zu genießen, ist es dann nicht Elend, ihrer zu entbehren? Wir wandeln fern von Gott, bis wir aus dieser Welt gehen; wenn also dieses irdische Leben mit dem himmlischen verglichen wird, so ist nicht zweifelhaft, dass wir es gern weit in den Hintergrund stellen müssen. Freilich zuwider darf es uns niemals werden, außer sofern es uns der Sünde bloßstellt, und auch dieser Widerwille darf sich nie auf das Leben selber beziehen. Wie sehr wir auch des Lebens satt werden mögen und sein Ende begehren, so müssen wir doch bereit sein zu bleiben, wenn es Gottes Wille ist. Unser Überdruss muss fern bleiben von Murren und Ungeduld, denn das Leben ist ein Posten, auf den uns der Herr gestellt hat, und wir müssen stehen, bis er uns abruft. Paulus klagt zwar, dass er länger als er wünschte in dem Leibe dieses Lebens gefesselt bleibe, und seufzt mit brünstigem Verlangen nach der Erlösung; nichts desto weniger ist er Gott gehorsam und erklärt sich bereit wie zum Gehen so zum Bleiben, weil er es als seine Schuld vor Gott erkennt Gottes Namen zu verherrlichen beides im Leben und im Sterben; Gottes Sache aber ist es, alles so zu leiten, wie es der Ehre seines Namens dient. (Philipp. 1, 20 ff.).
Wenn es demnach unsere Aufgabe ist, dem Herrn zu leben und zu sterben, so sollen wir die Frist des Lebens und des Todes ihm überlassen, so aber, dass wir Lust haben abzuscheiden und daran unablässig denken; dass wir das Leben gering achten im Vergleich mit dem zukünftigen Leben, und wegen der Knechtschaft der Sünde wünschen es abzulegen, sobald es dem Herrn gefällt. Denn das ist unbegreiflich, dass statt jenes Verlangens nach dem Tode viele, die sich doch Christen zu sein rühmen, mit einem solchen Schrecken vor ihm behaftet sind, dass sie bei dem bloßen Worte „Tod“ erzittern, wie vor einem unglücklichen Vorzeichen. Nun ist freilich kein Wunder, wenn der natürliche Sinn in uns zusammenbebt bei dem Gedanken an unsere Auflösung; aber unerträglich ist es, wenn in der Christenseele das Licht des Glaubens jene Furcht, wie groß sie auch sei, nicht mit reichem Troste überwindet und unterdrückt. Denn, wenn wir bedenken, dass diese schwankende, sündige, verwesliche, hinfällige, verwelkende, morsche Hütte unseres Leibes darum aufgelöst werde, um zur festen, vollkommenen, unverweslichen Himmelsherrlichkeit erneut zu werden, muss dann nicht der Glaube eifrig begehren nach dem, wovor das Fleisch zittert? Wenn wir bedenken, dass wir durch den Tod aus der Verbannung zurückberufen werden ins Vaterhaus, ins himmlische Vaterhaus, ist das nicht reicher Trost? Freilich, was lebt, begehrt weiter zu leben; aber gerade darum müssen wir hinblicken auf die zukünftige Herrlichkeit, wo uns der feste Stand zu Teil wird, der auf Erden nirgends zu finden ist. Denn trefflich sagt Paulus, dass die Gläubigen freudig zum Tode gehen, weil sie nicht wollen entkleidet werden, sondern überkleidet (2. Kor. 5, 4). Oder sollen die stummen Tiere, sollen selbst seelenlose Geschöpfe, Holz und Stein, seufzen in der Ahnung ihrer Vergänglichkeit und wartend mit emporgerecktem Haupt sich sehnen, mit den Kindern Gottes frei zu werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens (Röm. 8, 19), und wir, die wir das Licht des Geistes haben, ja die wir mit dem Geiste Gottes erleuchtet sind – unser Herz sollte sich nicht erheben über diese morsche Erde, wenn wir denken an unser wahres Wesen? Wahrlich, wir müssten erröten, wenn wir hören, mit welchem Mute, ja mit welchem Trotze die alten Weltweisen sprechen vom Tode und seiner Verachtung. Der hat in der Tat noch wenig in der Schule Christi gelernt, der nicht den Tag des Todes und der letzten Auferstehung mit Freuden erwartet (2. Tim. 4, 18; Tit. 2, 13). Denn das gilt bei Paulus als das rechte Kennzeichen aller Gläubigen, und die Schrift, wenn sie einen festen Grund der Freude uns zeigen will, weiset uns dorthin. Freuet euch, spricht der Herr (Luk. 21, 28), und hebet eure Häupter auf, darum, dass sich eure Erlösung nahet. Darf uns das Trauer und Angst bereiten, was er uns als einen Gegenstand der Freude und des Frohlockens hingestellt hat? Dürften wir uns dann noch rühmen, ihn zum Meister zu haben? Nein, da müssen wir einen gesünderen Sinn anziehen und unablässig um die Ankunft des Herrn nicht allein bitten, sondern mit Seufzen und Sehnen ihr entgegensehen als unserm höchsten Glück, wie sehr auch die blinde und törichte fleischliche Gesinnung sich dagegen sträubt. Denn kommen wird unser Erlöser, uns zu erretten aus diesem unergründlichen Strudel von Leiden und Elend, um uns einzuführen in das selige Leben und das Erbe seiner Herrlichkeit.
Das ganze Volk der Gläubigen, so lange sie auf Erden wohnen, kann nur sein wie Schlachtschafe, damit sie Christo, ihrem Haupte gleich werden. Sie wären die elendesten unter allen Menschen, wenn sie nicht ihr Herz erhöben zum Himmel, über alles empor, was in der Welt ist, und absähen von diesem Leben. (1. Kor. 15 – 19). Wenn sie aber einmal ihr Haupt erhoben haben über alles irdische Wesen, so werden sie leicht festen Trost finden in allen Leiden, wenn sie auch sehen, dass die Ungläubigen in Macht und Reichtum blühen, in Ruhe leben, stolz einhergehen in Pracht und Üppigkeit und sich baden in Wohlleben, während sie von ihrem Trotz gebeugt werden, Spott leiden von ihrem Übermut, geplündert werden von ihrer Habsucht und gequält von ihren Launen; denn ihnen steht vor Augen jener Tag, wo der Herr die Seinen aufnehmen wird in seines Reiches Frieden und abwischen wird alle Tränen von ihren Augen, sie bekleiden mit dem Kleide der Herrlichkeit und Freude, sie weiden an den Wassern seiner unaussprechlichen Lieblichkeit und Wonne, sie erheben in die Gemeinschaft seiner Herrlichkeit (Offenb. 7, 17). Aber die Gottlosen, die da glänzten auf Erden, wird er hinwerfen in die äußerste Schmach, ihre Üppigkeit in Qual verwandeln, ihr Lachen und Jubeln in Heulen und Zähneklappern, ihre Ruhe in die Unruhe des gepeinigten Gewissens, ihre Weichlichkeit wird er strafen mit unauslöschlichem Feuer und ihr Haupt legen unter die Füße der Frommen, deren Geduld sie missbraucht haben. Denn es ist recht bei Gott, wie Paulus sagt (2. Thess. 1, 6), zu vergelten Trübsal denen, die Trübsal anlegen, und Ruhe denen, die Trübsal leiden, wenn geoffenbart wird der Herr Jesus vom Himmel samt den Engeln seiner Kraft. Fürwahr, das ist unser einziger Trost; fällt der hin, so müssen wir den Mut sinken lassen oder unsern Unmut trösten mit dem eitlen Troste der Welt zu unserm Verderben, wie der Psalmist sagt: Ich hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen, da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging, aber es war mir zu schwer, bis dass ich ging in das Heiligtum Gottes und merkte auf ihr Ende (Ps. 73). Dann erst triumphiert in den Herzen der Gläubigen das Kreuz Christi über den Teufel, das Fleisch, die Sünde und die Gottlosen, wenn die Augen sich wenden auf die Kraft der Auferstehung.
Mit diesem allen gibt uns die heilige Schrift zugleich gründliche Anweisung, welches der rechte Gebrauch der irdischen Güter sei; und das ist eine Sache, die zu einem wohl geordneten Leben notwendig gehört. Denn, sollen wir leben, so müssen wir auch die notwendigen Stützen des Lebens gebrauchen und können selbst die Dinge nicht fliehen, welche mehr zu ergötzen als notwendig zu sein scheinen. Da kommt es also darauf an, dass wir einen rechten Maßstab gewinnen, um mit reinem Gewissen sie zu gebrauchen, sei es zu unserer Notdurft, sei es zu unserm Ergötzen. Diesen Maßstab gibt uns der Herr in seinem Worte, wenn er uns lehrt, dass das gegenwärtige Leben für die Seinen eine Wanderung sei in das himmlische Vaterland.
Sollen wir durch dieses Leben nur hindurch gehen, so ist klar, dass wir seine Güter nur so gebrauchen dürfen, dass sie unsere Wanderung eher fördern, als hemmen. Darum gibt uns Paulus den Rat (1. Kor. 7, 30 ff.), diese Welt so zu gebrauchen, als gebrauchten wir sie nicht, und so zu kaufen, als besäßen wir nicht. Aber weil dies ein schwerer Standpunkt ist, von dem man leicht nach verschiedenen Seiten hin abirren kann, so wollen wir trachten, festen Fuß und einen sichern Standpunkt zu gewinnen.
Es hat einige Leute gegeben, sonst gute und treue Seelen, welche zürnten, dass die Üppigkeit und Unmäßigkeit fortwährend zügellos dahin taumelt, und da sie gern dem gefährlichen Übel steuern wollten, fanden sie keinen andern Ausweg, als den, dass sie sagten, der Mensch darf sich nur den notdürftigen Gebrauch der irdischen Güter gestatten. Das war zwar gut gemeint, aber eine ungerechte Strenge und über die maßen gefährlich. Denn das heißt, dem Gewissen engere Grenzen stecken, als das Wort Gottes tut. Da müsste man also notwendig aller Dinge sich enthalten, deren man irgend entbehren könnte, und man dürfte kaum, wenn es nach ihnen ginge, außer dem täglichen Brot und Wasser sich irgendetwas nehmen. Noch strenger war jener alte Weise Krates von Theben, welcher seine Schätze ins Meer warf, weil er glaubte, sie würden ihn verderben, wenn sie nicht untergingen. Andere dahingegen suchen einen Vorwand, um das Begehren des Fleisches zu bemänteln und seiner wachsenden Üppigkeit Vorschub zu leisten, und da setzen sie als allgemein zugestanden voraus, was ich ihnen nicht zugebe, dass die Freiheit in äußeren Dingen keiner Schranke bedürfe, sondern dass es dem Gewissen eines jeden anheim gestellt werden müsse, wie viel er sich erlauben wolle. Nun kann freilich und soll auch das Gewissen nicht an feste scharfe Formeln gebunden werden; aber wenn die heilige Schrift gewisse allgemeine Grundsätze über den Gebrauch der irdischen Dinge feststellt, so haben wir uns danach zu richten. – Da gilt denn zunächst der Grundsatz, dass jeder Gebrauch der Gaben berechtigt ist, wenn er den Zweck verfolgt, zu welchem der Urheber seine Gabe geschaffen und eingesetzt hat, maßen er seine Gaben zum Heil und nicht zum Verderben gegeben hat. Daher sind wir sicher auf dem rechten Wege, wenn wir den Zweck der Gaben fest im Auge behalten. Wenn wir so uns fragen, zu welchem Zweck die Nahrung erschaffen sei, so werden wir finden, dass sie uns nicht allein unsre Notdurft stillen soll, sondern auch zu unserer Freude und zu unserem Ergötzen gegeben ist (Ps. 104, 14. 15). Ebenso bezweckt er mit der Kleidung nicht allein unsere Notdurft, sondern auch Anmut und Würde. Gras, Kräuter, Früchte sind da zu verschiedenem Gebrauch, aber auch um durch ihren Anblick und Wohlgeruch zu erfreuen. Wäre dem nicht so, so würde der Psalmist nicht zu den Wohltaten Gottes zählen, dass der Wein erfreuet des Menschen Herz und seine Gestalt glänzet von Öl; so würde auch die heilige Schrift nicht allenthalben zum Preise Gottes erwähnen, dass uns von ihm alle diese Dinge gegeben sind. Die Gaben der Natur selber zeigen es uns ja deutlich genug, wozu und wie weit wir uns ihrer bedienen dürfen. Oder sollte Gott solche augenfällige Schönheiten und so lieblichen Wohlgeruch den Blumen gegeben haben, damit wir uns versündigen, wenn wir uns ihrer Schönheit freuen? Wie, ist er es nicht, der die Farben so verteilt hat, dass eine die Schönheit der andern hervorhebt? Ist er es nicht, der dem Golde und Silber, dem Marmor und Elfenbein seinen Glanz verlieh, wodurch es kostbar wird vor anderm Metall und Gestein? Also hat Gott selbst viele Dinge für uns anziehend gemacht, obwohl sie zu des Leibes Notdurft und Nahrung nicht unmittelbar und notwendig gehören. Man lasse doch ab von jener sauern und engherzigen Eigenweisheit, welche nur den notdürftigen Gebrauch der irdischen Dinge gestatten will und uns geizig um die Freude an den göttlichen Wohltaten betrügt. Sie kann den Menschen nur zu einem empfindungslosen Klotz machen.
Aber nicht minder müssen wir dem fleischlichen Sinne entgegentreten, welcher durch Rand und Band geht, wenn er nicht gedämpft wird, und dessen Fürsprecher unter dem Namen erlaubter Freiheit alles Mögliche für erlaubt ausgeben. Dem wird zuerst ein Zügel angelegt durch den Gedanken, dass zu dem Zweck uns alles gegeben ist, damit wir in allem den Urheber erkennen und seine Huld anerkennen durch Danksagung. Wo ist aber Danksagung, wenn du dich beschwerest mit Fressen und Saufen, so dass du stumpf wirst und unfähig, Gott und deinem Berufe treu zu sein? Wo ist Erkenntnis Gottes, wenn das Fleisch vor Überfluss in schmählicher Genusssucht aufschwillt und den Geist mit seiner Unreinigkeit besudelt, dass er gar keinen Sinn mehr hat für Recht und Gerechtigkeit? Wo ist Dankbarkeit gegen Gott, wenn wir in kostbarer Kleiderpracht uns selbst bewundern und andere mit Ekel erfüllen? Oder wenn wir gar durch Kleiderpracht und Tracht der Wollust die Bahn bereiten? Ist da Gotteserkenntnis, wenn der Geist sich verliert im eitlen Schimmer? Und doch geben viele ihr ganzes Herz so ihrer Lieblingsneigung hin, dass ihre Seele darunter begraben wird. Viele ergötzen sich so an Marmorbildern, Gold und Gemälden, dass sie selbst darüber zu Marmor werden, und werden wie ihr Gold und ihre gemalten Figuren. Küchendunst und Salbenduft nimmt ihnen den Kopf so sehr ein, dass sie für alles geistige und geistliche ganz stumpf werden. Und so geht es mit allen derartigen Dingen. So ist klar, dass hier der Willkür ein mächtiger Zügel angelegt, und die Regel des Paulus bestätigt wird: Wartet des Leibes, doch so, dass er nicht geil werde (Röm. 13, 14). Geben wir dem Leibe zu viel nach, so geht er maßlos über alle Schranken. Hier gibt es keinen sicherern und geraderen Weg, als den uns der Gedanke an die Nichtigkeit des gegenwärtigen Lebens und an die himmlische Herrlichkeit zeigt; denn hier ergeben sich zwei Regeln: wir gebrauchen diese Welt, als gebrauchten wir sie nicht, haben Weiber, als hätten wir sie nicht, kaufen, als besäßen wir nicht; und sodann: im Mangel sind wir ruhig und geduldig und Überfluss mäßig. – Wenn es heißt, wir sollen diese Welt gebrauchen, als gebrauchten wir sie nicht, so wird damit nicht allein in Speise und Trank der Gaumenkitzel abgewiesen und in Gebäuden und Kleidern alle Weichlichkeit, Gefallsucht, Üppigkeit, Prunksucht und ängstliche Sorgfalt, sondern auch jegliche Neigung und Bestrebung, welche uns abziehen und stören kann in dem Gedanken des ewigen Lebens und in der Sorge, das Heil unserer Seele zu fördern. Denn richtig sagte schon der alte Heide Cato: große Sorgfalt um den Leib sei große Sorglosigkeit um die Seele, und das meinen auch die Worte des Liedes:
So ist freilich das Leben der Gläubigen niemals an eine feste Form gebunden, aber befolgt das bestimmte Gesetz, dass es nie sich gehen lässt, sondern vielmehr eifrig danach trachtet, allen überflüssigen Prunk abzulegen und alle Üppigkeit zu zügeln und sorgfältig sich zu hüten, damit das Gut des Lebens kein Hindernis des Heils werde.
Eine weitere Regel ist die, dass diejenigen, welche in beschränkten und dürftigen Verhältnissen leben, geduldig zu entbehren wissen sollen und sich durch keine Sorge um irdischen Besitz beunruhigen. Wer das erst recht versteht, der ist kein Anfänger mehr in der Schule des Herrn, wie auf der andern Seite niemand sich als einen Jünger Christi betrachten möge, der hierin nicht wenigstens etwas gelernt hat. Denn abgesehen davon, dass dem Hange nach irdischem Reichtum mancherlei andere Fehler zur Seite zu gehen pflegen, so pflegen auch diejenigen, welche den Mangel fürchten, im Überfluss auf gleich gefährliche Klippen zu geraten. Denn es ist klar, wer sich schämt über seinen alten Rock, der prunkt, wenn er einen neuen hat; wer mit einem kargen Mahl unzufrieden ist, der verlangt nach einem prächtigeren und wird mit Leckereien sich überladen, so bald er sie haben kann. Wer sich unbehaglich fühlt in einer verborgenen, niedrigen Stellung, wird sich schwerlich der Eitelkeit erwehren, wenn er zu Ehre und Ansehen gelangt. Danach sollen also alle trachten, denen es um keine bloß eingebildete Frömmigkeit zu tun ist, dass sie lernen, nach dem Vorbilde des Apostels beides satt sein und hungern, beides übrig haben und Mangel leiden (Phil. 4, 12).
Die heilige Schrift hat noch eine dritte Regel, womit sie zum rechten Gebrauch der irdischen Dinge anleitet. Wir haben sie schon berührt, wo von dem Gesetz der Liebe die Rede war. Denn die Schrift sagt, alle irdischen Gaben seien uns von Gottes Gnade gegeben und zu unserm Besten verordnet, damit wir sie betrachten sollen gleichsam als ein anvertrautes Pfund, von welchem dermaleinst Rechenschaft zu geben ist. Darum müssen wir so mit ihnen haushalten, dass uns fortwährend jenes Wort ins Ohr tönt: Gib Rechenschaft von deinem Haushalt. Und zugleich sollen wir bedenken, wer eine solche Rechenschaft fordert, nämlich der, welcher Enthaltsamkeit, Mäßigung, Bescheidenheit eben so nachdrücklich empfohlen hat, wie er Pracht, Üppigkeit, Prunksucht und alles eitle Wesen verdammt; der, dem keine andere Verwaltung unserer Güter wohl gefällt, als die da geschieht in der Liebe; der, welcher alle Annehmlichkeiten, die von der Reinheit und Heiligkeit unserer Seele abziehen und unsern Geist verdunkeln, mit seinem Worte schon gerichtet hat.
Endlich und zuletzt ist das wohl zu bemerken, dass der Herr einen jeden von uns bei allem, was er tut im Leben, hinblicken heißt auf seinen rechten Beruf. Der Herr weiß es ja wohl, in welcher Unruhe eine Menschenseele hin- und hergetrieben wird, wie sie mit leichtem Sinn bald hierhin, bald dorthin flattert, wie begierig sie ist in ihrem hoffärtigen Sinn, die verschiedensten Dinge zugleich zu umfassen. Darum hat er verschiedene Lebensweisen, verschiedene Berufspflichten verordnet, damit wir nicht töricht und unbesonnen alles unterste zu oberst kehren. Und damit niemand unbesonnen seine Grenze überspringe, hat er solchen verschiedenen Lebensweisen den Namen Beruf gegeben. Darum soll ein jeglicher wohl wissen, dass seine Lebensweise sei wie ein Posten, darauf ihn der Herr gestellt hat, damit er nicht sein Leben lang unstet und unbesonnen hierhin und dorthin flattere. Und jene Unterscheidung von Berufsarten ist so bedeutungsvoll, dass alle unsere Handlungen vor dem Herrn danach gemessen werden und zwar durchweg anders vor Gott als vor dem Richterstuhl menschlicher Vernunft und Weisheit. Dem Heiden galt z. B. keine Tat für herrlicher, als die Befreiung des Vaterlandes von der Tyrannei. Gottes Wort dagegen richtet unbedingt denjenigen, der seine Hand auch an einen Tyrannen legt. So könnte man noch viele Beispiele erzählen; doch es genügt, wenn wir wissen, die Treue in einem Gott wohlgefälligen Beruf sei überall der wahre Anfang und das Fundament recht zu leben und zu handeln. Wer den Maßstab nicht anlegt, wird in keinerlei Amt und Werk den rechten Weg gehen. Er kann vielleicht dies und jenes scheinbar löbliche tun in der Menschen Augen, vor dem Richterstuhle Gottes wird er zu leicht befunden, und seinem Leben selbst fehlt es an der rechten Einheit und Harmonie.
Erst dann ist dein Leben ein wohl geordnetes, wenn es nach diesem Ziele sich streckt; denn dann wirst du aufhören, eigenwillig mehr zu versuchen, als dein Beruf mit sich bringt, dann wirst du wissen, dass es wider Gottes Ordnung ist, deine Grenze zu überschreiten. Wer ein unbedeutender Mann ist, wird sein verborgenes Leben nicht hassen, sondern sich fürchten, die Stellung zu verlassen, dahin er gestellt ist von Gott. Das wäre ein reicher Trost in allen Sorgen, Mühen, Lasten und Leiden, wenn ein jeder wüsste, dass in allen diesen Dingen Gott sein Führer sei. Fröhlich würden dann die Leiter des Volks ihr Amt verwalten, die Hausväter ihrem Berufe sich widmen, jeglicher an seiner Stelle Unannehmlichkeiten, Unruhe, Sorge und Verdruss tragen und sich gefallen lassen in der Überzeugung, dass ein jeder seine Last trägt von Gottes wegen. Ein jeglicher würde dann den herrlichen Trost haben, dass kein Werk so gering ist und so verachtet – wenn man in ihm nur den himmlischen Beruf vor Augen hält – das da nicht herrlich gehalten sei und köstlich vor Gott.
Quelle: Johann Calvins Büchlein vom Leben eines Christenmenschen.
Deutsch bearbeitet von P. G. Bartels, cand. min. und Seminarlehrer zu Aurich.
Aurich, 1857.
Im Verlage bei S. Schulenberg.