1 Der Herr ist König und hat Majestät angelegt, angelegt hat der Herr Stärke, hat sich gegürtet; auch hat er den Erdkreis fest gegründet, dass er nicht wanket.
2 Von Anbeginn stehet dein Stuhl fest; Du bist ewig.
Im Eingang rühmt der Dichter Gottes unermessliche Herrlichkeit. Dann fügt er hinzu, dass der Herr treu ist, also die Seinen niemals betrügt. Sie dürfen sich an seine Verheißungen klammern und inmitten der Stürme und Wechselfälle des Lebens mit ruhigem Gemüte auf ihr Heil warten.
Der Herr ist König. Wir sehen, worauf ich schon früher hindeutete, dass Gottes Macht uns als Grund unserer Zuversicht vor Augen gestellt wird. Denn Furcht und Zittern schreibt sich meistens daher, dass wir den Herrn nicht, wie es sich geziemt, mit seiner Wirkungskraft bekleidet denken und ihn böswillig seiner Herrschaft berauben. Das wagen wir zwar nicht ganz öffentlich zu tun; aber wenn wir ernstlich von seiner Allmacht überzeugt wären, müsste sie uns gegen alle anstürmenden Anfechtungen ein unbesieglicher Schutz werden. Mit Worten bekennt jedermann, was der Prophet hier lehrt, dass der Herr König ist. Aber wie wenige decken sich, wie sie sollten, mit diesem Schilde gegen die feindliche Macht der Welt, so dass sie selbst das Schrecklichste nicht mehr zu fürchten brauchten! Darin also steht Gottes Ruhm, dass das Menschengeschlecht nach seinem Willen regiert wird. Dass er Majestät und Stärke angelegt hat, will nicht besagen, dass zu ihm von außen her etwas hinzukommen müsste, sondern will auf die wirklichen und gewissen Zeichen dafür deuten, dass er mit wunderbarer Weisheit und Gerechtigkeit das Menschengeschlecht hütet. Dass aber Gott der Sorge um die Welt sich niemals entschlägt, wird aus der Schöpfung bewiesen. Sicherlich müsste allein der Anblick der Welt mehr als hinreichen, uns Gottes Vorsehung zu bezeugen. Der Himmel dreht sich täglich um, und trotz dieser gewaltigen Last entsteht keine Erschütterung, welche bei so ungeheurer Schnelligkeit den gleichmäßigen Lauf störte. Die Sonne schlägt bei ihrem täglichen Umlauf einen immer neuen Weg ein und kehrt doch jährlich zum gleichen Punkte zurück. Die Planeten verlassen trotz ihrer Irrfahrten doch nicht den ihnen gewiesenen Platz. Wie sollte die Erde in der Luft hängen, wenn Gottes Hand sie nicht stützte? Wie sollte sie bei dem überschnellen Umschwung des Himmels unbeweglich stehen, hätte ihr Schöpfer ihr nicht diese Festigkeit verliehen?
Von Anbeginn stehet dein Stuhl fest. Die beiden Glieder dieses Verses lassen sich innerlich verbinden: Weil du, Herr, ewig bist, steht auch von Anbeginn dein Stuhl fest. Es ist nun zu dürftig, wenn manche Ausleger hier einen einfachen Hinweis auf Gottes Ewigkeit finden. Vielmehr lehrt der Prophet, dass Gott gemäß seinem ewigen Wesen allzeit Herrschaft und Majestät besaß. Unter seinem Thron sind ja seine Gerechtigkeit und sein Herrscheramt zu verstehen; wie denn um der Schwachheit unsers Begriffsvermögens willen solche, von menschlichen Zuständen genommenen Gleichnisse zur Beschreibung Gottes dienen müssen. Mit diesem Lobpreis schlägt der Prophet alle rohen Einbildungen nieder, die Gottes Macht beseitigen oder verkleinern. Er will etwa sagen: Der Herr wäre nicht Gott, wenn er nicht auf seinem Throne säße und das Weltregiment führte.
3 Herr, die Wasserströme erheben sich, die Wasserströme erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben empor die Wellen,
4 die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtiglich; der Herr aber ist noch größer in der Höhe.
5 Deine Zeugnisse sind ganz wahrhaftig. Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses, o Herr, ewiglich.
Herr, die Wasserströme erheben sich. Dieser Vers wird verschieden ausgelegt. Manche deuten ihn bildlich auf gewaltige, feindliche Angriffe, die sich gegen die Kirche erheben, und finden darin einen Lobpreis der göttlichen Gnade, welche dieselben niederschlug. Andere deuten ohne Bild: wie groß das Brausen großer Wasser ist, das doch an Schrecklichkeit von den Fluten des Meeres noch übertroffen wird, so bleibt doch Gott allein im höchsten Grade schrecklich. Ist es vielleicht auch zu scharfsinnig, hier einen Vergleich zwischen den Wasserwogen und Gott zu finden, so will uns doch der Prophet Gottes Macht ganz sicher anschaulich vorstellen. Er will sagen, dass wir ein deutlicheres Zeichen der erschreckenden Majestät Gottes nicht finden können, als es uns im Brausen des Stromes und im Wüten des Meeres gegeben wird. So hören wir auch im 29. Psalm (V. 3), dass im Rollen des Donners Gottes schreckliche Stimme ertönt. Alles in allem: im Rauschen der Ströme und in der aufgeregten Flut des Meeres offenbart Gott seine Kraft, um uns zur Ehrfurcht zu stimmen. Will man nun mit einem Vergleich rechnen, so ließe sich hinzufügen, dass dies alles noch nichts ist, wenn man sich darüber zu Gottes himmlischer Majestät selbst erhebt. Auch habe ich nichts zu erinnern, wenn man folgenden Sinn den Worten entnimmt: Mag die Welt unter den verschiedensten Erschütterungen zu zerbrechen scheinen, so wird doch Gottes Macht nicht gemindert, der mit seinem schrecklichen Regiment alle Unruhen leicht niederschlägt.
Deine Zeugnisse sind ganz wahrhaftig. Bis dahin hat der Prophet davon geredet, wie wunderbar Gott nicht nur in der Schöpfung der Welt, sondern auch in der Regierung des Menschengeschlechts, waltet. Jetzt erinnert er an die besondere Wohltat, deren er das auserwählte Volk durch Offenbarung der Heilslehre würdigte. Zuerst rühmt er Gottes Gesetz wegen seiner Zuverlässigkeit und Wahrheit. Da aber dieser Schatz nicht allen Völkern ohne Unterschied geöffnet war, fügt er hinzu, dass Gottes Haus für alle Zeiten mit herrlichem Glanz geziert sei. Erstreckt sich auch Gottes Güte über die ganze Welt, so preist der Prophet doch mit Recht als eine unvergleichliche Wohltat, dass er den Bund des ewigen Lebens bei seiner Gemeinde niedergelegt hat, damit dort seine himmlische Herrlichkeit noch heller erstrahle. Dass dies ewiglich währt, deutet auf die ununterbrochene Fortpflanzung, von der wir auch bei Jesaja das treffliche Wort lesen (59, 21): „Ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und in den Mund deines Samens und Kindeskindes.“ So soll durch treue Bewahrung die himmlische Lehre viele Zeitalter hindurch blühen.
Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter