Inhaltsangabe: Da die elende und traurige Lage der Gemeinde, wie sie seit der babylonischen Gefangenschaft bestand, fromme Herzen entmutigen konnte, so verheißt hier der heilige Geist eine wunderbare und ungeahnte Wiederaufrichtung derselben, infolge deren man keinen größeren Wunsch kennen werde, als unter ihre Mitglieder gezählt zu werden.
Wenn es den Kindern dieser Welt wohl geht, dann kann man beobachten, wie es ihnen in ihrer Lage wohlgefällt, und wie sie dieselbe in hochfahrendem Sinn gegen die verachtete Gottesgemeinde herausstreichen; selbst durch Missgeschick lassen sie sich nicht bezähmen, dass sie ihres tollen Selbstvertrauens vergäßen. Dabei schauen sie voll Sicherheit auf Religion und Gottesdienst herab. Haben sie doch genug an ihren Genüssen, Reichtümern und glänzenden Ehren, so dass sie sich auch ohne Gott glücklich vorkommen. Nun geschieht es oft, dass Gott sie mit allerlei Gutem sättigt, während er im Begriffe steht, über ihren Undank ein gerechtes und rasches Gericht ergehen zu lassen, dass er aber seiner Gemeinde mannigfache, schwere Kümmernisse auferlegt oder wenigstens sie in unscheinbarem, geringem Stande darnieder hält, so dass sie in den eigenen Augen elend und jedenfalls vonseiten anderer der Verachtung ausgesetzt ist. Damit also dieser flüchtige Schein die Gläubigen nicht täusche, so verlohnt es sich, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, damit sie bestimmt erkennen, es sei wahr, was Ps. 33, 12 lehrt: „Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist“. Als Hauptgedanken des Psalms wollen wir uns also das merken, dass die eine Gemeinde Gottes alle Staaten und Reiche der Welt überragt, weil sie Gott zum Hüter ihres Heils hat und von seiner Herrschaft regiert wird, so dass sie fürs erste unverletzt bleibt mitten unter heftigen Umwälzungen und schrecklichen Stürmen, von denen der Erdkreis erschüttert wird; zweitens und ganz besonders, dass sie unter dem wunderbaren Schutze desselben Gottes nach langem Streit endlich zum Siegespreis gelangen wird, den die himmlische Berufung uns vorhält. Das ist eine besondere Wohltat und zugleich ein hervorragendes Wunder Gottes, dass er unter den mannigfachen Wechseln der Weltreiche seine Gemeinde durch ganze Reihen von Geschlechtern fortpflanzt, sie vor dem Untergange bewahrt und ihr allein in der Welt dauernden Bestand verleiht. Es ist freilich eine bekannte Tatsache, dass die Ungläubigen oft Reichtümer die Fülle haben und in blühendem Wohlstand und Macht leben, die Kirche aber zwischen vielen Gefahren elendiglich hin und her geworfen wird, ja beinahe Schiffbruch leidet. Darum muss sie eben darin hauptsächlich ihr Glück erblicken, dass sie einen ewigen Bestand hat, der im Himmel gegründet ist. Für das Verständnis des Psalms nun sind die Zeitumstände, unter denen er verfasst worden ist, von nicht geringer Wichtigkeit. Nachdem nämlich das Volk aus der Gefangenschaft in Babel heimgekehrt war, hatte sich zwar die Gemeinde Gottes gesammelt und war nach langer Zertrennung wieder zu einem Leibe zusammengewachsen; Tempel und Altar standen, der Gottesdienst war wiederhergestellt; allein von der ganzen gewaltigen Volksmenge war nur ein geringes Häuflein übrig, die Stellung der Gemeinde war ohne Ruhm und Ansehen, und was noch übrig war, wurde täglich von den Feinden bedrängt; der Tempel ließ von seinem ehemaligen Glanz viel vermissen, den Gläubigen zeigte sich kaum irgendein Anhaltspunkt zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Jedenfalls schien es ganz unmöglich für sie, sich je wieder zum vorigen Zustande aufzuschwingen. Die Gefahr lag deshalb nahe, dass die Gemüter der Gläubigen sowohl beim Andenken an die erlittenen Schläge als auch unter dem Druck der gegenwärtigen Nöte schlaff würden und endlich ganz in Verzweiflung versänken. Um sie nicht unter solch schwerem Kummer erliegen zu lassen, verspricht ihnen der Herr in diesem Psalm nicht nur, dass sie das Verlorene wiedererlangen sollen, sondern richtet sie auf durch die Hoffnung auf eine unvergleichliche Herrlichkeit, wie es schon in jener Weissagung des Haggai (2, 10) heißt: „Es soll die Herrlichkeit dieses letzten Hauses größer werden, denn des ersten gewesen ist“. Es bleibt uns endlich noch übrig, den Psalm auf unsere Verhältnisse anwenden zu lernen. Der hier enthaltene Trost musste für die Frommen jener Zeit so viel Kraft besitzen, dass sie nicht nur mitten in ihren Trübsalen aufrecht blieben, sondern selbst aus Grabestiefe sich zum Himmel erhoben. Heute, da wir wissen, dass alles vom Geist Vorausgesagte erfüllt ist, wären wir mehr als undankbar, wenn nicht die Erfahrung unserer Väter im Verein mit ihren Worten unseren Glauben noch mehr bestärkte. Denn es lässt sich gar nicht nach Würdigkeit aussprechen, wie glänzend Christus durch seine Ankunft seine Gemeinde ausgezeichnet hat. Denn damals ist es geschehen, dass die wahre Religion, die zuvor im engen Gebiete Judäas eingeschlossen war, durch die ganze Welt sich ausbreitete. Damals hat Gott, den früher eine einzige Familie gekannt hatte, angefangen, sich in den verschiedensten Sprachen aller Völker anrufen zu lassen. Damals ist die Welt, die durch Aberglauben und Irrtümern in zahllose Sekten jämmerlich zerrissen war, in heiliger Glaubensgemeinschaft verbunden worden. Damals haben sich alle um die Wette zu den Juden geschart, vor denen sie sonst einen Abscheu hatten; die Könige der Erde und die Völker gaben sich freiwillig zum Gehorsam Christi hin; Wölfe und Löwen sind in Lämmer verwandelt worden. Auf die Gläubigen wurden die Gaben des Geistes ausgegossen, die alle Herrlichkeit der Welt, jedweden Schmuck und alle Reichtümer weit überstrahlten. Der Leib der Kirche wurde aus weit auseinander gelegenen Gebieten wunderbar zusammengebracht, gemehrt und bewahrt. Das Evangelium breitete sich unglaublich schnell aus und war durchweg mit ausgezeichnetem Erfolg gekrönt. Wenn also auch die hohe Würde der Kirche niemals in dieser Weissagung gefeiert worden wäre, so beweist die ruhmreiche, unvergleichliche Geschichte jenes goldenen Jahrhunderts vor aller Augen, dass die Kirche in Wahrheit das Gottesreich vom Himmel ist. Übrigens mussten auch die Gläubigen damals die Vorzüge der Kirche besser zu schätzen wissen, als der Fleischessinn es ihnen eingab. Denn zu den Zeiten, wo sie am schönten blüht, beruht ihr Glanz nicht auf Purpur oder Gold und Edelsteinen, sondern auf dem Blute der Märtyrer. Reich am Geist, war sie nichtsdestoweniger arm und dürftig an irdischen Gütern. Durch Heiligkeit war sie vor Gott und den Engeln berühmt und angesehen; vor der Welt aber war sie verachtet. Nach außen hatte sie viele ausgesprochene Feinde, die entweder grausam gegen sie wüteten, oder mit Listen und Ränken lauter Schlimmes gegen sie im Schilde führten, - nach innen aber Ängste und Anfechtungen. Kurz, ihre zwar ehrfurchtgebietende, aber eben geistlich-geartete Würde lag noch unter Christi Kreuz verborgen. Es war also der in diesem Psalm enthaltene Trost, dass die Gläubigen ihre Herzen auf den künftigen, vollkommeneren Zustand der Kirche richten sollten, damals zeitgemäß. Unsere Lage dagegen ist eine andere. Durch Schuld unserer Väter ist es dazu gekommen, dass jene herrliche Gestalt der Kirche wüst und entstellt zu Füßen der Gottlosen lag. Und heute seufzt sie infolge unserer Sünden unter elender Verwahrlosung, unter dem Spott des Teufels und der Welt, unter dem Wüten der Tyrannen und den schmachvollen Ränken der Feinde, so dass es den Kindern der Welt vorkommt, zum Wohlsein brauche man sich nichts weniger zu wünschen als die Zugehörigkeit zum Gottesvolk. Umso mehr leuchtet ein, wie brauchbar dieser Psalm und wie nötig es ist, ihn anhaltend im Herzen zu bewegen. – Die Überschrift bezeichnet nicht sowohl die Verfasser des Psalms als die Musikmeister, die ihn vorzutragen hatten. Möglich ist es aber immerhin, dass ein Levit aus jenem Geschlecht ihn gedichtet hat.
V. 1 u. 2. Seine Gründung ist auf den heiligen Bergen. Das männliche Fürwort „seine“ lässt eine Beziehung auf die Stadt Jerusalem nicht zu. Man sagt etwa, unter der Stadt, die als solche genannt ist, sei eben das Volk, das darin wohnt, zu verstehen. Dass das aber eine gezwungene Erklärung ist, liegt auf der Hand, ganz abgesehen von noch verfehlteren Versuchen, die richtige Beziehung des Fürwortes zu finden. Die Schwierigkeit ist aber nicht so groß, sobald wir uns erinnern, dass es im Hebräischen nichts Ungewöhnliches ist, das Fürwort anzuwenden, ohne das betreffende Hauptwort vorher zu nennen. Das ist eben hier der Fall. Gleich im folgenden Vers wird Gott genannt. Und wir wissen, dass Jerusalem durchweg als eine Gründung Gottes bezeichnet wird. Unter den heiligen Bergen sind nicht etwa nur Morija und Zion zu verstehen. Der Prophet deutet vielmehr, da die Gegend überhaupt gebirgig ist, auf die vielen benachbarten, zusammenhängenden Berge hin, die Jerusalem umgaben, wie wir auch anderswo (Ps. 125, 2) sehen werden, wo es heißt: „Um Jerusalem her sind Berge.“ Der einfache und ursprüngliche Sinn ist also der, dass Gott heilige Berge erwählt habe, um darauf seine Stadt zu gründen. Bald nachher (V. 5) lesen wir ja, „dass der, der Höchste, sie baue.“ Er ist zwar auch der Gründer anderer Städte, aber von keiner sonst heißt es (Ps. 132, 14): „Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen, denn es gefällt mir wohl“. Es bleibt immer der Unterschied bestehen, dass, während andere Städte nur als menschliche Gemeinwesen unter Gottes Schutz und Beistand gegründet wurden, Jerusalem insbesondere sein heiliger Wohnsitz und königliche Residenz war. Ähnlich spricht sich auch Jesaja (14, 32) aus. Selbst im Unterschied vom übrigen Judäa, das doch insgesamt von Gott geheiligt war, wird von dieser Stadt gesagt, dass Gott sie vor allen anderen zum Sitz seiner Regierung erwählt habe. Es handelt sich ja hier nicht um eine Verfassung irdischer Art, sondern um die geistliche Herrschaft, indem zu damaliger Zeit die reine Religion und der rechtmäßige Gottesdienst sowie die Unterweisung in der Frömmigkeit nirgends als in Jerusalem in Übung waren.
Die Worte (V. 2): Der Herr liebt die Tore Zions über alle Wohnungen Jakobs – lehren uns, dass die ganze bevorzugte Stellung der heiligen Stadt von der freien Wahl Gottes herrührte, ganz wie es im 78. Psalm (V. 60, 67 f.) heißt, Gott habe seine Wohnung zu Silo fahren lassen und den Stamm Ephraim und die Hütte Josephs und statt ihrer den Berg Zion erwählt, welchen er liebte. So bezeichnet also der Prophet den Grund, warum Gott einen Ort allen anderen vorzog. Dieser Grund liegt nicht in der Würdigkeit des Ortes, sondern in der freien Liebe Gottes. Die Absicht Gottes aber bei dieser Wahl Jerusalems war die, dass bis auf die Ankunft Christi an einem bestimmten Ort die Einheit des Glaubens genährt würde und die wahre Religion bestünde, um dann von da aus sich allen Gegenden der Erde mitzuteilen. Der Prophet rühmt also an Jerusalem, dass es Gott zum Baumeister und Beschützer habe, und schreibt dann alles, was es vor anderen Orten voraushat, der Gnade zu, nach welcher Gott es erwählt hat. Wie mit „Zion“ Jerusalem, so ist mit dem Ausdruck „die Tore“ die ganze Stadt gemeint.
V. 3. Herrliche Dinge sind von dir gesagt, du Stadt Gottes. Bei diesen Worten ist auf die Absicht des Psalmisten zu achten oder vielmehr auf die Absicht des Geistes Gottes, der durch den Mund desselben spricht. Da die Lage des ganzen Volkes gering und verachtet war, von allen Seiten aber viele mächtige Widersacher drohten und nur wenige noch Mut besaßen, um die Schwierigkeiten zu überwinden, dagegen täglich irgendein neuer Wechselfall eintrat, und die Gefahr bestand, es möchte immer schlimmer werden und schließlich alles zugrunde gehen, so konnte man kaum mehr auf eine Wiederherstellung der heiligen Stadt hoffen. Damit nun nicht die Herzen der Gläubigen ganz von Verzweiflung übermannt werden, richtet der Sänger sie auf durch den Hinweis, dass der Herr über die Zukunft der Stadt ganz anders geredet habe. Denn ohne Zweifel sollen ihre Gedanken vom Anblick des gegenwärtigen Standes der Dinge abgelenkt und auf die Verheißungen gerichtet werden, die eine unerhörte Herrlichkeit in Aussicht stellten. Mag also in der Gegenwart gerade nichts Erfreuliches sich zeigen, so heißt der Prophet die Kinder Gottes sich am Worte aufrichten und gleichsam auf eine höhere Warte stellen, um in aller Geduld auf das zu warten, was ihnen verheißen ist. Auf diese Weise wurden die Gläubigen ermuntert, erstens die alten Weissagungen zu beachten und im Gedächtnis zu wiederholen, besonders die, die bei Jesaja vom 40. Kapitel bis zum Schluss zu lesen sind, zweitens den Knechten Gottes ihr Ohr zu leihen, die damals vom Reiche Christi redeten. Das zeigt uns, dass ein richtiges Urteil über das Wohl der Kirche anders nicht möglich ist, als wenn wir sie im Lichte des Wortes Gottes betrachten.
V. 4. Ich verkündigen lassen. An mehreren anderen Schriftstellen steht Rahab für Ägypten; und das stimmt auch an unserer Stelle trefflich überein mit der Absicht des Propheten. Er will ja jene großartige Erweiterung der Gemeinde beschreiben, die noch immer ein Gegenstand der Hoffnung war. Er sagt also, die, welche bisher erbitterte Feinde oder gänzlich fremd gewesen, würden nicht nur Hausfreunde, sondern selbst unter die Bürger Jerusalems eingegliedert werden. Im zweiten Versglied fügt er bei, die Philister und Tyrer samt den Mohren, die bis dahin nur in Zwietracht mit dem Volke Gottes gelebt hatten, würden nunmehr so eins mit ihm sein, wie wenn sie durch Geburt zu ihm gehörten. Eine herrliche Würde der Gemeinde, dass ihre Verächter von allen Seiten sich zu ihr tun werden und dass Leute, die ihr sonst den gänzlichen Untergang wünschten, es sich zur höchsten Ehre anrechnen werden, ihre Bürger zu sein. Leute aus jeglichem Volke werden gern auf ihr Vaterland verzichten, um sich in das Verzeichnis des auserwählten Volkes einschreiben zu lassen. Das Wort „geboren“ will nämlich nicht Eingeborne, sondern Bürger bezeichnen.
V. 5. Man wird von Zion sagen usw. Derselbe Gedanke wird hier fortgesetzt: Aus verschiedenen Teilen der Welt werden neue Bürger zur Gemeinde Gottes versammelt werden. Die Fremden sollen so zum heiligen Volk gezählt werden, wie wenn sie ihre Abstammung auf Abraham zurückführten. Im vorigen Verse hat der Psalmist gesagt, die Chaldäer und Ägypter würden sich zu den Gliedern der Gemeinde hinzufügen, und die Mohren mit den Philistern und Tyrern würden unter ihren Söhnen genannt werden. Nun fügt er bestätigend bei, das neue Geschlecht werde aus ungeheuren Scharen bestehen, so dass ein zahlreiches Volk die Stadt füllen werde, die eine Zeitlang verödet, dann von einer geringen Anzahl von Menschen nur halb bevölkert war. Was hier kurz verheißen wird, das beschreibt Jesaja (54, 1) ausführlicher: „Rühme, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; denn die Einsame hat mehr Kinder, denn die den Mann hat. Mache den Raum deiner Hütte weit; dehne deine Seile lang und stecke deine Nägel fest“ usw. Ferner: „Deine Kinder werden von ferne kommen; hebe deine Augen auf und siehe: alle diese kommen versammelt zu dir.“ Auch eine andere Äußerung, die sich mit unserer Stelle nahe berührt, findet sich bei Jesaja (44, 5): „Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und jener wird genannt werden mit dem Namen Jakob; und dieser wird sich mit seiner Hand dem Herrn zuschreiben und wird mit dem Namen Israel genannt werden.“ Nicht unpassend bezeichnet der Prophet die künftige Mitgliedschaft der Ägypter, Chaldäer und anderer am Volke Gottes als ein „Geboren werden“. Denn wenn sie auch nicht aus Zion gebürtig, sondern nur durch Annahme dem heiligen Volk eingegliedert waren, so ist ja der Übertritt zur Gemeinde eine zweite Geburt. Denn eben zu dem Ende macht Christus die Gläubigen zu seinem Eigentum, dass sie ihr Volk und ihr Vaterhaus vergessen (Ps. 45, 11) und dass sie, aus unvergänglichem Samen zu neuen Kreaturen wiedergeboren (1. Petr. 1, 23), hinfort Kinder sowohl Gottes als der Kirche seien (Gal. 4, 19). Wir werden ja in der Tat nicht anders zum himmlischen Leben wiedergeboren als durch den Dienst der Kirche. Dabei ist der Unterschied zu beachten, den der Apostel feststellt zwischen dem irdischen Jerusalem, das dienstbar ist mit seinen Kindern, und dem oberen Jerusalem, das durch das Evangelium freie Kinder gebiert. Der zweite Teil des Verses drückt die lange Dauer des verheißenen Zustandes aus: dass Er, der Höchste, sie baue, d. h. mit seinem Wort ordne und leite. Es geschieht nämlich oft, dass je rascher eine Stadt sich zu ungewöhnlichem Wohlstand aufschwingt, ihre Blüte von umso kürzerer Dauer ist. Damit man nun nicht das Glück der Kirche für ebenso hinfällig halte, verkündigt der Prophet, sie werde vom Herrn fest gebaut sein. Bei anderen Städten ist es nicht zu verwundern, wenn sie dem Zerfall entgegengehen; denn sie sind demselben Schicksal unterworfen wie die Welt und haben keine unsterblichen Hüter. Mit dem neuen Jerusalem aber wird es eine andere Bewandtnis haben. Das ist auf Gottes Kraft gegründet und wird deshalb auch dann fortbestehen, wenn Himmel und Erde zusammenfallen.
V. 6. Der wird zählen usw. Der Prophet schätzt Zions Namen so hoch ein, dass es für jedermann Gegenstand des brennendsten Ehrgeizes sein müsse, in die Zahl und den Rang seiner Bürger aufgenommen zu werden. Denn er beschreibt hier das denkbar ehrenvollste Los und will etwa sagen: Wenn Gott ein Verzeichnis der Leute aus allen Völkern feststellt, die er besonderer Ehre würdigen will, dann wird er dieselben der Bürgerschaft Zions, nicht etwa Babels oder irgendeiner anderen Stadt zuzählen: denn es wird ein viel höherer Adel sein, unter den Bürgern Zions ein gemeiner Mann als anderswo ein Patrizier zu sein. Zugleich erinnert der Prophet aber daran, woher den fremden Menschen so plötzlich eine so hohe Ehre zuteilwerde, nämlich durch Gottes Wohltat. Und sicherlich werden die Sklaven Satans und der Sünde niemals durch eigene Anstrengung das himmlische Bürgerrecht erlangen. Gott ist es allein, der die Völker nach seinem Rat, obwohl ihr Zustand derselbe ist, voneinander unterscheidet und ihnen mancherlei Rang anweist. Das hier erwähnte Aufschreiben bezieht sich auf die Berufung. Obschon nämlich Gott seine Kinder bereits vor Grundlegung der Welt ins Buch des Lebens geschrieben hat, so trägt er doch ihre Namen erst dann in die Liste der Seinigen ein, wenn er sie bei ihrer Wiedergeburt durch den Geist der Kindschaft mit seinem Zeichen besiegelt.
V. 7. Und die Sänger usw. Die Worte sind dunkel, teils durch ihre knappe Fassung in der Grundsprache, teils infolge des Doppelsinns eines der Ausdrücke. Fraglos ist, dass die „Quellen“ bildlich zu verstehen sind; aber in welchem Sinne? Darin gehen die Erklärer auseinander. Einige lassen das Wort so viel besagen wie „Hoffnungen“, einige wie „Verlangen“, andere wie „Gedanken“. Für das Sinngemäßeste halte ich es, das Wort mit „Blicke“ zu übersetzen, indem der Kern des hebräischen Wortes das „Auge“ bedeutet. Der Sinn ist dann der: „Ich will immer meine Blicke mit gespannter Aufmerksamkeit auf dich heften“. Nun müssen wir sehen, was der erste Teil des Verses besagen will. Da im Grundtext ein Zeitwort fehlt, stehen buchstäblich nur die abgerissenen Worte da: „Die Sänger wie die Flötenspieler“. Doch ist man in betreff des Sinnes ziemlich einig, nämlich: man werde so viel Ursache zur Freude haben, dass sowohl von Singstimmen als von Instrumenten unaufhörlich das Lob Gottes ertönen werde. Der Psalmist bestätigt also, was er vorhin von der herrlichen Wiederherstellung Zions gesagt hat, und weist an der Größe der Freude und dem vielstimmigen Lobpreis nach, wie groß Zions Glückseligkeit sein wird. Nebenbei gibt er auch den Zweck all der Gaben an, womit Gott seine Gemeinde so freigebig versorgt, damit nämlich die Gläubigen mit Liedern und Gesängen ihre Dankbarkeit gegen ihn bezeugen. Statt „Flötenspieler“ setzen andere: „die am Reigen“. Doch liegt nicht viel daran. Es genügt, den Hauptgedanken festzuhalten: dass die Musik zum Lobe Gottes ohne Ende in der Gemeinde, in der er seine Gnadenschätze entfaltet hat, erschallen und man sich darin gegenseitig ablösen werde. Dazu beweist der Prophet sich als einen Mann, der die Gemeinde Gottes mit besonderer Liebe, Fürsorge und Hingabe umfängt. So ermuntert und feuert er alle Frommen mit seinem Beispiel zur selben Liebe an, nach jenem Wort (Ps. 137, 5): „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen“. Denn erst dann sind unsere Herzen ganz für die Gemeinde Gottes eingenommen, wenn wir unseren Geist aus den ziellosen, eitlen Zerstreuungen sammeln und Ehren, Genüsse, Reichtümer und Pracht der Welt hintansetzen und in der geistlichen Herrlichkeit des Reiches Christi unser Genüge finden.