Calvin, Jean - Psalm 72.

Inhaltsangabe: David trägt im Namen der ganzen Gemeinde seine Bitten für einen ständigen glücklichen Fortgang des ihm verheißenen Königtums vor. Wir können daraus zugleich die Lehre entnehmen, dass das wahre Glück der Frommen darin besteht, dass sie sich durch die Hand des von Gott erwählten Königs regieren lassen.

1 Des Salomo.
Gott, gib dein Gericht dem Könige, und deine Gerechtigkeit des Königs Sohne, 2 dass er dein Volk richte mit Gerechtigkeit, und deine Elenden rette. 3 Lass die Berge den Frieden bringen unter das Volk, und die Hügel die Gerechtigkeit. 4 Er wird das elende Volk bei Recht erhalten, und den Armen helfen und die Lästerer zermalmen. 5 Man wird dich fürchten, solange die Sonne und der Mond währet, von Kind zu Kindeskindern. 6 Er wird herabfahren wie der Regen auf die Aue, wie die Tropfen, die das Land feuchten.

V. 1. Des Salomo. Da am Schluss (V. 20) ausdrücklich angemerkt ist, dass wir hier den letzten Psalm Davids vor uns haben, so wird diese Überschrift nicht den Verfasser angeben, sondern besagen wollen, dass der Psalm im Blick auf Salomo gedichtet wurde. Ich möchte annehmen, dass, was David unter den letzten Seufzern seines Geistes gebetet hatte, sein Sohn vielleicht in poetische Form brachte, um es zu ewigem Gedächtnis aufzubewahren. Darum wird auch der wichtige Umstand, dass hier Davids letztes Gebet vorliegt, ausdrücklich betont worden sein: die Gläubigen sollten umso eifriger und mit umso größerer Inbrunst ihre Gebete mit dem Gebetsanliegen des heiligen Königs vereinigen. So bliebe David doch der eigentliche Verfasser des Psalms. Übrigens werden wir zu bedenken haben, dass, was er in Bezug auf die Person des Königs sagt, schließlich auf den bleibenden Stand des Königtums zielt. Den Psalm aber kurzweg auf Christi Königtum zu beziehen, ist eine Gewaltsamkeit. Wir sollen nicht den Juden berechtigten Grund zu dem Vorwurf geben, als wollten wir alles ohne weiteres dahin verdrehen, dass es auf Christus zielt. Da aber David auf Gottes Befehl zum Könige gesalbt war und wusste, dass sein und seiner Nachkommen Königtum endlich in Christi Macht und Herrschaft einmünden sollte, weil er ferner wusste, dass auf dieses Königtum für geraume Zeit das irdische Wohl des Volks gegründet war, bis endlich aus diesem Schattenwerk etwas Höheres emporwüchse, nämlich ein geistliches und ewiges Glück, so ist er mit Recht für die Dauer dieses Königtums besorgt und bittet für dieselbe mit höchstem Eifer: wenn er noch unter seinen letzten Seufzern dieses Gebet wiederholt, so will er damit bezeugen, dass keine andere Sorge ihm näher lag. Denn was wir hier von einem ewigen Königtum lesen, kann nicht auf einen Menschen, auch nicht auf wenige, selbst nicht auf eine Reihe von Jahrhunderten beschränkt werden, sondern zielt auf einen Bestand, der schließlich erst in Christo seinen festen Grund gewann.

Gott, gib dein Gericht dem Könige. Obgleich David als Inhaber der göttlichen Verheißung mit diesen Worten am Ende seines Lebens ängstlich seinen Sohn und Nachfolger dem Herrn empfiehlt, so dürfen wir dies Gebet auch allgemeiner für Gottes Gemeinde in Anspruch nehmen. Jeder einzelne Gläubige durfte es gebrauchen in der Überzeugung, dass Glück und Ordnung nur unter dem einen königlichen Haupt walten könne; und so ergab sich zugleich ein Übergang von dem schattenhaften Königtum des alten Bundes auf Christum. Der Hauptinhalt des Gebets ist, Gott möge den von ihm erwählten König mit dem Geist der Gerechtigkeit und Weisheit ausrüsten, sodass sein Regiment sich deutlich von der tyrannischen Willkürherrschaft gottloser Könige unterscheide und Israels König etwas von seiner göttlichen Salbung spüren lasse. Daneben ergibt sich aus diesen Worten die allgemeine Wahrheit, dass kein Königtum in der Welt feststehen kann ohne Gottes und seines Geistes Leitung. Denn wenn die eigene Kraft eine genügende Ausrüstung für Könige wäre, so hätte David nicht nötig gehabt, durch sein Gebet von außen herbeizuschaffen, was er schon in seinem Hause liegen hatte. Bittet er, dass Gott den Königen Gericht und Gerechtigkeit gebe, so ist dies ein Fingerzeig, dass keiner zu diesem Amte tüchtig ist, wenn nicht Gottes Hand ihn bildet. Darum ruft auch in den Sprüchen (8, 15) Gottes Weisheit aus: „Durch mich regieren Könige.“ Und weil eine gute Ordnung des Staatswesens eine so überaus wichtige Sache ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Gott die Anerkennung fordert, dass er allein sie schaffen kann. Wiederum aber müssen wir vom allgemeinen einen Schluss auf das Besondere ziehn: ist es schon Gottes eigenes Werk, die rechte Ordnung in weltlicher Herrschaft zu schaffen und zu erhalten, so bedurfte es in besonderem Maße der Gnadenwirkung seines Geistes bei jenem Königtum, welches er sich vor anderen erwählt hat. Unter des Königs Sohne ist sein Nachfolger zu verstehen, wie denn David die Verheißung empfangen hatte (Ps. 132, 11): „Ich will dir auf deinen Stuhl setzen die Frucht deines Leibes.“ Aber unter allen Nachkommen Davids ist die volle Erfüllung dieses Gebets nicht zu finden, bis man zu Christo gelangt. Denn bekanntlich verfiel nach Salomos Tode der herrliche Zustand des Königreichs, und sein Reichtum schwand mehr und mehr. Endlich nahm das Königtum ein trauriges Ende, als das Volk in die Gefangenschaft geführt und der König schmählich getötet ward. Auch nach der Rückkehr folgte keine Erneuerung, auf die man besondere Hoffnungen hätte setzen können, bis endlich aus dem dürren Wurzelstumpf Isais Christus hervorging (Jes. 11, 1; 53, 2), der also unter Davids Söhnen die hervorragendste Stelle einnimmt.

V. 2. Dass er dein Volk richte mit Gerechtigkeit. Dieser Satz schließt sich enge an den vorigen an: Gott soll den König leiten, damit er recht regieren könne, und ihm seine Gerechtigkeit geben, damit er in Gerechtigkeit richte. Denn dass ein Volk gut regiert wird, ist eine viel zu herrliche Gabe, als dass sie von dieser Erde stammen könnte. Und ganz besonders ist Christi geistliches Regiment, das alles in eine vollkommene Ordnung bringt, eine Gabe des Himmels. Ist nun zuerst vom Volk im ganzen die Rede, so erinnert das zweite Satzglied namentlich an die Elenden, welche wegen ihrer Schwachheit und Dürftigkeit der Hilfe vor andern bedürfen, und um deren willen die Könige mit dem Schwert gewappnet wurden, um ihnen gegen ungerechte Unterdrückung beizustehen. Geschieht dies, so wird (V. 3) Friede im Lande sein. Dieses Wort bezeichnet in der hebräischen Sprache nicht bloß einen ruhigen, sondern auch einen glücklichen Zustand. Demgemäß will David sagen, dass das Volk glücklich sein müsse, wenn die öffentlichen Zustände nach der Gerechtigkeit geordnet werden. Dass das Land Frieden bringen soll, ist eine Anspielung an fruchtbares Wachstum. Und kein Winkel soll unfruchtbar bleiben, denn sogar die Berge, die doch meist unfruchtbar sind oder wenigstens an Ertrag hinter den Tälern zurückstehen, sollen Gerechtigkeit wachsen lassen.

V. 4. Er wird das elende Volk bei Recht erhalten. Jetzt wird weiter ausgeführt, welche Frucht ein gerechtes Regiment bringt, namentlich für die Armen im Volk. Denn der Grundsatz ist festzuhalten, dass Könige nicht anders als durch Gottes Gnade in der Bahn der Gerechtigkeit und Billigkeit verharren können. Wo ihnen nicht vom Himmel her der rechte Geist gegeben wird, artet alle Herrschaft in Tyrannei und Räuberei aus. Um nun in seiner Fürbitte für den König erhört zu werden, hält David dem Herrn, welcher der Schirmherr der Armen im Volke sein wollte, vor, dass sein Gebet eben auf den Trost der Armen zielt. Gewiss gilt bei Gott kein Ansehen der Person: und doch hat es guten Grund, dass der Herr uns die Schwachen, welche der Ungerechtigkeit und Vergewaltigung am meisten ausgesetzt sind, besonders anempfiehlt. Denn wenn man sich Gesetz und Gericht hinweg denkt, wird jeder seine Macht gebrauchen, um die schwächeren Brüder zu unterdrücken. David betont also besonders, dass diese Leute, deren Leben keinen anderen Schutz hat, als die öffentliche Ordnung, vom König vornehmlich gehütet und gerächt werden sollen, wenn ein unbilliger Angriff sie traf. Weil aber der König die ihm hier zugeschriebene Schutzpflicht nur erfüllen kann, wenn er mit seinem Ansehen und seiner Macht die Gottlosen zügelt, wird mit gutem Grund hinzugefügt, dass er die Lästerer zermalmen müsse, wenn anders Gerechtigkeit im Schwange gehen soll. Denn er darf nicht warten, bis solche Leute etwa von selbst weichen, sondern soll sie mit dem Schwert dämpfen, damit ihr gottloses und freches Wesen nicht überhand gewinne. Ein Fürst muss also Mut haben und Entschlossenheit, um die Gottlosen zu zügeln, damit sie zurückhaltend und bescheiden in der Schranke ihres Rechts bleiben. Niemand ist tüchtig, ein Volk zu regieren, der nicht nötigenfalls auch strenge zu sein weiß: denn es kann nicht ausbleiben, dass unter einem weichen und gleichgültigen, oder gar zu nachgiebigen und zurückhaltenden Fürsten ein ausschweifendes Wesen sich breit macht. Mit Recht sagt ein alter Spruch, dass sich unter einem Fürsten, der nachgiebig alles gehen lässt, schlechter leben lasse, als unter einem Tyrannen, der keine Freiheit gewährt.

V. 5. Man wird dich fürchten usw. Dieser Satz kann als eine Anrede an den König verstanden werden, der bei seinen Untertanen eben dadurch Würde und Ansehen gewinnt, dass er einem jeden sein Recht zukommen lässt, dass wider die Elenden seine freundliche Hilfe und wider die Frechheit der Bösen seine Strenge beweist. Besser wird man die Anrede doch an Gott gerichtet denken, wobei kein Wechsel der Person stattfindet. Ein wie großes Gut nämlich auch eine gerechte Ordnung der menschlichen Verhältnisse ist, so ist ein reiner Gottesdienst doch noch von höherem Wert. Darum verzeichnet es David mit gutem Grunde als eine weitere Frucht eines frommen und heiligen Regiments, dass es Frömmigkeit und Gottesfurcht mit sich bringt. Und wenn Paulus (1. Tim. 2, 2) will, dass wir für die Könige beten, so nennt er ausdrücklich den Zweck, dass wir unter ihrem Schutz ein ruhiges und stilles Leben führen sollen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Weil also Gefahr ist, dass bei einer Unordnung des Staatswesens auch die Religion und der Gottesdienst zugrunde gehe, bittet David, Gott möge an seinen eigenen Namen und an seine Herrlichkeit denken, indem er den König mit seinem Geiste ausrüstet. Derselbe Gesichtspunkt soll auch die Könige an ihre Pflicht erinnern und das Volk zur Fürbitte treiben: denn nichts ist herrlicher, als wenn aller Gebete sich vereinen, um den Dienst Gottes zu fördern. Lassen wir nun unsere Gedanken auf Christum überleiten, so wird dies alles in ihm erst seine volle Wahrheit gewinnen: denn auf nichts anderes als auf sein Königtum kann wahre Frömmigkeit gegründet werden. Und dass Davids Gedanken bis zu jenem ewigen von Gott verheißenen Königreich emporsteigen, sehen wir daraus, dass er den Dienst Gottes bis an das Ende der Welt ausgedehnt denkt.

V. 6. Er wird herab fahren wie der Regen usw. Obgleich dies Bild etwas ungewöhnlich ist, drückt es doch sehr passend aus, welche Förderung ein rechter und wohlgeordneter Stand des Staatswesens der Gesamtheit bringen kann. Die Wiesen werden zu Beginn des Sommers geschnitten, wenn die Hitze schon ziemlich stark ist; wenn dann die Erde nicht neue Feuchtigkeit empfängt, müssen wegen ihrer Dürre die Wurzeln vertrocknen. David will uns also lehren, dass wenn Gott zum Schutz des Landes dem Könige seine Macht leiht, er ähnlich für seine Gemeinde sorgt, wie wenn er die Erde durch Bewässerung gegen die Folgen der Hitze schützt. Dies hat sich nun vornehmlich in Christo erfüllt, welcher seine Gemeinde grünen und blühen lässt, indem er ihr die verborgenen Ströme seiner Gnade zuleitet.

7 Zu seinen Zeiten wird blühen der Gerechte und großer Friede, bis dass der Mond nimmer sei. 8 Er wird herrschen von einem Meer bis ans andre, und von dem Strom an bis zu der Welt Enden. 9 Vor ihm werden sich neigen die in der Wüste; und seine Feinde werden Staub lecken. 10 Die Könige zu Tharsis und in den Inseln werden Geschenke bringen; die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen. 11 Alle Könige werden ihn anbeten; alle Heiden werden ihm dienen.

V. 7. Zu seinen Zeiten wird blühen der Gerechte usw. Dieser und die folgenden Sätze sind nicht als selbstständige Weissagungen zu verstehen, sondern innerlich noch immer abhängig von Davids Bitte zu denken: wenn Gott den König mit Gericht und Gerechtigkeit ausrüstet, wird der Gerechte blühen und überhaupt der hier beschriebene Zustand des Glück eintreten. War es nun Salomos Aufgabe, die Gerechten zu schützen, so ist doch allein Christus imstande, Gerechte zu schaffen. Denn er gibt nicht nur einem jeden sein Recht, sondern erneuert die Seelen durch seinen Geist. So gibt er der Gerechtigkeit, die sonst aus der Welt verbannt wäre, die ihr zustehende Stätte wieder. Auf diesem Zustand ruht dann Gottes Segen, der alle Gotteskinder fröhlich macht, weil sie sehen, dass ihnen unter ihrem König Christus nichts zum vollen Glücke fehlt. Allerdings will ich nicht widersprechen, wenn jemand das Wort „Friede“ in seinem engeren und eigentlichen Sinn verstehen sollte. Denn freilich ist zum Glück nichts wünschenswerter, als ein ungestörter Friede, da unter den Unruhen des Krieges auch der größte Reichtum nichts hilft, sondern vielmehr zu Grunde geht. Dass aber die Tage des Königs bis zum Ende der Weltzeit währen sollen, lässt noch deutlicher ersehen, dass David nicht bloß an die irdischen Könige seiner Nachkommenschaft denkt, sondern bis zu Christo emporsteigt, der durch seine Auferstehung von den Toten sich himmlisches Leben und eine Herrlichkeit erworben hat, kraft deren er seine Gemeinde bis in Ewigkeit regiert.

V. 8. Er wird herrschen von einem Meer bis ans andere usw. Weil der Herr, als er seinem Volke das Land zum Erbe verhieß, diese vier Grenzen angegeben hatte (1. Mose 15, 18), so will David sagen, dass, wenn das Königtum in gutem Stande sei, auch Israel sich im vollen Besitze des Landes befinden werde: die Gläubigen sollen wissen, dass Gottes Segen unverkürzt nur auf sie kommt, wenn das Königtum in Blüte steht. Der König soll also herrschen vom roten Meer oder von dem ägyptischen Meerbusen an bis zum syrischen oder palästinensischen Meer, sodann vom Euphrat bis zur großen Wüste. Wollte jemand sagen, dass eine so enge Begrenzung für Christi Reich nicht zutrifft, welches vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang sich ausdehnen soll, so ist zu erinnern, dass David sich dem Verständnis seiner Zeit anpasst, in welcher jene weltumfassende Weite noch nicht deutlich geoffenbart war. Er hält sich also an die Beschreibung, welche zu Zeiten des Gesetzes und der Propheten bekannt und geläufig war: und auch Christus hat seine Königsherrschaft in diesen Grenzen angehoben, die erst später bis zu den äußersten Enden der Erde sich ausdehnte, wie Ps. 110, 2 geschrieben steht: „Der Herr wird das Zepter deines Reichs senden aus Zion.“ Doch alsbald dehnt auch unser Psalm die Grenzen schon weiter aus, indem er Könige von jenseits des Meeres dem Könige Israels tributpflichtig und die Bewohner der Wüste ihm untertänig denkt (V. 9). Die in der Wüste sind ohne Zweifel Bewohner von Gegenden, die in der Richtung nach Süden etwas weiter von Kanaan entfernt waren. Ganz allgemein wird dann hinzugefügt, dass die Feinde des Königs Staub lecken sollen. Diese Beugung bis zur Erde war bekanntlich orientalische Sitte, zu der auch Alexander der Große seine Untertanen zwingen wollte, nachdem er den Orient unterworfen hatte: daraus entstanden dann große Streitigkeiten, weil die Mazedonier solch knechtische und schmutzige Unterwürfigkeit verächtlich von sich wiesen.

V. 10. Die Könige zu Tharsis usw. Damit wird noch fortgesetzt, was soeben über die Ausdehnung des Königreichs gesagt war. „Tharsis“ nennen die Hebräer die ganze Gegend nach Cilicien zu; also sind unter den Inseln alle Mittelmeerländer von dort bis nach Griechenland zu verstehen. Die Juden bezeichneten als Inseln nicht bloß Cypern und Kreta, sondern alle diese Landstriche, die jenseits des Mittelmeers lagen: das kommt daher, dass sie sich mehr mit den Segnungen ihres Vaterlandes begnügten und nicht so weite Schifffahrt trieben, wie andere Völker: denn Gott hatte sie absichtlich in ihre Grenzen eingeschlossen, damit sie nicht durch fremde Sitten sich verführen ließen. Geschenke und Gaben sollen an dieser Stelle nicht freiwillige Darbringungen bedeuten, sondern jegliche Art von Tribut oder Steuern. Der Ausdruck scheint gewählt, um der Sache ihre hässliche Seite zu nehmen und die Völker zur freiwilligen Darbringung anzuspornen. Neben Reicharabien wird Seba genannt, d. h. Äthiopien. Diese Stelle ist unter dem Papsttum lächerlicherweise auf die Weisen bezogen worden, welche das Christuskind anbeteten. Als ob man im Handumdrehen aus Philosophen Könige und aus dem Morgenland Arabien und Äthiopien machen dürfte! Der nächste Vers redet deutlich davon, dass sich der ganze Erdkreis Christo unterwerfen werde: denn auch in der Zeit der höchsten Blüte des israelitischen Königtums unter Salomo haben nicht alle Könige, sondern nur einige einen ziemlich mäßigen Tribut entrichtet, und auch dies nur unter der Bedingung, dass sie ihre Selbständigkeit behalten durften. Darum hebt David mit seinem Sohne und dessen Nachfolgern nur an, blickt aber dann im prophetischen Geist auf Christi geistliches Königtum. Dies wollen wir uns darum einprägen, um gewiss zu werden, dass es kein Zufall ist, wenn wir an der Hoffnung ewigen Lebens Anteil gewonnen haben, sondern dass auch uns der himmlische Vater für seinen Sohn bestimmt hat. Auch können wir aus unserer Stelle schließen, dass in der Gemeinde und Herde Christi für Könige Raum ist: denn David nimmt ihnen hier nicht Schwert noch Krone, um sie erst dann zur Gemeinde zuzulassen, sondern er sagt, dass sie in ihrer Würde kommen werden, um sich vor Christo niederzuwerfen.

12 Denn er wird den Armen erretten, der da schreiet, und den Elenden, der keinen Helfer hat. 13 Er wird gnädig sein den Geringen und Armen, und den Seelen der Armen wird er helfen. 14 Er wird ihre Seele aus dem Trug und Frevel erlösen, und ihr Blut wird teuer geachtet werden vor ihm. 15 Er wird leben, und man wird ihm vom Gold aus Reicharabien geben. Und man wird immerdar für ihn beten, täglich wird man ihn segnen.

V. 12. Er wird den Armen erretten usw. Noch einmal wird bezeugt, dass das hier gepriesene Königtum nicht tyrannisch oder grausam sein wird, während sonst die Könige nur zu oft des Gemeinwohls vergessen und nur für ihren eigenen Vorteil sorgen. So kommt es, dass sie die unglücklichen Völker mit einem unmenschlichen Druck belasten; und wenn ein König sich besonders schreckhaft und selbstsüchtig gebärdet, wird er womöglich noch groß geheißen. Aber es gilt schon für alle Menschen das altberühmte Wort, dass nichts die Sterblichen Gott ähnlicher mache, als Wohltun. Darum dürften Könige, die Gott in seine besondere Nähe gerückt hat, diese Tugend am wenigsten vermissen lassen. Wenn also David das Bild des von Gott erwählten Königs besonders liebenswürdig gestalten will, beschreibt er ihn nicht bloß als Hort der Gerechtigkeit und Billigkeit, sondern auch als so menschenfreundlich und barmherzig, dass gerade die Verachtetsten bei ihm stets Schutz finden sollen. Wie selten findet sich dies sonst bei Königen, die sich durch ihren Glanz blenden lassen und sich von den Elenden möglichst fern halten, als wäre die Sorge für sie unter ihrer Würde. Bei diesem göttlichen König aber soll das Blut der geringen Leute, das man sonst für nichts zu achten pflegt, im höchsten Preise stehen. Wie er hohen Sinnes auf der rechten Bahn beharrt, wird damit beschrieben, dass er die Armen erlösen wird: denn es reicht nicht aus, dass der König sich selbst von Betrug und Räuberei fern hält, er soll solche Laster auch mit tapferem Mute strafen. Mit den Worten „Trug“ und „Frevel“ wird die Bosheit in ihren verschiedenen Gestalten zusammengefasst: denn ein Mensch, der auf den Schaden seines Nächsten ausgeht, ist entweder ein Löwe oder ein Fuchs. Der eine wütet mit gewalttätigem Frevel, während andere hinterlistig und mit verschlagenen Künsten ihr ungerechtes Begehren durchzusetzen wissen. Übrigens wissen wir, dass Christus alle Gewalt im Himmel und auf Erden nicht bloß empfangen hat, um die Seinen gegen irdische Schädigungen, sondern vor allem um sie gegen die Nachstellungen des Satans zu schützen, bis er sie endlich aus aller Drangsal befreit und in den ewigen Frieden einführt.

V. 15. Er wird leben usw. Ein langes Leben, welches der Herr diesem Könige geben soll, ist unter den Segnungen Gottes nicht die letzte. Dass man ihm weiter Gold aus Reicharabien geben und für ihn beten wird, ist wiederum ein Zeichen seiner Macht. Regiert nun auch Christus nicht darum, um Gold zusammenzuhäufen, so will David unter diesem Bilde doch darstellen, wie auch die entferntesten Völker ihm untertan sein und sich mit allem, was sie haben, ihm übergeben werden. Es ist ja nichts Neues, dass die Herrlichkeit des geistlichen Königtums unter solchem äußeren Glanz abgebildet wird. David weissagt also, dass Christi Königreich überaus reich sein wird, aber er meint: an geistlichen Gütern. Wenn die Papisten sich auf diese Stelle berufen, um die vergänglichen Güter dieser Welt zusammenkratzen zu können, so ist dies ein nichtswürdiger Missbrauch. Dass weiter das ganze Volk für das Heil des Königs beten wird, ist ein Zeichen freiwilliger Unterwerfung: man hält nichts für wünschenswerter, als seiner Herrschaft gehorchen zu dürfen. Freilich schütteln viele Christi Joch ab, und die Heuchler tragen es nur mit schweigendem Grimm, wobei sie, wenn sie nur dürften, Christi Gedächtnis am liebsten austilgen würden. Aber die Stimmung der wahrhaft Frommen wird hier richtig beschrieben: sie leisten die Fürbitte für die irdischen Könige, welche die Schrift vorschreibt; sie setzen besonders eifrige Sorge daran, dass das Königreich sich ausbreite, in welchem Gottes Majestät erstrahlt und in welchem ihr Glück und Heil beschlossen ist. So werden wir sehen, dass im 118. Psalm der ganzen Gemeinde eine Form für die Fürbitte um Segen für diesen König vorgeschrieben wird. Freilich bedarf Christus unserer Gebete nicht, aber er fordert dieses Zeugnis der Frömmigkeit mit Recht von seinen Verehrern: sie sollen sich üben in der Bitte darum, dass Gottes Reich kommen möge.

16 Auf Erden, oben auf den Bergen, wird das Getreide dick stehen; seine Frucht wird rauschen wie der Libanon, und sie werden grünen in den Städten wie das Gras auf Erden. 17 Sein Name wird ewiglich bleiben; so lange die Sonne währet, wird sein Name auf die Nachkommen reichen, und alle Völker werden in demselben sich segnen und werden ihn glücklich preisen.

V. 16. Das Getreide wird dick stehen, wörtlich: eine Handfülle von Getreide wird sein. Das deuten manche überscharfsinnig dahin, dass eine Handvoll Samen die höchste Fülle von Früchten bringen wird. Jedenfalls ist die Meinung, dass selbst auf den sonst weniger fruchtbaren Bergeshöhen reiches Korn stehen soll, sodass man überall seine Hand füllen kann. Das Rauschen der Ähren soll sein wie das Rauschen der Bäume im Libanon. So nennt David ein Stück des göttlichen Segens, um auszudrücken, dass Christi Königreich eine Überfülle aller Güter zeitigen wird. Auch an Nachkommenschaft soll es nicht fehlen: die Menschen in den Städten sollen ähnlich fruchtbar sein, wie das Gras auf Erden.

V. 17. Sein Name wird ewiglich bleiben. Dadurch unterscheidet sich das Reich dieses Königs von irdischen Reichen, welche bald verschwinden oder auch nach längerer Zeit unter ihrer Last zusammenbrechen, und die jedenfalls durch ihren Untergang beweisen, dass nichts in der Welt für alle Zukunft bleiben kann. Dass des Königs Name ewiglich bleibt, will nicht von seinem persönlichen Ruhm verstanden sein, der etwa über seinen Tod hinauswährt, wie denn irdisch gesinnte Menschen keinen höheren Ehrgeiz kennen, als dass ihr Name nicht mit ins Grab gesenkt werde: sondern der heilige Sänger spricht von dem Königreich, dessen Glanz und Ehre währen soll, so lange die Sonne währet. Wie das Licht der Welt mit jedem Tage neu aufgeht, so soll dies Reich immer neue Lebenskraft gewinnen. Ähnlich heißen anderwärts (Ps. 89, 38) Sonne und Mond Zeugen seines ewigen Bestandes. Daraus folgt, dass wir hier nicht an die irdische Herrschaft denken dürfen, die in Davids Familie doch nur für kurze Zeit in Blüte stand, die schon unter seinem dritten Nachfolger einen Stoß empfing und endlich schmachvoll zugrunde ging. Christi Reich aber wird von Gott wunderbar gestützt, sodass es nicht fallen kann, wenn es auch in dieser Welt mancherlei Erschütterungen erfährt und von wütendem Hass und großer List des Satans fortwährend angegriffen wird.

Alle Völker werden in demselben sich segnen. Diese geläufige hebräische Redeweise will besagen, dass der betreffende Name zum Beispiel in einer Segensformel dienen soll. So segnet man sich in Davids Namen, wenn man den Herrn bittet, er möge uns nicht weniger gütig und freundlich sein, wie einst dem David. Umgekehrt heißt es, dass man mit Sodom und Gomorra flucht, wenn man die Namen dieser Städte zu einer Fluchformel verwendet. Dass also der Name des Königs, dessen Glück jedermann bewundert, zum Gebrauch des Segens dient, besagt nichts anderes, als dass jedermann ihn glücklich preisen wird.

18 Gelobet sei Gott, der Herr, der Gott Israels, der allein Wunder tut; 19 und gelobet sei sein herrlicher Name ewiglich; und alle Lande müssen seiner Ehre voll werden! Amen, Amen. 20 Ein Ende haben die Gebete Davids, des Sohns Isais.

V. 18. Gelobet sei Gott usw. David erhebt sich zum Lobe Gottes, weil er die Gewissheit hat, dass die Fürbitte für seine Nachfolger nicht vergeblich sein kann. Das Glück, welches er uns beschrieb, hat er schon mit den Augen des Glaubens geschaut: darum ist sein Frohlocken so frei und fröhlich. Dass der Herr allein Wunder tut, wird eben in Rücksicht auf das Walten in seinem Reiche gesagt: es ist ein Beweis für die Herrlichkeit dieses Reiches und zugleich eine Erinnerung daran, dass zu seiner Erhaltung wunderbare und ungewöhnliche Gotteskraft nötig sein wird. Sicherlich hätten alle Nachkommen Davids nicht hindern können, dass ihr Thron hundertmal zusammenbräche und sogar ganz verschwände. Wäre nicht Salomos schändlicher Abfall wert gewesen, mit dem Sturz ins Verderben gestraft zu werden? Haben nicht alle seine Nachfolger, mit Ausnahme von Josia, Hiskia, Josaphat und wenigen anderen immer schlimmere Wege eingeschlagen und dadurch Gottes Zorn wie geflissentlich gereizt, sodass man sich nur wundern muss, dass sein Blitzstrahl nicht diese ganze Nachkommenschaft vernichtete? Zudem war es dem prophetischen Geiste Davids nicht verborgen, dass Satan allezeit sich feindlich gegen Gottes Gemeinde stellen werde: und auch darum musste er den Schluss ziehen, dass die Gemeinde Gottes, von der er redet, seinem Geschlecht nicht ohne große und harte Schwierigkeiten in Ewigkeit werde erhalten bleiben können. Auch hat der Erfolg gezeigt, wie viel Wunder Gott aufwenden musste, um seine Verheißungen zu erfüllen, mögen wir nun an die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft denken, oder an die darauf folgenden wunderbaren Befreiungstaten, bis endlich Christus wie ein Wurzelschoß aus dem erstorbenen Stamme hervorging. Darum wird auch mit Recht gebetet: alle Lande müssen seiner Ehre voll werden. Und um allen Gläubigen Mut zu machen, mit Ernst und Inbrunst ihre eigenen Gebete anzuschließen, wird bekräftigend hinzugefügt: Amen, Amen.

V. 20. Ein Ende haben die Gebete Davids. Wir haben schon gesagt, dass Salomo, der wahrscheinlich den Inhalt dieses Psalms in poetische Form brachte, diese Anmerkung mit gutem Grund beifügte. 1) Er wollte seinem Vater die Ehre der Verfasserschaft nicht rauben; auch wollte er die Gemeinde antreiben, dieselben Gebete fortzusetzen, mit denen David sich bis zu seinem letzten Atemzuge beschäftigt hatte. Wir wollen uns also einprägen, dass wir mit ernster Inbrunst wie mit unermüdlichem Anhalten Gott bitten sollen, er möge unter der Hand seines Sohnes seine Gemeinde schützen. Dass David ausdrücklich der Sohn Isais genannt wird, soll den Ruhm des Gottes vermehren, der einen unberühmten Menschen, ja den geringsten unter seinen Brüdern von den Schafhürden wegholte und auf die erhabene Stufe eines Königs des auserwählten Volkes stellte.

(Vielmehr handelt es sich um eine Notiz, die hier am Schluss des zweiten Buches bei der viel späteren Sammlung der Psalmen beigefügt wurde. Die Meinung dabei ist nicht, dass hier Davids Sterbepsalm vorliegt, sondern dass in der Sammlung nun (zunächst) keine davidischen Psalmen mehr kommen. Schon V. 18 ff. gehören nicht zu Ps. 72, sondern zum Abschluss des ganzen Buches. Vgl. Ps. 41, 14; 89, 53; 106, 48.)

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

1)
Vielmehr handelt es sich um eine Notiz, die hier am Schluss des zweiten Buches bei der viel späteren Sammlung der Psalmen beigefügt wurde. Die Meinung dabei ist nicht, dass hier Davids Sterbepsalm vorliegt, sondern dass in der Sammlung nun (zunächst) keine davidischen Psalmen mehr kommen. Schon V. 18 ff. gehören nicht zu Ps. 72, sondern zum Abschluss des ganzen Buches. Vgl. Ps. 41, 14; 89, 53; 106, 48.