Inhaltsangabe: David war vom Thorn gestoßen. Alles schien verloren zu sein. Dennoch ruft er Gott um Hilfe an und stärkt sich mit seiner Verheißung gegen die große Angst, gegen den Spott der Feinde und gegen ihre gemeinsamen Angriffe, ja wider den Tod selbst, den er vor Augen hatte. Zum Schluss wünscht er sich selbst und der Gemeinde Glück wegen des guten Ausgangs.
V. 1. Ein jeder kann es dem David nachfühlen, wie bitter sein Schmerz war, als sein eigener Sohn sich wider ihn erhob und einen Aufruhr im Volke erregte. Da er diese göttliche Heimsuchung verdient hatte, weil er ein fremdes Weib entehrt und unschuldiges Blut vergossen hatte, so wäre er gewiss der Angst unterlegen und verzagt geworden, wenn er sich nicht an Gottes Verheißung aufgerichtet und das Leben auch inmitten des Todes erhofft hätte. Da er aber seine Sünden nicht berührt, so ist anzunehmen, dass in diesem Psalm nur ein Teil seiner Gebete enthalten ist. Sicherlich wurde er anfangs von schweren und harten Anfechtungen gequält, da Gott ihn ja strafte wegen des Ehebruchs und wegen des abscheulichen Verrats an Uria. Aber als er sich vor Gott gedemütigt hatte, fasste er neuen Mut. Nachdem er der Vergebung seiner Sünden gewiss geworden, war er auch fest überzeugt, dass Gott auf seiner Seite stehe, der ja verheißen hatte, seine Regierung immer zu schützen. David beklagt sich nun über seinen Sohn und dessen Anhang, da er wusste, dass sie sich ruchlos erhoben hatten, um Gottes Ratschluss zu vereiteln. Hieraus lernen wir folgendes: Wenn Gott einmal schlechte und verderbte Menschen als Geißeln gebraucht, um uns zu züchtigen, so müssen wir zuerst den Grund dieser Züchtigung bedenken, nämlich dass wir nichts erdulden, was wir nicht verdient haben. Diese Betrachtung wird uns dann zur Buße führen. Wenn die Feinde jedoch ihren Angriff mehr gegen Gott als gegen uns richten, so können wir uns bald in dem Vertrauen aufrichten, dass Gott uns beschützen werde, da sie ja seine Gnade, die er uns verheißen hat, verachten und verschmähen.
V. 2. Die heilige Geschichte berichtet uns (2. Sam. 15, 13 ff.), dass dem David nicht nur alle königliche Macht genommen, sondern dass er auch fast von allen verlassen war, so dass er fast ebenso viele Feinde als Untertanen hatte. Wenn auch einige treue Freunde ihn auf seiner Flucht begleiteten, so verdankt er doch seine Rettung mehr den Schlupfwinkeln der Wüste als ihrem Schutze. Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Menge der Gegner ihn erschreckte, zumal da eine so plötzliche Empörung ihm ganz unerwartet kam. Es ist das Zeichen eines seltenen Glaubens, dass er trotz der großen Angst, die ihn erfüllt, es dennoch wagt, seine Klagen vor Gott auszuschütten. Gewiss ist dies das beste Mittel, um die Furcht zu vertreiben, wenn wir alle Sorgen, die uns quälen, auf ihn werfen; und ebenso gewiss ist, dass alle Menschen, die nicht wissen, dass der Herr ihrer gedenkt, ganz mutlos werden müssen.
Darauf (V. 3) schildert David den Übermut seiner Feinde noch deutlicher und mit lebhafter Anschaulichkeit: sie überheben sich über ihn, als wäre er schon verraten und verkauft. So ist zu ersehen, dass eben dieser zuversichtliche Glaube, er sei schon von Gott verworfen, ihnen den Kamm schwellte. Zugleich dürfte ihre Rede ein Ausdruck des Unglaubens sein, der die Hilfe, die Gott seinem auserwählten König zugesagt hatte, für nichts achtet. So wird man umso gewisser urteilen müssen, wenn man bedenkt, dass Absalom sich sicherlich nicht der gnädigen Hilfe Gottes getröstete, sondern sich den Sieg durch eigene Kraft versprach. David lässt ihn und die Übrigen absichtlich so sprechen, um damit zu zeigen, dass sie sich durch eitle und gemeine Verachtung Gottes zur Wut antreiben, ohne zu bedenken, dass er so oft in wunderbarer Weise aus der größten Not errettet worden war. Wenn die Gottlosen sich erheben, um uns zu verderben, so sind sie allerdings meistens nicht so frech, dass sie es offen aussprechen, dass Gottes Gunst uns nichts nützen werde. Da sie aber alles dem Glück zuschreiben und demjenigen den Sieg verheißen, der die größte Macht hat, da sie endlich unbedenklich vorwärts stürmen, ohne nach Recht oder Unrecht zu fragen, so steht es fest, dass sie die göttliche Gnade für nichts achten und die Gläubigen verspotten, als nütze es ihnen nichts, unter Gottes Hand und Schutz zu stehen. – Der Satz: Viele sagen zu meiner Seele übersetzt man oft, als wenn es hieße „von meiner Seele“. Wäre dies auch sprachlich allenfalls möglich, so wird David hier vielmehr meinen, dass der Spott der Feinde ihm bis tief in die Seele dringt. Die Seele ist der Sitz der Empfindungen. So lässt sich mit unserem Satze gegensätzlich Davids Gebet zusammenordnen (Ps. 35, 3): „Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe.“ David lehrt uns hier durch sein Beispiel, dass wenn die ganze Welt uns wie mit einem Munde zur Verzweiflung treibt, es das Beste ist, wenn wir nur auf Gott hören und die Hoffnung auf Rettung, die er uns verheißen hat, immer in unserem Herzen hegen; und dass wir unsere Seele, welche die Gottlosen zu durchbohren trachten, durch Gebet stärken müssen.
Das Wort „Sela“ bezeichnet eine Erhebung der Stimme beim Gesange. Hierbei ist aber wohl zu beachten, dass die Melodie immer dem Inhalt entsprach, sodass diese Erhebung der Stimme immer nur bei wichtigen Stellen eintrat. So hier, wo David sich beklagt, dass seine Hoffnung schmählich verlacht werde, als ob Gottes Schutz ihm nichts nütze, und besonderen Nachdruck auf diese Verachtung legt, sie sein Herz schwer verwundet hatte. Dasselbe Wort „Sela“ wiederholt er etwas später (V. 5), nachdem er seine Zuversicht bekannt hat. Hier haben wir wieder eine wichtige Stelle, wo eine Erhebung der Stimme beim Gesange angebracht war.
V. 4. Voll Zuversicht erhebt David seine Stimme wider die heillose Frechheit seiner Feinde und bezeugt, dass er, was sie auch sagen mögen, nichtsdestoweniger auf Gottes Wort sich verlassen werde. Dass er diese gewisse Hoffnung auf Erlösung schon früher gewonnen hat, geht daraus hervor, dass hier von einer Züchtigung durch Gottes Hand gar nicht geredet wird. Im Vertrauen auf Gottes Hilfe geht er seinen Feinden mutig entgegen, die einen gottlosen und unheilvollen Krieg führen, da sie ihn, den rechtmäßigen König, vom Throne stoßen wollen. Kurz, nachdem er seine Schuld vorher bekannt hat, denkt er jetzt nur an den vorliegenden Fall. Und das mit Recht. Denn wenn Gottes Diener von den Bösen gequält werden, so müssen sie, wenn sie über ihre Sünden geseufzt und sich zu der Barmherzigkeit Gottes geflüchtet haben, die Not, in der sie sich befinden, so betrachten, dass sie nicht zweifeln, Gott werde ihnen helfen, da man sie unschuldig quält. Vor allem aber muss dann, wenn der quälende Angriff sich nicht bloß gegen sie, sondern zugleich gegen Gottes Wahrheit richtet, diese Zuversicht sie mächtig erheben, dass Gott die Wahrheit seiner Verheißung ganz sicher gegen die treulosen Taugenichtse verteidigen werde. Nun könnte es aber scheinen, dass David sich dieses mit Unrecht anmaße, da er ja früher selbst die Ehre Gottes und seine Hilfe außeracht gelassen hatte. Aber er ist überzeugt, dass er noch nicht ganz aus der göttlichen Gnade gefallen ist, sondern dass seine Erwählung noch feststeht. Daraus gewinnt er Mut zu neuer, guter Hoffnung. Zuerst nennt er Gott seinen Schild, weil er weiß, dass er durch seine Macht geschützt wird. Daraus schließt er dann, dass Gott auch seine Ehre ist, weil er der Beschützer und Hüter seiner königlichen Ehre sein wird, deren er ihn gewürdigt hat. Dieses gibt ihm endlich Zuversicht, so dass er es wagt, mit aufgerichtetem Haupte einherzugehen.
V. 5. Ich rufe an mit meiner Stimme. Diese Worte lassen ersehen, dass David durch Unglück niemals so gebrochen, noch durch die gottlosen Verspottungen so entmutigt war, dass er seine Wünsche Gott nicht mitgeteilt hätte. Das war die echte Bewährung seines Glaubens, dass er ihn auch mitten in der Angst durch Gebet übte. Denn wenn wir Gottes Verheißungen Glauben schenken, so ist nichts ungereimter, als dass wir uns von ihm los zu machen suchen und unsere Seufzer von ihm abwenden. Nicht ohne Grund sagt David, dass er Gott mit seiner Stimme angerufen habe. Es ist auch möglich, dass er diese Stimme des Gebets dem wirren Rufen gegenüberstellt, das diejenigen ausstoßen, die das Schicksal anklagen, oder dem Herrn fluchen, oder auch maßlos heulen, oder endlich in wildem Drange ihren Schmerz ausgießen, ohne ihn zu zügeln. Ich glaube jedoch, dass David hiermit vor allem sagen will, dass er bei den Lästerungen seiner Feinde, durch die sie seinen Glauben zu erdrücken suchten, nicht stumm gewesen sei, sondern dass er vielmehr seine Stimme zu dem Gott erhoben habe, der nach der Meinung der Gottlosen sich von ihm abgewandt hatte. Er setzt noch hinzu, dass er nicht vergeblich gerufen habe; damit ermahnt er alle Frommen zu derselben Standhaftigkeit.
Von seinem heiligen Berge. Einige Erklärer sagen, dass damit der Himmel gemeint sei; das ist aber nicht richtig. Ich gestehe zwar, dass der Himmel sonst öfters Gottes heilige Wohnung genannt wird. Ich glaube jedoch, dass David hier an die Bundeslade denkt, die damals schon auf dem Berge Zion aufgestellt war. Er sagt ausdrücklich, dass er von dort erhört worden sei, obwohl er gezwungen worden war, in die Wüste zu fliehen. Die heilige Geschichte berichtet uns nämlich (2. Sam. 15, 24 f.), dass als der Priester Abjathar den Leviten befohlen hatte, die Lade fortzutragen, David dieses nicht gestattete. Hierin offenbart sich der Glaube dieses heiligen Mannes in glänzender Weise. Da er nämlich wusste, dass jener Ort als Platz für die Bundeslade von Gott erwählt war, so wollte er sich doch lieber von diesem Wahrzeichen der Gegenwart Gottes trennen, das ihm so lieb war wie sein eigenes Herz, als hierin ohne Gott etwas ändern. Jetzt rühmt er, dass wenn er auch des Anblicks der Lade beraubt war, Gott ihm trotz der Entfernung doch nahe gewesen sei, als er zu ihm gebetet habe. Mit diesen Worten zeigt er, dass er die richtige Mitte gehalten hat, dass er weder das sichtbare Zeichen, das Gott für jene noch roh empfindende Zeit eingesetzt hatte, verachtete, noch Gottes Herrlichkeit fleischlich einschätzte, indem er etwa abergläubisch seine Gedanken bloß an jenen äußeren Ort heftete. Er redete keine leeren Worte in den Wind hinein, wie die Ungläubigen zu tun pflegen, die auch wohl beten, aber in Ungewissheit sind, wohin sie ihre Bitten richten sollen; David wandte sich geradeswegs zur Hütte, von woher Gott nach seiner Verheißung seinen Knechten seine Gnade beweisen wollte. Daher die Zuversicht beim Beten, welcher der Erfolg nicht fehlte. Jetzt, da Christus erschienen ist, der einst durch die Sinnbilder des Gesetzes abgebildet wurde, haben wir noch einen freieren Zugang zu Gott, wenn wir nicht mit Wissen und Willen vom rechten Wege abweichen.
V. 6. David sagt jetzt, welch ein großes Glück er durch sein Gebet und durch seinen Glauben erlangt hat, nämlich Frieden und ein ruhiges Gemüt. Dies drückt er bildlich mit dem Hinweis darauf aus, dass er die gewöhnlichen Tätigkeiten des Lebens ruhig verrichte. Er spricht: Wenn ich in meinem Bette liege, dann bin ich nicht schlaflos und unruhig, sondern schlafe sanft, während Leute, die voll Angst und Unruhe sind, keinen solchen Schlaf haben. Doch lasst uns wohl beachten, dass David durch Gottes Schutz und nicht etwa durch eine gewisse stumpfe Gleichgültigkeit so sicher ist. Die Gottlosen schlafen auch wohl, da sie in der Trunkenheit ihres Geistes wähnen, einen Bund mit dem Tode gemacht zu haben. Bei David war es anders. Er hat nur deswegen Ruhe, weil Gott ihn mit seiner Kraft stützt und beschützt.
V. 7. Im folgenden Verse verherrlicht er die unschätzbare Kraft der Zuversicht, die alle Frommen aus dem Schutze Gottes gewinnen. Denn da Gottes Macht unermesslich ist, so sind sie überzeugt, dass er gegen alle Angriffe, alle Wut, alle Zurüstungen, ja gegen die Heere der ganzen Welt siegreich sein werde. Lasst uns daher lernen, in Gefahren Gottes Hilfe nicht mit menschlichem Maß zu messen, sondern jede Angst, die uns befällt, zu verachten, weil alles, was die Menschen gegen Gott unternehmen, eitel und nichtig ist.
V. 8. Auf Herr, und hilf mir. Da David in dem Vorhergehenden seine Sicherheit gerühmt hat, so könnte es scheinen, dass er jetzt Gott bitte, er möge ihn auch sein künftiges Leben hindurch unversehrt erhalten. Dann wäre der Sinn: Herr, da du meine Feinde niedergeworfen hast, so gewähre mir diese Gnade immerdar bis an mein Ende. Da es aber nichts Neues ist, dass die Gemütsbewegungen bei David in den Psalmen wechseln, so erscheint es mir glaublicher, dass er, nachdem er sein Vertrauen bezeugt hat, jetzt wieder zu den früheren Bitten zurückkehrt. Er bittet demnach, bewahrt zu werden, weil er augenblicklich in Gefahr ist.
Du schlägst alle meine Feinde. Diese Worte lassen eine doppelte Erklärung zu. Entweder ruft sich David beim Gebet die früheren Siege ins Gedächtnis zurück oder, weil er Gottes Hilfe erfahren hat und sein Wunsch erfüllt worden ist, so dankt er dafür. Dieser letzteren Auffassung gebe ich den Vorzug. Er berichtet also zuerst, dass er in der Gefahr bei Gott Hilfe gesucht und ihn demütig um Errettung gebeten habe, und dankt dann dem Herrn für die ihm geleistete Hilfe. Hierdurch bezeugt er, dass er die Befreiung von Gott erlangt hat.
V. 9. Bei dem Herrn findet man Hilfe. Gottes Hilfe steht hier im Gegensatz zu allen menschlichen Hilfsmitteln. Aber dieser Ausspruch will uns nicht nur lehren, dass die Bewahrung allein Gottes Sache ist und dass ihm allein dafür das Lob gebührt, sondern auch, dass, wenn der Tod auch von tausend Seiten droht, Gott trotzdem imstande ist, zu helfen, ja dass er sofort und ohne Mühe die Hilfe bringen kann, weil er sie immer bei sich hat. Am Schluss des Psalms versichert David, dass er solche Erfahrungen nicht allein für seine Person gemacht habe, sondern zum Besten des ganzen Volkes: die Gemeinde, deren Wohlergehen auf seiner Regierung beruht, sollte nicht zu Grunde gehen. David erkennt also an, dass die gottlose Empörung deswegen niedergedrückt wurde, weil die Erhaltung der Gemeinde dem Herrn am Herzen liegt und weil er für sie sorgt. Wir schließen aus dieser Stelle, dass die Gemeinde immer von allen Übeln befreit werden muss, weil Gott, der die Macht hat, sie zu bewahren, ihr seine Gnade und seinen Segen niemals entziehen wird.