Calvin, Jean - Psalm 17.

Inhaltsangabe: Dieser Psalm enthält eine traurige Klage über den Stolz der Feinde. Darauf bezeugt David, dass er ohne Grund unmenschlich gequält werde, da er ihnen keine Ursache zu ihrem Wüten gegeben habe. Zugleich ruft er Gott als Rächer an, um durch seine Hand befreit zu werden. Wenngleich die Überschrift keine Zeitbestimmung enthält, so ist es doch wahrscheinlich, dass David sich hier über Saul und seine Begleiter beklagt.

V. 1. Zu Anfang weist David auf die Güte seiner Sache hin: hat doch Gott verheißen, dass er Unschuldige keineswegs der Bedrückung überlassen, sondern dass er ihnen endlich zu Hilfe kommen werde. Die Gerechtigkeit, die Gott erhören soll, ist nicht etwa bloß das vorliegende gerechte Gebet. Diese Erklärung ist viel zu matt. Es ist vielmehr so, dass David, weil seine Unbescholtenheit ihn mutig macht, Gott gleichsam als Schiedsrichter zwischen sich und seine Feinde stellt, damit er seine Sache entscheide. Wir haben früher schon gesehen, dass es uns erlaubt ist, vor Gott unsere Unschuld zu bezeugen, wenn wir es mit verderbten Menschen zu tun haben. Da es aber den Gläubigen nicht genügt, ein gutes Gewissen zu haben, so fügt er auch das Gebet hinzu. Es geschieht ja oft, dass auch Ungläubige sich mit Recht der Güte ihrer Sache rühmen, da sie aber nicht anerkennen, dass Gott die Welt regiert, so hüllen sie sich in ihr gutes Gewissen, knirschen und ertragen die Ungerechtigkeiten mehr trotzig als standhaft, weil sie vom Glauben und der Anrufung Gottes nichts wissen, aus der sie Trost schöpfen könnten. Die Gläubigen dagegen stützen sich nicht nur auf die Güte der Sache, sondern empfehlen sie auch dem Schutze Gottes, und wenn etwas Widerwärtiges sie trifft, so fliehen sie zu seiner Hilfe. David bittet also den Herrn, er möge ihn gnädig ansehen, falls er ihn als pflichttreu und friedlich, die Verfolgung seitens der Feinde aber als ungerecht erkenne. Gott möge ihm helfen, weil er im Vertrauen auf ihn gute Hoffnung hegt und inzwischen treulich zu ihm betet. Wie inbrünstig sein Beten ist, erkennt man aus der Wiederholung der etwa gleichbedeutenden Ausdrücke „Schreien“ und „Gebet“. Da jedoch auch die Heuchler sich groß rühmen und wild schreien, um damit ihre Zuversicht zu zeigen, so betont David, dass sein Gebet nicht aus falschem Munde gehe: er macht keinen Dunst, um etwa seine Sünden damit zu bedecken, sondern tritt offen und klar vor Gottes Angesicht. Solches Gebet hat uns der heilige Geist zum Vorbilde gesetzt, damit auch wir eifrig nach einem rechtschaffenen Leben trachten: treten dann Feinde wider uns auf, so dürfen wir doch rühmen, dass wir keine Schuld haben. Zugleich ermuntert uns derselbe heilige Geist, zu beten, wenn böse Leute uns bedrängen. Denn wenn jemand im Vertrauen auf sein gutes Gewissen das Beten unterlässt, so beraubt er Gott der Ehre, die ihm gebührt, da er ihm das Richteramt nicht überträgt. Endlich sollen wir lernen, dass man nicht Schein und Blendwerk treiben darf, wenn man sich zu Gott naht, denn für Gott ist die reine Einfalt der beste Schmuck unseres Gebets.

V. 2. Von deinem Angesicht gehe aus mein Recht. David will sagen, dass sein Recht mit Verleumdungen überschüttet bleiben und er selbst als Verurteilter dastehen müsse, wenn nicht Gott als Rächer auftritt. Dass Gott sein Angesicht behufs klarer Erkenntnis auf ihn wenden soll, bedeutet einen Gegensatz zur Finsternis der Lüge. David gibt zu verstehen, dass er keinen anderen Richter begehrt als den Herrn, und dass er seinem Gericht durchaus nicht ausweichen will, da er ja ein reines Herz und eine gute Sache mitbringt. Den gleichen Sinn birgt das nächste Satzglied: deine Augen mögen auf das Richtige sehen. Damit beschuldigt David den Herrn nicht der Blindheit, sondern bittet nur, dass er es durch die Tat zeige, dass er in keiner Weise nachsichtig gegen die Übeltaten der Menschen sei, und dass es ihm nicht einerlei sei, wie es den unglücklichen Menschen ergeht, die ohne Schuld übel behandelt werden. Das „Recht“, welches David beansprucht, fasst man zu eng, wenn man nur an den Anspruch auf den Thron denkt, den der von Gott erwählte und in seinem Namen von Samuel gesalbte König erheben konnte. Ich zweifle nicht, dass er ganz allgemein in seinen zahlreichen und mannichfachen Bedrückungen Gottes Schutz und Schirm sucht.

V. 3. Du prüfst mein Herz usw. David will sagen: Du, Herr, der du die verborgensten Empfindungen meines Herzens kennst, und dessen Amt es ist, die Menschen zu prüfen, - du weißt selbst am besten, dass ich nicht zwiespältigen Herzens bin noch Betrug in meiner Seele nähre. Die Absicht dieser Aussprache ist klar: weil David in unrechter Weise mit falscher Missgunst belastet war und bei Menschen keine Billigkeit finden konnte, ruft er Gott als Richter an; um dies aber nicht leichtsinnig zu tun, hält er sich vor, dass Gottes Gericht ein strenges sein werde: der Herzenskündiger wird sich nicht durch äußeren Schein täuschen lassen. Dass die Prüfung des Nachts stattfindet, deutet auf die Zeit, da man in stiller Einsamkeit seine Fehler, die man vor Menschenaugen nur zu gern verbirgt, deutlicher erkennt. David will sagen: Herr, wenn die Schatten der Nacht die Hüllen vom Gewissen wegnehmen und nun, wo man auf keine Zeugen und menschlichen Richter Rücksicht zu nehmen braucht, die Stimmungen sich freier offenbaren, - selbst dann wirst du bei genauester Prüfung in meinem Herzen keinen Trug finden. Hieraus schließen wir, wie groß Davids Lauterkeit war, da er, nachdem er sich selbst innerlich geprüft hat, sich ohne Furcht dem Gerichte Gottes stellt, um sich von ihm erforschen zu lassen. Er erklärt sich nämlich nicht nur rein von äußeren Verbrechen, sondern auch frei von der heimlichen Bosheit, da er freimütig aufdeckt, was er in seinem Herzen denkt. Er kann sagen: mein Sinnen umfasst nichts anderes als mein Mund. Buchstäblich: „mein Sinnen übertrifft oder überschreitet nicht meinen Mund.“ Da das betreffende Wort aber ohne weiteres schon böse Gedanken bedeuten kann, ist auch die Deutung möglich: böse Gedanken überschreiten nicht meinen Mund.

V. 4. Bei allem Tun der Menschen usw. Der Sinn dieser sehr verschieden ausgelegten Stelle ist jedenfalls, dass man sich nicht durch die Taten der Menschen, sondern durch Gottes Wort bestimmen lassen soll. Damit ist aber noch nicht erklärt, inwiefern David die Pfade des Gewalttätigen meidet. Einige finden darin eine Hindeutung auf seine Genossen, die gleich ans Rauben gingen, wenn er sie nicht zügelte. Denn da es mit ihnen zum äußersten gekommen war, so machte die Verzweiflung sie kühn. Wir wissen ja, welch ein scharfer Stachel die Not ist. Doch scheint diese Erklärung mir gezwungen. Ich erkläre mir die Worte lieber im Hinblick auf die Feinde: bei allem ihrem Tun, welches ihn wohl zu bösartigen Gegenmaßregeln hätte reizen können, hält David sich nach Gottes Wort, streitet nicht mit unrechten, gewalttätigen Mitteln und vergilt nicht Böses mit Bösem. Mögen die Taten der Menschen sein wie sie wollen, - er schaut auf des Herrn Mund und hält nicht für erlaubt, wie ungerecht man ihn auch reizt, den Feinden Gleiches zurückzugeben. Wir wissen ja, wie schwer es ist, nicht darauf zu sehen, wie die Menschen sich gegen uns verhalten, sondern nur darauf, was Gott gebietet und verbietet. Denn selbst Menschen, die zur Billigkeit geneigt und bestrebt sind, allen zu nützen und keinen verletzen zu wollen, lassen sich doch, wenn sie gereizt werden, durch den blinden Drang zur Rache fortreißen. Besonders tritt dies dann ein, wenn wir sehen, dass alles Recht und alle Billigkeit ins Gegenteil verkehrt wird. Dann macht diese Unordnung uns blind, sodass wir kein Bedenken tragen, mit den Wölfen zu heulen. Davids Beispiel zeigt uns daher das beste Hilfsmittel zur Selbstbeherrschung: reizen uns widrige Menschen durch ihre Bosheit, ebenfalls Schaden zu tun, so heften wir unsere Augen auf Gottes Wort. Dann können unsere Gedanken nie so verfinstert werden, dass sie unbesonnen sich auf falsche Wege locken lassen: denn Gott wird nicht nur durch seine Befehle unsere Triebe zügeln, sondern sie auch durch seine Verheißungen zur Geduld erziehen. Er hält uns ja nicht nur durch sein Verbot von schlechten Taten zurück, sondern er ermahnt uns auch, dem Zorn Raum zu geben, indem er uns verkündigt, dass er unser Rächer sein werde.

V. 5. Erhalte meinen Gang usw. Versteht man unter den Fußsteigen Gottes die Vorschriften des Gesetzes, so würde sich folgender Gedanke ergeben: David hat sich gerühmt, und zwar mit Recht, dass er auch unter den schwersten Versuchungen mit reinem Herzen beständig Gerechtigkeit geübt habe; aber doch ist er sich seiner Schwäche bewusst: deshalb übergibt er sich Gott, um sich von ihm regieren zu lassen, und bittet, dass ihm die Gnade der Beharrung gegeben werde. Er würde etwa sagen: Wie ich bislang unter deiner Führung auf dem rechten Wege geblieben bin, so halte auch in Zukunft meine Schritte, damit sie nicht gleiten. Und gewiss, je höher jemand über andere hervorragt, umso mehr muss er sich fürchten, von dem rechten Wege abzuweichen: denn Satans List besteht darin, aus der Tugend fleischliches Selbstvertrauen zu machen, um dadurch die Frommen einzuschläfern. Immerhin ist es mir wahrscheinlicher, dass David hier einen glücklichen Erfolg von Gott erbittet. Der Sinn seiner Worte ist der: Herr, da du ja siehst, dass ich mich der Unbescholtenheit befleißige, so regiere mich so, dass es allen offenbar wird, wie du mein Hüter bist, und lass es nicht zu, dass ich durch den Mutwillen der Feinde gestürzt werde. Er versteht also unter den Wegen des Herrn nicht die Lehre, durch die unser Leben regiert wird, sondern die Kraft, durch die Gott uns stützt, und den Schutz, durch den er uns bewahrt. Das alles sind in der Tat „Fußsteige des Herrn“: denn der Ausgang steht in seiner Hand, und nur wenn er für uns sorgt, wird uns alles glücklich von statten gehen. Der Zusatz: dass meine Tritte nicht gleiten, deutet an, dass uns jeden Augenblick viele Widerwärtigkeiten drohen und dass wir immer in Gefahr sind, unterzugehen, wenn Gottes Hand uns nicht hält.

V. 6. Ich rufe zu dir. Nach meiner Meinung ermuntert David sich hier durch gute Hoffnung zur Anrufung Gottes. Er will etwa sagen: Wenn ich dich anrufe, so wirst du, o Gott, gewiss meine Gebete nicht verachten. Bald nachher bittet er dann, dass ihm das gewährt werde, was er als Gegenstand seiner Hoffnung bezeichnet hatte.

V. 7. Beweise deine wunderbare Güte. Wörtlich: „Mache deine Güte wunderbar“; oder auch: „Sondere deine Güte ab.“ Beide Bedeutungen passen gut für unsere Stelle. Gottes Güte ist für die, so ihn fürchten, wie ein besonderer Schatz aufgehoben (vgl. Ps. 31, 20), den der Herr zur gelegenen Zeit hervorholen wird, und wäre es auch noch, wenn schon alles verloren scheint. So ist auch hier die Meinung: Gott möge seinem Knechte David die besondere Art seiner Gnade erweisen, deren er nur seine Auserwählten würdigt. Denn wenn er auch die Guten und Bösen gemeinsam in Not bringt, so zeigt er doch durch den verschiedenen Ausgang, dass er nicht Weizen und Spreu ohne Unterschied vermischt, sondern die Seinen besonders sammelt. Da also David erkannt hat, dass er nur auf eine außerordentliche und ungewöhnliche Weise befreit werden könne, nimmt er seine Zuflucht zu der besonderen und wunderbaren Kraft Gottes. Übrigens zeigt dieser Umstand die Größe der Gefahr; denn sonst würde es genügen, dass Gott ihm in gewöhnlicher Weise zu Hilfe komme, wie sonst er täglich den Seinen seine Gunst zu erweisen und sie mit seiner Hilfe zu schützen pflegt. David sieht sich also durch eine große Angst gezwungen, ein Wunder zu seiner Rettung zu verlangen. Indem er den Herrn dabei als seinen Heiland oder Erretter anruft, stärkt er seinen Glauben an die Erhörung. Denn da Gott es als sein Amt für sich in Anspruch nimmt, alle zu erretten, die ihn auf ihn vertrauen, so konnte David, da er auch zu dieser Zahl gehörte, sich mit Recht Rettung versprechen. Es soll also, wenn wir uns zu Gott nahen, jedes Mal unser erster Gedanke sein: wenn unser Glaube nur auf seiner Gnade ruht, so haben wir nicht zu befürchten, dass er nicht zu unserer Hilfe bereit sein werde; nennt er sich doch den Retter derjenigen, die auf ihn hoffen. Und wenn alle Wege verschlossen sind, so müssen wir gleich daran denken, dass der Herr unglaubliche Mittel besitzt, um uns zu helfen, und dass gerade diese seine Macht am meisten verherrlichen. Übrigens lesen viele Ausleger in zusammenhängendem Zuge: „die dir vertrauen wider die, so sich wider deine rechte Hand setzen.“ Doch ziehe ich die geläufige Verbindung vor: Gott ist nicht nur im Allgemeinen ein Heiland der Seinen, sondern auch ihr Retter wider die Gottlosen, sie sich wider ihr Heil setzen. Von diesen Leuten heißt es geradezu: so sich wider deine rechte Hand setzen. Denn wer die Frommen angreift, deren Hüter Gott ist, erklärt dem Herrn selbst den Krieg. Daraus entnehmen wir den Trost, dass unsere Feinde Gottes Feinde sind, und dass er den Schild über uns halten wird, wenn man unser ewiges Heil angreift. Darauf deuten auch die Bilder des nächsten Satzes: wir sind Gottes Augapfel, und er beschirmt uns wie eine Henne ihre Küchlein unter dem Schatten der Flügel. Solche Wendungen kehren häufig wieder, wenn Gottes freundliche Fürsorge beschrieben werden soll. Wie ein Mensch seinen Augapfel als den zartesten Teil seines Körpers schützt, so wird Gott in seinen Gläubigen sich selbst angegriffen fühlen. Da nun dieses Gebet vom heiligen Geist eingegeben ist, schließt es auch eine Verheißung in sich. Welch unglaubliche Güte Gottes, dass er sich so tief herunterlässt und uns gewissermaßen in verwandelter Gestalt erscheint, um unseren Glauben über alles zu erheben, was fleischliche Erfahrung fassen kann!

V. 9. Vor den Gottlosen usw. Aufs Neue erhebt David Anklage gegen seine Feinde, um durch die Empfehlung seiner Unschuld Gottes Gnade für sich zu gewinnen. Zugleich beklagt er sich auch über ihre Rohheit, damit Gott umso geneigter werde, ihm zu helfen. Er sagt zuerst, dass jene Leute vor Begierde brennen, um zu verwüsten und zu verderben; dann fügt er hinzu, dass sie um und um nach seiner Seele stehen. Damit gibt er zu verstehen, dass sie mit keinem anderen Preise als nur mit seinem Tode zufrieden seien. Daher muss die Grausamkeit der Feinde, je schrecklicher sie für uns ist, uns umso eifriger zum Beten mahnen. Allerdings hat Gott es nicht nötig, erinnert zu werden; aber es ist der Nutzen und der Zweck des Gebets, dass die Gläubigen, wenn sie ihre Sorgen in Gottes Schoß ausschütten, gewiss werden, er werde ihre Not ansehen.

V. 10. Das Fett, in dem die Feinde sich verschließen, wird ihren Stolz bedeuten sollen: sie strotzen von Stolz wie von Fett. Es ist dies ein passendes Bild, dass ihr Herz durch geschwollenen Hochmut wie durch Fett verstopft ist. Wenn ich nun auch nicht leugne, dass David sich hier darüber beklagt, dass sie durch Reichtum und Wohlleben aufgeblasen seien, - man sieht es ja, dass die Gottlosen, je fetter sie gemästet werden, umso schändlicher stolz tun – so glaube ich doch, dass hier vor allem ein innerer Fehler beschrieben wird, nämlich der, dass sie von Selbstvertrauen so vollgepfropft sind, dass sie alle Menschenfreundlichkeit abgelegt haben, und dass dies sich in ihren großtuerischen Reden kundgibt, Dass sie mit ihren Munde reden, ist kein überflüssiger Ausdruck: man sieht förmlich, wie sie die Backen mit ihren stolzen Schmähungen aufblasen.

V. 11. Wo wir gehen, umgeben sie uns. Das ist ein Zeichen ihrer ungezähmten Lust, Schaden zu tun: sie waren so eifrig darauf bedacht, David den Garaus zu machen, das sie auf Schritt und Tritt sich hinter seinen Rücken drängten. Dass er sagt „uns“, deutet zugleich auf seine Genossen. Bei diesen ununterbrochenen Angriffen bleibt es Davids einzige Zuflucht, dass der Herr seine Hand vom Himmel her ausstreckt. Das Wort „jetzt“ will nicht bloß besagen, dass die Verfolgung erst in der Gegenwart eintrat, sondern vergegenwärtigt jeden einzelnen Augenblick, in welchem David jetzt hier, jetzt dort den Feinden begegnet, die ihm auflauern. Dass sie ihre Augen dahin richten, zu verderben, schildert ihren anhaltenden, auf dies Ziel gespannten, unermüdlichen Eifer. Einige Ausleger erinnern dabei wohl zu fein an einen Jäger, der mit zu Boden gesenkten Augen auf seine Beute zielt. Die Stimmung der Feinde ist, dass sie alles zur Erde niederschlagen wollen. So sind die Gottlosen: so lange in der Welt noch etwas aufrecht steht, glauben sie es stürzen zu müssen, - darum wollen sie am liebsten das ganze Menschengeschlecht austilgen. Dies malt das Gleichnis weiter aus: gleichwie ein Löwe usw. Dabei wollen wir uns den Grundsatz einprägen: je frecher die Gottlosen gegen uns wüten, desto mächtiger wird Gottes Hand ihrer Wildheit entgegentreten. Ist es doch sein besonderer Ruhm, dass er die wilden und blutgierigen Tiere im Zaume hält. Von der Höhle oder verborgenen Schlupfwinkeln redet David im Hinblick darauf, dass die Feinde verschiedenartige Kunstgriffe kannten, um ihn zu verletzen, und auch die Macht dazu in der Hand hatten, so dass es für ihn schwer hielt, ihnen zu widerstehen.

V. 13 u. 14. Da David hart bedrängt wurde, so bittet er den Herrn um augenblickliche Hilfe. Dass Gott dem Angesicht der Feinde zuvorkommen soll, vergegenwärtigt uns einen raschen Angriff, zu dessen Zurückweisung größte Eile nottut. Mit diesen Worten lehrt uns der heilige Geist, dass wenn auch der Tod sich nahe zeigt, doch Gott solche Hilfsmittel zur Hand hat, die er augenblicklich anwenden kann. David teilt dem Herrn nicht nur das Amt es Befreiers zu, sondern rüstet ihn auch mit der Macht aus, die Gottlosen zu zermalmen. Doch wünscht er ihre Niederwerfung nur insoweit, als sie zu ihrer Demütigung nötig ist, damit sie von den Übeltaten ablassen. Dies geht aus dem folgenden Verse hervor, wo er wiederum fleht, dass seine Seele errettet werde. David hätte gerne zugelassen, dass sie unverletzt blieben, wenn sie nicht ihre Kräfte ungerecht und grausam missbraucht hätten. Lasst uns daher merken, dass Gott für die Seinen sorgt, wenn er die Gottlosen stürzt und ihre Kraft bricht; denn dadurch rettet er die unschuldigen Seelen vom Untergang. Dass David mit Gottes Schwert errettet sein will, bedeutet einen Gegensatz gegen alle menschlichen Hilfsmittel: wenn nicht der Herr den Leuten wehrt, deren Macht und Glück schon allzu lange anhält, bleibt keine Hoffnung auf Hilfe. – Die nächsten Worte (V. 14): von den Leuten mit deiner Hand, von den Leuten, welche von dieser Zeit sind, verbinde ich in folgender Weise: Herr, befreie mich durch deine Hand oder durch himmlische Hilfe von den Leuten, von den Leuten, sage ich, deren Tyrannei schon zu lange währt, und die du schon zu lange auf der Hefe ihres Wohllebens hast ruhen lassen. Die Wiederholung hat besonderen Nachdruck. David spricht zuerst den Satz nicht ganz aus, sondern bricht in unwilliger Erregung ab. Dann erst sammelt er seinen Geist und erklärt sich deutlich über das, was ihn ängstigt. War soeben (V. 13) nur von einem Widersacher die Rede, so hören wir jetzt wieder, dass er viele Feinde hat, und zwar derartig mächtige, dass er nur noch auf Gottes Hilfe hoffen kann. Der Zusatz, dass diese Leute „von dieser Zeit“ sind, wird verschieden ausgelegt. Vielfach erklärt man den Ausdruck so, dass sie ganz dieser Welt ergeben seien und nur ans Irdische dächten. Dann vergliche David seine Feinde mit unvernünftigen Tieren. Hierauf bezieht man dann auch, was gleich nachher folgt, dass sie ihr Teil in diesem Leben haben, weil sie, des Geistes bar, nur an den vergänglichen Gütern hängen und sich deshalb nicht über diese Welt erheben. Denn als eines jeden Teil wird das bezeichnet, worin er sein Glück setzt. Doch glaube ich, dass hier unter „Zeit“ vielmehr die Lebenszeit verstanden wird. David beklagt sich, dass seine Feinde Leute von hoher Lebensdauer sind und dass sie über die ihnen nach Recht zukommende Zeit hinaus blühen. Denn wenn die Frechheit der Gottlosen auch für eine kurze Zeit erträglich ist, so wäre es doch widersinnig, wenn sie bei ihrer mutwilligen Auflehnung gegen Gott beständig in ihrem Glücke blieben. Doch vielleicht nennt er sie auch deswegen Leute von der Zeit, weil sie sich der Herrschaft über die Menschen bemächtigt haben und mit ihren Mitteln und Ehren prahlen, als wenn die Welt nur um ihretwillen geschaffen wäre. Dass sie ihr Teil haben in ihrem Leben, bedeutet, dass sie frei sind von allem Ungemach, in allen Freuden schwimmen und also von dem allgemeinen Lose ganz ausgenommen scheinen. Gegensätzlich heißt es wohl von den Unglücklichen, dass sie ihr Teil im Tode haben. David meint also, dass es durchaus nicht stimme, wenn die Gottlosen froh und heiter ohne Furcht vor dem Tode dahinflattern und ein ruhiges und glückliches Leben gleichsam als ihr Erbe in Anspruch nehmen. Nichts anderes besagt die nächste Wendung: welchen du den Bauch füllst mit deinen verborgenen Gütern. Wir sehen ja, dass sie nicht nur gemeinsam mit den anderen Licht, Luft, Nahrung und die übrigen Lebensgüter genießen, sondern dass sie oft auch prächtiger und glänzender als die anderen von Gott behandelt werden, gleich als ob er gerade sie als seine zarten Kinder in seinem Schoß hegte. Die verborgenen Güter Gottes bezeichnen also seltene und ausgesuchte Leckerbissen. Wenn man Gottes Gunst nach dem irdischen Glücke schätzt, so entsteht daraus eine schwere Versuchung. Deshalb ist es auch nicht zu verwundern, dass David dadurch sehr verwirrt wurde. Aber er sucht in frommer Klage Erleichterung und murrt nicht gegen Gott. Das müssen wir uns merken, damit auch wir es lernen, unsere Seufzer gen Himmel zu richten. Als höchster Grad des Glücks wird endlich verzeichnet, dass die Frevler ihr Übriges ihren Kindern lassen. Da sie aber zu den Kindern Gottes, denen solcher Segen allein verheißen ist, nicht gehören, so folgt, dass sie für den Schlachttag gemästet werden. Deshalb ist auch der Schluss der Klage, dass Gott bald seine Rache zeigen möge, da sie ja schon lange seine Nachsicht missbraucht hätten.

V. 15. Nachdem David seine Mühsale, die ihn marterten und drückten, voll Angst dem Herrn geklagt hat, erhebt er sich, um nicht unter der Last der Versuchungen begraben zu werden, auf den Flügeln der Zuversicht zu einer heiteren Ruhe, in der alle seine Sachen wohlgeordnet vor seinen Augen stehen. Denn wir sollen den Gegensatz empfinden zwischen der Wohlordnung, die Gott in gerechtem Gericht herstellen wird, und der nebelhaften Verwirrung, die in der Welt herrscht, so lange Gott schweigt und sein Angesicht verbirgt. Es konnte nämlich den Anschein haben, dass David unter jenen Leiden, von denen er sprach, in ewige Finsternis versenkt worden sei, und dass die Gottlosen, die in Glück, Ehre und Reichtum blühten, dem Herrn nahe seien. Aber David spottet über das stolze Rühmen jener Leute, und wenn er auch dem Anschein nach von Gott verworfen ist, so verspricht er sich doch, dass er ihn von nahe sehen werde. Das Wort „Ich“ steht hier mit besonderem Nachdruck: dieses Ich mit allen seinen Plagen und seiner Schmach wird dennoch aus der väterlichen Liebe Gottes wieder volle Freude schöpfen. Bemerkenswert erscheint, dass David mit diesem einen Stück sich zufrieden gibt, dass er die gnädige Nähe Gottes spürt. Darin besteht sein höchstes Glück, - und die Gottlosen täuschen sich, wenn sie sich ohne Gott für glücklich halten. Denn dass David Gott schauen will, bedeutet nichts anderes, als dass er seine väterliche Gunst empfinden wird, die alle unsere Schmerzen tilgt und uns dadurch fröhlich macht, ja die uns bis in den Himmel erhebt. Dass er Gottes Angesicht in Gerechtigkeit schauen will, zeigt an, dass er um den Lohn seines guten Gewissens niemals wird betrogen werden. So lange Gott die Seinen durch Kreuz und Unglück demütigt, spottet die Welt leichtfertig über ihre Einfalt, als ob sie umsonst und in törichter Weise nach Heiligkeit trachteten. Mit dieser Art des Spottes hat David jetzt zu kämpfen. Dabei versichert er, dass die Frucht der Frömmigkeit für ihn aufbewahrt sei, wenn er nur nicht vom Gehorsam gegen Gott ablasse. So ermahnt auch Jesaja (3, 10) die Gläubigen, sich durch die Überzeugung aufrecht zu halten, dass es den Gerechten gut gehen werde. Mit alledem werden nicht etwa die Werke zum Grund unseres Heils gemacht. Denn es ist nicht die Rede davon, was man leisten muss, um Gottes Gnade zu verdienen; sondern es wird einfach eingeprägt, dass keiner umsonst sich müht, der dem Herrn seine Ehre gibt: mag Gott auch eine Zeitlang sein Angesicht verhüllen, so wird er es doch zur rechten Zeit wieder freundlich leuchten lassen.

Ich will satt werden usw. Es ist mehr scharfsinnig als richtig, wenn manche Erklärer diese Aussage auf die letzte Auferstehung beschränken, - als ob David seine Hoffnung auf Freude und Glück aufschöbe und sich mit seiner Sehnsucht bloß an das ewige Leben klammerte! Gewiss wird die Sättigung, von der er redet, in ihrem vollen Bestande erst bei Christi letzter Ankunft eintreten. Da jedoch die Heiligen, wenn Gott sie durch die Offenbarung seiner Liebe erquickt, in diesem Lichte ruhen, so nennt David schon diesen Frieden und diese Freude des Geistes mit Recht Sättigung. Denn wenn die Gottlosen auch mit ihrem Überflusse prahlen, so sind sie doch nie gesetzten und ruhigen Gemüts, weil ihre Begierden unersättlich sind, oder weil sie sich mit Wind nähren, oder weil sie in ihrer Verblendung das Gute, was sie haben, gar nicht zu schätzen wissen, oder endlich weil sie durch schwere Gewissensbisse gequält werden: sie müssen in blinden Umtrieben ewig unruhig sein. Es ist daher allein die Gnade Gottes, die uns so zufrieden macht, dass wir nicht mehr durch unzeitige Begierden hierhin und dorthin gezogen werden. Ich zweifle also nicht, dass David hier auf die leeren Freuden der Welt, die nur das Verlangen reizen, anspielt, um zu zeigen, dass dauernde Freude nur genießt, wer an Gott allein sein Genüge hat. Wenn David sagt, dass er erwachen werde, so meint er mit diesem Erwachen das Wiederaufatmen nach der Trauer. War er auch nie durch stumpfen Schmerz völlig niedergedrückt, so war er nach langer Ermüdung doch gleichsam in Schlaf versunken. Denn die Heiligen ertragen nicht alle Anfechtungen so mutig und weisen sie nicht so tapfer zurück, dass sie nicht für eine Zeit wegen der Schwäche ihres Fleisches matt würden und, weil sie gleichsam von Finsternis umgeben sind, erschreckten. Diese Verwirrung vergleicht David mit dem Schlafe. Er sagt aber, dass er, sobald Gottes Gunst ihm wieder leuchte, neue Kraft bekommen und ruhig sein werde. Paulus sagt allerdings mit Recht, dass wir, so lange wir auf Erden wallen, im Glauben wandeln und nicht im Schauen (2. Kor. 5, 7); aber weil wir Gottes Bild nicht nur in dem Spiegel des Evangeliums, sondern auch in so vielen Beweisen seiner Gnade täglich schauen, so ist es Pflicht eines jeden, sich aus der Erschlaffung aufzurütteln, um sich an dem geistlichen Glück zu sättigen, bis sich Gott uns von Angesicht zu Angesicht zum Genießen geben wird.