Calvin, Jean - Psalm 138.

Inhaltsangabe: David ruft sich ins Gedächtnis zurück, wie herrlich ihm jederzeit von Gott geholfen worden ist, und wie er dadurch sowohl seine Güte als auch seine Treue erfahren hat. Dadurch erweckt er sich zunächst zum Danken. Sodann verspricht er sich, dass dieselbe Güte auch in Zukunft fortdauern wird, da ja Gott sich immer gleichbleibt. Und wenn ihm Gefahr zustoßen sollte, so hofft er einen fröhlichen Ausgang aus derselben.

V. 1 u. 2. Ich danke dir usw. Wie David von Gott mit denkwürdigen Wohltaten ausgezeichnet worden, so, bekennt er, wolle er ihm auch in ganz besonderem Maße dankbar sein. Weil aber heuchlerische Menschen solche Opfer mit leerem Phrasengeklingel verderben und beflecken, so setzt er hinzu, er werde nicht mit den Lippen bloß, sondern mit aufrichtigem Herzen Gott Dank sagen. Wie wir ja aus Psalm 12, 3 gesehen haben, ist unter dem „ganzen Herzen “ ein aufrichtiges Herz zu verstehen, im Gegensatz zu einem geteilten. Mit den „Göttern“ werden bald Könige, bald Engel gemeint. Im vorliegenden Vers passt beides nicht übel. Öffentlich will David seinen Dank darbringen. Da nun eine gottesdienstliche Versammlung gleichsam ein Schauspiel für die im Himmel Wohnenden ist, so genießt sie den Vorzug, Engel zu Teilnehmern zu haben. Und die Cherubim umgaben deshalb die Bundeslade, damit die Gläubigen wissen sollten, dass bei jedem ihrer Gottesdienste im Heiligtum die Engel als Zeugen zugegen sind. Auch auf die Stammesfürsten könnte man die Worte nicht ganz unpassend anwenden, da sie in der vordersten Reihe zu stehen pflegten. In Psalm 107, 32 hören wir den Aufruf: Rühmet den Herrn in der Versammlung der Ältesten. Doch leuchtet mir der zuerst angedeutete Sinn besser ein. So oft die Gläubigen vor Gott erscheinen, treten sie gleichsam aus der Welt heraus, erheben sich zum Himmel und vereinigen sich mit den Engeln. So erteilt Paulus dort, wo er sich über Ordnung und Anstand ausspricht, den Korinthern die Mahnung, sie sollen bei ihrer öffentlichen Zusammenkunft vor den Engeln Scheu empfinden (1. Kor. 11, 10). Und Gott wollte seinerzeit dasselbe unter dem Bilde der Cherubim veranschaulichen und damit den Gläubigen ein sichtbares Pfand seiner Gegenwart geben.

Das erklärt der Prophet auch in den folgenden Worten: Ich will anbeten zu deinem heiligen Tempel. Er gibt damit zu verstehen, dass er nicht nur bei sich daheim dankbar sein, sondern, wie es das Gesetz vorschreibt, in den Tempel kommen und andere durch sein Beispiel ermuntern will. Ob er nämlich wohl Gott im Geiste verehrte, so hatte er doch nötig, die Blicke auf jene äußeren Sinnbilder zu richten, die damals den Frommen helfen mussten, den Geist zu erheben. – Als Grund zum Lobe Gottes steht vor seinen Augen Gottes Güte und Treue oder seine „Gnade und Wahrheit“. Auch seine Macht und Kraft verdient ja, dass man sie besingt; aber nichts soll uns dringender zum Lobpreis seines Namens reizen als seine freie Güte. Dass er so freundlich mit uns verfährt, das öffnet uns den Mund, dass wir sein Lob singen. Da wir übrigens seine Barmherzigkeit nicht schmecken oder doch nicht mit lebhafter Empfindung erkennen, wenn sie uns nicht durchs Wort vorgehalten wird, so wird hier auch die „Wahrheit“ erwähnt. Und dass diese beiden Dinge zusammengestellt werden, ist, wie schon öfter erinnert wurde, wohl zu beachten. Denn Gott mag sich, soviel er will, durch Taten als den Gütigen erweisen: wenn uns nicht lichtvolle Belehrung zuteilwird, so steht uns unser stumpfer Sinn im Weg, dass wir seine Güte uns nicht zu Herzen gehen lassen. Von dieser letzteren redet der Prophet hier zuerst. Denn nur darum offenbart sich uns Gott als den Wahrhaftigen, weil er sich dafür durch seine freie, gnädige Verheißung verpfändet hat. Darin erkennen wir denn auch seine unschätzbare Güte, dass er denen, die ihm doch fremd waren, zuvorkommt, sie seiner freundlichen Anrede würdigt und zu sich einlädt. –

Beim Schlusssatz des Verses gehen die Meinungen der Ausleger auseinander. Die einen übersetzen: „Du hast deinem Namen und dein Wort über alles herrlich gemacht“, andere: „Deinen Namen über all dein Wort“ usw. Beides scheint mir unannehmbar. David will ohne Zweifel zunächst aussagen, dass Gottes Name an sich über alle herrlich ist, und dann näher die Art und Weise kennzeichnen, wie Gott seinen Namen erhöht hat, nämlich dadurch, dass er sein Wort wahr machte und sein gütiges Versprechen einlöste. Und das beste Mittel, unsern gegen Gottes Wohltaten so stumpfen, blinden Sinn aufzuwecken, ist in der Tat das, dass er uns zuerst mit seiner Stimme ruft und dann seine verheißene Gnade besiegelt, indem er sie an uns verwirklicht.1)

V. 3. Da ich dich anrief.Gott kommt oft unsern Bitten zuvor und eilt uns, sozusagen während wir noch schlafen, schon mit seiner Erhörung entgegen. Und doch treibt er häufig die Seinen durch seinen Geist zum Bitten an, damit ihnen eben seine Gnade umso deutlicher werde, wenn sie erfahren, dass sie nicht umsonst gebetet haben. Mit Recht sagt sich David, man könne es nicht für Zufall halten, dass er aus den Gefahren entkam; zu deutlich liege es auf der Hand, dass es eine Erhörung Gottes war. Das ist also das eine, was der Vers uns sagt: Unsere Bitten bringen die Gnade Gottes unserem Verständnis näher. Die zweite Vershälfte wird wieder verschieden ausgelegt. Manche übersetzen: Du hast mich und die Kraft in meiner Seele groß gemacht. Die Worte haben aber bei der oben gegebenen Übersetzung den klarsten Sinn. Sie wollen sagen, dass David, nachdem das Unglück ihm geschwächt hatte, innerlich wieder neue Kraft gewonnen hat. Oder wenn man lieber will, kann man auch so erklären: „Du hast mich groß gemacht, d. h. gesegnet; daher ist Kraft in meiner Seele.“

V. 4. Es danken dir usw. David tut hier kund, dass man an die ihm widerfahrene Gnade noch lange denken wird. Die Kunde davon wird sich über den ganzen Erdkreis verbreiten. Wenn er übrigens von den Königen sagt, sie hätten die aus Gottes Munde ergangenen Worte gehört, so bedeutet das nicht, dass sie einem rechtmäßigen Unterricht im Glauben empfangen hätten, so dass man sie zu Gliedern der Gemeinde machen müsste, sondern: Es wird überall bekannt werden, dass David aus keinem anderen Grunde von Gott wunderbar bewahrt wurde, als weil er aus Gottes Befehl zum Könige gesalbt worden ist. Wenn David in so langjähriger Verfolgung durch seinen Todfeind Saul sich doch immer rühmen durfte, dass er unter Gottes Panier streite, so konnte es in der Tat nicht verborgen bleiben, dass sein Königtum auf einem Ratschluss und der Berufung Gottes beruhte. Das war ein so deutlicher Erweis der Gnade Gottes, dass er auch den heidnischen Königen eine Art Bekenntnis abnötigte.

V. 6. Denn der Herr ist hoch. Dieser Vers rühmt Gottes Vorsehung, von der die ganze Welt beherrscht wird. Es ist aber auch außerordentlich nützlich zu wissen, dass unser Heil dem Herrn nicht gleichgültig ist. Denn wenn das auch allgemein als wahr zugestanden wird, so verrät doch unsere ängstliche Unruhe bei der geringsten Gefahr, dass es uns am Vertrauen fehlt. Lässt sich doch ein Mensch, der von Gottes väterlicher Fürsorge und Gunst so recht überzeugt ist, nicht so leicht in Schrecken jagen. –

Von den beiden ersten, kurzen Sätzen des Verses glaube ich, dass sie in einem gewissen Gegensatze stehen: Obschon Gott hoch ist, so hindert ihn das doch nicht, auf die Niedrigen und Geringgeachteten Rücksicht zu nehmen. Dasselbe wird im zweiten Versgliede bestätigt, wo es heißt, dass der Hohe (d. i. Gott) von fern den Niedrigen erkennt. Andere lesen: „den Hohen“, was ebenfalls einen recht guten Sinn ergibt. Das will dann sagen: Gott würdigt die Hohen, d. h. die Stolzen, nicht des Anschauens aus der Nähe, sondern blickt verächtlich auf sie nieder, wogegen er den Kleinen und Verachteten (die dem Anscheine nach weiter von ihm entfernt sind) als ihm nahe Stehenden seine Fürsorge zuwendet. Ich ziehe die, wie mir scheint, einfachere Auffassung vor, nach welcher David im zweiten Satz ungefähr dasselbe sagt wie im ersten, nämlich dass Gott, obschon hoch erhaben, doch das ins Auge fasst, was sich sonst seiner Beachtung zu entziehen scheint. Ähnlich haben wir ja im Psalm 113 (V. 5 f.) gelesen: „Wer ist wie der Herr, unser Gott, der sich so hoch gesetzt hat und auf das Niedrige sieht im Himmel und auf Erden!“ Also: obschon Gottes Majestät höher ist als alle Himmel, so lässt er sich durch den weiten Abstand doch nicht abhalten, den gesamten Erdkreis mit seiner Vorsehung zu regieren. Gott ist hoch und blickt von fern, - so hat er nicht nötig seinen Standort zu ändern, wenn er sich unser annehmen will. Wir sind unansehnlich und niedrig, - und doch hindert unser erbärmlicher Zustand nicht, dass Gott die Sorge für uns auf sich nimmt. Denn so geziemt es und, zu seiner unendlichen Herrlichkeit, die über alle Himmel ist, mit Bewunderung aufzuschauen und dabei nicht zu zweifeln, dass er uns väterlich an seinem Busen hegt. Die gegensätzlichen Aussagen stellt David nebeneinander, einerseits damit Gottes Majestät unsere Empfindung für seine Güte und Huld nicht aufhebe, da sie uns ja nicht erschrecken will, anderseits, damit seine Güte und freundliche Herablassung die Ehrfurcht vor seiner Herrlichkeit nicht mindere.

V. 7. Wenn ich mitten in der Angst wandle usw. So sehr vertraut David auf die bewahrende Hilfe Gottes, dass er denkt, er werde ihn, wenn es sein müsse, selbst aus dem Tode wieder zum Leben bringen. Der Ausspruch verdient unsere Beachtung. Denn bei der Weichlichkeit unserer Fleischesnatur möchte ein jeder von uns gern sein Leben im sicheren Winkel, „weit vom Geschütz“ verbringen; und so ertragen wir nichts schwerer, als wenn die Todesangst auf uns eindringt. Ja, sobald uns eine Gefahr begegnet, geraten wir in maßlosen Schrecken, als ob unsere Not alle Gotteshilfe unmöglich machte. Wahrer Glaube aber hat dies zur Regel, dass er auch im Todesschatten das Licht des Lebens schaut und zu Gottes Gnade nicht nur die Zuversicht hegt, dass sie uns vor jeder Schwierigkeit behütet, sondern dass sie jederzeit selbst mitten im Tode uns das Leben gibt. Dazu demütigt ja Gott die Seinen mit allerlei Trübsalen, ums sie dann wunderbar zu schützen. Und so kommt es dann zum Vorschein, dass er nicht nur der Hüter unseres Lebens, sondern auch unser Retter ist. Und weil in der Welt die Gläubigen immer von Feinden bedroht sind, so verkündigt David, er werde unter Gottes Beistand sicher sein, mögen jene anstellen, was sie wollen. Seine Lebenshoffnung gründet er also auf die ausgestreckte Hand Gottes, von der er weiß, dass sie unbesiegbar ist und selbst sieghaft über alle Feinde. Daraus folgt, dass Gott seine Kinder deshalb fortwährend in der Leidensschule behält, damit sie unter seine Flügel eilen und dort Ruhe genießen, auch nachdem sie vielleicht schon mit einem Fuß im Grabe standen.

V. 8. Der Herr wird es für mich vollführen. Vor einer anderen Leseart: „Der Herr wird es für mich heimzahlen“, verdient die oben gegebene schon deshalb den Vorzug, weil sie einen besseren Zusammenhang mit dem Folgenden ergibt: Herr, deine Güte ist ewig, das Werk deiner Hände wirst du nicht lassen. David sagt also: „Der Herr wird es für mich vollführen“, d. h. er wird auch fernerhin seine Fürsorge für mein Heil beweisen und, was er begonnen hat, bis zum letzten Ziele durchführen. Ändert doch Gott seine Art nicht, noch kann er die ihm eigene Güte abstreifen. Und damit die Hoffnung uns in Gefahren aufrechterhalte, ist es auch notwendig, die Blicke auf Gottes Güte als auf den Grund unseres Heils zu heften. Aus der Fürsorge, die Gott uns verheißen hat, ohne uns irgendwie verpflichtet zu sein, schließt David sehr richtig, dass sein Heil nicht hinfällig und nur vorübergehend sein wird. Das bekräftigt er noch mit weiteren Worten: Es ist nicht möglich, dass Gott nach Art der Sterblichen aus Lässigkeit oder Überdruss sein Werk unvollendet liegen lasse. Ganz wie auch Paulus (Röm. 11, 29) sagt: „Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen.“ Törichte Menschen fangen wohl etwas an und verlassen es leichten Herzens wieder, indem ihr unbeständiger Sinn sich anderswohin fortreißen lässt, oder sie sehen sich durch Unvermögen gezwungen, etwas aufzugeben, was sie nur deshalb versucht haben, weil sie ihre Kräfte überschätzten. Aber von Gott lässt sich Derartiges nicht sagen; und so ist nicht zu befürchten, dass er unsere Hoffnung auf halbem Wege zuschanden werden lasse. Lediglich unser böser, undankbarer Sinn nötigt ihn, seiner sonst unermüdlichen Gnade ein Ende zu setzen. Was wir also mit festem Glauben ergriffen haben, das wird Gott niemals wieder von uns nehmen. Doch meint David nicht, er dürfe sich nun der Untätigkeit hingeben, da ja Gott es sei, der das Heil der Seinen zur Vollendung führe. Vielmehr will er aus diesem Grund seinen Glauben stärken und sich zum Beten anspornen. Woher soll den Gläubigen „Furcht und Zittern“ kommen, außer weil sie im Bewusstsein ihrer Gebrechlichkeit sich durchaus von Gott abhängig fühlen? Dabei aber lehnen sie sich in fester Zuversicht an seine Gnade an, indem sie nicht daran zweifeln, dass er das, was er angefangen, auf den Tag Christi vollenden wird, woran auch Paulus (Phil. 1, 6) erinnert. Diese Lehre soll uns dazu dienen, dass wir, so oft wir gleiten oder ins Wanken geraten, denken: Gott hat ja doch den Anfang des Heils in mir gewirkt, also wird er es auch vollenden. Und da wollen wir denn alsbald zum Bitten unsere Zuflucht nehmen, damit nicht der Gnade, die beständig aus dem unerschöpflichen Quell Gottes fließt, durch unsere Trägheit der Zugang zu unserem Herzen verschossen werde.

1)
Wörtlich heißt die Psalmstelle: „Du hast groß gemacht überall deinen Namen, dein Wort.“