V. 1. Und der Herr sprach zu mir usw. Diese prophetische Rede enthält nichts Neues, sondern ist eine Bestätigung der vorangehenden, in welcher Jesaja die kurz bevorstehende Verwüstung der Reiche Israel und Syrien weissagte. Er hatte auch vorausgesagt, dass beide Reiche ihres Königs beraubt werden sollten, bevor Kinder, die bald darauf geboren werden sollten, Gutes und Böses unterscheiden könnten, also einigermaßen herangewachsen wären. Da aber die Gottlosen durch keine Drohungen sich schrecken lassen, musste diese Weissagung noch einmal eingeprägt und durch ein Zeichen bekräftigt werden. Um nun das Volk gründlicher aufzuwecken, verordnet der Herr zuerst, dass diese Weissagung öffentlich und sichtlich angeschrieben werden solle, damit jedermann sie lesen könne. Wir haben schon früher (s. Einleitung zum Buch Jesaja) an die Sitte der Propheten erinnert, das, was sie dem Volk verkündigen sollten, kurz zusammenzufassen und an die Türen des Tempels zu heften. Dies lässt sich aus Hab. 2, 2 schließen, welche Stelle der unsrigen zur Erläuterung dienen mag. Immerhin kommt hier noch etwas Besonderes hinzu: die Weissagung soll nicht in gewöhnlicher Weise, sondern in besonders großem und eindrücklichem Format geschrieben werden, damit man sie weithin lesen könne. Denn je kleiner und undeutlicher eine Schrift ist, desto unbequemer lässt sie sich lesen. Auf die leichte Lesbarkeit deutet auch der Ausdruck, dass Jesaja mit Menschengriffel schreiben soll, so nämlich, dass es auch der geringste und ungeübteste Mensch aus dem Volk lesen kann.
Raubebald, Eilebeute. Diese zusammengefasste Kürze wirkt viel nachdrücklicher als eine lange Predigt. Diese zwei mal zwei Worte konnte jedermann nach Hause tragen und in ihnen die Schnelligkeit des Zornes Gottes erkennen. Es musste ihm Gottes Gericht, das ihm gleichsam mit dem Finger gezeigt ward, tief ins Herz dringen. Endlich wollte der Herr die Sache lieber mit einem Zeichen darstellen, als mit Worten davon handeln, weil zum Streiten keine Zeit war. Die Rache, welche die Propheten so oft vergeblich angedroht hatten, stellt er an einem sichtbaren Beispiel vor Augen, damit sie tiefer in die Herzen dringe und dem Gedächtnis sich einpräge. So oft man die Worte hörte „Raubebald, Eilebeute“, sollte man die Zerstörung Israels und Syriens gedenken und derselben vergewissert werden. Da der Prophet im nächsten Kapitel die Ankunft Christi weissagt, deuten viele Ausleger auch unsere Stelle darauf: Christus solle in göttlicher Kraft kommen, um den Fürsten der Welt zu berauben und somit eilig seine Beute zu machen. Obgleich solche Spitzfindigkeiten manchem gefallen, passen sie doch durchaus nicht in den Zusammenhang. Dieser zeigt vielmehr ganz klar, dass hier nichts Neues gebracht, sondern das Vorangehende bestätigt wird.
V. 2. Und ich nahm mir zwei treue Zeugen. Da es sich um eine hochwichtige Sache handelte, zieht der Prophet Zeugen bei, wie man es bei bedeutsamen Geschäften zu tun pflegt. Als „treu“ bezeichnet er dieselben, weil sie zu diesem bestimmten Geschäft geeignet und zuverlässig sind. Dennoch war einer derselben ein gottloser und nichtswürdiger Abtrünniger, welcher seinem Könige zu Gefallen einen Altar aufrichtete, wie er ähnlich in Damaskus war, womit er dem gottlosen Wesen und verderbten Gottesdienst offen beipflichtete. Manche Ausleger sind freilich anderer Ansicht: aber wer die zusammenstimmende Zeit erwägt, wird hier doch an den Uria denken, der nach dem Bericht der heiligen Geschichte sich der Gottlosigkeit und Laune des Königs knechtisch anbequemte (2. Kön. 16, 10). Dagegen spricht auch nicht, dass Jesaja ihn hier als einen treuen Zeugen bezeichnet. Denn dies soll kein Urteil über seine menschlichen Eigenschaften sein, sondern lediglich aussprechen, dass er nach seiner amtlichen Stellung für ein solches Zeugnis geeignet war. Es wird eben diese Weissagung an die Türen des Tempels geheftet worden sein, wobei Uria und Sacharja als Zeugen dienen mussten.
V. 3. Und ich ging zu der Prophetin usw. Was nun folgt, wird der Prophet in einer Vision erlebt haben, welche die voran stehende Weissagung bekräftigen sollte. Es war dem Jesaja, als verkehre er mit seinem Eheweibe, sodass dasselbe einen Sohn gebar, welchem der entsprechende Name gegeben werden musste. Gewiss hätte es auch nichts Ungereimtes, an eine wirkliche Tatsache zu denken; und ich will gegen Ausleger, die eine solche annehmen, nicht streiten. Aber es ist doch nicht wahrscheinlich, dass irgendein Mensch diesen Namen empfing, und wir haben dafür auch sonst kein Zeugnis. Darum denke ich lieber an eine bekräftigende Vision. Dabei nennt Jesaja sein Weib eine „Prophetin“, nicht in dem Sinne, wie die Gattin eines Königs um der Ehre willen als Königin bezeichnet wird, sondern weil sie in dieser Vision selbst eine öffentliche Rolle spielte. Ohne Zweifel wollte er die Gemüter der Frommen absichtlich von der Lust des Geschlechtsverkehrs ablenken und auf ein heiliges Geheimnis hinweisen. Denn obgleich es an sich gewiss ein erlaubtes Ding ist, im Ehestande auf Kinder bedacht zu sein, so lehrt doch schon die natürliche Scheu, derartige Dinge nicht aus dem Winkel an die Öffentlichkeit zu ziehen.
V. 4. Denn ehe ein Knabe rufen kann usw. Dies ist die Auslegung sowohl der rätselhaften Inschrift als auch der beigefügten Vision. Die kurz zusammengefasste Rede Gottes musste doch von ihrer Dunkelheit befreit werden. Ich übersetze nicht: der Knabe, - wobei an den Sohn der Prophetin zu denken wäre, sondern „ein Knabe“, wobei, wie bereits dargelegt (zu 7, 16), an alle Knaben gedacht werden soll, die in der nächsten Zeit geboren wurden. Ehe dieselben heranwachsen, werden nach dem Wort des Propheten die beiden Könige von Israel und Samaria vernichtet sein.
Durch den König zu Assyrien. Wörtlich wäre zu übersetzen: vor dem König zu Assyrien. Das ist eine Anspielung an die im Altertum herrschende Sitte der Triumphatoren, vor deren Wagen die den Feinden abgenommene Beute hergetragen wurde. So soll die Ausbeute von Damaskus und Samaria vor dem Könige zu Assyrien hergetragen werden. Hier wird vollends deutlich, dass der Prophet nichts anderes will, als die Verwüstung der Reiche Israel und Syrien verkünden. Damit will er die Frommen trösten, zugleich aber über die törichte Furcht des gottlosen Königs spotten, der sich vom Herrn nicht helfen lassen wollte. Hatte er doch nicht allein die Verheißungen, sondern auch das angebotene Zeichen zurückgewiesen. So tadelt der Prophet immer eindringlicher seinen und des ganzen Volkes Unglauben: du zwar willst durchaus nicht glauben, der Herr aber wird den Seinen gegenwärtig sein; binnen kurzem wirst du plötzliche und unverhoffte Änderungen sehen, durch welche der Herr sein Volk befreien wird. Allerdings gilt die Rede des Propheten weniger dem Könige, als den frommen Leuten. Wir sehen daraus, dass die Rede der Knechte Gottes nicht immer Glauben bei den Hörern gewinnt. Denn Jesaja redet ja hier die Gottlosen an, bei denen er auf keine Weise etwas erreicht. Warum also redet er überhaupt zu ihnen? Um sie mehr und mehr ihres Unglaubens zu überführen und ihnen denselben vorzuwerfen, des Weiteren auch, um Gottes Güte in ein helles Licht zu setzen. Denn wer hätte nicht annehmen müssen, dass eine so ungeheure Gottlosigkeit dem göttlichen Erbarmen jeglichen Weg verschließen werde? Des Herrn Güte aber ist viel mächtiger, als die Sünde des Königs und des Volks. Dies also betreibt der Prophet, dass er zeigt, wie Gott immer sich gleich bleibt, wie sehr er auch den Gottlosen ihre Widerspenstigkeit vorwerfen muss.
V. 6. Weil dies Volk verachtet das Wasser zu Siloah usw. Damit Ahas sich nicht etwa durch einen nichtigen Trost einschläfern lasse, bricht der Prophet jetzt seine Rede über die Rettung der Frommen ab und droht den Ungläubigen wiederum Strafe an. Manche Ausleger lassen ihn hier zu einer besonderen Gruppe reden, die sich nach einer politischen Umwälzung sehnte. So geschieht es ja oft, dass die Volksmasse mit dem gegenwärtigen Zustande nicht zufrieden ist und einen neuen König haben will. Es geht solchen Leuten wie einem Kranken, der von einer Ortsveränderung Besserung erhofft. So verkehrt ist der menschliche Wille, dass, wenn die Sachen nicht nach Wunsch gehen, man begierig nach einer äußeren Umwälzung ausschaut und in ihr eine Erleichterung zu finden hofft. Dennoch glaube ich, dass die Absicht des Propheten weiter reicht und dass er sich keineswegs nur auf die Leute beschränkt, die eine Veränderung wünschten. Seine Rede ergeht ganz allgemein an alle Stände. Denn Unfrömmigkeit und Verachtung Gottes war überall eingerissen. So ergehen des Propheten Worte nicht über einige wenige oder eine begrenzte Gruppe, sondern über die Volksgesamtheit. Ausgenommen sind nur, wie ich zugebe, wenige Knechte Gottes, derer im Folgenden gedacht werden wird: dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Prophet hier wider das Volk als Ganzes losfährt. Denn da fast alle verderbt waren, tadelt er sie mit Recht insgesamt. Dies aber war der Fehler, dass das Volk ob seiner eigenen Dürftigkeit verzagte und größere Mittel sowie größeren Schutz begehrte. Dass die Juden ihre Lage als verächtlich ansahen und sie ihnen zum Überdruss wurde, drückt er so aus, dass sie das Wasser Siloah verachten. Und er fährt fort: und tröstet sich des Rezin usw. Noch genauer ließe sich vielleicht übersetzen, dass das Volk an Rezin Freude hat. Die Meinung ist, dass die Juden, die sich nur mit geringen Schutzmitteln ausgerüstet sahen, ihren Blick anderswohin richteten und die Schätze des Reiches Israel zu besitzen wünschten. Indem sie ihre geringe Zahl und Dürftigkeit anschauten, zitterten sie, setzten aber kein Vertrauen auf Gott, sondern allein auf äußere Hilfsmittel. Sie wähnten ganz sicher sein zu können, wenn ihnen nur ein so mächtiger König zuteil würde, wie dem Reich Israel. In diesem Sinne trösteten sie sich fremder Reichtümer oder der Sehnsucht nach ihnen.
V. 7. Siehe, so wird der Herr usw. Die Bilder, deren der Prophet sich bedient, sind bemerkenswert. Diese Redeweise ist viel feiner, als wenn es etwa einfach hieße: weil das Volk mit seiner Lage nicht zufrieden ist und nach fremdem Reichtum ausschaut, so will ich ihm zeigen, wie es zugeht, wenn man einen mächtigen König besitzt. Wenn z. B. irgendein kleines Volk, das einem unbekannten kleinen Könige unterworfen ist, mächtige Nachbarn hätte, über welche ein hochberühmter König regiert, und nun sagen wollte: Wie viel ehrenvoller ist es doch, jenem glänzenden König oder Kaiser zu gehorchen, dessen Macht unbesieglich ist, - sollte Gott solche Begehrlichkeit nicht mit Recht strafen? Denn je mächtiger Könige sind, desto härter drücken sie ihr Volk; sie erlauben sich alles und schalten nach Willkür. Sie kennen keine Grenze ihrer Macht, und mit ihren Kräften wächst ihre Laune. Solch ungesundes Begehren tadelt der Herr an den Juden: sie sind mit ihrer Lage durchaus nicht zufrieden und schauen nun nicht auf ihn, sondern auf die Mittel mächtiger Könige. Besonders eindrücklich ist es, dass der Prophet diesen Tadel bildlich einkleidet. Was Wasser Siloah war ein kleiner Quell, aus welchem ein sanftes Bächlein mitten durch Jerusalem floss. Wie dieses kleine Flüsschen keine große Bedeutung hatte, so warfen die Juden ihr Vertrauen weg und wünschten sich jene stattlichen Flüsse, welche den Städten zum Schutz dienen und sie reich zu machen pflegen. Denn nichts hebt eine Gegend mehr und bringt sie schneller zum Wohlstand, als große und schiffbare Flüsse, auf denen allerlei Waren bequem aus- und eingeführt werden können. Der Prophet vergleicht also den Euphrat, den berühmtesten Fluss des ganzen Morgenlandes, mit dem Wasser Siloah. Und er fährt in demselben Bilde fort, indem er unter den reißenden Wassern jenes Stroms die Assyrer versteht, die ganz Juda zerstören und wie eine gewaltige Flut verwüsten sollten. Der Herr spricht: Ich will ihnen zeigen, was es heißt, solch reißende und gewaltige Gewässer begehren.
Dass sie über alle ihre Bette fahren. Eine sehr bemerkenswerte Stelle! Ist uns doch allen der Missglaube angeboren, sodass wir den Mut verlieren, wenn wir uns von menschlichen Hilfsmitteln verlassen sehen. Bei allen Verheißungen des Herrn vermögen wir uns doch auf keine Weise zu fassen und zu sammeln: wir richten unser Auge auf unsre Nacktheit; so werden wir niedergeschlagen und haften an unsrer Furcht. So gilt es, ein Heilmittel wider diesen Fehler zu suchen. Das Wasser Siloah, d. h. unsre Berufung und das uns von Gott zugewiesene Los samt seiner Verheißung soll uns zum Schutz dienen, obgleich wir die Sache selbst noch nicht mit Augen sehen: was wir daran haben, wollen wir der höchsten Macht aller Könige vorziehen. Denn wenn wir auf menschliche Hilfe uns verlassen und unsere Kraft in großem Reichtum und der Macht des Geldes suchen, wartet unser die Strafe, welche der Prophet hier androht. Dass diese Drohung erfüllt ward, bezeugt die heilige Geschichte: wer sie nachliest, bedarf hier nicht langer Auslegung. Die Assyrer, welche die Juden zu ihrer Hilfe herbeigerufen hatten, haben sie zugrunde gerichtet. Dass war die gerechte Strafe des Missglaubens: wir haben hieran ein eindrückliches Beispiel der verkehrten menschlichen Sinnesrichtung, die sich mit Gottes Verheißung und Hilfe nicht zufrieden geben will. So wollen wir aus dem traurigen Ausgang, den die Juden nahmen, für uns Nutzen ziehen. Die Kirche befindet ja sich fast immer in der Lage, dass sie menschlicher Stützen entbehren muss. Denn wären wir gar zu gut ausgerüstet, würden wir gegen unsre wirkliche Hilfe und Macht blind werden und unseres Gottes vergessen. Wir müssen uns in unserer dürftigen Lage fröhlich damit zufrieden geben, am Herrn allein zu hängen: die geringen und sanften Wasser sollen uns mehr wert sein, als die starken und reißenden Flüsse aller Völker; wir wollen nicht neidisch auf die große Macht der Gottlosen schauen. In eben diese Richtung weist, was im Psalm geschrieben steht (46, 5 ff.): „Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen; das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. Der Herr Zebaoth ist mit uns“ usw. Wollte jemand sagen, dass man menschliche Hilfsmittel doch nicht verachten darf, so ist die Antwort leicht; der Prophet verurteilt nicht sie, sondern jene sündhafte Furcht, die uns in Missglauben und Zittern fallen lässt, sodass keine Verheißung Gottes uns in den rechten Schranken hält. Wir sollten aber dem Herrn die Ehre geben, dass wir mit ihm allein zufrieden bleiben, wenn auch sonst alles fehlt, - sobald wir nur gewiss sind, dass er gegenwärtig ist. Dann macht es wenig aus, ob wir äußere Hilfsmittel haben oder nicht. Haben wir sie, so mögen wir sie frei gebrauchen. Haben wir sie nicht, so wollen wir sie mit Gleichmut entbehren und an unserem Gott genug haben, statt aller Dinge. Denn er kann seine Verheißungen durch sich allein erfüllen und bedarf keiner äußeren Stützen. Nur müssen wir uns ganz seiner Hand und Hut anvertrauen.
V. 8. Und werden einreißen usw. Das Wort bedeutet sonst „hinübergehen“. Die Meinung ist also, dass die Wasser Juda nicht bloß bespülen, sondern es ganz überfluten und zerreißen werden. Sie werden sich weit und breit in alle Gegenden ergießen. Der Prophet fügt hinzu: bis dass sie an den Hals reichen. Dies Bild stellt uns einen Menschen vor Augen, der in einen Fluss hineingeht und Schritt für Schritt tiefer kommt, bis das Wasser ihm an den Hals steigt. So wird Juda von jenem reißenden Strom, das ist den Assyrern, überschwemmt werden, sodass es bis zum Halse versinken muss. Der Prophet denkt dabei an Jerusalem, das Haupt und den erhabensten Ort der ganzen Gegend: als die Assyrer bis dahin kamen, war Juda nicht mehr weit vom Untergang entfernt.
Dass sie dein Land, o Immanuel, füllen usw. Noch immer bewegt sich die Weissagung im gleichen Bilde und zeigt, wie gewaltsam der assyrische Angriff sein wird. So breiten sich reißende Ströme, die ihre Riegel zerbrechen und über ihre Ufer treten, weit und breit aus und verwüsten alles mit ihrer Gewalt. Denn noch immer setzt der Prophet seine Predigt wider Juda fort, die er in den beiden letzten Versen begonnen hat. Nachdem er den Reichen Israel und Syrien den Untergang angekündigt, droht er anderseits auch den Juden die Strafe für ihren Missglauben an. Wollen wir dies klar erkennen, so gilt es, auf den überaus schönen und wohl gefügten Zusammenhang der Rede zu achten. Dieselbe bewegte sich zuvor in anderer Richtung (7, 14): weil Ahas dessen unwürdig war, wird der Herr euch ein Zeichen geben. Darnach wird die Weise der Rettung Jerusalems angegeben: plötzliche Veränderungen sollten über Syrien und Samaria kommen. Diese Ankündigung wurde im Anfang unseres Kapitels durch einen Auftrag Gottes und eine Vision bekräftigt. Jetzt aber wendet sich der Prophet an die Juden selbst: sie sollen nicht wähnen, ungestraft zu entkommen, und sich nicht wegen de Untergangs der Feinde gar zu sehr erheben. Der Prophet will einprägen, dass auch ihnen ihr Lohn bereitliegt, nämlich die Strafe für ihre Gottlosigkeit und Untreue: haben sie doch den Herrn verachtet und wollten nicht mit seinen Verheißungen, Zeichen und Wohltaten, die ihnen reichlich und freundlich geboten wurden, sich ruhig zufrieden geben. Man fragt, warum der Prophet seine Rede an Christus richtet, statt einfach von Gottes heiligem Lande zu reden. Denn unter dem Namen „Immanuel“ versteht er ohne Zweifel Christum. Man könnte nun glauben, dass er so rede, um die Unwürdigkeit dieses Zustandes herauszuheben. Juda war nicht bloß Gott dem Herrn geheiligt, sondern hatte ihn auch in der Person des Mittlers als Hüter seines Heils bei sich: so war es unwürdig, dass es von einem gottlosen König verwüstet wurde. Ich glaube doch lieber, dass der Prophet den Namen beifügte, um den Guten noch etwas Hoffnung übrig zu lassen und sie in dem großen Unglück zu trösten. Denn sie hätten bei der grausamen Verwüstung und Ausraubung des Landes leicht den Mut verlieren können. Der Prophet verkündigt also, dass diese Verwüstung das Erscheinen des vorgenannten Erlösers nicht hindern werde. Seine Meinung ist etwa die: Trotz allem wird das Land dein sein, o Immanuel! Du wirst in demselben Sitz und Wohnung haben. So spricht der Prophet einen Trost aus: man soll wissen, dass das Land trotz seiner Verwüstung mehr dem Herrn als Menschen gehört. Besonders eindrücklich ist die Anrede: mit ihr fleht der Prophet die treue Fürsorge des Erlösers an, dass er dem schrecklichen Unglück ein Ziel setze.
V. 9. Seid böse, ihr Völker usw. Dass hier die Ratschläge und Unternehmungen beschrieben werden, mit welchen die Feinde sich zur Vernichtung der Gottesgemeinde rüsteten, geht daraus hervor, dass der Prophet alsbald hinzufügt und noch einmal wiederholt: „Rüstet euch“, ferner: „Beschließet einen Rat.“ Der Prophet erhebt sich aber zu guter Zuversicht, nachdem er Immanuel gedacht hat, das ist des Gottes, der den Seinen gegenwärtig war. Er fasst neue Hoffnung gegenüber den Feinden. Mochten sie nach Verwüstung des Landes ihr Ziel erreicht zu haben glauben, so wird Gott doch Sieger sein und die Seinen gegen die rauen Feinde schützen. Darum wendet der Prophet seinen Blick von jener Niederlage weg und auf Christum hin: durch sein Anschauen richtet er sich auf, sodass er nun wagt, gleichwie ein Sieger über die Feinde zu spotten. Er steht gleichsam auf einer hohen Warte, von welcher er die Niederlage des Volks und die siegreichen Assyrer erblickt, wie sie hochmütig frohlocken: aber nachdem ihn Christi Name und Anblick erquickt, vergisst er alles Übel, als hätte er nichts davon erlitten; von allem Elend befreit, erhebt er sich kühn wider die Feinde, die der Herr alsbald vernichten wird. Dies wollen wir uns wohl einprägen: wenn wir heute in den Kämpfen, welche die Kirche zu erdulden hat, und deren Last uns fast erdrückt, mit den gleichen Versuchungen ringen müssen, so wollen wir stracks auf Christum schauen, dessen Anblick uns die Kraft gibt, uns wider den Satan und alle Feinde zu rühmen.
Aber warum redet der Prophet „Völker“ an, da doch allein der König von Assyrien Juda verwüsten sollte? Ich antworte, dass sein Heer aus verschiedenen Völkern zusammengesetzt war. Er hatte die Chaldäer und viele andere Völker unterjocht: so bestand sein Reich aus mancherlei Nationen. Außerdem konnte der Prophet an die Stämme des Reiches Israel, an die Syrer und Ägypter und alle anderen Feinde denken, die sich jemals gegen die Gemeinde Gottes erhoben hatten. Denn er spricht nicht von einer einzigen Anfechtung der Gemeinde, sondern von den fortwährenden Kämpfen, welche das auserwählte Volk immer wieder zu bestehen hatte. Um aber die Gedanken des Propheten besser zu verstehen, müssen wir den folgenden Vers hinzunehmen, der mit den Worten schließt: denn Gott ist mit uns. Mögen die Menschen sich verschwören, alles in Bewegung setzen, Pläne machen und beschließen, sie werden nichts ausrichten können, weil es wider den Herrn keinen Rat gibt. Von diesem Fundament müssen wir den Ausgang nehmen, wenn wir überhaupt feststehen wollen. Freilich fragt sich, ob jedermann sich dieses Namens rühmen darf. Auch die Gottlosen prahlen, dass Gott mit ihnen sei, und scheuen sich nicht, in seinem Namen frechen Hochmut zu beweisen. Aber ihr Rühmen ist hohl und leer. Der hohe Mut der Frommen aber stützt sich auf Gottes Wort und fließt aus wahrem Glauben: wenn der in unserm Herzen wohnt, können wir aller Feinde spotten. Das lehrt auch Paulus, dessen Worte die Frommen ermutigen (Röm. 8, 31): „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Vor allen Dingen also muss Gott auf unserer Seite stehen, was nur der Fall ist, wenn wir seine Verheißungen im Glauben umfassen. Haben wir diesen Glauben, so rühmen wir uns nicht vergeblich. Dass aber der Prophet ein so weit entferntes Volk anredet, zu welchem sein Wort nicht gelangen konnte, ist nicht ohne Grund: auch die Ungläubigen sollten einen Eindruck von der Wirkungskraft des Wortes empfangen und wissen, dass die Assyrer mit all ihrer Zurüstung gezügelt werden sollten, wenn sie auch noch so weit entfernt waren. Die Meinung ist etwa die: Ihr freilich verachtet den Herrn, aber er vermag mit Leichtigkeit euch fernzuhalten und alle eure Wut zu dämpfen.
Rüstet euch. Die Wiederholung ist nicht überflüssig. Denn es ist weit schwieriger, noch einmal auf eine Hilfe Gottes zu hoffen, nachdem wir schon einmal befreit sind, als die Verheißung einer einzigen Errettung zu ergreifen. Mögen uns auch die ersten Angriffe der Feinde nicht übermäßig erschrecken, so macht ihre Härte uns doch schwach, wenn wir sehen, wie sie in ihrer Bosheit hartnäckig fortfahren. Dies erfahren wir selbst täglich. Denn wenn irgendeine Gefahr droht, können wir freilich auf Hilfe vom Herrn warten; wenn wir aber in neue Gefahr kommen, beginnen wir zu wanken: unsere Undankbarkeit ist so groß, dass wir kaum glauben, Gott werde uns zum zweiten Male beistehen. Wir brechen zusammen, wenn wir immer neue Gefahren erdulden müssen, und bedenken nicht, dass Gott niemals müde wird, wohl zu tun und Hilfe zu spenden. Dieser menschlichen Gebrechlichkeit wollte Jesaja begegnen, damit wir unbesiegt feststehen, auch wenn wohl gerüstete Feinde uns wiederholt angreifen. Wir sollen uns nicht niederbeugen lassen, auch wenn sie nach ihrer Überwindung neue Kraft sammeln und nicht aufhören uns zu reizen. Denn Gott wird morgen und übermorgen und so oft sie eine neue Verschwörung machen, imstande sein, sie zu zerschmeißen und zu vernichten. Wir werden hier erinnert, dass wir in einer Lage sind, in der wir uns ständig auf neue Kämpfe rüsten müssen. Wir sollen nicht meinen, überwunden zu haben, wenn wir einmal standhielten. Denn Satan setzt sein Treiben immer fort und ist ständig auf unser Verderben bedacht: er reizt die Seinen und gießt ihnen neue Kampfbegier ein. Aber wenn auch immer neue Kämpfe nötig werden, sind wir doch des Sieges gewiss, Darum sollen wir mutig kämpfen und tapfer in der Reihe stehen.
V. 10. Beschließet einen Rat usw. Nachdem der Prophet von den Kräften der Feinde gehandelt, wendet er sich zu ihren Ratschlüssen. Er will etwa sagen: Wenn auch die Feinde nicht allein Waffen und Kraft, sondern auch Rat und Klugheit besitzen, sollen sie doch nichts ausrichten. Diese Erinnerung war sehr nötig. Denn oft dürfen wir mächtige und wohl gerüstete Feinde verachten, weil sie keine Umsicht haben und mehr durch blinde Wut als Vernunft sich leiten lassen. Der Prophet erinnert also, dass die Verschlagenheit der Feinde und alle ihre Kunst, mit der sie Gottes Volk umgeben wollen, vergeblich sein wird. Sie werden nichts ausrichten, auch wenn nichts ihnen fehlt und sie mit allen Mitteln, Rat und Schlauheit reichlich gerüstet sind.
Beredet euch usw. Was sie bereden und beschließen, soll alles in Rauch aufgehen. So wird klar, was der Prophet sagen wollte und wie wir seine Worte anwenden müssen. Sie sind uns wie ein Schild, mit dem wir alle Schrecken der Feinde abwehren können, - mögen sie noch so viel Reichtum, Mittel, Macht und Ansehen, dazu Klugheit, Rat, Schlauheit, Einsicht und Geschicklichkeit, endlich auch die größte Kühnheit haben. Denn wenn Gott mit uns ist, ist die größte Tapferkeit und beste Rüstung auf unserer Seite. Alles, was die Feinde bewegen und beschließen, wird gänzlich zunichte werden. Den Grund, welchen der Prophet hinzufügt, haben wir bereits erläutert (7, 14): denn „Gott ist mit uns“. Ohne Zweifel spielt der Prophet damit auf den Namen Immanuel an, d. h. Gott mit uns, den er zuvor Christo beilegte. Gewiss besagen seine Worte, dass Gott den Seinen beisteht; weil aber die bloße Majestät Gottes nicht zureichen würde uns aufzurichten, betrachtet der Prophet Gott in der Person des Mittlers, in welchem allein er uns seine Gegenwart verheißt.
V. 11. Denn so sprach der Herr zu mir usw. Jetzt kämpft der Prophet gegen eine andere Art von Versuchung, nämlich gegen den Unglauben des Volks. Damit dies deutlicher werde, wollen wir darauf achten, dass hauptsächlich zwei Versuchungen sich erhoben, die eine von außen, die andere von innen. Die äußere kam von den erklärten Feinden, insbesondere von den Assyrern: wenn das Volk deren räuberisches und raues Auftreten anschaute, welches alles schon überschüttet hatte, hielt es sich für ganz verloren. Die von innen kommende Versuchung bestand darin, dass jenes heilige Volk, welches sich der göttlichen Erwählung rühmte, sich vielmehr auf die Hilfe von Menschen als Gottes stützte. Diese Versuchung war die gefährlichste. Denn das Volk schien durch seinen Unglauben den Verheißungen Gottes den Zugang zu verschließen, die ihm täglich angeboten wurden und ständig in seinen Ohren klangen. Und was konnte in solch verzweifelter Lage der Prophet anders annehmen, als dass diesem verkehrten Volk, welches nicht aufhörte, Gottes Gnade böswillig zu verschmähen, ein naher Untergang bevorstünde? Darum will der Herr den Propheten und seine Jünger gegen derartige Versuchungen wappnen.
Da seine Hand über mich kam, buchstäblich: da seine Hand mich ergriff. Das ist eine feine Anspielung an das Verfahren eines Vaters oder Lehrers, der mit Worten nicht genug ausrichtet und nun den Sohn oder Schüler mit der Hand festhält und zum Gehorsam zwingt. So hält der Herr seine Diener, die zuweilen alles wegwerfen wollen, weil sie ihre Mühe vergeblich aufzuwenden scheinen, gleichsam mit der Hand fest, damit sie in ihrer Pflicht beharren. Dass dies höchst notwendig ist, weiß und erfährt ein jeder, der dem Herrn treulich dient. Denn eine schwerere Versuchung gibt es nicht, als wenn die Leute, in denen der Glaube hätte Wurzel fassen müssen, abfallen, ja wenn der Glaube aus der Welt zu verschwinden scheint. So ist dieses Zugreifen der Hand Gottes sehr nötig, weil wir nicht allein gar zu wankelmütig und flatterhaft sind, sondern auch von Natur mehr als billig zum Bösen geneigt, auch wenn noch niemand uns auf falsche Wege treibt. Wenn aber vollends der Zwang böser Gewohnheit uns treibt, verlieren wir ganz die Macht über uns. Darum wird der Prophet unterwiesen, dass er nicht sollte wandeln auf dem Wege dieses Volks. Wir würden in jedem Augenblick auf und nieder gewirbelt werden, wenn nicht die starke Herrschaft Gottes uns hielte und wir nun einen festen Anker in Felsengrund senken könnten. Möge sich ein jeglicher diesen Gedanken fest einprägen. Denn im entscheidenden Augenblick pflegen wir umzufallen und mehr auf Menschen als auf Gott zu schauen. Darum müssen wir diese Belehrung mit höchstem Eifer ergreifen und Gott bitten, dass er uns nicht bloß mit seinem Wort, sondern auch mit seiner Hand festhalte. Wir müssen uns vorstellen, wie geneigt wir zu sündhafter Nachahmung sind. Böse Beispiele ziehen uns nur zu stark an, und wir halten sie für ein Gesetz: worin andere uns vorangehen, das betrachten wir auch für uns als erlaubt, namentlich wenn nicht bloß einer oder der andere so handelt, sondern eine allgemeine Gewohnheit eingerissen ist. Was man an sich für sündhaft halten würde, empfängt durch die allgemeine Zustimmung eine verhüllende Decke; ein heftiger Windwirbel reißt alle in die verbreitete Sitte hinein, - gleich als wäre das Volk berechtigt, nach Belieben seine verderbten Gewohnheiten als ein Gesetz aufzurichten. Dies war ein Fehler nicht nur der damaligen Zeit, auch heute hat überall das gleiche Wesen überhand genommen. Durch die Verderbnis der Natur ist bei jedem Menschen das Übel eingewurzelt, dass er einen allgemeinen Irrtum als Gesetz annimmt. Daher stammt der Aberglaube aller Zeiten, wie er auch heute im Papsttum im Schwange geht. Forscht man nach seinem Grunde, so wird man finden, dass immer wieder einer den andern in den Irrtum hineinzog; so haben sich alle leichthin in Satans Schlingen fangen lassen, und die Hauptstütze aller solcher Dinge bildet die öffentliche Meinung. Jedermann verteidigt sich mit der Waffe: Wir stehen nicht allein, sondern folgen der gewaltigen Überzahl.
V. 12. Ihr sollt nicht sagen: Bund. Hier wollen wir zunächst den Zustand des Volkes, wie er damals war, ins Auge fassen: man glaubte sich mit nur geringen Hilfsmitteln ausgerüstet und darum unfähig, einen Krieg gegen so mächtige Feinde auszuhalten. So sehnte man sich nach fremder Hilfe und wünschte sie heftig herbei: Man hielt sich für ganz verloren, wenn man nicht solche Hilfe gefunden hätte. Einige Ausleger denken freilich an den Bund, den die Könige von Israel und von Syrien unter sich geschlossen hatten, sodass man sich zugerufen hätte: Siehe, deine Feinde haben sich wieder dich verschworen. Doch wird der Hinweis auf den Bund vielmehr auf die Gemeinschaft bezogen werden müssen, welche die ungläubige Masse mit dem Assyrer einzugehen wünschte. Der Herr mahnt also den Propheten, er möge auf die Beschlüsse der Gottlosen keine Rücksicht nehmen, auch wenn das ganze Volk um die Wette sich daran hängte: Lasst euch nicht irre machen, wenn eure Volksgenossen täglich von solche unerlaubtem Bund eifrig reden, und stimmet ihnen nicht zu! Übrigens wird nicht bloß der Prophet angeredet und ihm die Lehre gegeben, dass er sich nicht durch das allgemeine Beispiel vom Glauben abwenden lasse, es heißt in der Mehrzahl: Ihr sollt nicht sagen. Es werden also die Frommen insgesamt angeredet, an deren Spitze er steht.
Fürchtet euch nicht also, wie sie tun. Hier wird der Quell aufgedeckt, aus welchem die beunruhigenden und irrenden Ratschlüsse der Menschen entspringen: der Schrecken hat ihr Gemüt derartig erfüllt, dass sie maßlos und gewaltsam umgetrieben werden. Nur darum wünschten die Juden so heftig, sich mit den Assyrern zu verbünden, weil sie in maßloser Angst auf andere Rettung nicht glaubten hoffen zu können, und weil die blinde Furcht sie die Hilfe des Herrn nicht sehen ließ. Gewiss stand nun Frommen wie Unfrommen dieselbe Ursache zur Furcht vor Augen: aber sie fürchteten sich nicht alle in gleicher Weise. Die Frommen sammelten ihr Gemüt, weil sie wussten, dass ihre Rettung dem Herrn am Herzen lag: sie rüsteten sich mit Gottes Verheißung und stärkten ihren Mut, so oft sie des Namens Immanuel gedachten. Die Gottlosen dagegen ließen sich vom Schrecken besiegen und dachten an nichts anderes als an die Hilfe der Assyrer: dass Gott helfen könne, glaubten sie nicht und wandten sich nicht zu ihm. Gewiss will der Herr den Frommen nicht jegliche Furcht verbieten, der man ja nicht entgehen kann: aber er heißt sie jene übermäßige Furcht niederkämpfen, von der die Gottlosen sich verschlingen lassen. Wir wollen also nicht nach ihrer Weise hierhin und dorthin ausschauen, noch uns unbesonnen treiben lassen, unerlaubte Hilfe zu suchen; wir wollen vor allem darnach streben, dass die Furcht uns nicht das Urteil raube. Gegen dieses Übel ist das einzige Heilmittel, dass wir uns durch Gottes Wort in Zucht halten: so gewinnt unsere Seele unerschütterliche Ruhe. Indem wir nun den Zustand jenes Volkes mit dem unsrigen vergleichen, wollen wir lernen, zum Namen Gottes unsere Zuflucht nehmen, der uns zur unbesieglichen Burg dienen wird. Dass übrigens der Herr den Propheten nicht allein anredet, erkennen wir hier noch einmal aus der Mehrheitsform: Fürchtet euch nicht usw. Petrus entnimmt daraus eine allgemeine Lehre (1. Petr. 3, 14), dass wir uns mit der Furcht der Gottlosen nicht fürchten, sondern alle Zuversicht auf Gott setzen sollen; unsere Augen sollen ständig auf ihn gerichtet sein, damit wir feststehen, auch wenn Himmel und Erde durcheinander gewirbelt werden. War diese Mahnung des Petrus einst nötig, so ist sie es heute noch viel mehr. Denn wir sehen, wie in schrecklicher Verwirrung alles umgewälzt wird. Damit wir also nicht irrewerden, warnt uns der Herr, nicht auf Menschen zu blicken, sondern uns an sein Wort zu halten, damit wir feste Tritte tun. Petrus verändert allerdings den Wortlaut, indem er die Gläubigen ermahnt, dass sie sich vor dem Drohen und Trotzen der Feinde nicht fürchten sollen. Jesaja dagegen tadelt eine Furcht, welche die Juden zu unheiligen Bündnissen treibt. Da aber Petrus nicht die Absicht hatte, unsere Stelle zu erklären oder auch nur ausdrücklich zu zitieren, sondern lediglich auf sie anspielen wollte, brauchen wir uns an dieser Abweichung nicht zu stoßen.
V. 13. Heiliget den Herrn Zebaoth. Wir erkannten als die Ursache maßloser Verwirrung bei drohender Gefahr, dass die unglücklichen Menschen Auge und Herz nicht zu Gott empor heben. Darum bietet der Prophet jetzt ein nützliches Heilmittel zur Mäßigung der Furcht: wer sich vor drohendem Unheil fürchtet, soll lernen, dem Herrn die schuldige Ehre geben. Denn dass man den Herrn der Heerscharen heiligt, will besagen, dass man seine Kraft hoch erhebt. Wir sollen daran gedenken, dass er die Fäden des Weltregiments in der Hand hält, und dass Anfang und Ausgang alles Guten und Bösen in seinem Willen liegt. So folgt, dass man dem Herrn gleichsam seine Heiligkeit raubt, wenn man in verzweifelter Lage nicht geradewegs zu ihm seine Zuflucht nimmt. Darum eignet dieser Ausdrucksweise ein besonderes Gewicht: sie lehrt uns, dass wir dem Herrn keine größere Schmach antun können, als wenn wir uns von der Furcht überwinden lassen, - als wäre er nicht größer, denn alle Kreaturen, sodass der Ausgang aller Dinge in seiner Hand liegt. Wo wir dagegen im Vertrauen auf seine Hilfe durch siegreiche Glaubenszuversicht die Gefahren verachten, schmücken wir ihn in Wahrheit mit seiner rechtmäßigen Herrscherwürde. Wenn wir nicht die Überzeugung festhalten, dass er zahllose uns unbekannte Weisen uns zu retten in Bereitschaft hat, machen wir ihn zu einem toten Götzen. Mit Recht wird auch hinzugefügt, dass Gott selbst des Volkes Furcht und Schrecken sein soll. Man soll wissen, dass der gerechte und schuldige Lohn für die Sünde und Gottesverachtung kommen muss, wenn man so jämmerlich und ängstlich vor Gefahren zittert. Denn wenn auch der Prophet neben der Furcht den Schrecken nennt, so will er doch nicht, dass etwa die Juden bei Nennung des Namens Gottes zitternd die Flucht ergreifen, sondern er fordert einfach Ehrfurcht vor Gott, und um einzuprägen, wie beharrlich dieselbe sein muss, gebraucht er ein doppeltes Wort. Er will uns lehren, dass wir von aller Seelenangst los und frei sein werden, wenn ernste Gottesfurcht tief in unsrem Herzen wohnt und niemals daraus schwindet. Sicherlich wird ein Mensch, der sich ernstlich dem Herrn ergibt und, um sich in Zucht zu halten, ihn allein zu fürchten sich vornimmt, die Erfahrung machen, dass es keinen sicheren Hafen gibt, als seinen Schutz. Da aber die Gottlosen in zügellosem Übermut unaufhörlich des Herrn Zorn reizen, straft er ihre hochmütige Sicherheit in gerechter Weise, indem er ihr Herz durch beständige Unruhe quält.
V. 14. So wird er ein Heiligtum sein. Der Prophet verheißt den wahren Verehrern Gottes volle Seelenruhe, weil der Herr sie gleichsam mit seinen Fittichen deckt und alle ihre Ängste leicht stillen wird. Dabei spielt er auf den eben gebrauchten Ausdruck an, dass wir den Herrn heiligen sollen. Gott fordert nichts von uns, das er nicht vergelten wird: wer ihn heiligt, wird auch bei ihm eine heilige und rettende Zuflucht finden. Gewiss ist es verschieden, wie wir Gott heiligen und er uns. Und doch besteht ein Zusammenklang: wir heiligen ihn, wenn wir ihm allen Ruhm und Preis lassen und uns gänzlich von ihm abhängig machen. Er aber wird uns zum „Heiligtum“, wenn er uns vor allen Übeln schützt und bewahrt. Da nur wenige seinen Verheißungen gehorchten und sich an sie hängten, wollte der Prophet die Frommen gegen derartige Versuchungen wappnen. Bestand doch Gefahr, dass sie sich durch böse Beispiele wie im Sturm mit fortreißen ließen. Er will also sagen: Der Herr wird euer bester und treuester Hüter sein. Mögen andere sich an ihm stoßen, so dürft ihr euch doch nicht schrecken lassen. Verharret standhaft in eurem Beruf! Hier ist ein Gegensatz zwischen den Zeilen zu lesen. Gottes Heiligtum ist wie eine auf hohem Felsen erbaute Burg, ein Bollwerk, welches die Frommen deckt und schützt: dagegen muss es zur Überrumpelung und zum Verderben der Gottlosen dienen, die sich in ihrem Übermut am Herrn stoßen. Wir werden alsbald noch klarer sehen, wie dies teils zu Hiskias Zeiten, teils durch die babylonische Gefangenschaft erfüllt wurde. Zugleich aber ist hier Christus schattenhaft vorgebildet, der den Kindern Israel nicht zu einer Burg, sondern zu einem Anstoß werden sollte. An diesen Anstoß erinnert Jesaja im Voraus, damit die Frommen trotz allem in ihm Ruhe finden möchten.
Aber ein Stein des Anstoßens usw. Ganz unpassend verteilen jüdische Ausleger die Worte derartig, dass Gott den Kindern Israel teils ein Heiligtum, teils ein Anstoß werden solle: es werde an die zwei Häuser Israel erinnert, um zwischen den Frommen und den Ungläubigen einen Unterschied zu setzen. Die Meinung ist vielmehr die: mag fast die ganze Volksmasse beider Reiche den Frommen gegenüberstehen und dem Herrn die Gefolgschaft verweigern, so sollen doch sie nicht den Mut verlieren, sondern alle andern fahren lassen und hindurch brechen. Der Prophet hätte einfach sagen können: der Herr wird zu einem Anstoß für Israel werden. Aber er wollte es noch deutlicher ausdrücken und das ganze Volk umspannen: ihm soll der Herr zum Fall gereichen. Denn das Volk war in die zwei Reiche Ephraim und Juda geteilt: darum ist ausdrücklich von seinen zwei Häusern die Rede. Allerdings sollten einzelne Personen ausgenommen sein. Aber der Prophet spricht von dem gesamten Volkskörper. Eine hervorragende Stelle, an die man nicht genug denken kann, besonders in dieser Zeit, da wir die Religion in der ganzen christlichen Welt nahezu verfallen sehen! Viele rühmen sich des Christennamens, die dem Herrn sehr fern stehen und denen Christus ein Stein des Anstoßes ist. Die Papisten erheben sich frech und stolz in seinem Namen, während sie doch die ganze Anbetung Gottes mit Aberglauben entweihen und ihm Schande und Schmach antun. Unter denen aber, denen eine reinere Gottesverehrung wieder geschenkt ward, ergreifen nur sehr wenige das Evangelium mit aufrichtigem Herzen. Wohin wir also auch blicken, bieten sich uns die schwersten Versuchungen. Darum wollen wir immer an die überaus nützliche Erinnerung denken, dass es durchaus nichts Neues ist, wenn die große Mehrzahl derer, die sich der Zugehörigkeit zur Kirche rühmt, sich doch an Gott stößt. Inzwischen sollen wir treulich bei ihm ausharren, wenn wir auch noch so wenige sind.
Den Bürgern zu Jerusalem. Das ist eine weitere Steigerung. Nach den beiden Königreichen wird die Hauptstadt selbst genannt. Mochte das ganze Land verderbt sein, so schien es doch, dass dort der Herr seinen Sitz behalte. Darum erinnert der Prophet, dass der Herr nicht bloß dem gemeinen Volk zum Strick werden soll, das über die Dörfer und kleinen Städte zerstreut war, sondern gerade auch den Häuptern und Priestern zu Jerusalem, also in jener heiligen Wohnung, wo man vornehmlich das Gedächtnis des Namens Gottes pflegen sollte. Dies hat auch David bezeugt (Ps. 118, 22): gerade die Bauleute, die der Herr bestellt hatte, haben den Eck- und Grundstein verworfen. Auf diese Stelle beruft sich Christus den Juden gegenüber und zeigt, dass sie auf ihn zielt (Mt. 21, 42). Denn so geschah es zwar schon zu Zeiten des Jesaja, noch mehr aber zu Christi Zeit. Die Gottlosigkeit und der Abfall wuchsen allmählich, bis sie endlich den Gipfel erreichten. Hoch und niedrig, die immer schon sich frech wider Gott erhoben hatten, brachen jetzt in voller Zügellosigkeit wider ihn los. Damit war zugleich der Gipfel der Verstörung erreicht: sie wurden gänzlich von Gott verworfen, da sie seinen Sohn verleugnet hatten. Übrigens empfangen wir hier einen Beweis für Christi ewige Gottheit: Paulus (Röm. 9, 33) weist darauf hin, dass er der Gott ist, von dem der Prophet hier redet. Er spricht aber nicht von einem neu erfundenen Gott, sondern von dem, der Himmel und Erde gemacht und der sich Mose geoffenbart hatte. Es ist also derselbe Gott, von dem die Kirche immer regiert ward.
V. 15. Dass ihrer viel sich dran stoßen usw. Der Prophet setzt die begonnene Drohung wider die Gottlosen fort: wer nicht in Gott ausruhen will, wird nicht ungestraft ausgehen. Die Drohung ist aber diese: wenn sie sich am Herrn stoßen, sollen sie fallen; sodann sollen sie zerbrechen oder zerbrochen werden. Dies entspricht dem ersten Bilde (V. 14), da Gott mit einem Stein verglichen wurde. Daran spielt Christus an, indem er beide Glieder zusammen greift (Mt. 21, 44): „Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf welchen er aber fällt, den wird er zermalmen.“ Was nun folgt, dass die Ungläubigen verstrickt und gefangen werden sollen, entspricht dem zweiten Bilde, welches den Herrn mit einem Strick und einer Falle vergleicht. Die Gottlosen sollen nicht glauben, stärker und klüger zu sein als Gott: endlich werden sie zu ihrem Verderben erfahren, dass er ihnen an Kräften und Klugheit überlegen ist. So müssen sie notwendig zugrunde gehen: entweder werden sie sofort zermalmt oder sie verstricken sich derartig, dass sie nicht mehr loskommen. Auch die Frommen geht diese Drohung an: sie sollen unbedenklich die Gemeinschaft mit der Menge abbrechen und es tapfer verachten, dass man ihnen ihre Sonderstellung vorwirft. Übrigens ist, was hier von Gott gesagt wird, nicht ein Ausfluss seines eigentlichen Wesens, sondern sozusagen eine Nebenerscheinung. Gottes Wesen ist es, die Menschen bei sich zu bergen und ihnen einen festen Heilsgrund zu geben. Das hat man in Christo noch klarer gesehen und sieht es noch immer. Darum erklärt Petrus, dass unser Glaube keinen Anstoß daran zu nehmen braucht, und wir unsern Lauf nicht aufhalten lassen sollen, wenn auch noch so viele Ungläubige sich stoßen: denn für uns bleibt Christus der auserwählte und köstliche Stein (1. Petr. 2, 4).
V. 16. Binde zu das Zeugnis. Jetzt wendet sich der Herr an den Propheten und stärkt ihn, sein Amt furchtlos und treu auszurichten, wenn er auch gegen Abtrünnige und Aufrührer kämpfen muss. Dies war sehr nötig: denn Jesaja erfuhr im Volke großen Widerstand. Hätte er nur den gegenwärtigen Zustand angesehen, nämlich den Unglauben des Volks und sein eigenes vergebliches Bemühen, so hätte er sofort den Mut verlieren müssen. Darum wollte der Herr seine Berufung bekräftigen und versiegeln, nicht bloß um seiner selbst, sondern auch um aller derer willen, die seine Lehre gehorsam annahmen. Mochten noch so wenige den Worten des Propheten anhängen, so bezeugt doch der Herr, dass bei ihnen seine Lehre besiegelt ist: so ist kein Grund, dass der Prophet von seinem Lehramt und sie vom Gehorsam des Glaubens abstehen. Es wird hier die Lehre mit einem versiegelten Brief verglichen: ein solcher geht durch viele Hände und wird von vielen betastet, aber nur von wenigen gelesen und verstanden, nämlich von denen, an die er gerichtet ist und die er angeht. So wird auch das Wort Gottes von wenigen, nämlich den Auserwählten, angenommen, obgleich es allen insgemein vorgelegt wird. Für diejenigen ist also das Wort ein versiegelter Brief, die keine Frucht daraus empfangen: aber für die Seinen erbricht und öffnet Gott das Siegel durch den heiligen Geist. Wir entnehmen daraus eine sehr nützliche Lehre: die Lehrer und Diener des Worts sollen treulich in ihrer Pflicht fortfahren, auch wenn sie alle Menschen sich abkehren sehen und nichts als Widerspruch und Verachtung erfahren. Denn der Herr wird sich einige Jünger bewahren, welche mit Furcht seinen Brief lesen, wenn er auch für die andern zugebunden bleibt.
Des gleichen Bildes bedient sich der Prophet später noch einmal (29, 11) indem er seine Weissagungen den Worten eines versiegelten Buchs vergleicht. Dort denkt er nur an die Gottlosen, hier aber auch an die Jünger, bei denen die Lehre des Wortes nicht unfruchtbar bleiben wird. Es könnte nun jemand fragen: sollte also der Prophet das Volk fahren lassen, sich zurückziehen und sich mit seinen Jüngern einschließen, bei denen sich ein Erfolg zeigte? Dies ist doch seine Meinung nicht: denn der Herr wollte, dass Jesaja mit seiner Predigt öffentlich auftrete und seinen Willen jedermann bekannt mache. Weil er aber tauben Ohren predigte, also den Mut verlieren konnte, weil kein Erfolg seiner Mühe sich zeigte, darum wollte der Herr ihn ermutigen und antreiben, auch bei der verzweifelten Lage fortzufahren: er sollte sich mit seinen Jüngern begnügen, wenn es auch noch so wenige waren, und jeden Tag tapferer voranschreiten.
V. 17. Denn ich hoffe auf den Herrn. Jetzt sammelt sich der Prophet, nachdem er den Trost von Gott empfangen hat. Wenn ihm der Herr Jünger schenken will, bei denen seine Lehre besiegelt ist, will er gern auf den Herrn hoffen, mag er auch sein Antlitz verborgen haben vor dem Hause Jakob, d. h. mag er sein Volk verworfen und verstoßen haben. Eine herrliche Stelle, deren immer wiederholte Betrachtung uns nicht wenig Mut machen muss. Scheint auch die ganze Welt abzufallen, so sollen wir doch mit tapferem Mute fortfahren. Auch wenn der Herr sein Angesicht vor seinem Volk verborgen hat und verworfen wurden, die seinen Namen bekannten, so müssen wir doch mit unbesiegter Hoffnung auf ihn selbst harren. Dies bleibt uns als einziges Heilmittel. Dass der Prophet „hoffen“ will, ist mit großem Nachdruck gesagt: er will von seinem Gott nicht ablenken, sondern im Glauben beharren. Darum sagt er noch einmal: Ich harre sein. Denn während unser Glaube schon bei jeglichem Anstoß zu wanken und zu schwanken pflegt, wird er am schwersten doch dadurch erschüttert, wenn wir sehen, dass wir ganz allein stehen und dass die, welche kühnlich im Namen der Kirche reden, unsre erklärten Feinde sind. Solche Anstöße pflegen uns von Gott abwendig zu machen und derartig zu erschüttern, dass wir die Wahrheit seines Worts in Zweifel ziehen. So ist dieser Trost sehr nötig, mag nun die Kirche durch Unglücksfälle gedrückt oder durch Untreue der Masse zerstreut werden.
V. 18. Siehe, hie bin ich usw. Hier bezeugt der Prophet nicht bloß, dass er geduldig warten will, sondern gibt auch ein Zeichen seiner Tapferkeit, indem er mit den Jüngern, die ihm der Herr geschenkt hatte und die ihm geblieben waren, auftritt. Es ist, als wollte er sagen: Mögen andere zurückweichen, so biete ich mich doch dir zum Gehorsam an und bringe mit mir, die du durch meinen Dienst wunderbar zu retten gewürdigt hast. Es zeigt also ungebeugte Geistesgröße und bekräftigt, dass er im Glauben und Gehorsam gegen den Herrn verharren wird, wenn auch alle andern abfallen. Als seine Kinder bezeichnet er nach hebräischem Sprachgebrauch seine Diener und Schüler. Gemeint sind die Jünger, von denen soeben schon die Rede war (V. 16). Hier lernen wir, was von Leuten verlangt wird, die zu den wahren Jüngern des Herrn gehören wollen. Sie sollen wie Jesaja ihre Gelehrigkeit und Bereitschaft zum Hören bezeugen, und sobald der Herr geredet hat, pünktlich Gehorsam beweisen. Die Lehrer aber sollen ihre Jünger mit sich bringen und nicht bloß voraus schicken. Sie müssen selbst voran gehen und durch ihr Beispiel den Weg zeigen, wie dies der Prophet schon früher andeutete (2, 5): sonst gewinnt ihre Lehre keine Autorität. Der Apostel deutet im Hebräerbrief (2, 13) unsere Stelle auf Christus und entnimmt ihr eine Mahnung, die uns zum scharfen Stachel werden muss: wenn wir bedenken, dass wir nicht bloß einem Jesaja, sondern Christo selbst als Führer und Lehrer folgen, so müssen wir umso eifriger voran eilen.
Die mir der Herr gegeben hat. Dieser Satz zeigt, wem wir unsern Glauben verdanken, nämlich dem Herrn und seiner freien Gnadenwahl. Denn obgleich Jesaja öffentlich lehrte, jedermann ermahnte und alle ohne Unterschied zu Gott einlud, hat seine Lehre doch nur bei denen Erfolg, die ihm vom Herrn geschenkt sind. Geschenkt wurden ihm aber diejenigen, welche Gott durch den verborgenen Antrieb seines Geistes innerlich zog, während der Schall des äußeren Wortes vergeblich an das Ohr des Volks schlug. Auch Christus bestätigt, dass ihm die Auserwählten in dieser Weise vom Vater gegeben wurden. Wir sehen also, dass ein entschlossener Glaube nicht aus menschlichem Belieben kommt, sondern dass, mit Lukas zu reden (Apg. 13, 48), aus der Masse so viele glauben, als zum ewigen Leben verordnet sind. Welche Gott aber verordnet hat, die pflegt er auch zu berufen und in ihnen das Zeugnis der Annahme zur Kindschaft kräftig zu besiegeln, sodass sie sich gehorsam und willfährig beweisen. Das also ist die Schenkung und Gabe, von welcher Jesaja hier handelt. Im eigentlichen Sinne erfüllt sich dies aber in Christus, welchem der Vater seine Jünger zuführt und gibt, wie er bei Johannes sagt (6, 44): „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater.“ Daraus folgt, dass er uns auch zum Hüter bestellt ist, der uns bis zum Ende unter seinem Schutze birgt. Darum sagt der Herr, dass niemand von denen, die der Vater ihm gegeben hat, verloren werde.
Zum Zeichen und Wunder usw. Wenn einige Ausleger hier an Wunderzeichen denken, so ist dies töricht. Die Worte besagen etwas ganz anderes: alle Frommen sollen nicht nur Gegenstände des Hasses, sondern auch des Abscheus sein, sodass man sie wie abschreckende Wunder anstaunt, nicht bloß bei den erklärten äußeren Feinden, sondern auch in Israel selbst. Das erfahren auch wir heute: denn die Papisten haben einen stärkeren Gräuel vor uns, als vor Türken und Juden, ja Hunden und Scheusalen. So unwürdig dies ist, so wenig wundern wir uns darüber: denn diese Weissagung muss auch heute noch erfüllt werden. Das gleiche erfuhr Jesaja von seinen Zeitgenossen, sowie alle anderen, die seiner Lehre folgten. Aber nicht bloß bei den Papisten machen wir diese Erfahrung, sondern auch bei Leuten, die als die echtesten Glieder der Kirche gelten wollen: viele haben einen Abscheu vor uns, verlästern uns und halten uns für Scheusale, - weil wir in der Sorge für das Heil der Kirche, die Ehre Gottes und das ewige Leben uns selbst kreuzigen und uns nicht scheuen, zahllose Gefahren, Hass, Neid, Schmach, Verbannung, Mangel, Hunger, Blöße, ja selbst den Tod auf uns zu nehmen. Das ist ihnen wie ein Wunder: denn wenn sie fleißig ihren Leib pflegen, wie sollten sie dann einen Geschmack von jenen höchsten Gütern gewinnen können? Damit uns nun ihr Spott nicht irremache, müssen wir uns mit dieser Mahnung des Propheten wappnen. Um zu zeigen, wie eitel und leer die Verschwörung des gottlosen Schwarmes ist, setzt er den Herrn Zebaoth, d. h. den Herrn der Heerscharen, gegen den Übermut einer ganzen Welt und erhebt sich darüber mit hohem Mut. Es ist, als wollte der Prophet sagen: es kümmert mich nichts, wenn ich den Menschen allenthalben verhasst bin; denn ich weiß, dass Gott auf meiner Seite steht. Darum fügt er hinzu:
Der auf dem Berge Zion wohnet. Diese Worte sind überaus gewichtig. Das Volk rühmte sich, dem Herrn heilig zu sein, mochte es auch von allen Lastern und Schandtaten angefüllt sein: so missbrauchte es die Verheißungen und verwarf die wahren Knechte Gottes, von denen es sich getadelt sah. Um den Juden nun dieses hohle und hochfahrende Selbstvertrauen auszutreiben, behaupteten die Propheten, dass sie die einzigen und wahren Knechte des Gottes seien, von welchem das Volk fälschlich rühmte, dass er auf dem Berge Zion wohne. Denn Gott hatte dort nicht seinen Wohnsitz aufgeschlagen, als wäre er an diesen Ort gebunden und ließe sich daselbst jede selbst gemachte und sündhafte Verehrung gefallen: vielmehr wollte er nach der Regel seines Wortes gesucht und verehrt sein. Wenn darum Jesaja den Gott, der auf dem Berge Zion wohnt, für sich in Anspruch nimmt, so verurteilt er damit aufs Schärfste die Heuchler, die in trügerischem Selbstruhm sich stolz gebärden und immer wieder rufen (Jer. 7, 4): „Hie ist des Herren Tempel!“ Damit klammerten sie sich vielmehr an einen Aberglauben, dessen sie sich ohne Gottes Wort rühmten. Darum sagt ihnen jetzt Jesaja: Haltet uns immerhin, wenn es euch gefällt, für Scheusale, - Gott wird uns als die Seinen anerkennen. Und wenn wir auch ein Gräuel sind, könnet ihr nicht anders, als zugleich den Gott Abrahams und Davids hassen, als dessen Diener wir vor euch stehen.
V. 19. Wenn sie aber zu euch sagen usw. Noch immer setzt Jesaja den begonnenen Gedankengang fort: mit Gottes Autorität dürfen sich die Frommen wie mit einem Schild, ja wie mit einer ehernen Mauer decken, um wider alles gottlose Wesen fest zu stehen. Der Prophet fordert tapferen Widerstand, wenn die Verführung zum Aberglauben und nichtswürdigen Kultusformen sich breit macht. Er redet in der Mehrzahl, dass „sie“ zu uns sagen usw. Dies deutet darauf, dass der Fehler alle Stände ergriffen hatte und überall im Schwange ging. Er will etwa sagen: Ich sehe, was kommen wird. Ihr werdet durch große Gefahren hindurch müssen, weil eure Volksgenossen versuchen werden, euch vom wahren Gott abzuziehen. Wie sie selbst gottlos sind, werden sie wünschen, dass auch ihr ihnen gleichen möchtet. Wie verbrecherisch diese Leute von Gottes Gesetz und Bund abgefallen waren, sieht man daraus, dass sie ohne alle Scheu die Wahrsager und Zeichendeuter empfehlen, deren Name doch verflucht sein sollte.
Soll nicht ein Volk seinen Gott fragen? Da man auch übersetzen könnte „seine Götter“, betrachten manche Ausleger diesen Satz noch als die Fortsetzung der verführerischen Rede. Man wolle schlichte Leute mit dem Vorwand fangen, dass doch jedes Volk Orakel und Offenbarungen besitze und darum seine Götter, oder an ihrer statt Wahrsager und Zeichendeuter, frage. Richtiger ist doch die andere Annahme, welche die Worte den Jüngern des Jesaja in den Mund legt, als Antwort auf die Verlockung zu sündhaftem Gottesdienst. Mit Nachdruck werden die Juden daran erinnert, dass sie Gottes Volk sind, welches er zu seinem Eigentum angenommen hat. Hier ist ein Schild, mit welchem wir jeglichen Aberglauben, der sich einschleichen will, zurücktreiben müssen. Wenn andere fragen und zweifeln, ob es nicht nützlich sei, Götzen zu befragen, soll sofort unsere Antwort bereit sein, dass man den Herrn allein befragen müsse. Dabei spielt der Prophet auf die Stelle bei Mose an (5. Mose 18, 10 ff.), wo der Herr verbietet, sich an Wahrsager und Zauberer zu halten. Gegenüber der Einrede, dass doch jedes Volk seine Zeichendeuter habe, wird dort hinzugefügt, dass den Kindern Israel niemals ein Prophet fehlen wird, noch sie der nötigen Belehrung sollen entbehren müssen. Darum wollte der Herr, dass sie sich ganz an sein Wort hängen und aus ihm allein gehorsam lernen sollen, wessen sie bedurften.
Soll man die Toten für die Lebendigen fragen? Wenn man so übersetzt, ist die Meinung klar, dass man wegen der Anliegen der Lebendigen sich nicht zu den Toten wenden soll. Buchstäblich besagt aber der Satz nur: „Von den Lebendigen zu den Toten.“ So kann der Sinn auch der sein: Gott allein will uns belehren und hat zu diesem Zweck Propheten erweckt, von denen wir seinen Willen erfahren sollen. Der Prophet ist der Mund des Herrn. Darum ist es Unrecht, sich von ihm hinweg und zu den Toten zu wenden, die für ein solches Amt nicht berufen sind. Gott wollte sich nicht des Dienstes der Toten bedienen, um uns zu belehren. Noch besser scheint mir aber eine andere Auslegung. Man kann die Worte auch mit dem vorigen Satz zusammen lesen: ein Volk soll seinen Gott fragen, von den Lebendigen bis zu den Toten. Dann wäre der Sinn, dass ihm Gott allein genügen soll, statt aller Lebendigen und Toten. Wenn es im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt sucht, wird es finden, dass es an Gott allein genug hat. Gegenüber allen Umtrieben und Listen, welche die Frommen zum Abfall verleiten könnten, will der Prophet sie unterweisen, dass sie sich mit Gott, als ihrem einigen Lehrer, zufrieden geben sollen. Sie sollen ihm nicht die Schmach antun, dass sie seine Lehre zurücksetzen und sich andere Lehrer suchen. Vielmehr sollen sie alle anderen fahren lassen und an seiner Wahrheit allein hangen. Dies wiederholt der Prophet nun noch einmal mit kräftigem Ausdruck:
V. 20. Ja, nach dem Gesetz und Zeugnis! Er ruft uns zum Gesetz und Zeugnis zurück. Dies sind nicht zwei verschiedene Dinge, sondern das zweite Wort wird erläuternd hinzugefügt: das Gesetz enthält das Zeugnis oder die Bezeugung des göttlichen Willens gegen uns. Es ist also ein Ehrentitel, den es damit empfängt und der uns den Nutzen des Gesetzes aufdeckt: in ihm offenbart sich uns Gott und erklärt, wie er sich gegen uns stellen und was er von uns fordern will, ja, in ihm schreibt er uns alles vor, was wir zu wissen nötig haben. Welch herrlicher Titel des Gesetzes, da es die Lehre des Heils und die Regel eines guten und glücklichen Lebens enthält. Darum gebietet Gott mit Recht, dass wir von diesem Gesetz durchaus nicht abweichen sollen. Der Prophet will etwa sagen: Verlasset alle abergläubischen Gebräuche, in denen sie sich wahnsinnig umtreiben: sie sind mit Gott allein nicht zufrieden und schaffen sich zahllose Trugbilder. In gleichem Sinne sagt auch Christus (Luk. 16, 29): „Sie haben Mose und die Propheten; lass sie dieselbigen hören.“ Hieran sollen wir uns halten, so werden wir uns nicht in unerhörter Neugier abmühen, noch begehren, etwas von den Toten zu erfahren. Denn wenn Gesetz und Propheten nicht ausreichten, hätte uns der Herr weitere Hilfsmittel nicht verwehrt. So sehen wir, dass alles, was man zu Gottes Wort hinzufügt, verdammlich und verwerflich ist. Denn der Herr will, dass wir ganz an seinem Worte hängen und unser Denken in seinen Schranken halten. Wenn wir unser Ohr anderswohin wenden, beleidigen wir ihn und maßen uns eine Freiheit an, die er uns verwehrt. Was aber die Menschen aus sich selbst vorbringen, kann nichts anderes sein als eine Verderbnis des Wortes. Wollen wir also dem Herrn gehorchen, so müssen wir alle anderen Lehrer verwerfen. Wir empfangen hier auch eine Erinnerung, dass wir erst dann gegen sündhafte und abergläubische Gottesverehrung gesichert sind, wenn wir uns mit dem Gesetz des Herrn zufrieden geben. Mit dem Wort Gottes, welches Paulus das Schwert des Geistes nennt (Eph. 6, 17), werden alle Lügengebilde Satans niedergeschlagen. Zu diesem Wort müssen wir also unsere Zuflucht nehmen, sobald die Feinde uns angreifen: mit dieser Waffe können wir wacker kämpfen und sie endlich in die Flucht schlagen.
Werden sie das nicht sagen usw. Ich verzichte darauf, die zahlreichen Auslegungen dieses Satzes aufzuzählen. Denn die richtige Auslegung empfiehlt sich von selbst. Nach meiner Ansicht stärkt hier der Prophet die Gläubigen zum Ausharren und gibt dafür als Grund an, dass die Gottlosen nichts als Finsternis und Dunkel haben können, wenn sie von der rechten Lehre abweichen. Um ihren Wahnsinn sollen wir uns nicht kümmern, damit er uns kein Hindernis bereite. Auch Christus sagt ja, dass man solche Leute unbekümmert fahren lassen und sich durch ihre Blindheit und Verstockung nicht irremachen lassen solle (Mt. 15, 14): „Sie sind blinde Blindenleiter.“ Oder wollen wir etwa mit ihnen zugrunde gehen? Darum befiehlt der Prophet, dass man allein dem Wort Geltung zuerkenne: so sollen wir es unternehmen, eine ganze widersprechende Welt kühnlich zu verachten. Denn wir würden auch Engel, wenn sie abweichen sollten, mit der Autorität des Wortes verurteilen können. Paulus sagt (Gal. 1, 8): „So ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium predigen würde, der sei verflucht.“ Um wie viel mehr werden wir also Menschen furchtlos verurteilen, wenn sie dem Herrn widerstehen. Der Redeweise des Propheten eignet ein großer Nachdruck: Werden sie das nicht sagen! Wer also nicht sofort und ohne Widerspruch dem Satz zustimmt, dass man seine Gedanken allein nach dem Gesetz Gottes bilden soll, ist zur Blindheit verurteilt.
V. 21. Sondern werden im Lande umhergehen usw. Damit die Gläubigen sich nicht in die verbreiteten Irrtümer verstricken lassen, weist der Prophet noch auf die schreckliche Strafe hin, die der Gottlosen wartet, wenn sie vom Herrn abfallen und noch andere in ihren Abfall hinein zu ziehen suchen. Taumelnd müssen sie durch das Land ziehen, keine Ruhe und keinen festen Wohnsitz finden. Man bedenke, dass damit das jüdische Land gemeint ist, welches der Herr doch über alle Länder gesetzt hatte. Zwischen den Zeilen: ist etwa folgender Gedanke Gottes zu lesen: Ich habe zwar versprochen, dass dieses Land ein ewiges Erbe für mein Volk sein soll, aber sie werden irrend und unruhig umher schweifen, wie Leute, die aus ihrem Wohnsitz vertrieben und von Hunger, Seuche und jeglichem Unglück gebeugt überall irgendeinen Platz und eine bessere Lage suchen und doch nicht finden. So stehen diese Worte des Propheten im Gegensatz gegen die ausgezeichnete Wohltat Gottes, auf die Mose so oft hinweist, dass die Juden in ihrem Lande einen festen Wohnsitz haben sollten. Denn hier wird verkündigt, dass sie irrend umhergehen sollen, nicht in ihrem, sondern in einem fremden Lande: wohin sie kommen, sollen unaufhörliche Plagen sie angreifen und umtreiben.
Wenn sie aber Hunger leiden usw. Jetzt scheint der Prophet auf die Bekehrung der Juden mit hinzudeuten und etwa sagen zu wollen: endlich werden sie unter dem Druck der Leiden zur Einsicht kommen. Will man aber lieber annehmen, dass unser Satz einfach die Entrüstung und den Groll der Gottlosen beschreibt, die gar nicht Buße tun wollen, so wäre unter dem Hungern nicht bloß Hunger und Durst, sondern in bildlicher Weise jegliche Entbehrung zu verstehen. Dass die Gezüchtigten zürnen, möchte ich aber lieber dahin verstehen, dass sie anfangen an sich selbst Missfallen zu haben. Darnach drücken sie dann ihren Abscheu aus gegen alle die Schutzmittel, auf die sie zuvor ihr Vertrauen setzten. Das ist der Anfang zur Umkehr. Denn so lange es uns gut geht, schmeicheln wir uns; fallen wir aber ins Unglück, so wird uns alles, was uns umgibt, zum Ekel. Bezöge man aber die Worte lieber auf die Verworfenen, so beschreiben sie eine Verbitterung, die nicht zur Demütigung, sondern nur zu verschärfter innerer Wut führt.
Und fluchen ihrem Könige und ihrem Gott. Unter diesem Könige verstehen manche Ausleger Gott selbst. Ich möchte aber zwischen dem König und dem Gott, der hier gemeint ist, unterscheiden. Denn die Gottlosen sind erstlich durch falsches Vertrauen auf die Götzen verblendet, sodann suchen sie ihre Hilfe bei irdischen Dingen. Solange die Juden einen König hatten, waren sie stolz auf seine Herrlichkeit und Macht. Und als Jesaja predigte, wiegelten die Gottlosen den König gegen ihn auf: denn sie brachten das ganze Volk in Bewegung, und der König sollte vorangehen. Da also die Juden sich teils ihrer Götzen, teil ihres Königs in übler Weise gerühmt hatten, sollen sie nach der Weissagung des Propheten von so vielen Niederlagen getroffen werden, dass sie wohl oder übel ihren König und ihre Götter – denn so kann man statt „Gott“ übersetzen – verabscheuen würden. Dies ist dann der Anfang zur Umkehr, dass wir mit Abscheu alles von uns weisen, was uns von Gott abzog.
V. 22. Und werden über sich gaffen usw. Jetzt wird die angstvolle Herzensunruhe beschrieben, welche die elenden Menschen umtreibt, bis sie endlich lernen, beständig nach oben zu schauen. Wie ich schon sagte, bedeutet es immerhin einen Fortschritt, dass wir uns durch Plagen und Züchtigungen belehren lassen, die Gleichgültigkeit wegwerfen und uns bemühen, Heilmittel zu finden. Aber wir müssten noch weiter kommen, uns ganz fest an Gott allein hängen, nicht überall hin ausschauen und unbeständig uns umher treiben lassen. In jedem Falle droht Jesaja den Juden die äußerste Drangsal: denn bei ihrer Verstocktheit vermochte der Herr sie nicht durch leichte und mäßige Züchtigung zu beugen. Unsere Worte könnten allenfalls auch im guten Sinne verstanden werden: sie werden über sich schauen, d. h. endlich die Augen zum Himmel erheben. Dann aber wäre mit den nächsten Worten ein neuer Satz anzuheben, etwa in dem Sinne: wenn man dagegen zur Erde schaut, wird man nichts finden, denn Trübsal. Und eben dies wäre der Grund, weshalb die Juden sich zu Gott bekehren werden. Übrigens sind in der Drohung bildliche und eigentliche Aussagen enthalten. Denn unter Dunkel und Finsternis ist nach biblischer Redeweise nichts anderes zu verstehen, als Unglück. Dazu kommt aber die Angst , die den Menschen umtreibt und seinen elenden Zustand gewaltig steigert. Denn wenn ein Mensch, der im Finstern wandelt, noch durch Angst vorwärts getrieben wird, stößt er sich noch viel härter. Der Prophet meint also, dass zu der schweren Plage eine noch schwerere gefügt werden soll, bei der die Leute ängstlich daherstürmen. Die Gerichte Gottes sollen so schrecklich und seine Strafen so hart sein, dass sie auch wider ihren Willen sich gezwungen sehen, zum Himmel aufzuschauen.
V. 23. Nicht aber wird es dunkel sein usw. Jetzt hebt der Prophet an, durch Hoffnung auf Milderung der Strafe die armen Menschen zu trösten, damit sie nicht durch die ungeheure Masse der Leiden erdrückt werden. Manche Ausleger freilich verstehen die Worte im gegenteiligen Sinne: sie sollen eine Drohung sein, die eine noch schwerere Bedrängnis ankündigt, als sie von Tiglath-Pilesar und von Salmanassar angerichtet wurde. Der erste brachte den Juden eine schwere Niederlage bei, der letzte eine noch viel schwerere, da er die zehn Stämme in die Gefangenschaft führte und den Namen des Volks austilgte. Jetzt, sagt man, kündige der Prophet nun die allerschwerste Niederlage an, welche die beiden vorigen noch weit übertreffen sollen. So werde den Heuchlern der Selbstbetrug ausgetrieben, damit sie nicht glauben sollen, auch die bevorstehende verderbliche Niederlage werde gleich den beiden früheren wie ein Sturmwind schnell vorübergehen. Ich gebe zu, dass sich für dieses Verständnis mancherlei sagen lässt. Doch findet man nach meiner Ansicht hier am besten eine Trostrede, welche mildern soll, was soeben von der schrecklichen Finsternis und Angst gesagt war. Der Prophet mäßigt die Herbigkeit jener Strafen und richtet den Blick auf die zu erhoffende Gnade empor. Er will etwas sagen: Trotz allem wird in der schrecklichen Niederlage, welche über die Juden kommen soll, nicht eine solche Finsternis sein, wie damals, als das Reich Israel von Tiglath-Pilesar und dann noch erheblich härter von Salmanassar bedrängt wurde. Denn hätten die Gläubigen nicht ihr Herz einigermaßen trösten und erheben dürfen, so wären sie in der großen Bedrängnis völlig zugrunde gegangen. An sie richtet also Jesaja seine Rede: sie sollen nicht glauben, dass sie umkommen werden; die Plagen, die sie treffen, sollen gelinder sein, als die früheren. Dass diese Auslegung die rechte ist, wird sich sofort aus dem Zusammenhange deutlich ergeben. Aber wie kann der Prophet von der bevorstehenden Niederlage, welche bei weitem die schrecklichste war, behaupten, dass sie sanfter und erträglicher sein werde? Sollte doch Jerusalem zerstört, der Tempel umgestürzt und die Opfer ausgetilgt werden, während in den früheren Niederlagen dies alles unversehrt geblieben war. Es könnte vielmehr scheinen, als ob im Vergleich mit diesem allergrausamsten Unglück die früheren Widerfahrnisse nur leichte Unfälle gewesen wären. Es gilt aber darauf zu achten, dass dem bevorstehenden letzten Unglück eine untrügliche Verheißung beigefügt war, die bei den früheren Erfahrungen fehlte. Nur durch solche Verheißung aber können Anfechtungen niedergekämpft und die Mühsale leichter gemacht werden. Hier ist die einzige Würze, die alle unsere Übel lindert: wer sie nicht besitzt, muss verzweifeln. Wenn der Herr uns mit ihr stärkt, indem er uns Hoffnung auf Hilfe macht, so ist kein Übel so schwer, dass wir es nicht für leicht halten könnten. Ein Gleichnis möge dies verdeutlichen. Es kann jemand in einem kleinen Bächlein ertrinken, wenn er kopfüber hineinfällt; aber er kann, wenn er eine Planke ergreift, mitten aus dem Meer gerettet und in den Hafen gebracht werden. So wird der geringste Unfall uns vernichten, wenn Gottes Gnade uns verlässt; aber wir können aus der schwersten Niederlage durch das Vertrauen auf Gottes Wort gerettet werden und unversehrt ausgehen.
Der Weg des Meeres wird genannt, weil Galiläa an die Küste des mittelländischen Meeres grenzte, während auf der andern Seite es durch den Lauf des Jordans begrenzt war. Als der Heiden Galiläa wird die ganze Gegend bezeichnet nicht bloß, weil sie Tyrus und Sidon benachbart war, sondern auch, weil sich daselbst viele Heiden unter die Juden gemischt hatten. Denn seitdem dieser Landstrich von Salomo dem König Hiram überlassen wurde, konnte er niemals völlig zurück gewonnen werden: gewisse Teile haben stets Heiden in Beschlag genommen.