V. 1. Der Geist des Herrn ist über mir usw. Da Christus diese Stelle auf sich anwendet (Lk. 4, 17 ff.), beziehen die Ausleger diese Worte ohne weitere Untersuchung bloß auf ihn. Sie führen ihn hier redend ein, als ob dies alles nur auf ihn passe. Die Juden lachen darüber, dass man das, was auch auf die anderen Propheten angewendet werden kann, gedankenlos auf Christus überträgt. Darum urteile ich so: Dies Kapitel wird gleichsam als Siegel auf die vorhergehenden gedrückt, um alle bisherigen Aussagen über die Wiederherstellung der Gemeinde Christi zu bestätigen. Für diesen Zweck ist auch Christus nach seinem eigenen Zeugnis von Gott gesalbt. Darum kann er diese Weissagung mit Recht auf sich beziehen. Was andere nur dunkel verkündigt haben, das stellt er klar und deutlich dar. Dem widerstreitet es aber nicht, dass diese Worte auch auf andere vom Herrn gesalbte Propheten passen. Sie redeten ja nicht in eigenem Namen, wenn sie sich diese Würde beilegten; vor allem wiesen sie auf Christus hin, dessen Aufgabe es ist, alle diese Dinge nicht bloß zu verkündigen, sondern auch zu erfüllen. So also muss man dieses Kapitel verstehen: Christus, das Haupt der Propheten, steht an erster Stelle, und er allein erfüllt alle jene Weissagungen; Jesaja aber und die übrigen Propheten und Apostel wirken für Christus und verrichten ihren Dienst in der Verkündigung seiner Wohltaten. Was durch Christus nach Jesajas Worten erfüllt werden musste, das sehen wir jetzt auch in der Tat erfüllt.
Darum dass mich der Herr gesalbt hat usw. Dies zweite Versglied dient zur weiteren Erklärung. Es wäre eine gewisse Unklarheit geblieben, wenn der Prophet nicht gesagt hätte, zu welchem Zweck er mit diesem Geiste Gottes begabt war. Er zeigt dies durch die Erklärung, dass er ein öffentliches Amt verwalte; man darf ihn nicht für einen gewöhnlichen Privatmann halten. So oft nun die Schrift den heiligen Geist erwähnt und von seinem Wohnen in uns redet, sollen wir ihn nicht für irgendein hohles und leeres Ding halten, sondern seine Kraft und Wirksamkeit ins Auge fassen. Darum spricht der Prophet nicht bloß von Gottes Geist, sondern fügt auch ein Wort über die Salbung hinzu, worunter er die von ihm ausgehenden Kräfte versteht, wie auch Paulus sagt (1. Kor. 12, 3), dass niemand Jesus einen Herrn heißen kann ohne durch den heiligen Geist. Und doch, kann man einwenden, sehen wir fast alle sich mit dem Geiste des Herrn brüsten; sowohl der Papst als auch die Wiedertäufer und andere Sektierer und Schwärmer führen seinen Namen immer im Munde, als ob sie von ihm geleitet würden. Woran sollen wir denn erkennen, dass jemand von Gott gesandt ist und von seinem Geiste regiert wird? An der Salbung, d. h. daran, ob er solche Gaben besitzt, die zu diesem Dienste erforderlich sind. Wer also, vom Herrn eingesetzt, reich ist an Geistesgaben und an den durch die Berufung geforderten Fähigkeiten, der hat in Wahrheit den Geist. Wenn aber jemand sich für einen Lehrer ausgäbe und hätte nicht die geringste Kenntnis, den soll man für einen Lügner halten.
Er hat mich gesandt, zu predigen. Nicht eher legt der Prophet sich das Recht und die Würde eines Lehrers bei, als bis er seine Sendung vom Herrn nachgewiesen hat. Seine Autorität beruht darauf, dass er gesalbt, d. h. von Gott mit den notwendigen Gaben ausgerüstet ist. Wir müssen ihn also hören, nicht als einen Privatmann, sondern als einen vom Himmel gekommenen, öffentlichen Diener. Die Elenden, denen er predigen soll, sind gefangene und gebundene Leute, doch mit der Nebenbedeutung, dass sie dabei sanft und still bleiben. Beides muss zusammenkommen: sie sind gänzlich verlassen und verstoßen, - und sie fühlen sich in sich selbst elend. Denn nur den Sanftmütigen wird Christus verheißen, die im Gefühl ihres Jammers auf hohe Ansprüche verzichten und sich in den Grenzen der Demut und Bescheidenheit halten. Hieraus erkennen wir, dass Jesaja recht eigentlich vom Evangelium redet; denn das Gesetz ist gegeben, um die stolzen und von eitlem Vertrauen aufgeblähten Menschen zu beugen; das Evangelium aber ist für die Elenden bestimmt, d. h. für diejenigen, die ihren Mangel an allem Guten erkennen. Denn wozu sonst wären Propheten, Apostel und andere Diener gesalbt und gesandt, als damit sie durch Verkündigung der Gnade die Elenden aufrichten und trösten?
Die zerbrochenen Herzen zu verbinden. Der Prophet gebraucht mehrere Bilder zur weiteren Erklärung einer und derselben Sache. Mit „verbinden“ meint er nichts anderes als heilen. Hier sagt er aber noch mehr als im vorigen Versgliede. Er zeigt, dass die Predigt des Wortes kein leerer Schall ist, sondern eine wirksame Arznei, deren Wirkung aber nicht die kräftigen, eisernen Naturen, sondern die verwundeten Gewissen erfahren.
Zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit. Auch dies ist der Zweck des Evangeliums, dass alle Gefangenen in Freiheit gesetzt werden. Denn wir sind völlig gefesselt, bis wir durch die Gnade Christi befreit werden. Wenn aber der Herr uns die Fesseln abnehmen will, dann sollen wir die von ihm uns angebotene Gnade nicht zurückweisen. Dabei ist zu beachten, dass diese erwähnten Güter uns nur durch die vom Himmel stammende Predigt zuteilwerden, und nur solche sind geschickt, sie zu genießen, die im Bewusstsein ihres Mangels ein herzliches Verlangen nach der Hilfe Christi haben, in Gemäßheit seines Wortes: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.
V. 2. Zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn. Hier weist der Prophet auf die bestimmte Zeit hin, in welcher die so herrliche Gnade mitgeteilt werden soll. Dadurch will er alle etwa entstehenden Bedenken zerstreuen. Wir wissen es ja aus täglicher Erfahrung, wie so viele und schwere Sorgen uns beschleichen und uns hin- und hertreiben. Nun stellt der Prophet sich hin als den Herold der zukünftigen Gnade, deren Zeit er bestimmt nach dem Wohlgefallen Gottes. Denn wie der Erlöser der Gemeinde in freier Gnade kommen wollte, so stand es auch mit Recht in seinem Willen, die Zeit dazu auszuwählen. Vielleicht spielt er auf das Jubeljahr an, unzweifelhaft aber verkündigt er den Frommen und Stillen, dass man warten müsse, bis es Gott gefalle, seine Hand auszustrecken. Paulus nennt dieses Jahr die Zeit der Erfüllung (Gal. 4, 4 vgl. Röm. 16, 25 f.). Auch ein früheres Wort des Propheten (Jes. 49, 8) wendet Paulus auf seine Predigt an (2. Kor. 6, 2): „Sehet, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.“ Denn wenn der Herr uns durch sein Evangelium einlädt, steht uns die Tür zum Himmel offen, und wir können gleichsam in den Besitz der göttlichen Gaben eintreten. Wir dürfen dies nicht aufschieben, sondern müssen Zeit und Gelegenheit wahrnehmen, wenn uns so große Wohltaten angeboten werden. Wenn aber der Tag des Wohlgefallens ein Tag der Rache genannt wird, so scheint sich dies zu widersprechen. Warum verbindet Jesaja so entgegengesetzte Dinge? Weil Gott seine Gemeinde nicht befreien kann, ohne sich als gerechten Richter zu bezeigen und Rache zu nehmen an den Gottlosen. „Das gnädige Jahr“ bezieht sich also auf die Auserwählten, „der Tag der Rache“ auf die Gottlosen, welche die Gemeinde unaufhörlich bedrängen und darum bei der Befreiung der Gemeinde leiden müssen; wie auch Paulus sagt (2. Thess. 1, 6), es sei recht bei Gott, den Bekümmerten Erquickung zu spenden, zu vergelten aber den Feinden der Frommen und ihren ungerechten Bedrückern. Die Juden aber konnten erst nach der Niederwerfung ihrer Feinde hoffen, dass ihre böse Lage ein Ende nehmen werde. Dabei müssen wir auf die Ursache unserer Befreiung achten: sie beruht lediglich auf Gottes Erbarmen und freier Gnade, nicht auf unserem Verdienste, unserer Würdigkeit oder Tüchtigkeit.
Zu trösten alle Traurigen. Wir müssen uns an den bereits früher erwähnten Zweck des Evangeliums erinnern, dass wir, von allen Übeln erlöst und in die frühere Freiheit wiedereingesetzt, allen Kummer ablegen und geistliche Freuden genießen sollen. Wenn wir aber dieser großen Wohltat nicht teilhaftig werden, dann sind daran unser Unglaube und unsere Undankbarkeit schuld, womit wir den sich gnädig darbietenden Gott zurückweisen.
V. 3. Zu schaffen den Traurigen usw. Derselbe Gedanke wird fortgesetzt. Die Strafe, die dem Volke auferlegt werden sollte, wird doch noch Raum lassen für die Vergebung. Diese Überzeugung will der Prophet recht fest machen. Gott habe, sagt er darum, ihm das Amt übertragen, diese Befreiung zu verkündigen, aber nicht ihm allein, sondern auch anderen, bis zur Ankunft des höchsten Boten, nämlich Christi, der das, was damals nach dem Befehl Gottes für die Zukunft verkündigt ward, verwirklicht. Auch die Trauer soll kein Hindernis sein, dass Gott nach seinem Wohlgefallen Freude gewährt. Die Worte spielen übrigens auf die alten Gebräuche der Juden an, die in Not und Unglück ihr Haupt mit Asche bestreuten und einen Sack anzogen. Der Prophet denkt an das Elend und den Schmerz, den der unglückliche Zustand der Juden im Gefolge haben musste, und setzt dies der Freude und Wonne entgegen, die sie nach erlangter Freiheit genießen würden.
Dass sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit. Diese Worte beschreiben die Wiederherstellung des Volkes; es muss, während es früher mit der Wurzel ausgerissen war und einem toten Stumpf glich, von neuem gepflanzt werden und sich festwurzeln. Wir werden also aufgefordert, die göttliche Wirkungskraft zu betrachten: wenn auch erschöpft und erstorben, sollen die Kinder Israel doch auf eine derartige Wiederherstellung vertrauen, dass sie wieder Wurzel treiben und Kraft und Wachstum erlangen. Daraus entnehmen wir die allgemeine Lehre, dass wir nur dadurch, dass Gott uns pflanzt, zum Leben erweckt werden. Wir werden seine Pflanzung genannt, weil er uns von Anbeginn auserwählt hat; aber eine andere Art der Pflanzung ist die, die jener ersten folgt, nämlich die Berufung, durch die wir vermöge des Glaubens dem Leibe Christi eingepflanzt werden. Dies bewirkt der Herr durch die Arbeit der Menschen und den Dienst des Evangeliums. Aber alles Verdienst muss ihm zugeschrieben werden, weil er allein es ist, der das Wachstum gibt. „Bäume der Gerechtigkeit“ heißen die Menschen, in denen Gottes Gerechtigkeit oder das rechte Verhalten hervorleuchtet. Wir sollen wissen, dass wir von Gott nach der Regel angenommen werden, dass wir neue Kreaturen werden und wahre Gerechtigkeit in uns regieren soll. Daraus folgt, dass wir von Natur böse und verderbt sind und nur dann Frucht bringen können, wenn Gott uns geändert und gepflanzt hat. Der Zweck unserer Pflanzung ist, dass wir zum Preise Gottes dienen (vgl. darüber zu 60, 21).
V. 4. Sie werden die alten Wüstungen bauen usw. Der Prophet beschreibt jene Wiederherstellung der Gemeinde in immer neuen Zügen und hat, da diese Weissagungen völlig unglaublich schienen, vor allem den Zweck im Auge, dass die Juden eine feste Hoffnung auf Erlösung gewinnen. Darum preist er auch jene Wohltat der Wiederherstellung mit vielen, herrlichen Worten. Die lange Zeit, in welcher die Städte verwüstet liegen, hindert Gott nicht, sie wiederaufzubauen. Freilich, wenn die Einwohner einer Stadt nach allen Seiten zerstreut und lange Zeit fern von ihr gewesen sind, dann kann es keine Hoffnung auf Wiederherstellung geben, wie denn auch heute niemand sich um den Wiederaufbau von Athen kümmert. Wenn nun die Juden in ein weit entferntes Land weggeführt waren und Jerusalem siebzig Jahre wüste lag, wer von seinen Bürgern hätte da noch auf seinen Wiederaufbau hoffen dürfen? Darum redet Jesaja von alten Verwüstungen, von dem, was vorzeiten zerstört ist, von verwüsteten Städten, um darzutun, dass dies alles Gott nicht hindern könne, zur rechten Zeit die Stadt als Wohnung für seine Auserwählten wiederherzustellen. Wir müssen dies auch auf unsere Zeit anwenden, wir müssen, wenn Gott auch seine Gemeinde zerstören und lange in Trümmern liegen lässt und keine Hoffnung auf ihre Wiederherstellung besteht, doch auf Grund dieser Verheißungen Mut behalten, weil es recht eigentlich Gottes Werk ist, aufzurichten und zu erneuern, was früher zerstört und gleichsam ewiger Vernichtung überliefert war (vgl. auch zu 58, 12).
V. 5. Fremde werden stehen, und eure Herde weiden. Die Meinung ist, dass Heiden und Fremdlinge zum gehorsamen Dienst für das Volk bereit stehen werden. Damals, als es von den übrigen Völkern zertreten war, wollte ihm niemand helfen. Die Redewendungen von dem Weiden der Herden und von dem Bebauen der Äcker und Weinberge sind bildlich zu verstehen; der Prophet redet von dem geistlichen Reich Christi. Er schildert unter diesen Bildern dessen volle Glückseligkeit, die wir durch den Hinweis auf uns bekannte Dinge desto besser verstehen. Wir sollen wissen, dass wir dann erst wahrhaft glücklich sind, wenn Christi Reich zu uns kommt. Wir empfangen dann wider Erwarten von allen Seiten manche Hilfe, welche die Söhne Adams mit Recht entbehren müssen.
V. 6. Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen. Dieser Vers lässt ein völligeres Licht auf den vorigen fallen; denn in seinem zweiten Glied heißt es, dass die Frommen die Güter der Heiden essen und zur Herrlichkeit gelangen sollen. Die Juden nehmen solche Sprüche besonders gern für sich in Anspruch und verschlingen schon gierig die Güter der Völker, als ob sie einst ihr Besitz sein sollten, und zeigen sich so trotzig, als ob die Herrlichkeit der ganzen Welt auf sie kommen müsste. Damit wir nun diese Worte besser verstehen, müssen wir zwei Punkte besonders beachten. Erstens: wenn die Propheten die Herrlichkeit und Glückseligkeit des Reiches Christi schildern wollen, entlehnen sie Bilder aus dem menschlichen Leben; zweitens: wenn sie von der Gemeinde reden, verbinden sie das Haupt so mit den Gliedern, dass sie mehr jenes als die Glieder im Auge haben. Das Essen fremder Güter ist nicht so gemeint, als ob die, die sich zu Christus bekehrt haben, die Güter, die Herrlichkeit und das Ansehen anderer an sich reißen sollten; das steht ja mit der Frömmigkeit völlig in Widerspruch, sondern es muss alles unter die Gewalt Christi gebracht werden, damit er allein das Reich und die Herrschaft habe. Alles bezieht sich nicht so sehr auf die Glieder als auf das Haupt. Wenn aber alles in die Gewalt Christi kommt, dann heißt es das Unsrige, weil er nichts ohne seine Gemeinde hat. In demselben Sinne heißt es anderswo von den Feinden Christi (Ps. 18, 45 ff.), dass sie seine Füße küssen und ihn um Verzeihung bitten werden. Das geschieht doch in der Gemeinde, in der sie Jesus anerkennen und seiner Predigt sich unterwerfen. Darum zeigt Jesaja, was der Vater dem Sohne geben will, dem die Herrschaft über den ganzen Erdkreis gebührt und dem alles untertan werden soll. Dabei sollen wir nicht vergessen, dass Gott seine Auserwählten mit offenen Händen nährt in dieser Welt, damit sie merken, dass sie es viel besser haben als die Ungläubigen. Wenn sie auch noch so viel entbehren müssen, sie sind doch mit wenigem zufrieden und danken dem Herrn mit Freuden: ihr Hungern ist besser als das Sattsein der Ungläubigen.
Dass alle Glieder des Volkes „Priester“ sein sollen, ist ein Ausdruck dafür, dass ihre Stellung eine viel herrlichere sein soll als früher. Der Prophet will sagen: Bisher hat Gott euch zu seinem Eigentum auserwählt; er will euch aber mit viel herrlicheren Gaben zieren, er wird alle der Ehre des Priestertums würdigen. Wenn auch das ganze Volk ein priesterliches Königreich bildete, so wissen wir doch, dass nur der eine Stamm Levi das Priesteramt verwaltet hat. In Zukunft werden es aber nach des Propheten Wort alle besitzen; dies ist erst in dem Reiche Christi erfüllt. Die Wiederherstellung der Gemeinde begann zwar nach der Rückkehr des Volkes aus Babylon, aber erst mit der Ankunft Christi ist den Gläubigen diese Würde verliehen. Denn alle Heiligen sind Christus geweiht und verrichten jenen priesterlichen Dienst. Darauf bezieht sich die Stelle 1. Petr. 2, 9: „Ihr seid das heilige Volk, das königliche Priestertum“ usw. Wir müssen dabei auf das Wesen dieses Priestertums achten. Es brauchen dem Herrn nicht mehr irdische Opfertiere dargebracht zu werden, sondern die Menschen müssen sich selbst darbringen zum Gehorsam gegen Christus, wie auch Paulus (Röm. 15, 16) sagt, dass er mit dem Schwert des Evangeliums die Heiden zum Gehorsam gegen den Herrn geopfert habe. Jeder einzelne muss sich und all das Seine Gott zum Opfer darbringen, um dies rechtmäßige Priestertum auszuüben. Diejenigen aber, die besonders als Diener zum Lehramt berufen sind, sollen das Schwert des Wortes gebrauchen, um dem Herrn Menschen darzubringen und zu weihen. Das aber sind rechte Diener, die nicht aus eigener Willkür etwas tun, sondern die von Gott empfangenen Aufträge treu und gewissenhaft ausführen.
V. 7. Für eure Schmach soll Zwiefältiges kommen usw. Dieser Satz bekräftigt die frühere Aussage, dass die Gläubigen, die im Sack und in der Asche trauerten, mit Freudenöl gesalbt werden sollen. Diese Umwandlung des Schmerzes in Freude wird hier zum zweiten Male verheißen: die Gemeinde wird sich so wohl befinden, dass sie alle Unglücksfälle und Widerwärtigkeiten, unter denen sie jetzt leidet, leicht überwindet. Sie muss darum, wenn sie Ekel empfindet über ihren jetzigen Zustand, auf jenen Tag schauen, an dem sie völlig glücklich sein wird. So stellt auch Paulus der zeitlichen Leichtigkeit der Trübsale die ewige Größe der Herrlichkeit gegenüber (2. Kor. 4, 17). Die Gottlosen verhöhnen uns voll Übermut, weil es ihnen scheinbar besser geht. Sie missbrauchen das Glück und verachten die Kinder Gottes. Über der Herr verheißt den Frommen baldige Befreiung aus dieser Tyrannei und den Besitz des Landes der Verächter. Die Erfüllung begann mit der Rückkehr des Volkes aus der Verbannung. Viel herrlicher aber ist das Zeugnis, das uns in Christus gegeben ist und täglich gegeben wird und endlich erfüllt wird bei seiner letzten Ankunft, wo alles völlig erneuert wird und nach der Verwerfung der Gottlosen das Erbe der Welt auf uns übergeht. Jetzt brüsten sich die Gottlosen als die Herren der Welt, aber endlich werden sie erkennen, dass die Erde recht eigentlich den Kindern Gottes gehört.
Sie sollen ewige Freude haben. Dies kann auf die äußere Lage der Gemeinde bezogen werden; Gott gewährt ja den Seinen täglich Gnadenerweisungen. Da sie aber zugleich viele Bitternisse durchkosten müssen und mannigfache Traurigkeit ihnen zu schaffen macht, so wird diese Weissagung nur so erfüllt, dass die geistliche Freude in unseren Herzen aufgeht und die Oberhand behält, und jener Friede, der nach dem Wort des Paulus (Phil. 4, 7) höher ist als alle Vernunft, den allein die Kinder Gottes genießen, wenn sie das Zeugnis der Kindschaft haben. Als ewig bezeichnet aber der Prophet diese Freude, um den großen Unterschied von der Freude der Gottlosen anzudeuten, die zeitlich ist und bald verschwindet, ja sogar sich in Zähneknirschen verwandelt.
V. 8. Denn Ich bin der Herr. Der Prophet bestätigt nicht nur seine im Namen Gottes gemachten Verheißungen, sondern fordert auch die Juden auf, Vernunft anzunehmen. Er weist hin auf die Quelle des Heils und auf die Größe und das Wesen des Richters, mit dem sie es zu tun haben. Denn Gottes Wesen sagt ihm, wie sie ihr Leben führen müssen, damit sie die angebotene Gnade nicht durch ihre Schuld zurückweisen. Mit dem Worte „das Recht“ meint er alles, was recht und billig ist. Diesen Ausdruck stellt er den eitlen, selbsterdachten Werken der Juden gegenüber, die nach ihrer Meinung dem Wesen Gottes entsprechen, die aber nur ihre eigene Bosheit verdeckten. Der Herr will nichts wissen von solchem äußeren Schein, lässt sich auch durch hohles Blendwerk nicht berücken, sondern fordert wahre Herzensreinheit und Hände, die sich frei von jeder Ungerechtigkeit halten. Ein aufrichtiges Herz und ein reines Leben muss derjenige haben, der Gottes Wohlgefallen erlangen will.
Und hasse räuberische Brandopfer. Jetzt wird der heuchlerische Gottesdienst geschildert, wobei das Brandopfer nur beispielsweise für jegliche Art des Opfers genannt ist. Wenn also die Menschen Gott Opfer bringen, die aus Raub und Trug herstammen, oder wenn sie Lügen, Verstellung und Unreinheit des Herzens mit ihren Opfern verbinden oder durch böswilliges Täuschen Gottes seinen Dienst beflecken, so ist das ganz abscheulich. Dies ist aber eine allgemeine Sünde nicht bloß eines Zeitalters, sondern aller Zeiten. Denn alle Menschen geben vor, Gott zu verehren, sogar die Gottlosen wollen nicht ganz ohne die Formen der Religion sein; ist ja doch auch die Empfindung für die Gottheit allen Menschen unausrottbar eingepflanzt. Jedoch der größere Teil der Menschen spielt mit Gott und versucht mit kindischen Albernheiten ihm genug zu tun. Diese Heuchelei verdammt und verabscheut Jesaja und lehrt, dass der Herr lieber Barmherzigkeit bei uns sieht als Opfer. Wahre Gottesverehrung ist nur möglich, wenn wir die zweite Tafel des Gesetzes beobachten und von jedem Trug und Unrecht uns frei halten. Denn wer den Nächsten betrügt oder kränkt, sündigt zugleich gegen Gott. Des Propheten Absicht ist es, uns den rechten Weg wahrer Weisheit zu zeigen; die Heuchelei soll aufhören, alle erdichteten Dinge verschwinden, und Menschen, die Gott anbeten, sollen sich gegenseitig Gutes tun.
Und will ihr Tun sicherstellen. Manche übersetzen: „Ich will schaffen, dass ihr Lohn soll gewiss sein.“ Aber es ist wohl nicht bloß an den Lohn zu denken, sondern an alle Unternehmungen in unserem Leben: sehr schlecht geht es den Menschen mit ihrem Vornehmen, wenn sie Gott nicht in ihren Rat aufnehmen wollen und ihr Werk nicht unter seiner Leitung beginnen. Entweder vertrauen sie lediglich ihrer Einsicht und empfangen dann mit Recht die Strafe für ihre Leichtfertigkeit. Oder sie hangen sich an ein blindes Schicksal, das nichts Wirkliches, sondern nur trügerischen Schatten gibt. Dass aber den Menschen, die sich vom Geist des Herrn regieren lassen und sich ganz seinem Schutze übergeben, ein glückliches Gelingen geschenkt wird, wie sie es sich wünschten, ist nicht zu verwundern, weil aller Erfolg allein aus dem Segen Gottes fließt. Dass Gott das Tun der Gläubigen sicherstellen, buchstäblich, dass er es „in Sicherheit“ oder „Zuverlässigkeit“ geschehen lassen will, deutet auf einen immer gleichen Fortgang. Wohl schwelgen auch die Ungläubigen fast immer in Freuden, aber dies hat keinen Bestand. Den Grund der Beständigkeit vernehmen wir am Schluss: Gott will einen ewigen Bund mit den Seinen machen. Er will nicht nur einmal ihnen die Hand reichen, sondern der beständige Führer auf ihrer Reise sein. Und darin besteht die wahre Kraft unseres Beharrens, dass er sich herbeilässt, einen ewigen Bund mit uns zu schließen, in dem der Herr sich freiwillig für den Schuldner erklärt und uns, obgleich er uns gar nichts schuldig ist, doch aus freien Stücken alles gewährt.
V. 9. Und man soll ihren Samen kennen unter den Heiden. Hier schildert der Prophet ausführlicher die Ausbreitung der damals noch in einen kleinen Weltwinkel eingeschlossenen, nachher aber so gewaltig verringerten und geschwächten Gemeinde. Diese soll sich nach solcher Schwächung über den ganzen Erdkreis ausbreiten, sodass alle Heiden es sehen können. Dies erschien als etwas Unglaubliches. Gerade darum gaben sich die Propheten so große Mühe, diese Überzeugung herbeizuführen und immer wieder zu befestigen; man sollte die Wiederherstellung des Volkes nicht nach eigenen Gedanken oder nach der augenblicklichen Lage der Dinge beurteilen. Hier erhebt sich die Frage, wann denn die Erfüllung eingetreten ist. Ich antworte, wie schon so oft an anderen Stellen, dass dies seinen Anfang nahm mit der Rückkehr des Volkes ins Vaterland, weil es damals und noch öfters im Laufe der Zeit die Gnade Gottes vielfach an sich erfuhr. Immerhin leuchteten damals nur kleine Funken hervor, der volle Glanz erschien erst in Christus, in dessen Reiche alles völlig erfüllt wird. Als der Gottesglaube nahe am Aussterben war, sprosste Abrahams Same wieder auf. Die Draußenstehenden wurden durch den Glauben dem auserwählten Volke eingepflanzt, und diese heidnischen Völker haben erkannt, dass die Juden, mit denen sie zu demselben Glaubensbekenntnis zusammenwuchsen, der gesegnete Same Gottes seien. Dies ist nicht nur einmal erfüllt, sondern erfüllt sich noch täglich. Wenn aber die Juden die erste Stelle im Bunde Gottes innehaben, so liegt der Grund nicht in ihrer Würdigkeit, sondern in Gottes Barmherzigkeit, wie Paulus dies ausführt (Röm. 3, 2). Nachdem er gezeigt hat, dass sie sich von Natur durchaus nicht von den Heiden unterscheiden und derselben Verdammnis schuldig sind, gibt er als Grund ihres Vorzugs an, dass sie zuerst von allen Gottes Wort und Verheißungen empfangen haben. Dies ist ihnen aber nach der freien Gnade Gottes, nicht nach Verdienst oder Würdigkeit zuteil geworden.
V. 10. Ich freue mich im Herrn usw. Jetzt lässt der Prophet die Gemeinde selbst auftreten, wie sie ihrem Gott Dank sagt. Es soll dadurch das bisher Gesagte uns gewisser eingeprägt werden. Erst solche Darstellung in einem anschaulichen Bilde pflegt allen Zweifel zu besiegen. Wir sind ja von Natur so leicht zum Misstrauen geneigt und schenken eher den Gebilden menschlicher Gedanken als dem Worte Gottes Glauben.
Er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils. Dies lag noch in weiter Ferne. Man muss es aber mit den Augen des Glaubens anschauen und zu verstehen suchen. Bei der prophetischen Verkündigung von Heil und Gerechtigkeit mussten ja selbstverständlich die Augen gen Himmel erhoben werden, denn hier gibt es nichts Sichtbares; und umso weniger konnte ein so großes Glück mit den Sinnen erfasst werden, als alles dem Untergang entgegenging. Da nun aber nicht einmal heute die Gemeinde eine solche Herrlichkeit zeigt, vielmehr nur unter der Knechtsgestalt des Kreuzes in der Welt auftritt, so ist hier der Glaube notwendig, der die unsichtbaren, himmlischen Dinge erfasst. Heil und Gerechtigkeit stellt der Prophet hier nebeneinander, da eins vom anderen nicht getrennt werden darf. Die bildlichen Ausdrücke „Kleider“ und „Rock“ sind bekannt. Die Gemeinde will sagen, dass Gerechtigkeit und Heil ihr zuerteilt seien. Da aber der Herr es ist, der diese Wohltaten zuerteilt, so folgt daraus, dass man sie von ihm allein erbitten und erwarten muss.
Mit priesterlichem Schmuck geziert. Die Gemeinde lag in Schmutz und Unrat und wurde überall und von allen verachtet, wie ein verschmähtes Weib. Jetzt aber, vom Herrn angenommen, glänzt sie in wunderbarer Schönheit. Dem entspricht auch eine Schilderung bei Hosea (2, 19 ff.). Geschenkt wurde uns dies durch Christi Ankunft, aber noch täglich wird es uns geschenkt, wenn der Herr die Seinigen mit Gerechtigkeit und Heil schmückt. Völlig erfüllt aber wird alles erst bei der letzten Ankunft Christi.
V. 11. Denn gleich wie Gewächs usw. In einem herrlichen Bilde bestätigt der Prophet die früheren Verheißungen. Er erinnert die Juden an die gewöhnliche, in der Schöpfung sich offenbarende Macht Gottes. Die Erde bringt jedes Jahr ihr Gewächs hervor, die Gärten ergrünen nach dem Säen, die Kräuter und Pflanzen, die im Winter erstorben schienen, leben wieder auf zur Frühlingszeit und nehmen wieder ihre frische Farbe an. Das sind sichere Zeugnisse und Beweise für die göttliche Macht und Güte gegen uns. Dürfen wir dann an ihr zweifeln? Er, der der Erde solche Kraft und Fähigkeit verleiht, sollte er sie nicht erst recht zeigen bei der Befreiung seines Volkes? Und wird er nicht seinen auserwählten Samen, dem er ewige Dauer auf Erden verheißen hat, sich entfalten lassen?
Vor allen Heiden. Dieser Hinweis zeigt wiederum, dass die Grenzen der Gemeinde nicht mehr so eng sein werden wie früher. Der Herr lässt sie den ganzen Erdkreis füllen. Die Gerechtigkeit, auf die hier hingedeutet wird, betätigte der Herr, als er sein Volk erlöste, vor allem aber trat sie ans Licht, als Christus der Welt offenbart wurde; nicht etwa weil Gott seine Gerechtigkeit bis dahin unterdrückt hätte, sondern weil die Menschen sie nicht erkannten. Der Prophet will sagen: Gott wird sein Volk so wiederherstellen und befreien, dass alle ihn als den Gerechten anerkennen. Denn die Erlösung ist ein hervorragender Erweis der göttlichen Gerechtigkeit. Hinzugefügt wird das „Lob“: denn auf solch eine Wohltat muss die Danksagung folgen. Der Zweck der Gerechtigkeit ist die Verherrlichung Gottes. Wir werden also zur Dankbarkeit aufgefordert. Es wäre ja auch im höchsten Maße ungehörig, wenn wir die Wohltaten Gottes annehmen und stumm dabei bleiben wollten.