V. 1. Aber der Gerechte kommt um usw. Jesaja setzt seine Darlegung fort. Nach der Schilderung des sorglosen, den Lüsten gewidmeten Lebens der Heuchler und ihrer unverschämten Verachtung des göttlichen Wortes führt er Klage über ihre Nichtbeachtung der göttlichen Werke. Denn wir sollen in dieser Welt wie in einem weiten Theater die Werke Gottes anschauen. Keines seiner Werke ist so gering, dass wir gleichgültig daran vorübergehen dürften, wir müssen sie alle sorgfältig und genau beobachten. Ganz besonders sollen wir das Walten der Vorsehung daran erkennen, dass der Herr die Frommen und Rechtschaffenen aus diesem Leben wegnimmt, wenn er schärfer gegen sein Volk vorzugehen beschlossen hat. Aber niemand beachtet das oder hält es für ein Zeichen drohenden Verderbens, dass jene von Gott in Sicherheit gebracht werden, damit sie nicht dem allgemeinen Unglück anheimfallen. Die Gottlosen täuschen sich also gründlich, wenn sie ihr längeres Leben für das größte Glück achten und somit sich selbst für besser halten als die Gottesfürchtigen, die vor ihnen dahinsterben. Der Welt ergeben, wie sie sind, verhärten sie sich noch unter dem Vorgeben, dass sie beim Hinsterben der anderen sicherlich nur infolge göttlichen Wohlgefallens gesund und unversehrt blieben.
Heilige Leute. Buchstäblich wäre zu übersetzen: „Männer der Barmherzigkeit.“ So könnte man Leute bezeichnen, die Barmherzigkeit üben, und wir hätten darin eine bemerkenswerte Beschreibung der wahren Gerechtigkeit der Kinder Gottes. Heuchler suchen dieselbe in nichtigen Äußerlichkeiten, - aber dem Herrn ist nichts angenehmer als Übung der Barmherzigkeit, in welcher wir unsere Gerechtigkeit beweisen und dartun, dass unser Gemüt von aller Heuchelei frei ist. Ebenso gut aber kann man „Männer der Barmherzigkeit“ in passivem Sinn nehmen und darunter Leute verstehen, die Gott mit seiner Barmherzigkeit umfasst hat. Diese Redewendung kommt bei den Hebräern häufig vor. Sehr treffend würde dann die Gnade Gottes stillschweigend den verkehrten und widerwärtigen Urteilen der Menschen entgegengesetzt. Denn diese pflegen Leute, die in der Blüte der Jahre dahingerafft werden, für Verdammte zu halten. Jedenfalls geht aus unserer Stelle hervor, dass zu jener Zeit viele rechtschaffene Männer vom Herrn hinweggenommen wurden, deren Tod irgendeine schreckliche Heimsuchung anzeigte, dass aber die Juden diese Vorzeichen nicht beachtet, sondern sich noch viel frecher gebärdet haben, in der Meinung, dass es mit ihnen ganz gut stehe, weil sie ja gerade die frömmsten Leute überlebten.
Diese Unterweisung aber ist für alle Zeiten sehr nützlich. Denn Gott nimmt oft fromme Menschen hinweg aus diesem Leben, wenn er die Freveltaten der Gottlosen streng zu bestrafen gedenkt. Da er für die Seinen besonders sorgt, reißt er sie aus Erbarmen gleichsam aus dem Feuer, die Überlebenden aber sollen daran den Zorn Gottes erkennen. Doch geschieht dies nicht als ein unverbrüchliches Gesetz, indem oft die Gerechten mit den Gottlosen in zeitliche Strafen hineingezogen werden, aber immerhin so häufig, dass es selten anders kommt. In unserer Zeit haben wir ein hervorragendes Beispiel dafür an dem Tode Luthers, der kurz vor jener schweren, von ihm lange vorher angekündigten Heimsuchung Deutschlands1) aus dieser Welt genommen wurde, als Verachtung des Evangeliums, Schandtaten und Leidenschaften allenthalben hervorbrachen. Er hat den Herrn oft, ihn vor dem Hereinbrechen jener schweren Strafgerichte, bei deren Vergegenwärtigung seine ganze Seele erschauerte, aus diesem Leben hinweg zu nehmen. Der Herr hat ihm seine Bitte gewährt. Bald nach seinem Tode brach plötzlich und unerwartet jene traurige, vernichtende Heimsuchung über Deutschland herein. Es ereignen sich täglich solche Beispiele, und wenn die Menschen diese beachteten, würden sie sich nicht so sorglos in ihren Lastern gehen lassen. Dies Ereignis glaubte ich aber besonders erwähnen zu müssen, einmal weil es erst kürzlich stattfand, sodann weil es bei einem so ausgezeichneten Herold des Evangeliums und Propheten Gottes besonders deutlich in die Augen springt. Wir müssen also Gottes Werk sowohl im Leben als im Tode der Gerechten ernstlich zu erkennen suchen, besonders aber in ihrem Tode, durch den der Herr sie zu einem besseren Leben abruft, damit sie den Plagen entnommen werden, welche über die Gottlosen kommen müssen.
V. 2. Und die richtig vor sich gewandelt sind usw. Der Prophet beschreibt den Zustand der Frommen im Tode. Denn die Gottlosen, die nur ein irdisches Leben kennen und im Tode nur Vernichtung sehen, glauben, dass sie untergegangen seien. Darum sagt er, dass Friede für sie kommen wird, der köstlicher ist als ein tausendfaches Leben in Unruhe. Er vergleicht sie ungefähr mit abgedankten Soldaten, die sich einer freundlichen Ruhe hingeben dürfen. Er gebraucht ferner das Bild des Schlafes, um ihre völlige Befreiung von jeglicher Unruhe und Sorge auszudrücken. Es ist, als ob sie sicher und friedlich auf ihrem Lager schlummern. Die Gerechten werden also beim Tode nach der Vollendung ihrer mannigfachen Aufgaben wie nach zurückgelegter Reise zur Ruhe und zum Frieden gerufen. Sie ruhen aber in ihren Kammern, weil sie noch nicht die volle Seligkeit und Herrlichkeit besitzen, sondern den Tag der Auferstehung erwarten, an dem alles völlig erneuert wird. Wenn nun jemand fragen sollte, ob denn nicht die Gerechten schon bei ihren Lebzeiten diesen Frieden genießen, weil es doch eine Frucht des Glaubens ist, dass wir unsere Seelen in Geduld fassen, so gebe ich folgende Antwort: Wenn auch der Glaube in unseren Herzen Frieden wirkt, so werden wir doch von mannigfachen Erregungen und Beschwerden beunruhigt, und wir können in unserem Leben niemals solche Ruhe und Frieden haben, als wenn der Herr uns zu sich nimmt. Sanft und friedlich ist also der Tod der Gerechten, da er vor Gott wertvoll ist; der Tod der Gottlosen aber ist voll Unruhe. Hieraus können wir auch die Unsterblichkeit der Seelen folgern: denn wenn die Seelen keine Empfindung hätten, wie gewisse Schwärmer faseln, dann könnten sie auch keinen Frieden genießen. Sie genießen also Frieden und Ruhe, weil sie in Christo leben.
V. 3. Und ihr, kommt herzu usw. Nach den Ausführungen über den sanften und seligen Tod der Frommen wendet sich der Prophet mit großer Heftigkeit gegen die Gottlosen, die ihr schändliches und nichtsnutziges Leben weiterführen, ohne sich durch den Tod der Frommen bewegen zu lassen. Wie er den Frommen den Genuss des Friedens zusprach, so kündigt er nun diesen einen unversöhnlichen Krieg an. Ja, den heiligen Dienern Gottes wird, wie er ausgeführt hat, der Tod gleichsam ein Schlupfwinkel sein, der sie schützt vor den Stürmen und Unruhen; den frechen Gottesverächtern aber hält er die härtesten Drohungen vor. Man muss hier die Gegenüberstellung der Frommen, die vor Gott wandeln, und der Gottlosen, die mit dem frechen Widerstand gegen Gott nicht aufhören, beachten. Jene haben Frieden, wenn sie sterben, diese werden sowohl im Leben voll Unruhe sein als auch im Tode schreckliche Qualen erdulden. Der Prophet heißt sie vor den Richterstuhl Gottes treten, dem sie mit ihren Schutzmitteln entfliehen zu können meinen. Er sagt damit, dass ihnen dies Fliehen gar nichts nützen wird, weil sie dann gegen ihren Willen dahingeschleppt werden. Überhaupt mussten sie umso schärfer angestachelt werden, je mehr sie sich verhärteten. Darum konnte der Prophet gar nicht herbe genug reden, um sie aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln und ihr hochfahrendes Wesen zu beugen. Die eitle Prahlerei der Juden hinsichtlich ihrer Abstammung ist ja hinlänglich bekannt; darum mussten die Propheten gewöhnlich diesen Stolz und Übermut zurückweisen und ihre Abrahamskindschaft wegen ihrer Entartung und Treulosigkeit bestreiten. In diesem Sinne redet Jesaja sie an: ihr Same des Ehebrechers und der Hure. Ebenso wirft Hesekiel (16, 3) ihnen vor: „Dein Vater ist ein Amoriter, deine Mutter eine Hethiterin.“ Allenthalben begegnen uns solche Redewendungen. Der Prophet weist also ihre unerträgliche Frechheit zurück und zieht sie trotz ihres Sträubens hervor an die Öffentlichkeit, damit sie nicht glauben, dem Gerichte Gottes entfliehen zu können.
V. 4. Über wen macht ihr euch lustig? Diese Sätze zeigen, wie die Juden gar keinen Grund hatten, unter Hinweis auf ihre Abstammung so stolz zu tun, da sie Gott und die Propheten verhöhnten. Indem sie Gottes Wort verschmähten, glaubten sie es nur mit Menschen zu tun zu haben; wie wir es auch heute noch sehen, dass die Gottlosen, während sie unbekümmert die Lehre Gottes verachten und seine Diener verhöhnen, nichtsdestoweniger den Namen Gottes vorschützen und in eitler Weise sich seiner rühmen. Das ist der Grund, weshalb der Prophet ihnen recht heftig zusetzt und sie aufrüttelt. Er will sagen: Glaubt ihr es etwa nur mit einem sterblichen Menschen zu tun zu haben, wenn ihr die Zunge ausstreckt wider Gott und sein Wort verhöhnt? Die eindrückliche Frageform deutet an, dass sie zu allerlei Hilfsmitteln gegriffen haben, um ihre Gottlosigkeit zu verdecken. Sie wollen ja nicht ihre Gottlosigkeit und Widerspenstigkeit eingestehen; ja, sie behaupten sogar, ihnen geschehe schweres Unrecht. Aber sie sollen an das helle Licht hervorgezogen und ihrer Gottlosigkeit überführt werden. Denn wenn es einen Gott im Himmel gibt, dann ist er es, gegen den sie streiten, indem sie gegen sein Wort ankämpfen oder es verwerfen und für eine Fabel halten.
Über wen sperrt ihr das Maul auf und reckt die Zunge heraus? Diese Wendungen besagen das Gleiche wie die vorige, höchstens könnte darin die Unverschämtheit des Gebarens noch stärker herausgehoben sein: man verwirft nicht bloß den Herrn, sondern macht ihn noch zum Gespött. Die im Innern ihrer Seele vorhandene Verachtung hatte sie zu solchem offenbaren, frechen Spott getrieben, dass sie vor keiner Schamlosigkeit mehr zurückschreckten. So zieht der Prophet endlich den Schluss, dass sie Kinder der Übertretung und ein falscher Same sind. Er hat sie also mit Recht als Söhne des Ehebrechers bezeichnet. Denn Kinder Abrahams können unmöglich in dieser Weise Gott verachten. Hieraus können wir lernen, wie man die Gottlosen behandeln und wie streng man ihnen zusetzen muss, damit sie nicht mit sich zufrieden seien; je mehr sie alle im Namen Gottes gemachten Vorhaltungen verachten, umso mehr muss ihre verruchte Gottlosigkeit aufgedeckt und ans Licht gezogen werden.
V. 5. Die ihr in der Brunst zu den Götzen lauft. Der Prophet bedient sich eines allenthalben in der Schrift gebräuchlichen Bildes, das an dieser Stelle sehr gut passt. Der Herr pflegt die Leidenschaft der Götzendiener zu vergleichen mit der ehebrecherischen Liebe, welche die leichtsinnigen und bedauernswerten Menschen blindlings dahinstürzen lässt. Die Götzendiener kennen ja gar keine Mäßigung und lassen sich auf keine Weise von ihren wahnwitzigen Trieben zurückhalten. Es ist aber der Götzendienst vor Gott die schlimmste Hurerei.
Und schlachtet die Kinder. Hier greift der Prophet die Juden noch schärfer an und zeigt, dass sie nicht der wahre Same Abrahams seien, da sie sich mit jeglicher Art Aberglauben beflecken. Weil die Juden Gefallen fanden an solchen erdichteten Dingen, deckt er ihr schändliches Tun auf: Ihr schützt zwar den Namen „Gottesdienst“ vor, ich aber sage euch, dass ihr mit den Götzen hurt. Auf diese Weise muss man also die Gottlosigkeit, welche die boshaften und verschmitzten Menschen mit allerlei Beschönigungen zu verdecken suchen, aufdecken und mit dem Finger aufzeigen. Somit erfüllt der Prophet treu seine Pflicht, wenn er sie vor den Richterstuhl Gottes fordert und die Angeklagten bis zur Verurteilung verfolgt, obwohl sie auf alle Weise fliehen wollen. Er zeigt, dass sie Übertreter und mit ihrem abscheulichen Götzendienst vom Gesetze Gottes abgefallen sind. Er erwähnt auch eine besondere Art dieses schauderhaften Götzendienstes oder vielmehr dieser fluchwürdigen Ungeheuerlichkeit, nämlich die Opferung der Kinder. Daraus kann man genügend erkennen, wie mächtig der Lügengeist dort ist, wo die Menschen einmal von Gott abgewichen sind. Satan nimmt ihre Sinne so in Besitz, dass er sie völlig in Tollheit und Wahnsinn stürzt. Denn Leute, die ihre Kinder nicht verschonen, sondern sie schlachten, in der Meinung, damit ein rechtes Opfer darzubringen, sind unbedingt unsinnig und toll. Und doch waren sie nicht um einen Vorwand für dieses furchtbare Morden verlegen. Sie verteidigten ihre Verbrechen mit dem Beispiel Abrahams, der seines einzigen Sohnes nicht verschonte. Aber Abraham tat dies auf göttlichen Befehl, diese aber auf eigenen Antrieb, ohne einen Befehl Gottes. Durch eine außerordentliche Tat wollte der Herr den Glauben Abrahams erproben und kundtun. Jedoch wurde Isaak nicht geopfert; der Herr war mit der freudigen und gehorsamen Bereitwilligkeit Abrahams zufrieden. Diese aber schlachteten tatsächlich ihre Kinder. Ihre Handlungsweise unterschied sich sehr von der ihres Vaters und war darum eine böse und verdammungswürdige Nachahmung. Man muss dies wohl beachten, denn ein großer Teil Aberglauben ist aus dieser Quelle der Nachäffung geflossen. Gedankenlos und wahllos übernahmen die Menschen alle Handlungen der Väter.
V. 6. Dein Wesen ist an den glatten Bachsteinen. Er verfolgt denselben Gedanken weiter und geißelt in verschiedener Weise die in Judäa herrschenden, abergläubischen Gebräuche. Kein Ort war von Götzendienst frei und unbesudelt. Es gab keinen Felsen, keine Flüsse, keine Täler, überhaupt keinen Punkt, wo sie nicht ein Denkmal ihres Aberglaubens errichtet hätten. Sie hatten ihre Haine und Berge, wo sie nach Art der Heiden opferten. Ob wir nun „glatte Steine“ oder „Flussgegenden“ übersetzen – der Sinn bleibt derselbe: die Worte wollen ausdrücken, dass die Juden sich selbst eine Form der Gottesverehrung ausgewählt und dabei die von Gott in seinem Gesetz gegebene Vorschrift verlassen haben. Jeder Gottesdienst, den sie nach eigenem Gutdünken ausüben, ist verabscheuenswert und gottlos. In den Dingen der Religion und des Gottesdienstes muss man einzig und allein auf das Wort Gottes hören.
Dieselbigen sind dein Teil. Der Ausdruck spielt ohne Zweifel auf das Zeugnis Moses an, durch dessen Mund der Herr dem Volk zusagte, dass es sein Teil sein solle (5. Mose 32, 9 vgl. 7, 6). Mit ihm allein sollten sie zufrieden sein. Das hat David erfahren, wenn er sagt (Ps. 16, 5): „Der Herr ist mein Teil, mein Erbteil.“ Da nun die Juden von Gott abgefallen und den Götzen gefolgt sind, so mögen sie sich an diese halten. Der Herr gibt ihnen zu verstehen, dass sie an ihm keinen Teil haben sollen.
Denselbigen schüttest du dein Trankopfer. Der Herr fährt fort in der Aufzählung abergläubischer Gebräuche und bestätigt, dass er von ihnen verworfen und verleugnet sei, da sie ja das, was ihm allein gebührt, auf die falschen Götter übertrugen. Die Juden konnten nun gegen jeden einzelnen Vorwurf des Propheten die Behauptung setzen, dass sie mit ihrem Tun lediglich den Herrn ehren wollten. Aber der Prophet hält sich nicht bei diesen eitlen und törichten Einwürfen auf. Denn durch die selbsterfundenen Gottesdienste reizt man Gottes Zorn; und je länger sie dauern, umso heftiger entbrennt er. Daraus erkennen wir, dass man große Nüchternheit bei der Verehrung Gottes anwenden und allein nach seinem Wort sich richten muss. Wer auch nur geringe Abweichungen sich zuschulden kommen lässt, wird nicht nur vergeblich sich mühen, sondern auch den Zorn Gottes erregen, seine Majestät frevelhaft verletzen und, soweit es an ihm liegt, vermindern.
Soll ich mich darüber trösten? Andere übersetzen: „Sollte ich es mich bei solchen Dingen gereuen lassen?“ – nämlich, das Volk zu züchtigen. Doch scheint unsere Übersetzung passender: Soll ich Freude oder Trost finden an diesen Opfern, die ihr mir dargebracht habt? Die Götzendiener pflegen sich so zu erfreuen an ihren Gebilden und meinen, alles das, wofür sie in sinnloser Leidenschaft entbrennen, sei auch Gott angenehm. Eine solche Frage ist nicht überflüssig, wenn die Menschen Gott für ihresgleichen halten und meinen, das, was ihnen gefällt, müsse auch ihm angenehm sein. Er weist das aber zurück; nichts anderes gefällt ihm, als was mit seinem Worte übereinstimmt.
V. 7. Du machst dein Lager usw. Hier wird das Bild wiederholt, das uns soeben (V. 5) schon begegnete. Die Abergläubischen huren mit ihren Götzen, denn sie verlassen das schlichte Gotteswort, brechen die Treue des heiligen Ehebundes, den Gott mit ihnen geschlossen, und geben sich dem Satan preis. Hier aber will Jesaja noch etwas mehr ausdrücken. Denn, wenn er sagt, sie hätten ihr Lager auf einem hohen Berg aufgeschlagen, so bedeutet das, dass sie sich ihrer Schande gar nicht schämen; wie ein Hurer nach Preisgebung seiner Schamhaftigkeit den Anblick der Menschen nicht scheut, so haben auch sie offen und ohne Scheu an einem sichtbaren und hohen Orte gehurt. Die Altäre und Haine vergleicht der Prophet mit Lagerstätten, auf denen jene fluchwürdige Schandtat geschieht, die Menschen aber, die dort opfern, mit schamlosen und heillosen Hurern. Am Ende des Verses nennt der Prophet ohne Bild die von ihm getadelte Art der Hurerei, nämlich, dass sie ihren Götzen Opfer darbringen. Und doch glauben sie dabei, Gott den schuldigen Gehorsam zu erweisen. Der Herr aber verwirft alle Gebilde des Menschenwitzes und verflucht jene Zügellosigkeit.
V. 8. Hinter die Tür und Pforte setzt du dein Denkmal. Damit wird die erwähnte Schandtat als noch abscheulicher hingestellt, damit sich das Volk nicht länger in seinen Gedankengebilden schmeichle. Wahrscheinlich haben wir hier eine Anspielung an Moses Worte, in welchen der Herr befiehlt, dass die Kinder Israel sein Gesetz immer vor Augen haben, es an die Pfosten des Hauses schreiben, an die Hände binden und in die Zipfel ihrer Kleidung weben sollten, damit sie beständig an ihre Pflicht erinnert würden (5. Mose 6, 6 ff.). Dagegen besudelten die Juden die Türen und Pfosten ihrer Häuser mit den Merkmalen des Götzendienstes und ließen keinen Winkel von diesen Schmutzereien frei. Daher war ein Vergessen Gottes und des Gesetzes überall eingedrungen. An deren Stelle hatten sie die Reizmittel ihrer bösen Lust aufgerichtet.
Und machst dein Lager weit. Der Prophet wiederholt das vorher Gesagte und kommt wieder zu jenem Ergebnis, dass die Juden in der Meinung, Gott zu verehren, mit den Götzen die scheußlichste Hurerei treiben, darum weil sie nicht der Richtschnur seines Wortes folgen. Es ist genau dasselbe, wie wenn ein Weib den Mann verlässt, sich preisgibt und unterschiedslos alle beliebigen Männer annimmt, als ob das Bett eine weite, zur Aufnahme großer Scharen bestimmte Ebene wäre. Deswegen sagt der Herr: Du wendest dich von mir, buchstäblich: „in Abkehr von mir hast du dich entblößt.“ Israel hat sich unter Abwerfung der ehelichen Scham von anderen schänden und entehren lassen. Gott steht hier an Stelle des Mannes, dem es sich hätte unterwerfen müssen, aber es suchte andere Männer auf und verletzte den Ehebund. Dass die Juden sich aus eigenem Antrieb den Götzen hingaben, vergrößert ihre Schuld; sie gleichen einem schamlosen Weibe, das in blinder Leidenschaft hinter einem Manne herläuft. Noch ein anderer bildlicher Ausdruck schildert jene Liebesraserei: Du liebst ihr Lager, wo du sie ersiehst. Ein einziger Anblick genügt, dass sie sich in plötzlicher Aufwallung an jeden beliebigen Ort hinführen lassen. Nebenher straft der Prophet auch die menschliche Frechheit, die sich für die Gottesverehrung genügende Einsicht zutraut und dafür beliebige Plätze aussucht. Es ist aber dieser Scharfsinn ein teuflischer, denn Gott will, dass unsere Augen nur auf ihn und sein Wort gerichtet und gegen alles andere verschlossen sein sollen.
V. 9. Du zeuchst mit Öl zum Könige. Hier berührt der Prophet ein anderes, dem vorigen verwandtes Übel. Mannigfache Irrtümer bringt ja die Gottlosigkeit hervor und stürzt die leichtfertigen und ohne Gottesfurcht dahinlebenden Menschen in schwere und verwickelte Nöte. Denn es ist recht und billig, dass Leute, die nicht in Gott ihre Ruhe suchen wollen, umgetrieben, ja auf und nieder gerissen werden. Der Prophet wirft also den Juden vor, dass sie viel und lange sich abmühen, Hilfe bei Gottlosen zu suchen. Zuerst wollten sie wider die Assyrer sich mit den Ägyptern verbünden; als sie sich in dieser Hoffnung betrogen sahen, nahmen sie ihre Zuflucht zu den Babyloniern. Denn sobald die Menschen sich von Gott abgekehrt haben, suchen sie sich anderswo Hilfe und machen sich doch unter großen Kosten und Anstrengungen nur neue Nöte. Während nun der Herr den Seinen Frieden spendet, damit sie ihre Arbeit in Ruhe vollenden können, quälen sich die Gottlosen umsonst, stehen früh auf, legen sich spät nieder und essen ihr Brot mit Sorgen, wie es im Psalm (127, 2) heißt. Und doch kommen sie nicht im Geringsten vorwärts, weil sie ohne den Schutz und die Leitung Gottes nichts vermögen. Diese Strafe legt der Herr ihnen auf, dass sie fortwährend zweifelnd und unbeständig hin- und hergetrieben werden und niemals innerlich Ruhe finden können.
V. 10. Du zerarbeitest dich usw. Der Prophet legt dar, wie die Menschen, wenn sie Gott nicht folgen, unnütze und törichte Werke beginnen. Sie quälen sich umsonst. Denn das, was ohne und gegen Gott unternommen wird, kann niemals einen glücklichen Ausgang nehmen. Und in beißender Weise verspottet der Prophet die verkehrten Unternehmungen solcher, die sich lieber in Vielgeschäftigkeit ganz verzehren wollen, als ruhig dahingehen, wohin der Herr ruft.
Und sprichst nicht: Ich lasse es. Dies will besagen: Obwohl du die Vergeblichkeit deiner Anstrengungen einsiehst, setzt du doch deine Unternehmungen hartnäckig fort, während doch sonst törichte Menschen bei einem Misslingen ihrer Pläne gewöhnlich von Reue ergriffen werden. Es müssen also verstockte und ganz unheilbare Leute sein, auf welche ein böser und unglücklicher Ausgang keinen Eindruck macht, sodass sie sich einmal die Frage vorlegten: Was treibst du? Diese hartnäckige Verstockung beschreibt auch Jeremia einmal (18, 12), wenn auch mit etwas anderen Worten. In ihrer Widerspenstigkeit setzen die Juden gegen die Mahnung zur Buße das Wort: „Daraus wird nichts; wir wollen nach unseren Gedanken wandeln.“ An unserer Stelle dagegen tadelt Jesaja einen Stumpfsinn, welcher derartig lähmend wirkt, dass man seine Torheit nicht mehr zu erkennen, noch bußfertig umzukehren vermag.
Weil du findest ein Leben in deiner Hand usw. Israel ist von seinem Wege nicht umgekehrt, weil ihm das Glück bis zur Stunde günstig zu sein schien. Denn die Ungläubigen gefallen sich bei glücklichen Erfolgen immer mehr in ihrem Unglauben; die Menschen werden, wie man gewöhnlich sagt, im Glücke blind. Dies geschieht vor allem dann, wenn sie in Gottvergessenheit sich auf ihre Wege und Unternehmungen versteifen: dann verachten sie den Herrn in frevelhafter Sicherheit.
V. 11. Vor wem bist du so in Sorge? Hier lässt der Prophet die Juden noch härter an, weil keine Furcht Gottes in ihnen war, obwohl sie sich mit ihrer Heiligkeit brüsteten und auf die Religion fälschlich pochten. Denn die Heuchler sind in ihrem Aberglauben nicht nur selbst mit sich zufrieden, sondern werden auch von der Menge für heilig und fromm gehalten; deswegen brüsten sie sich vor Gott und Menschen und tragen ein freches Wesen zur Schau. Der Prophet aber erklärt, dass wahre Gottesfurcht dort nicht sein könne, wo man den Herrn nicht rein und nach der Vorschrift seines Wortes verehrt. Was auch immer die Menschen denken mögen über die in die Augen fallenden gottesdienstlichen Veranstaltungen der Abergläubischen, es ist eitel Gottlosigkeit und Unsinn. Somit stellt der Prophet fest, dass Gottesfurcht, Religion, bei ihnen nicht vorhanden ist, obwohl sie in ihrer Maske sich etwas dünken. Ja, sie erklären sogar durch ihre Gebräuche, wie durch klare Zeugnisse, dass sie den Herrn weder ehren noch fürchten. Gott bezeugt durch Mose (5. Mose 13, 3), dass er die falschen Propheten mit ihrer Einführung unfrommer und fremder Dienste gewähren lasse, um zu erproben, ob man ihn von ganzem Herzen liebe. Wer also zu ihnen übergeht, zeigt seinen gänzlichen Mangel an Gottesfurcht. Wenn sie daran dächten, dass sie einst Rechenschaft vor ihm ablegen müssen, würden sie seine Gebote nicht so mutwillig mit Füßen treten. Des Herrn Klage, dass man an ihn nicht denke, lehrt, dass die Juden mehr aus Starrköpfigkeit gegen ihn gekämpft als aus Unwissenheit geirrt haben; denn da sie eine sichere Richtschnur für die rechte Lebensführung hatten, sind sie aus eigenem Willen von ihm abgefallen und haben die ihm versprochene Treue gebrochen. Die Schärfe dieses Blitzstrahls gegen die Heuchler, die alle Drohungen verlachen und sich mit nichtigen Hüllen decken, muss man wohl beachten, indem der Herr sie hier bezeichnet als Leute ohne Gottesfurcht, als Lügner, die ihn vergessen haben.
Meinst du, Ich werde allewege schweigen usw. Der Herr macht den Juden den Vorwurf des Missbrauchs seiner Geduld und Nachsicht, die doch ihren Sinn hätte beugen müssen. Das ist ja die Ruchlosigkeit der Menschen, dass sie frecher zum Sündigen werden und das, was unbestraft bleibt, für erlaubt halten. Weil der Herr bisher geschwiegen hatte, fürchtete Israel ihn nicht, während doch seine Güte den Widerstand hätte brechen müssen. Daraus entnehmen wir, dass die Juden sich nicht über eine allzu große Strenge Gottes beklagen konnten, da er sie lange in Geduld getragen hat; gerade infolge dieser Straflosigkeit sind sie schlimmer geworden. Deswegen war es notwendig, dass er andere Saiten aufzog und gegen ihre Freveltaten schärfer vorging.
V. 12. Ich will aber deine Gerechtigkeit anzeigen usw. Der Prophet legt dar, dass Gott mit dem früheren Gewährenlassen aufhören werde und einen anderen Weg einschlagen müsse. Von „Gerechtigkeit“ spricht er in ironischem Sinne; er meint damit alle Gottlosigkeit und Irrtümer, mit denen Israel sich befleckt und verderbt hatte. Er will sagen: Ich werde euch das Wesen eurer Gerechtigkeit zeigen. So lange nämlich Gott schweigt, erscheinen die Ungerechtesten und Unreinsten gerecht, wenn aber der Herr seinen Richtstuhl besteigt, werden die Menschen aus ihren Schlupfwinkeln hervorgeholt und ihre Schuld wird offenbar. Die Menschen werden, nachdem sie lange manches sich einbilden konnten, endlich den Herrn als Richter verspüren. Dass für Israel seine Werke kein Nutzen sein sollen, bezieht sich auf den Erfolg, nach dem die Menschen fast immer zu urteilen pflegen. Sie fragen nicht, ob etwas gerecht oder ungerecht ist, sondern sie halten alles, was ihnen Vorteil bringt, für annehmbar. Der Prophet verkündigt ihnen also, dass alle Werke, von denen sie irgendeinen Nutzen erhofften, ihnen zum Verderben gereichen würden.
V. 13. Wenn du rufen wirst usw. Hier wird weiter ausgeführt, was der vorige Vers aussprach, dass Israel im entscheidenden Falle zu Schanden werden wird. Denn der Ausdruck: lass dir deine Haufen helfen – bedeutet so viel als: sie werden es nicht tun. Übrigens liegt in dem Satz eine Anspielung auf den Vorwurf (V. 9), dass Israel mit Salben zum Könige zog. Als „Haufen“ werden alle zusammengehäuften Schutzmittel bezeichnet, durch welche die Juden glaubten, sicher sein zu können.2) Im Vertrauen auf diese geben sie sich Lastern aller Art hin, als ob dies deswegen straflos für sie bleiben würde, weil sie von allen Seiten umhegt und gesichert wären. Aber der Herr zeigt die Nutzlosigkeit alles dessen, was man fern von ihm sich zusammensucht. Dass sie rufen, deutet auf das Unglück, welches sie heimsuchen sollte. Im Vertrauen auf ihre Bündnisse und die Macht der Bundesgenossen glaubten sie in völliger Ruhe dahinleben zu können, als ob sie niemals vorher betrogen worden wären. Der Prophet aber verkündigt ihnen die vollständige Nutzlosigkeit aller von ihnen zusammengesuchten Hilfsmittel. Denn abscheulich und verflucht ist jenes Vertrauen, das sich von Gott abwendet und sich auf äußere Dinge oder den Schutz der Menschen gründet. Früher schon wurde dem Volke der Vorwurf gemacht, dass es, unzufrieden mit dem stillen Wasser Siloah, reißende und starke Ströme aufsuchte, von denen es schließlich verschlungen werden müsse (8, 6 ff.). Das ist ja auch tatsächlich geschehen, denn die Assyrer, Ägypter und endlich die Chaldäer, mit denen die Juden sich verbündet hatten, gewährten ihnen nicht nur keinen Vorteil, sondern gereichten ihnen zum Verderben. Im Gegensatz dazu ruft der Prophet sie zum Vertrauen auf Gott zurück, ein Heilmittel, das man gegenüber allen Übeln anwenden muss; haben doch alle Übel ihren Ursprung im Unglauben und Misstrauen. Also: Wer auf mich traut, wird das Land erben. Damit will der Herr etwa sagen: Was anderes begehrt ihr, als dass ihr selbst unversehrt bleibt und euer Erbe gesichert sei? In meiner Macht steht es, dies zu gewähren. Denn wer hat euch in dies Land gebracht? Wer hat den Besitz desselben sichergestellt? Trotzdem nehmt ihr eure Zuflucht zu Ägypten, sucht nichtige Hilfe bei Menschen und verachtet meine Kraft! – Zweifellos meint der Herr mit dem Erbe das Land Judäa, in dem die Juden unversehrt zu bleiben wünschten; nachher nennt er ja seinen heiligen Berg, auf dem der Tempel stand. Die Juden erwiesen also dem Herrn nicht den schuldigen Gehorsam, da sie lieber zur Macht der Assyrer und Ägypter als zu ihm ihre Zuflucht nahmen. Daraus können wir die allgemeine Lehre entnehmen, dass es mit unseren Angelegenheit sehr gut steht, wenn wir auf den Herrn hoffen; wenn wir aber das Vertrauen zu ihm wegwerfen, dann ist es kein Wunder, wenn wir schwanken und in mannigfacher Weise beunruhigt werden. Mit der Erwähnung des heiligen Berges, zu dem die Juden zurückgeführt werden sollten, soll angedeutet werden, dass das Leben und alle seine Güter nur wünschenswert sind zu dem Zwecke, dass wir Gott verehren. Deswegen sollen unsere Augen immer auf seinen Dienst und den Gehorsam gegen ihn gerichtet sein, wenn wir Leben oder Freiheit oder andere Lebensgüter begehren.
V. 14. Und wird sagen: Macht Bahn usw. Die Verheißung, dass, die auf den Herrn trauen, das Land besitzen würden, konnte lächerlich erscheinen, da sie ja alsbald daraus vertrieben werden sollten. Darum wird zu Nutz der Frommen, die dann noch übrig bleiben werden, eine zweite Verheißung hinzugefügt: sie sollen, obwohl aus dem Lande Kanaan vertrieben und weithin fortgeführt, doch in dasselbe zurückgeführt werden. Der Prophet tritt also den so leicht aufsteigenden Zweifeln entgegen, damit die Frommen in der harten und langen Verbannung nicht den Mut verlören oder die Verheißung Gottes für trügerisch hielten. Obwohl also die Juden eine Zeitlang ihres Landes beraubst sein sollen, werden sie doch vom Herrn dahin zurückgebracht, der die Wege zu ihrer Rückführung zu ebnen befiehlt. Diese Stelle stimmt mit dem 40. Kapitel überein, wo der Herr auffordert, sein Volk zu trösten, die Rückkehr nach Judäa anzukündigen und die Wege zu bereiten. Da die Juden in Babylonien wie in einem Grabe eingeschlossen waren, der Weg lang und schwierig war und eine große Wüste dazwischen lag, konnten sie ja kaum eine Hoffnung auf Rückkehr in das Vaterland hegen. Daran durfte also Jesaja nicht leichthin vorübergehen, damit sie weder vor den dazwischen liegenden Bergen noch vor dem Meere noch vor irgendwelchen anderen Hindernissen zurückbebten. Angeredet werden aber Leute wie Cyrus und Darius, deren Herz der Herr entflammte, den Juden den Weg zu bahnen und zu sichern. Der Prophet will sagen, dass der Herr Diener, die ihnen selbst noch unbekannt sind, senden werde, durch deren Arbeit der Weg gebahnt und das Volk befreit wird. In der Form der Anrede, in der er sie auffordert, liegt mehr Nachdruck, als wenn er in der dritten Person gesprochen hätte. In der Aufforderung zur Beseitigung der Anstöße ist der Hinweis enthalten, dass es keinen Grund zur Furcht vor den Schwierigkeiten und Hindernissen der Wege gibt, - der Herr wird sie mit leichter Mühe beseitigen, sobald es ihm gefällt. – Aus dem Wege meines Volkes. Die Hoffnung auf Rückkehr ist darin eingeschlossen, dass der Herr sein zurückkehrendes Volk wiederum im Lande Kanaan ansiedeln will. Wenn auch sonst kein Weg sich zeigen mag, es muss doch einer da sein, und es müssen alle Schranken und Hindernisse durchbrochen werden; denn der Herr hat die Rückkehr verheißen, und er ist Führer auf der Reise.
V. 15. Denn also spricht der Hohe usw. Diese Sätze bekräftigen die vorhergehende Ausführung über die Wiederherstellung des Volkes nach der Verbannung. Der Vers kann zwiefach ausgelegt werden: einmal in dem Sinne, dass der Prophet dem Zweifel, der die Herzen der Frommen beschleichen konnte, entgegentritt, indem er einander entgegengesetzte Benennungen Gottes zusammenstellt; oder aber er zieht seine Schlüsse aus dem Wesen Gottes, um schwache Gemüter zu stärken. Um es deutlicher auszudrücken: wir wissen für´ s erste, dass wir häufig in Verwirrung geraten durch den Gedanken, Gott wohne zwar im Himmel, sei aber weit entfernt, vergesse die Angelegenheiten der Menschen oder sehe geringschätzig auf sie hernieder, kurz, er kümmere sich nicht um uns. Um diese Einbildung zu zerstören, sagt der Prophet, Gott wohne zwar an einem erhabenen Orte, aber nichtsdestoweniger habe er diese Welt im Auge und lenke sie nach seiner Vorsehung. Denn er ist besorgt um das Heil der Menschen und wohnt bei den Bekümmerten und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Herzens sind, wie es im Psalm (138, 6) heißt: „Der Herr ist hoch und sieht auf das Niedrige“, - und ebenso an anderen Stellen. Nach der anderen Auffassung will der Prophet zeigen, dass Gott völlig verschieden von uns ist. Deswegen zittern wir ja im Unglück, weil wir ihn nach unserem Maß messen und sprechen: Wie sollte der uns in unserer Bedrängnis Hilfe bringen? Gewöhnlich werden ja die Menschen im Unglück vergessen und gering geachtet. So glauben wir auch bei Gott für nichts geachtet zu werden, da wir ihn nach unserer Art uns denken. Aber wir müssen ganz anders über ihn urteilen. Darum sagt der Prophet, dass Gott im Himmel wohne, um anzudeuten, dass er menschlichen Stimmungen nicht unterworfen sei. Er bleibt sich jederzeit treu und ändert seinen Plan niemals. Wenn er also einmal die Wiederherstellung des Volkes verheißen hat, dann führt er das auch aus. Diese Auffassung gefällt mir wohl, doch weise ich auch die erstere nicht ab, die voller und inhaltreicher ist und zu anderen Schriftstellen passt, in denen diese beiden Stücke verbunden zu werden pflegen: dass Gott im Himmel wohnt und doch um die Angelegenheiten der Menschen, insonderheit seiner Kinder, sich kümmert.
Der ewiglich wohnt. Wir sind unbeständig, richten unsere Neigungen bald hierhin bald dorthin, und unsere Seele bleibt nicht immer fest mit dem verbunden, den wir einmal ins Herz geschlossen haben. Deshalb unterscheidet der Prophet Gott von den Menschen; auf ihn fällt kein Schatten, wir aber besitzen nicht jene Beständigkeit, dass wir uns dauernd um diejenigen kümmern, die unsere Hilfe nötig haben. Dass Gott im Heiligtum wohnt, wird bisweilen vom Tempel gesagt, hier aber vom Himmel selbst. Wir sehen den Grund, warum der Herr sich den Heiligen nennt, der in der Höhe und im Heiligtum wohnt: Wir sollen seinen großen Unterschied von uns und sein ganz andersgeartetes Wesen erkennen. Unendlichen Trost muss es uns auch gewähren, dass der Herr den Elenden nahe sein, ja dass er in ihrer Mitte seinen Wohnsitz aufschlagen will, falls sie nur ihren elenden Zustand einsehen wollen. Die Gottlosen bleiben, auch wenn sie von mannigfachen Nöten heimgesucht werden, trotzig und hochmütig; sie werden umsonst darauf hoffen, dass Gott ihnen nahe komme. Man muss demütigen und wahrhaft zerschlagenen Herzens sein, wenn man von Gott irgendeine Aufrichtung erwartet. Er lässt sich also hernieder zu den Entseelten, um ihnen neues Leben einzuhauchen und sie wieder neu zu schaffen. Wiederholt weist er besonders hin auf die, die gedemütigten Geistes und zerschlagenen Herzens sind. Wir sollen wissen, dass diese Verheißungen sich nur auf solche beziehen, die in ihren Heimsuchungen nicht frech und widerspenstig sind, sondern allen Trotz ablegen und sich sanftmütig und demütig zeigen.
V. 16. Ich will nicht immerdar hadern usw. Dieser Vers verfolgt denselben Gedanken weiter. Es war ja schwer, eine feste Überzeugung von dieser Sache zu gewinnen. In der harten Verbannung empfanden die Juden, dass Gott ihnen feindlich gegenüberstehe; eine Erfahrung seiner Gnade, die ihren Mut gestärkt hätte, konnten sie kaum machen. Ihrem Zweifel tritt der Prophet entgegen mit dem Hinweis darauf, dass die Strafen, die sie erleiden sollen, vorübergehen und Gott ihnen nicht immer zürnen werde. Gott habe zwar die größte Ursache zum Zürnen, aber er wolle doch von seinem Rechte abstehen und seine Forderungen erlassen. Zur Bewahrung vor Mutlosigkeit verbindet also der Prophet den Zorn Gottes mit seiner die Gläubigen aufrichtenden Gelindigkeit. Mag dies auch zunächst aus dem Wesen Gottes heraus gefolgert sein, so bezieht sich doch diese Verheißung besonders auf die Gemeinde. Darum müssen wir in den schlimmsten Nöten uns dieses Ausspruchs erinnern, damit nicht der Gedanke in uns aufsteige, dass Gott uns feindselig gesinnt sei oder immerdar mit uns hadern wolle. Der Ausdruck, dass Gott zürne, ist als eine Anbequemung an unser fleischliches Empfinden zu verstehen; denn wir können in unseren Heimsuchungen den Herrn nur als uns zürnend denken. Und es ist auch wirklich nützlich, diese Empfindung zu haben, da sie uns zur Buße erziehen kann. Wir müssen also diese Redewendung allein auf unsere Fassungskraft, nicht eigentlich auf Gott selbst beziehen.
Denn der Geist schmachtet vor meinem Angesicht dahin usw. Dieser Satz gibt den Grund dafür an, dass Gott nicht ewiglich zürnen wolle. Es gibt verschiedene Erklärungen dieser Stelle. Nach meiner Meinung will der Prophet sagen, dass der Herr darum so gütig und nachsichtig mit uns handelt, weil er unsere Hinfälligkeit und Schwäche kennt, wie dies auch an anderen Stellen der Schrift gezeigt wird, z. B. Ps. 103, 13 ff.: „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. Denn er kennt, was für ein Gemächte wir sind, er gedenkt daran, dass wir Staub sind. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde.“ Ebenso auch Ps. 78, 38 ff.: „Er aber war barmherzig und vergab die Missetat, und vertilgte sie nicht und wandte oft seinen Zorn ab und ließ nicht seinen ganzen Zorn gehen. Denn er gedachte, dass sie Fleisch sind, ein Wind, der dahinfährt und nicht wiederkommt.“ Eben dasselbe scheint der Prophet hier zu meinen, indem er den Herrn etwa sagen lässt: Ich will meine Macht nicht geltend machen gegen Menschen, die wie ein Windhauch sind oder wie Gras und Blätter, die sofort verwelken, wenn sie die Sonnenhitze verspüren. So muss ja unser Geist hinschwinden, sobald der Herr seine Macht gegen uns anwendet. Kurz, der Prophet zeigt, dass Gott deswegen nachsichtig ist gegen uns und weniger streng mit uns verfährt bei der Beseitigung unserer Fehler, weil er Rücksicht nimmt auf unsere Schwäche, sie tragen und ihr aufhelfen will.
V. 17. Ich war zornig über die Untugend usw. Hier beklagt sich der Herr über die hartnäckige Bosheit des Volkes und zeigt, dass er sehr gegründete Ursache zu solchem Strafen hatte und man sich nicht über gar zu große Strenge beschweren dürfe. Einige übersetzen: Untugend „ihrer Begierde“, andere „ihres Geizes“. Im letzteren Falle wird die Art für die Gattung, das Besondere für das Allgemeine genommen. Die Habsucht oder der Geiz ist ja eine Quelle aller Übel. Wir können das Wort aber auch allgemein nehmen für jegliche Begierde. Weil das Volk an vielen und mannigfaltigen Sünden krankte, deswegen wurde der Herr zornig und legte ihm schwere Strafen auf. Die innere, böse Neigung hebt der Prophet aber besonders hervor, um anzudeuten, dass das Volk nicht gestraft wurde, weil es offenkundige Verbrechen beging, sondern schon wegen seiner verkehrten Stellung vor Gott. Schon diese genügt zur Begründung einer Schuld, weil Gott der Richter der Herzen ist; er straft nicht nur die äußeren Freveltaten, sondern auch die bösen Regungen und Leidenschaften. Kurz: die Juden werden erinnert, dass sie mit Recht gestraft wurden, damit sie demütig und schuldbewusst um Vergebung bitten.
Und schlug sie, verbarg mich usw. Der Herr will sagen, seine Gnade sei eine Zeitlang gewissermaßen fern und verborgen gewesen. Er sagt das aber von dem Standpunkt der menschlichen Empfindung aus; denn wir sehen, wie schon früher gesagt, den Herrn als uns feindlich gesinnt an, wenn er unsere Sünden straft. So muss er ja auch von uns angesehen und verstanden werden, damit wir zur rechten Erkenntnis unserer Sünden kommen. Wir würden sie ja niemals wirklich erkennen noch von ihnen beunruhigt werden, wenn wir sie nicht bei uns überdächten und erkennten, dass der Zorn Gottes von uns herausgefordert wird. Wie es aber gut für uns ist, dass wir auf diese Weise zur Buße geführt werden, so müssen wir andererseits darauf achten, dass wir nicht, in der Meinung, Gott sei uns feindlich gesinnt und unerbittlich, von Traurigkeit überwältigt werden. Diese das rechte Maß übersteigende Angst will der Prophet mäßigen und gebietet, Gott nicht nach unserer Auffassung zu beurteilen. Denn wenn er auch Strafen über uns verhängt, so hört er doch nicht auf, Leute, denen er sich einmal zugeneigt hat, mit väterlicher Liebe zu geleiten.
Da gingen sie hin und her usw. Darin besteht die vom Propheten getadelte und angeklagte Hartnäckigkeit, dass das Volk nicht besser geworden, sondern in seiner Bosheit verblieben ist. Es kennzeichnet ihren heillosen Zustand, dass die letzten, von Gott angewandten Mittel sie nicht auf den rechten Weg zurückzuführen vermochten.
V. 18. Aber da ich ihre Wege ansah usw. Im Gegensatz dazu hebt der Herr hier seine Barmherzigkeit hervor: jenem, wenn auch ungehorsamen und hartnäckigen Volke will er doch gnädig gesinnt sein und ihm nach seiner Gnade und Barmherzigkeit zuvorkommen. Er will etwa sagen: Ich habe dieses Volk durch meine Züchtigungen zur Buße zu rufen gesucht, als es von seinen Leidenschaften sich fortreißen ließ, aber es zeigte sich ungehorsam und widerspenstig; ich habe nichts ausgerichtet. Ich könnte es nun mit Recht verderben, aber ich will es lieber retten und heilen. Das ist aber nur möglich durch unendlich große Barmherzigkeit. Darum will ich es nicht mehr strafen. – So lässt der Prophet die Barmherzigkeit Gottes allmählich immer größer erscheinen; er stellt den Herrn hin als einen Arzt, der überlegt, welche Mittel zur Heilung dieses Volkes am geeignetsten sind. Unheilbar sind unsere Krankheiten, wenn der Herr uns nicht in seiner Barmherzigkeit zuvorkommt. Keine noch so schweren Züchtigungen können uns zur Vernunft bringen, wenn der Herr uns nicht mit seinem Geiste anfasst; sonst folgt nur umso größere Widerspenstigkeit, wir werden nur umso trotziger. So können wir in dem Verhalten dieses Volkes ein Bild des menschlichen Geschlechts sehen und sollen umso gründlicher unsere Hartnäckigkeit und Widerspenstigkeit gegen Gott und die für die Heilung unserer Krankheiten erforderlichen Mittel erkennen. Wenn wir als kranke und beinahe zu Grunde gegangene Menschen geheilt werden, so heißt das, dass wir auf den rechten Weg zurückgeführt werden und auf ihm bleiben. Dies aber, dass wir bei dem rechten Lauf beharren, ist völlig das eigene Werk Gottes. Darauf beruht auch der Trost. Wo die Reue fehlt, kann es keinen Glauben, keinen Trost geben. Wer um seiner Sünden willen nicht Missfallen an sich selbst hat, kann nur den Zorn Gottes, Angst und Verzweiflung empfinden. Aus dem Zusammenhang des Textes erkennen wir also, dass der Prophet nicht in oberflächlicher Weise den Trost mit der Heilung verknüpft. Diejenigen, die von ihrer Krankheit geheilt sind, empfangen zugleich eine Freudigkeit des Herzens und einen Trost, den sie früher nicht besaßen. Der Zusatz: und denen, die über jene Leid trugen, scheint insbesondere auf die Frommen zu deuten, die gering an Zahl waren. Das ist genugsam bekannt aus den Klagen der Propheten, die sich gegen die allenthalben eingedrungene Stumpfheit des Volkes wandten. Gemeint sind also diejenigen, die bei der allgemeinen Schuld ein aufrichtiger Schmerz zur Trauer zwang, die nicht nur die Sünden des Volkes beweinten, sondern angstvoll seufzten unter der Last des göttlichen Zornes, während andere sorglos ihren Lüsten sich ergaben.
V. 19. Ich will Frucht der Lippen schaffen. Hier wird die vorangegangene Darlegung weiter ausgeführt und gesagt, auf welche Weise der Herr diesem Volke Trost gewähren will, dadurch dass er ihm Frieden verheißen und anbieten wird. Denn der Ausdruck „Frucht der Lippen“ soll bedeuten, dass der Herr es dahin bringen wird, dass sie die fröhliche, erquickende Botschaft vom Frieden hören. Nach meiner Meinung ist von der Verkündigung des Friedens die Rede, einem Amt, das den Propheten und später den Aposteln und den anderen Dienern des Evangeliums übertragen war, wie Paulus (2. Kor. 5, 20) sagt, dass sie Botschafter seien an Christi statt, um die Menschen zur Versöhnung mit Gott zu bringen. Die Wiederholung „Friede, Friede“ soll nicht nur die Gewissheit, sondern auch die beständige Fortdauer bezeichnen, - als wenn Gott etwa sagen wollte: Jetzt hört ihr nur schreckliche Drohungen, die Verkündigung des Heils und der Gnade ist verstummt, weil ihr dafür nicht empfänglich seid; eure Widerspenstigkeit ist derartig, dass man nur durch Schreckmittel und Drohungen mit euch verhandeln kann. Aber einst will ich die Botschaft des Friedens wieder ertönen lassen und die Lippen der Propheten öffnen, die ihn euch ankündigen.
Denen in der Ferne usw. Dies ist darum hinzugesetzt, weil das in die Verbannung geführte Volk eben wegen seiner weiten Entfernung hätte glauben können, dies beziehe sich nicht auf sie, sondern vielleicht nur auf die in der Heimat Zurückgebliebenen. Denn die Verbannung war gleichsam eine Art Verstoßung. Und doch verkündigt der Prophet, dass sie trotz ihrer weiten Entfernung dieser Gnade teilhaftig sein sollen. Als Zweck und Erfolg wird hinzugesetzt, dass Gott das Volk heilen, d. h. gesund und unversehrt machen will. Daraus entnehmen wir wieder, dass alles, was zum vollen, wahrhaften Glück der Gemeinde gehört, einzig und allein eine Gabe Gottes ist. Paulus scheint auf unsere Stelle Bezug zu nehmen, wenn er sagt (Eph. 2, 17), dass Christus Frieden gebracht habe den Fernen und den Nahen. Damit meint er die Heiden und die Juden. Denn die Juden waren die Nahen, weil Gott einen Bund mit ihnen geschlossen hatte, die Heiden die Fernen, weil sie von diesem Bund ausgeschlossen waren. Und doch scheint der Prophet hier nur von den Juden zu reden! Ich entgegne, dass, wenn man alles nur gehörig prüft, Paulus die wirkliche Meinung des Propheten festhält. Denn deswegen werden die Juden an dieser Stelle die Fernen genannt, weil der Herr sie aus seinem Hause vertrieben zu haben schien; und in diesem Stück glichen sie den Heiden. Da also zur Zeit jener Verstoßung kein Unterschied zwischen ihnen und den Heiden bestand, so hat Paulus mit Recht sie auf eine Stufe mit den Heiden gestellt und wendet die Aussagen des Propheten über die Juden auf jene an. Ganz ähnlich verfährt er Röm. 9, 25 mit einer Stelle des Hosea.
V. 20. Aber die Gottlosen usw. Gegenüber dem Frieden, den nach der vorhergehenden Darlegung die Frommen genießen sollen, wird den Gottlosen fortwährender Streit und beständige Aufregung und Unruhe der Seele angekündigt: die Frommen sollen darum die herrliche Wohltat des Friedens umso höher schätzen, die Gottlosen aber sollen wissen, dass den Kindern Gottes Friede verheißen wird, auch wenn ihre äußere Lage sich in nichts bessert. Da nun aber die Gottlosen den Namen Gottes fälschlich vorschützen und in eitler Weise sich seiner rühmen, so zeigt der Prophet, dass sie ganz grundlos auf diese Verheißung sich stützen oder sich etwas anmaßen; denn sie können in keiner Weise teilhaben an dem Frieden, und es wird ihnen gar nichts nützen, dass Gott sich seines Volkes erbarmt, es wieder in Gnaden annimmt und ihm Frieden verkündigen lässt.
Wie ein ungestümes Meer usw. Dies Bild passt vorzüglich dazu, die Unruhe der Gottlosen zu schildern. Denn das Meer ist unruhig in sich selbst; auch wenn es nicht vom Winde gepeitscht wird, wogt es doch in furchtbarem Ungestüm; die auf- und abflutenden Massen kämpfen miteinander und brechen sich in schwerem Ringen. Ebenso werden die Gottlosen beunruhigt durch ein inwendiges, in ihrer Seele wohnendes Übel. Denn es schreckt und ängstet sie das Gewissen, das für sie die größte Qual, der schlimmste Peiniger ist. Die Furien beunruhigen und verfolgen die Bösewichte nicht mit brennenden Fackeln, wie man einst fabelte, sondern mit der Angst des Gewissens und mit der Peinigung der Sünde. Jeden quält seine Sünde, seine Furcht am meisten, jeden beunruhigt die eigene Freveltat und macht ihn wahnsinnig, seine bösen Gedanken, das böse Gewissen ängstigen ihn. Es ist also durchaus zutreffend, wenn hier die Gottlosen mit dem stürmischen, unruhigen Meer verglichen werden. Wer aber diesen Qualen und harten Peinigungen der Seele entfliehen will, möge den vom Herrn ihm angebotenen Frieden nicht zurückweisen. Hier gilt nur ein Entweder – Oder. Wenn du nicht deine Begierden aufgeben und diesen Frieden annehmen willst, wirst du mit Notwendigkeit furchtbar geängstet und gepeinigt.
V. 21. Die Gottlosen haben nicht Frieden. Dieser Satz bestätigt die vorhergehenden Ausführungen: vergeblich bemühen sich die Gottlosen um die Erlangung des Friedens, weil ihnen von allen Seiten Unfrieden entgegentritt. Gott selbst ist es, der ihnen Unfrieden androht, darum ist für den Frieden gar kein Raum. Zwar wollen die Gottlosen wohl den Frieden genießen und wünschen ihn sehr. Sie wollen ja nichts lieber als sorglos leben und ihr Gewissen beruhigen, um ungehindert ihren Lüsten sich ergeben und ihren Sünden frönen zu können. Sie weisen den Gedanken an Gottes Gericht zurück und versetzen sich in einen Zustand der Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit und halten dies für den besten Weg zum Frieden. Aber sie werden ihn niemals genießen. Denn ihr Gewissen ist ihnen eine Qual und hört nicht auf, ihnen Friedlosigkeit zu bringen, bis sie sich mit Gott versöhnt haben. Der Prophet stellt also Gott hin als den einzigen Spender des Friedens, der mit furchtbarer Drohung den Juden ihre Lüste verleidet. „Mein“ Gott sagt er gegenüber der eitlen Prahlerei derjenigen, die fälschlich seinen Namen vorschützen. Denn sie können Gott nicht anerkennen, so lange sie seinen Propheten und seine Lehre zurückweisen. Darum verkündigt der Prophet unerschrocken, dass er von Gott beauftragt ist, ihnen immerwährenden Unfrieden anzukündigen.