Calvin, Jean – Der Prophet Jesaja - Kapitel 41.

V. 1. Lasst die Inseln vor mir schweigen! Es scheint zunächst, als höbe eine neue Rede an. Allein der Prophet setzt den bisher geführten Beweis fort; er meint, auch wenn er vor ungläubigen und blinden Menschen zu reden hätte, würde er Sieger bleiben. Welche Beschämung für das gefühllose Judenvolk, dem Gott der Herr durch sein Gesetz so bekannt geworden! Doch ist die Verzagtheit des Volkes begreiflich; leiden wir doch alle an der doppelten Krankheit, dass wir im Glück die Zügel der Bescheidenheit und Mäßigung abschütteln, im Unglück aber nicht den geringsten Geschmack der Güte Gottes innewerden. – Die „Inseln“ nennt Jesaja die jenseits des Meeres liegenden Gegenden, mit denen die Juden nichts zu tun hatten; selbst von den entferntesten Völkern heischt er Stillschweigen. Und dies Bild eines Prozesses schwebt ihm vor: lasst uns miteinander rechten! Gott will nur in geordneter und leidenschaftsloser Verhandlung gehört werden. Welche Verwirrung würde entstehen, wenn vor Gericht alle Beteiligten durcheinander lärmen wollten! Hier wird auch uns der Wink gegeben, ehrender von Gottes Macht, Güte und Weisheit zu denken, ihn selbst zu hören, wenn er redet. Das Lärmen und Murren gegen Gott, die offene Verachtung seines Wortes bei den Einen, die sorglose Gleichgültigkeit der Anderen, die, in irdischen Lüsten begraben, dem Reich Gottes widerstreben, und endlich der dreiste Widerspruch, der sich heute bei den Päpstlichen regt, das alles schreibt sich daher, dass man dem Herrn kein Gehör schenkt; täte man es, die Wahrheit würde ohne Mühe den Sieg behalten. Doch will Gott nicht nur obenhin gehört sein nach Art ungerechter, bestochener Richter: abwägen und bedenken sollen wir seine Gründe; da ist nichts, was nicht recht und gleich wäre!

Wenn der Prophet hier die Heiden zum Hören auffordert, so tut er es doch um der Juden willen; deren Herzenshärtigkeit konnte umso leichter durch den Hinweis auf das entgegenkommende Verständnis fremder Völker gezähmt werden; und die direkte Anrede an die Heiden macht die ganze Rede wirksamer und lebendiger: Lass die Völker sich stärken! Zum Wettkampf ruft Gott auf als der Überlegene, dem der Ausgang des Streites nicht zweifelhaft ist. Mögen sie auch alle Kräfte Leibes und der Seele anstrengen, sie müssen doch unterliegen; nur hören sollen sie mich! Siegende Kraft der Wahrheit, die allen Lügen gegenüber das letzte Wort behält! Und wenn wir von Gott abwendig werden, so dürfen wir niemand anders anklagen, als uns selbst, dass wir es an Aufmerksamkeit gegen sein Wort haben fehlen lassen. Ohne das wäre kein Triumpf der Lüge, kein Satanstrug möglich. – Vor einen Gerichtshof bringt Gott seine Sache; man könnte fragen, ob für solchen Fall unter den Menschen hinreichend würdige Richter zu finden wären. Doch darum handelt es sich hier nicht – unmöglich, dass Gott irgendwelchen Menschen und Engeln Rechenschaft geben sollte! – nur das will er dartun, dass er auch in einer Verhandlung vor Menschen Recht behalten würde. Nichts verkehrter, als ihm Gehör zu verweigern, vollends abscheulich, ihn ungehört zu verdammen!

V. 2. Wer hat die Gerechtigkeit vom Aufgang erweckt? Wer rief ihm, dass er ging? Hier wird die Absicht des Propheten vollends klar. Er will den Juden einprägen, dass sie der Gefahr eines Irrweges entgehen werden, wenn sie nur dem Weg, welchen er ihnen zeigte, folgen wollen. Das ist auch der Grund, weshalb er hier an Abraham erinnert. Von ihm stammte das Volk ab, ihn hatte Gott durch so viele Schwierigkeiten aus Chaldäa geführt, sollte nicht auch den späteren Israeliten ein Gleiches widerfahren können? Sie waren ja in eben dem Lande zerstreut, aus dem Abraham nach Judäa gekommen war. Und so sollte der Auszug des Vaters den Kindern Spiegel und Bürgschaft ihrer eigenen künftigen Befreiung sein. Die Gerechtigkeit nennt der Prophet Abraham, nicht um den Menschen auszuzeichnen, sondern um anzudeuten, dass jenem eine von Gott gewirkte Bedeutung für die ganze Gottesgemeinde zukomme. Denn Abrahams Berufung war nicht das Werk irgendeiner Privatperson, sondern ein Beweis der ewigen Gerechtigkeit Gottes, und in dem Einen schauen wir die Berufung der Frommen, die Gestaltung der Gemeinde Gottes, den Anfang und das Ende unseres Heils. Auch sofern die göttliche Gerechtigkeit auf Erden einen Widerschein findet, ist Abraham gleichsam ihr Spiegelbild: Gott erweckte ihn „vom Anfang“, wo äußerste Verderbnis und schändlichster Aberglaube zu finden waren. Und wenn einmal ein solches Zeichen göttlicher Macht und Güte erschienen war, warum hätte später nicht dasselbe oder ein ähnliches möglich sein sollen? „Wer rief ihm, dass er ging?“, d. h. Gott war der Führer, Abraham folgte seinen Fußstapfen. Als er auszog, wurde ihm keine bestimmte Richtung angewiesen, über das Ziel und die Entfernung blieb er im Unklaren, bis er in Kanaan eintrat. So fügte er sich aufs Wort gehorsam der Leitung Gottes.

Wer gab die Heiden und Könige vor ihm dahin? Für Gott sind die Schwierigkeiten, die den Menschen erschrecken, nicht vorhanden. Mose zählt zwar nicht alles Widrige, was Abraham bei seinem Auszug treffen musste, auf, aber man kann es sich ja selbst ausmalen, wie er von seinen Landsleuten als unsinnig verlacht ward und auch bei den Kanaanitern Schwierigkeiten hatte, da er ihrem Aberglauben abhold war. Aber trotzdem wagten sich die Gottlosen nicht an ihn, ja, die Hethiter boten ihm unentgeltlich ein Grabmal und nannten ihn Gottesmann und Herr; Gott bekannte sich zu ihm und schonte der Könige nicht: ihrer vier besiegte Abraham und jagte sie in die Flucht. Das hat auch unser Text im Auge, der von der zwangsweisen Unterwerfung bewaffneter Feinde redet. Auch die Leichtigkeit jenes Sieges hebt der Prophet hervor, indem er verächtlicher Weise die Könige mit Staub und Stoppeln vergleicht: solcher Erfolg ist nicht Menschenwerk; Gott allein gebührt die Ehre.

V. 3. Dass er ihnen nachjagte usw. Die Größe des Sieges predigt die sonderliche Wohltat Gottes: Abraham schlug die Feinde in einer ihm gänzlich unbekannten Gegend; wie viel Gefahren musste solche Verfolgung haben! Aber nichts konnte ihm widerfahren, da er durch Gottes Hand geführt und gestützt ward.

V. 4. Wer tut es und macht es, und ruft alle Menschen nacheinander von Anfang her? Hier denkt der Prophet ohne Zweifel nicht nur an Abraham, sondern er will das Volk an alle Gnadentaten erinnern, die den Vätern von Anfang an widerfahren waren. Denkt an die Anfänge eures Geschlechts, besinnt euch, woher ich den Abraham rief, wohin ich ihn führte – und das war doch nicht das Ende meiner Guttaten; von jenen Tagen an habe ich nicht aufgehört, euch mit Gunst zu überhäufen! Dass Gott alle Menschen nacheinander von Anfang an rief, deutet auf den ununterbrochenen Zusammenhang der Geschlechter. Ein jedes Zeitalter würde das menschliche Geschlecht aufbrauchen, wenn letzteres sich nicht durch seine Nachkommen erneuerte. So ist Gott allen Zeiten gegenwärtig. Nicht vom Zufall wird die Welt regiert, Gottes Vorsehung zeigt sich in der fortlaufenden Reihe der Geschlechter, Gottes Macht, seine unbeugsame Durchführung des uranfänglichen Rates in der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit zeitlicher Vorgänge und Ereignisse.

Ich bin es, der Herr. Mit diesem Wort bezeichnet sich Gott noch deutlicher als den Urheber aller Wohltaten nicht nur an Abraham, sondern an allen anderen Geschlechtern, ja an der ganzen Welt. Und wenn er sich den Ersten und Letzten nennt, so will das nicht nur von seiner Ewigkeit, sondern von der Ausübung seiner Herrschaft verstanden sein. Er altert nicht im Wandel der Zeit und gibt seine Recht nicht preis; nicht träger Ruhe pflegt er auf seinem erhabenen Sitz, sondern er lenkt von seinem Throne die Menschheit; und wagte man es, Tausende von Göttern ihm gegenüber aufzustellen, ihm kommt deshalb nichts abhanden, er bleibt sich ewig selber gleich.

V. 5. Da das die Inseln sahen, fürchteten sie sich usw. Hier zeigt der Prophet den Undank der Welt. Trotz des Anblicks der Werke Gottes blieb sie in der Blindheit. Und diese hartnäckige Verstocktheit ist ohne Entschuldigung. Ja, um auch den entlegensten Völkern den Deckmantel ihrer Unwissenheit zu nehmen, stellt Jesaja fest, dass sie durch den Anblick der Werke Gottes erschreckt gewesen, aber bald wieder in den alten Wahnwitz zurückgefallen sind. Aber waren denn wirklich die Großtaten Gottes an Abraham aller Welt bekannt? Doch der Prophet will ja, obwohl er nur den Abraham ausdrücklich erwähnt, zugleich auch an alle anderen Taten Gottes, die den Vätern zugutekamen, erinnern. Hatte er doch nicht nur den Abraham aus Chaldäa, sondern seine ganze Nachkommenschaft aus dem Diensthause Ägyptens geführt! Daran konnten wohl auch die Völker erkennen, dass er der wahre Gott sei. Ja, um deswillen waren sie erschrocken gewesen über die wunderbare Macht Gottes. Das geschieht ja auch noch heutzutage, dass die Gottlosen in ähnlichen Fällen erschüttert werden, da sie wohl fühlen: Gott ist uns zuwider.

Sie nahten. Das verstehen einige von den Völkern, die, um Gott besser zu vernehmen, in seine Nähe kamen; andere beziehen es auf den König von Sodom, der dem Abraham entgegenkam. Besser ist es, die Worte mit dem Folgenden zu verbinden: Sie nahten und kamen herzu, und (V. 6) einer half dem anderen. Zwar schauten die Inseln meine Werke und staunten sie an; und doch verbanden sie sich, scharenweise versammelt, untereinander – wozu? Um neue Götzen zu schmieden und noch tiefer in den Abgrund der Bosheit zu stürzen. Die Schuld der Heiden also hebt der Prophet hervor, das Verbrechen, in dem einer den anderen bestärkt. Und das ist der Quell alles Aberglaubens, dass die Menschen in heimlichem Einverständnis das vom Himmel ihnen leuchtende Licht verdunkeln. Welche Warnung für die Juden insbesondere, sich in die Gottvergessenheit der Heiden zu verlieren und von Gott und dem rechten Glauben abwendig zu werden! Und welch ein Spiegelbild der menschlichen Verkehrtheit im allgemeinen, dass man mutwillig im Dunkeln tappt und bei hellem Sonnenschein tastet, wo doch Gott sich deutlich genug offenbart. Und zur Blindheit kommt die Raserei, die gegen den Höchsten sich bäumt und mit ihm ohne Bedenken den Streit zugunsten des eigenen Aberglaubens wagt: Nicht nur Götzendienst, sondern Götzenwahn! Ihn beschreibt Jesaja und weist auf das verderbliche Übereinkommen der Menschen hin, in dem sie sich gegenseitig ermahnen und entflammen und die Furcht vor Gott vertreiben, zu der die Betrachtung seiner Werke sie führen müsste.

V. 7. Der Schmied nahm den Schmelzer zu sich und der Hammerglätter den Schläger. Diese Übertragung entspricht dem Zusammenhang am besten. Der Prophet führt uns hier die Schmiede vor Augen, wie sie in der Arbeit des Hämmerns sich gegenseitig ermuntern – ein Bild des götzendienerischen Wahnwitzes insgemein! Und solcher Unfug war nicht nur jenem Zeitalter eigen, sondern allen ohne Unterschied; auch heute noch drängt er sich mehr, als wünschenswert ist, hervor. Je leuchtender Gottes Wahrheit zu Tage tritt, umso hartnäckiger schwört man auf das Gegenteil, als wenn man vorsätzlich mit dem Herrn Krieg führen wollte. So häuft man allerorten die Götzenbilder, die Wallfahrten, die Messen, die gottlosen Gelübde, und während sich früher die Torheit noch in gewissen Schranken hielt, so ist heute die Raserei hitzig und blindwütend: da ist nichts, was man nicht befleckte, um den sinkenden Aberglauben zu stützen; da schließt man Bund auf Bund, um Gott zu widerstehen; da baut man allenthalben auf Lug und Trug und brennt so feurig in gottloser Brunst zum Götzen, dass fast die ganze Welt davon entflammt wird.

V. 8. Du aber, Israel, mein Knecht, usw. Ist so das Panier des Irrtums und der Täuschung hoch erhoben über aller Welt, so soll doch das durch den Gnadenruf Gottes erwählte Volk mit den Heiden und ihrer Raserei nichts gemein haben. So muss unsere Berufung uns genug sein, uns zu bewahren vor dem Unrat der Welt; sie ist der Zügel, der uns zurückhält von dem gottlosen Wandel der Heiden. So spricht auch Paulus (1. Kor. 6, 11): „Solche sind euer etliche gewesen, aber ihr seid nun abgewaschen und geheiligt durch den Namen Jesu Christi und durch den Geist unseres Gottes.“ Gibt es doch keinen größeren Widerspruch, als in der Finsternis wandeln, wo die Sonne der Gerechtigkeit uns scheint! Den Knecht Gottes nennt der Prophet Israel, nicht als ob der Gehorsam des Volkes sonderlich gewesen wäre, sondern weil Gott es zu seinem Eigentum erklärt hatte. Und auch in dem Worte: Jakob, den ich erwählt habe, - hebt er deutlich seine freie, unveranlasste Gunst und Gnade hervor: Knechte seid ihr nicht durch euer Verdienst, sondern durch meine Guttat, weil ich euch durch meine Berufung zubereitet habe, weil es in meiner Macht steht, wie ich will, diesen und jenen zu erwählen. Doch allerdings arbeitet Gott mit solcher Erwählung darauf hin, dass wir ihm dienen. So sagt Paulus (Eph. 1, 4): „Er hat uns erwählt, dass wir heilig und unsträflich vor ihm seien.“ Die vormals Satansdiener waren, sollen sich mit Leib und Seele dem Herrn übergeben und angeloben. „Samen Abrahams“ fügt endlich der Prophet hinzu, um zu zeigen, dass die Erwählung von der Verheißung abhängig ist, nicht als ob diese zeitlich das Erste wäre, sondern weil Gott seine Wohltaten im Blick auf seine Zusagen erteilt; so kam das Wort, das er dem Abraham gesagt (1. Mose 17, 7): „Ich will dein und deines Samens Gott sein“ – dem späteren Volke zugute, das um jener Zusage willen dem Herrn besonders am Herzen lag, wie auch Paulus bezeugt, dass denen aus Israel Gesetz und Gottesdienst und Verheißung gehören (Röm. 9, 4). Besonderer Ehre aber hat Gott Abraham gewürdigt, indem er ihn den „Geliebten“ nennt. Ist es schon groß, Gottes Knecht zu heißen, wie viel mehr Gottes Freund! Und was hier dem Abraham gesagt ist, das kommt allen Gläubigen zu. Spricht doch Christus (Joh. 15, 15): „Ich sage euch hinfort nicht, dass ihr Knechte seid, denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid, denn alles, was ich von meinem Vater gehört, habe ich euch kundgetan.“ Da wir nun so hoch von Gott gehoben sind, sollen wir umso mehr der Pflicht gedenken, ihm in scheuer Ehrfurcht und Sorgsamkeit zu dienen. Doch beständig ist festzuhalten, dass nur auf dem Wege freier Wahl Abraham Gottes Freund und seine Nachkommen Gottes Volk geworden sind.

V. 9. Der ich dich gestärkt habe von der Welt Enden her. Der Prophet fährt fort, seinen Trost zu spenden – wie wichtig für das von Not bedrückte Volk! Und die Rede wendet sich ausdrücklicher als vorher zu der dem ganzen Volk widerfahrenen Wohltat Gottes: ein Grund guter Hoffnung für die Zukunft! Der Welt Enden – kann zwiefach verstanden werden, von den entlegenen Gegenden, aus denen das Volk herbeigeführt wurde, oder es soll besagen, dass Gott, der aller Welt Enden umfasst, nur diesem einen Volk seine Gnadenhand reichte.

Und habe dich berufen anstatt ihrer Hoheit. So ist der hebräische Ausdruck wohl am besten zu deuten.1) Die edelsten Völker hat Gott verschmäht, um ein elendes, unbedeutendes Volk anzunehmen. So sagt ja auch Mose (5. Mose 7, 7 f.): „Nicht hat euch der Herr angenommen und erwählt, darum, dass euer mehr wäre, als andere Völker, denn du bist das kleinste unter allen Völkern, sondern darum, dass er euch geliebt hat und dass er seinen Eid hielte, den er euern Vätern geschworen hat.“ Daran ist die große Liebe Gottes zu erkennen; und warum hätte man in den kommenden Tagen einem so gütigen Vater misstrauen sollen? Im Folgenden weist Jesaja darauf hin, dass ein offenkundiges Zeugnis solcher Gnade dem Volk im Gesetz gegeben war: Du sollst mein Knecht sein, denn ich erwähle dich. Aufgrund des auf den steinernen Tafeln verzeichneten Gnadenwillens hatte Gott seinen Bund geschlossen; er wollte nicht, dass sein erwähltes Volk im Dunkeln irre, sondern er machte es sich ganz zu eigen und verpflichtete es sich durch die Zusage seines Heils. Die folgenden Worte: und verwerfe dich nicht – möchten überflüssig erscheinen, doch auch abgesehen davon, dass im Hebräischen diese Redeweise üblich ist, haben sie ihr Gewicht. Sie bringen die Beständigkeit der Erwählung zum Ausdruck: nachdem ich dich einmal angenommen, lasse ich dich nicht, obwohl dein Undank mir Gelegenheit genug gäbe, dich zu verschmähen. Diese Rede dürfen wir auch als an uns gerichtet ansehen: Gottes Gabe und Berufung mögen ihn nicht gereuen (Röm. 11, 29). Werden auch viele um ihres Unglaubens willen verworfen, es bleiben doch einige Reiser, es bleibt ein heiliger Rest, bei dem die Berufung andauert und zum Ziele kommt. Wir aber mögen bedenken, dass wir nur unter der Bedingung von Gott erwählt sind, dass wir in seiner Gemeinschaft bleiben.

V. 10. Fürchte dich nicht usw. Bisher zielte die Rede darauf ab, das Volk wieder zum Vertrauen auf Gott zu bringen; jetzt fordert sie dazu auf: Fürchte dich nicht! denn ich bin mit dir. Das ist der feste Grund aller Glaubenszuversicht: Ich bin mit dir! Wenn dieses Wort in unserem Gemüte haftet, dann sind wir stark und unbesieglich in allen Versuchungen; entschwindet es uns, zweifeln wir daran, dann treiben wir haltlos in den Wirbeln des Misstrauens. Und doch verhehlt der Prophet sich nicht, dass auch die Gläubigen nicht immer so frei von Furcht, so erhaben über die Versuchung, so kräftig und siegreich im Ringen gegen sie sind; denn die Zaghaftigkeit klebt uns allen von Natur an, und wir können sie nur überwinden, wenn wir es erkennen und bedenken: Gott ist mit uns und trägt Sorge um uns.

Ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. Unter der Gerechtigkeit versteht die Schrift nicht nur Gottes Billigkeit, sondern auch die Treue, die er in der Bewahrung der Seinigen gegen List und Hohn ihrer Feinde zeigt. Gott schützt und verteidigt seine Knechte; so haben wir nichts zu fürchten, da er sich nicht selbst verleugnen oder seine Gerechtigkeit abtun kann.

V. 11. Siehe, sie sollen zu Spott und Schanden werden usw. Hier verspricht der Prophet den Juden ausdrücklich Hilfe gegen ihre Feinde. Würde er nur das Heil im Allgemeinen in Aussicht stellen, dann hätte das Volk zweifeln mögen: Wie? Gott verspricht uns Heil, und unsere Widersacher dürfen triumphieren und uns schnöde behandeln? So tritt die besondere Verheißung hinzu: Mögen sie augenblicklich blühen, sie werden mit Schmach und Schande bedeckt weichen. So ertragt sie einstweilen und führt den Kampf, der geführt sein muss; nur dann kann die Verheißung Gottes euch widerfahren.

V. 12. Dass du nach ihnen fragen möchtest, und wirst sie nicht finden. Wenn du nach ihnen fragst, wirst du sie nicht finden: sie sind überwältigt und ausgetilgt. Hier hat der Prophet zweierlei Feinde im Auge: die Einen zanken d. h. sie greifen uns und die Kirche mit offener Waffengewalt an, die Anderen streiten mit verleumderischen, schmähenden Worten; sie spielen sich als Vertreter der guten Sache auf und klagen andere des Unrechts an, das sie sich selbst zu Schulden kommen lassen. Ist es denn ein Wunder, dass diese Handlanger Satans ihren Herrn und Meister nachahmen? Damit aber widerfährt uns nichts Unerhörtes, denn solches ist vor Zeiten schon den Propheten und Knechten Gottes geschehen.

V. 13. Denn ich bin der Herr, dein Gott. Auf Gott, den gnädigen Gott, der für uns ist, auf ihn, den Grund aller gläubigen Zuversicht, weist auch hier Jesaja wieder hin, aber mit anderen Worten, als vorher. Und wie sehr bedarf es der öfteren Wiederholung, ehe dieser Glaube in unseren Seelen Wurzeln schlägt! Willst du ruhigen Herzens bleiben in den mancherlei Kämpfen, in denen du zu ringen hast, so blicke nicht hierhin und dorthin, sondern halte unverrückt den Herrn im Auge, der mit dir ist! Dass Gott sich den unseren nennt, weist hin auf seine Liebe; sie mag uns sänftigen und beruhigen, wo das Wort von seiner Allmacht allein uns nur schrecken kann. Und wenn er abermals vom Stärken der Hände und von seiner Rede spricht, will er, dass wir die Unterpfänder seiner Liebe festhalten und an seinem Wort hangen, das allein uns ein Zutrauen zu seiner ewigen Gnade ins Herz gibt. Angst und Bangen, Irrtum und Schwanken ist überall, wo man Gottes Wort überhaupt nicht oder nur unaufmerksam hört.

V. 14. So fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob. Die Vergleichung der Juden mit Würmern und Toten2) entspricht dem Unglück des Volkes und ist für den Zweck der Tröstung geeigneter, als es die Bezeichnungen „auserwähltes Volk, königliches Priestertum, heiliges Reis aus heiliger Wurzel“ sein würden. So hat Gott Mitleid mit dem verachteten Zustand des Volkes und richtet es umso mehr zu besserer Hoffnung auf: Bist du auch nichts, ich bringe dir Hilfe und lasse dich aus Unrat und Schmutz wieder auftauchen zur vormaligen Freiheit.

Ihr Toten aus dem Hause Israel. Die Stimme des tröstenden Gottes soll bis in die Gräber hineindringen; er will der Heiland der Entschlafenen sein. Hat der Prophet bei diesem Wort zunächst seine Zeit im Auge, so gilt es doch für alle Zeiten und Geschlechter. So oft wir die Kirche in schmachvoller Bedrückung infolge des Wütens der Gottlosen schauen, sollen wir daran denken, dass die von dem Spott der Welt zu Boden getretenen, von allerlei Grausamkeit und Gräuel zerschlagenen, zum Tode erschöpften Gotteskinder bei Gott in Gunst und Gnaden stehen, so dass sie in Kürze ihre Häupter wieder aufheben dürfen. So soll auch uns Schmähung und Unglück, ja der Tod selbst nimmermehr schrecken. Ja, wäre alle Hoffnung dahin und wir den Toten gleich, Gott wird uns beistehen und selbst aus dem Grabe seine Kirche wieder erwecken. Und wenn Gott der Heilige Israels genannt wird, so will dies wiederum, wie kurz vorher, auf den Bund verweisen, durch den die Kinder Israel zum heiligen Eigentumsvolk erwählt waren; das konnte sie versöhnen mit ihrem widrigen Geschick.

V. 15. Siehe, ich habe dich zum scharfen, neuen Dreschwagen gemacht. In passendem Gleichnis beschreibt der Prophet den Sieg der Kirche über ihre Feinde; und ob auch die Juden, die er anredet, schier zermalmt waren, bald sollen sie wieder befreit werden und zu Kräften gelangen und dann ihre Feinde zermalmen. Werkzeuge des Gerichts Gottes sollen sie sein, - nicht als ob Jesaja hier irgendwelche menschlichen Rachegelüste zu entflammen gedächte. Denn das ist dem Geiste Gottes zuwider, und derartige Neigungen, die uns nur allzu nahe liegen, weist unser Heiland in die Schranken, wenn er uns gebietet (Mt. 5, 44), für unsere Feinde zu bitten und über ihr Unglück nicht zu frohlocken. So will auch hier der Prophet nicht ermahnen, sondern nur hinweisen auf das, was kommen muss. Und sollte der Trost einer solchen Zusage, die seiner Ehre und unserer Rettung dient und die unsern Widersachern ihre Grausamkeit mit eigenem Maß heimzahlt, nicht geeignet sein, unsere Schmerzen zu lindern? Und wenn wir sie recht verstehen, so liegt gerade in ihr die Aufforderung beschlossen, die fleischliche Erregung zu zähmen, die Herzen zur Milde zu stimmen und in Einfalt der Stunde zu warten, die das Gericht Gottes und den Sieg seiner Gerechtigkeit bringt. In diesem Sinne spricht auch David (Ps. 58, 11): „Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Rache sieht, und wird seine Füße baden in der Gottlosen Blut.“ Die Juden pflegen derartige Verheißungen an sich zu reißen, wie die wilden Tiere die dargebotene Beute; sie schnauben in Mordgier und Grimm: aber wir könnten nicht Kinder unseres Gottes sein, wenn uns nicht sein Geist, der Geist der Menschenfreundlichkeit und Milde, regierte. Das Wort vom Dreschwagen mit den eisernen Zacken soll uns nur auf den jämmerlichen Untergang der Gottlosen hinweisen, die nach Gottes Fügung durch die Hand der Frommen in den Staub gelegt werden. Zur Tröstung der Frommen, nicht zur Anstachelung der Mordgier ist dies Wort geschrieben.

V. 16. Du sollst sie zerstreuen usw. Hier wird derselbe Gedanke, wie im vorigen Verse, nur in einem anderen Bilde ausgesprochen. Der Prophet vergleicht die Gemeinde Gottes mit einer Getreideschwinge, die Ungläubigen aber mit dem Unrat, der durch die Schwinge in alle Winde zerstreut wird: mögen auch die Heiden euch augenblicklich zermalmen und verschleudern, das Blättchen soll sich wenden zu ihrem Schaden. Und hier ist ein Unterschied: die Gläubigen werden zu ihrem Heil zermalmt, denn sie beugen sich willig unter die Zucht und das Herrenrecht Gottes; so können sie als wohlgereinigter Weizen in die Scheuer gesammelt werden. Die gottlosen Heiden dagegen widerstreben hartnäckig; darum zerstieben sie wie Schmutz im Winde und finden auf dem Kehricht ihren Platz. Dies Zermalmen der Gottlosen übt aber auch die Kirche; nicht als ob die Frommen, mit weltlicher Macht ausgestattet, ihre Widersacher bändigten, nein, sie verstehen es, ihre Seelen zu fassen in Geduld, und so richtet Gott sie auf, dass sie den Psalmen gleich ihre Häupter erheben und nicht nur selbst unversehrt bleiben in ihrer Mühsal, sondern durch die Hoheit ihres Geistes auch ihre Feinde unter die Füße treten. Wird doch in der Schrift oft der Kirche zugeteilt, was im eigentlichen Sinn nur Gott dem Herrn zukommt: schlägt er die Heiden zu Boden, dann heißt es, er habe sie von den Gläubigen, denen sein Tun zugutekommt, zertreten lassen. Wir mögen, wenn wir solche Verheißungen lesen, die Herrschaft Christi im Auge behalten, dass wir, frei von aller niedrigen Regung, das geziemende Maß halten und nicht vor der Zeit nach jener Zertretung verlangen. Denn genug und übergenug muss es uns sein, dass unser himmlisches Haupt endlich seine Widersacher zu Boden tritt und wir dann mit ihm triumphieren dürfen. – Wenn der Prophet zum Schluss hervorhebt, dass Gottes Gemeinde fröhlich sein und sich des Herrn rühmen wird, so will er nicht nur die Schmerzen des Volkes lindern, sondern auch vor übermütig wildem Siegesjubel am Tage der Errettung warnen. Wie nahe liegt uns Überhebung, wenn alles nach Wunsch geht; wie leicht vergessen wir, dass wir Menschen sind, und rauben ihm die Ehre, der alles Gute wirkt! So sollen wir uns rühmen im Herrn, denn er ist Grund unserer Ehre und Freude; und je höher er uns hebt, umso fleißiger sollen wir den eitlen Ehrgeiz bekämpfen.

V. 17. Die Elenden und Armen suchen Wasser usw. Das Elend, das dem Volk in Babylon bevorsteht, tritt hier aufs Neue, wie schon im Anfang des vierzigsten Kapitels, vor den Blick des Propheten. Er beschreibt es als einen qualvollen Durst und verspricht, wenn die Not am größten, Gottes Hilfe. Ja, auch die Kirche hat nicht immer Überfluss an guten Gaben; das würde nur die Trägheit der Herzen fördern. Oft muss sie schmachten in großer Not; welch ein Sporn zur Anrufung Gottes! Elende und Arme – ja, nicht die Fernstehenden heißen so, sondern das auserwählte Volk Gottes! Und die äußerste Bedrängnis muss es tragen in Geduld; wollen wir uns dessen weigern, da Gott doch schon die Väter in solche harte Schule nahm? Sollten wir nicht auch Geduld und Glauben genug beweisen, um, wo alle Hilfe versagt, zu ihm allein unsere Zuflucht zu nehmen? Ich will sie erhören, spricht der Herr – nur den Beter kann er erhören; kümmern wir uns aber nicht um ihn und seine Hilfe, so ist die völlige Verlassenheit unser verdientes Teil.

V. 18. Sondern ich will Wasserflüsse auf den Höhen öffnen. Gott bedarf nicht der äußeren natürlichen Mittel, um seiner Gemeinde zu helfen; auf heimliche, wunderliche Weise, allen Gedanken und Erwartungen des Fleisches zuwider, lindert er die Nöte. Uns liegt Verzweiflung und Kleinglaube nahe, wenn nicht sichtbare Stützen vor unserem Blick sich zeigen. Aber gerade in solchen Lagen sollten wir nach der Mahnung des Propheten am meisten auf Gott vertrauen, dessen Kraftwirken da beginnt, wo menschliche Mittel und Wege verschlossen sind. Er will nicht, dass wir mit zweifelmütigen Gedanken uns hierhin und dorthin wenden; gegen die Ordnung der Natur will er seine Wunder tun, um über menschliches Verstehen und Begreifen erhaben zu sein, um nicht den Irrwahn aufkommen zu lassen, als sei seine Macht an niedere Mittel gebunden. Er braucht nicht hier und da zu leihen, sondern kann nach Gutdünken auch den Lauf der Natur ändern, wie das Wort von den Wasserflüssen auf den Höhen und den Quellen mitten auf den Feldern, ja in der Wüste es beweist. Die Absicht dieser Verheißung liegt auf der Hand: die Juden sollen nicht meinen, die Öde und Dürre der Wüste hindere sie an der Rückkehr nach Judäa; so verspricht Gott ihnen Wasser die Fülle, ja es soll ihnen an nichts fehlen, was zur Reise nötig ist. Und dies alles ward erfüllt, als Gott sein Volk aus Babylon zurückkehren ließ; in vollkommenster Weise jedoch, als er alle Völker der Erde zu sich kehrte durch Christus; von ihm, dem Gottessohn, strömten reichlich über den ganzen Erdkreis dahin die Wasser der Erquickung für alle durstigen und mühseligen Menschenkinder.

V. 20. Auf das man sehe usw. Gott lässt seine Herrlichkeit in allen seinen Werken sehen, - aber in der Rettung seiner Gemeinde erweist er insbesondere seine Macht zu seinem Preis. Und in der Ausführung seines Volkes aus der Gefangenschaft hat er allen Geschlechtern auf Erden ein denkwürdiges Zeichen gegeben. Nachdrücklich schärft er dabei ein, auf seine Werke zu achten; denn wir Menschen sind darin träge und lässig von Natur und beschäftigen uns lieber mit nichtigen Dingen, als dass wir Gottes Taten bewunderten, oder wir vergessen sie wieder, nachdem wir sie kaum ins Auge gefasst. Darum ruft der Prophet uns aus unserer Gleichgültigkeit auf: wir sollen alle unsere Sinne anspannen, Gottes herrliches Wirken zu erfassen. Nicht bloß, dass man „sehe“, sondern auch dass man erkenne; denn das Letztere kann sich nur auf das Erste gründen. Danach gilt es auch, dass man merke und verstehe, also die Sache durchdenke, wodurch die Erkenntnis noch besser und sicherer begründet wird. Im Übrigen kann man fragen, ob der Prophet in diesem Verse nur die Juden im Auge hat, oder die ganze Menschheit. Letzteres ist wahrscheinlich: die zur Rettung des Volkes ausgereckte Hand Gottes sollte auch den fernsten Heiden kund werden. Und so waren ja tatsächlich z. B. Meder und Perser aufs Höchste bestürzt, als sie seiner Zeit die Verheißungen des Propheten hörten und ihre Erfüllung mit Augen schauten.

V. 21. So lasset eure Sache herkommen. Die fügt der Prophet um der Ungläubigen willen hinzu, die unsere Hoffnung verlästern und uns einfältiger Leichtgläubigkeit zeihen. Seht doch, - so sprechen sie – die wollen an den Wolken einen Halt haben und reden sich die unmöglichsten Dinge ein! Solchen Spottreden mussten die Juden in der Verbannung ausgesetzt sein. So stärkt der Prophet sie im Voraus. Gott fordert seinerseits, das, was ihre Sache stützt, herbei zu bringen. König in Jakob nennt sich der Herr, den Götzen zum Hohn, als Anwalt seines Volkes und als Rächer seiner Ehre. Dies sein Königreich war freilich unscheinbar genug, und es bedurfte für seine Frommen eines starken Glaubens, wenn sie so unter dem Druck ihres Joches den Würmern, ja den Toten (V. 14) gleich am Boden liegen mussten. Doch schon die frühere Weissagung von der Wurzel im Erdreich und dem Reis, das aus dem Stamm Isai hervorgehen sollte (11, 1), musste die Augen ihres Glaubens auf das verborgene Königreich richten, das mit leiblichen Augen nicht geschaut und mit menschlichem Verstand nicht begriffen werden kann.

V. 22. Lasst sie hinzutreten und uns verkündigen, was künftig ist. Die Götzendiener mögen ihre Götzen selber vorführen, da wird sich zeigen, dass sie trotz aller List nicht Manns genug sind, ihre schlechte Sache zu stützen. Und Gott zeigt sich hier als den rechten Schutzherrn, der im Namen seines ganzen Volkes redet und sich mit seiner Gemeinde zusammenschließt. Ja, er schützt sie gegen Ränke und Listen; seine Auserwählten können getrost den Kampf gegen die Ungläubigen wagen, es soll ihnen ein Leichtes sein, allen Satanstrug zu erschüttern. Ist auch unser Glaube zunächst ein Gehorsam, der sich dem Herrn unterwirft, so wird er weiterhin doch zur Erkenntnis, die unsern Sinn erleuchtet. So hat die wahre Religion die untrügliche Richtschnur der Wahrheit in sich selbst. Mögen die Götzendiener noch so übermütig sein in ihren Irrtümern, ihre Hartnäckigkeit ist aus Stumpfheit und Wahnwitz geboren, und bei nüchterner Achtsamkeit auf die gesunde Lehre würde ihr Dünkel in sich selbst zusammenfallen. Anders der Glaube, dessen Fundament die Demut ist, der den Geist Gottes als Führer und das Wort Gottes als seines Fußes Leuchte hat. Er kann ganz unbefangen den Götzendienern zurufen: Bringt eure Weisheit doch vor, damit wir sie zu Herzen nehmen! Nicht, als ob man daran dächte, auf die verkehrte Seite zu treten, sondern um die Lächerlichkeit des Aberglaubens darzutun. Auf Gottes Allmacht und Allwissenheit weist der Prophet mit besonderem Nachdruck hin; diese zumal hat Gott sich vorbehalten als die vornehmsten Erweise seiner Göttlichkeit. Nun folgert der Prophet: sind die Bilder, die ihr anbetet, Götter, dann müssen sie alles wissen und alles können; da sie nun aber nichts vermögen, weder Glück noch Unglück, und nichts wissen, weder Vergangenes, noch Künftiges, so sind sie nicht Götter.

Aber finden sich nicht tatsächlich doch mancherlei Weissagungen und Orakel, die den Göttern der Heiden, z. B. dem Jupiter und Apollo, zugeschrieben werden? Man sehe sie sich einmal näher an: lauter dunkle Zweideutigkeiten! Mit solchem spitzfindigen Rätselwort quält Satan die Gemüter der Menschen, die solchem Trug ergeben sind. Schreibt doch auch Paulus von der Wirkung des Satans mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern (2. Thess. 2, 9): so viel Maß lässt Gott der Herr dem Vater der Lüge! Und wie einst Ahab durch falsche Propheten verblendet ward (1. Kön. 22), so werden ebenso auch die Heiden, die vom wahren Gott abgefallen sind, in Satans Netz gefangen: ein Gericht Gottes über den Undank und die Sünde der Welt. Die Allwissenheit, insbesondere das Vorauswissen Gottes selbst ist nun ein Geheimnis, ein tiefer Abgrund. Doch hat er dem auserwählten Volk so viel davon kundgetan, dass es ihn, den rechten Gott, von der Schar der falschen Götter leicht zu scheiden vermag. Nicht, als ob er alles, was künftig ist, durch seine Propheten vorausverkündet hätte; aber nichts, was zu wissen heilsam ist, hat er uns vorenthalten und namentlich seine Fürsorge für die von ihm erwählte Gemeinde durch viele herrliche Weissagungen bekundet. Denn der Herr tut nichts, er offenbare denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten (Am. 3, 7). Und an der aufstrahlenden Wahrheit seiner Weissagungen wird Gott, der einzige Gott, klar erkannt, und die in seiner Schule erzogenen Gläubigen können von den Götzen so wenig getäuscht werden, wie ein Mensch mit scharfem Gesicht, dem man am hellen lichten Tage einen schwarzen Gegenstand für weiß zeigen wollte. So ist es nichts mit der Allwissenheit, geschweige denn der Allmacht der Götzen, da Gott allein Glück und Unglück in seiner Hand trägt.

Tut Gutes oder Schaden! Nicht vom Unrechttun, sondern von der Zulassung des Unglücks, vom Verhängen der Gerichte, ist hier die Rede. Dergleichen kommt nicht dem Schicksal oder den Götzen, sondern nach dem übereinstimmenden Urteil der Schrift Gott dem Herrn zu: Er sendet Krieg, Pest, Hungersnot, Armut und dergl. zur Strafe für die Vergehen seines Volkes. Jesaja führt hier nicht alle Beweise für Gott und gegen die Götzen an, sondern er beschränkt sich auf solche, die bei aller Kürze durchschlagend sind.

V. 24. Siehe, ihr seid aus nichts, und euer Gemächte ist auch aus nichts. Eine Verhöhnung der Götzen zur Stärkung der Gläubigen, welche durch einen Vergleich abnehmen können, wie gegenüber der Verehrung des einigen Gottes die Leute in Täuschung und Blindheit fallen, welche die Götzen anbeten. Deren „Gemächte“ oder äußeres Gebilde ist heller Trug, da es ein Bild von einer Sache ist, die gar nicht existiert. Dass Götzenbilder aus nichts sind, wird nicht von ihrem Stoff gesagt, der ja Gold, Silber, Stein und dergl. ist, sondern von ihrem Wesen und dem falschen Glauben an ihre Gottheit, den die Menschen sich gebildet haben. Denn die Heiden beten nicht Holz oder Metall an, sondern die Gottheit, die sie – töricht genug – dahinter verborgen wähnen. Welche eitle Einbildung! Ein Gräuel ist solches Gemächte. Der Prophet will ganz allgemein, ohne eine bestimmte Person zu treffen, zum Ausdruck bringen, dass man keinen Götzen herstellen kann, ohne zugleich einen Gräuel herzustellen. Eine bündigere Verurteilung ist nicht denkbar. Dergleichen Unfug kann Gott nicht tragen, nicht ungestraft lassen. Dass die Menschen aber sich die Götzen„wählen“ , deckt die Willkür des Götzendienstes auf.

V. 25. Ich aber erwecke einen von Mitternacht usw. Wiederum kommt der Prophet darauf zurück, dass nur der, der allwissend und allmächtig ist, Gott genannt werden darf, nicht aber die Götzen. Unter dem Einen, den Gott von Mitternacht erwecken wird, verstehen einige Ausleger Cyrus, andere Christus. Allein dem Propheten schweben zwei künftige Ereignisse vor: Von Mitternacht erweckt Gott die Chaldäer; ihr Reich wird emporkommen, und sie werden die Juden in die Gefangenschaft führen; vom Aufgang der Sonne werden Meder und Perser aufstehen, welche die Befreiung des Volkes herbeiführen. Dies alles, was nach so langer Zeit erst geschehen konnte, war Gott bekannt und von vornherein von ihm geordnet; welch ein Erweis seiner Göttlichkeit! Beides, das Gericht, das die Juden schrecken wird, und seine erlösende Barmherzigkeit, lässt er von ferne schauen. Die Heiden weisen den verschiedenen Göttern verschiedene Verrichtungen zu: Apollo weissagt, Jupiter führt es aus, dieser tut dies, jener das. Gott aber sagt nicht nur voraus, was künftig ist, sondern führt alles durch nach seinem Rat. Wer hätte damals, als der Prophet diese Worte schrieb, an eine Gefangenschaft unter den Babyloniern gedacht; diese lebten ja in Freundschaft mit den Juden. Wer hätte die Befreiung durch Cyrus für glaubhaft gehalten, die erst 200 Jahre nach dieser Weissagung wirklich eintrat! Und welch eine Größe und Macht Gottes, vor dem die Könige und Herrscher Lehm und Ton sind! Und wie klar geht aus dieser Stelle hervor, dass der Prophet nicht nur für seine Zeit, sondern für eine ferne Zukunft schrieb. Ja, den Späteren musste Gott, der einige Gott, vor dem alles enthüllt ist und der mit seinem Rate alles lenkt, klar vor der Seele stehen; sie konnten es an der Hand dieser von den Vätern überkommenen Weissagungen lernen, sich unter das gerechte Gericht Gottes zu beugen und auf seine Barmherzigkeit, die sie wieder befreien würde, zu vertrauen. Wie hätte Jesaja alles dieses voraussagen können, wenn seine Zunge nicht vom heiligen Geist gelenkt worden wäre. – Dass Gott von Cyrus sagt: er wird rufen in meinem Namen – hat einfach den Sinn, dass er seine Sache unter Gottes Leitung angreift. Denn dem Cyrus lag es für seine Person sehr fern, dem Gott Israels folgen oder seiner Führung sich anvertrauen zu wollen, aber tatsächlich führte Gott ihn doch auf verborgene Weise durch eine Reihe staunenswerter Siege bis nach Babylon.

Und wird den Ton treten wie ein Töpfer. Die Macht der Chaldäer war unermesslich, sie verachteten alle ihre Gegner und erhoben sich über die Maßen. Darum sollen sie zerstampft und zu Boden getreten werden; ihre Macht soll kein Hindernis für die kommende Umwälzung und die endliche Herrschaft der Perser sein. Und so geschah es später in der Tat. In kurzer Zeit ward Cyrus nach glücklicher Niederwerfung seiner Widersacher Herr des Ostens.

V. 26. Wer kann etwas verkündigen vom Anfang? Wiederum erhebt sich Gott gegen die Götzen und fragt, ob die Bilderverehrer etwas zur Rechtfertigung ihrer Bräuche, zum Erweis der Allmacht und Allwissenheit ihrer Götzen anführen können. Herrlich dagegen ist seine göttliche Majestät bezeugt; allein nach seinem Rate werden alle Dinge regiert, auf seinen Wink allein auch die gewaltigsten Königreiche gestürzt. Gott redet in der Mehrzahl: wir wollen es vernehmen usw. – zum Zeichen dessen, dass er nicht nur seine, sondern auch seines Volkes Sache verficht. Er ist zwar sich selbst genug, aber in Ansehung unserer Schwachheit ist uns der überzeugende Beweis, dass er Gott sei, vonnöten, damit unser Herz nicht schwanke oder zweifle, sondern in ihm völlige Ruhe finde. Und so fügt er zum Wort den Tatbeweis hinzu, während die Götzen schweigen und ihre Anhänger im Stiche lassen.

V. 27. Ich bin der Erste, der zu Zion sagt: Siehe, da ist es! Hier gibt Gott bestimmter kund, dass er, um zum Glauben zu ermutigen und seine Kirche zu erbauen, die zukünftigen Dinge zeige. Darauf zielen alle jene Erweise seiner Allmacht und Allwissenheit ab: wir sollen merken, dass er für uns sorgt (1. Petr. 5, 7) und alles zu unserem Besten lenkt und wendet. So erhält auch Zion die Weisung, den wahren, einzigen Gott zu erkennen, der nicht nur das Vergehen der Seinigen straft, sondern in seiner Güte auch ihr Gefängnis wendet. „Siehe!“ Hier müssen wir uns den Berg Zion zunächst verwüstet und einsam denken und die Stadt Jerusalem als eine Einöde, als ein bekümmertes und geschlagenes Weib. Später aber, im 54. Kapitel, ruft Jesaja sie wieder zur Freude auf als ein Weib, das bis dahin kinderlos gewesen, dem Gott nun neue Fruchtbarkeit geschenkt hat. Und ebenso verheißt er schon an unserer Stelle für die Zeit grauenhafter Trübsal und verwüstender Zerschmetterung seinen Trost an Jerusalem: freie Kinder sollen ihr wieder werden nach langer Vereinsamung, ja scharenweise sollen sich die in der Gefangenschaft Zerstreuten wieder bei ihr einfinden. Jener Verwüstung tritt also das Bild der durch Cyrus bewirkten Wiederherstellung gegenüber: „Siehe, da ist es!“ Und der Erste heißt hier Gott nicht nur um seiner Ewigkeit, sondern auch um des Alters seiner Verheißung willen.

Und gebe Jerusalem Prediger. Gemeint sind die Propheten, welche die Freudenbotschaft der Befreiung überbringen werden, wie Gott vor Zeiten durch Mose (5. Mose 18, 15 ff.) von Zeit zu Zeit treue Diener verheißen hatte, die allen Magiern, Wahrsagern und Zauberern überlegen sein sollen; wie er ja auch oben die Kirche eine Predigerin genannt hat, weil in ihr das Wort Gottes widerhallen müsse (40, 9). Gott steigt nicht selbst vom Himmel herab, uns zu lehren, sondern er braucht den Dienst seiner Knechte; durch ihren Mund redet er. Und diese Wohltat wollen wir von ganzem Herzen erkennen und annehmen: niemals soll es an Boten fehlen, die in trüber Zeit das Volk aufrichten; wo keine Propheten, wo kein Trost aus Gottes Wort für unser Leid, da ist auch keine Kirche.

V. 28. Dort aber schaue ich, aber da ist niemand usw. Abermals wendet sich Gott zu den Götzen; in immer erneuter Gegenrede hält er ihnen vor: das vermag Ich, aber euer keiner. Da ist nichts von Weisheit und Verstand, nichts von Antwort auf Fragen, von Trost für Leiden zu finden! Während Gott sich kundgibt durch das Wort seiner Propheten und durch seine Werke, so findet sich nichts dergleichen bei den Götzen. Und so werden die Augen der Menschen stumpf infolge der Trägheit, die nichts erfragt, nichts beobachtet, nichts erwägt; und das Ende dieser mutwilligen Gedankenlosigkeit ist die Erstarrung. Der Vorwand der Unwissenheit kann also die Götzendiener nicht entschuldigen; denn sie wollten lieber blind in der Finsternis irren, als das Licht der Wahrheit anschauen.

V. 29. Siehe, es ist alles eitel Mühe usw. Von den Götzen kommt der Prophet auf die Götzendiener zu reden, wie auch der Psalm (115, 8) spricht: „Die die Götzen machen, sind ihnen gleich und alle, die auf sie hoffen.“ Ja fürwahr, sie sind voller Eitelkeit, ohne Urteil und Verstand. Sie selbst zwar tragen den Kopf hoch, halten sich für die vornehmsten Menschen und verachten uns als Toren und Schwärmer. Wer denkt da nicht an die Päpstlichen und ihre scharfsinnigen Doktoren? Doch braucht uns solcher Übermut nicht zu bekümmern: sie alle werden als eitel von Gott verurteilt.

Es ist nichts mit ihrem Tun. Hier sind nicht nur die Götzenbilder, sondern auch alle selbst erwählten, gottesdienstlichen Gebräuche gemeint, die weder Ziel noch Maß haben, wo ein jeder sich selbst für den Urheber und Lehrer der Religion halten darf.

Ihre Götzen sind Wind und eitel. Das soll hier heißen: sie sind verworren und stiften Verwirrung. Ein Wahn, zu glauben, sie dienten als eine sichtbare Gegenwart Gottes zur Entzündung der Gemüter und zur Entfaltung der Religion. Vielmehr, was an wahrer Erkenntnis in Menschenherzen ist, das wird durch die Götzenverehrung gänzlich ausgerottet. So sind sowohl die Bilder und ihre Verehrung, wie auch die Menschen, die sich ihr ergeben, von uns nachdrücklich zu verwerfen.

1)
Besser doch: „und habe dich berufen von ihren Winkeln.“
2)
Luthers Übersetzung: „Ihr armer Haufe“ ist richtiger.