V. 1. Im Jahr, da der Thartan usw. Im vorigen Kapitel hat Jesaja von dem Unheil geweissagt, welches Ägypten bevorstand, hat ihm aber auch zugleich Gottes Barmherzigkeit verheißen. Er nimmt nun denselben Gegenstand wieder auf und zeigt, wie Israel durch diese Züchtigung der Ägypter beschämt werden wird, weil es sein Vertrauen auf Ägypten setzte. Mit Ägypten stellt er Äthiopien zusammen. Wahrscheinlich hatten die Äthiopier ihre Streitkräfte mit denen der Ägypter vereinigt. Das habe ich schon oben erwähnt, und wir werden im 37. Kapitel wieder darauf kommen. Zunächst ist die Zeit dieser Weissagung zu beachten. Damals saßen die Juden in solcher Not und Bedrängnis, dass sie, auch wider Willen, zu auswärtigen Völkern ihre Zuflucht nahmen. Thartan ist einer der Feldherrn Sanheribs gewesen. So bezeugt uns die heilige Geschichte (2. Kön. 18, 17). Wir sind demnach gezwungen, anzunehmen, dass der hier erwähnte Sargon Sanherib gewesen ist, der, wie hieraus leicht zu schließen ist, zwei Namen gehabt hat. Zu berücksichtigen ist auch die damalige Lage Israels. Das Zehnstämmereich war in die Verbannung geführt. Mit Juda schien es fast ganz aus zu sein. Das ganze Land war erobert, Jerusalem ausgenommen, welches vom Feldherrn Rabsake belagert wurde. Von Thartan wurde Asdod belagert. Es werden dabei drei assyrische Feldherrn erwähnt. Wahrscheinlich hat also damals Sanherib sein Herr in drei Teile geteilt, um auf diese Weise zu gleicher Zeit alle mit einem Male in Furcht zu setzen und in Verwirrung zu bringen. Die Angegriffenen wurden dadurch getrennt und konnten sich gegenseitig keine Hilfe bringen. Damals blieb den Juden nichts übrig, als die Hilfe auswärtiger Mächte anzurufen. Unterdessen wird Jesaja von Gott gesandt. Er soll verkündigen, dass ihre Erwartung eitel ist, soweit sie auf die Ägypter sich stützen. Denn über diese selbst war des Herrn Hand ausgereckt. Sie konnten sich selbst nicht gegen ihre Feinde schützen, geschweige dass sie andern hätten Hilfe bringen können. So mussten die Juden erkennen, dass sie mit Recht für ihren Unglauben bestraft wurden, weil sie Gott verlassen und zu den Ägyptern ihre Zuflucht genommen hatten. Wir müssen hier die Absicht ins Auge fassen, die der Prophet bei dieser Weissagung hatte. Es war nicht Gottes Ziel, die Ägypter zu warnen, sondern den Unglauben seines Volkes zu bessern, welcher dasselbe wiederholt zu falschen, verkehrten Hoffnungen verführte. Damit sie also erkennen, in Gott allein sei ihre Ruhe zu suchen, verkündet der Prophet hier, was ihren Bundesgenossen, die ihnen nichts nützen, bevorsteht. Es war eine sehr zeitgemäße Ermahnung, da die Äthiopier schon begonnen hatten, sich zurückzuziehen. Das war ja für die Juden das Wünschenswerteste, was sich ereignen konnte. Sie sollen also nicht infolge dieses erfreulichen Ereignisses übermütig werden. Darum verkündigt Jesaja, diese Hilfe werde sich als eitel erweisen, denn bald würden Äthiopier wie Ägypter schmählich besiegt werden.
V. 2. Zur selbigen Zeit redete der Herr usw. Der Herr will durch eine sinnbildliche Handlung diese Weissagung bekräftigen. Er gab dem Propheten den Befehl, nackt einherzugehen. Hätte Jesaja das aus sich getan, er wäre mit Recht verlacht worden. Da er es aber auf des Herrn Befehl tut, so kann darin nichts Anstößiges erblickt werden. In dieser Nacktheit, wie in ähnlichen sinnbildlichen Handlungen liegt etwas Ernstes. Ferner handelt Gott weder selbst noch durch seine Diener, ohne den Grund seines Handelns zu zeigen. Der Prophet wandert also nicht einfach nackt umher, vielmehr gibt er auch den Zweck kund, weshalb Gott ihm so zu handeln befohlen habe. Propheten äffen nämlich Gottes wahre Diener nach. In ihrem äußern Auftreten zeigen sie mancherlei wunderliche Formen, um dem Volk in die Augen zu fallen und Ansehen zu gewinnen. Aber solches Tun ist nichts, da es nicht von Gott veranlasst ist. Das ist den Papisten gegenüber zu beherzigen, welche leere Zeremonien für wahre Sakramente ausgeben. Ihnen gegenüber müssen wir als Regel aufstellen: Wenn etwas von Gott ausgeht, müssen wir es annehmen; wenn aber nicht, müssen wir es zurückweisen, ja wir lästern Gott, wenn wir es annehmen. Dann maßen sich sterbliche Menschen Gottes Recht und Autorität an. Zudem stellt Gott keine Sinnbilder auf ohne Rücksicht auf sein Wort. Denn was wäre das für ein Sakrament, bei dem wir nichts als das Sinnbild schauten? Das Wort allein ist` s, was das Sakrament ausmacht. Wo Gottes nicht gelehrt und gehört wird, da ist nur Schein, und die Papisten handeln verkehrt, wenn sie los vom Wort und ohne Rücksicht auf dasselbe leeren Zeremonien den Namen Sakrament beilegen. Denn der Herr hat diese beiden Stücke so eng miteinander verbunden, dass sie niemand sie trennen kann; tut man es dennoch, so verletzt man die von ihm gesetzte Ordnung.
Durch Jesaja. Der Prophet stellt sich hier als Mittler zwischen Gott und seinen Volksgenossen hin und zwar so, dass er nicht nur in Worten, sondern auch in äußerlich sichtbarer, sinnbildlicher Gestalt ein Herold der zukünftigen Heimsuchung wird.
Zeuch ab den Sack von deinen Lenden. Aus diesem Befehl Gottes schließen fast alle Ausleger, dass Jesaja damals ein Trauergewand trug, weil er das Unglück Israels beweinte. Denn in dieser Weise trauerten die Juden, wie aus dem Propheten Joel (1, 13) hervorgeht. Dies geschah, um in der Haltung und Kleidung von Übeltätern Gnade von Gott zu erflehen, oder weil unmöglich Blick und Haltung heiter sein konnte, wenn das Herz traurig war. Der Prophet musste aber von schmerzlichster Trauer erfüllt sein, so lange er ein solches Unglück vor Augen hatte. Einige Ausleger meinen allerdings, es sei hier von der gewöhnlichen Kleidung der Propheten die Rede, welche sich mit einem sackartigen Mantel zu bekleiden pflegten, wie Sacharja bezeugt (13, 4). Doch hat diese Vermutung nur schwachen Grund. Glaublicher ist, dass Jesaja mit einem Sack bekleidet gewesen ist, um den Eindruck eines Trauernden zu machen. Die Bewohner Judas fühlten sich so sicher, dass sie, obschon sie ihre Brüder in Israel jämmerlich zerschlagen und zerstreut sahen, doch nicht davon erschüttert wurden und nicht glaubten, dass deren Elend auch sie angehe. Sie wähnten sich außer Schussweite; sie bedrohten gar die Propheten und verhöhnten die, welche ihnen den Untergang verkündigten. Daher klagt auch der Prophet Micha, dass niemand das Unglück Israels bejammere.
Man kann fragen, ob die hier erwähnte Entblößung wirklich so geschehen ist, oder ob es nur einfach ein Gesicht gewesen, welches der Prophet dem Volke berichtete. Zumeist nimmt man an, der Prophet habe sich in Wirklichkeit nie entblößt; das sei ihm vielmehr nur durch ein Gesicht so gezeigt worden und zwar nur ein einziges Mal. Als Grund führt man an, wegen Hitze oder Kälte oder anderer Unbill der Witterung habe er doch nicht drei Jahre nackt umhergehen können. Wie nun, wenn wir sagen, der Prophet sei daheim im Hause bekleidet gewesen und ebenso in der Öffentlichkeit, nur nicht, wenn er, um zu predigen, ausgehen wollte? Nur dann sei er gewohnt gewesen, dem Volke sich nackt zu zeigen? Mich überzeugt jener Grund nicht, dass er Hitze und Kälte nicht hätte ertragen können. Dem Herrn, der ihm so zu handeln befohlen hatte, war es ein Leichtes, ihn zu schirmen und zu schützen. Man gibt aber auch noch einen andern Grund an: die Nacktheit des Propheten sei unziemlich gewesen. Ich erwidere: diese Nacktheit ist ebenso wenig unziemlich gewesen, als die Beschneidung. Gottlose Menschen konnten auch bei der letzteren urteilen, nichts sei lächerlicher und hässlicher, als das Schauspiel einer Beschneidung, weil bei einer solchen entblößt wurde, was schamvoll bedeckt werden soll. Aber man muss nicht glauben, dass der Prophet sich völlig entblößt hat; er hat vielmehr die Körperteile bedeckt, die zu entblößen gegen den Anstand verstoßen hätte. Es genügte, wenn das Volk erkannte, dass es vom Herrn geschah, und wenn es durch den ungewohnten Anblick erschüttert wurde.
Und er tat also, ging nacket und barfuß. Ich stelle also fest, dass Jesaja nackend einhergegangen ist, so oft er seines Prophetenamtes wartete; er hat aber dabei nur die Teile seines Körpers entblößt, deren Anblick nicht den Anstand verletzen konnte.
Was noch den Sack betrifft, von dem in diesem Verse die Rede ist, so war es auch bei gewöhnlichen Leuten Sitte, im Unglück durch das Anziehen eines solchen seine Schuld zu bezeugen. Doch ist es wahrscheinlich, dass Jesaja von Amtswegen das symbolische Gewand gebraucht hat, um seiner Predigt Nachdruck zu geben und das Volk umso besser aus seinem Schlafe aufzuwecken. Wir freilich brauchen das Gewand nicht zu wechseln, wenn Gott uns oder unsere Brüder züchtigt. Das ist nicht nötig; aber kalt und grausam sind wir, wenn wir von dem Elend der Brüder und dem Ruin der Kirche nicht ergriffen werden. Wenn nur irgendeine göttliche Regung in uns ist, dann müssen wir trauern und weinen. Auch andere sollen dann durch unser Beispiel gemahnt und angeregt werden, das Unglück der Kirche in herzlichem Mitleid mitzufühlen.
V. 3. Zum Zeichen und Wunder dreier Jahre. Weshalb soll Jesaja drei Jahre nackend gehen? Weshalb diese Zeit? Einerseits gab der Herr während dieser Zeit den Ägyptern und Äthiopiern Frist zur Buße, anderseits wollte er den Gehorsam seines Volkes erproben, ob es ohne Zögern auf die unerlaubte Hilfe verzichtete. Zwar sahen sie die Ägypter und Äthiopier noch in gesicherter Stellung; sie sollen aber wissen, dass dieselben von jenem Niedergang nicht mehr fern sind. Der Herr wollte auch dabei die Widerspenstigkeit der Gottlosen offenbar machen. Viele gaben in der Tat damit einen Beweis ihrer Gottlosigkeit, dass sie den Propheten in seiner Nacktheit verachteten. Die Frommen dagegen wurden durch den Anblick dieser Nacktheit bewegt. Wie sehr auch die glückliche Lage der Äthiopier für sie eine verführerische Lockung in sich schloss, so zögerten sie doch nicht, ihren Sinn auf Gottes Wort zu richten, denn es galt nicht einfach, auf die Nacktheit des Propheten zu achten, sondern auf das, was der Herr mit derselben zum Ausdruck gebracht hatte. So müssen wir ja auch in den sichtbaren Sakramenten das, was unsichtbar ist, anschauen.
V. 4. Beide, jung und alt. Der Prophet zeigt, wie kein Unterschied des Alters gemacht werden soll. Greise sollen ebenso wie Jünglinge in die Gefangenschaft geführt werden.
V. 5. Und sie werden erschrecken. Hier zeigt der Prophet, zu wessen Nutzen er jene Weissagung über die Ägypter und Äthiopier gegeben hat. Die Juden sollten dadurch in ihrem Unglück auf Gott vertrauen lernen und sollen nicht die Hilfe auswärtiger Mächte herbei rufen, was der Herr verboten hatte.
Darauf sie sich verließen. So sagt der Prophet, weil die Juden sich an die Ägypter und Äthiopier wandten, so oft sie von irgendeinem Unheil bedrängt wurden, und weil sie auf dieselben ihre Hoffnung setzten. Denn wir pflegen dorthin unsere Augen zu richten, woher wir irgendwelche Hilfe erhoffen. Daher bedeuten im Hebräischen die Worte „auf etwas hinblicken“ und „hoffen“ dasselbe. Es geziemte sich aber, dass ihre Blicke auf Gott allein gerichtet waren. Ihr unsteter Leichtsinn wird also gerügt. Dasselbe muss auch uns treffen, und zwar mit Recht, wenn wir von Gott gerufen werden und doch die sichere Zufluchtsstätte, die er uns anbietet, zurückweisen und uns von dem Gaukelspiel des Satans verlocken lassen. Dann sollen auch wir nackt und bloß mit Schimpf und Schande dastehen.
V. 6. Die Einwohner dieser Küste usw. Unter der Küste versteht der Prophet ganz Judäa. Dies wird deshalb so genannt, weil es vom mittelländischen Meer bespült wird. Anstatt: die Einwohner dieser Küste – kann man auch lesen: die Einwohner dieser Insel. Dann wird Judäa mit einer Insel verglichen, und der Sinn ist folgender: wie eine Insel durch das Meer von anderen Ländern getrennt ist, so hat der Herr Judäa von anderen Ländern geschieden. Es war ja von der gesamten Völkerwelt getrennt, die den Juden mit glühendem Hass feindlich entgegenstand. Es war ein Zaun zwischen ihnen aufgerichtet, wie Paulus (Eph. 2, 14) sagt, den Christus zuletzt abgebrochen hat. Hier bekräftigt Jesaja noch seine Weissagung. Wenn ihr euch jetzt nicht, will er sagen, durch meine Nacktheit bewegen lasst, dann werdet ihr euch einst durch den Augenschein selbst überzeugen, dass dies nicht umsonst euch vorgehalten worden ist. So zwingt Gott die Unbeugsamen und Leute, die nicht lernen wollen, zuletzt doch zu einem Bekenntnis ihrer Schuld, sodass sie erschreckt und verdutzt miteinander darüber disputieren, wie sie doch in ihrer Verkehrtheit so über die Maßen verblendet sein konnten.