(Predigt von Johannes Calvin über Hiob 42, 7-17)
“So nehmet nun 7 Farren und 7 Widder und gehet hin zu meinem Knechte Hiob und opfert Brandopfer für euch und laßt meinen Knecht Hiob für euch bitten. Denn ihn will ich ansehen, daß ich an euch nicht tue nach eurer Torheit, denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“
Hiob 42,8
Indem Gott die Freunde Hiobs zurechtwies, wollte er sie nicht in Verzweiflung stürzen; er rief sie vielmehr zur Umkehr, indem er erklärte, er wolle sie erhören und sich ihrer erbarmen. Dann nur können uns die Bestrafungen zum Segen gereichen, wenn Gott uns die Tür nicht zuschließt, sondern sich bereit zeigt, uns in Gnaden anzunehmen. Denn was kann uns sonst helfen, wenn wir unserer Sünden überführt werden? Wir müßten, wenn wir uns nicht an Gottes Barmherzigkeit wenden könnten, in den Abgrund der Verzweiflung hinabstürzen, und niemals würde dann ein Ringen nach rechtschaffener Bekehrung in uns aufkommen; wir würden vielmehr verhärtet werden, wider den Stachel ausschlagen und keine Bestrafung annehmen. Lasset uns also Gottes Gnade und Treue gegen die Menschen darin erkennen, daß er, wenn er das Gefühl der Schuld bei ihnen geweckt hat, ihnen zeigt, daß sie dennoch Gnade finden können, wenn sie ihn suchen. Wir haben indes auch gehört, wie Gott jenen Männern befahl: „Opfert Brandopfer für euch und lasset meinen Knecht Hiob für euch bitten!“ Wenngleich sich Gott gnädig und freundlich gegen uns erzeigt, so muß er sich doch auch wieder um unseretwillen ernst und strenge zeigen, damit wir zu recht tiefem Abscheu gegen unsere Sünde kämen. Wir sind leicht geneigt, uns mit ein paar Klageseufzern über unsere Sünden zufrieden zu geben und so mit Gott zu spielen. Die Buße muß aber unser inneres durchdringen; wir müssen vom Schrecken ergriffen werden, wenn wir den Zorn Gottes, der uns gänzlich verderben kann, erkennen; aber gerne eilen wir leichten und schnellen Fußes darüber hin. Darum ist es uns heilsam, daß Gott uns Zügel anlegt und uns zeigt, wieviel Böses noch in uns verborgen ist, das wir noch besser erkennen müssen. Gott will keineswegs, daß seine Barmherzigkeit von den Menschen als ein am Wege liegender Fund betrachtet werde; er will, daß sie recht gedemütigt werden und ihre Sündenrecht erkennen möchten. Darum heißt es hier: Hiob solle für die beten, welche ihm wehe getan hatten. Gewiß wollte Gott durch die Opfer sowohl wie durch Hiobs Person zeigen, daß die Menschen einen Mittler nötig hätten, der ihnen den Zugang zu ihm eröffnet und seine Gnade vermittelt. So hat Gott auch im Gesetz den Hohepriester bestellt, der allein für das ganze Volk in das Allerheiligste gehen durfte, während alle übrigen draußen standen und dadurch anerkannten, daß sie unwürdig seien, vor Gottes Angesicht zu erscheinen. Darin war abgebildet, daß wir ohne einen Mittler, der uns vor Gott vertritt, niemals Gott hätten anrufen dürfen, sondern mit Recht von ihm geschieden und von seiner Nähe ausgeschlossen sein würden. In unserer Geschichte hat Hiob des Priesteramtes gewartet, indem er für seine Freunde bat; er hat sich das aber auch nicht eigenwillig angemaßt. Er selbst hatte ja Gott um Vergebung zu bitten und auch er konnte nicht ohne Mittler und Fürsprecher zu ihm nahen; wie hätte er also für andere Gnade erbitten können, wenn ihm Gott nicht den Auftrag dazu erteilt hätte? Hiob war also für diesen Fall von Gott zum Priester bestellt, wie denn der Apostel spricht: „ Niemand nimmt ihm selbst die Ehre, sondern der von Gott berufen ist, das ist ein rechter Priester.“ Selbst Jesus Christus, obgleich er der Herr der Gemeinde, das Haupt der Engel und Menschen, und teilhaftig der Herrlichkeit des Vaters ist, hat sich nicht selbst in das Priesteramt eingesetzt, sondern ist durch einen feierlichen Eidschwur berufen worden: „Ich habe geschworen: Priester bist du mir in Ewigkeit der Weise Melchisedeks.“
Merken wir also: Hiob ist hier darum mit dem Priesterrecht bekleidet worden, damit wir erkennen, daß niemand, der Vergebung der Sünden sucht, im eigenen Namen kommen darf, daß es vielmehr des Herrn Jesu Christi Sache ist, uns die Tür aufzutun und uns zu seinem Vater zu führen, auf daß der Thron der Majestät uns zum Gnadenthrone werde. Wenn es zur Zeit des Gesetzes und bei denen, denen sich Gott unvollkommen geoffenbart hatte, also war, wie muß es dann heute sein, wo es uns klar verkündigt ist, daß Jesus der einzige Fürsprecher ist, der uns vertritt und unsere Bitten vor Gott angenehm macht? Es wird aber in dieser Sache die Undankbarkeit der Menschen recht offenbar. Warum haben sie sich so viele Fürsprecher und Patrone erwählt? Warum dient und verehrt jeder einen besonderen Heiligen? Warum anders, als weil des Herrn Jesu Werk und Amt unbekannt war?
Nur durch den von Gott verordneten Mittler finden wir Zugang zu dem himmlyschen Throne. Durch ihn sind wir gewiß, daß Gott uns nicht hinausstoßen wird, denn wir haben seine Verheißung, die nicht trügen kann.
Gleiches ist zu sagen von den Opfern, von welchen hier die Rede ist; niemals sind Bitten ohne Opfer erhört worden. Warum? Weil Gott zeigen wollte, daß die Menschen unwert sind, ihm zu nahen, so daß der Mensch des Todes schuldig und Gott für ihn ein verzehrendes Feuer ist. Alle, die Barmherzigkeit erlangen wollen, brachten irgend welche Opfer, um zu bekennen, daß sie dem Gerichte Gottes verfallen seien und ohne Opfer demselben nicht entrinnen könnten. Selbst die Heiden haben dies beobachtet, obwohl sie den Sinn des Opfers nicht verstanden; ihr Tun ist lediglich ein Zeugnis wider sie. Gott aber wollte, daß dieses Zeugnis in der ganzen Welt vorhanden sei, damit die Menschen zur Erkenntnis kämen, sie seien ganz und gar verdammungswürdig und eine Lossprechung gäbe es nicht für sie, wofern ihre Sünden nicht durch ein Opfer getilgt würden. Nun aber ist uns die Wahrheit von dem allen im Evangelium enthüllt, und wir wissen es jetzt, daß wir bei all unserem Bitten zu Gott zu des Herrn Jesu Christi Leiden und Tod uns flüchten müssen, denn anders können wir nicht mit ihm versöhnt werden, und unsere Gebete müssen durch das Blut, das er zur Abwaschung unserer Sünden vergossen hat, gereinigt werden. So also werden wir Gott angenehm, obwohl er von rechtswegen unser Rächer und Richter ist und wir als Rebellen wider seine Majestät unter seinem Zorn und Fluche stehen; denn er will uns zu Gnaden annehmen, wenn wir das Opfer, das von unserem Herrn Jesu Christo dargebracht worden ist, uns im Glauben zueignen; alsdann sieht Gott uns und unsere Bitten gnädig an.
Wenn mein Gott an unserer Stelle spricht: „ich will nicht töricht mit euch handeln“ (denn so lautet es wörtlich), so hat dieser Ausdruck allerdings etwas befremdliches; wenn wir aber an das denken, was Psalm 18,27 steht, so ist die Erklärung nicht schwer. Da wird nämlich gesagt, Gott handele mit den Menschen, je nachdem er sie finde: „Bei den Verkehrten bist du verkehrt!“ Das scheint widersinnig zu sein, allein es will nicht etwa sagen, daß Gott seinen Sinn ändere und uns ähnlich sei; jener Ausdruck will nur sagen, daß wir - gemäß dem Sprichwort: Dem harten Esel ein harter Treiber - von Gott so behandelt werden, wie wir es verdienen; wenn wir uns widerspenstig, hartnäckig und unbeugsam zeigen, wird er uns mit gewaltigen Hammerschlägen zerschmeißen. Wie Gott nun sich unserer Empfindung und Auffassung darstellt, so wird er in der Psalmstelle genannt, wiewohl seine Majestät über alle Veränderlichkeit erhaben ist. Das Gleiche ist auch zu unserer Stelle zu bemerken: „Daß ich nicht töricht mit euch handle.“ Das ist so viel, als wenn Gott sagte: „Daß ich nicht nach eurer Torheit und Verkehrtheit mit euch handle“ - gehet hin zu meinem Knechte Hiob! Das stimmt mit dem zusammen, was wir schon bemerkten: weil Hiobs Freunde, obwohl sie ihre Sünden erkannt hatten, doch noch nicht hinreichend gedemütigt waren, so muß Gott ihre Schande noch mehr aufdecken, und sie mußten erkennen, daß es ihnen übel ergehen würde, wenn mit ihnen nach Recht gehandelt würde, daß sie aber, wenn Hiob bittend für sie eintritt, einen gnädigen Gott finden würden.
Alsbald darauf wird uns gemeldet, daß „sie taten, was der Herr ihnen gesagt hatte.“ Hier erkennen wir, wie die Menschen umgewandelt werden, wenn Gott kräftig mit ihnen redet, so daß er seine Stimme nicht nur ihren Ohren, sondern auch ihren Herzen vernehmlich macht. Zuvor hielten Hiobs Freunde diesen für einen verworfenen Menschen, sich selbst aber warfen sie zu Richtern auf, die keine Entschuldigung annahmen, und mit so dreistem Übermut redeten sie wider Hiob, als wäre er verächtlicher denn ein Wurm im Staube. Jetzt aber kommen sie bittend zu ihm. Warum? Gott hatte jenen Hochmut, der sie vorher verblendete, von ihnen genommen. Von daher also muß unsere Umwandlung kommen; wir müssen gedemütigt werden und Gott muß so mit unseren Herzen reden, daß wir erkennen, wer wir sind. Das eben hindert uns am Wandel in der Furcht Gottes, daß wir von Hochmut aufgeblasen sind und uns einbilden, zu sein, was wir nicht sind. Darum muß uns Gott unterweisen, denn alle Menschen können uns von unserer stolzen Aufgeblasenheit nicht heilen: Gott muß es tun.
Hiobs Freunde ließen indessen nicht nur jenen Hochmut fahren, der sie auf solche Abwege geführt hatte, sondern sie beweisen auch ihre Umkehr durch tätlichen Gehorsam gegen den Herrn. Das ist eine gute Frucht, welche eine im Herzen verborgene gute Wurzel anzeigt, wenn wir begehren, den Geboten Gottes Gehorsam zu leisten.
Woher kommt doch jene Frage in der Apostelgeschichte: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Des Petrus gewaltige Rede ging denen, die zuvor Verächter Jesu Christi gewesen waren, wie ein scharfes, zweischneidiges Schwert, so daß sie sprachen: „Was sollen wir tun?“ Sie boten sich dem Herrn dar, bereit, alles zu tun, was er gebieten würde. Eine solche Frucht der Bekehrung sehen wir also an unserer Stelle darin, daß Hiobs Freunde, je nachdem sie sich selbst erkannt und ihrem törichten Hochmut den Abschied gegeben hatten, dem Befehle des Herrn gehorsam waren. Wenn wir vor Gott so gedemütigt sind, daß wir uns selbst mißfallen, dann werden wir auch willig und begierig sein, uns dem Willen Gottes zu unterwerfen, denn auch das ist ein Stück unseres Hochmuts, daß wir nach unserer eigenen Wahl und unseren eigenen Einfällen handeln wollen. Solange wir uns selbst weise dünken, können wir Gott nicht gehorsam sein; legen wir aber den Hochmut ab, dann wird es uns klar und gewiß, daß Gott das Recht hat, uns zu befehlen, was er will, und daß es uns geziemt, ohne Widerstreben zu gehorchen.
Weiter heißt es nun: „Der Herr sah an Hiob und wandte das Gefängnis Hiobs, da er bat für seine Freunde.“ Wenn der Herr Hiob freundlich ansah und sein Gebet gnädig annahm, weil er ihn zum Priester verordnet hatte, dürfen wir dann nicht viel gewisser sein, daß wir erhört wurden, die wir Jesum Christum, der ins Heiligtum eingegangen ist, zum Fürsprecher haben? Wer war denn Hiob? Ein armer Mensch, der sich soeben noch fast bis zur Lästerung Gottes versündigt hatte. Aber siehe da! weil ihm Gott dieses Bittamt gegeben, wird ihm Erhörung zu Teil und zwar nicht allein für sich, sondern auch für andere, für solche, die zuvor seine Feinde und von Gott fast entfremdet gewesen waren, denn sie hatten sein Wort gänzlich verkehrt, wie wir gesehen haben.
Hiob erlangt Verzeihung für alle. Wenn wir nun hören, daß das, was nur wie ein geringer, dunkler Schatten war, bei Gott etwas vermocht hat, was wird es dann erst sein um das von Gott verordnete Priestertum seines eingeborenen Sohnes, der nicht Ochsen, Kälber und Böcke, sondern sich selbst nach Seele und Leib geopfert hat? Nachdem sich der Sohn Gottes in seiner Person zu unserer Erlösung und zur Tilgung aller unserer Sünden geopfert hat und uns fort und fort vertritt, dürfen wir nicht mehr zweifeln, daß in seinem Namen Vergebung der Sünden, Gnade und Erbarmung für uns bereit ist. Es zeigt sich aber, wie ich schon oben sagte, die Verkehrtheit der Welt darin, daß die Menschen sich mit diesem einigen Mittler nicht begnügen wollen. Woher kommt das? Sie erkennen den Wert und die erlösende Kraft des Leidens und Sterbens Christi nicht an, und obschon viele mit dem Munde bekennen, daß er Gottes Sohn und der Welt Erlöser ist, nehmen sie ihn nicht als Mittler und Fürsprecher an, nehmen ihre Zuflucht nicht zu ihm, und was es um die Anrufung seines Namens ist, wissen sie nicht. Aber tun wir denn, was uns gebühret? Ich rede nun von denen, welche die Erkenntnis haben. Wir sollten, so oft wir beten, mit Auge und Herz auf jenes ewige Opfer, durch welches unsere Erlösung vollbracht ist, hinschauen. Aber wir denken oft nur obenhin und flüchtig daran, und viele sind so töricht und so arm am rechten Verständnis, daß sie, wiewohl sie das Wort von unserem Fürsprecher Christus tausendmal gehört haben, dennoch zwischen Gott und unserem Herrn Jesu Christo nicht zu scheiden wissen und bei der Anrufung des Vaters nicht an den Fürsprecher denken, der uns vertritt. Aber es ist nicht zu verwundern, wenn öfter der Herr die Menschen also verblendet, denn sie haben sich durch ihre Verkehrtheit von dem Wege, den er uns in seinem Worte weiset, abgekehrt und sich die Türe verschlossen, so daß sie keinen Zugang zum Vater haben; wir wissen es ja, daß die Türe uns nicht offen stände, wenn wir nicht den Christus, den jene verlassen haben, zum Fürsprecher hätten. So sucht der Teufel zu aller Zeit die Menschenherzen irre und wirre zu machen. Hüten wir uns denn in unserem Teil vor dem Irrweg; denken wir daran, daß Gott vor Zeiten seine Erhörung durch Opfer bedingt hat und daß nicht umsonst die Priester unter dem Gesetz in das vergängliche, mit Händen gemachte Heiligtum eingegangen sind und dort der Tiere Blut dargebracht haben. Seien wir gewiß, daß nur Jesus Christus uns des Vaters Gnade und Erbarmung vermittelt, daß er unsere Bitten vor den Vater bringt und daß sie erhört werden, sofern sie sich auf sein Opfer gründen und stützen.
Achten wir ferner darauf, daß es nun heißt: „Gott habe Hiobs Gefängnis gewendet.“ Das will sagen, daß Hiobs Kummer und Trübsal von ihm genommen und seine Gabe wieder hergestellt wurde. Aber es wird dabei bemerkt, daß ihm dies geschehen sei, „als er für seine Freunde gebetet hatte“, d.h. also für diejenigen, die ihn geplagt und gequält hatten. Daran sehen wir, daß wir Segen davon haben, wenn wir unsere Feinde lieben und ihr Heil uns am Herzen liegt. Wir meinen oft, wir müßten uns vor zu großer Milde gegen unsere Beleidiger Hüten, und nur zu sehr wird nach jenem teuflischen Sprichwort gehandelt: „Wer ein Schaf sein will, den frißt der Wolf.“ Wenn uns Leid und Schmach zugefügt wird, so möchten wir am liebsten keine Vergebung üben, indem wir fürchten, wir würden uns dann aller Ungerechtigkeit preisgeben und die Frechheit der Feinde nur bestärken. Wir müssen aber alle diese Gedanken von uns tun, weil wir einen Gott haben, der uns behütet und beschirmt und der uns einen Hirten gegeben hat, welcher und bewahren will und kann. Zudem sollen wir wissen, daß von der Fürbitte, die wir für unsere Beleidiger tun, der Segen auf uns kommt. Wenn es Gott gefällt, daß unser Gebet ihnen heilbringend wird, dann werden sie aus unseren Feinden unsere Brüder; wenn sie aber in ihrer Verkehrtheit beharren, dann wird Gott geben, daß der Segen unserer Gebete für sie uns zu gute komme. Darum also wird ausdrücklich gesagt, daß Gott den Hiob gnädig ansah, da er für die gebetet hatte, die ihn zuvor schmähten.
Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1909