1) Da antwortete Hiob ihnen also: 2) Ich wünschte, man wöge meinen Kummer und legte auf die Waage meine Schmerzen. 3) Er würde schwerer wiegen als der Sand des Meeres, darum verwirren sich meine Worte. 4) Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, ihr Gift muss mein Geist trinken, die Schrecken Gottes sind auf mich gerichtet. 5) Schreit auch ein Wildesel, wenn er Gras hat, und brüllt der Stier über seinem Futter? 6) Was weder Geschmack noch Salz hat, kann man das essen? Und hat das Eiweiß Wohlgeschmack? 7) Meine Seele widert schon die Berührung an; es ist wie eine leibliche Krankheit. 8) O käme doch, was ich begehre! Gäbe man mir doch, was ich gern hätte! 9) O dass Gott mich zerschlüge und zermalmte! O würde ich von ihm zerspalten wie ein Bogen!
Kein Übel kann die Menschen so niederschmettern, als wenn Gott sie drückt und sie seinen Zorn fühlen lässt; diese Anfechtung übersteigt alles, was am Leibe auszustehen hat. Hiob meint, wenn man seinen Kummer und seine Schmerzen auf die Waage legte, dann würde sein Leiden schwerer wiegen als der Sand am Meere. Denn Gott habe seine vergifteten Pfeile auf ihn geschossen, und davon sei sein Geist ganz voll Bitterkeit. Es sieht aus wie eine ungerechte Klage, wenn er meint, sein Leid sei so groß, dass es kein größeres geben könnte. Damit kommt er der Klage Kains nahe, und das war eine Lästerung Gottes. Denn als Kain das Todesurteil Gottes hört, kann er sich nicht rechtfertigen, weil seine Sünde am Tage liegt, aber er zeiht Gott der Grausamkeit und übergroßen Strenge: „Meine Strafe ist größer, als dass ich sie tragen könnte; siehe, du treibst mich heute aus dem Lande, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen. Wie gehst du mit mir um?“ (vgl. Gen 4, 13 f.). Scheinbar tut Hiob ganz dasselbe: keine Klage sei schwer genug, so hart gehe Gott mit ihm um. Wir hörten ihn schon den Tag seiner Geburt verfluchen. Gibt´s dafür überhaupt noch eine Entschuldigung? Er hat seine gute Sache schlecht geführt, und man muss zugeben, hier liegt eine Schwäche vor. Dabei aber sagt er doch mit vollem Recht, sein Leiden sei so groß und ohne Maß, dass seine Worte sich verwirren, dass er daliegt als ein armer, zerschlagener Mensch und dass kein Wort genügt, um die Trübsal auszudrücken, mit der Gott ihn zu Boden drückt.
Was ist es doch um eine arme Kreatur, wenn Gott sie mit seinen Gerichten drückt! Wir sind nicht von Eisen, wir sind nicht wie Felsen, wir sind sterbliche, gebrechliche Menschenkinder, und es ist gut, dass Gott uns das fühlen lässt. Auch wenn uns Gott in unsern Trübsalen beisteht und uns vor dem gänzlichen Erliegen bewahrt, Wunden tragen wir dennoch davon, wir hinken an unserer Hüfte, und immer bleibt mitten in der Kraft, die Gott uns schenkt, eine Schwäche zurück. Es ist schon eine Anfechtung, wenn es uns leiblich schlecht geht, viel mehr aber haben wir uns zu fürchten vor der geistlichen Anfechtung, wenn Gott uns vor Gericht fordert, wo wir uns zu rechtfertigen haben. Gewiss, leibliches Elend fühlen wir viel schmerzlicher, denn von unserem Leibe sind wir ganz und gar abhängig. Wenn man uns mit Hunger, Pest, Krankheit oder Tod droht, so erschrecken wir; sagt man uns aber von Gott, so macht das herzlich wenig Eindruck. Nach dem Zorne Gottes und der Verdammnis, die den Feinden Gottes bereitet ist, fragen wir nicht viel; redet man aber mit uns von Dingen des gegenwärtigen Lebens, so sind wir ganz Ohr. Während aber die andern ganz stumpf bleiben, gibt Gott den Seinen zu ihrer Übung ein Gefühl für seinen Zorn, und das ist eine viel schlimmere Anfechtung als alles erdenkliche äußere Leid.
Es mag uns zuweilen befremden, dass die Gläubigen so klagen: Warum „zerbrichst du mir alle Gebeine wie ein Löwe“? (Jes 38, 13); „Meine Gestalt ist verfallen vor Trauern“ (Ps 31, 10); „Deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drücket mich“ (Ps 38, 3); „Alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich“ (Ps 42, 8); „Meine Seele ist voll Jammers, und mein Leben ist nahe bei der Hölle“ (Ps 88, 4). Sind sie wirklich so verzärtelt und verweichlicht? Nein, so sprechen gerade die Allerstärksten und Tapfersten, die es unter der Leitung des Heiligen Geistes zu einer unüberwindlichen Mannhaftigkeit gebracht haben. War David nicht ein Mann großer Geduld? Mehr und mehr hat Gott ihn in die Prüfungsschule genommen, und das hat er alles ausgehalten und ist niemals wegen einer Trübsal von Gott abgefallen. Er glich einem Kriegsmann, der in lauter Kämpfen geübt ist, und das nicht einen Tag oder ein Jahr, sondern seine ganze Lebenszeit. Aber bei all seiner Bewährung bricht er doch in Klagen aus, als hätte er noch nie ein Leid erlebt und wüsste gar nicht, was Trübsal ist. Aber es war ja auch kein körperliches Leid, wovon er angefochten ward. Krankheit oder ähnliches Ungemach zu erdulden, wäre ihm ein leichtes gewesen: was presst ihm denn solche Klagen aus? Er schlägt an seine Brust, er fühlt sich in seinem Gewissen getroffen, als wenn Gott ihn nicht allein verlassen hätte, sondern auch sein Todfeind wäre, der ihn bis in die Hölle hinein verfolgt und zu ihm sagt: Du sollst nicht Rast noch Ruhe haben; in den tiefsten Abgrund will ich dich versenken! Dass Gottes Zorn wider ihn entbrannt ist, das ist sein schwerster Druck.
Leibliche Not können wir noch mit Geduld ertragen, aber das ist nichts gegen die Angst derer, denen er seinen Zorn und seine Strafe zu fühlen gibt – und doch ist uns gerade das heilsam. Denn wer nur leibliche Schwachheit fühlt, der denkt noch lange nicht daran, die Arznei für seine Seele zu suchen; denn von ihrer Not fühlt er nichts. Solche Menschen denken gar nicht daran, Versöhnung mit Gott zu suchen, weil sie keine Angst vor seinem Gericht haben. Gewiss, nicht jeder hat die gleiche Last zu tragen; denn Gott kennt unsere Tragkraft. Auch der Schwache, den Gott noch nicht mit einer so großen Gnade seines Heiligen Geistes begabt hat, bekommt sein Gericht zu fühlen, aber er trägt ihn dabei auf seinen Armen und lässt ihn mitten in seinem Zorn seine Barmherzigkeit schmecken, so dass ihm die Last nicht so riesengroß wird. Wer aber besondere Kraft empfangen hat und mit dem Heiligen Geist gestärkt ist, der muss größere und schwerere Anfechtungen ausstehen als die, die so schwach wie kleine Kinder sind. Und daher kommt es, dass Männer wie David, Hiskia und Hiob in geistlichen Kämpfen stehen, wie wir sie bei uns selber gar nicht kennen. Gewiss, wir werden auch unsere Last zu tragen haben, sonst wären wir ganz stumpf und von Gott verlassen, und unser Gewissen würde ganz und gar einschlafen, aber wenn Gott uns sein Gericht zu tragen gibt, so ist das nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit jenen heiligen Männern, die mit den Schmerzen des Todes und der Hölle zu kämpfen hatten.
Mit den Worten: Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, will Hiob ausdrücken, dass er es nicht mit Menschen zu tun hat: Gott führt Krieg gegen ihn, seine Pfeile haben ihn durchstochen. Wenn nun der sterbliche Mensch, der doch nichts ist, Gott wider sich streiten fühlt, wie soll er dann bestehen können? Wie soll das möglich sein? Gleichwohl müssen wir um unseres Heiles willen in solche Kämpfe hinein. Wir hätten aber einen üblen Gewinn von Gottes Zuchtruten, wenn wir beim Suchen nach der Herkunft unserer Trübsale an den Menschen hängen blieben und also vom Irdischen nicht loskämen. Hiob weiß, dass sein Kummer vom Schrecken Gottes herkommt: Die Schrecken Gottes sind auf mich gerichtet. Auch die Verstockten und Halsstarrigen sucht Gott oftmals mit Trübsal heim, aber ihr Geist wird trotzdem nicht gedemütigt: die Gerichte Gottes prallen an ihnen ab, wie der Hammer am Amboss. Aber wenn Gott die Seinen demütigen will, so verwundet er sie bis ins tiefste Herz hinein. Kein Mensch gibt Gott die gebührende Ehre, bevor er in sich selber gedemütigt ist. Denn es ist nicht genug, dass wir sagen: Gott ist Herr über uns, und wir sind ihm unterworfen wie alle Kreaturen – nein, wir müssen ihm das Lob spenden, dass er allein gerecht ist und dass in uns lauter Ungerechtigkeit steckt; wir müssen unsern Mund schließen und keine Entschuldigung suchen, um unsere eigene Geltung zu retten, sondern erkennen, dass es für uns nichts als Schande gibt, ja, dass wir es verdienen, verworfen zu werden wie verwesendes Aas. Wenn wir dazu nicht gelangen, so kommt es zu keiner Verherrlichung und keinem Dienste Gottes, wie Paulus das Röm 3, 19 ausspricht: „Auf dass aller Mund verstopft werde und alle Welt Gott schuldig sei.“ Unendlich ist die Herrlichkeit Gottes, wir aber müssen zu ihm kommen in aller Furcht und Demut als arme Missetäter mit dem Strick am Hals, die in der Hölle bleiben müssten, wenn er uns nicht in seiner unendlichen Güte herauszöge.
Darum verwirren sich meine Worte. Damit will er sagen: Er redet nicht in wohlgesetzten Worten, wie so manche Leute viele beredte Worte finden, um sich in ihren großen Schmerzen recht wichtig zu machen. Wenn verzärtelten Menschen nur ein Finger weh tut, so brauchen sie gar keinen Advokaten, der ihre Sache vertritt, sondern wenn man sie reden hört, sollte man sie für die allerbemitleidenswertesten Menschen halten. Aber mit all ihrem Geschwätz geben sie nur zu erkennen, dass ihre Not sie gar nicht so ernsthaft drückt; ginge es ihnen wirklich ans Herz, sie würden es machen wie Hiob. Wenn Gott die Seinen vor sein Gericht fordert und sie so hart drückt, dass ihnen jedes Wort auf den Lippen verstummt, so kommt er uns doch zu Hilfe mit einer passenden Arznei, damit wir nicht ganz stumm bleiben. Eben das meint Paulus mit dem Wort Röm 8, 26: „Der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichen Seufzen.“ Wenn der hl. Paulus vom rechten Gebet der Gläubigen, und zwar der allerbesten, spricht, so nennt er es ein „Seufzen“, aber es sind keine richtigen Worte; fragte man uns: Was sprichst du da, was erbittest du von Gott? – wir würden´s nicht sagen können. Wir müssen´s in uns verschlossen halten, können auch, was wir sagen möchten, nicht in Worten ausdrücken. So erfüllt sich das hier Gesagte: Obwohl unsere Worte in uns verwirrt und verschlossen sind, zeigt Gott uns doch einen Weg, wie wir ihn finden und zu ihm kommen können, einen Weg, an dem er Gefallen hat. Und obgleich diese Sprache von Menschen nicht verstanden wird, ja auch der Betende selbst so verwirrt ist, dass er seines Herzens Gedanken nicht klar aussprechen kann, Gott versteht eine solche stumme Sprache doch.
Nun braucht Hiob einige Gleichnisse, um darzutun, dass seine Klage nicht ohne Grund ist. Schreit auch der Wildesel, wenn er Gras hat? Und brüllt der Stier über seinem Futter? Beide, Menschen und Vieh, freuen sich, wenn ihnen alles nach Wunsch geht. Wenn ein Wildesel Weide genug findet, so schreit er nicht; wenn ein Stier sein Futter hat, ist er zufrieden. Aber wie ist es möglich, dass ein Mensch gut findet, was ihm zuwider ist? Was weder Geschmack noch Salz hat, kann man das essen? Und hat das Eiweiß Wohlgeschmack? Wenn man einem Eiweiß ohne Salz zu trinken gibt, so möchte er´s am liebsten ausspeien; denn es ist ihm zuwider. Noch viel widerwärtiger ist aber die Trübsal, mit der Hiob heimgesucht wird. – Aber wir wollen doch nicht den unvernünftigen Tieren gleichen, die nur ihr Futter haben wollen. Denn wenn Gott uns gute Tage beschert, müssen wir daran nicht kleben bleiben, als wäre das unser einziges Lebenswerk. Unser Glück dürfen wir genießen, doch so, dass wir immer darüber hinauskommen und uns bereithalten, auch wenn Gott uns Trübsal schicken will; sonst könnte uns dieselbe unversehens überraschen, weil wir damit gerechnet haben, es würde uns alles nach unserem Willen gehen. Lasst uns immer nach den Gütern trachten, zu denen uns Gott beruft! Lasst uns auch darauf uns rüsten, das zu dulden, was uns nicht schmeckt! Gott tut das doch nur zu unserem Nutzen, und weil es Gott so ordnet, soll uns sein bloßer Wille besser schmecken als alles, was uns sonst wohl gefällt. Und das Salz, das uns alle Widerwärtigkeiten schmackhaft macht, dass wir sie geduldig ertragen? Das ist der Gehorsam: Gott ist´s, der uns plagt.
Gott behandelt den Hiob als einen armen, der Verdammnis verfallenen Menschen und tritt ihm als Gegner und Richter entgegen; darunter leidet Hiob mehr als unter allem andern: er fühlt Gottes Hand über sich, wie David Ps 32, 4 bekennt: „Deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir.“ Sonst könnten wir ja auch nicht verstehen, wie Hiob sich den Tod wünschen kann. Ist der Tod nicht das allergrößte Übel? Und doch sagt Hiob: Wenn ihn Gott auf einmal wegraffte, so ließe sich das noch mit Geduld hinnehmen, aber dass der Druck so lange anhalte, das sei ihm unerträglich, er fühle sich wie in einem brennenden Feuer. Ja, es ist auch ein Unterschied zwischen einem Menschen, der auf einen Schlag weggerafft wird, und einem, den Gott auf die Folter spannt ohne Linderung, ohne Trost.
Und das wünscht Hiob sich nicht nur, nein, er tritt auch vor Gott und trägt ihm seinen Wunsch als Bitte vor; und das ist sein zweiter Fehler. Wenn ein Mensch, der sich den Tod wünscht, in seiner Angst und Not Gott gar nicht zu bitten wagte, so wäre schon das eine große Beleidigung; denn wir dürfen uns nicht vor Gott verbergen und in den Winkel kriechen, um dort unsere heillosen, verwerflichen Wünsche zu verstecken. Wenn einer aber so weit geht, dass er Gott solch heillosen Wunsch im Gebet vorträgt, so begeht er damit zweifellos doppelte Sünde. Denn es ist doch eine allzu große Vermessenheit, den Namen Gottes mit Absicht zu entheiligen. Wie sollen wir denn Gott anrufen? Welche Richtschnur an unser Gebet anlegen? Vor allen Dingen nichts erbitten, was mit seinem Willen nicht im Einklang steht! So meint es Johannes in seinem ersten Brief (5, 14): „So wir etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns“, und unser Herr Jesus Christus lehrt uns deutlich genug, dass wir nur in aller Bescheidenheit beten dürfen: „Dein Wille geschehe!“ Es ist also klar, dass Hiob mit seiner vermessenen Bitte Gottes Namen entheiligt.
Also damit muss ein rechtes Gebet immer beginnen: Wir müssen wohl Acht haben, was uns nach seinem Willen erlaubt ist. Denn wer Gott gedankenlos nur um das bittet, was er gerne hätte, - was für Ehre tut er ihm damit an? Er will ihn doch nur seinen Wünschen dienstbar machen, und es ist eine unerträgliche Anmaßung, wenn ein sterblicher Mensch sich auf den Thron setzen und Gott zum Knecht seiner Wünsche machen will! Sogar Hiob hat sich damit verfehlt und ein schlechtes Gebet an Gott gerichtet; deshalb müssten wir umso misstrauischer gegen uns selber sein, um im Gebet nüchtern zu bleiben und ja nichts zu begehren, als was Gott uns verheißen oder erlaubt hat. Freilich, das wäre auch nicht die richtige Arznei, nun überhaupt das Beten zu unterlassen, wenn unser Fleisch diesen oder jenen Wunsch hat. Was sollen wir aber tun, wenn uns schlechte und eitle Wünsche aufsteigen? Nur ja nicht in den Winkel kriechen, sondern nach dem Psalmwort handeln: „Schüttet euer Herz vor ihm aus!“ (62, 9). Nichts im Herzen verstecken, sondern, sobald ein Wunsch in uns aufsteigt, alsbald fragen: Ist das wohl auch ein erlaubter Wunsch, lässt Gott mir diesen Wunsch wohl zu? Wir müssen eine Prüfung mit uns selbst anstellen und, was in unser Herz gekommen ist, offen ausbreiten; hat Gott es dann gesehen, dann dürfen wir uns anschicken, seinem Willen gemäß zu bitten. Dann werden wir nicht mehr mit aufgerichtetem Haupte vor Gott hintreten und nicht mehr so vermessen sein, Gott zu uns zu befehlen und von ihm zu fordern, dass er uns gebe, was wir in unserm Hirn uns vorgestellt haben, sondern wir werden uns in allen Stücken ihm unterwerfen. Bei solcher Gebetsnüchternheit verschwinden auch unsere schlechten Wünsche; Gott legt uns einen Zügel an, dass wir nichts mehr begehren, als was man sich wirklich von Gott erbitten darf. Dazu aber müssen wir alle unsere Sünden ehrlich erforschen und alles verdammen, was nicht mit dem Willen unseres alleinigen Gebieters in Einklang steht.
Hiob wünscht sich: O käme doch, was ich begehre! Gäbe man mir doch, was ich gern hätte! O dass Gott mich zerbräche und zermalmte! Merken wir, dass Gott als unser Richter uns entgegentritt, so ist das eine unerträgliche Marter; dann wünschten wir uns, wie Christus sagt (Luk 23, 30): „Ihr Berge, fallet über uns, und ihr Hügel, decket uns!“ Und wenn die ganze Welt unterginge, und wenn alle Kreaturen gegen uns aufständen und jede uns einen besonderen Tod antäte, so wäre uns das noch lieber als jene Qual. Lieber gingen wir Gefahren ohne Zahl entgegen, wenn wir nur nicht das schreckliche Angesicht Gottes zu sehen brauchten.
Es gibt nicht viele, die davon zu sagen wissen; die meisten sind stumpf, verstockt und verhärtet. Wenn Mann oder Weib von Krankheit heimgesucht wird, dann schreit man: Ach, wir armen Leute! Bricht Teuerung, Hungersnot oder etwas derart herein, so weiß jeder sein besonderes Klagelied anzustimmen; aber von geistlicher Not, von Gottes Verfolgung und seinem schrecklichen Zorn wissen wir nichts. Unser Gewissen ist dermaßen betäubt, dass man unter hundert kaum einen findet, der jemals etwas davon geschmeckt hätte, wie das ist, wenn die Hand Gotte so schrecklich auf einem liegt, wie es Hiob zum Ausdruck bringt. Soviel ist sicher: Wir müssen Sorge tragen, gegen solche Anfechtungen viel besser gerüstet zu sein; denn wenn Gott uns auch eine Zeitlang verschont, so wissen wir doch nicht, ob er das immer tut. Wenn die Schrift von den Schrecken derer redet, die Gottes Zorn und Gericht fühlen, so tut sie das, damit jeder von uns daran denke. Es ist wohl wahr, leibliche Not drückt uns gar hart; denn wir hängen sehr an unserm Fleisch und am gegenwärtigen Leben. Aber die Heilige Schrift redet zu uns von einer Not, die viel mehr zu fürchten ist und die uns viel mehr zu denken geben soll: Gott lässt uns unsere Sünden fühlen, er fordert unser Gewissen vor sein Gericht. Damit trifft er uns viel härter, als wenn unser Leib in Stücke gerissen würde und wir die denkbarsten Martern zu erdulden hätten. Darum lasst uns Gott fürchten und nicht meinen, wir hätten´s besser, wenn es uns gelänge, uns vor seinem Gericht in Sicherheit zu bringen; lasst uns ihm gutwillig stille halten und uns in dem Gehorsam üben, dass wir unser Leben prüfen, da wir unserer Sünden wegen Gott Rechenschaft abzulegen haben!