Nr. 747 (C. R. – 4034)
Genf und Frankreich.
Da unser lieber Beza versprochen hat, dir zu schreiben, will ich dich nicht durch Wiederholung derselben Dinge ermüden, verehrter Bruder, und lasse deshalb die französischen Angelegenheiten beiseite. Hier [in Genf] sind wir in großer Angst, denn wir sehen, wie unsre Stadt wie eine Spieltafel oder ein Würfelbrett behandelt wird. Wir haben mehrmals unsere Nachbarn [in Bern] gebeten, uns zu raten. Sie haben dann jeweils knapp und kühl geschrieben, was verhandelt worden sei, und auch davon nur das, was schon jedermann durch das allgemeine Gerede wusste. Neulich hat man, obwohl man wusste, dass unsre Gesandten nach Bern kamen, ihnen auch nicht mit einem Worte gesagt, wie sich unsre Obrigkeit zu verhalten habe. Unser Rat aber wagte, da ihm die Verhandlungen unbekannt blieben, nicht offen sich drein zu mischen oder besser dagegenzuwirken. Dieses unser Schweigen haben dann wieder die, die mit Savoyen unterhandeln wollten, missbraucht, indem sie behaupteten, wir hätten heimliche Pläne und unterhielten Gesandte am französischen Hof, die je nach Ausfall der Sache einen Vertrag mit Frankreich schließen sollten. Durch dieses falsche Gerede bei den Unkundigen verdächtig, wurden wir nicht geziemend berücksichtigt. Es wundert mich ja nicht, dass es unter dem geringen Volk Leute gab, die sich durch eine solche frei erfundene Verleumdung uns entfremden ließen. Aber was kam dir in den Sinn, so blöden Lügen zu glauben? Wenn du in Sorge bist, Frankreich könne uns durch Schmeicheleien in sein Netz locken, und unsern Stadtrichter Roset mahnst, sich das Beispiel des Metzer Rates zu Herzen zu nehmen, so tust du das zwar als Liebesdienst eines treuen, aufrichtigen Freundes, aber merken hättest du doch müssen, aus welcher Quelle diese Geschichte stammt, wenn nicht etwa ich und Beza dir verdächtig sind. Aber wir dürfen deutlich erklären, dass man so etwas nie beschlossen hat und auch nie von Frankreich dazu versucht worden ist. Ich gehe noch weiter: es ist die Sache auch nie nur erwähnt worden, ja nicht einmal der Gedanke daran kam uns. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass ich vor zwei Jahren mit dem Admiral verhandelt habe, ob etwa ein Bündnis des Königs mit Bern möglich wäre unter der Bedingung, dass er sich verpflichtete, den Bernern ihren heutigen Besitzstand zu garantieren. Doch wollte ich damit nur verhüten, dass je Gelüste nach Genf entstehen könnten, und das wäre auch die beste Art gewesen. Du brauchst dich also weiterhin nicht mehr in grundloser Furcht quälen, bis du von uns erfährst, entweder Frankreich selbst habe etwas Derartiges im Sinn, oder Genf sei so ängstlich geworden, dass es sich unbesonnen der französischen Hilfe in die Arme würfe. Übrigens werden die Tatsachen bald jenes falsche Gerücht widerlegen. Unterdessen aber sollst du wissen, dass Eure Gesandten mit allem Eifer darauf drangen, dass die Berner Freiheit und Bestand Genfs dem Urteil der eidgenössischen Orte überlassen sollten. Was heißt das aber anders, als uns der Erdrosselung ausliefern? Sie haben aber wenigstens soviel erreicht, dass die Berner alle früheren Beschlüsse zurücknehmen. Nun sind wir wieder ganz ungewiss und in der Schwebe, woraus ich schließe, dass man dir und andern frommen Leuten viel verheimlicht hat. Eure Gesandten auf der Tagsatzung zu Baden waren ja sogar so freundlich, den Unsern jede Teilnahme an ihren Verhandlungen zu verbieten, nur um nicht selbst in bösen Verdacht zu kommen. Lebwohl, hochberühmter Mann und verehrter Bruder, samt deiner Frau, deinem ganzen Haus und allen Kollegen. Der Herr erhalte Euch alle gesund, halte Euch aufrecht mit seiner Kraft und segne Euer Wirken.
Genf, 9. Oktober 1563.
Dein Johannes Calvin.