Nr. 510 (C. R. – 2535)
Die französischen Refugianten wurden vom Weseler Rat gezwungen, das Abendmahl nach lutherischem Ritus zu genießen; ihren Pfarrer Francois Perrucel nahm Calvin für Frankfurt in Aussicht.
Von den Schwierigkeiten einer Refugiantengemeinde.
Die Liebe Gottes, unseres Vaters, und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.
Sehr liebe Brüder, als ich von unserm lieben Bruder, Mag. Francois [Perrucel], Euerm Pfarrer, die Lage Eurer Gemeinde erfuhr, war ich ungewiss und im Zweifel, was ich Euch raten sollte. Schließlich bat ich ihn aber und ermahnte ihn, er solle sich soviel wie möglich bemühen, die Behörde, die bis jetzt so eifrig war, Eure Freiheit zu unterdrücken, milder zu stimmen. Er versprach mir das; nun aber, da er alles versucht hat und sieht, dass seine Bemühungen erfolglos bleiben, halte ich es nicht für ratsam, ihn noch zu weiterem zu drängen und zu zwingen. Wahr ists freilich, dass er wie Ihr Euch darein schicken müsst, alles zu dulden, was erträglich scheint, damit nicht die Leute, die Euch in ihrer Stadt Gastrecht gewähren, meinen können, Ihr verachtetet sie. Denn Ihr könnt wissen und zwar aus Erfahrung, was derartiges Eifern nützt, und deshalb ist es nicht ratsam, sie zu reizen. Andrerseits ist aber doch auch zu beachten, was Euerm Pfarrer und was Euch erlaubt ist. Was Euch angeht, so wisst Ihr meine Meinung aus einem früheren Briefe; in Bezug auf ihn aber glaube ich, dass er weniger Freiheit hat. Denn wenn er, nachdem er so weit gegangen ist, sich nun wieder zurückzöge, so erhöbe sich ein noch lauteres Murren gegen ihn, nicht ohne Ärgernis zu erregen, und das müssen wir vermeiden. Darum sagte ich Euch, Ihr solltet ihn machen lassen und ihn nicht nach Euerm Maß messen; denn wenn es auch Euch erlaubt ist, derartige Zeremonien, wie man sie Euch auferlegt, anzunehmen, so könnte er als Pfarrer nicht das Gleiche tun, ohne sich den Vorwurf zuzuziehen, er spiele eine Doppelrolle, und ohne zu Euern Ungunsten eine Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen. Wenn er dagegen abgeht mit dem Protest, ein solches Joch könne er nicht tragen, so verschafft Euch das vielleicht die Möglichkeit eines guten Auswegs für später, während Euch seine Zustimmung jede Tür versperrt hätte. Freilich, ehe er dazu greift, wird er versuchen, wenn möglich die Verhältnisse nach dem, was ihm richtig scheint, zum Bessern zu wenden und Bedingungen zu erwirken, die er mit gutem Gewissen und ohne Ärgernis für die von ihm früher in reiner Lehre Unterwiesenen auf sich nehmen kann; hat das aber keinen Erfolg, so kommt erst eine Versetzung in Frage. Ließe Gott die Dinge zum Äußersten kommen, dass unserm Bruder jede Freiheit verweigert würde, nicht nur die, die Sakramente auszuteilen, sondern auch die, an ihnen teilzunehmen ohne Schande für sein Amt und Ärgerung der Schwachen, so bitte ich Euch um Gotteswillen, ertragt es geduldig, wenn er Euch lieber verlässt, als dass er sich zwingen lässt, Euch durch sein Beispiel in die Knechtschaft zu führen, aus der es dann keinen Ausweg mehr gibt. Dazu müsste er ja auch den Böswilligen Anlass geben, ihn zu schmähen, andrerseits aber das Gewissen der Schwachen verwirren. Mich wunderts zwar nicht, dass es Euch leid tut, einen solchen Mann, der Euch gut und treu gedient hat, entlassen zu müssen, ja es freut mich sogar, zu sehen, dass Ihr nur ungern in eine Trennung willigt, denn ich erkenne darin ein gutes Zeichen Eures Eifers und Eures Bestrebens, noch weiter zu kommen im Guten. Aber doch müssen wir unsere Neigungen, so schön sie auch sein mögen, im Zaum halten und uns mit dem zufrieden geben, was der Herr uns gestattet. Wenn Ihr aber Perrucel bei Euch behalten wollt unter Bedingungen, die nicht erbauend wirken, so ist die Grenze des Erlaubten überschritten. Wir müssen eben auch lernen, nicht so einer einzelnen Persönlichkeit zugetan zu sein, dass wir nicht auch die Lebensspeise annehmen könnten, mag sie uns bieten, wer da will. Fürchtet Ihr, eines Mannes beraubt zu werden, dessen erfolgreiches Wirken Ihr an Euch erfahren habt, so seid umso fleißiger und eifriger, Gott zu bitten, er möge ihn Euch erhalten und die Herzen Eurer derzeitigen Gegner so lenken, dass Perrucel auf die Dauer sich Euch widmen kann. Denn wie gesagt, es handelt sich nicht um sofortigen Abschied, bis in Bezug auf ihn alle Hoffnung verschwunden ist, dass er eine Besserung Eurer Lage herbeiführen könnte. Dann aber hofft auch, dass Euch der Herr einen andern erwecken wird, der seinen Dienst an Euch redlich tun wird. Seht vor allem zu, dass Ihr selbst nicht wankend werdet, denn es ist eine gefährliche Versuchung, wenn einige bereits von einer Separation von der Gemeinde sprechen. Gebt Euch vielmehr Mühe, das festzuhalten, was Euch der Herr hat beginnen lassen, und wartet, bis die Verhältnisse sich zum Bessern wenden, wenn es auch langsamer geht, als wir möchten. Nun, liebste Brüder, empfehle ich mich von Herzen Eurer Fürbitte und will selbst Gott unsern lieben Vater bitten, er möge Euch behüten, er möge Euch einen Geist der Klugheit und Rechtschaffenheit, der Kraft und unüberwindlichen Festigkeit geben und Euch reich machen an jedem Segen.
Frankfurt, 18. September 1556.
Euer ergebener Bruder
Johannes Calvin.