Nr. 375 (C. R. – 1776)
Der Gefangene Michel Girard ist sonst aus Calvins Briefen nicht bekannt. Weggelassen sind einige Antworten, die er den Richtern gab.
Ratschläge an die Gefangenen für das Verhör.
Sehr liebe Brüder, obwohl Ihr bei Abfassung Eures Briefes dachtet, die Feinde der Wahrheit würden Euch bald opfern, so wollte ich Euch doch diesen Brief noch schreiben, damit Ihr doch noch einigen Trost von mir hättet, wenns Gott gefällt, ihn noch zur rechten Zeit ankommen zu lassen. Sehr wohl und klug betrachtet habt Ihr die Gnade Gottes, wenn Ihr erkennt, dass er seine Verheißung an Euch am besten erfüllt hat, indem er Euch solche Standhaftigkeit gab, wie Ihr sie neulich spürtet bei Eurem letzten Verhör. Von ihm kommts wahrhaftig, dass Ihr so fest bliebet und nicht wanktet. So bin ich auch sicher, dass dieses Siegel, das das wahre Erkennungszeichen des heiligen Geistes trägt, nicht verwischt werden kann. Andrerseits hat er in Michel Girard so mächtig gewirkt, dass die Schwachheit, die früher in diesem Bruder war, der Kraft, die er von oben empfangen hat, umso mehr Glanz verleiht. Ich zweifle nicht daran, dass selbst die Feinde davon überzeugt sind, dass solche Änderung nicht von Menschen stammt. Umso mehr Grund haben wir, die Augen offen zu halten und auf die Hand Gottes zu schauen, die hier in wunderbarer Weise eingriff, um sein armes Geschöpf herauszureißen aus dem Wirrsal, in das es geraten war. Als Girard sich noch führen ließ von seinem Sinn, glaubte er, viel gewonnen zu haben, als er sein elendes, hinfälliges Leben auf kleine Zeit rettete und dabei versank im Abgrund des ewigen Todes. So ists ein Werk Gottes, dass er freiwillig zum Tod zurückgekehrt ist, um wieder zum rechten Leben zu gelangen, von dem er sich nicht nur entfernt, sondern ganz ausgeschlossen hatte, so viel an ihm lag. Denn die Güte Gottes hat sich hier umso reicher entfaltet, als er sein Geschöpf wieder aufrichtete nach einem Fall, der tödlich scheinen konnte, um in ihm zu triumphieren und seine Ehre zu erhöhen, wie ers begonnen hat und hoffentlich durchführen wird.
Ich habe das Bekenntnis gesehen, das Girard abgelegt hat. Es ist rein und freimütig, eines Christenmenschen würdig. Doch scheint es mir gut, wenn er über einige Punkte unterrichtet wird, damit die Gegner umso bestürzter sind, je klarer er ihnen antwortet. Nicht, dass nicht wahr wäre, was er gesagt hat, sondern weil die Bösen stets leichtfertige Anlässe suchen, das Gute zu verleumden und zu verdrehen.
Auf die Frage, ob der Leib Jesu Christi nicht im Abendmahlsbrot sei, hat er geantwortet: Nein. Als man ihn fragte, warum, erwiderte er, das sei die reine Lästerung, die den Tod Jesu Christi zunichte mache. Er hätte aber deutlich zwei Dinge an der Messe widerlegen sollen, erstens den Götzendienst, dass sie aus einem Stück Brot einen Götzen machen und es anbeten wie Gott, zweitens, dass sie aus der Messe ein Opfer machen zur Versöhnung der Menschen mit Gott. Wie nun aber Jesus Christus unser einziger Priester ist, eingesetzt von Gott dem Vater, so hat er sich selbst ein für allemal dargebracht, und sein Tod ist das einzige und ewiggültige Opfer für unsere Erlösung. Ja, beim ersten Punkt hätte er gut getan, darauf zu bestehen, er glaube wohl, dass wir im Abendmahl Anteil haben an Fleisch und Blut Jesu Christi, aber indem wir im Glauben in den Himmel hinaufsteigen und nicht ihn herunter kommen lassen, immerhin hinzufügend, dass das nichts zu tun hat mit ihrer Messe, da diese eine Handlung ist, die das Gegenteil vom Abendmahl Jesu Christi ist. - - -
Im Übrigen, wie wir mitten in diesem Leben vom Tode umfangen sind, so müsst Ihr jetzt auch fest überzeugt sein, dass Ihr mitten im Tod vom Leben umfangen seid. Daran sehen wir, dass es sich bei der Nachfolge Jesu nicht darum handeln kann, uns nach unserm Sinn zu richten; denn es steht uns nichts ferner, als uns in Schmach zu versenken und uns erniedrigen zu lassen bis zum Tode, damit wir erhöht werden zur himmlischen Herrlichkeit. Aber schließlich werden wir in der Tat spüren, dass der Sohn Gottes uns nicht betrogen hat mit seiner Verheißung, wer sein Leben verliere in dieser Welt, werde es finden zu ewigem Genuss [Matth. 10, 39]. Deshalb, liebe Brüder, wenn Ihr bisher erfahren habt, was die Tröstungen des lieben Herrn Jesu für die Seinen vermögen, nämlich ihnen alles süß und lieblich erscheinen zu lassen, was sie leiden müssen um seiner Sache willen, und was die Hilfe seines Geistes vermag, nämlich ihnen Mut zu machen, dass sie nicht fallen, so bittet ihn, dass er fortfahre mit dem einen und dem andern, und im Gebet verlasst Euch auf ihn, dass er Euern heiligen Wunsch erfülle. Wir werden Euch unsrerseits nicht vergessen, wenn Ihr im Kampfe steht. Alle meine Brüder lassen Euch grüßen. Der liebe Gott und Vater der Barmherzigkeit halte Euch in seinem Schutz, und wenn es ihm gefällt, dass Ihr den Tod erdulden müsst zur Bezeugung seines Evangeliums, wie es den Anschein hat, so möge er zeigen, dass er Euch nicht verlassen hat, sondern vielmehr, da er Euch zu seinen Märtyrern gemacht hat, in Euch wohne und regiere, nämlich um in Euch zu triumphieren zur Beschämung seiner Feinde und zur Erbauung seiner Erwählten im Glauben. Uns aber möge er führen, bis wir miteinander versammelt werden in seinem Reich.
Den 22. August 1553.
Entschuldigt mich, dass ich Euch nicht früher antwortete, aber ich habe Euern Brief vom 12. erst gestern erhalten.
In Demut Euer Bruder
Johannes Calvin.