- Pilgers Erlebnisse im Pallast Prachtvoll.
Nun sah ich in meinem Traume, daß Christ eilte, um wo möglich, in dem Pallast Prachtvoll eine Herberge zu finden. Ehe er zu dem Pallaste kam, mußte er durch einen sehr schmalen Hohlweg hindurch, der noch ungefähr ein Halbstündchen lang bis zur Wohnung des Pförtners war. Als er nun auf diesem Wege weiter ging und ganz dicht vor sich hinblickte, sah er zwei Löwen daliegen.
Da, dachte er, sehe ich die Gefahren, wodurch Mißtrauen und Furchtsam sich haben zurücktreiben lassen. Die Löwen lagen nun wohl an Ketten, aber er sah die Ketten nicht. Er erschrak und besann sich, ob er nicht wieder umkehren sollte, denn er meinte Nichts als den Tod vor sich zu sehen. Aber der Pförtner, der Wachsam hieß, bemerkte in seinem Häuschen, daß Christ stehen blieb, als wenn er hätte umwenden wollen: daher rief er ihm zu: Ist deine Kraft so klein?1) Fürchte dich nicht vor den Löwen, denn sie sind an Ketten festgemacht und liegen hier, um den Glauben der Pilger zu prüfen: halte dich mitten auf dem Wege, so wird dir kein Leid widerfahren.
Darauf sah, ich, wie er zitternd vor den Löwen vorwärts ging, weil er indessen die Weisung des Pförtners genau befolgte, hörte er die Löwen zwar brüllen, aber sie fügten ihm kein Leid zu. Da schlug er vor Freuden in die Hände und ging, bis er an die Thür des Pförtners kam. Nun fragte Christ den Pförtner: Herr, was ist dies für ein Haus? kann ich diese Nacht wohl hier herbergen? Der Pförtner antwortete: Dies Haus wurde vom Herrn des Hügels erbaut, damit Pilger sicher hier ausruhen könnten. Nun fragte ihn der Pförtner, woher bist du und wohin willst du?
Chr. Ich komme aus der Stadt Verderben und will nach dem Berge Zion; da aber die Sonne bereits untergegangen ist, wünsche ich wohl hier zu übernachten.
Pförtn. Wie heißt du?
Chr. Jetzt heiße ich Christ, aber vorhin hieß ich Gnadenlos. Ich stamme von dem Geschlechte Japheth, den Gott in den Hütten Sem's wohnen lassen will. 2).
Pförtn. Allein wie ist es, daß du so spät kommst? Die Sonne ist ja schon unter.
Chr. Ich wäre eher hier gewesen, aber ich elender Mensch schlief ein in der Laube, die an der Seite des Hügels steht! Aber immer noch wäre ich früher hier angelangt, hätte ich im Schlafe nicht mein Zeugniß verloren, und so kam ich ohne dasselbe auf der Höhe des Hügels an. Als ich nun darnach fühlte, fand ich es nicht, und war daher genöthigt, mit betrübtem Herzen zu dem Orte zurückzugehen, wo ich in den Schlaf gefallen war. Da fand ich endlich wieder, was ich verloren hatte, und so bin ich denn jetzt hier angekommen.
Pförtn. Gut, ich will eine von den Jungfrauen dieses Hauses rufen, die dich, wenn sie mit deiner Aussage zufrieden ist, nach der Sitte des Hauses bei den übrigen Bewohnern desselben einführen wird. Darauf zog der Pförtner Wachsam eine Klingel, und alsbald kam eine ehrbare und schöne Jungfrau, Namens Vorsicht heraus und fragte, warum sie gerufen worden wäre?
Der Pförtner erwiederte: dieser Mann kommt aus der Stadt Verderben und ist auf der Reise nachdem Berge Zion. Weil er müde ist und die Nacht ihn überfallen hat, fragt er an, ob er hier übernachten könne. Ich sagte ihm nun, ich wollte dich rufen, dann würdest du, wenn du dich mit ihm unterredet hättest, bestimmen, was du nach den Gesetzen unseres Hauses für gut fändest.
Hierauf fragte sie ihn, woher er sei und wohin er gehe? und er sagte es ihr. Sie fragte ihn weiter, wie er auf diesen Weg gekommen sei? und auch das sagte er ihr. Darnach fragte sie ihn, was er gesehen und was ihm auf dem Wege begegnet wäre? Dies beantwortete er ihr gleichfalls. Endlich erkundigte sie sich nach seinem Namen. Ich heiße Christ, sagte er, und habe um so größeres Verlangen die Nacht über hier zu bleiben, weil ich vernommen, daß dieses Haus von dem Herrn des Hügels erbaut worden, damit Pilgrimme eine sichere Stätte der Erholung hier finden möchten. Da lächelte sie, aber die Thränen standen ihr dabei in den Augen. Nach einer kleinen Pause, sprach sie, ich will zwei oder drei von meinen Hausgenossen herausrufen. Darauf eilte sie zur Thüre, und alsbald erschienen Klugheit, Gottesfurcht und Liebe. Dieselben führten ihn, nach einem kurzen Gespräche mit ihm, bei ihren Hausgenossen ein. Manche von ihnen bewillkommneten ihn schon an der Schwelle des Hauses und sagten: Komm herein, du Gesegneter des Herrn! Dieses Haus wurde von dem Herrn des Hauses zur Beherbergung für Pilger, wie du einer bist, erbaut. Darauf verbeugte sich Christ und folgte ihnen in's Haus. Als er eingetreten war und sich gesetzt hatte, gaben sie ihm etwas zu trinken. Sodann verabredeten sie, daß bis das Abendessen bereitet sein würde, Einige von ihnen sich mit Christ noch besonders unterhalten möchten, um so die Zeit auf's Neste zu verwenden: Dazu wurden denn Gottesfurcht, Klugheit und Liebe ausersehen, und so entspann sich folgendes Gespräch:
Gottesf. Nun, lieber Christ, da wir dich für diese Nacht mit Herzlichkeit in unser Haus aufgenommen, so laß uns, um die Zeit möglichst heilsam zu verwenden, von all den Dingen mit dir reden, welche dir auf deiner Pilgerfahrt begegnet sind.
Chr. Herzlich gern; es freut mich, daß ihr dazu so gut aufgelegt seid.
Gottesf. Was bewog dich denn zuerst, das Leben eines Pilgers zu erwählen?
Chr. Ich ward durch einen furchtbaren Warnungsruf, der in mein Ohr schallte, aus dem Lande meiner Heimath vertrieben: ich hörte nämlich von dem unvermeidlichen Verderben, das meiner wartete, wenn ich an dem Orte bliebe, wo ich war.
Gottesf. Aber wie ging es zu, daß du gerade auf diesen Weg kamst, als du aus deiner Heimath weggingst?
Chr. Ich muß glauben, daß es Gott so gefügt hat; denn als ich in der Angst vor dem Verderben, nicht wußte, wo ich hingehen sollte, kam gerade ein Mann, Namens Evangelist zu mir, der sah, wie ich zitterte und weinte; derselbe zeigte mir die enge Pforte, die ich sonst nimmer würde gefunden haben, und brachte mich auf den Weg, der mich gerade zu diesem Hause hinführte.
Gottesf. Kamst du aber nicht zum Hause Auslegers?
Chr. Ja wohl, und da habe ich Dinge gesehen, woran ich all mein Lebenlang gedenken werde, vornämlich waren ihrer drei, nämlich wie Christus dem Satan zum Trotze sein Gnadenwerk im Herzen unterhält; dann, wie ein Mensch sich durch seine Sünde aller Hoffnung der göttlichen Gnade verlustig gemacht, und ferner wie Einem, während er schlief, träumte, der Tag des Gerichts wäre angebrochen.
Gottesf. Hörtest du ihn seinen Traum erzählen?
Chr. Ja, es war ein erschrecklicher Traum; ich meinte, das Herz wäre mir bei der Erzählung zersprungen, allein dennoch freue ich mich nun, daß ich den Traum gehört habe.
Gottesf. War das Alles, was du in Ausleger's Hause gesehen hast?
Chr. Nein; er nahm mich bei der Hand und zeigte mir einen stattlichen Pallast und wie die Leute darin goldene Kleider anhatten; auch sah ich dort einen kühnen Mann, der sich durch eine Schaar Gewappneter hindurchschlug, die am Thore standen und ihn davon zurückhalten wollten; ich bemerkte aber ferner, wie er geheißen ward, hereinzukommen und die ewige Herrlichkeit zu gewinnen. Als ich diese Dinge sah, ward mein Herz ganz entzückt. Ich hätte ein ganzes Jahr lang in dem Hause dieses guten Mannes bleiben mögen, allein ich wußte wohl, daß ich weiter gehen mußte.
Gottesf. Und was sahst du auf deinem Wege sonst noch?
Chr. Was sonst noch? Ich ging noch ein wenig weiter und sah, wie ich meinte, Jemanden, der blutend an einem Holze hing, und als ich ihn so recht ansah, fiel mir die Bürde ab, die ich auf dem Rücken hatte. Ich seufzte nämlich unter einer sehr schweren Last, aber dort fiel sie von mir ab. Es war ein wundersames Ding für mich, denn so etwas hatte ich vorher niemals gesehen. Als ich nun dastand und auf ihn hinschaute, denn ich konnte nicht aufhören zu sehen, kamen drei Lichtgestalten zu mir. Eine von ihnen gab mir die Versicherung: dir sind deine Sünden vergeben; die Andere zog mir meine schmutzigen Lumpen aus und gab mir das gestickte Kleid, welches du hier an mir siehest; die dritte aber setzte das Zeichen auf die Stirne, welches du wohl bemerkst, und gab mir die besiegelte Pergamentrolle (die er mit diesen Worten herauszog. )
Gottesf. Aber, nicht wahr? du sahst noch mehr als dies?
Chr. Was ich erzählt habe, war das Beste, do habe ich allerdings auch noch Anderes gesehen. Ich sah nämlich auch drei Männer, Tropf, Träge und Dünkel, sie schliefen alle drei nicht weit vom Wege ab, den ich kam, und lagen da mit Fesseln an ihren Füßen. Aber meinst du wohl, daß ich sie hätte wach machen können? Ferner sah ich Formhohl und Heuchler über die Mauer setzen, um, wie sie vorgaben, nach Zion zu gehen. Allein sie waren bald verloren, wie ich's ihnen vorhersagte, jedoch hatten sie es nicht glauben wollen. Mir ist's indessen besonders schwer geworden, diesen Hügel hinaufzukommen, und ebenso schwer der Löwen Rachen zu entgehen, und wenn der gute Mann, der Pförtner, nicht am Thore gewesen wäre, so weiß ich wahrlich nicht, ob ich nicht wieder umgekehrt wäre. Jetzt aber danke ich Gott, daß ich hier bin, und euch, daß ihr mich aufgenommen habt.
Darauf hielt Klugheit es für gut, einige Fragen an ihn zu richten, und wünschte, daß er dieselben beantworten möchte.
Klugh. Denkst du nicht zuweilen noch an das Land, aus dem du gekommen bist?
Chr. Das thu' ich wohl, aber mit Beschämung und Abscheu. Hätte ich nach dem Lande, woraus ich kam, ein Verlangen gehabt, so hätte ich wohl Gelegenheit gefunden, wieder dorthin zu kommen, allein ich sehne mich jetzt nach einem bessern, nämlich dem himmlischen Vaterlande. 3)
Klugh. Trägst du aber nicht immer noch einige von den Dingen bei dir, welche dir früher anklebten?
Chr. Ja, allein ganz wider meinen Willen, vornämlich meine fleischlichen Gedanken und Begierden, woran ich mit all meinen Landsleuten ein Wohlgefallen hatte. Gegenwärtig sind, mir aber all diese Dinge nur eine Qual, und könnte ich, wie ich wollte, so würde ich nie mehr an sie denken: allein wenn ich das Gute thun will, so finde ich, daß ich das Böse thue. 4)
Klugh. Meinst du nicht zuweilen, daß die Dinge überwunden seien, welche dir ein andermal wieder viel Noth und Kummer machen?
Chr. Allerdings, aber dies ist doch selten der Fall; das sind übrigens goldene Stunden, worin mir Solches widerfährt. .
Klugh. Kannst du dich wohl darauf besinnen, wodurch es kommt, daß du zuweilen glaubst, daß du die Anfechtungen überwunden habest?
Chr. Ja, so kommt es, wenn ich an das zurückdenke, was ich am Kreuze gesehen habe, wenn ich mein Feierkleid betrachte, auch wenn ich auf das Zeugniß hinblicke, welches ich in meinem Busen trage und wenn mein Herz entbrennt über dem Gedanken an den Ort, wohin ich gehe.
Klugh. Aber warum hast du denn ein so großes Verlangen nach dem Berge Zion zu reisen?
Chr. Wie kannst du wohl so fragen? Ich hoffe ja den lebendig dort zu sehen, der todt am Kreuze hing, auch hoffe ich da frei zu werden von Allem, was mich bis auf diesen Tag noch plagt und anficht. Dort, heißt es, wird kein Tod mehr sein, 5) und werde ich zusammenwohnen mit denen, die mir die Liebsten sind. Doch, um dir die Wahrheit ganz heraus zu sagen, ich habe Ihn lieb, weil Er mir Ruhe gegeben von meiner Last, und weil ich meiner innern Krankheit müde bin. Mich verlangt dort zu sein, wo ich nicht mehr sterben werde, unter der Schaar derer, die ohne Unterlaß rufen: „Heilig! heilig! heilig! ist der Herr Zebaoth„. 6)
Darauf sagte Liebe zu Christ: bist du verheirathet?
Chr. Ja, ich habe Frau und vier Kinder, die noch in jungen Jahren sind.
Liebe. Warum hast du sie denn nicht mitgenommen?
Chr. Hierbei fing Christ an zu weinen und sagte: Ach, wie hätte ich das so gerne gethan, aber sie waren durchaus dagegen, daß ich meine Pilgerfahrt antrat.
Liebe. Da hättest du ihnen aber zureden und ihnen die Gefahr zeigen sollen, der sie sich aussetzten, wenn sie zurückblieben.
Chr. Das that ich auch, und sagte ihnen dabei, wie Gott mir den Untergang unserer Stadt offenbart habe, allein es kam ihnen das lächerlich vor, und sie glaubten mir nicht. 7)
Liebe. Betetest du aber auch zu Gott, daß er deine Worte an ihnen segnen möge?
Chr. Ja, und ich that es mit großer Inbrunst, denn du magst glauben, daß mein Weib und meine Kinder mir sehr theuer waren.
Liebe. Sprachst du ihnen aber von deiner eigenen Besorgniß und Furcht vor dem Untergange? denn ich denke mir, daß dir derselbe deutlich genug vor Augen stand.
Chr. Ja, ich that es einmal über das andere. Sie konnten mir die Angst wohl vom Gesichte ablesen, sie sahen auch meine Thränen und mein Beben vor der Angst des Gerichts, das über unserm Haupte schwebte, aber Nichts war im Stande, sie zu bewegen, daß sie mit mir gingen.
Liebe. Aber was hatten sie denn eigentlich dagegen einzuwenden?
Chr. Ach, mein Weib fürchtete sich, diese Welt daran geben zu müssen, und meine Kinder hatten sich, den thörichten Ergötzlichkeiten der Jugend hingegeben. Beim Einen war es dies, beim Andern jenes, wodurch sie sich zurückhalten und mich allein ziehen ließen.
Liebe. Aber hast du vielleicht durch dein eigenes eitles Leben den Eindruck deiner Worte verwischt, die du an sie richtetest, daß sie dir folgen möchten?
Chr. Ich kann allerdings mein Leben nicht loben, denn ich bin mir mancher Fehltritte bewußt. Auch weiß ich wohl, daß ein Mensch durch sein Betragen bald umstoßen kann, was er durch triftige Gründe und ernste Vorstellungen bei Andern zu ihrem Heile zu wirken sich bemüht hat; aber das kann ich wenigstens auch sagen, daß ich mich sorgfältig hütete, sie durch irgend eine unziemliche Handlung gegen die Pilgerfahrt einzunehmen. Ja, gerade darum sagten sie, ich nähme Alles zu genau und versagte mir ihretwillen Dinge, in denen sie nichts Übeles erkannten. Ja, ich glaube sagen zu dürfen, daß, wenn sie Etwas an mir hinderte, es meine große Gewissenhaftigkeit war, weder gegen Gott zu sündigen, noch meinem Nächsten irgend ein Unrecht zu thun.
Liebe. Allerdings ist es so schon gewesen von altersher, denn Kain erwürgete seinen Bruder, weil seine Werke böse waren und seines Bruders gerecht,8) und wenn dein Weib und deine Kinder sich deßhalb an dir geärgert haben, so zeigen sie dadurch ihre Feindschaft wider das Gute, du aber hast deine Seele von ihrem Blute gerettet. 9)
So saßen sie im Gespräch zusammen bis das Abendessen bereitet war, und speiseten dann mit einander. Die Tafel war mit köstlichen Gerichten und mit Wein, ohne Hefen, besetzt. 10) Alle Reden, die sie bei Tische führten, handelten von dem Herrn des Hügels, nämlich was er gethan, warum Er Solches gethan und warum er das Haus erbaut. Aus dem, was sie sagten, erkannte ich, daß er ein großer Kriegsheld gewesen, welcher mit dem gestritten und den überwunden, der des Todes Gewalt hatte,11) jedoch nicht ohne eigene große Gefahr, daher ich ihn um so mehr lieb habe.
Denn, wie sie sagten, und „ich glaube es“, sprach Christ, so vollbrachte Er's, indem er dabei sein kostbares Blut vergoß. Was aber Alles, was Er that, mit Gnade und Herrlichkeit krönte, war, daß Er's aus reiner Erbarmung zu den Menschen that. Überdem waren Einige unter den Hausgenossen, die Ihn gesehen und mit Ihm geredet hatten, seit Er am Kreuze gestorben war; und diese hatten es aus seinem eigenen Munde vernommen, daß er den armen Pilgern mit solcher Liebe zugethan wäre, wie sie vom Aufgange bis zum Niedergange nicht gefunden werde. 12) Dazu gaben sie auch einen Beweis für das, was sie behaupteten, nämlich, daß er sich zum Heil der Armen selbst entäußert habe seiner Herrlichkeit, 13) und daß sie ihn hätten sagen hören, Er wolle nicht allein wohnen auf dem Berge Zion. Ferner erzählten sie, wie er viele Pilgrimme zu Fürsten gemacht, obwohl sie als Bettler geboren und aus dem Staube entsprungen waren. 14)
So unterhielten sie sich mit einander bis spät in die Nacht hinein, und nachdem sie sich der Obhut ihres Herrn befohlen hatten, begaben sie sich zur Ruhe. Dem Pilger wiesen sie eine Kammer im obern Stock an, die gegen Sonnenaufgang lag. Der Name der Kammer hieß Frieden, Hier schlief er bis der Tag anbrach, und als er erwachte, sang er:
Wie wohl ist mir in Jesu Lieb und Sorgen!
In seiner Treu gebettet und geborgen.
Läßt Er mich durch Vergebung meiner Sünden,
Auf Erden schon des Himmels Pforte finden.
Morgens nun, als sie Alle aufgestanden waren, sagten sie ihm, er möge nicht eher abreisen, bis sie ihm die Merkwürdigkeiten ihres Hauses gezeigt hätten. Und so führten sie ihn zuerst in das Lesezimmer, wo sie ihm Urkunden vom größten Alterthume zeigten; auf denselben stand, so viel ich mich meines Traumes erinnere, der Stammbaum vom Herrn des Hügels, woraus ich sah, daß er geboren von Ewigkeit her der Sohn sei des Alten der Tage. 15) Hier waren auch aufgezeichnet die Namen und Thaten vieler Hunderte, die er in seinen Dienst genommen hatte, und wie er sie in Wohnungen versetzt, die weder durch die Länge der Zeit, noch 'durch die Vergänglichkeit der Natur zerstört werden können. 16)
Dann lasen sie ihm die denkwürdigen Thaten vor, die einige von seinen Dienern vollbracht hatten: wie sie Königreiche besiegt, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen bekommen, den Rachen der Löwen verstopft, die Gewalt des Feuers gelöscht, der Schärfe des Schwerts entronnen, stark gemacht worden in ihrer Schwachheit, tapfer im Streit und ganze Heere der Fremden geschlagen haben. 17)
Darauf lasen sie aus einem andern Theile der Urkunde des Hauses vor, worin gezeigt ward, wie willig der Herr sei, einen Jeden, ja Jeden in Gnaden anzunehmen, wenn derselbe sich auch früherhin gegen seine Person und seine Befehle schmählich versündigt habe. Hier bekam Christ auch Auskunft über manche andere merkwürdige Dinge aus alter und neuer Zeit; imgleichen wurde er mit Drohungen und Verheißungen bekannt gemacht, die ihre gewisse Erfüllung haben, die einen zum Schrecken und Entsetzen der Feinde, die andern zum Trost und zur Erquickung der Pilger.
Am folgenden Tage führten sie ihn in die Rüstkammer, wo sie ihn allerlei Rüstzeug sehen ließen, welches der Herr für die Pilger zurecht gemacht hat. Da waren Schwerter, Schilde, Helme, Panzer, Gebetswaffen und Schuhe, die nicht veralten. Und von all diesen Dingen war eine so große Menge vorhanden, daß man ein Heer zum Dienste des Herrn damit hätte ausrüsten können, so zahlreich wie die Sterne am Himmel sind. 18)
Ferner zeigten sie ihm einige Werkzeuge, mit welchen einige seiner Knechte Wunder verrichtet hatten, z. B. den Stab Mosis, den Hammer und Nagel, womit Jael den Sissera schlug, die Krüge, Posaunen und Fackeln, mit denen Gideon die Heere Midian's in die Flucht jagte. 19) Hierauf zeigten sie ihm den Ochsenstecken, womit Samgar sechshundert Philister schlug, den Kinnbacken, mit welchem Simson so mächtige Thaten verrichtete, die Schleuder und den Stein, womit David den Riesen Goliath niederstreckte, und das Schwert, womit der Herr den Mann der Sünde umbringen wird an dem Tage, wo er sich zur Beute aufmacht.20) Und außerdem zeigten sie ihm noch viele andere Dinge, woran Christ einen großen Gefallen hatte. Hierauf begaben sie sich abermals zur Ruhe.
Dann sah ich in meinem Traume, wie er sich Morgens aufmachte, um weiter zu gehen; allein sie baten ihn, daß er noch bis zum folgenden Tage bleiben möge. Sie sagten ihm, wir wollen dir, wenn das Wetter hell ist, die lieblichen Berge zeigen, und bemerkten dabei, daß solches viel zu seiner Stärkung auf der Pilgrimschaft beitragen würde, weil diese Berge dem ersehnten Hafen näher lägen, als der Ort, an dem er sich gegenwärtig befinde. Christ willigte denn ein und blieb. Als der Morgen angebrochen war, führten sie ihn auf die Zinne des Hauses und hießen ihn nach Mittag hinblicken. So that er, und siehe, in weiter Ferne erblickte er eine gar liebliche Gebirgsgegend, geschmückt mit Wäldern, Weinbergen, allerlei Arten von Fruchtbäumen und Blumen, Quellen und Brunnen, sehr reizend anzusehen. 21) Da fragte Christ nach dem Namen des Landes, und sie sagten: es heißt Immanuels Land, und ist ebenso wie dieser Hügel ein Gemeingut aller Pilger und für sie bestimmt. Wenn du dahin kommst, kannst du von dort aus das Thor der Himmlischen Stadt erblicken, wie die Hirten, welche daselbst leben, dir schon zeigen werden.
Endlich war er darauf bedacht, weiter zu reisen, womit sie denn auch zufrieden waren. Doch, sprachen sie, lasset uns vorher noch einmal in die Rüstkammer gehen. So geschah es nun und hier rüsteten sie ihn von Kopf bis zu Fuß mit probehaltigen Waffen, im Falle, daß er unterwegs angefallen werden sollte.