- Der Pilger Verirrung. Einkerkerung und Errettung aus der Zweifelsburg.
Ich sah hierauf, daß die beiden Pilger auf ihrem Wege an einen lieblichen Strom gelangten, welchen der König David „das Brünnlein Gottes„ nennt, Johannes aber „den Strom des lebendigen Wassers.“ 1) Ihr Weg nun ging gerade an dem Ufer dieses Stromes her. So wandelten Christ und sein Gefährte denn hier mit großer Lust, auch tranken sie vom Wasser des Stromes, welches köstlich war und ihre matten Herzen erquickte. An beiden Ufern des Stroms standen grünende Bäume, voll von Früchten allerlei Art. Auch aßen sie von den Blättern der Bäume, um allerlei Übeln vorzubeugen, die sich bei denen einfinden, die ihr Blut durch's Reisen erhitzen. Auf beiden Seiten des Stromes lagen Wiesen, die das ganze Jahr hindurch grün und voll von wunderschönen Lilien waren. Auf dieser Wiese legten sie sich nieder und schliefen, denn hier konnten sie sicher ruhen. ') Als sie aufwachten, aßen sie abermals von den Früchten der Bäume und tranken auch wieder vom Strome des Lebens, dann legten sie sich auf's Neue nieder und schliefen. So machten sie es viele Tage und Nächte. Als sie erwachten, hörte ich sie singen:
Seh't, wie krystallne Ströme gleiten,
Den Pilgern Wonne zu bereiten —
Wie Wiesen grün, in süßem Blüthenduft,
Sie kosen fein mit ihrer Balsamluft,
Und dieser Bäume Frucht und Blätter obendrein:
Für dieses Eden setz' ich Alles ein!
Als sie sich hierauf anschickten ihren Weg fortzusetzen (denn sie hatten noch nicht das Ziel ihrer Reise erreicht), aßen und tranken sie noch einmal und brachen dann auf.
Nun sah ich in meinem Traume, daß unsere Pilger noch nicht weit vorangegangen waren, als sich zu ihrem nicht geringen Schmerz, Strom und Weg von einander trennten; denn vom Wege durften sie doch nicht abgehen. Nun aber war der Weg vom Strome ab rauh, hingegen waren ihre Füße von dem vielen Gehen weich geworden. Deßwegen sank den Pilgern der Muth,2) und wie stille sie auch fortwandelten, so sehnten sie sich doch nach einem bessern Wege. Alsbald zeigte sich nun ein wenig vor ihnen, an der linken Seite des Weges, eine Wiese nebst einem Stege, worauf man in dieselbe hinübergehen konnte. Diese Wiese hieß Abwegswiese. Da sagte Christ zu seinem Gefährten: Wenn unser Weg an dieser Wiese hergeht, so laß uns in sie hinübergehen. Hiemit ging er, den Steg zu besehen und bemerkte einen Pfad, welcher sich auf der andern Seite des Zaunes neben dem Wege hinzog. Es ist gerade, wie ich's wünsche, sagte Christ, hier kann man ganz bequem gehen. Komm, lieber Hoffnungsvoll, laß und hinübersetzen.
Hoffn. Aber wie, wenn dieser Pfad uns vom Wege abführte?
Chr. Das ist nicht wahrscheinlich. Siehe nur zu, läuft er nicht gerade neben unserm Wege hin? (Ach, und schwache Seelen können durch stärkere sogar irregeleitet werden!) Hoffnungsvoll ließ sich von seinem Gefährten überreden und folgte demselben über den Steg nach. Als sie hinüber waren, fanden sie den Pfad für ihre Füße sehr bequem. Indem sie nun vor sich hinsahen, erblickten sie einen Mann, der auch diesen Weg wandelte. Sein Name war Eitelvertrauen. Sie riefen ihm nach und fragten: „wohin führt dieser Weg?„ „Zur Himmelspforte“, war die Antwort. „Siehst du„, sagte Christ, „sagte ich dir's nicht? daran kannst du sehen, daß wir auf dem rechten Wege sind. “ So nun gingen sie ihm weiter nach. Aber, stehe, die Nacht brach herein und es ward sehr dunkel, so daß sie, die hinter waren, ihren Vorgänger bald aus den Augen verloren.
Eitelvertrauen, welcher voranging und den Weg vor sich nicht sah, fiel in eine tiefe Grube und ward durch diesen Fall in Stücke zerschmettert. Der Herr des Landes hatte die Grube absichtlich machen lassen, um eitle ruhmräthige Narren zu fangen. 3)
Christ und sein Gefährte hörten den Fall. Darum riefen sie: „was gibt's da?„ allein es kam keine Antwort; nur Stöhnen vernahmen sie. Da fragte Hoffnungsvoll: „Wo sind wir nun?“ Sein Gefährte aber sagte kein Wort darauf, denn er befürchtete, ihn vom rechten Wege abgeführt zu haben. Indessen brach ein furchtbares Gewitter los: der Regen ergoß sich in Strömen, die Blitze leuchteten, die Donner trachten und die Gewässer schwollen an.
Da seufzte Hoffnungsvoll vor sich hin: Ach, wäre ich doch auf meinem Wege geblieben!
Chr. Wer hätte es aber denken sollen, daß dieser Pfad uns von dem Wege ableiten werde?
Hoffn. Ich war gleich anfangs bange davor, und deßwegen gab ich dir auch die leise Warnung. Ich hätte indessen deutlicher mit dir reden sollen, aber ich that es nicht, weil du älter bist, als ich.
Chr. Lieber Bruder, sei nicht ungehalten. Es thut mir leid, daß ich dich vom rechten Wege abgeführt und dich in so große Gefahr gebracht habe. Vergib es mir doch, lieber Bruder; ich habe es nicht aus übler Absicht gethan.
Hoffn. Sei nur getrost, lieber Bruder, denn ich vergebe dir und glaube auch, daß es noch zu unserm Besten dienen wird.
Chr. Ich freue mich, einen so barmherzigen Bruder getroffen zu haben. Wir dürfen aber hier nicht stehen bleiben. Laß uns versuchen, zurückzugehen.
Hoffn. Laß mich aber vorgehen, lieber Bruder.
Chr. Nein, erlaube mir's, damit, wenn irgend eine Gefahr droht, ich zuerst hineinkomme, denn durch meine Schuld sind wir ja auch vom Wege abgewichen.
Hoffn. Nein, du sollst nicht vorausgehen, denn, da dein Gemüth in Unruhe ist, könntest du leicht wieder vom Wege abkommen. Da hörten sie auf einmal zu ihrer. Ermuthigung eine Stimme, die ihnen zurief: Richte dein Herz auf die gebahnte Straße, darauf du gewandelt hast, kehre wieder. 4) Inzwischen waren aber die Gewässer so hoch gestiegen, daß der Rückweg dadurch sehr gefährlich geworden war. Da dachte ich, es ist leichter vom Wege abzukommen, wenn man darauf ist, als wieder auf denselben zu kommen, wenn man einmal davon ab ist. Dennoch wagten sie es, wieder umzukehren; aber es war so finster und die Fluch so hoch, daß sie auf dem Rückwege neun- bis zehnmal nahe daran waren, zu ertrinken. Allein ungeachtet aller Geschicklichkeit, die sie anwandten, gelang es ihnen doch nicht, in dieser Nacht wieder an den Steg zu kommen. Als sie deßwegen zuletzt ein wenig Schutz fanden, ließen sie sich nieder, bis der Tag anbrechen würde. Da sie aber müde waren, fielen sie in den Schlaf. Nun war nicht weit von der Stelle, wo sie lagen, eine Burg, genannt Zweifelsburg; ihr Besitzer war der Riese Verzweiflung, und auf seinem Grund und Boden lagen sie jetzt und schliefen. Als dieser daher des Morgens frühe aufstand und durch seine Felder ging, erwischte er Christ und Hoffnungsvoll auf seinem Eigenthume schlafend. Mit Ingrimm und barscher Stimme hieß er sie aufstehen und fragte sie, „woher seid ihr, und was macht ihr auf meinem Gebiete?„ „Wir sind Pilgrime“, sagten sie, „und haben uns verirret.„ Darauf erwiederte der Riese: „ihr habt euch diese Nacht wider mich vergangen, indem ihr meine Gründe betreten und darauf gelegen habt: deßhalb müsset ihr nun mit mir gehen.“ Hiezu aber sahen sie sich genöthigt, weil er stärker war als sie; auch konnten sie wenig dagegen einwenden, weil sie sich ihrer Schuld wohl bewußt waren. Und so trieb sie denn der Riese vor sich hin in seine Burg hinein, wo er sie in einen düstern, schmutzigen und stinkenden Kerker warf. Hier lagen sie von Mittwoch Morgen bis Samstag Abend ohne einen Bissen Brot oder einen Trunk Wasser, ohne Licht und ohne daß sich Jemand um sie bekümmerte. Sie befanden sich demnach in einer üblen Lage, fern von Freunden und Bekannten. 5) Christ aber hatte doppelte Bekümmerniß in seinem Herzen, weil sie durch seine unüberlegte Eilfertigkeit in diese Klemme hineingerathen waren.
Nun hatte der Riese Verzweiflung ein Weib, mit Namen Mißtrauen. Ihr erzählte er, als sie zu Bette gingen, wie er zwei Pilger eingefangen und sie in den Kerker geworfen, weil sie seine Gründe betreten hätten. Darnach fragte er sein Weib was er nun wohl am Besten mit den Leuten anfange? Sie erkundigte sich alsdann, wer sie wären, woher sie kämen und wohin sie wollten? Als er ihr dies Alles beantwortet, gab sie ihm den Rath, er möge sie am folgenden Morgen, wenn er aufgestanden, ohne Gnade und Barmherzigkeit durchprügeln. So geschah es denn auch: er nahm einen schweren Knittel von wildem Apfelholz, ging damit zu ihnen in den Kerker hinab und schalt sie aus, als wenn sie Hunde gewesen wären, obgleich sie ihm nicht ein einziges Wort zuwider sagten. Darnach fiel er über sie her und schlug sie so fürchterlich, daß sie weder im Stande waren, sich zu helfen, noch zu wenden. Nachdem dies geschehen war, zog er sich zurück und ließ sie allein, um ihr Elend zu beklagen und über ihr Unglück zu trauern, und so brachten sie denn den ganzen Tag mit Seufzen und bittern Klagen hin. In der folgenden Nacht sprach das Weib wieder mit ihrem Manne von ihnen, und da sie vernahm, daß sie noch am Leben seien, sagte sie ihm, er möge ihnen den Rath geben, sich selbst den Tod anzuthun. Als es nun Tag ward,, ging er in ebenso trotziger Weise wie früher zu ihnen, und da er wahrnahm, daß sie große Schmerzen durch die Wunden hatten, die er ihnen Tags vorher beigebracht, sagte er ihnen: „da ihr wohl niemals von hier wieder wegkommen werdet, so wird es am Pesten für euch sein, daß ihr selbst eurem Leben entweder durch das Messer, den Strick oder durch Gift alsbald ein Ende machet, denn wie könnet ihr noch länger zu leben wünschen, da ihr wohl einsehet, daß dies mit so vieler Bitterkeit für euch verknüpft ist?„ Sie aber hielten an, daß er sie gehen lassen möge. Hierauf sah er sie mit Ingrimm an, und hätte, indem er auf sie losstürzte, zweifelsohne ihrem Leben ein Ende gemacht, wenn er nicht Krampfanfälle, wie er sie zuweilen im Sonnenschein bekommt, erlitten hätte; dadurch war er aber eine Zeitlang seiner Hände nicht mächtig. Deßhalb zog er sich denn zurück und überließ sie, wie früher, ihrem Nachdenken. Die Gefangenen nahmen nun mit einander Rath, ob es wohl besser sei, auf den Vorschlag, der ihnen gemacht worden, einzugehen, oder nicht, und so entspann sich denn unter ihnen folgende Unterredung:
Chr. Bruder, was sollen wir thun? das Leben, was wir jetzt führen, ist ein elendes Leben. Was mich angeht, so weiß ich nicht, ob es besser ist, so zu leben, oder auf der Stelle zu sterben. Meine Seele wünschet erhangen zu sein und meine Gebeine den Tod. 6) Sollen wir dem Rathe des Riesen folgen?
Hoffn. Wahrlich, unsere gegenwärtige Lage ist schrecklich und ich möchte viel lieber sterben, als hier immer bleiben; aber laß uns wohl bedenken, daß der Herr des Landes, zu dem wir gehen, gesagt hat: du sollst nicht tödten; wir dürfen einem Andern nicht das Leben nehmen, noch weniger aber dem Rathe des Riesen folgen und uns selbst umbringen. Derjenige, welcher einen andern tödtet, begeht nur einen Mord am Leibe seines Nächsten, wer sich aber selbst das Leben nimmt, mordet nicht nur seinen Leib, sondern auch zugleich seine Seele. Und überdem, lieber Bruder, sprichst du von der Ruhe im Grabe, aber hast du vergessen die Hölle, in welche die Mörder gewiß kommen werden? denn ein Todtschläger hat nicht das ewige Leben bei ihm bleibend. 7) Und dann laß uns auch wohl erwägen, daß nicht alle Gewalt in der Hand des Riesen Verzweiflung steht; Andere sind, soviel ich denken kann, gleich wie wir von ihm aufgegriffen worden und doch seinen Händen entkommen. Wer kann es anders wissen, als Gott, der die Welt erschaffen hat, ob er nicht den Riesen Verzweiflung sterben läßt, oder ob dieser nicht ein oder das andere Mal vergißt, uns einzuschließen, oder ob er nicht binnen Kurzem wieder einmal in unserer Gegenwart einen Krampfanfall bekommt, der ihn des Gebrauchs seiner Glieder beraubt? Und trifft der Fall wieder ein, so bin ich für mein Theil entschlossen, mir ein männliches Herz zu fassen, und das Äußerste zu versuchen, um aus seinen Händen herauszukommen. Es war thöricht genug, daß ich's nicht schon früher versucht habe. Wie es aber auch gehen möge, lieber Bruder, laß uns Geduld haben und noch eine Weile ausharren. Vielleicht schlägt die Stunde unserer glücklichen Errettung bald. Laß uns aber nicht selbst Hand an unser Leben legen! Durch diesen Zuspruch beruhigte Hoffnungsvoll einstweilen das Gemüth seines Bruders, und so verharrten sie denn den Tag über mit einander im Finstern in ihrer traurigen und kummervollen Lage.
Gegen Abend begab sich der Riese abermals in den Kerker hinunter, um zu sehen, ob die Gefangenen seinem Rathe Folge geleistet. Er fand sie indessen noch am Leben, und wahrlich „am Leben“ das war's auch all. Denn aus Mangel an Wasser und Brot und in Folge der erlittenen Wunden, konnten sie nur kaum noch athmen. Jedoch fand er sie, wie gesagt, noch am Leben. Dadurch aber gerieth er in eine fürchterliche Wuth und nun sagte er ihnen: „da ich sehe, daß ihr meinem Rathe zuwider gehandelt habt, will ich's mit euch so machen, daß ihr wünschen sollt, ihr wäret nie geboren. „
Darüber befiel sie ein heftiges Zittern, und Christ sank, wie ich glaube, sogar in Ohnmacht. Als er aber wieder ein wenig zu sich selbst kam, fingen sie von Neuem ein Gespräch über den Rath des Riesen an, ob sie ihm wohl noch folgen sollten, oder nicht. Und Christ schien wieder dafür zu sein; Hoffnungsvoll machte ihm jedoch abermals folgende Vorstellung dagegen:
Denkst du nicht daran, lieber Bruder, wie tapfer du dich bisher bewiesen hast? Weder Apollyon, noch Alles, was du im Thale der Todesschatten gehört, gesehen oder empfunden, konnte dich überwältigen. Welche Mühseligkeit, welche Angst und welche Bestürzung hast du bereits durchlebt! Und nun erfüllt dich Nichts als Furcht? Du siehst, daß ich mit dir im Kerker bin, obwohl von Natur viel schwächer, als du bist. Auch hat mich der Riese ebenso sehr verwundet, wie dich, gleicherweise bin ich wie du, des Wassers und Brotes beraubt und sitze traurig da, wie du ohne Lust. Laß uns aber ein wenig mehr Geduld üben. Denke daran, wie du dich als Mann erwiesest auf dem Markte Eitelkeit und wie du dich weder vor Kette, noch Käfig, noch blutigem Tode fürchtetest; laß uns daher, um wenigstens der Schande zu entgehen, die keinem Christen zusteht, ausharren in Geduld, so viel wir nur können.
Und abermals ward es Nacht. Als der Riese und sein Weib sich zu Bette begeben hatten, da fragte sie ihn nach den Gefangenen, und ob sie seinem Rathe gefolgt wären. Worauf er bemerkte: „es sind starrköpfige Schurken, die lieber alle möglichen Qualen ausstehen wollen, als sich selbst das Leben nehmen.“ Da sagte das Weib: „So führe sie morgen auf den Burghof und zeige ihnen die Gebeine und Schädel derer, die du bereits aus der Welt geschickt hast, und mache ihnen begreiflich, daß du sie, noch ehe die Woche zu Ende gehe, gerade so in Stücke zerreißen werdest, wie du es früher ihres Gleichen gethan. „
Als es nun Morgen geworden, ging der Riese abermals zu den Gefangenen und führte sie in den Burghof; da zeigte er ihnen denselben, gerade, wie sein Weib ihn geheißen hatte. „Diese waren“, sagte er, „einst Pilgrime, wie ihr seid, und vergingen sich ebenfalls auf meinem Grund und Boden. Da ich's aber für gut fand, zerriß ich sie in Stücke, und ebenso will ich's mit euch innerhalb zehn Tagen auch machen. Fort nun! in euren Kerker zurück!„ Und hiemit schlug er sie auf dem ganzen Wege dorthin, durch. So lagen sie nun den ganzen Samstag über in einem jämmerlichen Zustande da, wie zuvor.
Nachdem es abermals Nacht geworden, fingen Frau Mißtrauen und ihr Gemahl wieder an, von ihren Gefangenen zu sprechen. Der alte Riese drückte seine Verwunderung darüber aus, daß er sie weder durch Schläge, noch durch Zureden aus der Welt schaffen könne. Hierauf sagte sein Weib: „Ich fürchte, sie leben der Hoffnung, daß Jemand kommen werde, der sie befreit, oder daß sie Nachschlüssel bei sich haben, mittelst welcher sie zu entkommen hoffen.“ „Meinst du, liebe Frau?„ sagte der Riese. „Dann will ich sie deßhalb morgen frühe gleich durchsuchen.“
Indessen fingen die Gefangenen, Samstags, ungefähr um Mitternacht an, zu beten und beharreten in ihrem Gebete, beinahe bis der Tag anbrach. 8) Da, ein wenig früher als es Tag ward, „brach der liebe Christ staunend in die Worte aus: „Welch ein Thor bin ich doch! da liege ich in einem stinkenden Kerker, da ich doch ebenso gut außerhalb in Freiheit umhergehen könnte. Ich habe ja in meinem Busen einen Schlüssel, Verheißung genannt, mit dem kann ich, meiner festen Überzeugung nach, jedes Schloß in der Zweifelsburg aufschließen. “ Hierauf sagte Hoffnungsvoll: „Das ist ja eine vortreffliche Neuigkeit: so nimm ihn doch aus deinem Busen, lieber Bruder, und versuch' es.„
So geschah es nun. Den ersten Versuch machte er an der Thüre des Kerkers. Sobald er den Schlüssel umdrehete, sprang das Schloß auf und mit leichter Mühe ward die Thür geöffnet, so daß Christ und Hoffnungsvoll mit einander herauskamen. Darnach gingen sie zu der äußern Thüre, welche auf den Burghof führt, und auch diese öffnete der Schlüssel. Sodann kamen sie zu dem eisernen Thore, welches ebenfalls aufgeschlossen werden mußte. Dies hielt nun allerdings schwer, aber doch gelang es mit dem Schlüssel. Hiernach stießen sie das Thor auf, um in aller Schnelligkeit zu entrinnen. Als aber das Thor aufging, krachte es so laut, daß der Riese Verzweiflung wach wurde. Dieser nun erhob sich eilends, um seinen Gefangenen nachzusetzen. Allein seine Glieder versagten ihm; denn er ward wieder von seinen Krämpfen befallen, so daß er durchaus nicht von der Stelle konnte. 9) Die Pilger aber eilten davon und kamen wieder auf die Heerstraße des Königs, wo sie sicher wandeln konnten, weil sie außerhalb der Besitzung des Riesen waren.
Nachdem sie nun wieder über den Steg hinüber waren, überlegten sie unter sich, was sie thun sollten, damit diejenigen, welche etwa nach ihnen an diesen Steg kämen, nicht auch in die Hände des Riesen Verzweiflung fallen möchten. Nun kamen sie dahin überein, dort eine Säule aufzurichten und die Inschrift darauf zu setzen: „Über diesen Steg führt der Weg zur Zweifelsburg, welche der Riese Verzweiflung inne hat, derselbe ist ein Verächter des Königs der himmlischen Stadt, und sucht seine heiligen Pilger in's Verderben zu stürzen.“ Viele, die nach ihnen kamen, lasen die Inschrift und entgingen daher der Gefahr. Als Christ und Hoffnungsvoll dies verrichtet, stimmten sie die Worte an:
Vom rechten Wege gingen wir und bald ward es uns kund,
Was draus entstehet, wenn man keck tritt auf verbot'nen Grund.
Wer nach uns kommt, sei wohl bedacht,
Daß ihn nicht zum Gefang'nen macht
Des Zweifelsburg-Besitzers List,
Deß Name selbst Verzweiflung ist!