Der Pilgrime Angst und Erquickung.
Als sie nun gegessen und getrunken und noch ein wenig geplaudert hatten, sagte ihr Führer zu ihnen: Der Tag geht dahin; wenn ihr's gut vorhabt, dann wollen wir uns zur Weiterreise anschicken.
Und so standen sie denn auf, und die kleinen Knaben gingen vor ihnen her. Christin vergaß jedoch ihre Flasche mitzunehmen; darum schickte sie ihren kleinen Knaben zurück, daß er sie wieder holen möchte.
Nun sagte Barmherzig: ich glaube, dies ist ein Ort, wo man leicht Etwas verliert: Christ verlor hier sein Zeugniß1) und Christin hat hier ihre Flasche dahinten gelassen. Was mag doch die Ursache davon sein, mein Herr?
Der Führer gab zur Antwort: Die Ursache davon ist entweder Schlaf oder Vergeßlichkeit. Einige schlafen, statt daß sie wachen sollten, und Andere vergessen das, wessen sie sich erinnern sollten. Das ist die wahre Ursache, um derentwillen manche Pilger an den Ruheplätzen Dies oder Jenes verlieren. Pilger sollten wachsam sein und sich unter ihren größten Erquickungen daran erinnern, was sie bereits empfangen haben. Weil sie das aber nicht thun, verwandeln sich ihre Freuden oft in Thränen und ihr Sonnenschein in Wolken. Denket nur an die Geschichte, die Christ hier erlebt hat.
Als sie an die Stelle gekommen, wo Mißtrauen und Furchtsam Christ begegnet waren und ihn hatten überreden wollen, aus Furcht vor den Löwen wieder umzukehren, bemerkten sie Etwas wie ein Gerüst und vorne daran, nach der Straße zu, eine breite Platte, worauf Verse standen, welche angaben, weßhalb dieses Gerüst hier aufgerichtet worden. Die Verse lauteten also: Ihr, die ihr dies Gerüste seh't,
Nehmt Herz und Zung' in Acht,
Daß nicht wie Andern Euch's ergeht —
Zu Schanden hier gemacht!
Unter den Versen standen die Worte: „Dieses Gerüst ward errichtet, um Diejenigen darauf zu strafen / welche aus Furchtsamkeit oder Mißtrauen sich abhalten ließen, ihre Pilgerfahrt fortzusetzen. „ Auch wurde hier Mißtrauen und Furchtsam mit einem glühenden Eisen die Zunge verbrannt, weil sie sich Mühe gegeben, Christ an seiner Reise zu verhindern.
Da sagte Barmherzig: hiezu paßt die Stelle des Psalmisten: Was kann mir die falsche Zunge thun, und was kann sie ausrichten? Sie ist wie scharfe Pfeile eines Starken, wie Feuer in Wachholdern. 2)
So gingen sie nun weiter, bis ihnen die Löwen zu Gesichte kamen. Muthherz war aber ein starker Mann, der sich vor keinem Löwen fürchtete. Als sie indessen an den Ort kamen, wo die Löwen waren, freuten sich die Knaben, die erst vorangegangen, daß sie sich ihm von hinten anschmiegen konnten, denn sie fürchteten sich vor den Löwen. Hierüber lächelte ihr Führer und sagte: Wie kommt es, ihr Knaben, wenn keine Gefahr da ist, dann geht ihr gerne vorauf, aber sobald sich die Löwen zeigen, wollt ihr hinterdrein gehen?
Jetzt zog Muthherz sein Schwert, in der Absicht, den Pilgern, trotz dem Löwen, den Weg zu bahnen. Da trat Einer hervor, der es dem Anschein nach unternommen hatte, die Löwen zu unterstützen. Er sprach zu dem Führer der Pilger: Aus was für einer Ursache kommt ihr hierher? Der Name dieses Mannes war Grimm oder Blutdurst, weil er die Pilger erschlug, er war aber aus dem Geschlechte der Riesen.
Muthherz antwortete: Diese Weiber und Kinder sind auf der Pilgrimschaft, und dies ist der Weg, welchen sie gehen müssen, und — gehen werden sie ihn auch, dir und den Löwen zum Trotze.
Grimm. Dies ist ihr Weg nicht, und sie sollen ihn auch nicht gehen. Ich bin gekommen, um mich ihnen zu widersetzen, und zu dem Ende will ich auch den Löwen helfen. 3)
Nun war wirklich, wegen der Wuth der Löwen und der grimmigen Haltung ihres Helfers, dieser Weg seit Kurzem sehr selten betreten worden, und fast mit Gras überwachsen. 4)
Hierauf sprach Christin: Obgleich die Wege vergangen sind, und die da auf Pfaden gehen sollten, durch krumme Wege wandelten, so soll's doch jetzt nicht also sein, da ich aufkam eine Mutter in Israel!5)
Da schwor Blutdurst bei den Löwen, es sollte doch so sein — und hieß sie darum auf Seite gehen, denn sie sollten Hier nicht durchkommen. Allein ihr Führer Muthherz machte den ersten Angriff auf Grimm, und hieb so heftig mit seinem Schwerte auf ihn ein, daß er ihn zum Rückzuge nöthigte. 6)
Da sagte Grimm, der die Löwen zu vertheidigen suchte: wollt ihr mich auf meinem eigenen Grund und Boden erschlagen?
Muthh. Hier sind wir auf der Heerstraße des Königs, und auf dieser hast du deine Löwen aufgestellt; es sollen jedoch diese Weiber und Kinder, wie schwach sie auch sind, über diesen Weg ziehen, trotz deinen Löwen; und hiemit versetzte er ihm einen so gewaltigen Hieb, daß er auf die Knie sank. Mit diesem Hieb zerbrach er ihm zugleich seinen Helm, und mit dem darauf folgenden schlug er ihm einen Arm ab. Da fing der Riese an so fürchterlich zu brüllen, daß die Weiber erschracken, aber dennoch freuten sie sich, daß sie ihn auf dem Boden ausgestreckt liegen sahen. 7) Nun lagen die Löwen aber an Ketten, und konnten deßwegen von selbst auch Nichts thun. 8) Als daher der alte Grimm, der den Löwen helfen wollte, todt war, sprach Muthherz zu den Pilgern: Nun kommt und folget mir, es soll euch von den Löwen kein Schaden zugefügt werden. Und so gingen sie dann weiter, aber die Frauen zitterten, als sie an ihnen vorbeigingen, und auch die Knaben sahen aus, als wenn sie hätten sterben sollen; doch kamest sie alle vorüber, ohne irgend Schaden zu nehmen.
Als sie nun hierauf der Wohnung des Pförtners ansichtig wurden, kamen sie auch bald bei denselben an. Sie beeilten sich aber um so mehr, dort anzulangen, weil es gefährlich ist, hier in der Nacht zu reisen. Da sie an der Pforte angekommen waren, klopfte der Führer an, und der Pförtner rief: Wer ist da? Sobald aber der Führer antwortete: ich bin es! erkannte er seine Stimme und kam herunter — denn der Führer war früher schon öfter als Begleiter der Pilger dort gewesen. Als der Pförtner nun aufmachte und er den Führer sah (die Frauen sah er nicht, denn sie standen hinter ihm), sprach er: Nun, Muthherz, was willst du so spät in der Nacht hier? Ich habe einige Pilgrime hierhin gebracht, sagte er, die nach meines Herrn Befehl hier übernachten sollen: ich wäre früher hier gewesen, wenn sich der Riese mir nicht widersetzt hätte, der die Löwen zu unterstützen pflegt; aber nach einem langen und mühseligen Kampfe habe ich ihn erschlagen und die Pilger wohlbehalten hierher gebracht. 9)
Pförtner. Willst du nicht hereinkommen und bis zum Morgen bleiben?
Muthherz. Nein, ich will noch diese Nacht zu meinem Herrn zurückkehren.
Christin. O, mein Herr, ich weiß mich nicht darein zu fügen, daß ihr uns auf unsrer Pilgrimschaft verlassen wollt; ihr seid so treu und liebreich gegen uns gewesen; ihr habt so tapfer für uns gefochten und ihr habt uns so treuen Rath ertheilt, daß ich eure Güte gegen uns nie vergessen werde.
Da sagte Barmherzig: o, daß wir dein Geleit haben möchten bis zum Ende unsrer Reise! Wie können so arme Weiber, wie wir sind, es aushalten auf einem Wege, der so voller Mühseligkeiten, wie dieser ist, wenn wir keinen Freund und Beschützer haben?
Da sprach Jakob, der jüngste von den Knaben: Bitte, lieber Herr, laßt euch bewegen, mit uns zu gehen und uns zu helfen, weil wir so schwach sind und der Weg so gefährlich ist.
Muthherz. Ich stehe in meines Herrn Diensten. Wenn er es gestattet, daß ich euch auf der ganzen Reise begleite, so will ich gerne eurer warten. Allein hierin habt ihr's zuerst verfehlt; denn als er mich hieß, euch bis hierhin zu begleiten, da hättet ihr sogleich bitten sollen, daß ich auf der ganzen Reise bei euch bleiben möchte, und so würde er's euch gewährt haben. Nun aber muß ich weggehen. Und daher, liebe Christin, liebe Barmherzig und meine theuren Kinder, lebet wohl!
Der Pförtner Wachsam fragte darauf Christin nach ihrem Heimathlande und nach ihrer Verwandtschaft. Sie aber sprach: Ich komme aus der Stadt Verderben. Ich bin eine Wittwe, denn mein Mann ist todt; sein Name war Christ, der Pilger. Wie, sagte der Pförtner, war er dein Mann? Ja, sagte sie, und dies hier sind seine Kinder, hier diese aber, indem sie auf Barmherzig hinzeigte, ist eine von meinen Bekanntinnen aus derselben Stadt. Da zog der Pförtner an der Glocke, wie er in solchen Fällen zu thun pflegt, und nun kam eine Jungfrau an die Thüre, mit Namen Demuth. Ihr sagte der Pförtner: geh hinein, und melde, daß Christin, Christ's Frau und ihre Kinder auf der Pilgerfahrt hierher gekommen sind. Und wie sie geheißen ward, that die Jungfrau. Aber was für eine Freude ward es da drinnen, sobald die Jungfrau das Wort nur aus dem Munde hatte kommen lassen.
So eilten sie denn auf den Pförtner zu, denn Christin stand noch an der Thüre. Darauf sprachen einige der Angesehensten zu ihr: Komm herein, Christin, komm herein, du Weib des guten Mannes! komm herein, du Gebenedeite, komm herein mit Allen, welche du bei dir hast!
Und so trat sie denn hinein und ihre Kinder und Gefährtin folgten ihr. Nun wurden sie in ein sehr großes Zimmer geführt, wo man sie bat sich niederzulassen. Darauf rief man die Vornehmsten des Hauses, daß sie die Gäste sehen und willkommen heißen möchten. Als sie nun kamen und erfuhren, wer die Gäste seien, begrüßten sie dieselben mit einem Kusse und sagten: Willkommen, ihr Gefäße der göttlichen Gnade! seid uns willkommen, ihr Freunde!
Da es aber schon etwas spät und die Pilger müde waren von ihrer Reise, sie sich auch überdem noch vom Anblicke des Kampfes und den furchtbaren Löwen sehr angegriffen fühlten: so wünschten sie so bald wie möglich sich zur Ruhe zu begeben.
Aber, sagten Einige von den Hausgenossen, erquicket euch doch vorher mit einem Bissen Speise, denn sie hatten ein Lamm für sie zubereitet, mit dem gewöhnlichen Zubehör. 10) Der Pförtner hatte nämlich schon vorher gehört, daß sie kommen würden und es denen da drinnen mitgetheilt. Nachdem sie nun ihr Abendbrot verzehrt und ihr Gebet mit einem Loblied geendet hatten, verlangten sie abermals zur Ruhe. Aber, wenn wir so frei sein dürfen zu wählen, sagte Christin, so laßt uns doch in dem nämlichen Zimmer schlafen, worin mein Mann schlief, als er hier war. Und so führte man sie denn dorthinauf, und Alle schliefen in dem Einen Zimmer. Als sie zur Ruhe waren, fingen Christin und Barmherzig ein Gespräch an über die Erfahrungen, die sie heute gemacht hatten.
Christin. Wenig dachte ich daran, als sich einst mein Mann auf die Pilgerschaft begab, daß ich ihm nachfolgen würde.
Barmh. Und wohl noch weniger, daß du in demselben Bette liegen und in dem nämlichen Zimmer ausruhen würdest, wie es jetzt der Fall ist.
Christin. Aber am allerwenigsten dachte ich daran, daß ich jemals sein Angesicht mit Freuden sehen und mit ihm zugleich anbeten würde den Herrn, seinen König, allem nun glaube ich, daß es geschehen werde.
Barmh. Horch! Vernimmst du denn kein Geräusch?
Christin. Allerdings, es sind, glaube ich, die Töne einer Musik, aus Freude darüber, daß wir hier sind.
Barmh. O, wundervoll! Musik im Hause, Musik im Herzen und auch Musik im Himmel vor Freude, daß wir hier sind. Hierauf redeten sie noch ein Weilchen mit einander und schliefen dann ein.
Als sie am andern Morgen erwachten, sprach Christin zu Barmherzig: warum lachtest du diese Nacht so im Schlafe? Ich glaube, du träumtest.
Barmh. Ja, und ich hatte einen süßen Traum. Bist du denn gewiß, daß ich lachte?
Christin. Allerdings, und du lachtest ganz herzlich; doch, sei so gut, und erzähle mir deinen Traum.
Barmh. Mir träumte, ich säße ganz allein an einem einsamen Orte und beweinte meines Herzens Härtigkeit. Nun hatte ich nicht lange da gesessen, da kamen, wie mich dünkte, Viele um mich herum, um mich zu sehen und zu hören, was ich sagte. Sie horchten; ich aber fuhr fort zu beweinen meines Herzens Härtigkeit. Darüber fingen Einige von ihnen an zu lachen, Andere nannten mich eine Thörin und noch Andere fingen an, mich hin und her zu stoßen. Über dem dünkte mich, ich blickte in die Höhe und sähe Einen mit Flügeln dahereilen. Er kam gerade auf mich zu und sprach: Barmherzig, was fehlet dir? Als er nun meine Klage vernommen, sprach er: Friede sei mit dir! auch trocknete er mir mit seinem Tuche die Augen und kleidete mich in Silber und Gold. Er legte eine Kette um meinen Hals, that Ringe in meine Ohren und setzte eine schöne Krone auf mein Haupt. 11) Darnach nahm er mich bei der Hand und sagte: Barmherzig, folge mir! Da ging er hinauf und ich folgte ihm, bis wir an ein goldenes Thor kamen. Hier klopfte er, und als die drinnen aufgemacht, ging der Mann hinein und ich folgte ihm hinauf zu einem Throne, worauf Einer saß; derselbe sprach zu mir: Willkommen, meine Tochter! Der Ort glänzte und glitzerte gleichwie die Sterne oder mehr noch wie die Sonne, und ich glaubte, deinen Mann auch dort zu sehen; da erwachte ich aus meinem Traume. Aber habe ich denn gelacht?
Christin. Ei ja, gelacht — und das konntest du auch wohl, da du dich so gut aufgehoben sahest. Erlaube mir zu bemerken: ich glaube, es war ein göttlicher Traum, und so wie du den ersten Theil wahr gefunden, so wirst du zuletzt auch den zweiten wahr finden. Im Traum des Gesichts in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, wenn sie schlafen auf dem Bette, da öffnet Er das Ohr der Leute. 12) Es ist nöthig, daß wir wachen, wenn Gott mit uns reden will; Er kann uns auch besuchen, wenn wir schlafen, und machen, daß wir seine Stimme hören. Zuweilen wacht unser Herz, auch wenn wir schlafen, und Gott kann zu demselben reden, sei es nun durch Worte oder Sprüche, durch Zeichen oder Bilder, eben so gut, als wenn wir in wachem Zustande wären.
Barmh. Wohlan, ich freue mich meines Traumes, denn ich hoffe, ihn binnen Kurzem erfüllt zu sehen, daß ich abermals und noch besser lachen kann. Christin. Ich meine, es wäre nun wohl Zeit aufzustehen, um zu vernehmen, was wir weiter zu thun haben.
Barmh. Bitte, wenn sie uns einladen, eine Zeitlang hier zu verweilen, dann laß uns ihr Anerbieten doch mit Freuden annehmen. Ich möchte um so lieber hier eine Weile blechen, um mit diesen Jungfrauen besser bekannt zu werden. Mich dünkt, Klugheit, Gottesfurcht und Liebe haben jede ein liebliches und ehrsames Aussehen.
Christ. Wir wollen sehen, was sie thun werden.
Als sie nun aufgestanden und fertig waren, gingen sie hinunter. Hier erkundigte man sich, wie sie geschlafen und ob sie auch Alles recht behaglich gefunden hätten.
Vortrefflich, sagte Barmherzig. ; es war eins der besten Nachtlager, die ich in meinem Leben gehabt habe.
Darauf erwiederte Klugheit und Gottesfurcht: wenn ihr euch wollt bewegen lassen, eine Zeitlang bei uns zu bleiben, wollen wir euch bieten, was das Haus vermag.
Ja, und das von ganzem Herzen, fügte Liebe hinzu. Sie nahmen das Anerbieten an und verweilten dort einen Monat oder noch darüber, und war Eins dem Andern zur großen Erbauung.
Weil Klugheit nun auch zu erfahren wünschte, wie Christin ihre Kinder erzogen hätte, bat sie um Erlaubniß, ihnen einige Fragen aufzustellen. Christin gab dies gerne zu. Darauf fing Klugheit dann beim Jüngsten an, Jakob war sein Name.
Komm, Jakob, sagte Klugheit, kannst du mir sagen, wer dich erschaffen hat?
Jakob. Gott: der Vater, der Sohn und der heilige Geist.
Klugh. Richtig, mein Knabe. Kannst du mir dann auch sagen, wer dich selig macht?
Jakob. Gott: der Vater, der Sohn und der heilige Geist.
Klugh. Auch richtig. Aber wie macht Gott, der Vater dich selig?
Jakob. Durch seine Gnade in Christo.
Klugh. Wie macht Gott, der Sohn dich selig?
Jakob. Durch seine Gerechtigkeit, sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen.
Klugh. Wie macht dich denn Gott, der heilige Geist selig?
Jakob. Durch seine Erleuchtung, Erneuerung und Bewahrung.
Darauf sagte Klugheit zu Christin: Du verdienst alles Lob, daß du deine Kinder so auferziehest. Ich glaube, daß ich diese Fragen an die Andern nicht zu richten brauche, da der Jüngste von ihnen sie schon so gut zu beantworten weiß. Ich will mich deßhalb an den Nächstjüngsten weiter wenden.
Komm, Joseph (so hieß er), soll ich dich nun auch fragen?
Joseph. Ja, es ist mir sehr lieb.
Klugh. Was ist der Mensch?
Jos. Eine vernünftige Kreatur, die Gott geschaffen hat zu seinem Bilde.
Klugh. Was verstehet man unter dem Wort „selig gemacht?“
Jos. Der Mensch, welcher sich durch die Sünde in Gefangenschaft und Elend gebracht, ist daraus erlöset worden.
Klugh. Was will es sagen, daß er selig gemacht worden durch den dreieinigen Gott?
Jos. Daß die Sünde ein so mächtiger Tyrann ist, daß Niemand uns aus ihren Klauen erretten kann, denn Gott allein, und daß Gott so voll Güte und Liebe gegen den sündigen Menschen ist, daß Er ihn auch wirklich aus diesem elenden Zustande errettet.
Klugh. Was hat Gott für eine Absicht dabei, daß Er den verlorenen Menschen selig macht?
Jos. Daß Er dadurch verherrliche Seinen Namen, Seine Gnade und Seine Gerechtigkeit, und daß Er Seiner Kreatur schenke die ewige Seligkeit.
Klugh. Welche sind es aber, die da selig werden?
Jos. Die, welche seine Erlösung in wahrem Glauben annehmen.
Klugh. Lieber Joseph, deine Mutter hat dir eine gute Unterweisung gegeben, und du hast auch wohl aufgemerkt auf Das, was sie dir gesagt hat.
Darnach sprach Klugheit zu Samuel, welcher der Zweitälteste war, soll ich dich auch fragen?
Sam. Ja, freilich, wenn du so gut sein willst.
Klugh. Was ist der Himmel?
Sam. Der Ort und Zustand der höchsten Seligkeit, weil Gott darin wohnet.
Klugh. Was ist die Hölle?
Sam. Der Ort und Zustand der größten Qual, weil es die Wohnung der Sünde, des Teufels und des Todes ist.
Klugh. Warum möchtest du in den Himmel kommen?
Sam. Auf daß ich Gott schauen und Ihm dienen möge ohne Unterlaß; daß ich Christum schauen und Ihn lieben möge ewiglich, und daß ich in mir haben möge die Fülle des heiligen Geistes, wie ich sie hier gar nicht genießen kann.
Klugh. Auch ein prächtiger Knabe, der ebenfalls gut gelernt hat.
Nun wandte sie sich zu dem ältesten, Matthäus: Soll ich dich jetzt auch fragen, Matthäus?
Matth. Ja, es wird mir eine rechte Freude sein.
Klugh. Sag' mir einmal: Hat es jemals irgend Etwas gegeben, was eher da gewesen als Gott oder was vor Ihm gewesen?
Matth. Nein, denn Gott ist ewig; vor Ihm war Nichts, und außer Ihm war Nichts, bis Er sprach: es werde! Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde erschaffen und das Meer und Alles, was darinnen ist.
Klugh. Was hältst du von der Bibel?
Matth. Daß sie Gottes heiliges Wort ist.
Klugh. Ist darinnen Nichts geschrieben, was du nicht verstehest?
Matth. Ja, sehr viel.
Klugh. Was thust du, wenn du Stellen darin findest, die du nicht verstehest?
Matth. Dann denke ich, Gott ist weiser, als ich bin. Auch bitte ich ihn, er möge mich Alles darin verstehen lassen, wovon Er weiß, daß es zu meinem Heile dient.
Klugh. Was glaubest du von der Auferstehung der Todten?
Matth. Ich glaube, sie werden auferstehen, wie sie begraben worden sind: in derselben Natur, jedoch unverweslich. Und ich glaube dies aus einem doppelten Grunde: einmal, weil Gott es verheißen hat, zum andern, weil Er's auch thun kann.
Darauf sagte Klugheit zu den Knaben: Höret auch ferner auf eure Mutter, denn sie kann euch in der christlichen Erkenntniß noch weiter bringen. Auch müsset ihr fleißig aufmerken, wenn ihr von Andern etwas Gutes hören könnt, denn zu eurem Heile reden sie von guten Dingen. Ebenso achtet mit Sorgfalt auf das, was Himmel und Erde euch lehren; vornämlich aber erwäget mit Fleiß, was in dem Buche steht, welches die Ursache ward, daß euer Vater sich auf die Pilgerschaft begab. Ich, an meinem Theile, will euch, liebe Kinder, so lange ihr hier seid, unterweisen, so viel ich kann, und ich werde mich freuen, wenn ihr Fragen an mich richtet, welche zu gottseliger Erbauung dienen.
Als nun die Pilger etwa eine Woche lang an diesem Orte gewesen waren, wurde Barmherzig von Einem besucht, der Neigung zu ihr zu haben vorgab. Es hieß derselbe Thätig und war von einiger Bildung, auch wollte er für einen Mann gelten, der fromm wäre, allein er hing der Welt und ihren Gütern sehr an. So besuchte er denn Barmherzig ein-, zwei- und mehrmal und erklärte ihr seine Liebe.
Nun war Barmherzig wirklich schön von Angesicht und deßwegen um so anziehender für ihn.
Dabei lag es in ihrem Sinne, stets geschäftig zu sein, und wenn sie Nichts zu thun hatte für sich selber, verfertigte sie Strümpfe und Kleider für Andere und schenkte sie denen, welche Mangel daran hatten. Da aber Herr Thätig nicht wußte, wo oder wie sie ihre Arbeiten verwandte, schien er sehr davon eingenommen, daß er sie niemals müßig fand. Deß bin ich gewiß, sagte er zu sich selbst, sie wird eine gute Hausfrau für mich sein.
Barmherzig offenbarte die Sache den Jungfrauen des Hauses und erkundigte sich bei ihnen nach dem Hrn. Thätig, denn diese kannten ihn besser, als sie selber. Die Jungfrauen sagten ihr nun, daß er ein fleißiger junger Mann wäre und gerne fromm scheinen wolle, sie aber befürchten müßten, daß ihm die Kraft eines gottseligen Lebens fremd sei. Nein, wenn es so ist, sagte Barmherzig, dann will ich ihn nicht mehr ansehen, denn ich habe mir fest vorgenommen, dem Heil meiner Seele kein Hinderniß in den Weg zu legen.
Klugheit bemerkte darauf: Du brauchst dir keine große Mühe zu geben, um ihn muthlos zu machen; denn, wenn du nur so wie bisher fortfährst, für die Armen zu arbeiten, wird sein Elfer schon bald erkalten.
Als er das nächste Mal kam, traf er sie bei ihrer gewöhnlichen Arbeit für die Armen. Wie, sagte er, immer am Arbeiten? Ja, antwortete sie, entweder für mich oder für Andere. Wie viel kannst du denn täglich wohl verdienen? fragte er. Ich thue das nur, sagte sie, um reich zu werden an guten Werken, Schätze zu sammeln, mir selbst einen Grund zu legen auf's Zukünftige, daß ich ergreifen möge das ewige Leben. 13)
Warum?! fragte er. Was machst du mit deinen Arbeiten? Die Nackenden kleiden, erwiederte sie. Als er das hörte, wurde sein Benehmen ganz, anders. Er kam nicht wieder zu ihr; und als man sich daher nach der Ursache bei ihm erkundigte, sagte er, Barmherzig wäre zwar ein hübsches Mädchen, werde aber von verkehrten Ansichten geplagt.
Nachdem er sie aufgegeben hatte, sprach Klugheit: Habe ich's dir nicht zum Voraus gesagt, Hr. Thätig würde bald von dir ablassen? Ja, er wird dich noch in einen üblen Ruf bringen, denn ungeachtet seines Anspruchs ein frommer Mann zu sein und bei seiner anscheinenden Liebe zu Barmherzig, sind diese und er doch so verschiedenen Sinnes, daß beide, wie ich glaube, nie mit «man» der übereinkommen würden.
Barmh. Ich hätte schon früher mehrmals einen Mann bekommen können, obgleich ich Niemandem je Etwas davon gesagt habe; allein Keinem wollten meine Grundsätze zusagen, und dennoch fanden sie Alle an meiner Person nichts auszusetzen; und so paßten wir denn nicht zusammen.
Klugh. In unsern Tagen hält man von Barmherzigkeit nichts, als nur dem bloßen Namen nach; sie aber wirklich zu üben, wie du es grundsätzlich thust, damit befassen sich nur Wenige.
Barmh. Wohlan, sagte Barmherzig, wenn mich Niemand haben will, so will ich als Jungfrau sterben oder- meine Eigenschaften als mein ehelich Gemahl achten. Denn meine Natur ändern, wie es von dem Einen und Andern verlangt wird — das kann ich nicht, und Einen zu haben, der mir dabei ein Kreuz auflegte, bin ich fest entschlossen nicht zu dulden, so lange ich lebe. Ich hatte eine Schwester, Namens Wohlthätig, die an Einen dieser habsüchtigen Menschen verheirathet war; allein sie konnten sich niemals vertragen. Da sich nun meine Schwester nicht von ihrer Handlungsweise wollte abbringen lassen, nämlich sich wohltätig gegen die Armen zu zeigen, so brachte ihr Mann sie zuerst in üblen Ruf und stieß sie dann zum Hause hinaus.
Klugh. Und gab er sich nicht dennoch für einen Bekenner des Evangeliums aus?
Barmh. Ja, er war Einer nach seinem Sinne, wie die Welt jetzt voll von dergleichen Bekennern ist; aber ich passe zu Keinen von ihnen Allen.
Inzwischen wurde Matthäus, Christin's ältester Sohn krank und mußte viel leiden: er hatte nämlich heftige Schmerzen in seinen Eingeweiden. Es wohnte aber nicht weit von dort ein alter und bewährter Arzt, Namens Geschickt. Weil Christin es nun wünschte, ließen sie ihn holen. Als er in's Zimmer getreten und den Knaben ein wenig beobachtet hatte, erkannte er, daß derselbe an Leibschmerzen leide. Darauf fragte er die Mutter: Was hat Matthäus vor Kurzem genossen?
Genossen? nichts als was gesund ist.
Der Arzt aber sprach: Der Knabe hat Etwas genommen, was unverdaut in seinem Magen liegt, und was ohne den Gebrauch von Arzneimitteln nicht wegzubringen ist. Ich sage euch: er muß abführen oder sterben.
Da sprach Samuel: Was war das doch, Mutter, was mein Bruder abpflückte und aß, sogleich als wir von der Pforte kamen, die am Eingange dieses Weges liegt? Du erinnerst dich, da war links ein Obstgarten, jenseit der Mauer, und von den Bäumen hingen einige über die Mauer hinüber, von diesen hat mein Bruder gepflückt und gegessen.
Christin. Du hast Recht, mein Kind, er nahm davon und aß: ein böser Knabe war er da, ich schalt ihn zwar aus, aber dennoch wollte er nicht davon lassen.
Geschickt. Ja, ich merkte wohl, daß er etwas Ungesundes gegessen, und dabei muß man wissen, daß jene Frucht, die er genossen, gerade die schädlichste von allen ist, die es gibt. Es ist eine Frucht aus Beelzebubs Garten. Ich wundere mich, daß Keiner ihn davon abgehalten hat. Viele sind daran gestorben. 14)
Als Christin das hörte, fing sie an zu weinen und sagte: o, du böser Knabe, und o, ich fahrlässige Mutter! Was soll ich für meinen Sohn thun?
Geschickt. Kommt, lasset es euch nicht zu sehr drücken; der Knabe kann doch wohl wieder besser werden, allein er muß brechen und abführen.
Christin. Bitte, lieber Herr, versucht eure höchste Kunst an ihm; es mag kosten, was es will.
Geschickt. Nun, ich hoffe, ihr werdet mich billig finden.
Hierauf gab er dem Knaben ein Mittel, aber es war zu schwach. Es soll bestanden haben aus Kälber- und Bocksblut mit Wasser und aus der Asche von der rothen Kuh. 15) Da Geschickt sah, daß das Mittel nicht wirkte, so reichte er ihm ein kräftigeres. Dieses war bereitet aus dem Fleische und Blute Christi. 16) Eine oder zwei Verheißungen wurden zu dieser Arznei hinzugethan und ebenso eine verhältnißmäßige Portion Salz. 17) Dreimal täglich mußte sie genommen, dabei gefastet und reichlich Bußthränen vergossen werden. 18) (Ärzte geben ihren Kranken oft seltsame Arzneien wie ihr wisset). Als diese Mischung bereitet und dem Knaben dargereicht ward, wollte er sie nicht nehmen, obwohl die Schmerzen ihn quälten, als wenn sie ihn hätten in Stücke reißen wollen.
Komm, komm, sagte der Arzt, du mußt jetzt einnehmen.
Es widersteht mir, sagte der Knabe.
Ich will es aber durchaus, daß du die Arznei hinnimmst, sprach die Mutter.
Ich werde sie wieder abbrechen müssen, sagte der Knabe.
Bitte, lieber Herr, sprach Christin zum Arzte, wie schmeckt die Arznei denn?
Sie hat keinen Übeln Geschmack, sagte der Arzt, und nun rührte sie selbst mit der Zunge daran.
O, Matthäus, rief sie aus, diese Mischung ist süßer, denn Honig. Wenn du mich, deine Mutter, wenn du deine Brüder, wenn du Barmherzig und wenn du dein Leben lieb hast, so nimm sie!
Und so nahm er sie denn endlich nach so viel verwandter Mühe und nach einem kurzen Gebet, daß der Herr es segnen möge, und das Mittel that vortreffliche Wirkung: es machte, daß er in einen sanften, erquickenden Schlaf fiel, brachte ihn in gehörigen Schweiß und befreite ihn von allen Leibschmerzen. Nach kurzer Zeit konnte er wieder aufstehen und an einem Stock aus einem Zimmer in's andere gehen; dabei unterhielt er sich mit Klugheit, Gottesfurcht und Liebe über seine Krankheit, und wie er gesund worden war.
Nach der Genesung des Knaben, fragte Christin den Arzt: Herr, was habe ich euch für die Mühe und Sorge zu vergüten, die ihr an mich und mein Kind gewandt habt? Er aber sprach: Den Lohn dafür müsset ihr dem Meister aller Ärzte geben, nach den Bestimmungen, welche Er dafür festgesetzt hat. 19)
Christin. Aber, mein Herr, wozu ist dieses Mittel sonst noch gut?
Geschickt. Es ist eine Arznei, die man in jeder Krankheit gebrauchen kann und namentlich ist sie vortrefflich gegen alle Übel, die den Pilgern auf ihrer Reise zustoßen, und wenn sie gut zubereitet ist, so hält sie sich auch durch die Länge der Zeit hindurch.
Christin. Bitte, lieber Herr, macht mir zwölf Portionen davon, denn wenn ich diese Arznei bekommen kann, so will ich niemals wieder andere nehmen.
Geschickt. Mit dieser Arznei kann man ebenso wohl Krankheiten vorbeugen, als sie heilen. Ja, ich mag behaupten, und stehe dafür ein, daß wenn Jemand diese Arznei nur gehörig gebrauchen will, er dadurch leben wird ewiglich. 20) Aber sie darf nur so genommen werden, liebe Christin, wie ich's vorgeschrieben habe, denn sonst hilft sie nicht.
Hierauf gab er Christin von dieser Arznei, für sie selbst, für ihre Kinder und für Barmherzig. Den Matthäus aber ermahnte er noch insbesondere, sich fernerhin vor den verbotenen Früchten zu hüten. Und nun küßte er sie und ging seines Weges.
Ich erzählte bereits vorhin, daß Klugheit den Knaben gesagt, sie möchten ihr, so oft sie Lust hatten, heilsamliche Fragen vorlegen, und sie würde bereit sein, dieselben zu beantworten.
Und so fragte Matthäus, der eben krank gewesen, sie denn: warum die meisten Arzneien doch so bitter für den Gaumen wären?
Klugheit. Um zu zeigen, wie unwillkommen das Wort Gottes und seine Wirkungen für ein fleischlich gesinntes Herz sind.
Matth. Warum bringt Arznei, wenn sie Wirkung thut, Abführen und Erbrechen hervor?
Klugh. Um anzuzeigen, daß das Wort, wenn es kräftig wirkt, Herz und Sinn reinigt. Denn siehe, was das Eine dem Leibe thut, das thut das Andere der Seele.
Matth. Was sollen wir daraus lernen, daß wir die Flamme des Feuers aufwärts steigen sehen, während die Strahlen der Sonne und ihre sanften Wirkungen abwärts gehen?
Klugh. Durch das Aufsteigen der Feuerflamme sollen wir lernen mit heißem Verlangen und Sehnen nach dem Himmel trachten; daran aber, daß die Sonne ihre warmen Strahlen und milden Wirkungen herniederlässet, sollen wir lernen, daß der Heiland der Welt, obgleich er so hoch ist, sich dennoch mit seiner Gnade und Liebe zu uns herabläßt.
Matth. Woher haben die Wolken ihr Wasser?
Klugh. Aus dem Meere.
Matth. Was können wir daraus lernen?
Klugh. Daß die Diener am Wort ihre Lehre von Gott (nämlich aus dem ewigen Meere der Wahrheit und Liebe) holen sollen.
Matth. Warum entleeren sich die Wolken auf die Erde?
Klugh. Um so darauf hinzuweisen, daß die Diener am Worte den Menschen auf Erden mittheilen sollen, was sie von Gott wissen.
Matth. Warum wird der Regenbogen von der Sonne hervorgebracht?
Klugh. Um damit anzudeuten, daß der göttliche Gnadenbund uns in Christo versiegelt ist.
Matth. Warum kommen die Quellen aus dem Meere durch die Erde zu uns?
Klugh. Um damit anzuzeigen, daß die göttliche Gnade durch den Leib Christi (seine Menschwerdung, seinen Wandel, sein Leiden und Sterben und durch seine Verklärung und Herrlichkeit) zu uns kommt.
Matth. Warum entspringen einige Quellen auf dem Gipfel hoher Berge?
Klugh. Um anzuzeigen, daß der Geist der Gnaden ebensowohl in Einigen, die hoch und mächtig, wie in Vielen, die arm und niedrig sind, hervorquellen will.
Matth. Warum heftet sich die Flamme an das Docht des Lichtes?
Klugh. Um anzuzeigen, daß wenn die Gnade nicht das Herz anzündet, kein wahres Licht des Lebens in uns ist.
Matth. Warum werden Docht, Talg und Alles darauf verwandt, um das Licht auf dem Leuchter zu erhalten?
Klugh. Um damit anzuzeigen, daß Leib und Seele und Alles, was wir sind und haben, der Gnade Gottes, die in uns ist, zum Dienste sein und wir uns ihr ganz widmen sollen, auf daß sie bei uns kräftig erhalten werde.
Matth. Warum reißt sich der Pelikan die eigene Brust mit seinem Schnabel auf?
Klugh. Seine Jungen zu nähren mit seinem Blute; woraus wir lernen sollen, daß Christus, der Hochgelobte, die Seinen, d. i. seine Gemeine also liebet, daß Er sie mit seinem Blute vom Tode erlöset Hat.
Matth. Was sollen wir daraus lernen, wenn wir einen Hahn krähen hören?
Klugh. Wir sollen uns dadurch an Petri Sünde und Reue erinnern lernen. Auch zeigt das Krähen des Hahn's an, daß der Tag am Kommen ist. Laß dich denn dieses Krähen mahnen an den letzten, schrecklichen Tag, an den Tag des jüngsten Gerichts.
Um diese Zeit war ein Monat ihres hiesigen Aufenthaltes verflossen: darum gaben sie Denen im Hause zu verstehen, daß es nun in der Ordnung sei, auszubrechen und weiter zu reisen. Joseph sprach zu seiner Mutter? Vergiß doch nicht in das Haus des Auslegers zu schicken und ihn bitten zu lassen, daß er Muthherz zu uns sende, damit dieser uns auf dem noch übrigen Theile unserer Reise begleite.
Du bist ein guter Knabe, sprach sie, ich hätte dies beinahe vergessen.
So setzte sie nun eine Bittschrift auf. und bat Wachsam, den Pförtner, daß er dieselbe durch einen sichern Boten an ihren lieben Freund, den Ausleger, besorgen möge. Als dieser sie gelesen, sagte er dem Boten: gehe hin und sage, daß ich ihn senden wolle.
Da nun die Familie, in der Christin war, sah, daß die Pilger vorhatten, weiter zu reisen, wurde das ganze Haus zusammengerufen, um ihrem Könige dafür Dank zu sagen, daß er ihnen so werthe Gaste zugeschickt. Da dies geschehen, sprachen sie zu Christin: sollen wir dir nicht auch Etwas zeigen, wie wir's den Pilgern zu thun pflegen, und worüber du nachdenken kannst, wenn du unterwegs bist? Und so nahmen sie denn Christin, ihre Kinder und Barmherzig in ein Gemach hinein und zeigten ihnen einen von den Äpfeln, von denen Eva gegessen, und wovon sie auch ihrem Manne gegeben, von dem auch er aß, weßhalb sie beide aus dem Paradiese vertrieben wurden. Da ward Christin gefragt: ob sie wohl wüßte, was das wäre? Hierauf erwiederte sie: es ist entweder Speise oder Gift, ich weiß nicht, was von beiden. Da eröffneten sie ihr, was es sei, und nun hob sie ihre Hände in die Höhe und verwunderte sich. 21)
Darnach führten sie dieselbe an einen andern Ort und zeigten ihr die Jakobsleiter,22) und gerade um diese Zeit stiegen Engel daran auf und nieder. Und Christin schaute und schaute nun ihren Reisegefährten, ob sie die Engel nicht könnten sehen aufsteigen. Hierauf gingen sie wieder an einen andern Ort, um etwas Anderes zu sehen. Jakob aber sprach zu seiner Mutter: Bitte, daß sie hier doch ein wenig länger verweilen, denn dies ist gar merkwürdig anzusehen. Dann kehrten sie wieder um und weideten ihre Augen an diesem so lieblichen Anblick. 23)
Demnächst führten sie ihre Gäste an einen Ort, wo ein goldener Anker hing. Hier nun hießen sie Christin denselben herunternehmen. Du sollst ihn bei dir behalten, sagten sie, denn es ist durchaus nöthig, daß du ihn haltest als einen festen Anker deiner Seele, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs,24) und damit ihr auch fest bleibet, wenn ein Ungewitter über euch kommt. 25) Und sie waren froh über dieser Gabe.
Sodann führte man sie auf den Berg, auf welchem Vater Abraham seinen Sohn Isaak darbrachte, und man zeigte, ihnen den Altar, das Holz, das Feuer und das Wasser, denn sie sind noch zu sehen bis auf diesen Tag. Und als sie es gesehen, hoben sie ihre Hände in die Höhe, priesen sich selig und sprachen: O, welch ein Mann in der Liebe zu seinem Herrn und in der Verläugnung seiner selbst war Abraham!
Nachdem sie ihnen all' diese Dinge gezeigt, führte Klugheit sie in ein Speisezimmer, wo ein treffliches Saiteninstrument stand. Da spielte sie und sang dazu ein Lied, von dem, was sie so eben gesehen hatte:
So habt ihr Eva's Apfel nun gesehen,
Daß ihr vor ihm euch wahret immerfort;
Auch habt ihr Jakobs Leiter sehen stehen,
Auf der die Engel auf- und niedergehen.
Dazu habt einen Anker ihr empfangen,
Daß ihr im Sturm könnt stehen festiglich;
Nun hegt, wie Abraham, auch das Verlangen,
Mit Opferwilligkeit am Herrn zu hangen!
In diesem Augenblick klopfte es an. Der Pförtner machte auf, und siehe, Muthherz war da. Welch' eine Freude war es aber, als er eintrat! Da nun kam es ihnen wieder ganz klar vor die Seele, wie er vor nicht langer Zeit den alten blutdürstigen Riesen, Grimm, erschlagen und sie von den Löwen errettet hatte.
Darauf sprach Muthherz zu Christin und Barmherzig: mein Herr hat Jeder von euch eine Flasche Wein, etwas Geröstetes und auch ein paar Granatäpfel geschickt, dazu den Knaben einige Feigen und Rosinen, damit ihr euch unterwegs daran erquicken möchtet.
Nun schickten sie sich zur Reise an, und Klugheit und Gottesfurcht gingen mit ihnen auf den Weg. Als sie an die Pforte kamen, fragte Christin den Pförtner, ob kürzlich Einer vorbei gekommen sei.
Nein, sagte er; aber vor etwas längerer Zeit hat mir Jemand erzählt, daß ein großer Raub verübt worden auf der Heerstraße des Königs, die ihr jetzt bereisen werdet. Es sind jedoch, wie er mir sagte, die Räuber bereits ergriffen, und binnen Kurzem wird ein Hochgericht über sie gehalten werden.
Da erschraken Christin und Barmherzig, aber Matthäus sprach: Mutter, fürchte dich nicht, so lange Muthherz mit uns geht und unser Führer ist.
Darauf sagte Christin zum Pförtner: Herr, ich bin euch sehr verbunden für alle Güte, die ihr nur erwiesen habt, seit ich hierher gekommen bin, und ebenso für die Liebe und Güte gegen meine Kinder. Ich weiß nicht, wie ich euch meine Dankbarkeit beweisen soll: deßhalb nehmet doch diese Kleinigkeit als ein Zeichen meiner Achtung gegen euch an. Nun drückte sie ihm ein Goldstück in die Hand, und er verneigte sich vor ihr und sprach: Laß deine Kleider immer weiß sein und laß deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Barmherzig müsse leben und nicht sterben, und ihrer Werke nicht wenige sein! Zu den Knaben aber sprach er: Fliehet die Lüste der Jugend, jaget nach der Gottseligkeit,26) und gesellet euch zu denen, die ehrbarlich und weise wandeln: so werdet ihr Freude bringen in das Herz eurer Mutter und Lob davon tragen bei Allen, die christlich gesinnet sind. Hierauf dankten sie dem Pförtner und reisten ab.