Bullinger, Heinrich - Testament oder letzter Wille an seine Herren und Oberen von Zürich.

1575

Auf dem Umschlag des Briefes, in welchem dieses Testament enthalten ist, steht Folgendes:

„Die Meinen sollen diesen Ueberschlag aufthun und sehen, was mein Wille und was sie thun sollen.“

Auf der innern Seite des Umschlages steht dieses:

„So es sich durch Gottes Ordnung begäbe, daß ich vom Schlage getroffen nicht mehr reden könnte oder sonst umkäme, ohne zuvor etwas verordnen zu können, so ist mein letzter Wunsch und Wille, daß die Meinen, die diesen Brief, an meine Gnädigen Herren geschrieben, finden, ihn mit meinem Petschierring sammt dem dazu gelegten Papier versiegeln und gewiß und sorgfältig einem Herren Bürgermeister bringen, um ihn vor Rath und Bürgerschaft zu lesen. Denn das ist mein Abschiedswort, das ich bei guter Vernunft zugerüstet habe, es nach meinem Hinschied ihnen, meinen Gnädigen Herren zu geben.“

An meine Gnädigen Herren der Stadt Zürich.

Herr Bürgermeister, gnädiger Herr! Ich bitte Euch so hoch und innig als ich immer kann, um Gottes willen, Ihr wollet so freundlich und gnädig sein, diesen meinen hier niedergeschriebenen Abschiedsbrief meinen Gnädigen Herren, nicht allein den Räthen, sondern auch den Bürgern, so beförderlich Ihr könnet, vorlegen und verlesen zu lassen. Dafür wird Euch Gott seinen Segen geben. Hiemit gnade ich Euch insbesondere und danke Euch für alles Gute, befehle Euch auch treulich meine Kinder und Kindeskinder. Der ewige Gott sei mit Euch und bewahre Euch vor allem Bösen!

Heinrich Bullinger, der ältere,
Pfarrer der Kirche zum großen Münster.

Dieser Brief gehört meinen Gnädigen Herren, Bürgermeister, Räthen und Bürgern.

Frommer, fester, fürsichtiger und weiser Herr Bürgermeister und gnädige, liebe Herren! Ich bitte Euer Weisheit, Sie wollen dieses mein Schreiben willig anhören, gnädig aufnehmen und wohl bedenken; denn ich habe es aus guter christlicher Wohlmeinung zum Abschied geschrieben.

Fürs Erste danke ich Euch, meinen Gnädigen Herren, um alles das Gute, das Ihr mir und den Meinigen erwiesen habt. Der allmächtige Gott wolle Euch dies Alles vergelten und Euch, Eurer Stadt und Landschaft seinen Segen verleihen.

Demnach, da ich die Pfarre zum großen Münster als ein Pfarrer und Diener nun in die 43 Jahre versehen (denn ich bin den 9. December 1531 von Euch, meinen Gnädigen Herren, den Räthen und Bürgern, erwählt worden), habe ich Christo unserm Herrn vorab, sodann Euch, meinen Gnädigen Herren, und auch der ganzen christlichen Gemeinde mit aller Treue, so viel mir Gott Gnade verliehen, gedient. Wenn ich es anders und besser hätte können, hätte ich es gar gern und willig gethan. Ich bitte aber unterthänig, man wolle an meinem Dienste vorlieb nehmen, und bezeuge auch hiermit vor Gott und seinen Dienern, der von ihm geordneten Obrigkeit, daß die Lehre, die ich in der ganzen Zeit meines Dienstes der Kirche vorgetragen, die wahre, rechte, christliche Lehre ist, genommen aus dem alten und neuen Testament, an die ich von Herzen glaube, in unbezweifelter Hoffnung, daß ich und Alle, die daran glauben, ewige Seligkeit erlangen werden. Dagegen bekenne ich offen und klar, daß des Pabstes Lehre, die der unsrigen zuwider ist, als eine falsche, verführerische Lehre von den h. Aposteln verworfen und unter des Antichrists Namen verdammt ist, wie das Alles in unserer Confession, auch in meinen Predigten und gedruckten Büchern gründlich erklärt und erwiesen ist. Und in diesem wahren, christlichen Glauben scheide ich ab zu unserm Herrn Christo, welchen ich für meinen einigen Heiland, mein Leben und meinen Erlöser und Trost erkenne, welchen ich auch lobe und preise bis in Ewigkeit.

Zum Dritten soll Eure Weisheit überzeugt sein und sich nichts Anderes angeben lassen, denn daß das tridentische Concilium und alle andern bischöflichen Concilien, die je veranstaltet wurden und noch in Zukunft veranstaltet werden möchten, allein dazu dienen, den wahren Glauben zu verdunkeln und zu unterdrücken und Euch wiederum in die pfäffische Dienstbarkeit zu bringen. Darum williget in keines, bleibet bei der erkannten Wahrheit und verlasset Euch allein auf die biblischen Schriften. Müsset Ihr dann gleich darüber leiden, so bedenket, was Ihr an Seele, Ehre, Leib und Gut leiden müßtet, wenn ihr der muthwilligen, stolzen, geizigen und unreinen Mönche Fußlumpen würdet und die wahre Seligkeit verlöret.

Zum Vierten bitte ich Euch herzlich, daß Ihr, meine Gnädigen Herren, unverzüglich einen andern Pfarrer und Diener an meiner Statt erwählen und setzen möchtet und zwar aufrichtig und redlich, ohne alle Umtriebe. Denn bei den Umtrieben ist und war niemals Glück und Heil. Lasset es aber nach der vorgeschriebenen göttlichen Ordnung zugehen, daß, wenn Euch etliche rechtschaffene Männer vorgeschlagen werden, Ihr einen aus ihnen wählet, der gottesfürchtig, fromm, gelehrt, demüthig, tapfer und friedlich sei, nicht ungelehrt, stolz und hochtrabend, frech, reizbar und streitsüchtig.

Es muß der Pfarrer vernünftig, arbeitsam, geduldig, gütig, doch redlich und ernsthaft sein, der Stadt und dem Lande treu und hold, und so, daß er besonders seine Mitdiener nicht nur wohl dulden, sondern auch lieben möge, nicht herrschsüchtig sich überhebe, Pracht treibe, sich Parteigänger suche, sondern gegen Reiche und Arme freundlichen Bescheides sei. Denn wenn die Prädikanten nicht wohl zusammen ziehen und heimlich einen neidigen Willen gegen einander tragen, so bricht solches in Zwietracht aus, die sich in den Rath und die Bürgerschaft hinein erstreckt, woraus ein greulich und unchristlich Wesen entsteht. Und ich habe in der Zeit meines Dienstes oft erfahren, wie viel Ruhe oder Unruhe Euch, meinen Gnädigen Herren, aus diesem Amt und Stand erwachsen kann. Gott hat uns in Einigkeit bewahrt, den bittet euch jetzt ernstlich und lasset in der Kirche Fürbitte halten, daß er Euch einen Pfarrer gebe, denselben mit seiner Gnade leite und behüte, daß Ihr bei der Wahrheit und rechten Einigkeit, im Frieden und Wohlstand bleiben möget. Amen.

Und ich gebe hiermit meine Stimme im Namen Gottes Herrn Rudolf Gwalter, dem ich wohl zutraue, er werde sich halten, wie oben geschrieben. Das gebe Gott!

Zum Fünften weiß jedermann aus Erfahrung, daß Gott der Allmächtige durch den Druck dem Pabstthum den Hals abgedrückt und der Wahrheit wieder aufgeholfen hat, weßhalb auch viele Böse dem Drucke (der Presse) gar aufsätzig und feind sind, möchten ihn gern erschweren und gar abthun, und doch haben wir wohl so viel Gutes mit Druckschriften ausgerichtet, als mit dem mündlichen Predigen, welches nicht wie das Gedruckte allenthalben hin kommen kann; darum lasse sich Euer Weisheit nimmermehr dahin bringen, solch ein herrliches Kleinod zu verhindern und zu vernichten. Denn dadurch würde Euch die unruhige und sündliche Welt (welcher zu Lieb so etwas geschähe) weder gestillt noch gebessert, wohl aber große Ungnade Gottes aufgeladen. Hinwieder aber beaufsichtige man die Presse dermaßen, daß nichts Arges noch Verderbliches und Aufrührerisches gedruckt werden.

Zum Sechsten bitte ich Euch, meine Gnädigen Herren, um Gottes und um Euers Heiles willen, daß Ihr fortan geflissentlicher zum Worte Gottes und zum gemeinsamen Gebet in die Kirche gehet, als es bisher von dem Mehrtheil aus Euch geschah. Rufet Gott ernstlich an, daß er euch Gnade und Kraft verleihe, wohl und nach seinem Willen zu regieren; lasset Euch eine fromme Gemeinde als Väter des Volkes treulich befohlen sein; haltet jedermann gut Gericht und Recht; helfet dem Armen, dem Fremdling, der Wittwen und Waisen; strafet die Uebelthäter, wie sich’s gebührt; schirmet das Gute und fromme, biedere Leute; sehet keine Person an, nehmet keine Gaben, das Recht zu verkehren; handelt nicht aus Gunst oder Ungunst; lasset Euch auch alle treuen Prediger gnädiglich empfohlen sein. Denn solltet Ihr diese schmählich und untreulich halten, so würdet Ihr Gottes Zorn wider Euch reizen. Hinwieder strafet ohne alle Schonung die da untreu, geizig und versessen, üppig, schändlich und gottlos sind; denn ihr Wust befleckt und ärgert Viele in der Gemeinde.

Die rechten Armen lasset Euch auch empfohlen sein. Und die guten Ordnungen, die für das Armenwesen und das Almosen gemacht sind, lasset nicht zu Grunde gehen, insonderheit aber verwehret, daß das Betteln nicht ein Gewerb werde. Den Spital und die Siechenhäuser versehet getreu, doch schonet ihrer auch und überfüllet sie nicht. Denn wer sich der Armen erbarmet, deß erbarmet sich Gott, und wer sein Angesicht von den wahrhaft Armen wendet, den erhört Gott auch nicht. Ihr, meine Gnädigen Herren, habet ein beträchtliches Gut, das nicht Stadt- sondern Kirchengut genannt wird; wenn Ihr dieses nicht recht gebrauchet, bringet Ihr den Zorn Gottes über Euch und über alles Volk. Darum ist auch dieses Gut gestiftet und von biedern Leuten zusammen gesteuert worden, daß Gott damit geehret, die wirklich Armen versorgt, auch die Lehrer, die Schulen und was zur Kirche dient, nach Nothdurft versehen werde. Wenn für dieß Alles gesorgt und dann noch etwas übrig wäre, so soll man es nicht vergeuden und liederlich zerstreuen, sondern aufsparen und auf eintretende gemeinsame Noth hin bewahren. Und deßhalb seid auch um Gottes willen ermahnet, die guten Ordnungen am Stift zum großen Münster und zum Fraumünster und in den beiden Schulen daselbst, nicht nur nicht zu zerstören, sondern zu schirmen und zu erhalten. Solches dient zum gemeinen Besten für die Stadt und Land, besonders wenn man allzeit gelehrte, gottesfürchtige Männer hat, die alle Kirchen versehen, biedere Leute lehren und recht trösten können. Sollte da etwas abgehen, so würde es zum Verderben der Stadt und des Landes dienen. Demnach wird es gar nothwendig sein, daß Ihr allzeit Amtleute und Schaffner verordnet, die nicht das Ihrige suchen, sondern den Nutzen der Kirchen und Aemter schaffen; nicht solche, die früher verschwenderisch und unhäuslich, jetzt aber gierig und untreu in sechs Jahren wollen reich werden, sondern die sparsam und treu Euch, unsern Gnädigen Herren, wohl haushalten und jedermann nach Gebühr behandeln, allen Menschen freundlich geben, was sie ihnen schuldig, nicht die Leute anschnurren und schmähen; denn solches erweckt bei Fremden und Einheimischen gegen die Stadt großen Unwillen.

Zum Siebenten. Ich bitte Euch, meine Gnädigen Herren, daß Ihr gern mit einander Eins sein wollet und einander vertraten, einander lieben, ehren und Gutes gönnen, einander um der Ehre und Aemter willen nicht beneiden, mißgünstig und aufsätzig sein. Ihr meine Herren, die Räthe und Zunftmeister von der Constaffel und von den Zünften sammt den Bürgern, seid ein einiges Haupt des einigen Leibes, der Gemeinde; darum sollet Ihr alle zusammen ziehen und Eins sein, einander lieb und werth halten, und alle Euere löblichen Satzungen, die Ihr wider die Laster, insbesondere wider die blutigen Pensionen und wider das verderbliche Kriegen gemacht habet, handhaben und aufrecht halten. In diesen gefährlichen Zeiten hütet Euch vor Bündnissen mit fremden Fürsten und Herren, und verkaufet nicht das Blut Euerer biedern Leute; trachtet nach Frieden und Ruhe daheim und draußen. Unter Eidgenossen und fremden Machthabern fliehet unnöthige und muthwillige Kriege; suchet Frieden und Ruhe von ganzem Herzen. Wo nicht, so wird Euch Gott so genug zu kriegen geben, daß Ihr dessen kein Ende absehet.

Und zum Beschluß. Da ich etliche meiner lieben Kinder und Kindeskinder zurück lasse, befehle ich sie vorab in Gottes, demnach in Eueren, meiner Gnädigen Herren und treuen, lieben Väter, Schutz und Schirm, bitte Euch aufs herzlichste, Ihr wollet ihre treuen Väter in allem dem sein, wo sie Euers Rathes, Euerer Hülfe und Euers Trostes bedürfen, und wollet dadurch meine Treue und meinen langen Dienst erwiedern, indem ich Euch, M. Gn. Hrn., jetzt im 52. Jahr an einem fort diene. Denn ich bin im Anfang des Jahres 1523 auf Antoni Schulmeister zu Kappel und sodann auch Prediger zu Hausen geworden, und da diente ich bis in das siebente Jahr, ohne daß mir ein bestimmter Lohn oder eine Besoldung wie andern mir nachfolgenden Dienern geworden ist; man verhieß mir bloß für meine Arbeit, ich sollte wie ein Mitglied des Convents gehalten sein und Leibding oder andere Gefälle empfangen wie ein anderer Kappeler Conventsherr; ich habe aber bisher nie was begehrt noch gefordert, es ist mir auch für diesen Anspruch nie eines Hellers Werth geworden. Im Jahr 1529 im May versetztet Ihr, meine Gnädigen Herren, mich von Kappel in meine Heimat gen Bremgarten, in gar große Gefahr, Mühe und Arbeit. Von dort ward ich im Krieg am 20. November des Jahres 1531 vertrieben unter bedeutenden Schaden für mich. Darauf nahmet Ihr, meine Gnädigen Herren, mich an Meister Ulrich Zwingli’s sel. Statt, daß ich also hier, wie schon bemerkt, an dieser Pfarre im 43. Jahre diene, zuvor schon 9 Jahre diente, im Ganzen also 52 Jahre. Unterdessen hätte ich andere und reichere Stellen bekommen können, habe aber von meinen Voreltern, den Bullingern her ein besonderes Herz zu Euch, meinen Gnädigen Herren, und der Stadt Zürich gehabt. Ihr hab’ ich mit gutem Willen gern und zufrieden mit meiner Besoldung vor aller Welt und so treu, als ich immer vermochte, gedient (wollte Gott, ich hätte noch besser dienen können!), wiewohl ich in meinem Testament an die Meinigen bezeugen mußte, daß ich mich nicht immer mit meiner Besoldung und Pfründe behelfen konnte, sondern mein eigen Gut zuweilen einsetzen mußte; ich bitte aber, wie von Anfang, Euch, meine Gnädigen Herren, Ihr möchtet an meinen willigen Diensten ein Gefallen haben.

Und wenn ich Jemand unter Euch, meinen Gnädigen Herren, je erzürnt hätte, so bitte ich um Gottes willen, daß Ihr mir verzeihet, wie ich denn auch Euch und jedermann gänzlich verziehen habe und nun abscheide mit Frieden und rechter Freude. Ich hoffe zu Gott durch unsern Herrn Jesum Christum, daß wir mit großen Freuden gewiß im Himmel einander wiedersehen und Gott in Ewigkeit loben und preisen werden.

Und hiemit begnade Euch Gott der Allmächtige! Die Gnade des Vaters und der Segen Jesu Christi sammt dem Trost und der Stärkung des heiligen Geistes sei mit Euch und wolle Euere Stadt und Land, Euer Aller Ehre, Leib und Gut in seinem göttlichen Schutz und Schirm gnädig bewahren und vor allem Bösen treulich behüten! Amen. Amen.

Am 2. August im Jahr 1575.

Heinrich Bullinger, der Aeltere.