1539.
Joh. 16, 23-30.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Solches habe ich zu euch durch Sprichworte geredet. Es kommt aber die Zeit, dass ich nicht mehr durch Sprichworte mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An demselbigen Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, dass ihr mich liebt, und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen, und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt, und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus, und sagst kein Sprichwort. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt, und bedarfst nicht, dass dich Jemand frage. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
Die nächste Woche heißt nach der hergebrachten Benennung die Betwoche, und es war öffentliche Sitte, in derselben zu fremden Kirchen zu wallen. Obgleich aber in der Kirche die Gewohnheit der sogenannten Wallfahrten sehr alt ist, so ist sie dennoch zu dieser Zeit mit Recht abgeschafft worden; denn erstlich war ihr Missbrauch offenbar. Es begleiteten nämlich bisher fast nur junge Männer und Jünglinge die Reliquien, die man umhertrug, und waren dabei mehr auf ihre Wünsche, als auf die Religion bedacht. Zweitens kam der Frevel hinzu, dass man sowohl die Heiligen wie helfende Gottheiten anrief, als auch das Werk der Wallfahrt wie ein Verdienst zur Sühnung der Sünden oder auch zum Schutze der wachsenden Feldfrüchte betrachtete. So waren ja die Gründe der Abschaffung triftig genug. „So die Speise meinen Bruder ärgert (spricht Paulus), wollt' ich nimmermehr Fleisch essen“ (1. Kor. 8,13). Um wie viel mehr, so die Wallfahrt meinen Bruder ärgert oder schlechter macht, wollt' ich nun und nimmermehr auf eine Wallfahrt mitziehen. Und dennoch, weil diese Woche die Betwoche heißt, und weil in derselben öffentliche Gebete vielfach im Brauche waren, so lasst uns davon Veranlassung nehmen,
von der gegenseitigen Fürbitte der Frommen zu reden.
In der Kirche nämlich bittet Einer für den Andern. Bald bitten wir um den öffentlichen Frieden, bald für die Früchte der Erde, bald für die Kranken, bald für die Schwangeren, bald für die Bekümmerten, bald auch für Feinde, und es ist üblich, für einzelne Kranke namentlich zu beten. Daher müssen wir von dieser gegenseitigen Fürbitte reden, um zu lernen, was ihr rechter Gebrauch sei. Wir wollen hier nicht vom Gebet im Allgemeinen reden, sondern von der gegenseitigen Fürbitte der Frommen hienieden. Und zwar ist das um so sorgfältiger zu beachten, je notwendiger und nützlicher es ist, und je mehr es Unerfahrene missbrauchen. Sie meinen nämlich, die gegenseitige Fürbitte habe Kraft als ein äußerliches Werk. Sie glauben ferner, dieselbe sei also kräftig, dass der Zustand des Kranken bald nach der öffentlichen Fürbitte sich ändere und der Kranke entweder sofort genese, oder sofort sterbe. Daher kommt's, dass die Leute, wünschen sie Jemandem noch längeres Leben, keine öffentliche Fürbitte für ihn geschehen lassen. Das sind die so verderblichen Missbräuche und sogar Frevel bei dem heiligsten und nützlichsten Werke. Daher müssen wir solche gegenseitige Fürbitte in sorgsame Betrachtung ziehen.
Fürs Erste heischt Gott nicht nur, dass wir für uns selber beten, sondern dass wir auch für alle andern Menschen Fürbitte tun; denn es ist sein Gesetz: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ In diesem Gebote wird die gegenseitige Fürbitte als Frucht der Liebe gefordert, und Christus hat uns das sogenannte Gebet des Herrn vorgeschrieben,. darin er uns Alle zu einer Herde vereinigt hat, auf dass Einer für den Anderen bete. Er sagt: „Vater unser“ und: „unser täglich Brot“ und: „erlöse uns von dem Übel;“ durch dieses Gebet wird uns geboten, sowohl für uns, als auch für Andere zu beten. Paulus schreibt (1. Tim. 2,1.2): „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit.“ Und das wird so angelegentlich gefordert, dass auch für Feinde und Hasser zu beten ist, wie Christus es auslegt (Matth. 5,44): „Bittet für Die, so euch beleidigen und verfolgen.“ Sodann hat der Herr dem Gebote seine Verheißungen hinzugefügt. Jes. 65,24: „Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“ Joh. 16,23.24: „So ihr den Vater Etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er's euch geben. Bittet, so werdet ihr nehmen.“ Und diese Verheißungen sind durch Beispiele und Wunder bekräftigt. 1. Mose 20,17 hat Abraham für das Haus Abimelechs gebetet, und es ist geheilt worden. 2. Mose 8 ff. beten Mose und Aaron für Pharao und Ägypten und befreien Ägypten von den Plagen. Ferner betet Mose für die Israeliten und erlangt Sieg über Amalek. 4. Mose 16,45-50 starb das Volk eines plötzlichen Todes, Aaron jedoch betete für dasselbe „und der Plage ward gewehrt.“ 1. Sam. 7,9 ff. schrie Samuel zum Herrn wider die Philister „und der Herr erhörte ihn,“ und gab den Israeliten den Sieg. Unendlich viel sind der Beispiele und Wunder, dadurch die Wirksamkeit fremder Fürbitte bewiesen wird, und derselben etliche hast du auch im neuen Testamente. Das kananäische Weib bittet Christum für ihre Tochter und erlangt [das Erbetene]; der Hauptmann bittet für seinen Knecht und wird seines Wunsches teilhaftig; die vier Träger bitten für den Gichtbrüchigen, und derselbe erhält die Gesundheit. Was nun? sprichst du; wenn fremde Fürbitte wirksam ist, warum sehen wir, dass sich dieselbe so oft täuscht? Oft bitten wir für einen Kranken, und weit gefehlt, dass er von seiner Krankheit frei werde, macht dieselbe vielmehr Fortschritte. Und ist fremde Fürbitte wirksam: werden denn, so wir für das Heil aller Juden und Türken beten, dieselben auch in ihrer Gottlosigkeit selig werden? Keineswegs! Was sollen wir daher sagen?
Hier ist zuerst zu beachten, wodurch fremde Fürbitte wirksam wird; denn sie ist es nicht um des äußerlichen Werks willen, oder wegen der zierlichen Ordnung äußerer Worte. So von der gegenseitigen Fürbitte denken, heißt aus dem Gebete einen Götzen machen; allein sie ist wirksam, weil das Gebet Gottes Verheißungen und vornehmlich Christum aufsucht und ihn vor Gottes Angesicht hinstellt. Gott aber kann Christo Nichts versagen, und darum wirkt das Gebet um Christi willen; denn wer recht beten will, der muss nicht nur die Worte zählen, sondern also denken: Ich bin nicht wert, dass ich für mich oder für einen Anderen erhört werde; allein Christus, Gottes Sohn, ist dessen würdig, hat sein Heil allen Menschen dargeboten, auf dass alle Menschen selig werden, und deshalb stelle ich vor dein Antlitz, unser Gott! Christum, deinen Sohn, und bitte dich, du wollest seinetwegen Diesem oder Jenem beistehen. Solches Gebet ist wirksam um Christi willen, und wird von Gott angenommen und erhört, ob auch nicht allezeit nach der Meinung unseres Herzens, so doch nach der Meinung des heiligen Geistes. Paulus bat für sich selber, Gott möge des Satans Engel von ihm nehmen, und sonder Zweifel hat er gläubig gebetet; und dennoch hört er: „Lass dir an meiner Gnade genügen,“ d. i.: du bist erhört, nicht nach dem Sinne des Fleisches, sondern nach dem Sinne des heiligen Geistes. Christus selbst hat gebetet, Gott möge den Kelch des Leidens von ihm nehmen; aber je mehr er betete, desto mehr ward er gebeugt, dass ihm sogar blutiger Schweiß entquoll. Und doch ist's klar, dass sein Gebet wirksam gewesen ist; also ist er erhört worden im Sinne des heiligen Geistes, nicht aber im Sinne des Fleisches. So müssen wir denn dafür halten, dass jegliches Gebet oder jede Fürbitte für den Nächsten, so sie im Glauben geschieht, von Gott angenommen und erhört wird nach der Meinung des heiligen Geistes. Paulus spricht ja (Röm. 8,26): „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebühret, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen.“ In unserem Gebete hegen wir oft die ungerechteste, sowohl uns als Anderen verderblichste Ansicht und Begier, aber der heilige Geist bessert unsere Ansicht vor Gott. Zuweilen bitten wir für unseren Nachbar, dass ihn Gott von seiner augenblicklichen Krankheit befreie. Geschähe Solches und erlangte er die Gesundheit, so würde es ihm vielmehr zum Verderben, als zum Heile dienen. In solchem Falle tritt der heilige Geist ins Mittel und legt unsere Bitten vor Gott aus; Gott aber erhört unsere Bitten nach dem Sinne und der Auslegung des heiligen Geistes. Deshalb lasst uns festhalten, dass jegliches gläubige Gebet wirksam ist nach der Meinung des heiligen Geistes.
Ferner ist, wenn für einen Anderen Fürbitte getan wird, erforderlich, dass er auch für die Wohltat empfänglich sei, die wir in seinem Namen erbitten. Denn Christus spricht (Matth. 10,12.13): „Wo ihr in ein Haus geht, so grüßt dasselbige. Und so es dasselbige Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden.“ Und (Jes. Sir. 34,29): „Wenn Einer betet und wiederum flucht, wie soll den der Herr erhören?“ Die Juden aber und Türken sind nicht empfänglich für das Himmelreich in ihrer Gottlosigkeit; sie wären zwar des Heiles fähig, so sie Buße täten für ihre Gottlosigkeit; da sie aber in derselben bleiben, sind sie des Heils nicht fähig. Ob wir daher auch für sie bitten, dass sie das Heil erlangen mögen, so kehrt dennoch, weil sie nicht Buße tun, deshalb unser Friede zu uns zurück. Dazu sind die Gottlosen und die Betrüger in ihrer Betrügerei und Ungerechtigkeit nicht empfänglich für den [göttlichen] Segen. Darauf ist sorgfältig zu achten. Wir nun sind durch Gottes Bestimmung zu einer Stadt verbunden, auf dass wir, Einer für den Anderen, bei Gott Fürbitte tun mögen. Denn die Verbindung der Bürger zu einer Stadt ist nicht zufällig, sondern ist göttliche Anordnung, dass wir nicht gleich den Tieren hier und da zerstreut leben sollen. Gott aber hat es also verordnet, nicht, dass wir aus dieser Veranlassung nur Gelage feiern, sondern vielmehr, dass wir unter einander Gott erkennen lernen und Einer dem Anderen sowohl mit der Tat, als mit Gebeten beistehe. Und dass solche bürgerliche Verbindung eine göttliche Einrichtung ist, dafür spricht die Stimmung, welche bei zwei Bürgern herrscht, von denen Einer den Anderen in ferner Gegend antrifft; denn der Eine ist gegen den Anderen so gestimmt, wie ein Bruder gegen den anderen.
Was nun? Weil wir dazu verbunden sind, dass wir wechselweise für uns beten, so müssen wir danach trachten, dass wir auch für die gegenseitige Fürbitte empfänglich sind, denn der Eine bedarf des Gebets des Anderen. Der Apostel Paulus ward zum Paradies entrückt und ein auserwähltes Rüstzeug Gottes, und fühlt nichtsdestoweniger dennoch, dass er fremder Fürbitte bedürfe. „Ich ermahne euch, dass ihr mir helft kämpfen mit Beten für mich zu Gott“ (Röm. 15,30). So soll auch ein Bürger dem anderen mit Gebeten helfen. Der Eine hat diesen, der Andere jenen Lebensberuf. Der Eine ist oft auf Reisen, um seine Waren zu verkaufen, der Andere bleibt zu Hause, und ein Jeglicher bitte für den Anderen. Mir gestern, dir heute. Wer daheim bleibt, bitte für den Reisenden, wer auf der Reise ist, für die, welche zu Hause bleiben. Das ist der große Trost der Frommen. Siehe das Beispiel (2. Chron. 30,9): „So ihr euch bekehrt zu dem Herrn, so werden eure Brüder und Kinder Barmherzigkeit haben vor denen, die sie gefangen halten, dass sie wieder in dies Land kommen.“ So werden Bürger in der Fremde Barmherzigkeit finden, wenn die, so daheim bleiben, fromm sind und ein Jeglicher indessen also wandelt, dass er für solche Fürbitte empfänglich ist. Jer. 15,1: „Und wenn gleich Mose und Samuel vor mir stünden, so habe ich doch kein Herz zu diesem Volk.“ Denn wo die Bürger zu Hause ungerecht sind und unterwegs Andere betrügen, was könnte ihnen fremde Fürbitte frommen? Also, wer krank ist, wandele so, dass er der Fürbitte fähig ist; er wandelt aber fromm, wenn er noch als Gesunder Anderer Schaden mitempfindet und krank den Herrn mit der Gemeinde anruft. Das sei genug von der gegenseitigen Fürbitte.
Unser Herr und Heiland Jesus Christus aber, um dessentwillen unsere Gebete erhört werden, sei samt dem Vater und dem heiligen Geiste hochgelobt in Ewigkeit. Amen.