Brenz, Johannes - Katechismus oder Kinderpredigten - Die sechste Predigt. Auslegung der sechsten Bitte.

Nun habt ihr im zunächst Vorhergehenden gehört, wie wir in der fünften Bitte von Gott, dem Herrn, begehren, daß er uns geben wolle alles das, was uns unser lieber Herr, Jesus Christus, erworben hat durch sein bitteres Leiden und Sterben, und durch seine fröhliche Auferstehung, nämlich Vergebung der Sünden, gleich, wie wir auch vergeben denen, die wider uns gethan haben, wie wir denn im andern Hauptstück des Glaubens von der Erlösung gelernt haben.

Darum folgt nun darauf die sechste Bitte, darin wir bitten, daß er uns auch geben wolle alles das, was wir im dritten Hauptstück des Glaubens von der Heiligung gelernt und erkannt haben, nämlich daß er uns auch seinen heiligen Geist schicken wolle, der uns wider die Sünde, wider unser Fleisch, wider die Welt und wider den Teufel streiten helfe, auf daß wir aller Anfechtung und Versuchung Widerstand thun können. Sie lautet also:

Und führe uns nicht in Versuchung.

Auf daß ihr aber diese Bitte recht versteht, meine lieben Kindlein, so merkt mit Fleiß das. Wenn uns schon die Sünde vergeben ist durch Christum, so ist sie darum noch nicht hingenommen ober ausgereutet, sondern steckt noch in unseren Fleisch und ficht uns an, und wollte uns gern bewegen und überwinden, daß wir unrecht und wider Gottes Gebot thun sollten. Denn ihr habt ja aus den zehn Geboten gelernt, was Sünde und Unrecht ist, und daß ihr dasselbe nicht thun sollt; so habt ihr auch aus dem Glauben gelernt, daß uns Gott die Sünde vergibt und nicht mehr darum verdammt, wenn wir an Christum glauben; aber wir empfinden dennoch die Sünde. Daß sie uns noch anficht, das werdet ihr an euch selbst fein merken. Den, wenn euch euere Aeltern Etwas heißen, das ihr nicht gern thut, so ficht euch die Sünde an und werdet versucht, daß ihr Vater und Mutter ungehorsam sein sollt. Ihr sollt aber derselben Versuchung nicht folgen, sondern sollt Vater und Mutter gehorsam sein, wie Gott geboten hat. Desgleichen auch, wenn ihr seht, daß ein Anderer etwas Feines hat, das ihr auch gern haben wollt, so ficht euch die Sünde an, und versucht euch, daß ihr es ihm nehmen, oder darum betrügen oder ihm stehlen sollt. Ihr sollt aber derselben Versuchung auch nicht folgen, sondern sollt das Gebot Gottes halten, das da spricht: Du sollst nicht stehlen. Also werden wir auch in den andern Geboten angefochten und versucht, ob wir sie halten wollen oder nicht; wir sollen uns aber ernstlich wehren, daß wir nicht wider Gottes Gebote thun.

Wenn wir nun in der Anfechtung und Versuchung Widerstand thun und nicht folgen wollen, sondern wollen die Gebote Gottes halten, so ist von Nöthen, daß wir den heiligen Geist haben; denn ohne den heiligen Geist kann Niemand fromm und heilig sein; und darum heißt er auch der heilige Geist, daß er die Leute fromm, rein und heilig macht. Nun gibt aber Gott den heiligen Geist allen denen, die von Herzen an den Herrn Christum glauben. Dabei lehrt uns nun auch der heilige Paulus kennen, daß wir den heiligen Geist haben, wenn wir bekennen, daß Jesus Christus wahrlich unser Herr sei; denn er spricht 1 Cor. 12,3.: Niemand kann sprechen, Herr Jesu, ohne allein durch den heiligen Geist. Darum, meine lieben Kinder, glaubt von Herzen, daß Jesus Christus, wahrer Sohn Gottes, sei für euch gestorben, und wieder auferstanden, habe auch Vergebung der Sünde und das ewige Leben erworben, und sey euer Aller Herr, also, daß ihr gewiß bei ihm im ewigen Leben seyn, und ihm in der ewigen Seligkeit dienen werdet: so gibt er euch den heiligen Geist; derselbige macht dann euch heilig und hilft euch, daß ihr nicht in Versuchung geführt werdet, sondern fromm seyn könnt, wie ihr in den zehn Geboten gelernt habt.

Denn es geht nicht anders in diesem Leben zu, denn daß wir viel Anfechtung und Versuchung haben. Eine Weile ficht uns unser eigenes Fleisch an, eine Weile die böse Welt, eine Weile der Teufel selbst; und sind alle Anfechtungen dahin gerichtet, daß wir wider Gottes Gebote thun sollen. Nun müssen wir aber uns solcher Anfechtung in unserem Herzen erwehren, daß wir nicht uns recht thun; uns können uns doch nicht erwehren, es helfe uns denn Gott durch seinen heiligen Geist. Darum, wenn mir angefochten werden, daß wir unrecht thun sollen, so ist nichts Besseres, denn daß wir Gott fleißig um Hülfe bitten und sprechen: führe uns nicht in Versuchung; denn, wenn wir das thun, so erhört Gott unser Gebet, schickt uns seinen heiligen Geist und hilft uns, daß wir fromm bleiben.

Auf daß ihr aber, meine lieben Kindlein, solcher Anfechtung und Versuchung desto besser Widerstand thun lernt, so merkt mit Fleiß, daß die Anfechtungen und Versuchungen dreierlei sind. Die ersten Anfechtungen sind von unserem Fleisch; denn, wenn wir angefochten werden, zu thun, das unserem Fleisch wohlthut, und doch unrecht ist, als ehebrechen, Hurerei treiben, volltrinken und dergleichen; oder wenn wir angefochten werden, Etwas zu unterlassen, das dem Fleisch zuwider ist, und doch recht ist, wie wenn wir nicht gern leiden, oder nicht gerne Almosen geben, darum daß wir Sorge haben, es werde uns für unsere Hoffart und Pracht zerrinnen. Die andern Anfechtungen sind von der Welt, wie wenn uns böse Gesellschaft verführen will, daß wir unrecht thun sollen, oder wenn uns die Menschen mit Drohen, Zürnen und Verfolgen wehren wollen, daß wir nicht recht thun sollen; oder wenn sie uns zu Zorn, Neid und Haß reizen mit ihren bösen Lücken und Werken. Die dritten Anfechtungen sind von dem Teufel, wie wenn uns einfällt, daß wir unrecht thun sollen, und treibt uns doch weder unser Fleisch noch die Welt dazu, sondern es kommen die bösen Gedanken so schnell und unversehens daher geflogen, daß wir selbst nicht wissen, woher oder aus welchen Ursachen sie kommen. Solche bösen Gedanken sind gewiß vom Teufel; denn der Teufel ist ein Geist, den wir weder greifen noch sehen können, er aber kann uns böse Gedanken in unserem Herzen verursachen, daß wir nicht wissen, woher sie kommen; ja wenn uns unser Fleisch oder die Welt anficht, so kommt er auch dazu und stärkt dieselben Anfechtungen also, daß es uns sauer und schwer wird, daß wir uns der Anfechtung erwehren und nicht unrecht thun.

Diese Anfechtungen und Versuchungen alle mit einander, meine lieben Kinder, sind wider Gottes Gebot: darum lernt die Anfechtungen dabei kennen, wenn euch Etwas in euren Sinn und Gedanken kommt, daß ihr thun sollt wider Gottes Gebot, so ist es eine Anfechtung oder Versuchung; darum sollt ihr es nicht thun, sondern ihr sollt Gott bitten um Gnade und Hülfe, daß ihr euch desselben erwehren könnt.

Denn darin steht ein christliches, unsträfliches, heiliges Leben, daß wir, wie uns die Sünde durch Christum vergeben ist, uns auch wehren, daß wir keine Sünde mehr thun. Denn, was wäre das für ein wüstes, unchristliches Leben, wenn wir bekenneten, daß die Sünde unrecht ist, und bäten Gott, daß er uns die Sünde verzeihen wollte, und er thäte es auch, und wir wollten dennoch nicht aufhören zu sündigen.

Wir können es auch wohl thun, wenn wir nur recht glauben und ernstlich bitten. Denn im Glauben lernen wir, daß wir von uns selbst nicht heilig, fromm und rein sind, sondern Gott, der Heilige Geist, muß uns heilig, fromm und rein machen. Wenn wir nun das fest glauben, so sollen wir auch ernstlich darum bitten, nämlich also: lieber Herr, himmlischer Vater, führe uns nicht in Versuchung, so wird uns Gott erhören und in der Versuchung erhalten.

Denn das müssen wir in diesem Leben erwägen, daß wir keine Ruhe noch Frieden vor den Anfechtungen haben werden, sondern es wird immer eine nach der andern daher fallen; und wenn wir Eine überwunden haben, so wird eine andere da seyn, die noch grösser ist. Darum bitten wir nicht: lieber Herr, himmlischer Vater, laß uns keine Versuchung kommen, sondern wir bitten allein, daß er uns nicht darein führe.

Das heißt aber in Versuchung geführet, wenn Gott verhängt, daß die Anfechtung so stark wird, daß wir sie nicht überwinden können, sondern lassen uns den Teufel also betrügen und blenden, daß wir nichts, denn nur eitel Nutzen und Wollust, an der Sünde sehen; dagegen aber Gottes Zorn und Strafe gar nicht sehen, also daß wir uns bedünken lassen, es bedürfe keines Bedenkens mehr, sondern es sey schlechthin ohne alles Hintersichsehen zu thun, und willigen also in die Versuchung und in die Sünde. Das heißt denn in die Versuchung geführt, gleichwie wir sonst sprechen, „der hat mich in ein Unglück geführt“, daß ist, er hat gemacht, daß ich mich darein begeben habe. Auf daß wir aber ja in keine Versuchung geführt werden, so sollen wir Gott fleißig dafür bitten, wie uns Christus allhier gelehrt und befohlen hat.

Also seht ihr, meine lieben Kinder, wie es, eine Gestalt hat um unser zeitliches vergängliches Leben: es ist voll böser Anfechtungen; aber wir sollen solchen Anfechtungen nicht folgen, sondern ihnen Widerstand thun und fromm seyn; das können wir aber nicht, es mache uns denn der heilige Geist selbst heilig, fromm und rein.

Darum sollen wir Gott fleißig bitten, daß er uns seinen heiligen Geist geben wolle und uns heiligen lasse, daß mir aller bösen Anfechtung und Versuchung widerstehen, und seine heiligen, göttlichen Gebote halten können.

Das ist nun die Meinung und der einfältige rechte Verstand dieser sechsten Bitte, nämlich Gott versucht zwar Niemand, aber wir bitten in diesem Gebet, daß uns Gort wolle behüten und erhalten, auf daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Mißglauben, Verzweifeln oder andere grosse Schande und Laster; und ob wir damit angefochten werden, daß wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.

Darum meine lieben Kinder, merkt es mit Fleiß, und wenn man euch fragt: wie verstehst du die sechste Bitte: so sollt ihr antworten:

Gott versucht zwar Niemand, aber wir bitten in diesem Gebet, daß uns Gott wolle behüten und erhalten, auf daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Mißglauben, Verzweifeln oder andere grosse Schande und Laster; und ob wir damit angefochten werden, daß wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.