“Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“
Rein ist ein Herz, in welchem nur Gott lebt und alles Andere keine Bedeutung hat. Wo etwas Anderes mit das Herz einnimmt, da sind‘s Flecken, ist es Schmutz und Unreinigkeit, sei's Geiz, sei's Wollust, sei's Hochmuth, oder sonst etwas, das zum Tand der Welt gehört. Wenn etwas außer Gott das Herz eigentlich einnimmt und festhält, daß es neben Gott oder gar über Gott gesetzt wird, sofern es gegen Gottes Gebot schlaff macht, so ist es ein beschmutztes unreines Herz; und wer das hat, deutet der HErr an, der wird Gott nicht schauen. Wenn man daher auch mit solchen Herzen einen Lobgesang mitsingt, so ist es vor Gott und den Engeln im Himmel ein Geplärr und kein Gesang, wie der HErr bei dem Propheten Amos (5, 23) sagt: „Tue nur weg von Mir das Geplärr deiner Lieder; denn Ich mag deines Psalterspiels nicht hören.“ Denn nur, wenn der Lobgesang aus reinem Herzen, da alle Sinne und Kräfte des Menschen allein auf den HErrn gerichtet sind, kommt, gefällt‘s im Himmel, daß auch die Engel gleichsam mitsingen.
Uns gebe der HErr immer mehr zu forschen, wo noch Schmutz in unsern Herzen ist. Lernen wir alles Ihm unterwerfen, alles in Seiner Furcht haben und genießen, nach Seinem Wohlgefallen Ihm alles opfern, und frei und los sein von allen ungeordneten Begierden, so werden wir schon auf Erden Seiner Nähe inne werden; und was wird‘s vollends sein, wenn die Zeit der Vollendung kommt! Gott schauen! - damit ist viel gesagt! - was nur ein Mensch sich denken mag.
Mel. HErr JEsu, Gnadensonne.
Gott, wie ist mir zu Mute;
Ich weiß mein Herz nicht rein,
Ach, laß es in dem Blute
Des Lamms gereinigt sein,
Und flöße mir in Kämpfen,
Des Fleisches Lust zu dämpfen,
Des Geistes Kräfte ein.
“Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr Ihn bittet.“
Der liebe Heiland sagt in der Bergpredigt obige Worte; und Er will mit ihnen sagen, daß es unsererseits nicht so vieler Worte bedürfe, um den Vater im Himmel zu bewegen, daß Er uns helfe. Wir meinen oft, wir müßten es in die Länge und Breite wie ein Advokat vor dem lieben Gott darlegen, bis Er endlich überzeugt werde, es sei an der Zeit, daß Er uns helfe. Aber solche Advokatengebete gefallen Ihm nicht. Freilich kommt darauf viel an, daß man sich selbst alles dessen, was zur Sache gehört, bewußt werde; und so weit es zu unserer eigenen Verständigung, insbesondere Demütigung, nötig ist, darf und soll man' s überdenken, kann man’s auch etwa betend vor dem HErrn aussprechen. Aber meinen, Gott bedürfe es, daß man Ihm die Sache klar auseinandersetze, damit Er dann Seinen Spruch tun könne, wie ein Oberrichter, das ist verkehrt und hemmt die Kraft des Gebets. Denn jedenfalls weiß Gott alles ein wenig besser als wir; und auch das, was uns besonders angeht, versteht Er besser als wir. „Er weiß, was wir bedürfen, ehe wir Ihn bitten.“
Wir freilich wissen nicht immer recht, was wir bedürfen, und was uns Not tut; und da verlangt wohl Gott je und je einen bessern Ernst, ein besseres Nachdenken von uns bezüglich dessen, was wir bitten. Wenn man da etwa denkt: „Ich lasse eben Gott walten, der wird’s schon recht machen; ich hab's Ihm übergeben, und brauche weiter nicht zu sorgen und zu denken,“ so wäre das eine Leichtfertigkeit, bei welcher eine schnell und kurz vor Gott hingeworfene Bitte sicher keine Erhörung finden würde. Das hieße dumm in den Tag hineinleben; und so einfältig, wie die Tiere im Stall, will denn doch Gott uns nicht haben. Willst du's also recht machen, und wie es deiner und Gottes würdig ist, so mußt du, was du bitten willst, beständig, wie man sagt, auf dem Herzen tragen, damit dir alles einfällt, was dir einfallen sollte. Wenn wir nur immer zu unsrem Gebet den vollen Glaubenssinn mitbrächten!
Zusatz: Bedacht haben und wissen sollen wir freilich allerlei, wenn wir bitten. So solltest du wissen, ob das auch wirklich so ganz das Rechte ist, was du bittest, und ob's nicht am Ende umgekehrt oder anders viel besser für dich wäre, als du dir's denkst; du solltest ferner wissen, was etwa deiner Bitte entgegensteht, und was Gott an dir heimsuchen wollte oder könnte; du solltest einen Begriff davon bekommen, wie groß das ist, was du bittest, und da so ohne Weiteres von Gott verlangst; du solltest wissen deine Fehltritte, Versäumnisse, Unachtsamkeiten, mit denen du etwas übel gemacht hast, das nun Gott soll wieder gut machen; du solltest auch begreifen, wie ein geduldiges Warten nötig ist, weil sich Eins ums Andere erst machen muß, daß du nicht gleich denkst, Gott erhöre dich eben nicht; du solltest auch aufmerken, ob nicht schon da ist, was du willst, und du es nur vor Ungeduld und Aufgeregtheit nicht siehst. Das alles sollst du wissen, kannst du auch mit Gleichgesinnten besprechen, ferner durch das Wort Gottes, welches zur Hand nehmen du nicht versäumen sollst, dir aufdecken und deutlich machen lassen. Tust du aber das alles in der Gegenwart Gottes als vor Ihm, so hat es alles auch den Werth des Gebets vor Ihm. Kommst du aber dann schließlich an das eigentliche Gebet, die wirkliche Bitte, so mußt du ja nicht meinen, - das ist's, was der HErr in unsrem Spruch andeutet, - als ob es nötig wäre, jetzt alle deine Gedanken betend vor Ihm zu wiederholen, als wenn Er' s nicht wüßte, und du es Ihm nun sagen müßtest, damit Er's auch wisse. Dabei meint man oft auch, man müßte seine Stimme recht laut und beweglich machen, müßte gar aus allen Leibeskräften kämpfen und ringen mit Gott, bis Er erweicht werde, - und ach! wie verkehrt und Gottes unwürdig ist doch das alles! Lernen wir doch da kindlicher sein, wie es der HErr in unsrem Spruch fordert. Lernen wir es Ihm zutrauen, daß Er alles, auch jeden unserer Gedanken weiß, und daß Ihm die innerste Herzensrichtung genügt, um alles zu tun, was wir bedürfen, wenn wir’s nur einfach vor Ihm aussprechen. Denn die bittenden Kinder sind Ihm ja ohnehin immer die liebsten.
Mel. Wer nur den lieben Gott.
Gott kennt die rechten Freudenstunden,
Er weiß wohl, was uns nützlich sei.
Wenn Er uns nur hat treu erfunden,
Und merket keine Heuchelei,
So kommt Er, eh' wir's uns verseh'n,
Und lässet uns viel Gut's geschehe.
“So ihr den Menschen ihre Fehle vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wo ihr aber den Menschen ihre Fehle nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehle auch nicht vergeben.“
Der Spruch ist ein Anhang zum Vaterunser, oder eine Erklärung, warum in dem Letzteren bei der Bitte: „Vergib uns unsre Schulden“ der Beisatz gemacht wird: „wie wir vergeben unsern Schuldigern“. Bei allem Nichtvergeben setzen wir uns also der Gefahr aus, daß Gott uns nicht vergebe. Deswegen giebt uns der HErr aus wichtigem Grunde die Weisung, doch ja jedem seine Fehle zu vergeben, und keinen es fühlen zu lassen, daß wir's gegen ihn haben, wenn es nicht zu seiner Besserung, also aus Liebe, geschehen kann und oft muß. Was man nicht vergibt, legt man schon an und für sich gleichsam auf die Waagschale des Gerichts. Daher, daß mit dem Nichtvergeben in der Regel die Anwünschung eines göttlichen Gerichts, oder wenn Letzteres scheinbar erfolgt, eine Befriedigung und Schadenfreude verbunden ist. Man will's zwar damit oft ein wenig besser machen, daß man sagt: „Gott soll's dir verzeihen; aber ich kann dir's nicht verzeihen.“ So sagt der Mund, aber was denkt das Herz? Andere sagen: „Vergeben will ich's, aber vergessen kann ich's nicht.“ Merkst du denn, du harter Mensch, da nicht den Schalk in dir? - Genau genommen ist das Nichtvergeben das, bei dem auch von Gott nicht vergeben werden soll. Stärker ist's freilich, wenn man's ausdrücklich vor Gottes Gerichtsstuhl bringen will, oder wenn man an den gerechten Gott appelliert, der es heimsuchen, und nicht etwa nur die Unschuld dartun soll, wie Paulus es meint (1. Kor. 4,4.5), wenn er von Gott redet, der ihn, - nicht seine Ankläger richten und alles offenbar machen werde. Da sagen sie oft: „Drüben wollen wir's mit einander ausmachen.“ Aber merke: Wer dort andere gestraft wissen will, wird selbst am Kopf genommen.
Es greift da überhaupt alles wunderbar ineinander. Mit deinem Nichtvergeben hältst du auch, je nachdem sich's um etwas handelt, die Vergebung auf, die dein Beleidiger für sich von Gott erwartet. Denn es gilt in gewissem Sinne bei jedem Christen, wie bei denen, die das Amt haben, was der HErr sagt: „Welchen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten,“ oder: „Was ihr auf Erden bindet, soll auch im Himmel gebunden sein“. Dein Beleidiger kann also unter Umständen wirklich durch dein Nichtvergeben im Gericht Gottes hangen bleiben, gleichwie ihm viel leichter Gnade und Vergebung von Gott zukommen kann, wenn du vergeben hast nach dem Wort: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen“ (Joh. 20,23). So lange wir innerlich uns so beleidigt und gekränkt fühlen, kann Gott dem Beleidiger nicht in gewünschter Weise seine Schuld vergeben; und so kannst du Ursache werden zu schweren Züchtigungen, die über deinen Beleidiger kommen, wenigstens vorübergehend. Wird dir's wohl dabei sein? Überleget's! Wie viel hängt nicht dran, daß wir vergeben lernen! Gott helfe uns dazu und beuge unsre harte Herzen!
Mel. Mein's Herzens JEsu.
Wir haben alle Gottes Gnad'
In Einem HErrn zu finden;
Ein Born im heil'gen Wasserbad
Macht rein uns von den Sünden;
Ein Leib und Blut uns alle speist:
Wie sollte nicht Ein Herz und Geist
Uns allesamt verbinden?
“Ihr sollt nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allem trachten die Heiden.“
Es ist freilich etwas Schweres, in Armuth und Dürftigkeit, namentlich in schwereren Zeiten, wie in der Kriegs- und der Hungersnot, von aller peinlichen Sorge sich frei zu erhalten. Um so wichtiger aber ist es auch, eben da durch Geduld, durch Ergebung, durch ruhiges Harren, durch Vertrauen, es zu bewähren, daß man kein Heide sei, d. h. daß man einen Gott habe, auf den man hoffen dürfe. Mit vielem Klagen und Jammern, mit Herumtappen nach allem Möglichen, mit mancherlei ungeschickten Versuchen, sich irgendwie zu helfen, da es nach dem Grundsatz geht: „Helfe, was mag!“ - oder: „Was tut man nicht, wenn man in der Not ist?“ - mit dem allem zeigt man, daß man in keiner Gemeinschaft mit Gott stehe, von Ihm ferne, und also im Grund ein Heide sei. Denn hat uns Gott einmal gewürdigt, uns zu begegnen, sich uns kund zu tun, uns den Weg zum Leben zu weisen, uns zur Herrlichkeit zu bestimmen, uns Seine rechten Kinder zu heißen, so sollten wir's uns denken können, daß Gott solche Kinder nicht so schnell im Elend verderben, oder gar verhungern lasse. Es ist auch wunderbar, welche große Erfahrungen der machen darf, der den wirklichen Glauben und das feste Vertragen behält, Gott lasse ihn nicht in der Not. Der Glaube zieht ganz von selbst wie mit Gewalt den lebendigen Gott zu sich her, daß es nie eigentlich fehlen darf.
Wenn dagegen Zaghaftigkeit kommt, Murren gegen Gott, oder gar Verzweiflung, da kann es wohl geschehen, daß der liebe Gott einen solchen Menschen fallen läßt. Deswegen haben oft auch gläubige Christen, wie man sie nennt, ohne daß sie's im Grunde sind, wenn Mangel oder Sorge kommt, des Jammers und Leids kein Ende; denn es ist mehr Klagen als Beten, mehr Verzagen als Glauben da, - und da stellt sich Gott ferne. Ihnen geht’s wie einem Petrus, der auf dem Meer gehen kann, so lange er glaubt, aber alsbald untersinkt, wenn sein Glaube nachläßt. Doch ist es gut, wenn der Verzagte beim Untersinken die Hand des HErrn noch zu ergreifen weiß, sofern er nemlich, wenn's auf's Äußerste kommen will, sich zusammennimmt, und mit gläubigem Ernst Gott wieder anrufen lernt. Denn so errettet Gott auch zaghafte Leute oft und viel, weil Er nicht so schnell gar fallen läßt, und Sein Mitleiden bald wieder angeregt ist, zu helfen und als einen Versorger Sich zu zeigen. Wenn aber das störrische, mürrische, unzufriedene Wesen unverändert fortdauert, so mag's wohl geschehen, daß Gott endlich in die Tiefe sinken läßt, wie man's zum Schrecken oft erfahren kann.
Wollen wir uns denn nicht bei etwaigem Mangel als Heiden geberden, die keine Erfahrung der Liebe Gottes gemacht haben, sondern als Seine Auserwählten, die dessen gewiß sind, daß Er sie zu sich führen und Seiner Zeit zu Erben aller Seiner himmlischen Herrlichkeit machen will, und daß Er darum es ihnen hienieden unmöglich je an Speise und Kleidung fehlen lassen kann, wenn's auch aufs Äußerste zu kommen scheint.
Mel. Himmelan, nur himmelan.
Sieh', des HErren Auge schaut,
Die Ihn fürchten, an;
Wer auf Seine Güte traut,
Es erfahren kann,
Daß von dem Tod
Ihre Seele Er befreit,
Und sie auch in Hungerszeit
Ernährt ihr Gott. (nach Ps. 33,18.19.)
“Herr, ich bin nicht werth, daß Du unter mein Dach gehest.“ Matth. 8, 8.
Das paßt gut zu dem vorher Gesagten. Gott will bei uns einkehren; und wir staunen. Wie ist das möglich? „Ich bin's nicht wert,“ müssen auch wir sagen, „daß Du bei mir einkehrest.“ Dort sagt's ein Heide, dessen Knecht krank war, und in dessen Haus des Kranken wegen der HErr gehen wollte. Weil aber einem Juden das Haus eines Heiden für unrein galt, so wollte dieser Heide dem HErrn das nicht zumuthen, daß Er sich nach jüdischen Begriffen auf einen Tag verunreinige, indem Er zu ihm in's Haus gehe. „HErr,“ sagt er, „ich bin's nicht wert! Das kann ich Dir nicht zumuthen; ich gehöre nicht zu den Geheiligten Deines Volkes.“ Als Römer, hätte er denken können, sei er's wohl wert; aber der Römer ist jetzt bei diesem Hauptmann ganz vergessen. Er stellt sich vor das Angesicht Gottes; und da merkt er nach allen Beziehungen, daß er der Mensch nicht sei, daß so ein Heiliger, Gottgesandter, Gottes Sohn, der JEsus war, in seine Hütte hineinkomme.
Diese Gesinnung des Hauptmanns ist gerade die, bei welcher der HErr am Meisten an uns tun kann. Wenn wir uns aller Dinge unwert achten, kommt der Heiland am Liebsten zu uns. Wenn wir aber gleichsam drauf warten, daß Er zu uns komme, uns helfe, wenn wir bitten, weil wir es seien, da läßt Er uns ordentlich warten, oder geht Er gar an uns vorüber. Seine Freundlichkeit und Hilfe wird immer der am ehesten erfahren, der sich herunterschätzt und denkt, er sei's nicht wert. Warum das? fragst du. Darum, weil ein Solcher in der Wahrheit steht. Wer aber denkt: „Ich bin’s wert!“ der steht in der Lüge; und Gott ist ein Gott der Wahrheit, und nicht der Lüge, will unser Gott sein in der Wahrheit. Was kostet's doch, bis ein Mensch so weit kommt, Gott gegenüber, nach Umständen auch Menschen gegenüber, sich jeder Ehre und Liebe unwert zu achten? Am Schlimmsten ist's, wenn man auf sein Christentum pocht, und meint, der liebe Gott müsse nur gleich alle Thüren aufmachen, wenn so ein gläubiger Bruder kommt und bittet. Kein Wunder, daß der HErr scheint so langsam mit Seinen Gnadenbezeigungen zu sein, da Er nur bei Wenigen die Sinnesniedrigkeit findet, welche vor Ihm allein angemessen ist. Ein Fremder, ein Heide, ein Sogenanntes Weltkind, wie da der Hauptmann, triffts oft besser, wie auch der HErr da sagt. „Wahrlich, einen solchen Glauben habe Ich in Israel nicht funden.“ Der HErr gebe, daß wir den Weg unserer Vereinigung mit Gott in der Armuth und Demuth suchen. „Den Demütigen giebt Gott Gnade.“
Mel. O Gott, du frommer Gott.
Hinab, mein Herz, hinab,
So wird Gott in dir wohnen.
Die Demuth lohnet Er
Mit goldenen Himmelskronen.
Im Demuthsthale liegt
Des heil'gen Geistes Gab'.
O wohl dem, der sie sucht!
Darum, mein Herz, hinab.
“Eure Haare aus dem Haupte sind alle gezählet; darum fürchtet euch nicht.“
Die Haare sind gezählet; aber ein Mensch hat sie noch nie zu zählen vermocht. Wenn einer anfinge, sie zu zählen, könnte er Jahre lang fortmachen; und wenn er endlich alle gezählt hätte, hätte er die Zahl doch nicht getroffen. Also ein Mensch kann sie nicht zählen; aber Gott hat sie gezählt. Oder solltest du das Ihm nicht zutrauen können? Wenn nicht, so ist dir Gott kein Gott, und lebst du ohne Gott. Schon aus dem Gesagten aber geht hervor, daß wir von tausend nicht eins wissen, was wir bedürfen; Er aber weiß das. Ja noch mehr: Der Mensch macht sich nichts daraus, ein Härchen mehr oder weniger zu haben; und doch hat Gott alle Haare gezählt. Beim lieben Gott sind unsre kleinsten Umstände, die kleinsten Dinge, die uns betreffen, nicht unwichtig - sonst hätte er die Haare nicht gezählt. Uns sind sie oft ganz unwichtig, - und wer wird Recht haben? Daraus sehen wir, was für einen sorgsamen Vater im Himmel wir haben, der Millionen Mal besser zu sorgen versteht und sorgt, als wir. Wir meinen oft, Er hätte uns vergessen; und der Tat nach hat Er nicht einmal ein Härchen an uns vergessen. Darum fürchtet euch nicht, sorget nicht, klaget nicht, denket euch nicht verlassen und einsam, - der Vater im Himmel weiß alles und sorget für alles.
Mel. O du Liebe meiner.
Liebe Seelen, traut beständig
Eurem ewig treuen Hort!
Er ist Gott und ist lebendig,
Bleibt auch nah an jedem Ort.
Ist euch irgend Hilfe nötig,
Klopft nur an, Er ist zu Haus
Und zu jeder Hilf' erbötig;
Schüttet euer Herz nur aus.
“Wenn Jemand das Wort vom Reiche höret und nicht verstehet, so kommt der Arge und reißt es hin, was da gesäet ist in sein Herz; und der ist es, der an dem Weg gesäet ist.“
Das Wort wegzunehmen, ist der Arge bemüht. Wir müssen das neutestamentlich nehmen. Es ist das Wort von der Versöhnung, das Wort vom Kreuz, von Christo dem Gekreuzigten, das Wort von der großen Gottesgnade, die Er mitzuteilen bereit ist, das Wort von Seiner großen Sorgsamkeit, mit der Er uns in Seine Hände gezeichnet hat, - das alles ist das Wort vom Reiche, das wir hören und beherzigen sollten. Manche hören's nun wohl, aber verstehen's nicht, oder wollen's nicht verstehen. Weil's denn da so locker oben auf liegt, kommt der Arge und reißt es weg, daß es ihnen auch aus dem Gedächtnis verschwindet, oder von ihnen als bedeutungslos in den Winkel geworfen wird. Daher giebt es immer so viele Leute, die das Wort von der Versöhnung, obwohl sie's hören, nicht glauben können, der Teufel hat's ihnen weggenommen. Sie sagen, wenn vernünftelnd und grübelnd: „In diese Lehre kann ich mich nicht finden,“ - oder wenn besser, aber vom Gewissen beunruhigt: „Jedermann gilt's, nur mir nicht,“ - oder, wenn in noch größerer Anfechtung: „Ich habe die Sünde wider den heiligen Geist begangen, kann also keine Vergebung mehr finden.“ Diesen allen hat’s der Feind genommen, weil sie sich das Verständnis nicht angelegen sein lassen.
Weil das Verständnis fehlt, kann der Feind hin, und auch den Glauben nehmen, durch welchen ja allein dem Menschen geholfen wird. Der Arge will nicht, daß der Mensch es glaube, daß Gott ihm gnädig sei. Darum, wer du auch seiest, der mit solchen Gedanken des Mißtrauens gegen Gott und den Heiland geplagt ist, denke nur gleich, der Arge habe dir das Beste weggenommen, weil du's nicht wert genug gehalten hast, - denke aber dazu, daß dir's wieder zurückgegeben werden kann, wenn du's verlangst. Laß dir's sagen, es festzuhalten und zu denken: „Ich bin doch in Seine Hände gezeichnet; wenn ich auch jetzt bin wie eine verstörte Stadt, so sind auch diese Mauern immerdar vor Ihm, daß Er sie wieder aufrichte, daß Er mein Herz wieder tröste, und mir's gebe, mich ganz unter Seiner Gnade stehend zu denken.“ Wenn's der Teufel auch fort hat, so wird dir's ja wieder gepredigt; und hörst du's wieder und vielleicht mit besonderen Eindrücken. So hebe es mit Nachdenken darüber fest, bis du einiges Verständnis bekommst; dann kann dir's der Teufel nicht mehr nehmen.
Ach, daß der HErr uns so stellete, daß uns der Arge nichts mehr wegnehmen kann! Wenn wir's freilich nur so obenhin hören, und des Nachdenkens nicht wert achten, dann kann’s der nächste Windhauch stets wieder fortnehmen. Lernen wir daher mit ganzem Gemüt hören, daß es eindringt und der Gier des Bösewichts nicht mehr blos liegt. Wir harren einer neuen Gnade des heiligen Geistes, durch welche die einfältigen Menschen dazu kommen mögen, es besser zu machen.
Mel. Wer nur den lieben.
Dieß laß ich kein Geschöpf mir rauben,
Dieß soll mein einig Rühmen sein;
Auf dieß Erbarmen will ich glauben,
Auf dieses bet' ich auch allein.
Auf dieses duld' ich in der Not,
Auf dieses hoff' ich noch im Tod.
“O Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst.“
Der Glaube des Weibes, der Kananiterin, ist um so größer, weil sie eigentlich noch kein Recht hatte, zu glauben; denn das Recht, zu glauben, gehörte damals nur den Israeliten. Das Recht nemlich, zu glauben, daß der Heiland durch alles hindurch helfen werde, und helfen dürfe, konnte damals nur ein Israelite, weil's zunächst nur diesem, nicht den Heiden, verheißen war, festhalten. Deßwegen sagte auch Anfangs der HErr zu Seinen Jüngern (Matth. 10, 5. 6): „Gehet nicht auf der Heiden Straßen, und ziehet nicht in der Samariter Städte; sondern gehet hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ Jenes Weib aber hat über das Gesetzte hinaus geglaubt, und gedacht, von dem Segen, den Israel habe, möchte wohl auch etwas abfallen dürfen auf einen Heiden, sagte daher zutraulich: „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Weil sie’s also wagte, obwohl keine Israelitin, aber doch im Herzen mit Ansprüchen an die Güte und Barmherzigkeit Gottes, die sie etwa als Mensch und als Geschöpf Gottes machen durfte, den HErrn JEsum um Hilfe zu bitten und Hilfe von Ihm zu hoffen, darum nennt der HErr ihren Glauben groß. Ob sie nun ein Recht zu solchem Glauben hatte oder nicht, ob es an der Zeit war, daß Heiden dasselbe werde, was den Israeliten, oder nicht, das war jetzt einerlei, - solchem Glauben mußte vom HErrn entsprochen werden; es durfte und sollte geschehen, wie sie wollte.
Darum, wenn je und je der Muth uns entfallen will, als ob wir nicht das Recht hätten, ferner zu glauben, laßt uns nur an die Kananiterin denken. Glauben wir nur. Der Glaube selbst giebt auch wieder das Recht, zu glauben. Seien wir, wer wir wollen, glauben wir nur und verzagen wir nicht; Niemanden wird der Heiland hinausstoßen. Wenn noch so viel dagegen spräche, so daß man zu dir sagen möchte: „Bleib nur du weg! dein Kommen ist doch umsonst! du hast nichts da verloren,“ wie es uns wohl innerlich werden kann, - glaube nur, und laß dich nicht fortschicken, weder von harten Menschen, noch vom eigenen Gewissen und Sturm im Inneren. Laß dich nicht abweisen, und stehe fest hin; - wer glaubt, der hat's, sei er, wer er wolle. So helfe uns denn der HErr mit ganzem Vertrauen Ihm anhangen. Denn so viel ist gewiß, - jetzt haben alle das Recht, nicht nur die, die bis jetzt noch ferne gestanden, sondern auch die, die nahe geworden und wieder gefallen sind, - sie haben alle das Recht, im Glauben zu kommen und zu bitten. „Kommet her!“ tönt's zu allen; und Keines darf denken, es komme, wenn es komme, ungerufen. Wir sind gerufen, und lassen's uns nicht nehmen, zu kommen und zu bitten in allerlei Not. Damit wird uns geholfen, wenn auch nicht immer in leiblicher Hinsicht, wie hier der Tochter des Weibs, doch so, daß zuletzt der ganze Mensch zu seiner vollkommenen Ruhe kommen darf.
Mel. Allein Gott in der
Ist auch mein Glaub' ein Senfkorn klein,
So daß ich ihn kaum merke,
Wollst Du doch in mir mächtig seyn,
Daß Deine Gnad' mich stärke,
Die das zerstoßene Rohr nicht bricht,
Und auch das Docht, das glimmet, nicht
Auslöschet in den Schwachen.
„Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des HErrn! Hosianna in der Höhe!“
So haben die Leute gerufen, die mit Jesus aus Galiläa gekommen waren, da Er Seinen letzten Besuch in Jerusalem machte. Am ersten Tage zog Er auf einer Eselin reitend in die Stadt ein. Da kam es unwillkürlich an die Leute, ihrerseits es recht öffentlich kundwerden zu lassen, daß sie in dem Kommenden den Heiland der Welt erblickten. Es war ganz ihre Tat; und der HErr konnte sich's um so mehr gefallen lassen, da es Ihm nicht mehr schaden konnte; denn Sein Ende war ohnehin nahe. Sie bezeugten es nun zu Tausenden, wie wenn sie sagen wollten: „Das ist Der, den wir erwarteten, auf den längst ganz Israel wartet!“ Darum nennen sie Ihn den Sohn Davids, den, der im Namen des HErrn komme, und lobsingen Ihm und Gott.
Es war das freilich eine vorübergehende Begeisterung des Volkes, wie das oft vorkommen kann. Indessen hofften sie, sie würden Anklang finden bei der ganzen Bevölkerung Jerusalems. Es durchzuckte auch gewaltig die ganze Stadt, und jedermann sah nach und erkundigte sich. Aber doch trat den Begeisterten Kälte entgegen; denn die Obersten murrten, schalten, hießen die Rufenden stille sein. So wurde gleichsam kaltes Wasser über sie hingeschüttet - und in der Folge wurde an das Ganze gar nicht mehr gedacht. Es war eben doch noch nicht die Zeit des Triumphs. In vieler Herzen hinein war's wohl ein aufflackerndes Licht; aber eine tiefe Nacht folgte. Denn ein paar Tage darauf hing der HErr, der König der Juden, wie es Pilatus anheftete, am Kreuz.
Erschollen aber war einmal der Hosiannaruf, und ganz verstummt ist er seitdem nicht mehr. Schon bei der Auferstehung des HErrn vernahm man den Nachklang, dann bei der Ausgießung des Heiligen Geistes und bei den raschen Bekehrungen von Tausenden, die nachfolgten.
Aber langsam muß sich der König Sein Reich erobern; und so bleibt der Hosiannaruf immer nur bei kleineren Kreisen. Auch wir nehmen ihn immer wieder gerne auf, mitten unter den Ängsten, in denen wir noch schweben.
Er wird aber immer größere Bedeutung bekommen durch alle Welt hindurch, wenn die Zeit da ist, da der HErr - wie wir erwarten dürfen - wieder durch Boten, die in der Vollkraft des Heiligen Geistes stehen, mit Macht Seine Stimme erschallen läßt unter allen Völkern.
Wie groß aber wird doch noch einmal Angst und Not und Anfechtung werden, bevor der HErr mit dem gültigen Hosiannaruf vom Himmel herabkommen wird! Dann aber wird alle Welt jauchzen, und Seine Gläubigen werden dem Kommenden zum letzten Male entgegenrufen: „Komm, 0 komm, HErr Jesu!“
„Und alle Kreatur, die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und im Meer und alles, was darinnen ist, wird sagen zu Dem, der auf dem Stuhl sitzet und zu dem Lamm: Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Off. 5)
“Kommet her und sehet die Stätte, da der HErr gelegen hat.“
„Kommet her, und sehet die Stätte,“ das sagt der Engel. In jener Gnadenzeit waren die Engel oft sichtbar. Die Engel, die auch uns zur Unterstützung und Hilfe gegeben sind, konnte man damals je und je sehen. Wir sehen sie vor der Hand nicht. Damals stand man auch in der Einfalt; und wenn so ein Engel kam, so machte man keinen Lärm damit, sondern man tat, wie wenn's so seyn müßte, wie wenn nur eben ein Freund gekommen wäre. Wenn jetzt jemanden ein Engel erschiene, welch einen Lärm würde der davon machen. Deswegen kommt auch Keiner, weil wir sind, wie wir sind, und nicht in der Einfalt und Unbefangenheit die Gnaden Gottes hinnehmen können. So ist's auch mit andern Gnadenerweisungen Gottes. Da können die Leute kommen und sagen, wenn der liebe Gott das täte oder jenes täte, an Kranken, bei denen sie ein Wunder erwarten, das würde Aufsehen und Eindruck machen, da würden die und die alle glauben. Aber gerade deswegen geschieht nicht, was sie wollen. Wer es von vornherein darauf absieht, ein rechtes Geschrei zu machen, der kann warten, bis sich Gott ihm zu lieb hergibt. Der Heiland will kein Geschrei, sondern Einfalt, Ruhe und Kindlichkeit, dabei man zwar wohl Gott die Ehre giebt bei redlichen Leuten, aber nicht auf den Kirchturm hinaufsteigt, um es von da herunterzuposaunen. Letzteres paßt um so weniger in unsere Zeit, da man die Leute allerwärts noch so unvorbereitet sieht. Wenn wir freilich lernen würden kindlich seyn, so würden wir viel mehr auch sichtbare Beweise von himmlischen Kräften kommen sehen; so aber müssen wir uns mit der Unsichtbarkeit und Unscheinbarkeit begnügen.
Nun, damals hat's geheißen aus dem Munde des Engels: „Kommet her und sehet die Stätte, da der HErr gelegen hat, aber nicht mehr liegt; Er ist auferstanden.“ Gesehen haben sie Ihn noch nicht; aber das sehen sie, daß kein Toter da liegt; und wie viel war ihnen damit geschenkt! Wir freuen uns auch des heute noch, und halten das fest in unsern Anfechtungen, daß Er wohl im Grabe lag, aber nicht mehr drin liegt, sondern auferstanden ist. So geht auch bei uns alles Traurige vorüber. Dieses schließt mit der Herrlichkeit droben im Himmel bei Christo. Harren wir in Geduld, bis es kommt.
Mel. JEsu, meine Freude.
Darum mir nicht grauet,
Wenn mein Geist anschauet,
Daß ich in das Grad
Meine müden Glieder
Werde legen nieder.
Weil ich dieses hab':
Daß mein Hort
Mir diesen Ort
Selbst mit Seinem Leibe weihe,
Daß ich ihn nicht scheue.