Joh. 11, 45-53. 12, 9-11.
„Viele nun der Juden, die zu Maria kommen waren, und sahen, was Jesus tat, glaubten an Ihn. Etliche aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern, und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer einen Rat, und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir Ihn also, so werden sie Alle an Ihn glauben. So kommen denn die Römer, und nehmen uns Land und Leute. Einer aber unter ihnen, Caiphas, der desselbigen Jahres Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts, bedenkt auch nichts. Es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn dass das ganze Volk verderbe. Solches aber redete er nicht von sich selbst; sondern, dieweil er desselbigen Jahres Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk. Und nicht für das Volk alleine; sondern dass er die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammen brächte. Von dem Tage an ratschlugen sie, wie sie ihn töteten. Da erfuhr viel Volks der Juden, dass Er daselbst war; und kamen, nicht um Jesus willen allein, sondern dass sie auch Lazarum sähen, welchen Er von den Toten erweckt hatte. Aber die Hohenpriester trachteten danach, dass sie auch Lazarum töteten. Denn um seinetwillen gingen viele Juden hin, und glaubten an Jesum.
„Jesus Christus ist gesetzt zu einem Fall, und Auferstehen Vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Diesen prophetischen Scharfblick tat schon der alte Gotterleuchtete Simeon in den Lebensgang des himmlischen Säuglings, den er in seinen Armen hielt, und voll heiliger Entzückung an sein Herz drückte. (Luk. 2, 34.) Und was er schon bei dem ersten Eintritt Jesu in die Welt, in seiner Geschichte erblickte, ward bis ans Ende seiner Erdentage, ja noch mehr, bis auf unsere späten Zeiten herab an Ihm auf das genaueste erfüllt. Die Lehren und Taten Jesu haben von jeher die entgegengesetztesten Wirkungen in den Gemütern der Menschen hervorgebracht. Den Einen war Er ein Geruch des Lebens zum Leben, den Andern ein Geruch des Todes zum Tode. Was Diesem göttliche Kraft und göttliche Weisheit war, war Jenem Ärgernis und Torheit. Woran Dieser die köstlichste Nahrung für die heiligsten Bedürfnisse seines Geistes und Herzens fand, davon wandte sich Jener verachtend hinweg. Was dem Einen die erwünschteste Ruhe brachte, jagte den Andern in immer größere Unruhe hinein. Was der Eine als den köstlichsten Schatz hochpries, und oft mit dem Verlust seines eigenen Lebens erkaufte, war Vielen ein Gegenstand des bittersten Hasses und der heftigsten Verfolgung. Von der Wahrheit dieser entgegengesetzten Wirkungen zeugt die ganze Geschichte Jesu und seines Christentums bis auf diese Stunde zu laut, als dass sie geleugnet werden könnte. Auch ist die große Verschiedenheit dieser Wirkungen sogleich begreiflich, wenn wir auf die Natur des Christentums und die verschiedenen Gemütsbeschaffenheiten der Menschen unser Augenmerk hinrichten. So wie dieselbe Arznei dem einen Kranken seine Wiedergenesung, dem Andern den Tod bringen kann; wie die Sonne das Wachs schmelzt, und das Erdreich austrocknet, dem gesunden Auge ein wohltätiges Licht bereitet, und das Kranke verschließt - so ist Jesus Christus in seinen Lehren und Taten dem Geiste und Herzen des einen Menschen Licht, Leben, Seligkeit, und dem Andern Anlass zum Fall und ewigen Unglück. So wie die Religion Jesu den Menschen findet, so wirkt sie auch auf ihn. Wem die Wahrheit über Alles teuer und wert ist, wer göttliches Licht für seinen Verstand, und himmlische Ruhe für sein Herz sucht, und redlich genug ist, es sich zu gestehen, dass er dieses Licht weder in seiner eigenen Vernunft noch in irgend einem menschlichen Weisheits-Systeme finden könne - dem ist die Nachricht von Jesu Christo, so wie er sie unverfälscht in seiner lieben Bibel findet, die erwünschteste Freuden-Botschaft, an der er sich aufrichtet, und durch welche er in das ewige Leben eindringt. Wem aber Irrtum und Finsternis lieber ist, als Wahrheit, weil Irrtum und Finsternis seine sündhaften Begierden und Triebe begünstigen; wer sich nicht entschließen kann, auf dem schmalen Pfade der Gottesfurcht und des Glaubens das ewige Heil seiner unsterblichen Seele zu suchen; wer mit sich selbst ganz zufrieden ist, und keines Erlösers zu bedürfen glaubt - wie kann dieser es gut mit Jesus meinen? Sind ihm nicht ganz natürlich die Behauptungen Jesu von sich ein hassenswertes Ärgernis, und seine Forderungen an den Menschen eine lächerliche Torheit? - Wird er nicht bei einem solchen Sinn die Wahrheiten des Evangeliums verwerfen, und bald auf eine feinere, bald auf eine gröbere Art seine Abneigung und Feindschaft gegen Jesum zu erkennen geben müssen? Dies beweist die ganze Lebensgeschichte Jesu, und selbst die göttlichste Wundertat, welche Jesus in Bethanien vor den Augen vieler Zuschauer verrichtete. Ganz anders wirkte sie auf seine Jünger, auf Lazarus, Maria, Martha, und einige redliche Juden, als auf den übrigen Haufen der Zuschauer und den hohen Rat zu Jerusalem. Die Verschiedenheit dieser Wirkungen der Auferweckung Lazari wollen wir in dem Beschluss der lehrreichen Geschichte, welche uns Johannes bisher erzählt hat, aufsuchen, und das Lehrreiche, das in dieser Wahrnehmung für uns liegt, herausheben.
Ganz vorzüglich war die herrliche Wundertat, welche Jesus soeben an dem Grabe seines Freundes Lazarus verrichtet hatte, auf seine geliebten Jünger berechnet. Die Stunde war nun herbeigekommen, wo sie in Gefahr waren, durch die ihnen höchst unerwarteten und traurigen Schicksale, welche ihnen bevorstanden, sich an Jesu zu ärgern, und an seiner Person irre zu werden. Über dies konnte Er nur noch ein paar Tage als ihr göttlicher Meister in ihrer Mitte bleiben - Er sollte sie nach dem Ratschluss des Vaters nun bald verlassen, und den Himmel einnehmen. Und noch war ihr Glaube an Ihn und die Göttlichkeit seiner Person nicht fest genug gegründet; ungeachtet der vielen Wunder, welche Er vor ihren Augen nunmehr drei Jahre lang verrichtet hatte, war es doch bald geschehen, dass sie in ihrer Überzeugung an seine göttliche Messias-Würde wankend gemacht werden konnten. Dennoch sollten sie nach seiner Entfernung von dieser Erde seine Zeugen sein, und unter allen Völkern die heilsame Lehre von der Göttlichkeit seiner Person, seiner Lehren und Taten verkündigen, und unter allen Leiden und Verfolgungen bei ihrem Apostelberufe standhaft bis ans Ende ausharren. Darum sollten sie zuvor die gegenwärtigsten Zuschauer und Zeugen der herrlichen Wundertat in Bethanien sein, wodurch Jesus der Göttlichkeit seiner Person und seiner Lehre ein neues unwidersprechliches Siegel aufdrückte. Ihr Glaube an Ihn sollte durch den Anblick dieser außerordentlichen Begebenheit, dergleichen sie noch keine ähnliche von Ihm gesehen hatten, eine noch festere Grundlage erhalten, um in der Stunde der Anfechtung desto gewisser mit standhafter Treue auszuharren, und mit unerschütterlicher Überzeugung Jesum als den von Gott verheißenen wahrhaften Christum Christum der Welt zu verkündigen. So treulich sorgte ihr göttlicher Meister für die Festigkeit ihrer Überzeugung und die Beharrlichkeit ihres Glaubens, ehe Er sie in schwere Glaubensproben hineinführte. So handelte Er gegen seine Jünger, und so handelt Er noch jetzt gegen Alle, welche Ihm angehören. Noch ehe Er ihnen eine Last auflegt, erquickt Er sie zuvor mit seinem göttlichen Troste; ehe eine Stunde prüfender Anfechtung hereinbricht, hat Er schon ihrem Glauben die nötige Stärkung bereitet, um standhaft in derselben beharren zu können. Fließen deinem Herzen nicht bisweilen ausgezeichnete Stärkungen zu, Jünger Jesu, die du nicht absichtlich suchtest? Macht nicht oft eine Begebenheit einen besonders starken und höchst wohltätigen Eindruck auf dein Herz, ohne dass du hiervon Rechenschaft geben kannst? Wird dir nicht bisweilen ein Wort Gottes mit einem Mal klar und lebendig im Herzen, das du zuvor nicht also genossen hast? - Bewahre diese Eindrücke in deinem Herzen, denn sie sind Vorbereitungen auf das Zukünftige. Nichts gibt dir Gott umsonst und absichtslos, nichts zur Unzeit. Er gibt dir immer Etwas, was du entweder gerade jetzt, oder vielleicht in der nächsten Zukunft notwendig brauchst. Er stärkt deinen Glauben zuvor, ehe Er ihn eine neue Probe durchkämpfen lässt; Er teilt dir voraus die nötige Kraft mit, um das geduldig zu tragen, was Er dir auflegen will. So liebreich und väterlich handelt Er gegen die Seinigen. Er will nicht ernten, wo Er nicht gesät hat, und nicht einsammeln, wo Er nicht ausgestreut hat. Aber bewahre diese wohltätigen Eindrücke in deinem Herzen, damit du dich in der Stunde der Anfechtung daran halten, und den Sieg der standhaften Treue davon tragen mögest.
Von den wonnevollen Empfindungen, welche diese außerordentliche Wundertat in den Gemütern der beiden frommen Schwestern hervorgebracht hat, schweigt abermals die evangelische Geschichte. Sie schweigt, um uns einen angenehmen Stoff zum eigenen Nachdenken und Mitempfinden zu überlassen. Gewiss - sie fielen mit entzücktem Dankgefühl ihrem göttlichen Freunde zu Füßen, und beteten Ihn an. Ein neues herrliches Licht ging ihnen mit der wundervollen Auferweckung ihres Bruders über seine wahre Messias-Würde auf. Ein Freund, der also helfen und also lieben kann, war ihnen Alles in Allem geworden. Ihr Glaube an seine himmlische Königs-Würde hatte nunmehr die unerschütterlichste Grundlage erhalten, die ihnen Niemand mehr entreißen konnte. Nun erst verstanden sie die Antwort Jesu in ihrer wahren und eigentlichen Bedeutung, nun erst fühlten sie den tiefen Sinn der Worte: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“ Jetzt war es ihnen ganz klar und einleuchtend gewiss, was Jesus mit dem Ausspruch sagen wollte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an Mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt, und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Nun mochte sich Martha ihres Schwachglaubens und Kleinglaubens von Herzen schämen, und mit der dankbarsten Gewissheit ihr voriges Bekenntnis wiederholen: „HErr, ja ich glaube, dass Du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ Wenige Tage darauf fand Maria eine erwünschte Gelegenheit, ihre überfließenden Dank- und Liebes-Empfindungen ohne Rückhalt gegen Jesum zu ergießen. Ihr göttlicher Wohltäter kommt nach Bethanien in Simons Hause, wo Er ein Abendessen annimmt. Martha diente mit welch' freudenvollen Dank-Empfindungen, das lässt sich denken. Maria sinnt auf einen andern ausgezeichneten Beweis ihrer tiefsten Ehrfurcht und dankbarsten Liebe gegen Jesum. Was eine Flasche des köstlichsten Nardenwassers auch immer kosten mochte - sie kauft dieselbe, um öffentlich ihren HErrn, König und Freund zu salben. Ihr Herz hatte Ihm schon lange gehuldigt - nun sollen es auch alle anwesenden Gäste sehen, dass ihr Jesus Alles in Allem geworden sei. Voll heiliger Ehrfurcht salbt sie seine Füße, und trocknet sie mit ihren Haaren ab. Jesus nimmt mit Freuden diese Handlung ihrer ehrfurchtsvollen Liebe an, und lobt sie dafür; und Maria hatte den sehnlichsten Wunsch ihres Herzens erreicht, ihrem göttlich königlichen Freunde eine königliche Ehre erwiesen zu haben. Lazarus war ein lauter Zeuge der allmächtigen Auferweckungskraft Jesu Christi. Wie hätte er es auch vergessen können, was Jesus an ihm getan hat? Mit welchen Wonne-Empfindungen mag er es den Juden, welche die Neugierde aus dem nahen Jerusalem nach Bethanien trieb, um den Auferweckten zu sehen, erzählt haben, dass Jesus Christus es sei, der diese außerordentliche Wundertat an ihm verrichtet, und eben da. durch sich als der längst erwartete Retter seines Volks unwiderlegbar offenbart habe. Dadurch zog auch er sich den bitteren Hass der hohen Geistlichkeit in Jerusalem zu, welche damit umging, ihn meuchelmörderisch aus dem Wege zu schaffen.
Auf diese Weise enden sich früher oder später die Leidensstunden der Gläubigen. Lob- und Danklieder der freudevollsten Errettung folgen ihren Glaubens-Prüfungen auf dem Fuße nach. Ihr Mund ist nicht im Stande, das in Worten auszudrücken, was ihr Dankerfülltes Herz empfindet. Ihre Seele erhebt den HErrn, und ihr Geist freut sich Gottes ihres Heilandes. Er sieht an die Niedrigkeit seiner Knechte und Mägde, und alle Kindeskinder werden sich seligpreisen, wenn Er ihnen hilft. Bisher hat Er Großes an ihnen getan; der da mächtig ist, und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt immer für und für bei denen, die Ihn fürchten. Er führt in die Tiefe, und wieder heraus. Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen, und verschmäht ihr Flehen nicht. Das werde geschrieben auf die Nachkommen, und das Volk, das geschaffen soll werden, wird den HErrn loben. Er schaut von seiner heiligen Höhe; der HErr sieht vom Himmel auf Erden, dass Er das Seufzen der Gefangenen höre, und losmache die Kinder des Todes. Auf dass sie zu Zion predigen den Namen des HErrn, und sein Lob zu Jerusalem. Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen Heiligen Namen; lobe den HErrn, meine Seele, und vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat! Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilt alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben errettet, und dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit! Der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst, wie ein Adler. Barmherzig und gnädig ist der HErr, geduldig und von großer Güte und Treue.
So strömt's nach überstandenen Leidensproben aus dem Munde und Herzen der Gläubigen heraus. Sie haben die Allmacht, Weisheit und Liebe ihres HErrn und sich selbst in der Stunde der Trübsal besser kennen gelernt. Ihre Hoffnung hat sie nicht zu Schanden werden lassen, und ihr Glaube hat ein neues herrliches Siegel der Wahrheit erhalten. Mutiger wandeln sie nun ihre Straße, denn sie kennen die Hand, welche ihre Wege leitet. Mit dankbarer Liebe gedenken sie Seiner bei Tag und bei Nacht, und freuen sich, Ihm dienen zu dürfen, und unzertrennlich mit Ihm verbunden zu sein.- Wohl dem, der diese selige Frucht der Leiden genießt! Sein Glaube wird nimmermehr beschämt werden. Bleibt ihm auch gleich hier noch Manches in seinen Wegen dunkel, so darf er dennoch freudig ausrufen:
Dort werd' ich das im Licht erkennen
Was ich auf Erden dunkel sah;
Das wunderbar und heilig nennen,
Was unerforschlich hie geschah;
Dann denkt mein Geist mit Preis und Dank
Die Schickung im Zusammenhang.
„Auch viele andere Juden, die zu Maria kommen waren, und sahen, was Jesus tat, glaubten an Ihn.“ Auf manche Umstehende hatte die herrliche Wandertat Jesu einen guten Eindruck gemacht. Sie hatten Redlichkeit genug, von der Größe des Wunders auf die Größe des Wundertäters einen richtigen Schluss zu machen, und den wohltätigen Wirkungen dieser Überzeugung Platz in ihrem Herzen zu geben. Manchem von ihnen war es nunmehr anschaulich gewiss, dass Jesus von Nazareth der wahre Messias, der verheißene Retter ihres Volks sei. Was sie mit ihren eigenen Augen sahen, das glaubte ihr Herz, und bei einer solchen Überzeugung konnten sie nicht umhin, ihrem göttlichen König von Herzen zu huldigen. Dieses war auch der Hauptzweck, warum Jesus Christus diese außerordentliche Wundertat so öffentlich verrichtete. Um das umstehende Volk war zu tun, damit sie glauben möchten, Gott habe Ihn gesandt. Und in eben dieser Absicht hat auch sein Apostel Johannes diese von allen Seiten unwidersprechlich beglaubigte Wundergeschichte uns schriftlich hinterlassen. Ein Jeder, der diese Geschichte mit Aufmerksamkeit liest, soll den ganz natürlichen Schluss dar aus machen: „Ist dieses große Wunder wirklich von Jesu verrichtet worden“ und welcher vernünftige Mensch könnte bei solchen Zeugnissen auch nur einen Augenblick daran zweifeln? „so ist Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, der verheißene Retter des Menschen-Geschlechts. Eben darum sind auch alle Worte, welche Er sprach, göttliche Wahrheit, und legen Jedem, der sie hört, die unleugbarste Verbindlichkeit auf, sie zu glauben und zu befolgen. Bei diesem göttlichen Lehrer und Erlöser kann mein Verstand und mein Herz niemals irre gehen. Ich fühle in mir die lebendige Überzeugung, dass meine ganze Seligkeit von dem Glauben an Ihn und dem Gehorsam gegen seine Gebote abhängt. Mögen Andere von Ihm denken, wie sie wollen - ich erkenne Ihn als meinen HErrn, König, Erlöser, Seligmacher, Lehrer! Mein Schicksal ist in seine Hände gelegt. Wenn ich Ihn zum Freunde habe, so kann es mir nicht fehlen in Zeit und Ewigkeit.“- Diesen vernünftigen Schluss sollte wohl jede gesunde Vernunft, und jedes redliche Herz, das unbefangen diese Geschichte liest, machen, und diesen ersten Glaubensfunken in sich heilsam wirken lassen. Wer aus der Wahrheit ist, der hört diese Stimme. Jesus Christus zwingt keine Menschen-Vernunft zu diesem Schluss, aber Er erwartet ihn - und Jeder, der nicht glauben will, trägt die Verantwortlichkeit dafür in seinem Herzen. Möchten dieses Wort der Wahrheit doch Alle hören, welche der Unglaube des Zeitalters auf Abwege geführt hat; möchten sie glaubensvoll ihre Knie vor Jesu, dem Sohne Gottes, beugen, und Ihn als ihren HErrn verehren!
Wo freilich das Auge des Geistes ein Schalk ist, da ist die Finsternis des Herzens grenzenlos. Die Geschichte der Pharisäer und Sadduzäer aller Zeiten hat diesen Ausspruch Jesu genugsam bewiesen. Was die redlichen Wahrheitsfreunde zu einem helleren Lichte hinführt, treibt jene verkehrten Lügengeister tiefer in die Finsternis hinein. Das Heiligste ist ihnen nicht zu heilig, um ihm den Tod zu schwören, so bald ihr Stolz oder Eigennutz seine Rechnung dabei findet. Auch Lazarus Auferweckungs-Geschichte liefert zu dieser Bemerkung einen traurigen Beitrag. Etliche der Zuschauer gehen hin zu den Pharisäern, und erzählen ihnen die Wundertat, welche Jesus in Bethanien verrichtet hatte. Dies war genug, um ihren alten Hass gegen Ihn aufs Neue in volle Flammen zu setzen. Die Hohenpriester und Pharisäer versammeln einen Rat, und sprechen: „Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir Ihn also, so werden sie Alle an Ihn glauben. So kommen dann die Römer, und nehmen uns Land und Leute.“ Von der Wahrheit der Wundergeschichte sind sie nur allzu stark überzeugt; diese ist es ja gerade, was sie in so große Verlegenheit setzt. Die Frage ist nicht: Ist die Geschichte wirklich so, wie sie uns erzählt wurde? Und was folgt daraus? Für wen haben wir die Person Jesu anzusehen? Solche Taten hat noch kein Mensch getan! Nichts von diesem Allem! Nur davon ist die Rede: Wie erhalten wir bei solchen Auftritten unser Ansehen unter dem Volk? Auf welchem Wege sichern wir unsere Herrschaft und unser Einkommen? Wie werden wir dieses lästigen Volksfreundes und Wundertäters los?“ Cajaphas war des Vorsitzes in dieser ehrwürdigen Gesellschaft sehr würdig. An Schalksinn und Bosheit übertraf ihn kein anderer. „Wie kurzsichtig seid ihr doch!“ schrie er in der Versammlung „wozu alle diese zögernden Bedenklichkeiten? Ist's denn nicht besser, einen solchen Mann geradezu ums Leben zu bringen, als dass um Seinetwillen die ganze Nation zu Grunde gehe? Sollte es viel Bedenkens brauchen, wo die Frage ist: Ob ein Mensch sterben soll, damit das ganze Volk gerettet werde?“ - Johannes, der dies erzählt, kann sich nicht enthalten, die Bemerkung über diese Worte zu machen, dass sie, wider Cajaphas Absicht, einer Deutung fähig seien, die im eigentlichsten Sinne an Jesu wahr geworden, und so zu sagen prophetisch sei. Kein Prophet hätte deutlicher, als dieser arglistige Hohepriester, sagen können: Warum Jesus habe sterben müssen; nämlich zum Heil nicht bloß der jüdischen Nation, sondern aller Zöglinge Gottes, aus allen Völkern, damit diese unter Einem Oberhaupt, Jesu Christo, vereinigt würden. Von dem Tage an ratschlugen sie, wie sie Ihn töteten.
Wer kann diese Denk- und Verfahrungs-Art der jüdischen Volks-Vorgesetzten ohne Schauer lesen? Nicht mit einem Wort ist die Frage: Ist's Recht oder Unrecht, gut oder böse, dass wir die Sache so ansehen und behandeln? Dazu war der hohe Rat schon zu tief gesunken was Wunder demnach, dass sie ein solches Urteil über die Taten und die ganze Sache Jesu fällen? Gereicht es nicht vielmehr seiner Person und seinem Reich zur Ehre, dass Menschen von dieser Denk Art sich Ihm widersetzen, und nach seinem Umsturz trachten? Trauriger Gedanke, dass das Menschenherz so verfinstert und verkehrt werden kann! Aber auf diesen fürchterlichen Punkt sittlicher Verdorbenheit führt in jedem Zeitalter der blinde Pharisäer- und Sadduzäer-Geist, die schamlose Heuchelei, und der törichte Vernunftstolz. Mit diesem Schlangensamen ist der Glaube an Jesum im geradesten Widerspruch. Seine Wirkungen werden frecher, erboster, wütender, je herrlicher sich Jesus Christus in der Welt offenbart. Mit ihm wird der göttliche Zeuge und Urheber der Wahrheit sich niemals in einen Friedensvertrag einlassen können. Entweder muss diese Finsternis seinem Lichte, oder sein Licht dieser Finsternis weichen; denn Christus und Belial werden sich niemals die Hände bieten. Aber schrecklich ist's, wenn das Klarste nur finsterer, das Heiligste nur unheiliger, das Heilsamste nur kranker und ungenesbarer macht, und machen muss, weil so viele Menschen die Finsternis mehr lieben, als das Licht, indem ihre Werke Böse sind. Wenn werden denn einmal die unglückseligen Feinde der göttlichen Wahrheit aufhören, wider den HErrn und seinen Gesalbten zu ratschlagen? Wenn wird die Finsternis dem wohltätigen Lichte des Evangeliums einmal weichen? Wo ist ein menschenfreundliches Herz, das dieses nicht sehnsuchtsvoll wünscht, und bei der hereinbrechenden Finsternis unserer Tage immer angelegentlicher fleht: „HErr! Dein Reich komme! Las deine Feinde inne werden, dass Du ihr Gott bist, und ihr Erlöser; damit sie reuevoll vor Dir niederfallen, und Dich anbeten, der Du auch ihnen durch dein Blut am Kreuz einen ewig gültigen Frieden erworben hast!“
Und nun aufmerksamer Leser dieser ewig merkwürdigen Geschichte! Was denkst du von Jesu? Wofür hältst du Ihn? Welchen Eindruck hat die Betrachtung dieser außerordentlichen Begebenheit in deinem Herzen zurückgelassen? Stehst du auf der Seite derer, welche sich durch das Anschauen der daraus hervorleuchtenden Gottes-Herrlichkeit Jesu zu einem festen und lebendigen Glauben an Ihn bewegen lassen, und freudevoll das Bekenntnis ablegen: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“- Oder hältst du es lieber mit den Pharisäern und Sadduzäern deines Zeitalters, welche Gottes Wahrheit in Lügen verwandeln, und seinem Reich durch Arglist und Bosheit entgegen arbeiten? Einmal zu einem entscheidenden Urteil über Jesum und seine Sache muss es bei jedem Menschen kommen, welcher Gelegenheit hat, mit Ihm bekannt zu werden. Für oder wider Mich! Dies ist das Losungswort, das sein heiliger Mund selbst ausgesprochen hat. Willst du Licht, Wahrheit, Leben, Ruhe, Seligkeit finden - du suchst diese köstlichen Güter vergebens anderswo, als bei Jesu. Bei Ihm, und bei Ihm allein sind sie zu finden; Er gibt sie frei und umsonst einer jeden Seele, welche danach hungert und dürstet. Ewig Schade, wenn du deinem eigenen Glück im Wege stehen, und dein ewiges Wohl mit Füßen treten wolltest! Das tust du nicht, wenn du wahrhaft weise bist. Du entscheidest dich mit Mund und Herz für Ihn, und findest täglich wichtigere Gründe, es mit Ihm zu halten, je genauer du Ihn nach seiner unaussprechlichen Freundlichkeit und Liebe kennen lernst. Ist Er einmal im Glauben mit seinem ganzen Verdienst dein, und du mit deinem ganzen Elend Sein geworden, so hast du unter allem Wechsel der Welt und bei allen Veränderungen deines Schicksals nichts zu tun, als bei Ihm zu beharren bis ans Ende. Darum ruft derselbe Apostel des HErrn, welcher uns diese lehrreiche Geschichte geschrieben hat, den gläubig gewordenen Christen so freundlich zu: „Und nun, Kindlein! Bleibt bei Ihm, auf dass, wenn Er offenbart wird, wir Freudigkeit haben, und nicht zu Schanden werden vor Ihm in seiner Zukunft.“