Den, der doch keine Sünde kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden Gerechtigkeit Gottes in ihm.
2. Kor. 5,21
Heute will niemand unwissend sein. Unwissenheit gilt als Schande. „Wissen ist Macht“ heißt das moderne Glaubensbekenntnis, und da alle mächtig sein wollen, so wollen alle Wissende sein. Die Vielwisserei gehört heute mit zur prahlerischen Hoffart des Lebens. Auf allen Gebieten des Wissens bewandert zu sein, entspricht der neuesten Selbstgefälligkeit. Man lernt, studiert, lehrt, um als „gebildet“ gesellschaftlich rangieren zu können. Ein aufgeblähtes Bildungs-Pharisäertum steht heute auf allen Straßen und läßt vor und hinter sich herposaunen. An ihrem verblendeten Wissensdünkel wird diese heutige Welt zugrunde gehen. Ihre vielgerühmte „wissenschaftliche Grundlage“ wird sich als loser Sandboden erweisen, der kein Zukunftsgebäude zu tragen vermag.
Denn so wissensstolz dies Geschlecht ist, so liebt und pflegt es doch in einem Punkte sehr bezeichneterweise die schwärzeste Unwissenheit. So gewiß sonst jedes den Wissenden spielen möchte, so gewiß möchte jedes in dem einen Punkte den Unwissenden spielen. Dieser eine Punkt betrifft die Sünde.
Jedes kennt die Sünde und weiß irgendwie von ihr, und doch gebärdet sich jedes, als wisse es nicht recht, was Sünde sei und daß es Sünde getan habe. Gerade da, wo man ganz genau weiß, tut man, als wisse man nicht, während man in anderen Dingen des Wissens, wo man gar nicht genau weiß, sich stellt, als wisse man alles ganz klar.
Ich will damit nicht sagen, man könne und müsse durch das Gewissen eine bereits zureichende Sündenerkenntnis haben. O nein! Denn gerade das heutige Gewissen ist krank und arbeitet wie eine unrichtig gehende Uhr oder wie ein falsch eingestelltes Barometer ganz unzuverlässig. Zureichende Sündenerkenntnis erlangt der Mensch ja nur dann, wenn er Jesus Christus als das Ebenbild Gottes und als Maß alles menschlichen Denkens und Tuns erkennt und erlebt. Nur an Christi Wort kann das Gewissen genesen.
Dennoch wissen alle Menschen genug, um bekennen zu können: Wir alle kennen Sünde und wissen von Sünde.
Hier einige Stichproben.
Wissen nicht alle von diesen Sünden, und tun nicht alle, als wüßten sie nichts von diesen Sünden?
Und wer weiß nicht, daß man gerade heute diese Sünden überhaupt nicht mehr Sünde nennen will?
Frühere Geschlechter sündigten vielleicht grober und plumper, aber sie nannten doch wenigstens Sünde noch Sünde. Heute aber glaubt man soviel neues Wissen erarbeitet zu haben, daß man den letzten Rest des alten Wissens von Sünde meint wegwerfen zu können. Denn gerade um des vielen Wissens willen will man ja nichts mehr von Sünde wissen.
Zwar scheint das sogenannte „öffentliche Gewissen“ heute feinfühliger geworden zu sein, als je zuvor; denn jedermann eifert gegen „soziale Ungerechtigkeit“ und empört sich über die „Sünden“ der verschiedenen Gesellschaftsklassen. Aber diese scheinbare Feinfühligkeit entspringt und entspricht nur dem heute überall wachgerufenen selbstsüchtigen Interesse, das sich allerorts über Anrecht beklagt, ohne das eigene Anrecht einzusehen und aufzugeben. Nie ist mehr von anderer Schuld geredet und geschrieben und nie weniger persönliche Schuld erkannt und gebüßt worden, wie heute. So weiß man also auch von vielerlei Unrecht in der Welt, und gerade deswegen will man nichts von eigener Schuld und Sünde wissen; der Bildungs- und Kulturpharisäer richtet stets nur die Sünden anderer, seien es Personen, Klassen, Völker oder Rassen. Das entspricht ganz unserem „wissenschaftlichen Zeitalter“: Man „objektiviert!“
Schwindel!
Dahin gehört auch der Entwicklungs- und Erziehungsaberglaube. Den biblisch geoffenbarten Heilsplan Gottes lehnt man als zu „unwissenschaftlich“ ab, nun soll die der Welt innewohnende „Entwicklung“ der Menschheit das Heil bringen. Daß dabei der lebendige Gott, wie er sich in der Bibel bezeugt, samt Sünde und Erlösung, wie beides die Bibel lehrt, in die geschichtliche Vergangenheit versinken, versteht sich von selbst. Da gilt Sünde höchstens noch als soziale Schädigung, entsprechend der sich entwickelnden kulturellen Rechtsauffassung, aber Übertretung eines unveränderlichen Gebotes Gottes und ewige Schuld vor dem persönlichen ewigen Gott ist sie nicht mehr. Darum kann der Entwicklungsaberglaube nichts mehr von Sünde als Sünde wissen wollen. Ebenso verfährt der Erziehungs-Aberglaube. Er leugnet den biblisch geoffenbarten Fall des Menschenwesens und glaubt an eine fortschreitende Veredlung der menschlichen Natur durch vernunftgemäße, erzieherische Unterstützung ihrer Entfaltung. Daß dabei die unbedingte, an der Heiligkeit des biblischen Gottes gemessene Auffassung von Sünde immer mehr hinfällt, versteht sich wiederum von selbst. Sünde ist da nur noch ein sehr bedingter und deshalb unwissenschaftlich gewordener Begriff. Darum kann der heute übliche Erziehungs-Aberglaube nichts mehr von Sünde als Sünde wissen wollen.
Aber wie anders reden doch die Tatsachen des Lebens!
Wahrlich, es gibt nichts Unveränderlicheres unter der Sonne als die menschliche Sünde! Und kein Wissen der Menschheit ist so unheimlich sicher, wie das von ihrer Sünde vor Gott! Und gerade diesem unheimlich sicheren Wissen suchen die Menschen zu entfliehen, indem sie vorgeben, nichts zu wissen von Sünde als Sünde!
Fluchvoller Irrwahn!
Schaut euch um! Wo ist die menschliche Natur jemals über sich selbst hinausgekommen? Die Sünden sind dieselben geblieben. Die so hochgepriesene Kultur hat nicht eine einzige Sünde aufgehoben. Welch eine unbestreitbare Tatsache! Wohl aber hat die Kultur die Sünde differenziert, parfümiert, garniert, und eben damit hat sie die Sünde nur „kultiviert!“ Nie ist so raffiniert gesündigt worden wie heute! Der noch nicht einmal wirklich hinter uns liegende „Weltkrieg“ war deshalb der unkultivierteste, weil er wie kein anderer so ausgeprägt „kultiviert“ geführt worden ist. Und was hat man aus dieser „Kulturtatsache“ gelernt? Hat die Menschennatur ihren tiefen Schaden, den keine Kultur heilen kann, erkannt? Weiß man nun besser als vorher um die eine große Sünde unseres Geschlechts vor Gott, nämlich um den Hochmut der Selbstbehauptung der einzelnen wie der Völker Gott gegenüber? Hat die Ursünde der Selbstsucht an ihre Brust geschlagen und sich in heilsame Gottsucht verwandelt?
O nein, o nein! Stolzer sogar als zuvor glaubt der Kulturmensch weiter an sich selbst und an seine Erlösung durch Entfaltung der eigenen Kraft. Pharisäischer als zuvor wirft man um sich mit den Worten „Schuld“ und „Gerechtigkeit“. Berauschter und hochfliegender als zuvor träumt man den stolzen Kulturtraum weiter. Sicherer als zuvor glaubt man „auf wissenschaftlicher Grundlage“ ein Menschenreich der Gerechtigkeit und des Friedens erarbeiten zu können. Frecher als zuvor will man nichts von Sünde wissen. Ungebrochener, ungezügelter, und eingedämmter als zuvor schäumt die menschliche Natur ihre gottfeindliche angeborene Art aus im Einzel-, im Familien-, im Volks- und im Völkerleben und höhnt dem Worte Sünde auf Schritt und Tritt in Rat und Tat, ausreifend zu immer schwereren Gerichten und endlich zum gänzlichen Verderben.
O diese schauerliche unterschiedslose Einheit aller vom Fleische Geborenen in der sündigen Selbstbehauptung wider Gott!
O dieses satanisch geschickt gelungene Übereinkommen aller mit allen, nur ja nichts wissen zu wollen von Sünde als Sünde!
O und doch dies unheimliche, unheilige Wissen aller von Schuld und Sünde, weil sie sie ja alle, alle kennen gelernt haben, alle mit einer einzigen, ewig wunderbaren Ausnahme!
Denn du weißt es doch: diese Ausnahme ist Jesus.
Er ist der eine Mann der „einen heiligen Unwissenheit“:
Jesus kannte keine Sünde!
Ist das nicht das größte Weltwunder, dem jeder Mensch in Demut erschüttert nachsinnen sollte sein Leben lang?
Doch müssen wir uns da recht verstehen. Es ist nicht so gemeint und gewesen, als ob Jesus überhaupt Sünde als Sünde gar nicht gekannt hätte. Im Gegenteil, keiner kannte die Sünde als Sünde so gut wie er. Höre! – :
Jesus allein hatte das göttliche, ganze, heilige Wissen von der Sünde als Sünde.
Wir wissen alle von Sünde, aber wir kennen weder die ganze Tiefe ihrer satanischen Verursachung noch die ganze Größe ihrer Abscheulichkeit vor dem heiligen Gott.
Jesus kannte beides vollauf.
Wir kennen auch nicht die ganze Tragweite des Verderbens, das die Sünde in der Schöpfung angerichtet hat, und wissen gar nicht, bis zu welchem Umfange unser eigenes Wesen der Sünde verfallen ist.
Jesus aber kannte beides aufs gründlichste. Er allein wußte, was in der Welt und im Menschen ist. In dem rein von oben stammenden Geist, den er über alle Maßen besaß, trug er das göttliche Urmaß zur allein zulänglichen Beurteilung aller Wesen und Dinge. Wenn er die Menschen ansah in der Verirrung ihres sündenschwangeren Eigenwillens und in dem törichten Dünkel ihrer Selbstweisheit und Selbstgerechtigkeit, so ermaß sein Gottesauge den ganzen Abstand des sündigen Geschöpfes von seinem heiligen Schöpfer. Er allein, als das auf Erden erschienene Ebenbild Gottes, sah alles, wie Gott es sieht.
So war Jesus der Einzige auf Erden, der die Sünde wirklich als Sünde kannte und schaute; und was wir von Gottes Heiligkeit und von der Sünde Abscheulichkeit wissen, das wissen wir nur durch ihn.
Und so ist er, der doch allein die Sünde kannte, zugleich der, der doch keine Sünde kannte: denn Jesus Christus kannte keine eigene Sünde.
Das ist das Unerhörte, das der Menschengeist weder begreifen noch dulden kann; denn es entwertet mit einem Schlag all und jeden ruhmseligen Menschendünkel. Jesu ureinziges heiliges Wissen von der Sünde und Jesu ureinzige heilige Unwissenheit von eigener Sünde bilden die beiden Säulen seiner Gottessohnschaft, die der Unglaube zerbrechen möchte und an denen er selbst zerbrechen wird.
Lies die Urkunden des Lebens Jesu immer wieder, und sieh, ob du eine Selbstanklage in seinen Selbstzeugnissen findest. Aber auch die Schreiber dieser Urkunden wissen nichts zu berichten, was auf Reue, Schuld, Sünde, Verfehlung bei Jesus hindeuten könnte. Nirgends in Jesu Bild oder Bewußtsein eine Spur von Verirrung, Verfehlung, Übertretung, Sündhaftigkeit, Schuldgefühl, Reueschmerz. Kein Widerruf auch nur eines Gedankens oder eines Wortes oder eines Werkes. Keine Erinnerung an auch nur einen Schatten des Abweichens vom Willen Gottes. Kein Hauch einer Andeutung von irgend welcher sündhaften Unzulänglichkeit vor Gott und vor Menschen. Wohl reden die Berichte von seinem heilig erregten Unwillen über heuchlerische Pharisäer und gemeine Tempelschänder und über den Unglauben der eigenen Jünger. Wohl wird berichtet über sein eigenes Bangen, Zittern und Zagen. Wohl sagt er selbst: Niemand ist gut außer Einem, Gott (Mark. 10,18), und: Der Vater ist größer als ich (Joh. 14,28). Aber alle diese Zeugnisse bekunden nur den Eifer des Sohnes um das, was seines Vaters ist, oder lassen hineinsehen in die Leidenstiefe seiner Selbstentleerung und Selbsterniedrigung und in die demütig-abhängige Unterordnung unter den Vater im Himmel, ohne den er nichts tun konnte, bestätigen also nur die eine wunderbare Tatsache: Jesus Christus lebte ohne Sünden- und Schuldbewußtsein.
So konnte er in Wahrheit die ihn anklagenden Pharisäer fragen: Wer von euch überführt mich einer Sünde? (Joh. 8,46). Beweis genug, daß alles das, was ihm diese selbstgerechten, heuchlerischen Gesetzeseiferer vorwarfen, nämlich Sabbatschändung, Selbstüberhebung (Joh. 8,53) und Gotteslästerung (Matth. 9,3; 26,65; Joh. 10,36), ihn nie innerlich als Sünde verklagt hatte.
Damit bestätigt Jesus Christus vollkommen die Aussage seines Apostels Paulus, die, wie wir hörten, lautet: „… der keine Sünde kannte“, und Paulus wiederum bestätigt seines Herrn Wort: „Wer von euch überführt mich einer Sünde?“ Denn es ist kein Betrug in dem Munde dessen erfunden worden, der spricht: Ich bin die Wahrheit! und der „Treu und Wahrhaftig“ heißt (Jes. 53, 9; 1. Petr. 2,22; Joh. 14,6; Offb. 19,11).
Aber vor welcher Tatsache stehen wir da! Höre, vor dieser: Im Herzen Jesu lebte nicht ein einziger gottfeindlicher Gedanke. Bitte, suche diese Tatsache zu erwägen! Siehe, du bist unfähig, es zu tun! Unser verloddertes, von Ichsucht durchseuchtes Herz darf hier nicht wagen, zu begreifen. Die Reinheit der Herzensübereinstimmung Jesu mit dem Herzen Gottes kann nur angebetet, aber nicht begriffen werden. Weiter:
Im Herzen Jesu lebte nicht eine einzige gottwidrige Gemütsbewegung. Hier pulsierte in immer gleicher Unveränderlichkeit und Unermüdlichkeit nichts als die Liebe Gottes. Können wir vom Fleisch geborene und vom Fleisch gezeugte und von den sich widersprechendsten Launen, Lüsten und Begierden gejagte und geplagte Selbst- und Weltverliebte das fassen? Nein, denn ein solch gleichmäßiges Erfüllt- und Bewegtwerden von der Liebe Gottes ist unserer Natur und unserem Geiste völlig zuwider.
Aber aus dem Herzen und Munde Jesu kam auch nicht ein Gott mißfälliges Wort. Er redete nur stets das, was er vom Vater hörte. Alle seine Worte, die er redete, sind Geist und Leben Gottes, voll unvergänglichen Wesens, wie Gott selbst. Vermag unsere maulfertige Art, der der Mund allezeit von Selbstweisheit und Selbstgefälligkeit übergeht, das auszudenken?
So entsprang dem Herzen Jesu auch nicht eine eigenwillige Tat. Er tat stets nur, was er den Vater tun sah. Restlos geschah Gottes Wille durch Jesu Tun. Darum war alles Wohltat ohnegleichen und bleibt Heil ohne Ende. Ein im Todesgehorsam vollbrachtes Welterlösungswerk! Ein Werk, frei von jeder Spur von Sünde! Und wir, die wir uns brüsten in unserem eigenwilligen Tun und gerühmt sein wollen in unseren erbärmlich befleckten Werken, wir sollten uns an Jesu reine Gottestat hinaufzurecken vermögen? Nimmermehr!
Siehe, so steht Jesus da als der Ureinzige, als der von oben gekommene Mann der heiligen Unwissenheit, der keine Sünde kannte in Gedanken, Gemütsbewegungen und Wort und Werk!
Ach, wie hebt sich sein reines Bild in unvergleichlich lichter Klarheit ab vom dunklen Untergrunde unseres Geschlechts!
Ja, glückselig die Augen, die ihn so wandeln und handeln sahen als das auf Erden erschienene Abbild Gottes und Urbild des Menschen. Sie haben seine Herrlichkeit geschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Und wenn jetzt auch dein Auge in seinem Lichte weidet und dein Herz sich seiner Reinheit neigt, dann höre aufmerksam weiter.
Denn eben den, den Mann der heiligen Unwissenheit, der keine eigene Sünde kannte, eben den hat Gott zur Sünde gemacht!
Unfaßbar, nicht wahr?
Der heilige Gott versucht doch niemanden zum Bösen und hat doch noch keinen sündig gemacht. Die Sünde entstammt doch dem Satan, dem Widersacher Gottes, dem Vater der Lüge, aber nicht dem Geber aller guten und vollkommenen Gabe. Und nun soll Gott den einzigen Sündlosen auf Erden sogar „zur Sünde“ gemacht haben?
Ja.
Aber warum denn?
Um unsertwillen. Gott hat den, der doch keine Sünde kannte, „für uns“ zur Sünde gemacht.
O höre, was das besagen will!
Das will besagen: Gott hatte den, der keine Sünde kannte, schon vor Grundlegung der Welt als stellvertretend haftbaren Bürgen für unsere Sünde ersehen. Denn Gott konnte ja nicht durch den Sündenfall unseres Geschlechts überrascht werden. So hatte er denn für unsere zuvor gesehene Sünde das fehl- und fleckenlose Opferlamm, das dieser Welt Sünde tragen, sühnen und hinwegnehmen sollte, auch zuvor ersehen, um es als seinen geliebten Sohn zur erfüllten Zeit in den Erdkreis einzuführen und für uns alle dahinzugeben (1. Petr. 1,19-20; Röm. 8,32). Denn die durch satanische Verführung in diese Welt eingedrungene Sünde mußte als Sünde durch den heiligen Gott gerichtet werden. Sie an uns, den Sündern, durch der Sünde Sold, den Tod, zu richten, verbot die rettende Liebe Gottes, auch hätte unser durch Sünde und Schuld entwertetes Leben ja keine sühnende Kraft gehabt. So mußte Gottes heilige Gerechtigkeit im Bunde mit seiner rettenden Liebe unsere Sünde an dem Sündlosen richten. Um die Sünder zu schonen, durfte Gott den Sündlosen nicht verschonen. Und nur das reine, vollwertige Leben des einen Sündlosen taugte zum vollgültigen Sühneopfer für unser aller Sünde.
Nun begreifen wir vielleicht ein wenig die unvergleichlich hohe Doppelaufgabe im Leben Jesu. Sie bestand darin:
Jesus hatte sich als der Sündlose unter den Menschen zu erweisen, um sich dann zur Sünde für die Menschen machen zu lassen.
Ganz von weitem haben unsere lichtgeblendeten Augen etwas von dem geschaut, wie vollkommen Jesus Christus den ersten Teil seiner Lebensaufgabe löste; nun wollen wir mit gesenktem Blick, etwa wie Johannes mit den Frauen zum Kreuz hinsahen, und mit noch viel gebeugteren Herzen und von viel, viel weiter her beschämt zusehen, wie der Sündlose für uns zur Sünde gemacht wurde.
Nichts war Jesus fremder als die Sünde, und in dieses, sein fremdestes Gegenteil sollte er nun verkehrt werden. Völlig außerhalb des Bannkreises der menschlichen Verschuldung vor Gott stehend, sollte er sich nun wie der allein Schuldige von Gott und Menschen behandeln lassen. Als das erschienene Licht der Welt sollte er jetzt in die grausigen Schatten des Reiches der Finsternis eintauchen. Als der Fürst des Lebens schritt er dem Tode entgegen.
Dies alles begann mit dem Eintritt in den Garten Gethsemane. Dort sollte die schauerliche Wende erfolgen. Dort sollte er, der Sünde nicht kannte, sich bereit finden lassen, zur Sünde gemacht zu werden. Dort sollte die Umwandlung in sein fremdestes Gegenteil stattfinden. Dort sollte der, der die Himmelsreinheit der Heiligkeit Gottes trug, dieser Welt Sünde auf sich nehmen. Der vollmächtige Lehrer, der wundertätige Heiler, der unerhörte Prophet sollte dort als gebundenes Schlachtschaf verstummen.
Denn nicht erst am Kreuz auf Golgatha wurde der Sündlose zur Sünde gemacht. O nein! Dort auf der Schädelstätte wurde nur die Sünde an ihm gerichtet, die Sünde nämlich, die er in Gethsemane auf sich genommen, um sie dann hinaufzutragen mit seinem Leibe an das Holz (1. Petr. 2,24).
Darum galt wohl auch sein Bangen, Zagen und Zittern mehr dem Beladen- und Belastetwerden mit der Welt Sünde in Gethsemane, als dem Todesgerichte über die Sünde am Kreuz. Denn mit dem Vollzug dieses Gerichtes hatte Jesus immer gerechnet. Daher wohl auch der Unterschied zwischen dem ergebenen Dulden am Kreuz und dem undurchdringlich furchtbaren Ringen in Gethsemane.
Denn in Gethsemane erfüllte sich am Gesalbten Gottes und Heiligen Israels das ungeheuerliche Prophetenwort: „Jahwe warf unser aller Schuld auf ihn“ oder: „Jahwe ließ ihn unser aller Schuld treffen“ (Jes. 53,6). Als der allein Unschuldige auf Erden nun vom Vater selbst mit der Sündenschuld der Welt beladen, belastet und beschwert werden, und diese unermeßlich, finstere und unermeßlich schwere Schuld mit all ihrem Gefolge an Schmerzen und Strafe auf sich nehmen, das war der Kelch, der nicht vorüber gehen konnte; denn das gerade war ja das schauerliche Verkehrtwerden des Sündlosen in sein fremdestes Gegenteil, und war das eigentliche zur Sünde Gemachtwerden. Darum sein Gebetskampf als Bitten und Flehen unter starkem Geschrei und Tränen, in Blutschweiß und Todesgrauen. Darum das Hilfesuchen des Meisters bei den schlafenden, von der Stunde der Finsternis überwältigten Jüngern. Darum die notwendig gewordene Stärkung durch einen Engel vom Himmel, als göttliche Befreiung von dem Grauen.
Von nun an war Jesus nur noch das zur Schlachtbank geführte Gotteslamm. Nur noch Leidenswürde ist seine Herrlichkeit vor Menschen. Es ist die unvergleichlich hohe Dulderwürde des erwählten Stellvertreters unseres Geschlechts vor Gott, der nun auf wehem Schmerzensgang sein dem Vater ergebenes, für diese Menschheit bürgendes Wort einlöst. Er ist vor Gott und Menschen zur Sünde gemacht, aber er hat sich freiwillig in die Hände der Sünder gegeben, die keine Ahnung davon haben, daß er um ihrer Sünden willen so dahingegeben ist. Ja, um ihretwillen weiß er sich zur Sünde gemacht, aber seine heilige Unwissenheit von eigener Sünde ist ihm geblieben. Darum erduldet er wohl jetzt als der Dahingegebene jeden Widerspruch, jeden Hohn, jede Verachtung und Verwerfung, jeden Schmerz und jede Beraubung durch die Sünder, aber seine Erlöserwürde kann ihm niemand nehmen; die bleibt dem zur Sünde Gemachten.
So steht er vor dem Hohenpriester als überantworteter, angeklagter Sünder und doch als gesalbter Gottessohn, als ohnmächtig Gefesselter und zugleich als der, der ihnen sagt, daß sie ihn sehen werden „zur Rechten der Kraft“. So steht er in williger machtloser Preisgabe vor Pilatus und bezeugt ihm doch: „Ein König bin ich! Und du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre!“ Und Pilatus muß auf den Mann der heiligen Unwissenheit, der keine Sünde kannte, und doch von Gott zur Sünde gemacht mit der Dornenkrone und im Purpurmantel verhöhnt und geschlagen vor ihm und den Juden steht, hinweisen und sprechen: „Seht, der Mensch!“
Ja, da war er zu sehen, der Mensch, wie es nie einen zweiten gab, unschuldig und doch schuldig, schuldig und doch unschuldig! Wer mag den Gegensatz und seinen göttlichen Ausgleich in Jesu Seele ermessen? Allen ein Ärgernis geworden, und doch nur gekommen alle zu erfreuen! Von allen gerichtet, und doch nur erschienen, alle zu retten! Der Mensch, der sein Angesicht nicht vor Schmach und Speichel verbarg und seinen Rücken darhielt, denen, die ihn schlugen, als hätte er Schlag und Speichelwurf vollauf verdient. Denn nicht aus der Hand der Menschen nahm er Schmach um Schmach, sondern aus Gottes Hand; denn Jahwe gefiel es, ihn so zu zerschlagen: Er hat ihn leiden lassen. Er hat ihn „dahingegeben“, den Heiligen in die Hände der Gemeinen. Hatten sie nicht recht, die ihn für von Gott gestraft, geschlagen und geplagt hielten? Doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, und um unserer Missetat willen zerschlagen. „Seht, der Mensch!“ konnte auf Gabbatha, der Richtstätte, nur bedeuten: Seht, der von Gott und Menschen dahingegebene, zerschlagene – – – Gott!
Wollen wir es dem Petrus nicht ein wenig mildernd nachfühlen, daß er den Menschen, den Messias, den Gottessohn, den Gott nicht mehr kannte? Der Sündlose im verhüllenden Gewande der Sünde! Welche Verwirrung!
Dann kam Golgatha.
Das zerschlagene Lamm ward geschlachtet. Gott hatte es ewig beschlossen, Kaiphas, der Hohepriester, hatte es letztlich prophezeit, das Volk hatte es ausgerufen, dieser unerfindliche, unerträgliche Eine sollte durch den Tod verschwinden. Gottes Erlösungsplan und der Menschen Mordplan, beide nahten sich ihrer Erfüllung. Der von Gott zur Sünde Gemachte und für die Sünder Dahingegebene und von den Sündern als Gotteslästerer Verworfene hängt am römischen Galgen, am Kreuz.
Vor dem angenagelten Mann konnte nun jedes mit Recht die Nase rümpfen und den Kopf schütteln und den einstigen Wohltäter unter die Übeltäter gerechnet sehen. Gleichwie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hatte, durch deren Anblick die von Schlangen gebissenen Israeliten vom Tode errettet werden sollten, so hing er da im Schlangenbilde der listigen, giftigen, tödlichen Sünde, als der zu unser aller Heil und Rettung zur Sünde Gemachte. Aber so sah ihn jetzt nur Gott, und so sah nur der Gehängte sich selbst. Mit dem Geheimnis der für alle sterbenden Liebe im Herzen hängt der göttliche Sündenträger an den drei Nägeln, und während Gott an seinem Leibe die Sünde der Welt richtet, bittet der Mann der heiligen Unwissenheit für die unheilige, satanisch verblendete Unwissenheit seiner Peiniger und Feinde. Und während er als der Allerunwerteste für nichts mehr geachtet wird, verspricht er als der Herr seines kommenden Reiches dem sich vor ihm richtenden Schächer noch für denselben Tag die Gemeinschaft des Paradieses.
„Siehe, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ Alle Sünde hat er auf sich genommen, an sich genommen und an seinem Leibe hinaufgetragen an das Holz, um sie durch das Opfer seines Leibes zu sühnen und sein ureinzig vollwertiges Leben zum Lösegeld zu geben an Stelle vieler. So hatte er sich nie zuvor Gott geweiht, als da er sich solchem Sühnetode weihte. So war er also niemals heiliger, als da er zur Sünde gemacht für uns am Fluchholz hing. So hatte er nie größere Macht wider Satan und dessen Reich, als in der Stunde der Finsternis, da ihn die Knechte Satans aufs Holz nagelten und in der Gestalt des Gekreuzigten verspotteten. Nicht als gefeierter Lehrer, Arzt und Prophet, sondern der als zur Sünde Gemachte hat er den Widersacher Gottes bezwungen. Mit angenagelten Händen hat er dem Starken den Hausrat entwunden, und mit angenagelten Füßen hat er der Schlange den Kopf zertreten. Als er, der zur Sünde Gemachte, hinausgestoßen wurde, um außerhalb des Lagers getötet zu werden, da ward in Wirklichkeit der Fürst dieser Welt ausgestoßen.
Aber was war denn das eigentliche Gericht über die Sünde, das das Gotteslamm am Kreuz für uns erduldete? Waren es die gräßlichen Schmerzen der Nägelwunden? Waren es die Hohnrufe seiner Peiniger? Beides war gewiß viel, aber das eigentliche Gericht muß mehr gewesen sein. Schläge, Striemen und Wunden waren nur ein Teil des Gerichts, das Jesus erlitt. Verspottung, Verachtung, Verwerfung waren auch nur ein Teil. Ach, das eigentliche und schwerste Gericht konnte ihm ja gar nicht durch Menschen zuteil werden, das mußte er innerlich unmittelbar durch Gott, seinen Vater, erleiden, der ihn ja auch selber zur Sünde gemacht hatte. Und dies schwerste Gericht konnte nur sein: Der heilige Gott entzog dem zur Sünde gemachten Sohne vielleicht nur für Augenblicke das Licht und die Kraft seiner Gegenwart im ewigen Einssein. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gottverlassenheit! Unaussprechliches Entsetzen für den gesalbten Gottessohn! Unfaßbar für Jesu Geist und Seele! – Mein Gott, warum …? und doch unabwendbar! Denn nur in dem Abwenden des Angesichtes Gottes von dem, der zur Sünde gemacht am Fluchholz hing, konnte sich das Gericht über die Sünde vollenden.
Sieh, Menschenkind, so hat seine Seele das Schuldopfer gestellt: So hat er seine Seele ausgeschüttet in den Tod!
Nun konnte das Lamm Gottes sprechen: Es ist vollbracht!, seinen Geist in des Vaters Hände befehlen, das Haupt neigen und sterben.
Denn Jesus Christus starb freiwillig, nach dem Gesetze seines Geistes und nicht nach Naturgesetzen. Freiwillig hatte er seinen Leib in die Hände der Menschen gegeben, freiwillig gab er seinen Geist in die Hände seines Vaters.
Damit war auch die zweite Aufgabe im Leben Jesu, sich für uns zur Sünde machen zu lassen, erfüllt.
Aber was ist nun geschehen?
O unendlich Heilsames!
Einer in der Gewalt des Bösen liegenden Welt ist der Weg zu Gott zurück eröffnet worden!
„Denn Gott war ja in Christus und versöhnte eine Welt mit sich selbst, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete“ (2. Kor. 3,19), sondern eben Jesus für uns zur Sünde machte.
Gott versöhnte in Christus eine sündige Welt mit sich selbst: Das ist die erlösende Heilsbotschaft für alle, die das Wissen von der Sünde als Sünde, die sie vor Gott verklagt und von deren Macht und Schuld sie sich selbst nie befreien können, in sich tragen.
Was dem nur anklagenden Gesetz vom Sinai und unserem durch die Sünde geschwächten Fleisch unmöglich war, nämlich uns vor Gott angenehm zu machen, das tat Gott selbst in Christus Jesus: Er versöhnte die Welt durch Christi Schuldopfer mit sich selbst.
Achte wohl darauf: Gott versöhnte die Welt mit sich selbst, nicht: Er versöhnte sich mit der Welt; denn er war ja nie der Welt Feind. O höre es doch! Gott war nie dein Feind! Gott war nie unser Feind! Gott war nie dieser Welt Feind! Nicht hat er die Welt gehaßt, sondern er hat die Welt, diese abgefallene, gottfeindliche, sündige und von Sünde nichts wissenwollende Menschenwelt geliebt, eben so sehr geliebt, daß er um ihrer Errettung willen seinen eingeborenen Sohn für sie hingab!
Wer nun noch an Gottes ewiger, heiliger, barmherziger Liebe zweifelt, der kennt eben Gott nicht, der kennt den sündlosen und für uns zur Sünde gemachten Sohn Gottes nicht, und der kennt sich selbst nicht.
O, es gehört die ganze Verblendung unseres in Sünde und Übertretung toten Geschlechts dazu, an der Heiligkeit Gottes, an der Gerechtigkeit Gottes und an der Liebe Gottes, die sich zu unserer Errettung im Liebesopfer am Kreuz so unausdenkbar groß und eindrücklich vereinigten, so verhärteten, gleichgültigen Herzens vorüberzugehen!
Doch auch diese Rohheit unseres steinernen Herzens kannte ja Gott zuvor, und ja gerade deshalb, weil wir so aussichtslos in uns selbst verdorben sind, hat er den einen unverdorbenen, den ureinzig Sünd- und Schuldlosen für uns, für uns, die gottfeindlichen Sünder, so furchtbar grausig und so errettend herrlich zur Sünde gemacht.
Und nun schau noch an die unausdenkbare Vollkommenheit dieser unaussprechlich großen Gottes-Liebestat!
Denn Jesus Christus, der doch keine Sünde kannte, ward deshalb von Gott für uns zur Sünde gemacht, „auf daß wir würden Gerechtigkeit Gottes in ihm“.
Glauben wir nicht falsch zu lesen, falsch zu hören?
Wir durch und durch Ungerechte sollen im für uns zur Sünde gemachten Christus Inhaber und Träger der Gerechtigkeit Gottes werden? O, was will das doch besagen!
Ja, höre, es will nichts geringeres besagen als das: Wir sollen durch das Opfer Christi so gerecht werden, wie Gott selbst ist.
Der allein heilige und allein gerechte Gott im Himmel will uns in dem allein heiligen und allein gerechten, für uns auf Erden zu unserer Versöhnung hingeopferten Sohne Gottes seine eigene Gerechtigkeit schenken!
Niemand kann Gerechtigkeit wirken und mitteilen, als der allein gerechte Gott; und hier ist sie gewirkt und mitgeteilt, und wer sich vor dieser Gerechtigkeit bußwillig beugt, empfängt sie. Wer das Gewicht seiner Sünden restlos im Glauben auf Jesus gelegt und von ihm hinweggenommen sieht, der hat sie. Und wer so durch die Tat Gottes ein Inhaber und Träger der Gerechtigkeit Gottes geworden ist, der lebt sie auch in der Tat. Denn nicht um die billige Zustimmung zu einem papiernen Dogma, wie der blinde Unglaube immer schwatzt, handelt es sich hier, sondern um die zentralste Lebenstatsache für jedes Menschenherz.
Ach, wie wimmert, wie ruft, wie brüllt diese verirrte, verwirrte Menschheit nach Gerechtigkeit! Einer fordert sie vom andern, eine Klasse verlangt sie von der andern, ein Volk heischt sie von dem andern. Mit Bomben und Granaten wollen sie sie erzwingen, mit Bündnissen und Verträgen wollen sie sie herstellen und befestigen, aus Kultur und Wissen soll sie erwachsen, als Menschenleistung soll sie ins Dasein gerufen und verherrlicht werden; und indes nimmt die Ungerechtigkeit täglich allenthalben überhand, wie es ja gar nicht anders sein und kommen kann! Denn sie alle wollen nicht als törichte, schwache, nichtige Sünder Gottes Gerechtigkeit im für uns zur Sünde gemachten Gottessohn, sondern suchen und verteidigen ihre eigene Gerechtigkeit im selbstsüchtigen, selbstherrlichen Stolze ihres Kulturbewußtseins. So bleiben sie unterm Fluche des gefallenen Menschenwesens und müssen immer wieder ernten, was sie gesät: Unrecht, Sünde, Gewalttat und Fluch zu ihrem Verderben.
Weil sie alle mit abgewandtem Angesichte an dem einen Mann der heiligen Unwissenheit, der allein Sünde nicht kannte, vorüber wollen, als wüßten sie von Sünde nichts, so schreiten und taumeln sie weiter hinein in die grenzenlose Irre. Weil sie sich für sehend halten und doch den nicht sehen wollen, der für sie zur Sünde gemacht wurde, so bleibt ihre Sünde und wird sie finden von Gericht zu Gericht. Weil sie Gottes eigene heilige Gerechtigkeit, die in Christus auch ihnen allen zugedacht ist, laut schmähend oder mit kaltem Vernunftstolz ablehnen, so bleibt ihre eigene Ungerechtigkeit und wird sie treffen vor Gottes Thron. Ja, wehe allen Selbstgerechten, die da meinen, keiner Versöhnung mit dem Heiligen Gott durch das teure Blut des Gotteslammes zu bedürfen! Wehe denen, die die Gerechtigkeit Gottes in Christus zur Vergebung ihrer Schuld und Sünde ausschlagen!
Wo aber aufschreiend oder still ein Herz unter der Last der eigenen Ungerechtigkeit bricht und seine Sünde ausschüttet vor dem, der seine Seele für uns in den Tod ausgeschüttet hat, da strömt vom Kreuze aus Gottes eigene heilige Gerechtigkeit als ein endloser Strom des Friedens mit Gott in solch ein entleertes Herz hinein, um es zu füllen und zu sättigen mit ewigem Leben aus Gott.
Denn die so zerbrochenen Herzens sind, die erwarten keine andere Gerechtigkeit mehr zu ihrer Heilung als die Gerechtigkeit Gottes selbst. Und so sind sie genesen von jedem Selbstbetrug und von jedem Betrug durch Menschen.
Aus der Tiefe der Buße, in der sie sich selbst verwarfen, als sie sich vor dem Sündlosen in ihrer Sünde erkannten, dürfen sie nun unverhüllt ihr Angesicht zu dem Haupte erheben, das zur Sünde gemacht sich am Kreuze für sie neigte und verschied. Ja, sein Todesschrei: „Es ist vollbracht!“ wird nun ihr endloser Jubelschrei, der zur Ehre Gottes und des Lammes durch die Sünder- und Engelswelt hallt.
Und wunderbar: Wer so den Mann der heiligen Unwissenheit erkannt und erlebt hat, der darf nun selbst ein Mensch heiliger Unwissenheit werden. Denn wer erst Jesus sündlos und schuldlos und sich selbst überaus sündig und schuldig gesehen und danach Jesus für uns zur Sünde gemacht geschaut hat, der darf sich nun in Christus sehen, wie Gott selbst ihn in Christus sieht, nämlich gereinigt, gerechtfertigt, geheiligt, angenehm und herrlich gemacht, und darf wissen und rühmend danken:
„Meine Sünden, sie sind ja nicht mehr!“
Er darf frohlocken: „das Alte ist vergangen; siehe, es ist ein Neues geworden“ (2. Kor. 5,17)
Er kennt sich nicht mehr im adamitischen Fluchbilde der Sünde, sondern über alles Sichtbare, Spürbare und Denkbare hinaus gibt er der Gottestat am Kreuz recht, und in anbetender Überlassung an seinen Erretter darf er sich schauen im Herrlichkeitsbilde der Gerechtigkeit Gottes in Christus Jesus, seinem Herrn.
Und auch das glänzende, reine feine Linnen, „die köstliche Leinwand“, das Hochzeitskleid für die himmlische Vermählung des verherrlichten Lammes mit den Seinen, wird als „die Gerechtsprechung der Heiligen“ nichts anderes sein, als die dann völlig enthüllte, am Kreuz geschenkte Gerechtigkeit Gottes in Christus (Offb. 19,8).
Und eben in dieser am Kreuz geschenkten glänzenden, reinen Gerechtigkeit Gottes in Christus wird die bluterkaufte und geistgetaufte Schar der Erlösten auch der Welt offenbar werden, wenn das als Herr aller Herren erscheinende Gotteslamm sein Königreich der Gerechtigkeit und des Friedens auf dieser dann aufatmenden Erde aufrichten wird.
Teure Seele, dieser allein rettenden Gerechtigkeit Gottes in Christus ergib dich!
Gott ermahnt dich jetzt: Ich bitte für Christus, den für dich von Gott zur Sünde Gemachten: Laß dich versöhnen mit Gott! Jesus hat für dich vollbracht am Kreuze, nun ist es an dir, das Vollbrachte zu ergreifen.
Wirst du es tun?
Wert oder Unwert deines Lebens hängen von der Beantwortung dieser Frage ab.