Wenn wir über die Vollendung des Leibes Christi reden wollen, müssen wir vorher klarstellen, was der Leib Christi ist. Auch müssen einige Darlegungen über seinen Ursprung, seine Schöpfung, Stellung und Bedeutung vorangehen. Dann können wir uns dem eigentlichen Thema zuwenden.
Die Ausdrücke Gemeinde, Herde, Weinstock u. a. finden wir schon im Alten Testament. Sie bezeichnen die Stellung des israelitischen Volkes zu Jahwe. Die gleichen Ausdrücke gebraucht der Herr Jesus auch im Neuen Testament.
Hingegen ist die Bezeichnung Leib Christi die Umschreibung eines Organismus, die erst nach dem Tod und der Auferstehung unseres Herrn gebraucht wird, ja, die eigentlich dem Schrifttum des Apostels Paulus angehört. Der Leib Christi ist eine Offenbarung, die ihm geschenkt worden ist (Eph. 3, 3). Sie konnte vor der Himmelfahrt Christi gar nicht gegeben werden, weil die Herrlichkeit Christi, d. h. seine Verherrlichung zur Rechten Gottes Voraussetzung des Leibes Christi und seiner Kundgabe ist. Darum hat auch der Herr Jesus nie von den Seinen als vom Leib Christi gesprochen. Er hat in keiner Weise vorgegriffen, wiewohl er als Sohn Gottes den ganzen göttlichen Heilsplan von Anfang bis Ende genau gekannt hat. Er hat geschwiegen über das, was verschwiegen bleiben mußte bis zu der von Gott bestimmten Stunde.
Gott hatte sich den Paulus ausersehen, um seinen bis dahin verborgenen Heilsvorsatz zu offenbaren. Die Bedeutung dieser Offenbarung ist so groß, daß der Apostel wiederholt von seinem Evangelium redet (Röm. 2, 16; 16, 25; 2. Kor. 4, 3; 1. Thess. 1, 5; 2. Thess. 2, 14; 2. Tim. 2, 8), und im Hinblick auf Gott, der diese Offenbarung gegeben hat, nennt er das Evangelium die frohe Botschaft der Herrlichkeit des glückseligen Gottes (1. Tim. 1, 11).
Zum ersten Mal redet der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief vom Leib Christi. Er stellt den Korinthern die Frage: „Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind?“ (1. Kor. 6, 15) Dann spricht er es weiter aus: „Denn ein Brot und ein Leib sind wir die Vielen, denn wir sind alle des einen Brotes teilhaftig.“ (1. Kor. 10, 17) Dadurch gibt er dem Gedächtnismahl des Herrn ganz neu die Bedeutung eines Verbindungs und Gemeinschaftsmahles im Sinn des großen Geheimnisses des Leibes Christi. Schließlich steuert er auf die gleiche Erklärung hin in Kapitel 12. Er geht dabei von der Einheit des Geistes aus, der sich in der Verschiedenheit der Geisteswirkungen äußert, und sagt: „Denn gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus.“ (1. Kor. 12, 12) Hier wird zum ersten und einzigen Mal die Gemeinschaft der Gläubigen in Verbindung mit dem erhöhten Christus „der Christus“ genannt. Begründend fährt der Apostel fort: „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden.“ (1. Kor. 12, 13) Damit ist der Leib Christi im ersten Umriß enthüllt. Er ist ein göttlicher Organismus, der durch den Heiligen Geist von Gott gebildet und gewirkt worden ist. Er hat himmlisch-irdischen und geist-leiblichen Charakter. Um es deutlich zu machen, verweist der Apostel auf die Funktion des menschlichen Leibes und auf die Bedeutung der Glieder. Dann faßt er zusammen und sagt: „Ihr aber seid der Leib Christi und Glieder insonderheit.“ (1. Kor. 12, 27)
Das „gleichwie“ in Vers 12 hat nicht die Meinung, daß dem Menschenleib die allein reale Bedeutung zugemessen und daß der Leib Christi auf das Bildliche und Symbolische beschränkt bleiben soll. Im Gegenteil, der Menschenleib ist nur ein unzulängliches und vergängliches Abbild des herrlichen Leibes Christi. Der Leib Christi entspricht dem himmlischen Urbild. Er ist die originale Realität, die alle Beschränktheit unseres sinnfälligen Erkennens weit hinter sich läßt.
Dieser erste Umriß enthüllt den Leib Christi bereits in seinem wesenhaft göttlichen Zusammenhang mit Christus. Der Leib Christi ist nicht allein und für sich, er ist immer organisch verbunden mit dem Haupt. Genau so wie unser Körper ohne Kopf lebensunfähig ist, ist der Leib Christi nur denkbar zusammen mit dem Haupt. So zusammen mit dem Haupt werden Leib und Haupt der Christus genannt. Das übersteigt unser Fassungsvermögen bei weitem. Daß Gott das so in seinem Heilsvorsatz beschlossen und diesen wunderbaren Organismus ins Dasein gerufen hat, das fasse, wer kann. Sein Christus ist nicht vollständig ohne den Leib. Zu seinem Christus gehören alle die Glieder, die als Menschen in diese Welt geboren und von ihm in diesem Zeitalter zu göttlichem Leben wiedergezeugt sind. Sie gehören so zu Christus wie die Glieder unseres Leibes zu uns gehören. Ja, die Gesamtheit dieser Glieder macht erst die Fülle des Christus aus (Eph. 1, 23). So hat sich Gott seinen Christus nicht nur gedacht, sondern so gestaltet er ihn seit bald zweitausend Jahren.
Die Weissagung des Kajaphas und die dem Paulus gegebene Offenbarung
Man hat gesagt, Ursprung und Schöpfung des Leibes Christi sei das Kreuz. Das ist nur bedingt richtig. Ohne allen Zweifel ist der Leib Christi eine Schöpfung Gottes, die auf das Kreuz Christi gegründet ist. Was jedoch den Ursprung betrifft, so reicht er zurück in den Gottesvorsatz, den er vor Grundlegung der Welt gefaßt hat zu einer Zeit, wenn wir so sagen dürfen, als es noch keine Zeit gab (Eph. 1, 4). Doch davon später.
Als das Kreuz bereits seine tiefen Schatten vorauswarf, hat Kajaphas, der jenes Jahr Hoherpriester war, unbewußt eine Weissagung ausgesprochen, die es zu beachten gilt. Er sagte, daß ein Mensch sterben müsse, damit nicht die ganze Nation umkomme. Das hat er natürlich nur in Bezug auf das Volk der Juden gesagt. Aber der Heilige Geist, welcher der göttliche Interpret ist deutete es im weiteren Sinn: „Dies aber sagte er nicht aus sich selbst, sondern er weissagte, daß Jesus für die Nation sterben sollte, und nicht nur für die Nation allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eines versammelte“ (Joh. 11, 52).
Daß Kajaphas in jener ernsten und entscheidenden Stunde eine solche Weissagung aussprechen mußte, war eine Fügung Gottes, die uns hinweist auf die Bedeutung des Kreuzes für die Sammlung der zerstreuten Kinder Gottes im Leib Christi. Wohl konnte vom Leib damals noch nicht die Rede sein, aber Gott hat den Lauf der Dinge so gestaltet, daß der Heilige Geist dann hinterher die wunderbare Deutung zu geben in der Lage war.
Was Kajaphas unbewußt weissagte, das hat Paulus nachher deutlich gesehen und uns in seinem Brief an die Epheser offenbar gemacht. Was Kajaphas undeutlich ankündigte, das hat Paulus uns als erfüllt geschildert. Hören wir seine Worte (Eph. 2, 11-22)!
„Deshalb seid eingedenk, daß ihr einst die Nationen im Fleisch wart, welche Vorhaut genannt werden von der sogenannten Beschneidung, welche am Fleisch mit Händen geschieht -, daß ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, entfremdet dem Bürgerrecht Israels und fremd den Bündnissen der Verheißung; ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht und die Scheidewand des Zaunes, die Feindschaft, in seinem Fleisch abgebrochen hat, indem er das Gesetz der Gebote, das in Satzungen bestand, hinweggetan hat, damit er die zwei, dadurch daß er Frieden stiftete, in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe und beide in einem Leib durch das Kreuz mit Gott versöhnte, nachdem er durch dieses die Feindschaft getötet hatte. Und er kam und verkündigte Frieden euch, den Fernen, und Frieden den Nahen. Denn durch ihn haben wir beide durch einen Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, indem Christus Jesus sein Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, genau zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr miterbaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geist.“
Das Werden des Leibes Christi ist so wichtig, daß wir es uns an Hand dieses Textes genauer ansehen wollen.
Seid eingedenk!
(Eph. 2,11)
Mit diesen eindrücklichen Worten beginnt der Apostel vom Werden des Leibes Christi zu sprechen. Der Leib Christi ist für ihn das große und kostbare Geheimnis.
Allem voran geht der Hinweis auf den von Gott her bestehenden Unterschied zwischen dem Volk Israel und den Nationen (Nichtisraeliten). Nur zu Israel ist Gott in gewollte und anerkannte Beziehung getreten. Zu ihm unterhielt er ein Bundesverhältnis, ihm gab er durch seine Propheten Verheißungen, und ihm allein offenbarte er sich. Die Heiden (alle Nichtisraeliten) wurden von Gott abseits gestellt und beiseite gelassen. Nicht daß Gott nicht auch der Nationen hätte gedenken wollen, doch ging er nach einem Heilsplan zu Werk, und dieser bedeutete, daß zuerst Israel berufen würde. Allerdings geschah diese Berufung Israels in der Absicht, es zu einem Heilsträger für alle Nationen zu machen. Darum hat Gott schon bei der Berufung Abrahams verheißen: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (1. Mose 12, 3). Auf dem Weg über das Volk Israel wollte Gott der übrigen Völker gedenken. Israel hat dann allerdings den Messias verworfen und ist deshalb von Gott selber verworfen worden. Aber durch diese Verwerfung ist die Absicht Gottes nicht dahingefallen. Er wird sein göttliches Vorhaben im Sinne seines Heilsvorsatzes genau durchführen, und zwar sowohl mit seinem Volk Israel als auch mit den Heidenvölkern.
Nun hat aber Gott etwas hineingeschoben zwischen diese Verwerfung und die weitere Durchführung seines Heilsplanes mit seinem Volk Israel und mit der heidnischen Völkerwelt. Es ist die Gemeinde, der Leib Christi, ein neuer Heilsträger und besonderes Heilsinstrument. Dieser Leib Christi ist das eigentliche Thema der Botschaft des Apostels Paulus. Dieses Thema ist neu, ganz neu. Es konnte solange nicht davon die Rede sein, als die Verwerfung des Messias durch das Volk und die Verwerfung des Volkes durch Gott nicht offenbar war. Endgültig offenbar wurde es durch die Steinigung des Stephanus, durch den der Heilige Geist noch einmal ein ernstes Zeugnis an die Juden richtete.
Es ist deshalb müßig, im Alten Testament Licht über die Gemeinde als den Leib Christi finden zu wollen. Aus dem gleichen Grund machen auch die Reden des Herrn Jesus in Bezug auf den Leib Christi nur weniges deutlich. Gott hat die Offenbarung des Geheimnisses des Leibes Christi, oder wie es kurz auch genannt wird: das Geheimnis des Christus, dem Apostel Paulus anvertraut (Eph. 3, 3; Kol. 1, 26ff. u. a.). Es war den früheren Geschlechtern verborgen. Wer das mißachtet, wird kaum zur Klarheit kommen.
“Seid eingedenk, daß ihr einst die Nationen im Fleisch wart“
(Eph. 2, 11).
Gerade das hielt der Apostel Paulus für so wichtig, daß die Epheser daran denken sollten, woher sie kamen. Man ist zuweilen nicht gern an seine Herkunft erinnert, doch hier half es mit, unter ihnen Klarheit zu schaffen. Für uns jedoch, die wir aus dem christlichen Abendland stammen, christlich erzogen worden sind und auch in einem christlichen Land wohnen, ist es da auch unerläßlich, daß wir daran erinnert werden, daß wir einst die Nationen im Fleisch waren? Es wäre wohl nicht so nötig, wenn es nur darum ginge, uns der Vergebung unserer Sünden bewußt zu werden und uns der Liebe unseres Heilandes zu erfreuen. Aber es geht um mehr; es geht um das Geheimnis des Christus. Auch wir sollen eintreten in dieses Geheimnis. Dazu ist es notwendig, sich des Unterschiedes zwischen uns, den Nationen, und Israel, dem Volk Gottes, bewußt zu werden. Gerade die Verwischung dieses Unterschiedes war der Grund, daß aus dem Israel Gottes ein geistiges Israel, eine mit alttestamentlichen Verheißungen sich segnende Kirche wurde. Die Verwischung des Unterschiedes war ein gewaltiges Hindernis für die Erfassung des Geheimnisses des Christus.
Die richtige Erkenntnis, wie unser eigentlicher, ehemaliger Zustand war, kann uns nur dadurch kommen, daß wir uns unter die Wirksamkeit des Heiligen Geistes stellen. Nur er kann uns das richtige Verständnis geben. Dieses Verständnis ist Ausgangspunkt zum Eindringen in das Geheimnis des Christus.
“Daß ihr zu jener Zeit ohne Christus wart“
(Eph. 2, 12).
Bevor Christus im Fleische kam, war er mitten unter seinem Volk Israel. Wir lesen das ganz deutlich im 1. Korintherbrief. Paulus sagt, daß der geistliche Fels, welcher Christus ist, ihnen in der Wüste nachfolgte (1. Kor. 10, 4). Das war ein großes Privileg, das die Heiden nie gehabt haben. Wir waren ohne Christus. Wir hatten auch kein Bürgerrecht. Israel hingegen war ein Gottesstaat, eine Theokratie, und jeder Israelit hatte darin sein Bürgerrecht. Es war - was immer das Volk auch daraus gemacht hat - ein göttliches Bürgerrecht. Weiter waren wir Fremdlinge in Bezug auf die Bündnisse. Sie gingen uns nichts an. Die Bündnisse verbanden die Israeliten mit dem lebendigen Gott und waren nur für das Bundesvolk Israel. Es waren Bündnisse göttlicher Verheißung. Dadurch, daß Gott Verheißungen gab, hat er dieses Volk zu ihm ins Bundesverhältnis gestellt. Wenn auch das Volk die Bündnisse zehnmal gebrochen hat, so wird doch Gott seinen Bund halten und bis ins Letzte hinein durchführen. Damit ist ja gerade der Fortbestand dieses wunderbaren Volkes garantiert. Für uns gab es weiter auch keine Hoffnung. Gott hatte zu keinem der außerisraelitischen Völker gesprochen und sich keinem bezeugt. Das wäre immerhin nötig gewesen, wenn die Berechtigung zu einer Hoffnung in uns hätte aufkommen sollen. Wir waren ohne Gott in der Welt und darum Ungöttliche. Wir waren ohne Christus und darum ohne Hoffnung. Ein Zustand kann wohl kaum schlimmer geschildert werden als mit den Worten: ohne Gott, ohne Christus. Es gab keine Möglichkeit, zu Gott und zu Christus in Beziehung zu kommen.
„Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr durch das Blut des Christus nahe geworden“
(Eph. 2, 13)
Der entscheidende, von Gott bewirkte Umschwung vollzog sich in Christus Jesus. In seiner alles umspannenden Person hat sich der ausschlaggebende Vorgang abgespielt. Es ist nicht etwa eine neue göttliche Vorschrift zum Gesetz Gottes hinzugefügt worden, so eine Art nachträglicher Anhang zum Gesetz vom Sinai, der sich auch mit uns befaßt hätte. Nein, es ist etwas ganz Neues geschehen, neu nach Inhalt, Form und Vollzug. Es ist so gekommen, daß Gott uns, die wir fern waren, in besonderer Weise in die lebendige und göttliche Verbindung mit Christus gebracht hat, so daß uns sein Wesen und sein Leben eingegeben und mitgeteilt worden sind.
Es heißt ausdrücklich „in Christus Jesus“. Damit ist vorerst nicht das Mittel angegeben, durch das es geschehen ist. Davon ist nachher die Rede. Christus ist zunächst nicht das Werkzeug, sondern das neue Lebens- und Wesensverhältnis, in welches Gott uns durch die Wiedergeburt hineingestellt hat. Gerade so, wie wir in eine Familie hineingeboren werden - wenigstens im Normalfall - und Wesen und Art der Familie geburts- und standesmäßig an uns tragen, sind wir in dieses göttliche Lebens- und Wesensverhältnis „in Christus Jesus“ hineingeboren und hineingestellt. Dieser neue und ganz andere Lebensstand, dieses uns gegebene andere Sein, dieses Sein in Christus Jesus, hat den gewaltigen Umschwung gebracht.
„Ihr seid durch das Blut des Christus nahe Gewordene“
(Eph. 2, 13).
Das konnte nun nicht anders geschehen als durch seinen Tod. Der Tod Jesu Christi ist die Grundlage der Gemeinde. Durch sein Blut sind wir nahe gekommen. Nahe, aber nahe wem? Wir waren fern von allem Göttlichen, das in Verbindung mit dem Volk Israel gegeben worden war. Sind wir nun diesem Volk und damit den ihm gegebenen Verheißungen nahe gekommen? Nein! Unser „Nahe“ hat einen ganz andern, viel höheren Sinn. Es ist nicht durch die Vermittlung des Volkes Israel gekommen, sondern durch das Blut des Christus. So ist es auch in Christus Tatsache geworden. Allein in ihm, d. h. dadurch, daß wir wesensmäßig mit ihm verbunden worden sind, sind wir nahe gekommen, gerade so nahe, wie er selber Gott nahe ist. Das ist eine Nähe, die vollauf durch ihn gekennzeichnet ist, sowohl hinsichtlich Art und Umfang als auch hinsichtlich Intensität. Wir sind nahe, weil Christus nahe ist. Es ist das Nahesein in der Gegenwart Gottes, das Nahesein, in dem Christus selber steht und in das wir hineingestellt sind.
Durch sein Blut sind wir nahe geworden. Am Kreuz hat Christus durch alles, was nicht aus Gott ist, einen Strich gemacht. In ihm und an ihm ist dort alles Ungöttliche gerichtet worden. Das Kreuz hat mit allem Alten abgeschlossen. Es ist die Scheidung zwischen oben und unten, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Tod und Leben. Am Kreuz sind wir, was unsern alten Zustand anbetrifft, zu Ende gekommen, durchgestrichen und abgetan. Nur so war es möglich, daß wir nahe werden konnten. Denn zu Gottes Gegenwart paßt ja nichts, was nicht aus ihm ist. Darum sagt der gleiche Apostel „Aus Gott seid ihr in Christus Jesus“ (1. Kor. 1, 30).
Wir sind gewohnt, unsere Beziehungen zu Gott und seinem Christus vorwiegend individuell, d. h. für uns allein zu sehen. Gewiß es gibt viele Stellen in der Schrift, die gerade unsere Beziehungen als einzelne zum Herrn Jesus und zum Vater unterstreichen und ganz köstliche Tatsachen hervorheben. Wenn wir nur an die Abschiedsreden unseres Herrn denken (Joh. 14-17), erfüllt es uns mit freudigem Staunen, daß er selber uns als einzelne so hoch und wert schätzt. Aber es ist andererseits auch eine Tatsache, daß Gott in Bezug auf uns viel mehr kollektiv denkt, uns als eine Gesamtheit sieht, als wir das zu tun pflegen. Wir sind eben Individualisten und Opportunisten es kreist bei uns so leicht alles um uns selber, und dann fragen wir besorgt nach dem eigenen Nutzen, den etwas für uns hat. Aber Gott sieht uns kollektiv, er sieht uns in Christus Jesus als den Leib Christi, als die herrliche Fülle seines Christus, durch die er einmal alles zur Erfüllung bringen wird. Daran müssen wir denken, wenn wir lesen, daß wir nahe gebracht sind.
Wenn wir gesagt haben, daß wir nahe sind, weil Christus nahe ist, und daß wir so nahe sind, wie Christus nahe ist, dann ist das vor allem wahr, wenn das „wir“ gemeinsam und in Bezug auf den Leib Christi gesehen wird. Weil wir Leib Christi sind und deshalb ganz zum Haupt gehören und wesens- und lebensmäßig mit den Haupt verbunden sind, deshalb sind wir nahe geworden. Wir sind eben da, wo er ist.
„Denn er ist unser Friede“
(Eph. 2, 14).
Christus ist unser Friede. Wenn Paulus hier das Fürwort „unser“ gebraucht, so meint er den Frieden, der sowohl denen aus den Juden als auch denen aus den Heiden gemeinsam ist. Bis dahin war es jedem Israeliten von Gott her verboten, mit der Heidenwelt Umgang zu haben. Der Jude versündigte sich, wenn er es tat. Nun bildet Gott eine neue Körperschaft, den Leib Christi, aus solchen, die dem Judentum angehören, und solchen, die aus dem Heidentum sind. Dabei hebt er den Unterschied an sich, den er zwischen Juden und Heiden gemacht hat, gar nicht auf. Er verschiebt die Lösung des Völkerproblems auf spätere Zeiten. Das Judenvolk einerseits und die heidnische Völkerwelt andererseits bleiben weiter bestehen. Aber einzelne aus Israel und einzelne aus der Heidenwelt werden herausgenommen und zu einem besonderen Ganzen vereinigt. Es geschieht in Christus Jesus. Die seit Jahrtausenden bestehende Feindschaft ist unter diesen aus beiden Kategorien herausgenommenen Menschen beseitigt. Beiden ist Christus zum Frieden geworden. In ihm haben sie sich zueinander gefunden und sind so ins Gleichgewicht gekommen, daß sie in Christus sich auch eins wissen.
So durfte Paulus die Erfüllung von dem sehen, was Kajaphas anläßlich des Todes unseres Herrn unbewußt geweissagt hat: „auf daß er die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (Joh. 11, 52).
„Er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat“
(Eph. 2, 14).
Hier stehen wir mitten in der Erfüllung der oben erwähnten Weissagung des Kajaphas. Christus hat aus beiden eines gemacht.
Das kann man, wir wiederholen es, nicht so verstehen, als ob es jetzt für Gott nur noch eines gäbe und von Israel oder den Nationen als getrennt voneinander dastehende Menschenmassen nicht mehr die Rede wäre. Dieses Einsmachen hat nur Bedeutung für den Leib Christi bzw. für die, die dazugehören, seien sie nun aus den Juden oder den Heiden.
Wir möchten das Wort „eines“ besonders betonen. Es ist damit das ganz Neue, der Leib Christi, umschrieben. Es ist nicht nur so, wie wenn wir beispielsweise aus verschiedenen Flüssigkeiten je etwas herausnehmen, zusammengießen und auf diese Weise eine neue Flüssigkeit herstellen. 0 nein! Gerade darum steht ja das Kreuz dazwischen. Das Alte ist abgetan, das Neue ist geworden in Christus Jesus. Das Alte war menschlich und vergänglich, das Neue ist göttlich und unvergänglich. Das Alte gehörte zur alten Schöpfung, das Neue entspricht der neuen und gehört zur neuen. Das „Eines“ paßt ganz zu Christus, und weil es zu ihm paßt, ist es völlig tauglich vor Gott, für Gott und für seinen innergöttlichen Lebensbereich.
„Der die Scheidewand des Zaunes, die Feindschaft, in seinem Fleisch abgebrochen hat“
(Eph. 2, 14).
Damit der Leib Christi werde, hat Christus die Scheidewand des Zaunes abgebrochen. Diese Scheidewand war das Gesetz, das von Gott dem Volk Israel gegeben war und es zu pädagogischem Zweck und Ziel von den andern Völkern abzuschließen hatte. Gott wollte - wenigstens vorderhand - keine Vermengung Israels mit andern Völkern. Gerade diese Scheidewand wurde zur Feindschaft zwischen Juden und Heiden. „Das Gesetz bewirkt Zorn“ (Röm. 4, 15). Die Juden sahen des Gesetzes wegen mit Verachtung auf die anderen Völker, und die Völker empfanden Feindschaft wider dieses eigen- und andersartige Volk. Wir müssen hinzufügen, daß diese Feindschaft, wiederum im pädagogischen Sinn, gottgewollt war. Das erscheint paradox.
Aber ebenso paradox ist es, daß sich diese Feindschaft letzten Endes gegen Gott gerichtet hat. Das wurde bei den heidnischen Völkern immer wieder offenbar, zeigte sich aber auch in der Widerspenstigkeit des Volkes Israel gegen seinen Gott. „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem muß er sterben“, haben die Juden vor Pilatus gesagt (Joh. 19, 7). Deutlich hat sich die Spitze dieser Feindschaft gegen Gott gerichtet, als Juden und Heiden sich zusammentaten, um den Sohn Gottes ans Kreuz zu schlagen.
Doch gerade am Kreuz hat Christus diese Feindschaft hinweggetan. Er hat die Scheidewand abgebrochen. Die Feindschaft hat in seinem Fleische ihm zugesetzt. Als er am Kreuz hing, haben diese Mächte von ihm und in ihm („Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts in mir“; Joh. 14, 30) ihr Recht gefordert. Er hat den Tribut bezahlt, und dadurch sind sie überwunden worden. Uns ist dies ein sehr geheimnisvoller Vorgang heilsgeschichtlichen Geschehens.
„Indem er das Gesetz der Gebote, das in Satzungen bestand, hinweggetan hat“
(Eph. 2, 15).
Auch das ist für uns ein geheimnisvoller Vorgang. Wir müssen festhalten, daß er das Gesetz nicht in dem Sinn aufgehoben hat, daß es jetzt nicht mehr existiert. Es gilt nach wie vor für das Volk Israel. Aber für diejenigen, die aus Israel zum Leib Christi hinzugetan werden, gilt die Tat Christi am Kreuz vollauf. Das Gesetz mit seinen Geboten, die als schwere Last einem Juden aufgebürdet sind, ist für sie aufgehoben. Es ist aufgehoben, weil Christus in seinem Fleisch während seines Erdendaseins und insbesondere am Kreuz alle gerechten Ansprüche der göttlichen Forderungen zur Ehre Gottes restlos erfüllt hat. Wenn wir an das oberste und größte Gebot denken: „Du sollst Jahwe, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft“ (5. Mose 6, 5), so liegt auf der Hand, daß dieses Gebot auch der strenggläubigste Jude nicht halten konnte. Aber der Herr Jesus konnte von sich sagen, was prophetisch schon Jahrhunderte vor ihm niedergeschrieben war: „Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps. 40, 8 [9]). Gerade am Kreuz hat es sich gezeigt, daß er seinen Gott liebte von ganzem Herzen, mit seiner ganzen Kraft und mit seiner ganzen Seele.
Weil er ein für allemal das Gesetz Gottes erfüllt hat, hat er den berufenen Juden freigemacht vom Gesetz. Ein solcher Jude ist frei, um in den neuen göttlichen Organismus, den Leib Christi, eingegliedert zu werden.
„Damit er die zwei dadurch, daß er Frieden stiftete, in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe“
(Eph. 2, 15).
Der Ausdruck „die zwei“ umfaßt wiederum weder alle Juden noch alle Heiden. Er beschränkt sich auf die Juden und Heiden, die zum Leib Christi berufen sind.
Der Friede ist nicht dadurch gekommen, daß „die zwei“ sich eines Besseren besonnen hätten, sondern weil Christus diesen Frieden gestiftet hat. Er sollte und wollte etwas Neues schaffen, etwas noch nie Dagewesenes. Da war es nötig, unter den zum Neuen berufenen Juden und Heiden Frieden zu machen. Die Juden waren voller Feindschaft. Ihre Feindschaft richtete sich schließlich gegen Christus, ihren Messias. Diese Feindschaft richtete sich aber auch gegen alle, die nicht zum Volk Israel gehörten. Doch nicht minder die Heiden, Sie „lebten in Bosheit und Neid; verhaßt und einander hassend“ (Tit. 3, 3). Daher mußten sowohl Juden als Heiden zuerst zu Christus ins Gleichgewicht gebracht werden und in ihm ihren Frieden finden. Dadurch aber war auch der Friede unter ihnen beiden gestiftet und die Voraussetzung für das Folgende geschaffen.
„Damit er die zwei … in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe“
(Eph. 2, 15).
Es war die Absicht Gottes, einen neuen Menschen zu schaffen; nicht einen neuen Menschentyp, sondern einen neuen Menschen, einmalig in Art und Erscheinung. Diese Absicht Gottes faßt berufene Juden und Heiden zusammen in Christus, so daß sie, die vielen, mit ihm zusammen die wunderbare Einheit bilden: den einen neuen Menschen, den Christus. Das ist das, was Paulus bereits früher gesagt hat mit den Worten: „Also auch der Christus“ (1. Kor. 12, 12).
Dieser eine Mensch ist neu vor Gott, seinen Engeln und im ganzen Universum. Er ist geschaffen, d. h. schöpferisch ins Dasein gerufen und gestaltet worden durch Jesus Christus. Aber nicht nur das. Unser Herr Jesus Christus hat ihn in sich selbst, d. h. in seiner Person, schöpferisch geschaffen. Die Gestaltungselemente sind aus ihm. Wie einst Adam aus Erde gebildet worden ist, so ist dieser neue Mensch aus Christus geschaffen, aus dem, was er ist, aus seiner Art und seinem Wesen. Und er ist geschaffen worden in ihm selbst, d. h. nicht um ein Wesen außer Christus zu sein, sondern ein Gebilde ganz in ihm. Der eine neue Mensch kann nicht nur nicht existieren außerhalb des Christus, sondern hat Wesen von seinem Wesen und ist wesenhaft eins mit ihm.
Was das ist, läßt sich mit menschlichen Worten nur schwer ausdrücken, mit dem menschlichen Verstand aber schon gar nicht erfassen. Nur der Heilige Geist kann es klar machen; und nur dem kann es deutlich werden, der berufen und eingefügt ist in diesen göttlichen Organismus.
Auf noch etwas möchten wir aufmerksam machen. Es ist hier vom Menschen die Rede, und doch haben wir oben gesagt, daß dieser Organismus göttlich ist. Darin liegt kein Widerspruch, sondern eine wunderbare göttliche Tatsache. Gleichwie Christus selber göttlich ist und göttliches Wesen hat, so hat auch der Leib Christi göttliche Natur. Aber ebensosehr wie Christus zugleich Mensch ist, der himmlische Mensch (1. Kor. 15, 47; Röm. 5, 15; 1. Tim. 2, 5), also ist es auch mit dem einen neuen Menschen, er ist mit Christus eines, menschlich und göttlich zugleich.
„Und hat die beiden in einem Leib mit Gott versöhnt durch das Kreuz, nachdem er durch dieses die Feindschaft getötet hatte“
(Eph. 2, 16).
Wir sind mit Gott versöhnt durch das Kreuz, jeder einzeln für sich. Aber die berufenen Heiligen sind nicht mit ihm versöhnt, um als Einzelindividuen ihren seligen Eingang in den Himmel zu erwerben, sondern sie sind alle, ob aus den Juden oder Heiden, in einem Leib mit ihm versöhnt. Damit will gesagt sein, daß sie gleichzeitig in diesen einen Leib hineingestaltet worden sind, welcher der Leib Christi ist. Die Versöhnung mit Gott und die Bildung des Leibes Christi gehen Hand in Hand. Gott sieht allenthalben Versöhnung, wenn er den Leib Christi sieht. Der berufenen Heiligen Bestimmung ist dieser Leib. Das Kreuz hat sie schöpferisch in einen Leib zusammengefügt, und dieser ist ein lebendiges Beispiel der Versöhnung (Gal. 3, 28; 2. Kor. 5, 19.20).
„Und er kam und verkündigte Frieden euch, den Fernen, und Frieden den Nahen“
(Eph. 2, 17).
Dreimal ist in diesen Versen von Frieden die Rede (Verse 14, 15 und 17). In unserem Vers wird das Wort zudem doppelt gebraucht. Er ist der Friede, er stiftet ihn und er verkündigt ihn. Friede ist das Ausgeglichensein, wie es sich nur in Gott und in seinem Sohn findet. Er ist das göttliche Gleichgewicht, das durch nichts gestört werden kann. Er ist die göttliche Unversehrtheit, die nichts zu verletzen vermag. Christus ist der Inbegriff göttlichen Gleichgewichts und göttlicher Unversehrtheit, und im Sohn Gottes finden sie ihren Ausdruck. Darum heißt es: „Er ist unser Friede“. In sich selber bringt er uns in die göttliche Unversehrtheit, wo uns nichts mehr beschädigen und verletzen kann. Und in ihm kommen wir in jenes glückselige Gleichgewicht, das der Gegenwart Gottes eigen ist.
Aber er stiftete auch Frieden zwischen Menschen, die sich artfremd und feindlich gegenüberstanden. Er vereinigte sie in dem einen Leib Christi. Endlich machte er den Frieden zum Gegenstand der frohen Botschaft für die Fernen (die Heiden) und für die Nahen (die Juden).
„Er kam und verkündigte Frieden.“ Wann war das? Man könnte sagen, es war damals, als das Wort Fleisch ward. Und doch liegt auf der Hand, daß die Verkündigung des Friedens erst nach seinem Kreuz, seiner Auferstehung und seiner Verherrlichung zur Rechten Gottes stattfinden konnte. So ist denn auch der Leib Christi als Folge der Friedensverkündigung erst nach Kreuz, Auferstehung und Verherrlichung ins Dasein gerufen worden. Wenn es heißt, daß er kam und Frieden verkündigte, so kann es gar nicht anders sein, als daß er es durch den Heiligen Geist getan hat.
Gerade der Friede ist ein besonderes Merkmal des Leibes Christi: Der Leib Christi steht in der Unversehrtheit Gottes und im göttlichen Gleichgewicht. Die Gemeinde Gottes ist mit ihrem Haupt Jesus Christus so verbunden, daß sie in ihm an allein Göttlichen teilnimmt. Damit sie das kann, bedarf sie eben der Ausgeglichenheit und Unversehrtheit Gottes.
„Denn durch ihn haben wir beide durch einen Geist Zugang zum Vater“
(Eph. 2, 18).
In diesem Zusammenhang ist nun von unser beider Zugang zum Vater die Rede. Der Zugang ist durch ihn, der in sich selbst beide zu einer göttlichen Einheit zusammengefaßt hat, und er vollzieht sich fortwährend durch den einen Heiligen Geist. Dieser eine Geist wirkt einheitlich, ganz ungeachtet der Herkunft der einen oder andern. Es geht ihm um das eine Ziel: den Zugang zum Vater.
Während nach Römer 5, 2 der Zugang für den einzelnen gilt, ist er hier wohl eher kollektiv zu deuten. Beide, die berufenen Juden und Heiden, haben in dem einen neuen Menschen Zugang zum Vater. Als Leib Christi kommen wir zum Vater, angeführt durch das Haupt und durchdrungen von dem einen Heiligen Geist. Aus dem Text erhellt, daß es darum geht, mit dem Vater unseres Herrn Jesus Christus vertrauten und göttlichen Umgang zu haben. Dabei werden nicht vorab unsere persönlichen Wünsche und Belange das Gesprächsthema bilden. Denn schließlich ist ein Vater - und das vergessen wir so leicht - nicht nur dazu da, um unsere persönlichen Wünsche entgegenzunehmen und danach zu handeln. Vielmehr bestimmt der Vater das Thema; er führt das Gespräch. Dabei geht es um seine Herrlichkeit und die seines Sohnes. Es geht um seine Heilsabsichten und darum, sein Wesen zu offenbaren. Aber es geht auch darum, uns in seine Gottheit einzuführen. Im Sohn Gottes sind wir Söhne. Mit Christus sind wir zu einer wesenhaft göttlichen Einheit zusammengefaßt. Wo könnte unser Platz anders sein als beim Vater? So hatte schon der zwölfjährige Jesus seinen Eltern gesagt: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?“ (Luk. 2, 49). Und so hat es Paulus gemeint, als er sagte: „Mit Christus lebendig gemacht … und in Christus mitsitzend im Himmlischen“ (Eph. 2, 5.6).
„So seid ihr nun nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“
(Eph. 2, 19).
Mitbürger der Heiligen nennt der Apostel diejenigen, die zum Leib Christi gehören. Es ist das der einzige Ausdruck solcher Art im Neuen Testament. Heilige und Gottgeweihte, die Gott sich selber geweiht und auf sich ausgerichtet hat. Er hat sie im Leib Christi zusammengefaßt und geweiht. Das Wort Mitbürger läßt auf das Bild von einem Reich schließen. Die Heiligen gehören zu einem Reichsgebilde, an welchem nur sie Anrecht haben. Dieses Anrecht ist ihre Mitbürgerschaft. Anderswo führt der Apostel den Gedanken weiter aus mit den Worten: „Er hat uns fähig gemacht zum Anteil am Erbe der Heiligen im Licht … und uns versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe“ (Kol. 1, 12.13).
Hausgenossen sind solche, die Zugang haben zum Vater. Sie genießen bei ihm nicht nur ein Wohnrecht, sondern sie gehören zum Haus Gottes und werden in das eingeführt, was Gottes ist. Hausgenossen Gottes sind bei Gott zu Hause.
Wenn gesagt wird, „ihr seid nicht mehr Fremde“, so darf das nicht nur darauf bezogen werden, daß wir, aus den Heiden, damals abseits standen, als Gott das Volk Israel zu seinem Volk erwählte und ihm seine göttlichen Verheißungen gab, sondern im Sinn der Ausführungen des Apostels Paulus darf der Ausdruck auf unsere heutige Stellung vor Gott bezogen werden. Wir sind im Haus Gottes und in seiner Gegenwart keine Fremden, wir sind keine solchen, an denen Gottfremdes haftet. Nein, wir gehören zu ihm. Dadurch, daß wir in Christus sind, und Gott uns in den Leib Christi hineingebildet hat, passen wir zu Gott. Was aber zu ihm paßt, ist nicht fremd.
„Aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten“
(Eph. 2, 20).
Es werden hier Apostel und Propheten genannt. Die Apostel gehören ohne Zweifel dem Neuen Testament an. Wir dürfen dabei nicht nur an Paulus oder die zwölf Apostel denken. Die Apostelgeschichte nennt auch andere Brüder Apostel, so Barnabas, den Mitarbeiter des Paulus (Apg. 14, 14). Darum, wenn Paulus von den Gaben und Aufgaben in der Gemeinde spricht und Apostel nennt, so gebraucht er das Wort genau so in der unbestimmten Form wie bei den anderen Kategorien von Beauftragten. Er sagt also nicht „die“ Apostel, sondern einfach Apostel, Propheten, Lehrer (1. Kor. 12, 28.29). Er läßt es also offen, daß Gott Apostel geben kann in beliebiger Zahl genau so, wie er es tut bei den Propheten und Lehrern.
Apostel ist ein Gesandter Gottes mit einer bestimmten, von Gott ihm aufgetragenen Botschaft. Paulus war deshalb ein Apostel, weil ihm in besonderer Weise die Verkündigung des Geheimnisses Christi anvertraut war und weil er Auftrag hatte, die Gemeinde Gottes entsprechend diesem Geheimnis auf Christus Jesus und auf Gott auszurichten.
Wie ist es weiter mit den Propheten? Werden wir da auf das Alte Testament verwiesen? Wenn wir daran festhalten, daß das Geheimnis der Gemeinde als des Leibes Christi dem Paulus geoffenbart war, während es früheren Geschlechtern verborgen blieb, dann dürfen wir die hier genannten Propheten wohl kaum im Alten Testament suchen. Die alttestamentlichen Propheten waren Boten Gottes an sein Volk. Zuweilen hatten sie auch außerhalb des Volkes Israel eine Botschaft auszurichten, aber es geschah immer im Zusammenhang mit Israel. Schon aus diesem Grund konnten sie nicht Propheten sein für ein Heilsgebilde Gottes, das ganz außerhalb des Volkes der Juden geschaffen wurde und mit den nationalen Volksaufgaben Israels nicht in Beziehung gebracht werden kann. Wenn man aber in Betracht zieht, daß ein Prophet ein Botschaftsträger Gottes ist, der in der Gegenwart Gottes lebt und den Auftrag hat, andere in die Gegenwart Gottes zu stellen, dann wird man kaum Mühe haben, auch für die Zeit des Neuen Testaments Propheten zu erkennen und zu bejahen. Und wenn wir uns die göttliche Aufzählung ansehen (1. Kor. 12, 28), so heißt es dort deutlich: „Gott hat in der Gemeinde gesetzt die einen als Propheten …“ War nicht gerade Paulus zugleich ein solcher Prophet? War das nicht eben prophetische Arbeit, was er von sich und seinen Mitarbeitern sagt: „daß wir jeden Menschen in Christus (vor Gott) darstellen“ (Kol. 1, 28)? Wir halten dafür, daß Paulus nicht nur Apostel war, sondern Prophet, Lehrer, Hirte und Evangelist zugleich.
„Aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, indem Christus Jesus sein Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, genau zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn“
(Eph. 2, 20.21).
Immer noch redet Paulus kollektiv, nicht vom einzelnen, sondern von der Gemeinde, dem Leib Christi. Das Thema ist das gleiche, hingegen hat er die Betrachtungsweise geändert. In den bisherigen Versen hat er die Gemeinde im himmlischen Gottesbereich gesehen, jetzt zeigt er sie in ihrem irdischen Lebensverhältnis.
Sie ist gebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten. Paulus hat einmal vom Grund gesprochen, den er gelegt hat und der Christus ist (1. Kor. 3, 10.11). Das ist natürlich das Hauptfundament. Aber gerade deshalb war er ein Apostel Christi Jesu, um diesen Grund zu legen und deutlich zu machen. Er hatte den Auftrag, das Geheimnis des Christus zu offenbaren, zu zeigen, daß die Gemeinde Gottes nicht nur eine Vereinigung von Erlösten ist, sondern in der Sohnschaft steht und in Christus in ein wesenhaftes Verhältnis gestellt ist zu Gott und zum Sohn Gottes. Die Grundlage der Apostel und Propheten ist eine Grundlage besonderer göttlicher Offenbarung, die weit über die Sündenvergebung und das Seligwerden hinausgeht. Diese Grundlage umfaßt alles, was der Apostel Paulus in seinen Briefen vom Leib Christi geschrieben hat.
Die Gemeinde Gottes wird aufgebaut. Sie ist ein Bau. Sie ist noch nicht fertig. Sie wird es erst dann sein, wenn das letzte Glied am Leib Christi hinzugefügt sein wird. Wann das sein wird, weiß Gott allein. Jetzt wird daran gebaut. Und es wird immer in Ausrichtung auf Christus hin gebaut. Er ist das Muster, der Eck- oder Kopfstein, d. h. der Stein, der für alle Steine das Maß und die Form bestimmt. Auf ihn hin wird alles ausgerichtet und abgepaßt. Darum heißt es in unserem Text „sein Eckstein“. Beim Kopfstein kann man vielleicht an den Schlußstein einer ägyptischen Pyramide denken, der in sich selber eine Pyramide ist und genau die Form und die Winkel aufweist, in der bzw. in denen alle anderen Steine gebaut sein müssen.
Im Eck- oder Kopfstein ist der Bau genau zusammengefügt. Alles ist an seinem Platz. Nichts Unpassendes und nichts Verkehrtes kommt hinein, und er wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Der Tempel ist die Wohnung Gottes. Er gehört als Zentrum in ein Reich, das von Gott aus geleitet und beherrscht wird. Ein Abbild davon finden wir im Tempel Salomes, der der Mittelpunkt der weiten Theokratie (Gottesherrschaft) sein sollte. Unser Bild, das der Apostel Paulus hier gebraucht, weist in die Zukunft. Wohl wird jetzt am Tempel gebaut, wohl wohnt Gott bereits jetzt in seiner Gemeinde. Aber es wird für die Zukunft gebaut. Wenn alles vollendet sein wird dann wird der Christus sein Vollmaß erreicht haben. Er wird Gott zur vollkommenen Innewohnung dienen, und von ihm aus und durch ihn wird Gott im weiten Universum sein Heilswalten entfalten und seine göttlichen Heilsgedanken zu letzter Erfüllung bringen. Dann wird die Heiligkeit des Tempels Gottes nicht mehr durch Seraphim gekennzeichnet werden (Jes. 6, 3), sondern durch den vollkommenen Christus, Haupt und Leib.
Damit ist Paulus aber schon wieder in den ewigen Gottesbereich vorgedrungen. Bei diesem großen göttlichen Gegenstand des Leibes Christi muß Paulus eben in Bildern reden, und diese weisen vom irdischen Lebensboden in die Wirklichkeit des ewigen Gottesbereichs.
Doch noch einmal weist er auf das Diesseitige zurück. „Auch ihr“, sagt er, „werdet mit aufgebaut zu einer Behausung Gottes im Geist.“ Das geschieht jetzt. Wir reden oft von Erbauung und meinen damit, daß dadurch unsere Gefühle beschwingt werden. In diesem Sinn gibt es viel „Erbauliches“. Doch ist das nicht Erbauung, wie der Heilige Geist sie meint. Erbauung ist vielmehr Darreichung geistlichen Gutes, die uns zu Geistlichen macht. So und nur so werden wir mitaufgebaut zu einer Behausung Gottes im Geist.
Diese Behausung ist jedoch nicht nur zukünftig. Gott wartet nicht ab, bis der ganze Bau fertig ist. Schon jetzt wohnt er, wie wir es schon gesagt haben, in der Gemeinde. Darum heißt sie auch die Gemeinde Gottes. Wenn Gott darin wohnt, so kann sie nichts anderes als göttlich sein, denn Gott kann nur im Göttlichen wohnen.
Das zweite Kapitel des Epheserbriefes ist eine Verdeutlichung der Offenbarung des Leibes Christi, die der Apostel Paulus uns früher in 1. Kor. 12, und zwar zunächst nur im Umriß, enthüllt hat. Im 1. Korintherbrief wird uns anhand des menschlichen Leibes der organische Zusammenbau und die organische Funktion des geheimnisvollen Organismus des Leibes Christi gezeigt. Im Epheserbrief werden wir in die göttliche Keimes- und Geburtsgeschichte des Leibes Christi eingeführt. Zudem wird uns ein weiter Ausblick auf die zukünftige Lebensweise und die herrliche Zweckvollendung dieses lebendigen Bauwerkes gegeben. Der Höhepunkt der Offenbarung in 1. Kor. 12 ist der, daß der Leib Christi zusammengefügt mit dem Haupt „der Christus“ genannt wird (1. Kor. 12, 12). In Eph. 2, 12 gipfelt die neue und erweiterte Offenbarung darin, daß aus Juden und Heiden der Leib Christi gebildet und in Christus selber zu dem einen neuen Menschen geschaffen wird.
In beiden Kapiteln ist vom Heiligen Geist die Rede. Wie oben gesagt, kann Eph. 2,17 nur so verstanden werden, daß Christus den Nahen und den Fernen den Frieden durch den Heiligen Geist verkündigt hat. Das entspricht genau dem 13. Vers in 1. Kor. 12, wo gesagt ist, daß wir alle (Juden und Griechen) in einem Geist zu einem Leib getauft worden sind.
Des Leibes Christi Geburtsstätte ist der am Kreuz gebrochene Leib des Herrn. Seine Ausgeburt und Ausgestaltung jedoch besorgt der Heilige Geist. Dieser ist die Kraft, mit der Gott den Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat. Auch der Aufbau und die Vollendung des Leibes Christi geschieht allein durch den Geist.
Darum kann niemand Glied im Leib Christi werden ohne den Heiligen Geist. Dieser Geist wirkt den lebendigen Glauben und bewirkt die Wiedergeburt. Er macht Wohnung im Herzen der Wiedergeborenen. Das Empfangen des Heiligen Geistes im Herzen ist gleichbedeutend mit dem Eingefügtwerden in die Geisteseinheit, in den Leib Christi. Eine andere Einverleibung in den Leib Christi gibt es nicht, ebensowenig ist eine Mitauferbauung in den heiligen Tempel anders als durch die persönliche Innewohnung des Heiligen Geistes denkbar. Ein anderes Teilbekommen an der Gemeinde Gottes als dadurch, daß der Heilige Geist von jedem einzelnen Besitz ergreift, ist ausgeschlossen.
Wir haben die Geburtsgeschichte des Leibes Christi uns vergegenwärtigt. Bei dieser Gelegenheit ist es sehr lehrreich, die jeweilige Geburtsgeschichte der ersten Schöpfung mit derjenigen der zweiten, der alten mit der neuen, zu vergleichen und die Beziehung der letzteren zum Leib Christi aufzuzeigen.
Die erste Schöpfung begann mit der Erschaffung des Himmels und der Erde. Beide bildeten gewissermaßen die breite und große Grundlage, auf der das weitere sich abspielte. Mit der Erschaffung von Adam und Eva fand die alte Schöpfung ihren Abschluß. Danach heißt es, daß Gott ruhte von all seinem Werk (1. Mose 2, 3). Die zweite Schöpfung beginnt hingegen nicht mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Diese werden nicht Grundlage für alles weitere Schöpfungsgeschehen. Vielmehr beginnt die neue Schöpfung in umgekehrter Reihenfolge. Sie beginnt mit dem Menschen Jesus Christus (1. Tim. 2, 5). Dieser ist der zweite Mensch, der Mensch vom Himmel, und der letzte Adam (1. Kor. 15, 45.47). Er ist der auserwählte Eckstein für die neue Schöpfung (Jes. 28, 16; 1. Petr. 2, 7). In ihm setzt sich die neue Schöpfung fort. Zunächst heißt es: „Ist jemand in Christo, da ist eine neue Schöpfung“ (2. Kor. 5, 17). Jeder, der zu Christus gehört, kommt in ihm zur neuen Schöpfung. Sie findet ihre erste Ausgestaltung im Leib Christi, in dem einen neuen Menschen (Eph. 2, 15), in „dem Christus“ (1. Kor. 12, 12). Dann erweitert sie sich, indem die Kreatur, die mit sehnsüchtigem Harren wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes (Röm. 8, 19-22), erneuert und einbezogen wird. Den Abschluß findet die neue Schöpfung in der Erschaffung des neuen Himmels und der neuen Erde. Danach wird Gott abermals ruhen bei den Menschen.
Wir können uns, bildlich veranschaulicht, zwei Dreiecke denken, die mit dem Scheitelpunkt ihrer Winkel aufeinander gestellt sind. Wir haben dann auf der Breitseite des unteren Dreiecks gleichsam die breite Basis des Himmels und der Erde der ersten Schöpfung. Die Breitseite des oberen Dreiecks stellt andererseits die breite Ausdehnung des Himmels und der Erde der neuen Schöpfung dar. Der Mittel- und Schnittpunkt beider Dreiecke aber ist Christus. So sehen wir eine in Christus sich kreuzende und einander entgegengesetzt verlaufende Entwicklung der alten und der neuen Schöpfung. Die alte gipfelt in der Schaffung des ersten Adam, die neue beginnt mit Christus, dem letzten Adam. Bei der Ausgestaltung der neuen Schöpfung wird der Leib Christi der himmlisch-irdische Organismus sein, welcher, aus der ausreifenden alten Schöpfung ausgestoßen, diese aus den Fugen treiben und Werkzeug werden wird zur Allerneuerung im Sinn von Offenbarung 21, 5.
Gott tut alles fein zu seiner Zeit. So hat er auch für die Schöpfung, Zusammenfassung und Auferbauung des Leibes Christi einen ganz bestimmten Zeitabschnitt vorgesehen. Dieser ist das gegenwärtige Zeitalter. Von Ewigkeit her sind Gott alle seine Werke bekannt und bewußt. Es ist deshalb klar, daß ihm auch sein Werk in Christus, die Erschaffung des Leibes Christi seit Vorbeginn der Zeitalter deutlich vor Augen stand. So ist der Leib Christi ein Gedanke und ein Werk der göttlichen Vorausbestimmung. Der Apostel Paulus sagt es uns, daß Gott uns auserwählt hat vor Grundlegung der Welt und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus (Eph. 1, 4.5). Das griechische Wort für „zuvorbestimmt“ hängt mit dem uns geläufigen Wort „Horizont“ zusammen und bedeutet eigentlich „vorher begrenzen, abgrenzen“. Im Gesichtsfeld unseres Gottes stand seit Ewigkeit ein ganz bestimmter Teil der Menschheit da als abgegrenzt für die Sohnschaft. Nach der Unterweisung des Epheserbriefes kann diese Abgrenzung für die Sohnschaft kaum etwas anderes bedeuten als die Abgrenzung einer Anzahl von Menschen für die Auferbauung des Leibes Christi. Die Berufung zur Sohnschaft umfaßt auch die Berufung zum Leib Christi. Christus ist der Sohn, der Sohn des lebendigen Gottes. Wenn ihm nun ein Leib bereitet werden soll, der als seine Fülle mit ihm in organischer Verbindung steht und in Funktion tritt, so kann das nur so sein, daß jeder, der zu diesem Leib gehört, im Sohn Gottes eben Sohn wird. Es bliebe sonst etwas Artfremdes an Christus haften. Das kann nicht sein. Darum Sohnschaft und darum die enge Verbindung zwischen Sohnschaft und dem Leib Christi. Was diese Sohnschaft bedeutet, drückt Paulus einmal so schön mit folgenden Worten aus: „Denn welche er zuvorerkannt hat, die hat er auch zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber zuvorbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht“ (Röm. 8, 29.30).
Wir halten fest, die Zuvorbestimmung zur Sohnschaft ist erfolgt vor Grundlegung der Welt. Das will sagen, daß Gott damals bereits gehandelt hat, bevor es irgend etwas gab, das mit der Welt zusammenhängt, also bevor das Universum geschaffen, ja bevor die Engelswelt ins Leben gerufen war. Daraus vermögen wir die Bedeutung und Wichtigkeit zu erkennen, welche die Sohnschaft einerseits und der Leib Christi andererseits in den Augen Gottes hatte. Gott hat damals gehandelt, als außer ihm und seinem Sohn noch gar nichts Bestand hatte. In erster Linie ging es ihm darum, den Wesensbereich seines Sohnes, an dem er all sein Wohlgefallen hatte, angemessen und würdig zu erweitern in der Sohnschaft.
Das griechische Wort für Sohnschaft ist ein spezifisch neutestamentliches Wort. Es kommt im Sprachgebrauch des heidnischen Griechentums nicht vor. Wenn wir deshalb wissen Wollen, was Sohnschaft bedeutet, so müssen wir uns ausschließlich an die Zeugnisse des Neuen Testaments halten. Nach diesen Zeugnissen ist Sohnschaft nicht Kindesannahme, wie wir das aus dem bürgerlichen Recht kennen. Durch Adoption kann nie das Band des Blutes geschaffen werden. Im Sinn des Neuen Testaments wird mit Sohnschaft wahre Sohnesstellung bezeichnet, in die jemand durch die göttliche Wiedergeburt hineingeboren ist. Ein solcher Sohn hat durch die Wiedergeburt göttliches Wesen und göttliche Natur bekommen.
Daß auf solche Weise Menschen abgegrenzt und bestimmt sind, das gehört zum großen Geheimnis, von dem der Apostel Paulus im Zusammenhang mit dem Leib Christi schreibt. Etwas anderes kann mit dem Geheimnis nicht gemeint sein. Denn daß Gott als der Vater der Seinen gelten will und daß sie als seine Kinder gelten sollen, das wird schon dem auserwählten Volk des Alten Bundes deutlich gemacht (Jes. 1, 2; 63, 16; Jer. 3, 4; 31, 9; Mal. 1, 6; 2, 10). Und daß die Segnungen dieser Kindschaft schließlich im verheißenen Messias sich ganz erfüllen sollen, war bekannt. Ebensowenig war verschwiegen, daß er als König und machtvolles Haupt Israel und alle Völker mit seinem Szepter regieren und alles unter ihm zusammenfassen werde. Ja sogar, daß die Nationen einst Mitteilhaber der ausgereiften Segnungen Israels sein sollen, war dem jüdischen Schriftforscher nichts Fremdes. Dies alles konnte der schriftkundige Paulus nicht meinen, wenn er vom Geheimnis sprach.
Aber daß durch das Kreuz Christi im angebrochenen neuen Zeitalter aus gläubig gewordenen Juden und Heiden der neue Mensch geschaffen und ausgebildet werde, das war Geheimnis. Dazu gehört, daß dieser eine neue Mensch, der wunderbare Organismus des Leibes Christi, die Fülle ist, in der Christus Jesus selber erst seine Vollendung findet. Weiter gehört dazu, daß durch diesen einen neuen Menschen letztlich der Sieg des Reiches Gottes entschieden wird. Paulus unterscheidet genau zwischen dem, daß zukünftig alles, was im Himmel und auf Erden ist, unter Christus, als das eine Haupt, gebracht werden wird, und der köstlichen Tatsache, daß Christus das Haupt der Gemeinde ist, das Haupt des Leibes. Es gehört ebenfalls zu dem großen Geheimnis, daß Haupt und Glieder zusammen diese Einheit bilden, den Christus, unter den alles, was existiert, zusammengefaßt werden wird (Eph. 1, 10). Gerade in dieser Hinsicht redet der Apostel nicht nur von Mitteilhabern der Verheißung, sondern von Miteinverleibten, d. h. daß jeder ein besonders abgegrenzter Bestandteil des einen Leibes Christi ist (Eph. 3, 6). Die gleiche Sonderbetrachtung stellt Paulus im Kolosserbrief an, wo er Christus als das Haupt des Leibes unterscheidet vom Christus als Haupt der gesamten Schöpfung (Kol. 1).
Das alles beweist, daß der Kernpunkt des Geheimnisses die Schöpfung, Auferbauung und Ausgestaltung des Leibes Christi ist im gegenwärtigen Zeitalter.
Dieses Geheimnis war dem Apostel Paulus geoffenbart, und es war ihm im besonderen der Auftrag gegeben worden, dieses Geheimnis unter Juden und Nationen zu verkündigen. Es ist zu beachten, daß Paulus unterstreicht, daß dieses Geheimnis von den Zeitaltern her verborgen war in Gott und den Geschlechtern der Menschen nicht kundgetan worden ist. In Erfüllung seines Auftrages hat Paulus mit großem Eifer sich eingesetzt, um alle zu erleuchten, „welches die Verwaltung des Geheimnisses ist“ (Eph. 3, 1-9).
Vergleichen wir 1. Kor. 12, Eph. 2 und das, was soeben vom Geheimnis gesagt worden ist, so können wir eine Erweiterung der Offenbarung feststellen. In 1. Kor. 12 fanden wir den Leib Christi in seiner geistlich-organischen Einheit und Funktion. Es wurde dabei das Bild des menschlich-irdischen Leibes gebraucht. Eph. 2 zeigte uns die Schöpfung, Geburt und die Elemente der Auferbauung des Leibes Christi. Im dritten Kapitel des Epheserbriefes wird uns im Zusammenhang mit dem Geheimnis gezeigt, daß sich der Leib Christi als ein besonderes Gebilde des jetzigen Zeitalters abhebt von allen Werken Gottes, die er in früheren Zeitaltern geschaffen hat.
Diese Bedeutung liegt darin, daß jetzt alle diejenigen, die des Christus sind, vom 1. bis zum 20. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zusammengefaßt werden in diesem wunderbaren Organismus. In gewissem Sinn ist es Zusammenfassung des Eigentums Christi. Gewiß, es soll der Sohn die Nationen zum Erbteil bekommen und die Enden der Erde in Besitz nehmen (Ps. 2, 8), doch diese Unterwerfung des Erdkreises geschieht, soweit wir sehen können, nicht im gegenwärtigen Zeitalter. Sie ist zukünftig. Ihr geht die Bildung des Leibes Christi voraus, bestehend aus einer großen Schar von Menschen, die des Geistes Erstlinge haben (Röm. 8, 23). Alles Heilshandeln Gottes in den zukünftigen Zeitaltern geschieht dann durch den vollendeten Christus, d. h. durch das mit seinem Leib vereinte Haupt. In der gegenwärtigen Zeit jedoch kommt alles darauf an, alle, die zum Leib Christi hinzugetan werden sollen, zu sammeln und so diesen göttlichen Organismus zu bilden, auszugestalten und zu vollenden.
Alle Gedanken und Pläne, die die Welt dem Evangelium erobern und unterwerfen wollen, sind wohl bestechend und gut gemeint, aber wir glauben nicht, daß sie in unserem jetzigen Zeitalter ihre Erfüllung finden. Wenn Gott das gewollt hätte, hätte er es wohl in den bald zweitausend Jahren seit dem Tod und der Auferstehung unseres Herrn herbeiführen können. Alle menschlichen Anstrengungen in dieser Richtung haben höchstem zu einer Christianisierung eines Teiles der Völkerwelt geführt. Aber die Massen sind nicht lebendige Christen geworden, Menschen, die vom Geist Gottes durchdrungen mit Eifer Gott und die Herrlichkeit seines Sohnes gesucht hätten. Wir möchten nicht mißverstanden werden. Jede Missionsarbeit, die sucht, Menschen für Christus zu gewinnen, ist gut und biblisch. Aber gerade ernste Missionare und Evangelisten erleben es immer wieder, daß nicht die Massen, sondern nur einzelne Menschen erfaßt und zu Christus bekehrt werden. Das ist Handeln Gottes im Blick auf den Leib Christi.
Die weitere Bedeutung des Leibes Christi im gegenwärtigen Zeit. alter besteht in der Repräsentation Christi. Der Leib Christi ist jetzt inmitten einer Welt, die im Argen liegt, verblendet ist und von Christus, dem Sohn Gottes, im Grunde nichts wissen will. Sie kann ihn nicht brauchen, weil er ihre Pläne durchkreuzt. So wie Jesus Christus das Bild des unsichtbaren Gottes ist, so sind die Glieder des Leibes Christi bestimmt, hier das Bild des unsichtbaren Christus zu vergegenwärtigen. „Ihr seid ein Brief Christi … gelesen von allen Menschen“ (2. Kor. 3, 2.3). Und so wie der Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi liegt, so liegt der Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Christi auf den Gliedern seines Leibes (2. Kor. 4, 4.6; 3, 18). Sie sind eine Herausforderung für die Welt (Joh. 15, 19). Sie sind das Licht der Welt, nachdem Christus, das Licht der Welt, zu Gott zurückgekehrt ist (Matth. 5, 14; Eph. 5, 8). Sie sind ein Volk zum Besitztum, um die Tugenden dessen zu verkündigen, der sie berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht (1. Petr. 2, 9). Sie sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, daß sie in ihnen wandeln (Eph. 2, 10). Das Wesen der Weisheit Gottes besteht in der weisen Zwecksetzung bei all seinem Wirken. So ist der Leib Christi ein Organismus, d. h. ein lebendiges Werkzeug in der Hand Gottes, um inmitten einer Welt, deren Werke böse sind, gute Werke zu betreiben.
Der Leib Christi ist aber nicht nur das Organ der Offenbarung der heiligen, gerechten und wohltätigen Gesinnung Gottes gegenüber den Menschen, sondern er hat die weitere Bedeutung, in der gegenwärtigen Zeit den Fürstentümern und Gewalten der himmlischen Regionen die mannigfaltige Weisheit Gottes kundzutun. Den Gliedern des Leibes Christi ist es gegeben, die Geheimnisse des Willens und des Reiches Gottes zu wissen. Sie sind Träger der Weisheit und der Erkenntnis Gottes, alleinige Bewahrer des heiligen Schriftwortes in diesem Zeitalter. Deshalb kann allein durch sie die Offenbarung und der Fortgang des Heilsplanes Gottes mit der ganzen Schöpfung bezeugt und kundgetan werden. Nicht ohne Grund heißt es von ihnen, daß der Ertrag aller bisherigen Zeitalter ihnen zugute kommt (1. Kor. 10, 11; Miniaturbibel). Darum ist auch die Engelswelt angewiesen, ihr Studium an dem auf Erden weilenden Leib Christi zu machen und aus ihren neugierigen Beobachtungen die Kenntnis von der Weisheit Gottes zu gewinnen (Eph. 3, 10.11).
Wir nennen noch eine andere Bedeutung des Leibes Christi im jetzigen Zeitalter. Durch ihn allein geschieht Göttliches in dieser Welt. Er ist dazu Werkzeug und Gefäß. Gewiß, es ist der Heilige Geist, der Göttliches wirksam und zur Wirklichkeit macht. Aber er tut es immer nur in Verbindung mit dem Leib Christi. So gibt es kein lebendiges Wort ohne Gemeinde, kein Leben aus Gott ohne den Leib Christi. Alles Göttliche, das in der Welt werden darf, geschieht im Zusammenhang mit dem Leib Christi und in seinem Interesse; es geschieht zu seiner Auferbauung und seinem Wachstum.
Man mag einwenden, daß es doch Einzelerscheinungen göttlichen Wirkens gibt, ohne daß irgendeine Gemeinde dahintersteht. Wir geben zu: Der Wind weht, wo er will (Joh. 3, 8). Es gibt Gebetserhörung im stillen Kämmerlein, lebendig machendes Gotteswort durch einsames Bibellesen, Gottesbegegnung weit abseits irgend welcher Menschen. Aber das gibt es nur wegen der Gemeinde und um des Leibes Christi willen. Weil Gemeinde Gottes in der Welt ist, arbeitet der Heilige Geist und wirkt Göttliches.
Die größte Bedeutung liegt in der Zukunft. Der Leib Christi ist das Vollstreckungsorgan für den Heilsvorsatz Gottes, den er gefaßt hat in Christus Jesus für die kommenden Zeitalter. Durch den Leib Christi wird dereinst der Christuseinbruch in diese Welt geschehen und die Christusoffenbarung sich vollziehen. Christus wird in dieser Welt so lange der Verworfene, der Nichtanerkannte und Nichternstgenommene sein, bis die Vollendung der Gemeinde sein Offenbarwerden möglich macht.
„Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden … oder wisset ihr nicht, daß wir Engel richten werden?“ (1. Kor. 6, 2.3) Damit ist eine große Zukunftsaufgabe der Gemeinde umschrieben und ihre endzeitliche Bedeutung festgelegt. Wenn es weiter heißt: „Der Vater richtet niemanden, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben“ (Joh. 5, 22), so bedeutet das, daß die Söhne im Sohn, der Leib Christi mit seinem Haupt, das Gericht über alle Welt, eingeschlossen die gefallene Engelswelt, vollziehen wird. So wird der Leib Christi auch den Antichrist und den falschen Propheten richten. Er wird schließlich auch der Richter seines größten Widersachers sein, der Richter des Widersachers Gottes und Christi, des Feindes der Gemeinde: des Teufels.
Aber nicht genug! Es ist davon die Rede, daß in den kommenden Zeitaltern der übermäßige Reichtum der Gnade Gottes vordemonstriert werden soll durch den Leib Christi (Eph. 2, 7). Darum hat Gott so Großes an seiner Gemeinde getan, hat sie mitlebendig gemacht mit dem Christus und ihr mit ihm Sitz gegeben im Himmlischen, damit sie dereinst seine unermeßliche Gnade den künftigen Zeiten erweise. Aber auch darum hat er den Leib Christi während nun fast zweitausend Jahren in dieser Welt gebildet und gestaltet, hat ihn mancherlei Verfolgung, Not und Leid ausgesetzt und ihn also wie eine Frucht reifen lassen. So hat er seine Güte groß gemacht und die Gemeinde zubereitet zum Werkzeug für die kommenden Zeiten.
Wenn dann das sein wird, wird der Leib Christi in göttlicher Vollendung dastehen als der zu seiner Fülle ausgewachsene vollkommene neue Mensch. Mit dieser Vollendung beginnt seine Hauptaufgabe.
Obwohl beide zusammengehören, wie ja alles Göttliche zusammengehört, sind doch beide voneinander zu scheiden. Diese Notwendigkeit ergibt sich sofort, wenn wir uns die Frage stellen, ob Christus das Reich Gottes ist. Wir müssen es verneinen, obwohl das Reich Gottes ohne Christus undenkbar ist, ja, Christus eigentlich im Mittelpunkt des Reiches Gottes steht. So ist es mit dem Leib Christi. Der Leib Christi gehört so zu Christus, daß er die Stellung, die Christus einnimmt, mit ihm teilen wird. Mit seinem Haupt wird der Leib Christi mitten im Reich Gottes stehen und die göttlichen Aufgaben erfüllen.
Das Ziel aller Schöpfung und alles göttlichen Heilshandelns ist das Reich Gottes. Es bedeutet Gottes Alleinherrschaft, und zwar in letzter Konsequenz. Wenn der Herr Jesus seine Jünger beten lehrte: „Dein Reich komme“ (Matth. 6, 10), so bedeutet das, daß dieses Reich zukünftig ist. Zwar hat er den Pharisäern auf ihre Frage nach dem Kommen des Reiches Gottes geantwortet: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Luk. 17, 21), doch das steht nicht im Widerspruch mit der Bitte im Vaterunser. Wenn man die Antwort des Herrn an die Pharisäer im Zusammenhang liest, dann sieht man, daß es auch dort noch zukünftig ist. Der Messias Israels war damals in der Mitte seines Volkes. Wenn es ihn angenommen hätte, wäre das Reich Gottes augenblicklich da gewesen, weil er der Bringer des Reiches ist. Weil er aber verworfen wurde, ist das Reich Gottes nicht gekommen und ist bis heute noch nicht da. Darum schreibt der Apostel Paulus diesbezüglich meistens von etwas Zukünftigem.
Aber mit der Vollendung des Leibes Christi wird das Reich Gottes seinen Anfang nehmen. Die Glieder der Gemeinde Gottes sind die ersten, die das Reich Gottes ererben. Wenn sie „das Bild des Himmlischen tragen“ (d. h. ihre Vollendung erreichen), werden sie auch das Erbe antreten (1. Kor. 15, 49.50). Unter ihnen und in ihnen wird zunächst Reich Gottes sein, Gottesherrschaft im umfassenden Sinn. In Bezug auf sie wird dieses Reich aber auch Reich Christi und Gottes (Eph. 5, 5), oder Reich des Sohnes seiner Liebe (Kol. 1, 13), oder das himmlische Reich (2. Tim. 4, 18) genannt. In diesem Sinn haben sie auch ihr Bürgertum in den Himmeln und erwarten die Umgestaltung ihres Leibes in die Gleichförmigkeit mit dem Leibe der Herrlichkeit des Herrn (Phil. 3, 20.21).
Es liegt auf der Hand, daß das Reich Gottes nicht gleichzeitig von allen Menschen erlebt wird. Für das wiedergeborene Volk Israel bricht es bestimmt später an als für die Glieder des Leibes Christi. Auch zeigt es sich, daß nicht alle das Reich Gottes im gleichen Sinn und gleichermaßen erleben. Es kommt ganz auf die Stellung an, welche Gott einem jeden zuweist. So hat der Leib Christi eine ganz andere Stellung im Reich Gottes, als das Volk Israel in seiner Wiedergeburt haben wird. Israel wiederum wird sich stellungsmäßig von den anderen Völkern und Reichgottesteilnehmern unterscheiden.
Aus diesen Unterschieden wird deutlich, daß die Kinder des Reiches Gottes, wie Johannes der Täufer, Jesus von Nazareth oder später der Apostel Paulus (Apg. 20, 25; 28, 31), nie dasselbe gepredigt haben. Ein Apostel Paulus hat seiner besonderen Offenbarung gemäß anders vom Reich Gottes gesprochen als Johannes der Täufer oder als Jesus von Nazareth. Seine Reichgottesverkündigung stand im Einklang mit dem großen Geheimnis des Christus, das in den Zeiten vor ihm eben verborgen war.
Gott tut alles nicht nur fein zu seiner Zeit, sondern er nimmt sich auch zu allem Zeit. Ein vom Darwinismus viel mißbrauchtes Wort, „Die Natur macht keine Sprünge“, sollte richtigerweise heißen: „Gott macht keine Sprünge“. Er wirkt stets zentral und egal, d. h. mit jener Unmittelbarkeit und Beharrlichkeit, die seiner Würde, Macht und Weisheit entspricht. Dieses zentrale und egale Wirken liegt allem Naturgeschehen und allen Naturgewalten zugrunde. Es gilt auch für die Herbeiführung des Reiches Gottes. Ein ganzes Zeitalter von nahezu zweitausend Jahren hat Gott verwandt zur Berufung und Erziehung des alttestamentlichen Bundesvolkes, dem er seine Verheißungen anvertraut und das er unter dem Gesetz verwahrt hat (Gal. 3, 23). Und wiederum ein ganzes Zeitalter von ungefähr zweitausend Jahren verwendet Gott zur Auferbauung und Vollendung des Leibes Christi. Welch ein weises, geheimnisreiches, treues, stetes und langmütiges Wirken durch den Heiligen Geist liegt doch der Auferbauung des Leibes Christi zugrunde! Der Heilige Geist ist der göttliche Baumeister dieses durch das Kreuz Christi geschaffenen Wunderwerkes.
Es sind zwei Wege, auf denen sich die Vollendung des Leibes Christi vollzieht:
Dazu ergänzend werden wir noch zu betrachten haben:
Würde an meinem Leib ein Glied fehlen, und wäre es auch das scheinbar geringste, so wäre mein Leib nicht vollständig. So ist es auch mit dem Leib Christi. Zweifellos hat der Gott der Ordnung auch hier Maß und Ziel bestimmt. Paulus sagt: „Denn ich will nicht, Brüder, daß euch das Geheimnis unbekannt sei, auf daß ihr nicht euch selbst klug dünkt: daß Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis daß die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird“ (Röm. 11, 25). Das griechische Wort, das die Elberfelder-, die Miniatur- und die Zürcherbibel mit „Vollzahl“ übersetzen, bedeutet eigentlich „Fülle“. Es würde nun aber dem übrigen Schriftinhalt widersprechen, wenn man das Wort „Fülle“ auf die Gesamtheit der Nationen beziehen und sagen wollte, daß Israel verstockt bleiben werde, bis alle Völker sich bekehrt haben. Auch würde eine solche Auslegung dem einfachen Wortlaut des Satzes entgegenstehen, denn das Wort „Fülle“ bezieht sich auf das Tätigkeitswort „eingegangen“. Fragt man sich: „Wohin eingegangen?“, dann kann die Antwort nur sein: „Zum Leib Christi“. Das Wort „Fülle“ kann sich deshalb nur auf die Gesamtheit, d. h. Vollständigkeit des Leibes Christi beziehen. Der Sinn der erwähnten Paulusworte ist also der: Die Verstockung Israels dauert solange an, bis die aus den Nationen von Gott bestimmte Vollzahl zum Leib Christi eingegangen sein wird.
Die Herbeiführung der Vollzahl der Glieder ist die erste Bedingung zur Vollendung des Leibes Christi: Die Herbeiführung dieser Vollzahl geschieht durch das Werk des Heiligen Geistes, das er in jeder schriftgemäßen Missions- und Evangelisationstätigkeit entfaltet. In unserem gegenwärtigen Zeitalter wird das Evangelium nicht gepredigt zur Bekehrung ganzer Völker, sondern zum Zeugnis über diese Völker und zur Sammlung der Glieder des Leibes Christi aus ihnen. In diesem Licht gewinnen Mission und Evangelisation heute ihre volle göttliche Bedeutung.
Allerdings könnte jemand sagen: „Wenn nur eine durch Gott abgegrenzte Anzahl von Menschen als Glieder für den Leib Christi bestimmt ist, was können dann die dafür, die sich im jetzigen Zeitalter nicht zu bekehren vermögen, eben weil sie nicht für den Leib Christi bestimmt sind?“ (Vergl. „Zuvorbestimmt zur Sohnschaft“) Darauf antworten wir folgendermaßen: Gott hat die Menschen nicht als Automaten und auch nicht als teuflische Puppen erschaffen. Er hat Wesen hervorgebracht mit der sehr bemerkenswerten Fähigkeit, daß sie zu ihm „nein“ sagen können. Gerade das zeigt die Größe und die Souveränität Gottes. Hätten wir uns als Schöpfer betätigt, wir hätten von vornherein dafür gesorgt, daß der Mensch nichts Gottwidriges hätte sagen und unternehmen können. Aber gerade das, daß Gott es anders gemacht hat, zeugt von seiner Größe und Herrlichkeit. Jeder Mensch trägt die volle Verantwortung und alle Folgen, die sich aus einem Neinsagen gegenüber Gott ergeben. Kein Mensch wird sich einmal finden, der im Gericht Gottes sagen könnte, daß er eben nicht zuvorbestimmt war, Glied am Leib Christi zu werden und daß er deshalb zu Unrecht ins Gericht geraten sei. Es gibt keine Willkür bei Gott. Es gibt nur Willkür auf seiten des gottfeindlichen Menschen.
Freilich bleibt es immer eine Frage, warum gerade wir in diesem Zeitalter und nicht in einem späteren oder früheren geboren worden sind, warum in diesem und nicht in jenem Volk, und warum wir diese Gabe haben und nicht jene. Es gibt da nur eine Antwort: Gott ist souverän in seiner Gnadenwahl und in seiner Willensentfaltung. Das steht fest: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde“ (1. Tim. 2, 4) . Das Wann, Wo, Wie ist dabei seine Sache. Er wird seine Gerechtigkeit durch die Zeitalter hindurch erweisen (vgl. Eph. 2, 7), und auch beim Eingang der Nationen in die Vollzahl der Glieder am Leib Christi zu dessen Vollendung herrlich walten lassen.
Hier betreten wir den Boden des praktischen und persönlichen christlichen Handelns und Wandelns. Ach, wie liegt dieser Boden voll Schutt! Da heißt es erst einmal aufräumen mit all den unbiblischen Begriffen und Bemühungen, die das Denken und Tun der Kinder Gottes verwirren, wenn es sich um Wachstum und Ausreifung als Glied am Leib Christi handelt. Diese Aufräumungsarbeit beginnen wir am besten damit, daß wir uns fragen:
Worin können wir nicht wachsen?
Wir können nicht wachsen in der Rechtfertigung und in der Sohnschaft. Wir können niemals vor Gott gerechter werden, als er uns selbst vor bald zweitausend Jahren gemacht hat im Opfer Christi. „Denn Gott hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2. Kor. 5, 21). Sind wir nun Gottes eigene Gerechtigkeit, wie sollten wir dieser Gerechtigkeit noch irgend etwas hinzufügen können? Wie sollten wir sie um einen Grad zu erhöhen vermögen? Es ist eben nicht „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“ (vgl. den Luthertext), sondern es ist Gottes eigene Gerechtigkeit, mit der er uns bekleidet hat und die wesenhaft unser geworden ist. Diese Gerechtigkeit aus Gott, die durch den Glauben Christi ist (Phil. 3, 9), kann nicht durch Zusätze bereichert oder vertieft werden. Und wie ist es mit der Sohnschaft? Haben wir sie nicht aus Glauben an Christus Jesus empfangen? Ist uns nicht dadurch die Gliedschaft am Leib Christi geworden, daß der Heilige Geist Wohnung in uns gemacht hat? Wie sollten wir jemals mehr Sohn und mehr Glied am Leib Christi werden können, als wir dies durch die Wiedergeburt geworden sind? Entweder sind wir daraufhin Kinder Gottes oder wir sind es nicht. Ein Wachstum in diesen Stücken gibt es nicht
Und doch gibt es zahllose Kinder Gottes, die sich täglich damit abmühen, vor Gott in der Rechtfertigung zu wachsen, um dadurch auch in der Aneignung der Sohnschaft zuzunehmen. Sind sie mit ihren Leistungen und Gefühlserfahrungen zufrieden, so glauben sie, Gott angenehm und sein Kind zu sein. Entdecken sie aber ihren Fehlbetrag, so sind sie unglücklich und gequält mit Zweifeln bis zur Schwermut über ihre Annahme bei Gott und über ihre Sohnschaft. Ihnen kann man nur helfen, wenn man ihnen zeigt, wie ausreichend Gott das getan und in Christus vollbracht hat, was sie niemals zu tun und zu vollbringen imstande gewesen wären. Es müssen ihnen die Augen aufgehen für die Tatsache, daß wir nicht dies und jenes zu tun haben, um vor Gott gerecht zu werden, sondern daß wir als Gerechte Gottes zu leben vermögen, weil wir vor Gott in Christus Jesus gerecht sind.
Wollen wir also wachsen als Glieder am Leib Christi, so muß uns zuvor als abgeschlossene Tatsache feststehen: Ich habe Christus als meine Gerechtigkeit angenommen und damit das Recht empfangen, Kind Gottes zu heißen (Joh. 1, 12) und Glied am Leib Christi zu sein. In diesen beiden Dingen gibt es kein Zunehmen und keine Entwicklung. Worin können wir wachsen?
Das Neue Testament redet von keinem anderen Wachstum als von dem in der Gnade und der Erkenntnis Gottes und unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus (2. Petr. 3, 18). Dieses ist das Wachstum zu ihm hin, zu Christus, der das Haupt ist (Eph. 4, 15). Können wir, nachdem wir durch die Wiedergeburt einmal eingepflanzt sind in den Tod und das Leben Christi, nicht wachsen in der Rechtfertigung und in der Sohnschaft, so können und müssen wir wachsen in der Wertung und Verwertung von alledem, was wir in der Sohnschaft haben und was in dem Christus unser ist. Das geschieht durch die Erkenntnis der Gnade, die uns im endgültig vollbrachten Erlösungswerk von Golgatha geschenkt ist. Erkenntnis der Gnade ist aber nichts anderes als Erkenntnis Gottes und Christi. Nichts fehlt den Kindern Gottes so sehr wie Erkenntnis der Gnade zur Wertung und Verwertung der Gnade. Ohne Zweifel wissen die wenigsten, was sie in und an Christus haben (Eph. 1, 17.18). Das kommt daher, weil sie ihn zu wenig erkannt haben.
Infolgedessen hat sogar die Erkenntnis selber eine ganz einseitige, d. h. nicht schriftgemäße Wertung bekommen. Die Schrift redet von der Erkenntnis in einem zweifachen Sinn. Zunächst ist sie eine Gabe, die Heiligen Schriften zu verstehen und vielleicht darum auch Lehrer zu sein. Es wird z. B. gesagt, daß dem einen das Wort der Erkenntnis gegeben sei (1. Kor. 12, 8.29; Eph. 4, 11). In diesem Sinn einer bloßen Bibelerkenntnis wird heute vorwiegend von der Erkenntnis gesprochen.
Doch dies ist die weniger hohe Bedeutung der Erkenntnis; die Heilige Schrift kennt noch eine höhere. Sie redet uns davon in den Worten: „Dies aber ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh. 17, 3); oder: „Ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ (Phil. 3, 8); oder: „Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt“ (1. Joh. 3, 6); oder: „Gott aber sei Dank, der uns allezeit im Triumphzug umherführt in Christus und den Geruch seiner Erkenntnis an jedem Ort durch uns offenbart“ (2. Kor. 2, 14).
Es unterliegt keinem Zweifel, daß Erkenntnis hier viel mehr bedeutet als die besondere geistliche Gabe des Schriftverständnisses. Hier ist die sich steigernde Lebens- und Wesensgemeinschaft mit Gott in Christus durch den Heiligen Geist gemeint. Solche Erkenntnis bedeutet bewußtes Haben des ewigen Lebens, Teilhaberschaft am Leben Christi. Sie bedeutet inniges Einswerden mit dem Gegenstand der Erkenntnis, also: Einswerden mit Gott und Jesus Christus. Solche Erkenntnis wird uns nicht auf einmal und in vollem Umfang gegeben, sondern sie wird, geradeso wie die Worterkenntnis, stückweise und wachstümlich erlangt. Es geht von Klarheit zu Klarheit und von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2. Kor. 3, 18). Und diese Erkenntnis kommt aus seiner Fülle; es wird uns geschenkt Gnade um Gnade (Joh. 1, 16). So meinen es die Apostel, wenn sie vom Wachstum in der Gnade und der Erkenntnis Gottes und Christi (2. Petr. 3, 18; Kol. 1, 10) oder ganz allgemein von der Erkenntnis reden (Eph. 1, 17; Phil. 1, 9; 1. Kor. 1, 5 [hier trennt Paulus bewußt Wort und Erkenntnis]; Kol. 3, 10; 2, 3; Röm. 15, 14; 11, 33; 2. Kor. 4, 6; 10, 5).
Wenn der Apostel davon spricht daß die Erkenntnis hinweggetan werden wird (1. Kor. 13, 8), so leuchtet ein, daß damit nur das irdische Stückwerk der Erkenntnis, z. B. die Schrifterkenntnis, gemeint ist, Die Erkenntnis in ihrer höheren Bedeutung wird nie weggetan werden. Das wäre gleichbedeutend mit dem Aufhören des ewigen Lebens (Joh. 17, 3) oder dem Aufhören unserer bewußten Teilhaberschaft an der Person, am Leben und Wesen des Christus, unseres Hauptes.
Nach dieser notwendigen begriffserklärenden Erörterung können wir auf die Frage: „Worin wachsen wir?“ zusammenfassend die schriftgemäße Antwort geben: Wir wachsen in der Erkenntnis Christi, d. h. in der immer klareren Wertung und Verwertung alles dessen, was wir von ihm haben. Unser Bewußtsein über unser Einswerden mit ihm wird immer mehr vertieft. Das bedeutet eine immer bewußtere Aneignung und Teilhaberschaft des ewigen Lebens. Dieses ist uns in ihm gegeben und es ist uns dazu gegeben, damit wir in der immer mehr zunehmenden Kraft dieses Lebens hingelangen zu der ganzen Lebensfülle des vollendeten Christus. So kommen wir zu der Verwirklichung der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes.
Der Apostel Johannes redet von Kindern, Jünglingen und Vätern (1. Joh. 2, 12-14). Damit ist uns in Bezug auf die Herbeiführung des Vollwuchses eines Gliedes das gleiche gesagt, was wir oben dargelegt haben. Es bestätigt unser Wachstum als alleiniges Wachstum in der Erkenntnis Christi. Die Kinder leiten ihre Sohnschaft ab von der Vergebung ihrer Sünden um des Namens Christi willen (1. Joh. 2, 12). In der Vergebung haben sie ihre bewußte Rechtfertigung und damit den ersten Grad der Erkenntnis erlangt. Sie haben Gott als ihren Vater in Christus erkannt (1. Joh. 2, 13). Den Jünglingen ist das Wort Gottes geblieben und hat ihnen wachstümlich so viel Christuserkenntnis vermitteln können, daß sie stark sind und den Bösen überwunden haben (1. Joh. 2, 14). Von den Vätern hingegen wird zweimal ganz schlicht und einfach gesagt, daß sie den erkannt haben, der von Anfang ist (1. Joh. 2, 13.14). Ihre Christuserkenntnis hat einen hohen Grad erreicht und ihnen die Reife als Väter gegeben. Reife Erkenntnis ist das einzige Kennzeichen ihres Vollwuchses als Glieder am Leib Christi. Sie sind vor Gott nicht gerechter als die Kinder, sie haben keinen höheren Grad der Sohnschaft. Auch sind sie nicht heiliger. Der Unterschied liegt nur darin, daß die Väter die in Christus erlangte Gerechtigkeit und Heiligkeit in wachsender Erkenntnis werten und verwerten gelernt haben und nicht Kinder an Verstand geblieben sind (1. Kor. 14, 20). Ihrer Erkenntnis entsprechend haben sie wohl einen reichlichen Anteil am ewigen Leben, und es steht ihnen wohl auch ein höherer Lohn in Erwartung. Aber mehr errettet, mehr gerecht, mehr heilig, mehr Sohn sind sie nicht.
Nach dem bisher Gesagten kann das nur heißen: Wie wachsen wir in der Erkenntnis Christi, um unsern Vollwuchs als Glieder Christi zu erreichen? Es gibt da mehrere Antworten. Wir wachsen durch das Anschauen Christi. Wir wachsen ferner durch sein Wort. Weiter wachsen wir durch Scheidung und Reinigung. Und endlich wachsen wir durch Dienen und Leiden. Wir wollen diese Antworten einzeln durchgehen.
Wollen wir etwas erkennen, so müssen wir es anschauen. Je fleißiger und gesammelter wir es anschauen, desto deutlicher werden wir es erkennen und innerlich aufnehmen. Aber desto bestimmender wird es uns auch beeinflussen. Besonders im Göttlichen wird es wahr: Was wir mit Hingebung anschauen, in das werden wir verwandelt. Johannes hatte mit innerlich geöffneten Augen Jesus angeschaut und in ihm den Christus erkannt, und so wurde sein Leben und Wesen in die Ähnlichkeit des Lebens und Wesens des Herrn Jesus umgeformt. Stephanus hat unverwandt zum Himmel geschaut und hat die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes gesehen (Apg. 7, 55). Das innere Auge des Paulus von Tarsus wurde durch blendendes Himmelslicht für das Anschauen Christi geöffnet. Der Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im erschauten Angesicht Christi (2. Kor. 4, 6) verwandelte diesen Paulus von Tarsus in die lichte Gestalt des auserwählten Rüstzeuges Gottes. So konnte er später schreiben: „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18).
Hier liegt das Geheimnis der für unser Wachstum fruchtbaren Erkenntnis. Es bedeutet innerliches Wachsein für Christus. Von der Erkenntnis seiner selbst, die vom Anschauen Christi kommt, gehen die umformenden Kräfte aus. Sie bewirken unsere Umgestaltung in sein Bild.
Hier haben wir die verborgene Wirkung des Heiligen Geistes, der als Baumeister des Leibes Christi in unserem jetzigen Zeitalter nichts anderes tut, als uns das Bild Christi zu erklären und uns in dieses Bild zu verklären. Für uns stellt sich nur die ernste Frage, ob wir den Geist wirken lassen oder ihn durch unsere Geschäftigkeit, durch Interessen anderer Art, durch Gleichgültigkeit oder Trägheit hindern in seinem Werk.
Hier sind die erleuchteten Augen des Herzens (Eph. 1, 18), die das Geheimnis des Glaubens (1. Tim. 3, 9), das Geheimnis Gottes (Kol. 2, 2), das Geheimnis des Christus (Kol. 4, 3; Eph. 3, 4), das Geheimnis des Evangeliums (Eph. 6, 19), das Geheimnis der Weisheit Gottes (1. Kor. 2, 7), das Geheimnis des Willens Gottes (Eph. 1, 9), das Geheimnis: Christus in euch (Kol. 1, 27), und das Geheimnis der Gottseligkeit (1. Tim. 3, 16) wissen. Indem sie hineinschauen in die Herrlichkeit des Christus, saugen sie reine Lebenskräfte auf. In diesem Sinn meint es auch der Schreiber des Hebräerbriefes: „Hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr. 12, 2).
Weil er den Glauben in uns angefangen hat, können wir hinschauen auf ihn, und durch unser fortwährendes Hinblicken wird unser Glaube durch ihn und in ihm vollendet.
Hier ist der Wurzel- und Quellgrund unseres mit Christus in Gott verborgenen Lebens (Kol. 3, 3). Von da aus steigen die Säfte und Kräfte auf zu unserem Wachstum.
Hier endlich ist das wahre Bleiben in Christus, das inwendig wache, im Geist anbetende und das empfangende Verharren vor seinem Bild und Angesicht.
Alles Wachstum ist ein aufbauender Umgestaltungsvorgang durch tätige Lebenskräfte. Darum kann niemand Jesus Christus erkennen und bleiben, wie er ist. Denn ihn erkennen heißt, seine Lebenskräfte in sich aufnehmen. Diese bewirken von Stund an den Umgestaltungsprozeß in uns. Verharren wir in der inneren Anschauung Christi, so wird unser gesteigertes Wachstum in ihm das Ergebnis sein. Es ist zugleich das Wachstum als Glied an ihm, dem Haupt. Ihn erkennen heißt ihn lieben, ihn lieben heißt, entbrannt sein im Verlangen, ihn immer mehr zu erkennen und seine alle Erkenntnis übersteigende Liebe (Eph. 3, 19).
So allein wachsen wir heran; so werden wir Zug um Zug in sein Bild und Wesen umgestaltet; so geht es von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, zum Erfülltsein und zu der ganzen Fülle Gottes (Eph. 3, 19; Kol. 2, 9).
Warum es bei uns gläubigen Christen oft nicht vorwärts geht, hat seinen Grund einzig darin, daß wir den Heiligen Geist zurückdrängen und uns nicht ernst und anhaltend genug mit Christus beschäftigen. Das ist der Grund und Anlaß unserer allmählichen Trägheit, Oberflächlichkeit und Lauheit. Da es aber in unserem Herzen kein Vakuum gibt, so wird naturnotwendig der Platz, der unserem Herrn Jesus Christus und seiner Herrlichkeit gehört - denn er hat uns ja erkauft durch sein Blut - von anderen Dingen angefüllt. Und je länger wir diese anderen Dinge das Herz füllen lassen, desto mehr wird der Geist gedämpft und desto schwieriger wird es, von Tand und Kram, von Schein und Eitelkeit wieder loszukommen.
Fragen wir uns, was uns dieses Anschauen der Herrlichkeit Christi vermittelt, so gibt es nur eine Antwort: sein Wort. Was wir von ihm erkennen und wissen, das haben wir durch sein Wort. Christuserkenntnis ist deshalb zugleich Erkenntnis seines Wortes. Umgekehrt muß Erkenntnis seines Wortes zugleich Erkenntnis Christi sein. Wo es anders ist, besteht ein fataler Mangel. Denn soviel Erkenntnis des Wortes, wie nötig ist, um die elementare Erkenntnis Christi damit zu erlangen, muß selbst dem jüngsten und schwächsten Glied am Leib Christi eigen sein. Der Herr teilt sich in seinem Wort mit. Wer sein Wort aufnimmt, nimmt ihn auf. In wem sein Wort bleibt, in dem bleibt er. Und wer in seinem Wort bleibt, bleibt in ihm. Das kann heute, wo man so vielfach Erkenntnis sucht oder Gemeinschaft will ohne die unbedingte Unterordnung unter die Richtlinien seines Wortes, gar nicht genug betont werden. Gesunde Christuserkenntnis ist geknüpft an die gesunden Worte des Herrn. Diese allein bewirken gesunden Glauben. Darum sagt Paulus dem Timotheus: „Halte fest das Bild gesunder Worte“ (2. Tim. 1, 13). Die gesunden Worte sind die vernünftige und unverfälschte Milch (1. Petr. 2, 2) und schaffen gesundes Wachstum der Glieder am Leib Christi. Die Folge wird sich im praktischen Leben zeigen. Die von Gott eingegebene Schrift wird nützen zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit. Sie wird den Menschen Gottes vollkommen machen und zu jedem guten Werk geschickt (2. Tim. 3, 16.17).
Die Liebe zu seinem Wort ist zugleich der Ausdruck der Liebe zu ihm. Johannes gibt die Worte des Herrn so wieder: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt, … wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und uns Wohnung bei ihm manchen“ (Joh. 14, 21.23). Wenn der Vater und der Sohn Wohnung in uns machen können, dann schafft das eine Atmosphäre, die dem Wachstum in der Erkenntnis Christi mächtig voranhilft.
Dann darf noch auf etwas anderes hingewiesen werden. „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam“ (Hebr. 4, 12). Gott selber macht es durch seinen Geist in unsern Herzen lebendig. Und wenn es lebendig wird, dann wird es auch wirksam. So kann es sein, daß wir ein Wort lesen oder hören, das wir gut kennen, weil wir es schon oft gelesen und gehört haben. Und doch steht es urplötzlich vor uns, so durch und durch neu, so taufrisch und so lebendig, als begegnete es uns zum ersten Mal. Ja, das Wort Gottes ist lebendig und wirksam, wann immer Gott will, und wann immer wir ihm unser Ohr leihen, um auf ihn zu hören.
Das bereits teilweise erwähnte Wort aus dem Hebräerbrief fährt fort: „Das Wort Gottes … ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des Geistes sowohl der Gelenke als des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnung des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Hebr. 4, 12.13). Das lebendige Wort durchdringt uns und scheidet zwischen unserm alten adamitischen, seelischen Wesen und dem neuen Geisteswesen Christi in uns. Das erstere wird gerichtet und verworfen, das letztere wird gestärkt (Eph. 3, 16) und aufgebaut. Das erstere ist als gottfeindliche Gesinnung des Fleisches dem Gesetz der Sünde in unseren Gliedern untertan, das letztere wird beherrscht vom Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus (Röm. 7 und 8). Infolgedessen gelüstet das Fleisch wider den Geist, den Geist aber wider das Fleisch (Gal. 5, 17). Geist und Fleisch sind einander entgegengesetzt, damit wir nicht das tun, was wir dem Fleisch nach wollen. Demzufolge sind Fleisch und Geist die beiden Positionen, zwischen denen sich der Kampf des Glaubens in uns abspielt. Dieser Kampf wird entschieden auf dem Gebiet unseres Wollens. Welches von den beiden Gesetzen unseren Willen gefangennimmt, hat den Sieg des Vollbringens. Ist mein Wille erfüllt von zweifelnden Überlegungen meines Verstandes im Dienst meines Fleisches und seiner Lüste, so entscheidet das Gesetz der Sünde und wird siegen. Ist mein Wille aber erfüllt von Gedanken, die unter dem Gehorsam des Christus und seines Wortes stehen (2. Kor. 10, 5), so wird das Gesetz des Geistes des Lebens siegen. Der Wille aber empfängt seinen Inhalt durch das, was wir glauben.
Je mehr mit wachsender Erkenntnis der Christus für mich und in mir der Inhalt und die Kraft meines Glaubens wird, desto mehr wird das Gesetz des Geistes Christi in mir auch der Inhalt meines Wollens werden. So wird der Geist über das Fleisch siegen, und ich werde die Lust des Fleisches nicht vollbringen. Deswegen hängt die ungehemmte Erreichung unseres Vollwuchses so sehr davon ab, ob wir im guten Kampf des Glaubens den Glauben bewahren (2. Tim. 4, 7). Das bedeutet, daß wir an dem Christus für uns und in uns festhalten, daß sein Wort, sein Wille und seine Kraft der Inhalt unseres Wollens werde, sei und bleibe. Darum läuft alle Aufnahme des Wortes darauf hinaus, daß wir durch dasselbe „im Glauben gegründet werden, festbleiben und nicht abbewegt werden von der Hoffnung des Evangeliums“ (Kol. 1, 23). Nur durch die entscheidende und durchdringende Kraft des Wortes wachsen wir hinan zur Errettung (1. Petr. 2, 2) und vollenden unsern Lauf.
Auf dem Weg zu diesem Ziel gibt es mancherlei Abweichungen, Verfehlungen, Befleckungen und Sünden. Darum ist eine weitere Bedingung zur Erreichung unseres Vollwuchses die fortlaufende Reinigung von diesen Dingen. Sie geschieht vor dem Spiegel des Wortes und durch seine klärende Kraft (Eph. 5, 26) im Licht und Angesicht Christi. Die Verheißungen unseres Gottes (2. Kor. 7, 1) und die besondere Hoffnung, Jesus zu sehen, wie er ist, und ihm gleich zu sein (1. Joh. 3, 2.3), sind der Beweggrund zu unserer fortgesetzten Reinigung. Die Reinigung ist zu vollziehen als Sündenbekenntnis vor dem Sachwalter beim Vater (1. Joh. 1, 9; 2, 1). Das Ziel dieser Reinigung ist die Vollendung unserer Heiligkeit in der Furcht Gottes. Das will nicht heißen, daß die uns durch Jesus Christus erworbene Heiligkeit größer wird. Hingegen vermögen wir auf Grund der fortwährenden Reinigung unser Leben immer mehr entsprechend der uns geschenkten Heiligkeit zu führen. In diesem Sinn jagen wir der Heiligung nach. Und dieses Nachjagen ist das Ergebnis unseres gesunden Wachstums in der Erkenntnis Christi. Die Erkenntnis Christi und der rechte Fortgang unserer Reinigung gehen Hand in Hand. Es gibt da nichts Sprunghaftes, keine besonderen Akte und außerordentlichen Erfahrungen. Nur im Licht des Angesichts Christi erkennt man die eigene Befleckung. Die sich anschließende Reinigung ermöglicht wiederum das Weiterwachsen in der Erkenntnis Christi. Das Ziel ist: rein, gleichwie er rein ist (1. Joh. 3, 3).
Bei der Nennung dieses Zieles muß jedoch in unserer Zeit, in der in Bezug auf biblische Begriffe leider arge Verwirrung herrscht, betont werden, daß niemand unter uns imstande ist, die Erreichung dieses Zieles für sich selbst festzustellen. Niemand kann sich selber ein Reifezeugnis über vollendete Reinigung ausstellen. Nur er, dem wir gleich sein werden, kann Zensuren austeilen, nicht wir, seine Schüler.
Aber das eine wissen wir, daß wir, je mehr wir ihn erkennen, desto weniger sündigen werden. Wer ihn wirklich gesehen und erkannt hat, sündigt nicht, d. h. er kann nicht mehr grundsätzlich in der Finsternis wandeln (1. Joh. 3, 6; 1, 6). Ihn erkennen heißt, sein Leben in uns aufnehmen. In ihm bleiben heißt, in Lebensgemeinschaft mit ihm bleiben. So und nur so haben wir den alten Menschen, d. i. den früheren Lebenswandel, ausgezogen (Eph. 4, 22) und den neuen angezogen. Auf diese Weise werden wir erneuert in wachstümlicher Erkenntnis Christi, unter fortgesetzter Reinigung vor dem Angesicht Christi. Es geht also von Erkenntnis zu Erkenntnis. Es ist ein tatsächliches, praktisches Anziehen des Herrn Jesus Christus (Röm. 13, 14). Dadurch wird unsere Gesinnung von Grund auf erneuert, und wir erleben zutiefst, was Gerechtigkeit und Heiligkeit sind (Eph. 4, 23.24). Wir kommen dadurch aber auch von unserer Stellung in Christus, die er selber uns durch sein Werk erworben hat, zur Darstellung bzw. praktischen Verwirklichung dieser Stellung in einem gottwürdigen Wandel. Ohne einen solchen Wandel bleibt alles Theorie, und es kommt nicht zur wahren Erkenntnis Christi und deshalb auch nicht zur Reife.
Bis jetzt haben wir mehr den inneren Wachstums- und Reifevorgang des einzelnen Gliedes am Leibe Christi betrachtet. Es gibt aber auch einen mehr äußeren Vorgang, der mehr dem Kreislauf der Wachstumskräfte im ganzen Leib und dessen Aufbau entspricht. Das ist das Wachstum durch Dienen und Leiden.
Dienst ist Wieder- und Weitergabe der empfangenen Gabe. Im Wieder- und Weitergeben besteht die Aufgabe. Allen voran im Wieder- und Weitergeben steht Christus. Sein Dienst ist alles Dienstes Muster. Wir betrachten deshalb seinen Dienst unter dem Titel:
Sein besonderer Dienst begann mit seiner Erhöhung zum Haupt. Da empfing er selbst die Gabe zur neuen Aufgabe. Petrus deutet es am Pfingsttage so: „Nachdem er (Christus) nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret“ (Apg. 2, 33). Christus hat das weitergegeben, was er vom Vater empfangen hat. Durch diesen ausgegossenen Geist ist die Bildung des Leibes Christi erst möglich geworden. Das ist des Hauptes erster Dienst in Bezug auf seinen Leib. Aber damit nicht genug! Gerade dieser ausgegossene Heilige Geist ist der göttliche Baumeister des Leibes Christi, der bis in die letzten Einzelheiten alles gestaltet, jedes Glied zurüstet, alles durchdringt und den ganzen herrlichen Organismus zur Vollendung bringt.
Paulus, dem die Verwaltung des Geheimnisses anvertraut war, darf uns in Bezug auf diesen Dienst des Hauptes in Einzelheiten einführen. Er tut es mit folgenden Worten: „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maß der Gabe des Christus. Darum sagt er: Hinaufgestiegen in die Höhe, hat er die Gefangenschaft gefangengeführt und den Menschen Gaben gegeben. Das aber: Er ist hinaufgestiegen, was ist es anders, als daß er auch hinabgestiegen ist in die untern Teile der Erde? Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllte. Und er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Zurichtung der Heiligen, nämlich für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf daß wir nicht mehr Unmündige seien, hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre, der da kommt durch die Betrügerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum; sondern die Wahrheit festhaltend in Liebe, laßt uns heranwachsen in allem zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph. 4, 7-16).
In diesen Versen tritt der Dienst, den das Haupt an dem Leib tut, besonders klar hervor. Christus als Haupt des Leibes ist der Geber jeder Segnung, d. h. jeden göttlichen Lebenszuflusses. Es ist zu beachten, daß es heißt: „jedem einzelnen von uns“. Da ist keiner hintangestellt oder benachteiligt. Jedem Glied am Leib ist die Gnade gegeben. Es ist nicht nur die Gnade zum persönlichen Heil, sondern insbesondere die Gnade zur Mithilfe und zum Dienst am Leib, innerhalb des Leibes und für den Leib. Und diese Gnade bemißt sich nach der Gabe des Christus, d. h. sie sprengt alle Maße und Vorstellungen, weil er die unermeßliche Gabe Gottes ist. Mit andern Worten erhält jedes Glied am Leib die Gnade nach dem unerschöpflichen Ausmaß des Christus. Und damit diese jedem einzelnen geschenkte Gnade dereinst auch in dem unerhörten Umfang zur Auswirkung komme, darum erwähnt unser Text in diesem Zusammenhang, daß er „hinaufgestiegen ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllte“ (Vers 10).
So hat er für die besonderen Dienstaufgaben, Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer gegeben. Sie alle dienen zur Zurichtung (das griech. Wort meint: ein Glied wieder einrenken. Deshalb scheint es uns besser, es mit „Zurichtung“ wiederzugeben. Es hat dann den Sinn, daß alle die vom Haupt gegebenen und hier erwähnten Dienste den Zweck haben, jedes Glied am Leib in die richtige Lage und an den richtigen Ort zu bringen) der Heiligen. Diese Zurichtung der Heiligen geschieht mit dem ganz bestimmten Ziel, das Werk des Dienstes und die Auferbauung des Leibes möglich zu machen. Mit andern Worten, die Apostel, Propheten usw. helfen den Gliedern des Leibes zurecht, damit diese in und an dem Leib ihren Dienst tun und auf diese Weise zur Auferbauung des Leibes mit beitragen können. Das deckt sich damit, daß jedes einzelne Glied am Leib Christi vom Haupt die Gnade in dem unvorstellbaren Maß des Christus selber erhalten hat. Es deckt sich aber auch damit, daß von jedem Glied am Leib erwartet wird, daß es nicht unmündig bleibe. Wenn wir das Leben und die Wirksamkeit des Apostels Paulus betrachten, so zeigt sich doch sofort, daß ein großer Teil seiner Tätigkeit sich darauf bezog, die Glieder am Leib Christi in die zutreffende Lage und an den richtigen Ort zu bringen, um sie auf diese Weise aktions- und einsatzfähig zu machen.
Zum Werk des Dienstes und zur Auferbauung des Leibes hat das Haupt auch die vielen Gaben gegeben, welche Paulus im Korintherbrief aufzählt (1. Kor. 12, 7-10).
Unser Text sagt uns weiter, daß der Dienst des Hauptes an den Gliedern seines Leibes den Zweck hat, daß aus ihm, dem Haupt, der ganze Leib Darreichung empfange zum Wachstum. Jedes Glied und Gelenk, jeder Teil soll miteinbezogen sein in den großen Kreislauf der himmlischen Lebenskräfte, alle sollen mit beitragen zur Selbstauferbauung am Leibe. Dieser Selbstaufbau ist der Ausdruck der Gemeinschaft jedes Gliedes mit dem Haupt und untereinander, Darum kann kein Glied abseits stehen, ohne dem ganzen Leib zu schaden (1. Kor. 12, 14-26).
Wir können es gerade vorwegnehmen: von nichts hängt der Vollwuchs der einzelnen Glieder so sehr ab als von dem gegenseitigen Dienst der Glieder untereinander. Es gibt im Grunde nur eine Vollendung der Heiligen, und das ist die zum Werk des Dienstes für die Auferbauung des Leibes Christi. Das ist für uns alle eine ernste Sache.
Wir haben schon gesehen, daß jedes Glied am Leib Christi eine Gabe hat. Jedes hat die Gnade nach dem Maß der Gabe des Christus bekommen. Jedes ist berufen zum Werk des Dienstes für die Auferbauung des Leibes Christi. Ein Zurückgestellt- oder gar Ausgeschaltetsein irgendeines Gliedes gibt es überhaupt nicht. Jede Gabe, die wir vom Haupt empfangen, ist eine Dienstgabe zur Erfüllung einer Dienstaufgabe. Darum sagt Petrus: „Je nachdem ein jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Petr. 4, 10).
Jedes Wachstum in der Erkenntnis Christi und seines Wortes, jeder in Reinigung und Heiligung würdige Wandel des einzelnen Gliedes bewirkt praktisch vermehrte Dienstfähigkeit. Denn nur wachsend dienen wir. Es ist das ein von Gott bestimmtes Umlaufgesetz. Das Organ, das nicht dient, verschrumpft, und ein verschrumpftes Organ kann nicht mehr dienen. Dienst sagten wir oben, ist Wieder- und Weitergabe der empfangenen Gabe zur Erfüllung einer Aufgabe. Damit ist gleichzeitig gesagt: Dienst ist Hingabe. Ohne wirkliche Hingabe kommt es nicht zum Dienst. Vom Haupt empfangen wir das Leben. Es ist mitgeteiltes Leben und Wesen Christi. In einem würdigen Wandel geben wir das Leben wieder und in hingebendem Dienst geben wir es weiter. Stockt diese Wieder- und Weitergabe, so stockt auch bald der Zufluß der Gabe vom Haupt her und beide, sowohl Wachstum als Dienst, sind gehemmt. Das betreffende Glied, das von einer solchen Stockung befallen ist, ist krank und stört den regelmäßigen und gesunden Kreislauf der Lebenskräfte im ganzen Leib. 0 wie viel Zurückbleiben hin und her!
Doch nicht nur das. Jede mangelnde Dienstwilligkeit bedeutet auch einen Verlust an Gaben selbst. Wird eine Gabe nicht zu rechtem Dienst benutzt so geht sie zurück und schließlich geht sie ganz ein, ähnlich dem unnützen Knecht, dem das Talent genommen worden ist (Matth. 25, 28). So sehen wir auch zu Korinth, daß die Gemeinde für die rechte Verwaltung der Gnadengaben nicht reif war (1. Kor. 3, 1-5; 4, 5). Verkümmert nun die Dienstfähigkeit ganzer Gliedergruppen, so verschwinden schließlich auch ganze Gruppen von Gaben. Gerade die Gaben, die die Korinther wie Kinder berauschten, so Zungenreden, Krankenheilungen und Wunderwirkungen, sind ihnen genommen worden. Ob der Leib Christi auf Erden von den Zeiten der Dürre und Dürftigkeit, die durch die Verkümmerung der Dienstfähigkeit ganzer Gruppen gekommen sind, in unserer Zeit sich noch erholen und wieder zur Vollzahl der Gaben gelangen wird, ist eine Frage, auf die wir bis heute keine Antwort haben.
Wir möchten damit nicht in Abrede stellen, daß nicht da und dort vereinzelt solche Gaben anzutreffen sind. Doch sind sie keine allgemeine Erscheinung mehr wie zur Zeit der Korinther.
Es gehört zu unserem Wachstum, um die Gnadengaben zu eifern (1. Kor. 12, 31; 2. Tim. 1, 6). Paulus redet in diesem Zusammenhang von den größeren Gnadengaben und legt das Gewicht namentlich auf die Weissagung (1. Kor. 14, 1; 12, 31). Sie bedeutet nicht unbedingt Vorhersage des Zukünftigen, immer aber ist sie die Gabe, andere in die Gegenwart Gottes zu führen und in seine Wirklichkeit zu stellen. Nach dieser Gabe soll ein jedes Gotteskind streben. Doch alles Streben muß auf dem schriftgemäßen Weg und allein um der Vollendung zum Dienst willen geschehen, und es muß uns bewußt bleiben, daß der Geist die Gaben austeilt, wie er will (1. Kor. 12, 11). Es gehört viel Weisheit von oben dazu, hier geist- und gottgemäß zu bitten (Röm. 8, 26.27).
Unser Wachstum ist zum Haupt hin. Von ihm aus geht die Formung des Leibes Christi. Vom Haupt aus wächst der ganze Leib, Er wächst so, daß jedes einzelne Glied mit dem Haupt in Verbindung steht und sich in Lebensentfaltung und Lebensäußerung nach dem Haupt richtet. In der gelesenen Epheserstelle (Eph. 4, 7-16) ist vom Zusammenfügen, Verbinden und von den Gelenken der Darreichung die Rede. Was nützte der Arm ohne die Gelenke, was die Gelenke ohne die Bänder, durch die sie bedient werden? Dabei geht alles immer vom Haupt aus. So wird ein gesundes Wachstum bewirkt. Aber was sind nun wohl die Gelenke der Darreichung? Wir haben oben gesehen, daß die vom Haupt gegebenen Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer den Gliedern des Leibes Christi zurechthelfen, damit sie in und am Leib ihren Dienst tun können. In ihnen sind uns wohl die Gelenke der Darreichung gegeben.
Aber noch ist eine Frage zu beantworten. Wo wirken sich die Gaben aus, wo wird der Dienst der einzelnen Glieder getan, und wo werden ihre Aufgaben erfüllt? Da gilt als erste Antwort: in ihren vier Wänden. Bekannt ist der Spruch: „Es ist nirgends sch schwer, ein Christ zu sein, als zu Hause.“ Das gilt auch für die Ausübung aller Gaben und Dienste. Bist du ein Glied am Leib Christi, so soll sich das zuallererst in deiner Familie auswirken. Was gilt ein Apostel, der sich zu Hause nicht wie ein Apostel benimmt, oder ein Prophet, ein Evangelist, ein Hirte oder Lehrer? Wie könnte jemand am Leib Christi einen geordneten Dienst tun, der zu Hause in Unordnung lebt? Dabei mag die Gabe, die einer hat, nach außen hin noch so groß erscheinen; was ist sie nütze? Nicht umsonst meint der Apostel Paulus, daß ein Diener dem eigenen Haus wohl vorstehen müsse (1. Tim. 3, 12).
Dann sind die Kreise zu nennen, in denen die Kinder Gottes sich bewegen. Kinder Gottes suchen Gemeinschaft. Sie wollen mit andern zusammen teilhaben an der Wirklichkeit Gottes und an der seines Sohnes. Darum finden sie sich zusammen in Gemeinden, Gemeinschaften, Stunden und Versammlungen. Diese sind die eigentlichen Schulen für das Werk des Dienstes zur Auferbauung des Leibes. Hier sollen die Bedürfnisse des Leibes Christi in gemeinsamem Gebet und im Namen des Hauptes vor den Vater niedergelegt werden. Hier soll dem Vater und dem Sohn gemeinsam Danksagung dargebracht werden. Hier sollen die Gnadengaben, die Gott durch seinen Geist gegeben hat, entfaltet, gepflegt und verwaltet werden. Hier soll durch Zucht und Ermahnung der Lichtswandel, die Reinigung und damit das gesunde Wachstum der einzelnen gefördert werden. Von hier soll auch die Evangelisation und die Mission ausgehen, damit die Vollzahl der Glieder am Leib Christi erreicht werde. Die Gemeinden, Gemeinschaften, Stunden und Versammlungen sollen auf diese Weise Übungsstätten sein für den gegenseitigen Dienst der Liebe.
Wir müssen wahr sein. Das heißt nicht nur, daß bei uns keine Unwahrheit gefunden wird, sondern das heißt, daß wir in unserem praktischen Leben zu der Wesensverwirklichung Gottes, die er in uns wirken will, kommen. Christen sind keine Maskenträger. Gottes Wirklichkeit erfaßt sie ganz, und in den genannten Übungsstätten lernen sie, in Liebe tätig zu werden und so in die göttliche Wirklichkeit hineinzuwachsen. Das ist aber zugleich Wachstum am Leib Christi, es ist seine Auferbauung. In Gemeinden, Gemeinschaften, Stunden und Versammlungen ist die Möglichkeit reichlich gegeben, gemeinsam die Lasten der andern oder aller mitzutragen (Gal. 6, 2); im gegenseitigen Sichertragen Geduld zu üben und Demut zu lernen (Eph. 4, 2); in der materiellen Hilfeleistung an andere für eine reiche Ernte in der Auferstehung zu säen (Gal. 6, 9.10); in der Unterstützung von Witwen und Waisen einen reinen und unbefleckten Gottesdienst zu tun (Jak. 1, 27); im Achthaben darauf, daß nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leidet, selber in der Gnade Gottes befestigt zu werden (Hebr. 12, 15) und einander anzureizen zur Liebe und zu guten Werken (Hebr. 10, 24). Man könnte von diesen Möglichkeiten der Entfaltung und des Wachstums des einzelnen Gliedes am Leib Christi noch viele andere aufzählen.
Jedes Zurückbleiben in irgendeinem Stück ist Zurückbleiben im Wachstum des Gliedes sowohl als auch des Leibes. Und Zurückbleiben ist eine ernste Sache. Wenn schon in der Schule das Sitzenbleiben als etwas Anomales und Schmachvolles gilt, wieviel mehr bedeutet das Zurückbleiben eines Gliedes am Leib Christi einen Schaden nicht nur für das betreffende, sondern auch für den ganzen Leib. Aber auch solche Zurückgebliebene müssen als Schwache, Kranke und Unmündige in Liebe getragen werden. Sie bedürfen der besonderen Rücksicht, Ehre, Schonung und Pflege (Röm. 15, 1; 1. Kor. 9, 22; 12, 22-24).
Solch gegenseitiges Dienen bringt Leiden, sowohl persönlich als auch mit den andern und für die andern (1. Kor. 12, 26). Wer diesem dreifachen Leiden ausweichen will, erleidet zweifellos Einbuße im Wachstum. Wir müssen persönlich Leid erleben, denn wir müssen im Mitgekreuzigt-, Mitgestorben- und Mitbegrabensein mit Christus unser eigenes, selbstgefälliges Leben verlieren. In dem Maß, wie der Auferstandene in uns wächst, wird diese Selbstverleugnung zur Tatsache. Das geht nicht, ohne daß wir unsern Leib darbringen als lebendiges Opfer (Röm. 12, 1). Wo aber solche Opfer gebracht werden, wird gelitten. Da bleiben die Leidensscheuen und Feinde des Kreuzes (Phil. 3, 18) weit zurück. Ebenso ist das Mitleiden mit den andern Gliedern ein steter Opferdienst der Liebe. Die Leidensscheuen gehen ihm sorgfältig aus dem Weg, denn sie suchen das Ihre (Phil. 2, 21). Noch viel mehr Opfer erfordert das Leiden für andere. Hier zeigt sich höchste Dienstfähigkeit, denn Dienen ist, wie wir gesehen haben, Lebenshingabe. Johannes spricht es so bedingungslos und ernst aus: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, daß er für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für unsere Brüder das Leben darzulegen“ (1. Joh. 3, 16). Die meisten sind kaum gewillt, eine nötige Geldgabe für den Bruder darzulegen, wieviel weniger das Leben!
Feindschaft gegen das Kreuz (Phil. 3, 18) ist nicht Ablehnung Christi, sondern der Versuch, dem Leiden aus dem Weg zu gehen und das eigene Leben retten zu wollen. Dies ist allenthalben die Folge zurückgebliebenen Wachstums und ebenso die Ursache mangelnden künftigen Wachsens.
Gewisse Dienste am Leib Christi können nun einmal gar nicht ausgeübt werden ohne tatsächliche Darlegung des eigenen Lebens. Da aber die Kreuzesscheu überwiegt, bleiben solche Dienste einfach ungetan oder nur halb getan. Ebenso können die meisten Gnadengaben weder empfangen noch zu rechtem Dienst gebraucht werden, ohne daß der Empfänger und Träger zu solch besonderem Dienst sein Leben darlegt. Die Kreuzesscheu ist auch die Hauptursache, warum uns so manche zum Dienst am Leib Christi hochnötige Gaben fehlen. Unsere Gemeinden, Gemeinschaften, Stunden und Versammlungen gehen oft deshalb recht mühsam voran.
Aber auch alle andern Kräfte und Segnungen werden verschlossen durch die Kreuzesscheu. Schon jeder Versuch, sich das Leben nach eigener Art und eigenem Gutdünken einzurichten, es bequem zu gestalten und genußreich zu machen, muß eine Behinderung unseres Wachstums nach sich ziehen und bedeutet an sich schon zurückgebliebenes Wachstum in der Erkenntnis Christi und des Kreuzes. Wer ihn in Wahrheit erkannt hat, fragt nur noch: „Herr, was willst du, das ich tun soll?“ Er streckt seine Hände aus, daß der Herr ihn gürte und hinbringe, wohin man von selbst nicht will. Denn es bleibt bei dem, was der Herr Jesus gesagt hat: „Wer nicht sein eigenes Leben haßt, wer nicht sein Kreuz trägt, wer nicht allem entsagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein“ (vgl. Luk. 14, 26.27.33). Dreimal steht hintereinander „kann nicht“. Wie aussichtslos ist es, diesem heiligen, dreimaligen „kann nicht“ entfliehen zu wollen! Wer hier dauernd zu entfliehen sucht, wird nie das Angesicht Christi schauen. Ein solcher hat Christi Geist nicht (Röm. 8, 9).
Der Anführer unserer Errettung ist durch Leiden vollkommen gemacht worden (Hebr. 2, 10). Es kann deshalb gar nicht anders sein, als daß auch die Glieder seines Leibes und der ganze Leib nur durch Leiden zum vollen Wuchs gelangen. Der volle Wuchs benötigt das Vollmaß der Leiden. Diesem Vollmaß entspricht dann auch das Vollmaß der Segnungen und die tatsächliche Vollendung des Leibes Christi. Nicht als ob wir erst den wilden Tieren vorgeworfen oder tatsächlich ans Kreuz geschlagen werden oder in die Zeit der großen Trübsal kommen müßten. Nein, es gibt zu jeder Zeit im Leben des einzelnen Gliedes wie auch der Gemeinde Leid und Kreuz genug. Möchten wir da nur immer unsere Lektion lernen! Möchten wir wie Paulus mit Freuden willig sein, im Leiden für unsere Geschwister in unserm Fleisch, d. h. im eigenen Leben, das zu ergänzen, was noch rückständig ist von den Drangsalen des Christus für seinen Leib (Kol. 1, 24). Möge der Herr auch uns zeigen, wieviel wir für seinen Namen leiden müssen (Apg. 9, 16)! Dann werden auch wir wie Paulus alles für Dreck achten, um Christus zu gewinnen, ihn immer wieder neu zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung, und um der Gemeinschaft der Leiden des Christus teilhaftig zu werden (Phil. 3, 8.10).
Vielleicht muß aber auch der Teil des Leibes Christi, der sich zur Zeit der Vollendung dieses Zeitalters noch auf Erden befindet, in besonderer Weise dem Tod Christi gleichgestaltet werden. Zweifellos wird mit der Ausreife des antichristlichen Geistes, wie sie die Heilige Schrift zeigt (2. Thess. 2, 1-12; 1. Tim. 4, 1-3; 2. Tim. 3, 1-9), eine tiefere Scheidung zwischen der Welt und der Gemeinde des Herrn stattfinden. Damit wird aber auch ein tieferer Haß gegen die Kinder Gottes sich einstellen. Dieser wird im öffentlichen Leben zum Ausdruck kommen. Nach dem Sinn der biblischen Zeugnisse scheint es ausgeschlossen zu sein, daß der Leib Christi bis in die Zeit der großen Trübsal hinein, d. h. bis zur Herrschaft des Antichrists und des darauffolgenden Gerichts seine Existenz auf der Erde haben wird. Aber es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, daß die „schweren Zeiten“, welche angekündigt sind (2. Tim. 3, 1), den betreffenden Gliedern des Leibes auch schwere Leiden besonderer Art bringen werden. Aber diese Leiden werden dem Vollwuchs dieser Glieder am Leib Christi und damit auch der Vollendung des ganzen Leibes nützlich sein. Der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes wird dann auf den Seinen ruhen (1. Petr. 4, 14).
Jeder erreichte Vollwuchs jedes einzelnen Gliedes und insbesondere der Vollwuchs des ganzen Leibes (Eph. 4, 13) wird die Herrlichkeit Gottes offenbaren. Diese Herrlichkeit wird erweisen, daß der Leib Christi in göttlicher Vollkommenheit dasteht, in harmonischer Einheit und in der in sich abgeschlossenen Übereinstimmung mit dem Bild des Sohnes Gottes. Aus jedem einzelnen wird die Herrlichkeit Gottes hervorleuchten.
Dreimal wird in den Anfangsversen des Epheserbriefes gesagt: „Daß wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien“ (Eph. 1, 6.12.14). Das will doch sagen, daß die Glieder des Leibes und der vervollständigte Leib des Christus der ganzen Schöpfung ein Schaubild göttlicher Herrlichkeit sein werden, der sie zu ununterbrochenem Preis Gottes anspornt. Vom Leib Christi wird im Verein mit dem Haupt in göttlichem Glanz Gottes Sein und Gottes Wesen ausstrahlen. Was und wer Gott ist, wird geschaut werden vom ganzen Universum am Leib Christi. An ihm wird sich die ganze Schöpfung nach Gott hin orientieren, so daß Gott durch die Herrlichkeit der Gemeinde der herrliche Zentralpunkt sein wird, auf den jedes Herz mit all seinen Regungen und Gedanken in beseligender Harmonie sich ausrichtet. Diese Gottesherrlichkeit des Leibes Christi wird ununterbrochen immer wieder neu aufleuchten als ein fortwährendes Gottesgeschehen in göttlicher Vollendung.
Die Vollkommenheit des Vollwuchses eines Gliedes am Leib Christi stellt sich als eine geistige Reife dar. Dieser entspricht aber auch die moralische Reife. Wir haben das schon gesehen, als wir von der Vaterstufe sprachen (vgl. den Abschnitt „Die drei Stufen des geistlichen Lebens“). Ein Glied, das zu diesem Vollwuchs gekommen ist, hat Christus so vollkommen erkannt und ist dadurch des Lebens Christi so sehr teilhaftig geworden, daß Christi Herrlichkeit in ihm entsprechend zum Ausdruck kommt (bei Vergleichen aller Schriftstellen, die die griech. Ausdrücke téleios [= vollkommen] und teleiótäs [= Vollkommenheit] enthalten, ergibt sich folgende Bedeutung: vollkommen ausgewachsen, daher reif sein an Erkenntnis [1. Kor. 14, 20; Eph. 4, 13]; die Gereiften, die für göttliche Dinge das notwendige Maß von Erkenntnis besitzen [1. Kor. 2, 6]; vollkommen sein in Erkenntnis und Wandel [Matth. 5, 48; 19, 21; Phil. 3, 15; Kol. 1, 28; 4, 12; Jak. 1, 4; 3, 2]; Reife der Erkenntnis [Hebr. 6, 1]; Reife des Wandels [Kol. 3, 14]. Dazu kommt noch das nur einmal vorkommende Wort ártios [2. Tim. 3, 17], das mit angemessen, zweckmäßig, passend oder auch vollkommen wiederzugeben ist. Alle anderen Ausdrücke, die Luther mit vollkommen übersetzt, entsprechen dem griech. Wort teleióo und bedeuten nicht vollkommen sein, sondern vollkommen gemacht, vollendet werden). Diese Herrlichkeit steht in harmonisch abgeschlossener Übereinstimmung zwischen dem Glied und dem Haupt des Leibes und entspricht der persönlichen Eigenart des Gliedes. Der Apostel Paulus macht das deutlich mit den Worten: „Wir alle aber nehmen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel auf und werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor. 3, 18). Wer so die Herrlichkeit des Herrn widerspiegelt, dessen Glaube ist überaus gewachsen und vollendet worden (2. Tim. 4, 7; Jak. 2, 22); er ist vollendet in der Liebe (1. Joh. 4, 12.18). Und doch ist dieses vollwüchsige, vollkommene Glied am Leib Christi um nichts gerechter, heiliger oder mehr begnadigt und mehr Sohn als das jüngste Kindlein in Christo. Es hat nur gelernt, durch Wachstum in der Erkenntnis Christi die im Opfer seines Herrn empfangene Gnade zu verwerten, zu werten und männlich darzustellen. Dementsprechend wird auch seine Belohnung sein.
Wenn man zu diesem Thema kommt, steigen sofort allerlei Fragen auf. Bleiben die Glieder, die nicht zum Vollwuchs kommen, ein dauerndes Hindernis für die Vollendung des Leibes Christi? Gehören sie überhaupt zum Leib? Vollzieht sich ihre Vollendung noch auf dem Totenbett? Oder erlangen sie den Vollwuchs in der Auferstehung? Die Bibel läßt uns hier im Ungewissen über so manches, was wir wissen möchten. Sie zeigt einmal mehr, daß sie kein Auskunftsbuch ist und daß Gott, wiewohl er sich in seinem Sohn geoffenbart hat, sich Geheimnisse vorbehalten hat, in die wir eben noch nicht einzudringen vermögen. Wir ehren unsern Gott, wenn wir hier keusche Zurückhaltung üben.
Soviel darf allerdings gesagt werden: Wenn es sich um Wiedergeborene handelt, so wird ihnen das Wort gelten: „Welcher ein gutes Werk in euch angefangen hat, der wird es auch vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1, 6). Der gute Hirte, der gesagt hat: „Niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Joh. 10, 28), ist der Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr. 12, 2). Er wird nichts unversucht lassen, diese Unmündigen zur Reife zu bringen. Freilich würden in diesem Fall die Werke des Glaubens fehlen und damit auch der zukünftige Lohn geringer sein. Aber der Glaube selber wird vollendet werden, so daß es zur wahren Gesinnung der Liebe und der Hoffnung kommen wird. Wie der Anfänger und Vollender des Glaubens das macht, das ist seine Sache. Er behält sich alle Möglichkeiten vor. Sicher hat er tausend Wege, um zu dem von ihm verfolgten Ziel zu kommen. Tröstlich ist es, daß der Vater uns passend gemacht hat zum Anteil am Erbe der Heiligen im Licht (Kol. 1, 12); verheißungsvoll ist die Vergangenheitsform, in der Gott sagen läßt, daß er diejenigen, die er gerechtfertigt hat, auch verherrlicht hat (Röm. 8, 30); und gewiß ist das große Wort, daß nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist (Röm. 8, 38.39).
Die Vollendung des Leibes Christi hängt vom Vollwuchs der einzelnen Glieder ab, das steht fest. Doch dürfen wir dem Haupt vertrauen, daß es selber die Garantie für die Erreichung dieses Vollwuchses ist. Auch dann ist es dafür die Garantie, wenn der Vollwuchs nicht so in Erscheinung tritt, wie dies bei der Väterstufe in einem gesättigten Ausleben der Erkenntnis Christi geschieht. „Nicht viele Väter“, sagt der Apostel Paulus (1. Kor. 4, 15), und das wird wohl so bleiben, bis der Herr kommt. Trotzdem aber gilt des gleichen Apostels und Vaters in Christo Bitte: „Seid meine Nachahmer“ (1. Kor. 4, 16; 11, 1)!
In der vollkommenen, harmonischen, äußeren Ausgestaltung des Leibes wird sich seine Vollkommenheit zeigen. Vollzahl und Vollwuchs werden sich decken, d. h. wenn das letzte Glied zum Leib Christi hinzugetan sein wird, dann wird sein Vollwuchs da sein.
Vollwuchs und Vollzahl bringen die Fülle des Christus. Christus wird dann dastehen in seiner ganzen Fülle, bereit zu seiner Herrlichkeitsentfaltung und der Ausübung seiner Herrschergewalt. Sein Leib, von ihm erfüllt, wird als seine Fülle Träger der Gottesfülle und Gottesherrlichkeit sein im ganzen Universum. Das ist der vollendete Christus (1. Kor. 12, 12), der ausgereifte neue Mensch (Eph. 2, 15), der erwachsene Mann in der Reife seiner Männlichkeit und in der Fülle seiner Kraft (Eph. 4, 13).
Dann wird aber auch in der inneren Ausgestaltung des Leibes sich seine Vollkommenheit darstellen. Diese innere Ausgestaltung wird sich zeigen in der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes.
Die Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes ist die Einheit zu der der Leib auf dem Wege des Wachstums hingelangt. Der Glaube ist letzten Endes Ausrichtung auf Gott und seinen Christus. Er hört demnach nicht auf, wenn wir zum Schauen gelangen. Auch dann wird die Ausrichtung aller Glieder auf das Haupt da sein, ja, sie wird so vollkommen vorhanden sein, daß alle und alles zu einer vollkommenen, harmonischen, inneren Einheit wird.
Diese Ausrichtung auf das Haupt wird alle ganz erfassen. Sie wird aber nicht nur zur Einheit mit dem Haupt, sondern zugleich auch zur Einheit mit Gott. Die Glieder des Leibes werden nicht nur untereinander und mit dem Haupt eins sein, sondern sie werden als Einheit mit ihrem Haupt vollständigen Anteil haben an der Einheit, die zwischen Gott und seinem Christus, zwischen dem Vater und dem Sohn besteht. So hat es der Sohn von seinem Vater erbeten mit den Worten: „Auf daß sie in uns eins seien“ (Joh. 17, 21).
Es bedarf noch eines Wortes über die Einheit der Erkenntnis des Sohnes. Während die Einheit des Glaubens die Ausrichtung unseres ganzen Seins auf Christus, das Haupt, auf den Sohn Gottes und damit auch auf Gott bedeutet, ist mit der Einheit der Erkenntnis des Sohnes Gottes wohl mehr das liebende Erfassen und Einswerden mit dem Sohn Gottes gemeint. Das führt zur Wesenseinheit mit dem Sohn Gottes. Der Herr Jesus hat gesagt: „Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater und niemand erkennt den Vater als nur der Sohn“ (Matth. 11, 27). Damit läßt er uns hineinblicken in das göttliche Erkennen zwischen dem Vater und dem Sohn. Weil es ein solches Erkennen gibt, gibt es auch eine vollkommene Wesens- und Lebenseinheit zwischen dem Vater und dem Sohn. Aber der Kreis ist erweitert. Wir werden mit einbezogen. Dadurch, daß wir den Sohnerkennen, kommen wir in die Wesens- und Lebenseinheit mit ihm und stehen damit im Vollgenuß der Sohnschaft. Nur in der Sohnschaft gibt es Wesens- und Lebenseinheit mit ihm. Doch diese Lebens- und Wesenseinheit bleibt nicht auf das Einssein mit dem Sohn beschränkt, sondern führt mitten hinein in die göttliche Wesens- und Lebenseinheit zwischen dem Vater und dem Sohn. Sie macht uns eins mit dieser göttlichen Einheit. Sie nimmt uns voll hinein ins Göttliche, das im innergöttlichen Lebenskreis vom Vater ausgeht und aus dem Sohn zurückstrahlt, das zwischen Gott und seinem Christus fortwährend im Austausch steht, hin- und herflutet und alles mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt. Dahin führt die Erkenntnis des Sohnes Gottes.
Man könnte sich fragen, warum es nicht heißt: Einheit der Erkenntnis des Christus, sondern des Sohnes Gottes. Sicher ist, daß es sich nicht um Rangabstufungen handelt. Christus ist nicht höher oder niedriger als der Sohn Gottes; er ist der Sohn Gottes. Vielleicht darf das gesagt werden: Christus ist die Bezeichnung des Sohnes Gottes in seiner Beziehung zum ganzen Universum, zum Heilsplan Gottes und seiner Durchführung. Der Ausdruck Sohn Gottes hat es vor allem mit dem Verhältnis Gott-Sohn und Sohn-Vater zu tun. Er scheint die Intimität des innergöttlichen Lebensbereichs zu bezeichnen. Gerade diese Intimität kennzeichnet die Einheit, zu der die Glieder des Leibes Christi durch die Erkenntnis der, Sohnes Gottes hingelangen. Solche Gnade und solche Gabe hat uns Gott geschenkt!
Man kann sich das alles nun sehr vereinfachen, indem man sich damit tröstet, daß diese Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes zukünftig ist, und daß wir sie heute ja doch nicht erreichen können. Gewiß ist sie zukünftig. Ob wir sie aber nicht irgendwie in unsere gegenwärtige Glaubensverwirklichung einbeziehen müssen? Wir meinen, doch! Wir haben von der Väterstufe gesprochen. Sind nicht die Väter solche, die sich in ihrem Glauben ganz haben ausrichten lassen auf das Haupt des Leibes und darum an der göttlichen Einheit schon jetzt teilnehmen? Und sind nicht gerade sie es, die in der Erkenntnis des Sohnes Gottes stehen, mit ihm liebend und innig eins werden und so im Geist schon heute in der Intimität göttlichen Einsseins zwischen dem Vater und dem Sohn Anteil haben? Wäre es da nicht der Mühe wert, unser Leben so einzurichten, daß es zu göttlicher Vertiefung kommt und zum Anschauen der Herrlichkeit des Herrn? Ja, haben wir nicht sogar eine Verantwortung, daß wir nicht immer Kinder bleiben, sondern zu Vätern in Christo heranwachsen?
Von der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes ist zu unterscheiden die Einheit des Geistes (Eph. 4, 3). Letztere kennzeichnet den Leib Christi nach den Worten des Apostels Paulus: „Alles dieses wirkt ein und derselbe Geist, … denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ (1. Kor. 12, 11.13). Zu dieser Einheit des Geistes brauchen wir nicht erst hinzugelangen, sie ist vielmehr die Voraussetzung zur Existenz des ganzen Leibes. Sie muß nur erkannt, anerkannt und bewahrt werden im Band des Friedens. In dieser Einheit gibt es ebensowenig ein Wachstum wie bei unserer Rechtfertigung und in unserem Sohnsein. So wie die Rechtfertigung und die Sohnschaft bestehen bleiben trotz aller Mängel, so bleibt auch die Einheit des Geistes eine Tatsache trotz aller Uneinigkeit unter den Kindern Gottes. So gewiß wie es eine falsche Heiligungsbestrebung gibt, die immer das erzeugen will, was ja als Voraussetzung schon da ist, so gewiß gibt es auch eine falsche Einheitsbestrebung in der Gemeinde, die ebenfalls immer das erzeugen will, was als Voraussetzung für das Dasein des Leibes Christi schon da ist. Hingegen gibt es ein Wachstum in der Erkenntnis dieser Einheit des Geistes, d. h. ein Wachstum in der Wertung und Verwertung der uns von Anfang an geschenkten Einheit des Geistes.
Nun wird uns gesagt, daß wir diese Einheit bewahren sollen im Band des Friedens. Wie kann das geschehen? Zunächst steht gewiß einmal fest, daß einer geistigen Einheit nicht beizukommen ist mit Mitteln, die nicht dem Geist entsprechen. Da werden also keine Vorschriften und Anordnungen etwas helfen, auch keine Abmachungen und Verträge. Heißt es nicht: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Kor. 3, 6)? Demgemäß müssen wir nach geistlichen Mitteln Ausschau halten. Wir haben gelesen, daß wir durch einen Geist zu einem Leib getauft worden sind. Nur dieser Geist kann uns in den Stand setzen, seine Einheit im Band des Friedens zu bewahren. Der einzige Weg dazu ist der, daß wir uns durch den Geist zu geistlichen Menschen machen lassen, zu solchen, die auf das Wirken des Geistes achten und ihm in unserem Leben den nötigen Spielraum lassen. Er selber wird es uns dann bewußt machen, daß das Band des Friedens von oben her schon geknüpft ist, weil Christus unser Friede ist, ihn gestiftet und verkündigt hat (Eph. 2, 14.15.17). Wenn wir im Geist wandeln, wird der Geist für die Bewahrung der Einheit im Bande des Friedens sorgen, wenigstens soweit es uns angeht. Das Bewußtsein, daß der Friede ein festhaltendes Band ist, das uns alle in der Ausgeglichenheit und Unverletzlichkeit Gottes umschlungen und zusammen hält, wird er mehr und mehr festigen.
Was soll man nun von der Höhe dieser Erkenntnis aus über die elende Zerstreuung und Parteiung unter den Gliedern und Gliedgruppen sagen? Sind sie nicht der traurige Ausdruck der Rückständigkeit in der Erkenntnis Christi? „Ist denn der Christus zerteilt? (1. Kor. 1, 13) fragte schon Paulus die Korinther. Gäbe es mehr geistliches Verständnis in der Erkenntnis und Anerkennung der Einheit, die der Geist geschaffen hat und die die Existenz des Leibes Christi ausmacht, wieviel sicherer würde man hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes! Aber anstatt die Einheit der Gläubigen als Einheit des Geistes zu erkennen, anstatt den Sinn auf das eine, diese herrliche Einheit des Geistes, zu richten, und anstatt den Heiligen Geist, den Schöpfer dieser Einheit, zum Zug kommen zu lassen, sucht man die Einheit in der Erkenntnis der Schrift und fordert gleiches Erkennen und Übereinstimmung der Gedanken. Man gruppiert sich um das Stückwerk solcher Erkenntnis, man macht Richtungen, Schulen, Parteiungen und Bekenntnisse. Man zerschneidet den Glauben, macht ihn zu einem Stückwerk und erklärt dieses für wesentlich und heilsnotwendig. Man macht das Stückwerk zu einem Sammelpunkt, predigt Absonderung von anderen Kindern Gottes und merkt nicht, daß man dem Heiligen Geist entgegenarbeitet. So gibt es Zank und Hader. Dabei ist es doch unmöglich, daß in Bezug auf Erkenntnis des Wortes Gottes alle die gleichen Gedanken und Auffassungen haben. Warum machen wir es nicht wie Paulus? Nachdem er den Philippern sein Jagen nach dem Ziel dargelegt hat, fährt er fort: „So viele nun vollkommen sind, laßt uns also gesinnt sein“ (Phil. 3, 15). Nun hat es aber in Philippi wohl solche gegeben, die wahrscheinlich anders gedacht haben. Darum fährt Paulus weiter: „Und wenn ihr etwas anders gesinnt seid, so wird euch Gott auch dies offenbaren.“ Der Apostel hat also nicht alle in seine Erkenntnis hineinzwingen wollen, sondern er hat es Gott anheimgestellt, den Andersdenkenden das, was ihm wichtig war, zu offenbaren.
Worterkenntnis kann man nie zum Entscheidungs- und Sammelpunkt machen, ohne die Einheit des Geistes aus den Augen zu verlieren. Nicht einmal die Worterkenntnis über den Leib Christi reicht dazu aus. Sammelpunkt ist einzig Christus. Wenn wir ihn wollen, und ihn ganz, und wenn wir uns nicht um Sonderbekenntnisse und Sondererkenntnisse bemühen, wenn wir das von ihm Erkannte in göttlicher Zucht praktisch auszuleben suchen, und wenn wir dem Heiligen Geist sein Recht in und an uns einräumen, so daß er in unseren Herzen wirken kann, dann werden wir die Einheit bewahren und wachsen in der Erkenntnis des Sohnes Gottes.
Es kann auch sein, daß man kein Sonderbekenntnis hat und die Worterkenntnis auch nicht zur Richtschnur und zum Schiboleth (Richter 12, 6) macht. Trotzdem aber bewahrt man die Einheit des Geistes nicht. Für dieses Bewahren braucht es sowohl einzeln als auch kollektiv das, daß man sich der Zucht des Geistes unterstellt und im Geist wandelt. Wie oft kommt es jedoch vor, daß man in geistlicher Dürftigkeit dahinlebt. Gewiß, es wird mancherlei unternommen, man hat ganze Reihen von Veranstaltungen, aber alles spielt sich im Äußerlichen, an der Oberfläche, ab. Man dringt auf Bekehrung, aber man begnügt sich mit einem Platz im Himmel. Man redet und predigt von der Bibel, über die Bibel und aus der Bibel, und doch ist das Gesprochene nicht lebendiges Wort Gottes. Man tut so manches, aber es haftet ihm der Stempel der Routine an. Man stößt nicht eigentlich zum Geistlichen vor. Hier kann nur das helfen, daß sich einsichtige Männer und Frauen zusammentun und das Haupt des Leibes anrufen. Das Haupt kann Verinnerlichung und geistliche Vertiefung schenken. Ein solches Tun hat die köstliche Verheißung: „Das Gebet des Gerechten vermag viel“ (Jak. 5, 16).
Die Vollkommenheit des vollwüchsigen Gliedes am Leib Christi, die gekennzeichnet ist durch die Vaterstufe der Gläubigen, und der Vollwuchs des Leibes Christi, der dann erreicht sein wird, wenn die Vollzahl der Glieder eingegangen, d. h. zum Leib Christi hinzugetan sein wird, sind noch nicht die Vollendung und Offenbarung des Leibes Christi in Herrlichkeit. Diese Vollendung und Offenbarung geschieht nicht mehr auf dieser Erde, sondern im Himmelslicht Gottes und seines verherrlichten Sohnes.
Obgleich wir jetzt Kinder Gottes sind, so ist es doch „noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1. Joh. 3, 2). Während wir die Hülle unseres irdischen Leibes tragen, ist unser eigentliches himmlisches Leben, das wir aus ihm haben, verborgen mit dem Christus in Gott. Es wird aber offenbar werden, wenn Christus in Herrlichkeit geoffenbart wird (Kol. 3, 3.4). Wir werden, bekleidet mit seiner Herrlichkeit, mit ihm zusammen offenbar werden. Dann wird er uns heilig, tadellos und unsträflich vor sich hingestellt haben (Kol. 1, 22). Jetzt aber wandeln wir durch Glauben und nicht durch Schauen (2. Kor. 5, 7).
Jetzt sehen wir wie durch einen Spiegel, undeutlich (1. Kor. 13, 12). Wir sind Glieder am Leib Christi, aber unser Haupt, das wir lieben und an das wir glauben, haben wir noch nie gesehen (1. Petr. 1, 8). Wir sind Gottes Kinder, aber unser Vater ist im Verborgenen (Matth. 6, 6). Unser Bürgertum ist im Himmel, aber wir sind noch Fremdlinge auf Erden (Phil. 3, 20). Wir sind Erben, aber unser Erbteil ist aufbewahrt in den Himmeln (1. Petr. 1, 4). Wir sind versiegelt mit dem Heiligen Geist (Eph. 1, 13), werden hier aber von manchem fremden Geist umweht. Wir sind bestimmt, dem Bild des Sohnes Gottes gleichförmig zu sein (Röm. 8, 29), aber wir tragen noch das Bild dessen an uns, der von Staub ist (1. Kor. 15, 49). Wir wissen, daß unser Leib der Niedrigkeit umgestaltet wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, aber wir seufzen beschwert in der irdischen Hütte (Phil. 3, 21; 2. Kor. 5, 4). Der Gott der Herrlichkeit hat in unsere Herzen geleuchtet und den Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Christi hineingelegt, doch haben wir diesen Schatz in irdenen Gefäßen (2. Kor. 4, 6.7). Wir sind errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe, aber noch geht der Teufel umher wie ein brüllender Löwe und sucht wen er verschlinge (Kol. 1, 13; 1. Petr. 5, 8). Wir haben den Geist der Sohnschaft empfangen, aber wir seufzen in uns selbst und erwarten die Sohnschaft (Röm. 8, 15.23).
Erst die Vollendung und Offenbarung des Leibes Christi in Herrlichkeit wird uns die Erlösung unseres Leibes und den Empfang des großen Erbes Gottes bringen.
Bei der Betrachtung im Abschnitt „Wie sieht es heute aus“ haben wir gesehen, daß das Verhalten der Kinder Gottes heute noch gar nicht das Gepräge der werdenden Vollendung des Leibes Christi zeigt. Mit Recht mag man sich fragen, wie es denn überhaupt zur Vollendung kommen soll. Gott sei Dank, daß er nicht mit unser Maßstab mißt. Damit soll nicht gesagt sein, daß Gott durch die Finger sieht und unser Verhalten nicht beachtet und wägt. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Er nimmt genau zur Kenntnis, wie wir als Kinder Gottes in dieser Welt gelebt, wie wir seine Gnadengaben verwaltet und was wir für die Auferbauung des Leibes Christi getan haben. Tiefer Ernst spricht aus den Worten des Apostels, wenn er sagt: „Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden“ (Röm. 14, 10) und „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, damit ein jeder empfange, was er im Leib getan hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 10). Und wie ernst dem Apostel das vor Augen steht, ergibt sich aus dem angefügten Satz: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen“ (2. Kor. 5, 11).
Gott mißt nicht mit unserem Maßstab. Die Garantie für die Vollendung des Leibes Christi in göttlichem Sinn und auf göttliche Art ist ihm Christus allein. Christus hat die Gemeinde geliebt, hat sich für sie hingegeben, damit er sie heiligte und reinigte. Das Ziel seines Handelns ist: „daß er die Gemeinde sich selber herrlich darstellte, daß sie nicht habe einen Flecken oder Runzel oder dergleichen etwas, sondern daß sie heilig und tadellos sei“ (Eph. 5, 26.27). Dieses Ziel wird Christus voll und ganz erreichen, weil er ja eben hierzu der Gesalbte Gottes ist, daß er alles herrlich hinausführe. Aber auch in Gott selber ist es verbürgt, daß es werden wird, weil er das gute Werk, das er in uns angefangen hat, vollführen wird auf den Tag Christi (Phil. 1, 6).
Aber das sind nicht die einzigen Stellen Heiliger Schrift, die davon reden, daß diejenigen, welche zum Leib Christi gehören, am Tage des Herrn Jesu tadellos und unsträflich sein werden. Den Korinthern, die Paulus fragen muß: „Ist der Christus zerteilt“ (1. Kor. 1, 13), und die er wegen ihres Zustandes als Fleischliche und Unmündige bezeichnet (1. Kor. 3, 1), schreibt er in gewisser Glaubenszuversicht: „Er wird euch befestigen bis ans Ende, damit ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesu Christi“ (1. Kor. 1, 8). Den Kolossern darf er schreiben: „Er hat euch versöhnt in dem Leib seines Fleisches, um euch heilig und tadellos und unsträflich vor sich hinzustellen“ (Kol. 1, 22). Und wenn er den Thessalonichern wünscht, daß der Herr sie wachsend und überströmend machen möchte, damit ihre Herzen vor Gott tadellos befestigt sein möchten bei der Ankunft des Herrn Jesu, dann steht hinter diesem Wunsch die Gewißheit, daß der Herr dieses auch tun wird (1. Thess. 3, 13). Ebenso verhält es sich mit dem Wunsch: „Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig, und euer ganzer Geist, Seele und Leib werde tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi“ (1. Thess. 5, 23).
Wir haben oben davon gesprochen, wie Christus den Gliedern des Leibes dient. Auch das, daß er seine Gemeinde heiligt und reinigt, gehört zu diesem Dienst. Dieser Dienst ist dem Haupt des Leibes so ernst und liegt ihm so am Herzen, daß er sein Leben dahingegeben hat, damit er getan werden kann (Eph. 5, 25.26). Dadurch daß er heiligt, kommt es zur Weihe, jenem Zustand des Ihm-Gehörens, des für ihn Daseins in göttlicher Absolutheit und Ausschließlichkeit. Diese Heiligung ist seine Tat.
Aber auch das ist seine Tat, daß er seine Gemeinde reinigt durch das Wort. Es ist nicht irgendein Wort, sondern es ist sein Wort, lebendiges Wort Gottes, das er uns durch seinen Geist eindrücklich macht. Dieses Wort gestaltet uns, räumt mit Vorstellungen und Gedanken auf, die nicht in die Gegenwart Gottes passen. Aber es bestimmt auch unser Tun und Lassen und ändert unsere Lebensgewohnheiten.
Das alles geschieht mit dem Ziel, daß er die Gemeinde sich selbst darstellte ohne Flecken oder Runzel, heilig und tadellos. Damit ist ausgedrückt, daß die Gemeinde sein Spiegelbild in Herrlichkeit sein wird. Die beiden Wörtlein „sich selbst“ können gar keinen anderen Sinn haben.
Immer noch beschäftigt uns die Frage: „Wie kommt es zur Vollendung?“ oder mit anderen Worten: „Wann und wo werden die Kinder Gottes eine solche Reinigung erfahren, daß sie tadellos und unsträflich vor ihm sind?“ Wird ein jeder in diesem Leben so durchgereinigt und durchheiligt, daß er als ein solches Glied am Leib Christi von hier abscheidet, das ohne Runzeln und Flecken dasteht, das den Lauf vollendet und das mit dem Apostel Paulus weiß: „Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit“ (2. Tim. 4, 8)? Oder erwarten wir alles vom Akt der Auferstehung unseres Leibes, als ob es nicht so sehr auf unsere Treue, Liebe und Heiligung, auf unsern Wandel vor Gott ankäme? Täuschen wir uns nicht. Sicherlich kommt es auf unsern Wandel an. Aber wann, wie und wo der Herr die letzte Reinigung vornehmen wird, die zur Verherrlichung seiner Gemeinde unerläßlich ist, das bleibt sein Geheimnis. Unsere Haltung sei diese, die Petrus beschreibt: „Darum umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hoffet völlig auf die Gnade, die euch gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi“ (1. Petr. 1, 13). Und andererseits wollen wir bedenken, daß uns gesagt ist. „Jaget dem Frieden nach mit allen und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird“ (Hebr. 12, 14).
Sie wird gekennzeichnet durch den Eingang der Vollzahl der Nationen, durch die Entrückung, durch den Richterstuhl Gottes und Christi und durch die Vereinigung des Hauptes mit dem Leib.
Im Abschnitt „Zuvorbestimmt zur Sohnschaft“ haben wir gesagt, daß seit Ewigkeit im Gesichtsfeld unseres Gottes ein ganz bestimmter Teil der Menschheit als abgegrenzt für die Sohnschaft dastand. Wie groß dieser Teil ist und wie hoch die Zahl der so abgegrenzten Menschen, weiß von uns niemand. Sicher ist aber, daß die Erreichung der vollen Zahl große göttliche Ereignisse nach sich ziehen wird. Die Sammlung dieser Menschen als Glieder des Leibes Christi hat Jahrhunderte gedauert; wenn sie aber beendet sein wird, wird nicht nur der Leib Christi in die Vollendung geführt, sondern das Heilshandeln Gottes mit seinem Volk Israel, mit den großen Völkermassen und mit der ganzen Schöpfung wird in einem anderen Zeitalter neue Wege gehen. Das ist schon damit angedeutet, daß der Apostel schreibt, daß die Verstockung Israels andauern werde, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen sein und dann ganz Israel errettet werden wird (Röm. 11, 25.26).
Die Erreichung dieser Vollzahl wird der Anfang sein des Reiches Gottes und Christi.
Der Eingang der Vollzahl, die Entrückung, das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Gottes und Christi und die Vereinigung des Hauptes mit seinem Leib wird nach unserer Meinung zeitlich nicht auseinanderfallen. Alles das wird den Tag des Herrn einleiten.
In unseren bisherigen Betrachtungen ist mehrmals schon vom Tag die Rede gewesen. Die Heilige Schrift spricht davon in verschiedenem Zusammenhang. Da wird zunächst ganz allgemein der Tag erwähnt, welcher der Nacht dieses jetzigen Zeitlaufs ein Ende macht (Röm. 13, 12, Hebr. 10, 25; 2. Petr. 1, 19). Aus dieser Redeweise ist ersichtlich, daß mit dem Ausdruck Tag kein Zeitabschnitt von 24 Stunden gemeint ist. Es ist damit vielmehr das kommende Zeitalter bezeichnet. Die Schriftstellen des Neuen Testaments reden vom kommenden Tag in dreifacher Hinsicht.
Zuerst bedeutet der anbrechende Tag (2. Petr. 1, 19) die Wiederkunft Christi für die Seinigen und alles, was damit zusammenhängt. Dieser wird auch Tag des Herrn Jesu (nicht Tag des Herrn), Tag Jesu Christi, Tag unseres Herrn Jesu Christi oder Tag Christi genannt (2. Kor. 1, 14; Phil. 1, 6; 1. Kor. 1, 8; Phil. 1, 10; 2, 16). Dieser Tag beginnt damit, daß Christus sich mit seinem Leib vereinigt. Es ist der Tag der Erlösung, auf den hin wir versiegelt worden sind (Eph. 4, 30); der Tag der Freilösung des erworbenen Besitzes (Eph. 1, 14); ferner der letzte Tag, an dem der Herr Jesus die auferwecken wird, die der Vater zu ihm gezogen hat (Joh. 6, 44). Endlich ist auch noch von jenem Tag die Rede (2. Thess. 1, 10), an dem Christus verherrlicht werden wird in allen seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben.
Zweitens kommt der Tag des Gerichts. Es ist der Tag des Herrn. So wird er schon im Alten Testament genannt, und mit dieser Bezeichnung findet er sich auch im Neuen Testament. Das Gericht Christi wird zuerst den Antichrist und die antichristliche Welt treffen. Dieser Tag kommt wie ein Dieb in der Nacht (1. Thess. 5, 4). Er hat es nicht mit der Gemeinde des Herrn, sondern mit der Welt der Gottlosigkeit zu tun. Er wird auch der große und herrliche Tag genannt (Apg. 2, 20) und wird das tausendjährige Reich einleiten. An ihm wird der Sohn des Menschen erscheinen wie der Blitz, der, von Osten ausfährt und leuchtet bis gegen Westen (Matth. 24, 27).
Endlich noch das Dritte. Der Tag des Herrn reicht bis zum letzten Gericht, d. h. bis zu dem Tag, an dem „die Himmel mit gewaltigem Geräusch vergehen und die Elemente in Brand aufgelöst werden“ (2. Petr. 3, 10). Er ist der Tag des Gerichts (2. Petr. 3, 7), des Zorns (Röm. 2, 5), der Tag Gottes (2. Petr. 3, 12), an dem die Menschen auferstehen werden zum Gericht vor dem großen weißen Thron (Off. 20, 11). Schließlich ist noch der Tag der Ewigkeit (2. Petr. 3, 18) zu nennen. Wir haben keine näheren Schriftangaben darüber. Vielleicht geht er über den letzten Gerichtstag hinaus und leitet ein Zeitalter ein, in welchem die Herrlichkeit unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi in der neuen Schöpfung sich entfalten wird.
Weiter ist auch von seiner Ankunft, der Ankunft des Herrn, der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi die Rede (1. Kor. 15, 23; 1. Thess. 2, 19; 4, 15; 3, 13; 5, 23). Seine Ankunft umfaßt einen weiten Zeitraum. Sie geht von der Auferstehung und der Entrückung der Seinigen bis zur Vernichtung des Antichrists und zur Aufrichtung des messianischen Reiches. Auch der Ausdruck Offenbarung unseres Herrn Jesu Christi umfaßt einen weiten Zeitraum und läßt sich nicht auf ein einzelnes Ereignis beschränken (1. Kor. 1, 7; 2. Thess. 1, 7; 1. Petr. 1, 7.13). Das gleiche ist zu sagen, wenn ohne nähere Angaben von seiner Erscheinung berichtet wird (1. Tim. 6, 14; 2. Tim. 1, 10; 4, 1; Tit. 2, 13).
Wenn das letzte Glied zum Leib Christi hinzugefügt sein wird, dann wird die Entrückung stattfinden. Zwar wird sie von der Theologie weitgehend abgelehnt. Man kann nichts damit anfangen. Vielleicht kann man es deshalb nicht, weil der Blick für den Leib Christi nicht genügend geschärft ist am Wort Gottes. Es ist unbedingt nötig, daß man die Wiederkunftsverheißungen Christi für sein Volk Israel von denen für seinen Leib auseinanderhält. Würfelt man sie zusammen, dann steht man in Bezug auf die Entrückung tatsächlich vor einem unlösbaren Rätsel. Auf jeden Fall redet das Neue Testament deutlich von der Entrückung. Der Ausdruck kommt als Zeitwort vor (1. Thess. 4, 17). Zudem bezeugt der Apostel den ganzen Vorgang „im Worte des Herrn“. Es handelt sich also nicht um seine Privatansicht.
Von der Entrückung lesen wir im 1. Thessalonicher- und im 1. Korintherbrief (1. Thess. 4, 13-18; 1. Kor. 15, 51-58). Sie bringt den Sieg über Vergänglichkeit und Tod in den Gliedern des Leibes Christi, seine Vereinigung mit dem Haupt und seine himmlische Vollendung. Mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels, mit der Posaune Gottes (Wer in dieser Posaune eine jener Posaunen der Offenbarung vermutet, lese doch einmal sorgfältig jene Kapitel der Offenbarung [8 ff.] und er wird gewahr, daß diese mit der Posaune aus 1. Thess. 4, 16 und 1. Kor. 15, 52 nichts zu tun haben können. Auch der Posaunenschall nach Matth. 24, 31 kann hier nicht in Frage kommen, da er ja von den Engeln ausgeht und nicht vom Herrn selber) wird der Herr selber vom Himmel herniederkommen. Die Toten in Christo werden seinen Ruf hören und auferstehen. Nicht alle Toten, sondern nur die Toten in Christo, die zu ihren Lebzeiten sein waren und den Geist Christi in sich hatten. Es wird ein gebieterischer Zuruf sein, ein laut verkündeter Befehl. Danach werden die noch Lebenden, die ebenfalls des Christus sind, zugleich verwandelt werden, d. h. mit den auferstandenen Entschlafenen. Die Auferstandenen werden den Herrlichkeitsleib empfangen und die noch Lebenden werden in den gleichen Herrlichkeitsleib verwandelt werden. Die einen und die andern werden zusammen dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft. Im Luftraum, nicht auf dieser Erde, wird ihre Begegnung mit dem Herrn Jesus stattfinden; im Luftraum wird der Leib Christi vereinigt mit seinem Haupt. Es wird noch beigefügt „in Wolken“, womit der Entrückungsvorgang ähnlich wird der Himmelfahrt Christi. Auch ihn nahm eine Wolke auf (Apg. 1, 9).
Das Verwesliche muß Unverweslichkeit anziehen und das Sterbliche Unsterblichkeit. Verschlungen wird der Tod in Sieg. Und das geschieht alles in einem Nu, im Bruchteil einer Sekunde.
Vom Leib Christi wird gesagt, daß er die Fülle des Christus ist (Eph. 1, 23). Dadurch, daß der Leib Christi entrückt und mit Christus vereinigt wird, wird nicht nur der Leib vollendet, sondern Christus überhaupt. Er bekommt seine Fülle, ohne die er weder seine Macht ausübt noch als Gerichtsherr auftritt, noch seine Herrlichkeit entfaltet oder sein Reich aufrichtet. Die Entrückung bringt ein wunderbares Zusammentreffen göttlichen Geschehens. im Bilde gesprochen zieht Christus dadurch, daß er mit den Seinen vereinigt wird, seinen Herrlichkeitsleib an, währenddem zugleich die zu ihm entrückten Seinen mit dem ihnen bestimmten Leib seiner Herrlichkeit angetan werden. Das bedeutet göttliches Vollmaß und Vollendung in jeder Richtung.
Wenn wir gesagt haben, daß alle die, welche des Christus sind, an der Entrückung teilhaben, so möchten wir noch ergänzen, daß nicht die eigene Ansicht, nicht das rechtgläubige Dafürhalten noch das innere Bewußtsein, dazu zu gehören, ausschlaggebend sind. Den Ausschlag gibt allein, ob jemand wiedergeboren ist, Leben aus Gott bekommen hat und ob der Geist Christi Besitz von ihm ergriffen hat. Denn wenn jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.
Durch die Entrückung wird die Sohnschaft ihre Herrlichkeitsgestaltung erfahren. Wir werden nicht wie Adoptivkinder neben dem Sohn Gottes stehen, sondern im Sohn werden wir Söhne sein. Seine Herrlichkeit wird aus uns erstrahlen, wie sie aus ihm hervorleuchtet. Wir werden ihm gleich sein (1. Joh. 3, 2).
Solche Wandlung bedeutet zugleich die Erlösung unseres Leibes (Röm. 8, 23). Es ist nicht die Erlösung von unserem Leib, wie das das heidnische Griechentum wollte und wie es in den Vorstellungen ungläubiger „Christen“ noch weiterlebt (am Eingang zum Krematorium in Zürich steht der bezeichnende Spruch: „Flamme, löse das Vergängliche auf. Befreit ist das Unsterbliche“). Es ist vielmehr das göttliche Lebendigmachen unseres Leibes. Wenn er stirbt, fällt er wie ein Weizenkorn in die Erde, und dieses ist das Angeld für die Auferstehung; bleibt er aber bis zur Entrückung, d. h. sind wir noch am Leben bei der Entrückung, so wird er verwandelt. Gott verschleudert nicht, was er einst geschaffen hat. Darum heißt es auch: „Euer Geist, Seele und Leib werde tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi“ (1. Thess. 5, 23). Bei der göttlichen Erneuerung kommt der Leib zuletzt an die Reihe. In unserer Wiedergeburt ist unser Geist erneuert worden, während der Leib noch in den Schranken der gefallenen Welt verbleibt. Er wird uns zum Erziehungsinstrument in der Hand unseres Gottes. Wieviel geistliche Not bereitet schon die richtige Bedürfnisbefriedigung des Leibes, wieviel Sorgen seine Schwachheit und wieviel Kummer und Angst seine Krankheit! Es hat Gott gefallen, uns trotz unserer Wiedergeburt von oben doch noch im Leib von unten wandeln zu lassen, denn nur unter dieser Bedingung kann der Kampf des Glaubens geführt werden, kann der Glaube erstarken, können wir uns zu solchen Christen entwickeln, die nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist wandeln und so in der Erkenntnis Christi wachsen.
Dazu hat Gott uns wiedergezeugt, daß wir Frucht, ja daß wir viel Frucht bringen. Der Herr Jesus erklärt die Situation in seinen Abschiedsreden (Joh. 15). Er nennt sich selber den wahren Weinstock und die Seinen die Reben. Die Rebe ist nun tatsächlich zu nichts anderem da, als daß sie den Saft und die Kraft des Weinstockes aufnehme und in herrliche Frucht verwandle. Zu etwas anderem kann sie gar nicht taugen. Nicht einmal ihr Holz ist brauchbar. Fruchtbringen ist ihr Daseinszweck. So ist es mit uns. „Ich habe euch auserwählt und euch gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet“ (Joh. 15, 16), sagt der Herr Jesus. Der Vater erwartet viel Frucht (Joh. 15, 2.8). Das ist eine heilige und ernste Sache. Durch unser Fruchtbringen reifen wir selber als Frucht. Bringen wir viel Frucht, so werden wir selber zur herrlichen Frucht heranreifen, die unserm Herrn zur Herrlichkeit gereicht. Gerade dafür, daß wir selber solche herrliche Frucht werden, ist unser Herr Jesus gestorben und als Weizenkorn in die Erde gefallen (Joh. 12, 24).
Fehlen bei einem Menschen, der sich gläubig nennt, die Früchte, so fehlt ihm wohl auch der Geist Christi. Denn Frucht ist eine natürliche Folge der Wiedergeburt. Fehlen die Früchte teilweise, so liegt wohl ein Mangel an der Erkenntnis Christi vor, d. h. ein Mangel in der Wertung und Verwertung der empfangenen Gnade. Gewiß, die Werke sind nicht die Ursache unserer Errettung, sie sind vielmehr deren Folge. Sie bringen uns nicht in den Himmel, aber sie folgen uns in den Himmel nach.
Die Wertung unserer Werke durch uns selber zeigt wohl kaum ihren wahren inneren Wert, denn wir sind ichbefangen. Aber auch wenn wir die Werke unserer Brüder beurteilen, werden wir ihrem inneren Wert oft nicht gerecht. Einmal sind uns die Beweggründe unseres Bruders nicht völlig bekannt, auch kennen wir seine Situation, aus der er handelt, nicht genau genug, und dann hindert uns zumeist unsere Ichbefangenheit, richtig zu messen und zu wägen. Leider beurteilen wir dann unsern Bruder nicht nur, sondern wir verurteilen ihn oft und machen uns schuldig. Darum mahnt Paulus: „Was richtest du deinen Bruder oder was verachtest du ihn? Denn wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden“ (Röm. 14, 10). In ähnlichem Sinn schreibt er den Korinthern: „Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl des Christus, auf daß ein jeder empfange, was er im Leibe getan, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 10). Vor dem Richterstuhl Gottes und Christi findet alles seine richtige Wertung und Beurteilung.
Bevor wir aber davon reden, ist noch auf ein anderes Zeugnis des Neuen Testaments Bedacht zu nehmen. Der gleiche Apostel schreibt: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird eines jeden Werk offenbar werden, denn der Tag wird es kundtun, weil er im Feuer enthüllt wird. Und wie eines jeden Werk beschaffen sein wird, wird das Feuer bewähren. Wenn jemandes Werk, das er gebaut hat, bleibt, so wird er Lohn empfangen. Wenn aber jemandes Werk verbrennt, so wird er Schaden leiden; doch er wird errettet werden, aber so wie durch Feuer hindurch“ (1. Kor. 3, 11-15).
Es ist hier von „eines jeden Werk“ die Rede. Damit ist gesagt, daß keiner ausgenommen ist, daß also jeder baut. Der Apostel hat es ja bezeugt, daß der Leib Christi durch Selbstauferbauung wächst. Jeder baut also mit. Doch es gilt die ernste Mahnung: „Jeder sehe zu, wie er baut“ (1. Kor. 3, 10). Gott reicht zum Bauen das Baumaterial dar. Es sind Gold, Silber, Edelsteine, alles wertvolle Bausteine. Sobald wir aber von dem Unsern etwas hinzutun, sei es, daß wir für uns etwas wollen oder aus uns selber wirken und bauen, so bauen wir mit brennbarem Material. Und ganz ernst wird gesagt, daß der Tag es kundtun wird, weil er im Feuer enthüllt wird. Vielleicht merken wir nicht einmal recht, wieviel Stroh wir herbeigeschleppt haben. Das Feuer wird zeigen, was sich von unserer Arbeit bewährt. Ohne Zweifel wird diese Bewährungsprobe vor dem Richterstuhl Gottes und Christi stattfinden.
Unsere Werke folgen uns in den Himmel nach. Vor dem Richterstuhl Gottes und Christi werden wir nach unseren Werken beurteilt. Dort werden wir offenbar im göttlichen Licht, und es wird sich zeigen, was der Geist Gottes und Christi an Frucht hat wirken können. Es geht nicht um Tod oder Leben. Darüber ist die Entscheidung schon auf dieser Erde gefallen, indem Gott uns wiedergezeugt und göttliches Leben gegeben hat. Aber es geht darum, ob wir in unserem Leben auf dieser Erde aus der Gnade Gottes, vor Gott und für Christus gelebt haben. Es ist eine ernste Angelegenheit. Einmal heißt es: „Also wird nun ein jeder für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ (Röm. 14, 12). Und das andere Mal bezeugt Paulus in diesem Zusammenhang: „Daß ein jeder empfange, was er im Leibe getan hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 10). Ja, Paulus ist vom Ernst dieses Gerichtstages so beeindruckt, daß er weiterfährt: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, überreden wir die Menschen“ (2. Kor. 5, 11). Wenn jemandes Werk verbrennen, d. h. vor dem Gericht nicht standhalten wird, „so wird er Schaden leiden“. Er wird dastehen vor Gott und vor Christus, der ihn geliebt und für ihn sein Leben dahingegeben hat, ohne Frucht, ohne Lebenswerk, ohne Antwort auf die vielen Gnadenerweise, die Gott ihn während seiner Lebenszeit hat erfahren lassen. Er wird einen unwiederbringlichen Schaden erleiden.
Wenn aber jemandes Werk bleiben wird, wird er Lohn empfangen. Wie so ganz anders ist für ihn der Gerichtstag und der Gerichtsausgang. Er wird eine ungleich größere Herrlichkeit empfangen als der, der Schaden leidet. Paulus redet davon, daß es ganz verschiedene Herrlichkeit gibt und daß sich Stern von Stern an Herrlichkeit unterscheidet. Unmittelbar fährt er fort: „Also ist auch die Auferstehung der Toten“ (1. Kor. 15, 42). Es gibt Herrlichkeitsunterschiede und Herrlichkeitsverschiedenheit in der Auferstehung. Aber alle Herrlichkeit wird auf Gott und auf Christus ausgerichtet sein, weil sie von Gott und von Christus ausgeht. Siegesgewiß ist Paulus am Ende seiner Laufbahn. Er hat sein Leben als Streiter Christi Jesu so gelebt, daß er sagen kann: „Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag“ (2. Tim. 4, 8). Diese Krone der Gerechtigkeit wird der Lohn sein, mit dem alle diejenigen belohnt werden, die mit Gold, Silber oder Edelsteinen gebaut haben. Sie ist ein Ehrenzeichen zum Lobe Christi, das zumindest besagt, daß sein Träger sein Leben in dieser Welt in der ihm von Gott zugelegten Gerechtigkeit gelebt und ausgewertet hat.
Zum Schluß möchten wir noch bemerken, daß wir dafür halten, daß der Richterstuhl Gottes und der Richterstuhl Christi sich nicht auf zwei verschiedene Gerichtstage beziehen. Hinsichtlich beider redet der Apostel mit dem gleichen Ernst. Im Neuen Testament lesen wir, daß Gott richten wird, daß er aber das ganze Gericht dem Sohn gegeben hat. In diesem Sinn scheinen uns der Richterstuhl Gottes und derjenige Christi zusammenzufallen.
In Gottes Heilsplan reicht der Vorsatz in Bezug auf den Leib Christi am allerweitesten zurück. Wir haben gesehen, daß Gott vor Grundlegung der Welt, also vor der Planung und Schöpfung der Engelswelt, der Sternen- und der irdischen Welt seinen Vorsatz gefaßt, zur Sohnschaft auserwählt und zuvorbestimmt hat (Eph. 1, 4.5). Dementsprechend reicht die Gemeinde als Leib Christi und Zusammenfassung aller Söhne im Sohn auch am weitesten hinein in Gottes Herrlichkeit. Sie ist bestimmt für den innergöttlichen Lebensbereich, für die Teilnahme am göttlichen Heilshandeln und für das Einssein mit dem Vater und mit dem Sohn. Daß dieses Einssein weit mehr ist als nur eine gedankliche oder gesinnungsmäßige Übereinstimmung, daß sie vielmehr göttlich-geistige Einheit bedeutet, haben wir ebenfalls gesehen. Ferner ist der Leib Christi bestimmt, die Fülle des Christus zu sein, wenn er alles in allem erfüllt (Eph. 1, 23). „Wir werden ihm gleich sein“ (1. Joh. 3, 2).
Diese göttliche Bestimmung des Leibes Christi vollzieht und erfüllt sich in der Lichtflut der Herrlichkeit Gottes und erfordert sein Offenbarwerden im göttlichen Herrlichkeitsgewand. Ihren erhabenen Dienst kann die Gemeinde nur dadurch tun, daß ihre Herrlichkeit offenbar wird. Alle Offenbarung geschieht zum Preise Gottes und zur Ehre seines Sohnes.
Bedeutungsvoll sagt Paulus: „Das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes … daß sie freigemacht werde von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm. 8, 19.21). Es ist geradezu ein angestrengtes Harren der gesamten Schöpfung. Sie verlangt nach „der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm. 8, 18). Nach außen und von außen gesehen können wir bis heute kein solch angespanntes Erwarten feststellen. Der Apostel Paulus aber, der in langer Schule Gottes von oben her belehrt war, hörte das Seufzen der ganzen Kreatur und durfte es auf göttliche Weise deuten.
Und sind es nicht auch die Engel, die in die Herrlichkeitsgeheimnisse des vollendeten Christus hineinzuschauen begehren, welche sehnsüchtig warten auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit des Christus mit seinem Leib (1. Petr. 1, 11.12)? Gerade sie haben seit nun bald zweitausend Jahren gottgewollten Anschauungsunterricht bekommen am Leib Christi. An der Gemeinde in ihrer Niedrigkeit, Unscheinbarkeit und Armut ist ihnen kundgetan worden die gar mannigfaltige Weisheit Gottes (Eph. 3, 10). Sie haben gemerkt, daß Gott uns diese Weisheit vor den Zeitaltern zu unserer Herrlichkeit zuvorbestimmt hat (1. Kor. 2, 7). Was wunder, wenn dieser Weisheitsunterricht sie verlangend macht, auch in die Herrlichkeit des Christus und seines Leibes hineinzuschauen?
Die Erwartung der Herrlichkeit des mit dem Haupt vereinigten Leibes Christi ist also allgemein. Sie umfaßt die weite Himmels- und Erdenwelt Gottes.
Das unser Leben heute verborgen ist mit dem Christus in Gott (Kol. 3, 3.4), hat die Folge, daß wir mit dem Christus zusammen in Herrlichkeit geoffenbart werden. Bevor dies aber geschieht, stellt Christus seinen Leib sich selber verherrlicht dar, ohne Flecken, ohne Runzel, heilig und tadellos (Eph. 5, 27). Bildlich gesprochen tritt Christus aus der Verborgenheit in Gott heraus, umgürtet sich mit seiner Herrlichkeit, stellt die Gemeinde in der gleichen Herrlichkeit vor sich hin, um mit ihr, als Haupt und Leib, in alle Ewigkeit innig vereinigt zu sein. In solcher Herrlichkeit erscheint die Gemeinde vor Gott. Gott selber hat alles Interesse daran. Er gestaltet dieses Himmelsgeschehen und stellt selber die herrlichgemachte Gemeinde vor sein Angesicht und seine Herrlichkeit zu ewigem Frohlocken (Jud. 24).
Es wird sich dann erweisen, daß die Herrlichkeit der in Christus verherrlichten Gemeinde vollständig der Herrlichkeit Gottes entspricht. Mit Christus, in Christus und durch Christus ist dann die Gemeinde in göttlicher Herrlichkeitsvollendung. Als göttliche Einheit mit ihm ist sie sein Leib, seine Fülle und seine Herrlichkeit (2. Kor. 8, 23).
Wenn von der Fülle des Christus die Rede ist, der alles in allem erfüllt, so heißt das mit andern Worten, daß es um Weltvollendung geht. Zu dieser Weltvollendung hat der Christus mit seiner Fülle, also Haupt und Leib, den Auftrag Gottes. Dazu wird er in Herrlichkeit offenbar und mit ihm sein Leib. Darum schreibt Paulus den Korinthern: „So viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm ist das Ja und deswegen durch ihn auch das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns“ (2. Kor. 1, 20). In Christus ist das Ja zu allen Verheißungen Gottes. Diese Verheißungen bedeuten in ihrer letzten Konsequenz die Weltvollendung. Weil Christus die Bejahung all dieser Verheißungen ist, so liegt in ihm auch ihre Erfüllung zur Herrlichkeit Gottes. Paulus fügt kurz hinzu „durch uns“. Der Leib Christi ist an der Erfüllung der Verheißungen Gottes beteiligt. Es geht um Weltvollendung und um die Herrlichkeit Gottes, und es geschieht in der Offenbarung und Entfaltung der Herrlichkeit des vollendeten Christus.
Bei diesem Geschehen wird in allen seinen Heiligen Christus gesehen, verherrlicht und bewundert werden. Seine Heiligen werden so sehr das Herrlichkeitsinstrument und der göttliche Herrlichkeitsträger Christi sein, daß schließlich die ganze Schöpfung in ihnen den Herrn, Christus in Herrlichkeit, bewundern wird (2. Thess. 1, 10).
Als gekrönte Häupter, geschmückt mit der unverwelklichen Krone der Herrlichkeit (1. Petr. 5, 4), werden die Heiligen die Welt und die Engel richten (1. Kor. 6, 2.3). Es wird ein heiliges Gericht sein. Das einst Törichte, Schwache, Unedle und das, was nichts ist, wird dann in göttlicher Herrlichkeit erglänzen, die Weisen und Starken zuschanden machen und das, was ist, wird zunichte werden (1. Kor. 1, 27.28).
So ist die künftige Herrlichkeit, die an uns geoffenbart wird (Röm. 8, 18). Sie wird nicht uns geoffenbart, sondern sie wird an uns im ganzen Universum veranschaulicht. Vereint mit dem Haupt wird aus dem Leib Christi Gottes Wesen und Wirklichkeit hervorstrahlen in unbeschreiblichem Glanz und Gottes Schöpfung mit seiner Herrlichkeit füllen. Das ist die Ewigkeitsaufgabe des vollendeten und verherrlichten Leibes Christi.