Es ist eine göttliche Einrichtung des Herzens, dass es im Andenken an die Seligen, die es geliebt, ihr Bild klarer sieht, als es gewesen ist. Hierdurch kommt Harmonie zu Stande zwischen dem Bilde, das sie jetzt tragen und demjenigen, das von ihnen in uns lebt. Ihrer Verklärung im Himmel entspricht ihre Verklärung in unserem Herzen. Das Nichtige, das an ihnen noch haftete auf Erden, ist jetzt von ihnen gewichen; drum ist es gut, dass es auch aus unserer Erinnerung gewichen ist. Das Echte ihres Wesens leuchtet aber jetzt in höherem Glanze; drum ist es gut, dass es auch in unserer Vorstellung strahlender geworden ist. Die Verklärung des seligen Geliebten im Herzen ist demnach keine Täuschung, sondern hält nur einigermaßen Schritt mit dem Fortschritt der Wirklichkeit.
Und um dieses Fortschrittes willen will ich mich beruhigen, dass du mir entrissen bist, mein Freund. Du bist weiter, als ich; du bist weiter, als du je hier kommen konntest. Du bist auch unendlich froher, als irgend Einer hienieden. Die höchste Freude auf Erden ist nur eine dunkle Ahnung der Wonne, die du genießt. Drum will ich dich nicht zurückwünschen. Ich liebe dich ja. Wie sollt' ich deinen Schaden ersehnen! Wie sollt' ich dir Abbruch wünschen an deiner Freude, bloß, weil ich nicht dabei sein kann! Das sei ferne! Nur zuweilen, wenn des' Herrn. Gnade mir ein Glück sendet, dann denk' ich voll Wehmut: Wärst du doch dabei! Du hast mit mir manch leidvollen Tag verlebt auf Erden! Du sehntest dich mit Schmerzen nach meinem Wohlergehen. Nun geht's mir wohl, - und du fehlst! Du kannst mein Glück nicht teilen! Das bekümmert mir das Herz. Doch das Licht des Trostes geht mir wieder auf, wenn mir die Wahrheit ins Bewusstsein tritt, dass mein Glück dir nicht verborgen ist; dass die Freude daran dir unbenommen bleibt, wenn es mich fördert in meinem Heil. Ja jede echte Freude, die ich genieße, erfreut auch dich, obschon Welten uns trennen. Von Allem aber, was mit mir vorgeht, wird mein Geistesfortschritt deine größte Freude sein. Ich kann dir einen größeren Genuss nicht verschaffen, als wenn ich besser werde. Möge der heilige Geist mich leiten, mir zur Läuterung, dir zur Freude!
Ich weiß, der treue Gott wird auch diese meine Sehnsucht nach Erfreuung meiner geliebten Seligen benutzen, meine Seele zu Seinem Sohne zu ziehen.
Ach, wohl hat er mir den Geliebten entrissen, damit ich mich sehne nach Oben. „Wo euer Schatz ist, da ist euer Herz.“1) Mein Schatz ist bei Christus. Also wird auch mein Herz in die Nähe Christi gezogen. Bin ich aber im Geist bei Christo in der Zeit, so wird er mich zu sich nehmen in Ewigkeit. Er hat ja gesagt: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir sein sollen, die du mir gegeben hast.“2) Bei Ihm werd' ich meine gläubigen Freunde wiederfinden. Geduld bis dahin, mein Herz! „O, meine Freunde, ich habe euch ziehen lassen mit Trauern und Weinen; Gott aber wird euch mir wieder geben mit Wonne und Freude ewiglich.“3)